August Sperl
Narro!
August Sperl

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V.

Und wieder saßen zwei in der Tiefe der Geißblattlaube unter dem schützenden Dache – wie damals. Aber draußen schlug kein Fink, und keine Lerche tirilierte im Thale. Es war ein kaltklarer Morgen im November, von den Bäumen fielen sachte die gelben Blätter, und auf den Feldern grub man die letzten Stupfrüben. Kahl und braun, wie ein Korb aus starkem Weidengeflechte, war die große Geißblattlaube anzusehen.

302 »Griffo,« schluchzte eine Stimme, »ich kann, ich kann's nicht fassen, und ich kann dich nicht lassen.«

»Ist auch gar nicht nötig, Wiltrud! Mir dünkt, das letzte Wort in dieser Sache ist noch lange nicht gesprochen.«

»Mir schon, Griffo!« kam es unter Weinen zurück. »Ach, Griffo, du weißt ja noch nicht alles. Ich habe gestern einen Fußfall gethan vor Seiner Fürstlichen Gnaden.«

»Du Gute!« flüsterte der Junker und zog die Geliebte an sich. »Wird kaum viel geholfen haben?«

»Es ist alles vergeblich gewesen,« schluchzte die Hofjungfer in ihr Tüchlein. »Mich will er vom Hofe jagen, wenn ich widerstrebe – o, käm' es auf mich an, lieber heut als morgen!« stieß sie leidenschaftlich hervor und ballte das Tüchlein zusammen. »Und dir, Griffo, dir will er dann auch den Laufpaß geben!«

»Mir? Das könnt' ich aushalten!« lachte der Junker. »Ein guter Degen findet überall wieder einen richtigen Herrn. Aber du, Wiltrud? Nein! Laß nur den Dingen Zeit – o, könnt' ich dir etwas abgeben von meiner Hoffnung!«

»Hoffnung? Ach Griffo, seit gestern hab' ich keine Hoffnung mehr. Ich ginge, Griffo!« sagte sie finster. »Ich ginge – aber,« sie brach aufs neue in Thränen aus, »um mich handelt sich's ja gar nimmer. Weißt du, was er mir gedroht hat? Meiner alten Mutter will er die Gnadeneinkünfte sperren, wenn ich mich weigere. Und morgen abend soll der Verspruch sein – hast du gehört, Griffo?«

303 »Der ist ja schon gewesen, Wiltrud. Kopf hoch!« flüsterte er zärtlich und drückte ihre Hand.

Sie lachte bitter auf: »Gewesen, Griffo!«

Mit frohem Lächeln fuhr er fort: »Kopf hoch! Fasse Mut, Liebste! Ich sage dir, es liegt etwas in der Luft, habe nur noch ein wenig Geduld! Wir arbeiten Tag und Nacht am Sturze des Grafen. Mut, Liebste!«

»›Wir arbeiten Tag und Nacht am Sturze dieses Turmes,‹ sprachen die Mäuslein und nagten an der Grundmauer des Bergfrieds,« seufzte Wiltrudis und blickte trostlos hinaus ins Freie. »Mich friert, laß uns gehen!« bat sie nach einer Weile.

»Halte dich ruhig, da kommen Fürstliche Gnaden!« raunte Griffo und zog sie zurück auf die Bank.

»O Himmel, wenn er uns hier entdeckte!«

»Der Graf ist bei ihm. Sei ganz ruhig, Wiltrud! Hier können sie uns nicht sehen, die Zweige sichern uns, sind dicht wie ein Geflechte!« –

Seine Fürstliche Gnaden kamen näher. Erregt klang ihre Stimme: »Viel zu langweilig, lieber Graf. Ich bin 'n sanfter Mensch, ich bin 'n geduldiger Mensch, Ihr aber treibt Mißbrauch mit meiner Geduld und Sanftmut.«

»Es wird unablässig gearbeitet, und das Werk schreitet stetig fort, Fürstliche Gnaden,« antwortete der Graf von Santaporta.

