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Am Nachmittag trafen sich die beiden Jungen auf der Landstraße, wo sie in den Wald einmündet.
»Weißt du was?« sagte Wanja. »Ich muß dir ein Plätzchen zeigen.«
Koljas zutraulichen Augen leuchteten plötzlich vor Neugier auf.
»Zeig!« sagte er entzückt, sich schon im voraus auf das Geheimnisvolle und Ungewöhnliche freuend.
»Ich weiß ein Plätzchen, wo uns niemand finden kann,« sagte Wanja.
»Werden wir uns auch nicht verirren?« fragte Kolja.
Wanja blickte ihn verächtlich an.
»Wenn du Angst hast, so bleibe da,« sagte er wegwerfend.
Kolja errötete.
»Ich habe keine Angst,« sagte er beleidigt, »wenn wir aber zu weit gehen, wird uns vor Hunger der Magen knurren.«
»Der Magen wird nicht knurren, es ist nicht weit,« sagte Wanja bestimmt.
Die Jungen liefen ins Waldesdickicht.
Der Wald um sie her wurde immer dunkler und wilder. Es war so unheimlich still . . .
Bald kamen sie an den Rand eines breiten und tiefen Grabens. Man hörte unten ein Wasser rieseln, doch der Graben war oben so sehr mit Gestrüpp verwachsen, daß man vom Bach nichts sehen konnte und es ganz unmöglich schien, auf den Grund zu gelangen. Aber die Jungen krochen hinunter. Hier kletterten sie, sich an den Zweigen festhaltend, dort rollten sie den Abhang hinunter. Die Zweige hakten sich an ihre Kleider fest und peitschten sie ins Gesicht. Durch das dichte Gestrüpp mußten sie sich mit großer Mühe mit den Händen durcharbeiten. Viele Zweige waren trocken und mit Dornen besetzt, und man konnte sich beim Abstieg unmöglich in acht nehmen, um Gesicht und Hände nicht zu zerkratzen. Stellenweise kamen sie auf dichtes unangenehm klebriges Spinnengewebe.
»Wie leicht kann man sich hier zerschinden,« sagte Kolja ängstlich.
»Macht nichts,« rief Wanja aus, »es ist kein Unglück!«
Er war schon weit voraus, Kolja aber kletterte noch mit großer Mühe.
Je tiefer sie hinunterstiegen, um so feuchter wurde es. Kolja verdroß es, daß seine gelben Schuhe und Hände vom nassen Lehm schmutzig wurden.
Endlich kamen sie in eine enge, dunkle Mulde. Der Bach plätscherte an den Steinen und sang eine stille, girrende Weise. Es war feucht, aber recht nett. Alles, – die Menschen und der Himmel – schien in ferner Höhe zu schweben: sie hatten den Eindruck, daß niemand herkommen und sie hier sehen würde . . .
Kolja beugte sich zurück und betrachtete bekümmert sein Höschen. Es war zerrissen. Er ärgerte sich.
– Was wird die Mutter dazu sagen? – fragte er sich traurig.
»Es ist kein großes Unglück!« sagte Wanja.
»Das Höschen ist aber neu,« sagte Kolja mit klagender Stimme.
Wanja lachte auf.
»Mein ganzer Anzug besteht aus lauter Flicken,« sagte er. »Meine guten Kleider darf ich hier nicht anziehen. Der Wald ist kein Salon. Es hat keinen Sinn, hier seine guten Kleider zu tragen.«
Kolja seufzte auf. – Ach, wenn ich mir doch wenigstens die Hände waschen könnte! – dachte er sich.
So lange er sie auch mit dem kalten Wasser wusch, sie blieben doch immer rot vor Lehm.
»So klebrig ist hier der Lehm!« sagte Wanja sorglos.
Er zog die Stiefel aus, setzte sich auf einen Stein und ließ die Füße ins Wasser hinunterhängen.
»Du hast dir den Anzug zerrissen, hast dich beschmutzt, hast dir die Füße und die Hände zerkratzt,« sagte Wanja »aber das alles ist kein Unglück, mein Lieber! Dafür gehst du nicht mehr am Gängelband, sondern tust alles, was du willst.«
Er schwieg eine Weile und sagte dann plötzlich mit einem Lächeln:
»Schön wäre es, hierher auf Flügeln herunterzufliegen!«
»Schade, daß wir kein Stare sind,« sagte Kolja belustigt.
»Wir werden doch noch einmal fliegen!« erklärte Wanja mit seltsam überzeugter Stimme.
»Wieso denn?« entgegnete Kolja ungläubig.
»Ich fliege auch jetzt schon jede Nacht,« erzählte Wanja, »fast jede Nacht. Sobald ich mich hinlege, fange ich gleich zu fliegen an. Am Tage kann ich es aber noch nicht. Vielleicht, weil ich am Tage Angst habe? Das kann ich nicht begreifen.«
Er wurde nachdenklich.
»Wir haben ja keine Flügel,« sagte Kolja.
»Was braucht man Flügel? Nicht auf die Flügel kommt es an!« erwiderte Wanja nachdenklich, aufmerksam das zu seinen Füßen rieselnde Wasser betrachtend.
»Worauf kommt es denn an?« fragte Kolja.
Wanja sah ihn lange mit seinen bösen, durchsichtigen Augen an und sagte leise:
»Das kannst du noch nicht verstehen.«
Er lachte unheimlich hell wie eine Nixe und begann Gesichter zu schneiden.
»Was schneidest du solche Grimassen?« fragte Kolja schüchtern.
»Warum? Ist es denn nicht schön?« entgegnete Wanja sorglos, noch immer das Gesicht verziehend.
»Ja, es erschreckt mich,« sagte Kolja mit süßsaurem Lächeln.
Wanja hörte auf, Grimassen zu schneiden, setzte sich ruhig hin und blickte nachdenklich auf den Wald, das Wasser und den Himmel.
»Es gibt nichts Schreckliches,« sagte er leise. »Früher glaubte man an die Teufel und allerlei Spuk. Heute gibt's das alles nicht mehr, mein Lieber. Es gibt nichts Schreckliches,« wiederholte er leise und fuhr kaum hörbar fort: »außer dem Menschen. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf!« Diesen Ausspruch hatte er oft von seinem Vater gehört.