»Das höre ich nun immer, so oft ich frage. Gut. Aber wo sind die Früchte? Nun, wo denn? Her damit! Früher, als Ihr zuerst allein schürftet mit Euerm Diener, da kamen gleich die 304 schönsten Proben zu Tage. Das ist nun längst aus und vorbei. Aber hört – wißt Ihr was? Ich will Proben sehen – Proben will ich wieder sehen, Proben! Habt Ihr verstanden?« Seine Fürstliche Gnaden stampften und blieben dicht vor der Geißblattlaube stehen.

Das Pärlein in der Tiefe hielt den Atem an.

»Um Vergebung, Fürstliche Gnaden,« sagte der Graf, »aber jetzt kommt es doch nicht mehr auf kleine Proben an, jetzt fahnden wir ja nach den mächtigen Adern!«

»Adern hin, Adern her!« murrte der Fürst. »Proben will ich sehen, greifen will ich was, und Eure Vertröstungen hab' ich satt!«

»Wollen mir Eure Fürstliche Gnaden das Vertrauen entziehen?« murmelte der Graf mit bekümmertem Lächeln.

»Das nicht, das nicht. Aber mein Geduldsfaden – hört Ihr, Graf? – mein Geduldsfaden will reißen, und das kann gefährlich werden. Ich sag' Euch, gefährlich!«

»Und warum« – der Graf von Santaporta verneigte sich tief – »warum haben mir Eure Fürstliche Gnaden nicht hochdero ganzes Vertrauen geschenkt? Wer weiß, ob wir nicht heute schon weiter wären – wenn – –«

»Was, wenn?« fragte der Landesvater und runzelte die Stirn.

»Ich meine nur,« sagte der Graf lauernd, »wenn ich unabhängig wäre von Euerm Kanzler und könnte schalten und walten mit den Geldern der Gesellschafter –«

»Nein,« erklärten Seine Fürstliche Gnaden störrisch und kniffen die Lippen ein. »Dabei 305 bleibt's, und daran wird kein Jota geändert. Aber Proben will ich sehen! Hört Ihr? Proben!«

»Wie ich schon gestern sagte, Fürstliche Gnaden, ich hoffe, spätestens morgen abend wieder eine Probe überreichen zu können!« murmelte der Graf mit einem schiefen Blicke.

»Gestern? Habe nichts davon gehört. Also nun doch auf einmal?«

»Fürstlicher Gnaden ist's wohl entfallen,« log der Graf. »Meine Leute haben mir gestern schon gemeldet, das Gestein lasse sich gut an.«

»Und warum wird mir davon keine Meldung gemacht? Wer ist Bergherr – ich oder der Graf von Santaporta?« polterte der Fürst heraus.

»Ich wollte Eure Fürstliche Gnaden mit dieser Nachricht überraschen!« erklärte der Graf.

»Liebe die Ueberraschungen nicht,« brummte der Landesvater, zog sein Taschentuch und schnob hinein. »Wißt Ihr was, Graf? Wir zwei gehen heute nachmittag miteinander hinaus ins Gebirge, wir zwei allein. Ich will mich nun selber vom Stande der Dinge überzeugen. Habt Ihr gehört?« Und damit wollte er das Tüchlein ins Wams stecken, aber es fiel unbeachtet zu Boden.

»Gereicht mir zur hohen Ehre, Fürstliche Gnaden, aber ich gebe zu bedenken, der Weg ist weit. Es wird an drei verschiedenen Orten geschürft.«

»Einerlei, ich will das nun gerade mit eignen Augen sehen!« entschied der Fürst und wandte sich zum Gehen.

»Und was die Proben anlangt, Fürstliche Gnaden,« sagte der Graf mit Hast, »die Proben 306 können natürlich nicht auf Geheiß zu Tage gefördert –«

»So viel verstehe ich auch vom Bergbau,« sprach der Landesvater mit Hoheit. Und schweigend gingen die beiden den Gartenweg hinunter.

»Das ist gut abgelaufen,« raunte Wiltrudis.

»Pst!« machte Griffo.

Eilig kam der Graf von Santaporta den Weg zurück und spähte suchend umher. Nahe der Laube sah er das Taschentuch und hob es auf. »Daß er doch selber in irgend ein Loch fiele zur Probe!« murmelte er wütend vor sich hin und ging dem Fürsten nach mit dem Tüchlein.

»Hast du's gehört?« flüsterte Wiltrudis.

»Ja, das hab' ich gehört!« sagte Herr Griffo erregt. »Und nun laß uns eilig gehen, Liebste!«

»Pst! Pst! Herr Griffo!« Der Paggio trat hinter der Laube heran und flüsterte zwischen den blattlosen Ranken: »Geschwinde, Herr Griffo, geschwinde! 's geht etwas vor, das Ihr wissen müßt, aber geschwinde!«

»Laß uns allein, Wiltrud!«

Die Hofjungfer raffte sich auf und huschte aus der Laube.

»Herr Griffo, der Graf und der Schreiber Imbricius haben ein Geheimnis miteinander. Und daß Ihr's nur wißt, Herr Griffo, damals am Sonnwendtage waren die beiden auch schon in großer Heimlichkeit beisammen auf dem Johannisberge. Ich will's Euch ein andermal erzählen, 's ist mir das alles erst hinterdrein klar geworden. Nur geschwinde: Stand ich vorhin in dem dunkeln Gang, Ihr wißt ja, der von der Waffenkammer zur Schloßkapelle führt, und 307 wartete auf den Diener, der meine Kleider zu reinigen hat. Da kam der Graf, und ich schlüpfte in eine Nische. Kurz darauf schlich der Schreiber herzu, raunte: ›Glück auf, Herr, es ist gelungen. Aber nicht hier, 's kommt ein Knecht!‹ – ›In der Dirnitz in einer halben Stunde!‹ hörte ich den Grafen sagen. Dann gingen sie auseinander. Und nicht wahr, Herr Griffo, das ist doch eine wichtige Geschichte?«

Der Hofjunker sprang auf: »Wann war das?«

»Ich habe Euch lange gesucht. Die halbe Stunde kann bald verstrichen sein.«

»Hast du den Narren gesehen?«

»Soeben im Hofe unter der Linde.«

»Also in einer halben Stunde kommen die Halunken zusammen?«

»In der Dirnitz.«

»Du bleibst, bis ich außer Sehweite bin!« befahl Griffo. »Und deine Sache hast du gut gemacht!«

»Glaubt Ihr? O, wie ich ihn hasse, den Grafen!« murmelte der kleine Paggio.

*

Leise öffnete sich die Thür, und vorsichtig spähte der Verwachsene in den Saal. Oede und leer dehnte sich der gewaltige Raum.

Auf den Fußspitzen lief der Narr und schlüpfte hinter einen Wandteppich.

Stille war's. –

Abermals öffnete sich die Thür, und hastigen Schrittes kam der Graf von Santaporta herein, sah sich um, stampfte zornig auf, rannte an ein Fenster und begann auf den Butzenscheiben zu trommeln.

308 Zum dritten Male öffnete sich die Thür, und der kleine Schreiber schob sich in den Saal. »Hier, Herr!«

»Was laßt Ihr mich warten?« schnaubte ihm der Graf entgegen.

»Bin Euch auf dem Fuße gefolgt,« entschuldigte sich der Kleine mit gekränkter Miene.

»Hast du den Fetzen? Her damit!« murrte der Graf.

»Herr, Ihr verlangt Unbilliges,« rief der Schreiber. »Wüßtet Ihr, welche Mühe es gekostet hat, den Schlüssel ins Archivgewölbe auf etliche Minuten zu bekommen und in Wachs abzudrücken –«

»Langweiliges Geschwätz!« unterbrach ihn der Graf. »Was schert mich das Wie? Kurz und gut: bis wann habe ich die Urkunde in der Hand?«

»Wenn sie noch an der Stelle liegt, wo ich sie damals versteckt habe, das heißt im Sitzpolster des Kanzlers –«

»Bis wann?« rief der Graf ungeduldig.

»Und wenn der Kanzler noch zu Bette bleiben muß – so viel ich zu thun vermag, bis morgen abend.«

»Gut, morgen abend, während des Festes, da könnt Ihr unauffällig an mich heran!« sagte der Graf.

»Und, Euer Gnaden, bleibt's dann bei Euerm Versprechen?« fragte der andre ängstlich.

»Das wird sich finden,« sagte der Graf kurz angebunden. »Erst die Arbeit und dann der Lohn.«

»Herr, was habt Ihr aus mir gemacht!« jammerte der Schreiber.

309 »Memme, habe ich dir geheißen, mit dem Burgermeister anzubandeln?«

»Ja, ich habe dem Teufel einen Finger gegeben –«

»– und nun nimmt er die dazu gehörige Hand, wie sich's gebührt,« spottete der Graf.

»Schritt für Schritt bergab!« jammerte der Schreiber. »Aber erbarmt Euch und haltet Euer Versprechen! Liegt einmal die Urkunde beim kaiserlichen Hofgerichte, dann muß ich längst über alle Berge sein. Hört Ihr, Euer Gnaden?«

»Ich hab's nicht vergessen und werd's nicht vergessen. Aber mir geht auch nicht alles nach Wunsch,« sagte der Graf. »Und welcher Teufel hat den Esel geritten, daß man mir die eingelaufenen Kuxgelder läßt vor der Nase wegsperren?«

»Das war sie, Euer Gnaden, sie, und niemand anders,« flüsterte Imbricius und legte den Zeigefinger auf den Mund.

Der Graf ballte die Hände und murmelte einen langmächtigen Fluch. – »Noch eins, Schreiber: ich habe meinen Diener vor etlichen Tagen nach Böhmen geschickt und erwarte ihn heute oder morgen zurück.«

Imbricius verzog den Mund zu einem höhnischen Lächeln.

»Nun ja,« sagte der Graf leichthin. »Das ist wohl zu erraten, ich muß ihm wieder goldene Eier legen. Höre, Schreiberlein,« er sah ihn durchdringend an, »ordne die Falten deines edeln Gesichts in etwas andrer Weise! Ich habe dich, dünkt mich, fester als du mich, und unsre Schuhe laufen in einer Spur.«

310 »Das weiß der Henker,« seufzte Imbricius und klappte zusammen.

»Trifft er also heute ein, so sag ihm, er solle das Kästchen einstweilen in seiner Kammer verbergen!«

*

»Was für eine Urkunde dürfte wohl der Schreiber versteckt haben?« raunte in dem finstern Gange der Verwachsene dem Hofjunker Griffo ins Ohr.

»Eine Urkunde?« Herr Griffo besann sich.

»Eine Urkunde, die er dem Gauner morgen abend während des Festes ausliefern soll,« sagte der Verwachsene.

»Schockschwerenot!« brach der Junker los. »Nun geht mir aber eine Fackel auf. Ei, da soll doch – unser Waldprozeß! Ei, da muß ich spornstreichs zum Kanzler!«

»Thorheit!« raunte der Verwachsene. »Das machen wir untereinander ab und gleich alles in einem Stück!«

»Ihr könntet recht haben, ich beuge mich Eurer Weisheit,« murmelte der Junker.

Leise kam der Paggio heran zu den beiden.

»Und den andern müssen wir abfangen, Griffo, kommt er nun heute abend oder morgen! Wißt Ihr einen verlässigen, handfesten Mann zu diesem Geschäfte?«

»Ich!« rief der Paggio eifrig und reckte den Zeigefinger empor.

Der Verwachsene lächelte, und Junker Griffo besann sich. Dann raunte er triumphierend: »Florian Abendschein – wen sonst?«

»Gut!« sagte der Narr.

311 »Und ich gedenke mich selbst zu bemengen mit dieser Fangerei. Da sind zwei besser am Platze als einer!« meinte Herr Griffo eifrig.

»Wenn es sich um morgen handelt, meinetwegen!« sagte der Verwachsene, und verwundert sah der Paggio auf ihn herüber. »Zunächst aber bedarf ich Euer: beliebt's Euch, so folgen wir heute nachmittag unauffällig dem Gauner und seinem Opfer ins Gebirge!«

»Habt Ihr nicht auch für mich was zu thun?« fragte der Paggio traurig den Junker.

»Ich denke, du hast dein redlich Teil schon gethan,« sagte Herr Griffo.

»Ach nein, noch lange nicht genug!« flüsterte der Kleine. »Wißt Ihr, ich möchte eine That vollbringen, eine That, daß der alte Drache – wollt' sagen, daß er selber mir vor versammeltem Hofe meinen Degen wieder geben muß – muß!«

»Die That ist dir bereits gelungen, Knabe!« sprach der Verwachsene vornehm, als läge die Entscheidung bei ihm.

Verwundert sah der Knabe zu ihm hinüber. Dann wiederholte er dringlich: »Gebt mir eine große That zu thun, Herr Griffo!«

»Halte die Augen offen, wie bisher!« riet ihm der Junker.

*

Abend war's, und nach langer Wanderung tappten der Hofjunker und der Narr auf schmalen Steigen durch die finstern Wälder.

»Nun ist noch eine Möglichkeit, und an die denke ich dummerweise zuletzt: auf dem Johannisberg wird ja auch noch geschürft, und vielleicht hat er ihn dorthin geführt!« sagte Griffo.

312 »Also auf zum Johannisberg!« befahl der Narr.

»Allgemach wird mir doch bänglich zu Mute, denke ich mir Seine Fürstliche Gnaden allein im dunkeln Walde mit dem Strolche,« meinte der Hofjunker.

Und sie wanderten eilig weiter, bergauf, bergab.

*

»Nun müßten wir nahe an der Bergkuppe sein,« sagte Herr Griffo und hielt schnaufend inne. »Mich dünkt, da vor uns wird's heller. – Habt Ihr gehört? Da wieder! Hört Ihr denn nichts –?«

Der Verwachsene packte den Hofjunker am Handgelenk und raunte herrisch: »Keinen Schritt weiter!« Dann tappte er allein durch den stockdunkeln Wald und kam hinaus auf die Kuppe des Johannisberges.

»Hat jemand gerufen?« fragte er mit verstellter Stimme.

»Ei ja freilich, hierher – hierher!« klang's aus der Tiefe.

»Wer ist's?« fragte der Narr und lauschte.

»Ich! Wer denn sonst? Ich!« kam die ungeduldige Antwort zurück. »Ich habe mich verirrt von meinem Begleiter und einen Fehltritt gethan!«

»Ich?« fragte der Narr. »Ja, das merke ich. Aber damit ist noch lange nicht alles klar. Ich! Was bedeutet das im Totentanze der Geschlechter? Ein fallendes Blatt ist auch ein Ich, und der Maulwurf unterm Wasen nicht minder.

Also, was bist du – Mensch oder Geist?«

313 »Kein Geist, aber auch nicht die Spur von Geist!« beteuerte die unterirdische Stimme.

»Da könntest du recht haben, und deine Selbsterkenntnis ist mir erfreulich,« sagte der Verwachsene vergnügt und ging bedächtig vorwärts im unsicheren Scheine der Sterne. »Also, was bist du deines Zeichens?«

»Der Fürst dieses Landes!« kam die Antwort aus dem Erdboden zurück.

»Ein Fürst?« sagte der Narr nachdenklich. »Demnach vielleicht auch zu Zeiten ein Ich – soweit es die andern erlauben.« Und nun blieb er stehen, denn vor seinen Füßen gähnte der Schacht. »O, du Aermster!« jammerte er.

»Mach's kurz und hilf mir aus dem vermaledeiten Loch, es soll dein Schaden nicht sein!« knurrte Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste.

»Gemach, lieber Herr!« sagte der Narr. Dann erkundigte er sich liebevoll: »Ihr habt Euch doch nicht wehe gethan? Etwa einen von Euern thönernen Füßen gebrochen oder einen von Euern langen Herrscherarmen ausgekugelt oder am Ende gar ein Loch in Eure Gedankenretorte gestoßen?«

»Ich glaube nicht,« antworteten Seine Fürstliche Gnaden ängstlich und befühlten sich umständlich zum zwanzigsten Male. »Aber mach vorwärts!«

»Ei, das freut mich von Herzen, lieber Herr,« sagte der Narr und hielt sich etwas zurück vom Rande des Schachtes. »Da seid Ihr wahrlich gut weggekommen. Wäre das Loch ein wenig tiefer, dann könnte ich Euch jetzt stehenden Fußes den letzten Liebesdienst erweisen.«

314 »Schockschwerenot, hilf mir heraus – oder ich zeig' dir, wer Herr ist!«

»Wer Herr ist?« sagte der Narr mit seiner tiefen, verstellten Stimme. »Ja, wer anders als der Tod, mein Lieber, allerorten und immer? Nein, haltet Ihr nur ein wenig stille, lieber Herr Landgraf oder Herr Herzog oder was Ihr sonst seid, denket Euch, Ihr seiet gestorben – hochselig entschlafen, nennen's die Menschen draußen in der Welt – und ich müßte Euch nun die Leichenrede halten, wie sich's für solchen hohen Herrn geziemt.«

»Hilf mir heraus, Halunke!« kam's furchtsam aus der Erde.

Doch unbeirrt begann der Narr salbungsvoll im Scheine der Sterne: »Ihr Füchse und Luchse, ihr Schlangen und Molche, ihr Käuzlein und Fledermäuse, hochbetrübte Trauerversammlung, hier liegt einer begraben, von dem man mit Recht sagen kann: er ward geboren, nahm ein Weib und starb. Schon vor seiner Geburt gab er Aeußerungen unvergleichlicher Weisheit von sich. Denn als ihn der Storch auf der Herreise fragte, ob er lieber eines Herrn Fürsten oder eines Herrn Schuhflickers Kind zu werden wünsche, entschied er sich zu ersterem. Damit hatte sich allerdings seine Weisheit auf lange hinaus erschöpft. Aber, hohe Trauerversammlung, wozu hätte er ihrer im Grunde so sehr bedurft? Diente ihm doch von Jugend auf eine Menge von Leuten, deren Pflicht es war, Tag und Nacht weise zu sein für ihn und für sich! Und so wuchs das kleine Ich heran zum großen Ich, zum dicken Ich, ein Gefäß der Tugend im Sonnenlichte und 315 voll süßen Weines des Nachts, ein Feind der Schmeichler, wenn sie zwischenhinein Atem schöpfen mußten, und ein Freund der Wahrheit, sobald es ihm vergönnt war, sie einem zu geigen; ein Verächter des Goldes, das ihm nicht selber gehörte, und ein Förderer der Wissenschaften, weil sich seine Weisheit zum Glück niemals mit ihnen bemengte –«

»Halt dein Maul und hilf mir heraus!« rief der Fürst halb zornig, halb ängstlich.

»Wird's Euch langweilig, Herr Herzog? Glaub's wohl! Doch was thut's? Grabreden hält man gemeiniglich nicht denen zum Vergnügen, die in der Grube liegen, sondern denen, die außen herumstehen. Käme einem unter Umständen seine eigne Grabrede zu Ohren, weiß Gott, entweder kröche er vor Scham in die Hobelspäne, oder es befiele ihn ein Lachen, daß er den Sargdeckel sprengte.«

Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste begann zu pfeifen in seinem gerechten Zorne.

»Lieber Herr,« sagte der Narr, »nun paßt ein wenig auf! Ihr steht doch, wie sich's gebührt, auf den Beinen und reckt den Kopf auf natürliche Weise nach oben – ja? Nun also; denn dieses ist jetzt von Wichtigkeit. Seht, ich bin ein alter Einsiedel und habe steife Knochen. Freilich, als ein Junger bin ich auch über manchen Graben gesprungen, war mir keiner zu breit. Das ist lange her. Aber die Grube da ist in der That nicht sonderlich breit – ob mir der Sprung wohl heute noch glückte? Weiß gar nicht, was mich auf einmal für ein Gelüsten ankommt!«

Damit trat er einige Schritte zurück, raffte 316 das Mäntelein auf, rannte los und sprang mit einem gewaltigen Satze über das Loch: »Hopsasa – nein, wie mich das freut! Ihr habt's doch gesehen?«

Und abermals nahm er einen Anlauf und sprang über das Loch: »Hopsasa!«

Und so ging's wohl ein halbes Dutzendmal: »Hopsasa! Ihr habt's doch gesehen? Hopsasa – nein, wie mich das freut!«

Tief aufatmend stand der Verwachsene und erkundigte sich angelegentlich, ob er's doch gesehen habe, der Herr Fürst in seiner Grube, das Kunststück des alten gebrechlichen Mannes. Aber es kam nur ein grimmiges Brummen aus der Tiefe, als säße ein Bär gefangen da drunten.

»Na, nun mach aber endlich vorwärts!« sagte Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste, als sich der andre nicht mehr rührte. Und er entschloß sich, die Angelegenheit von der spaßhaften Seite anzupacken: »Bist, wie mir scheint, ein komischer Kauz!«

»Ein komischer Kauz, Herr Fürst oder Herzog, da habt Ihr recht; das sagen alle, die mit mir zu thun hatten. Nun aber haltet noch eine kurze Zeit aus! Mir ist, als hörte ich Schritte im Walde – heda, hierher, heda – –!«

»Wer ist's? Wer ruft?« kam die Antwort zurück, und mit gewaltigen Sätzen sprang der Hofjunker durch das raschelnde Laub.

»Vorwärts! Helfen! 'rausziehen!« polterte der Landesvater, während der Verwachsene von der Grube schlich und, was er konnte, den Berg hinunterrannte, den Lichtern des Städtleins zu.

317 »Beim heiligen Hubertus – Eure Fürstliche Gnaden?« heuchelte Herr Griffo. »Gesegnet sei mein Birschgang auf den Johannisberg! Fürstliche Gnaden sind doch unverletzt?«

»Geschwinde!« brummte Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste. »Es ist nicht grade tief – wenn du dich auf die Kniee niederläßt und giebst mir die Hand – du bist 'n starker Kerl – so!«

Mit Schnauben und Pusten entstieg Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste seinem Grabe. Der Hofjunker hatte ein schweres Stück Arbeit zu verrichten, und einen Augenblick meinte er wohl, nun müsse auch er hinunter zu seinem Herrn. Aber das Werk gelang.

In großer Aufregung stand der dicke Landesvater auf seinen Beinen am Rande des Schachtes: »Wer war der Hund? Wo ist der Hund? Man greife und binde den Hund!« brach er tobend los.

»Halten zu Gnaden – welchen Hund, Fürstliche Gnaden?« fragte der Hofjunker und wischte eifrig an den beschmutzten Kleidern des Landesvaters.

»Nu, der Kerl, der da am Rande gestanden ist und seinen Mutwillen mit Reden und Springen – Griffo, den Halunken müssen wir haben!«

»O, Eure Fürstliche Gnaden,« murmelte der Junker und blickte sich scheu um, »war's nicht am Ende ein kleines, graues Männlein in einem langen Mantel?«

»Kann sein, aber schaff ihn zur Stelle!« knurrte der dicke Herr.

»O Fürstliche Gnaden, wollet verzeihen,« flüsterte Herr Griffo, »aber mäßiget Eure Stimme. Haben Fürstliche Gnaden noch nie von dem 318 Berggeist gehört, der da weiter droben in den Hochthälern haust?«

»Meinst du?« fragte nun Herr Stanislaus mit merklich gedämpfter Stimme.

»Meinen, Fürstliche Gnaden, meinen –? Erst vor einer halben Stunde hat mir ein Holzhauer erzählt, daß es umgehe von Berg zu Berg, bald so groß wie ein Fichtenbaum, bald so klein wie ein Schwammerling, und brumme allfort vor sich hin: ›Wer sticht mich in meine Gedärme, wer wühlt mir nach meinem Golde?‹«

»So – meinst du?« lispelten Seine Fürstliche Gnaden. »Ich denke, wir steigen zu Thale!«

»Fürstliche Gnaden, Fürstliche Gnaden!« kam es in langgezogenen Tönen aus der Tiefe des Waldes.

Der Fürst fuhr zusammen und hielt inne: »Na, da kommt er ja endlich. Gieb Antwort, Griffo!« sagte er sehr erleichtert.

Zornig schrie der Hofjunker sein »Hier!« in den Wald, und nach kurzer Zeit keuchte der Graf von Santaporta heran. »Glück auf, Fürstliche Gnaden, ich bin todunglücklich –!«

»Schon gut, macht Euch keine Vorwürfe,« sagte der Landesvater. »Die Finsternis war schuld daran, daß wir auseinanderkamen. Und vielleicht, wer weiß, noch dieses und jenes. Wir steigen zu Thale!«

»Ich kann mir's nimmer verzeihen. Aber die Finsternis, die Finsternis –!« keuchte der Graf.

»Habt Ihr kein graues Männlein gesehen?« erkundigte sich Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste und machte lange Schritte und zog den Rücken ein. 319

 


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