August Sperl
Narro!
August Sperl

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VI.

In tiefer Dämmerung lag die geschmückte Dirnitz des fürstlichen Schlosses, lieblich dufteten die frischen Tannenbäumchen rings an den Wänden. Noch eine Stunde, dann würden Hunderte von Kerzen brennen, die Waffen an den Ständern würden blitzen, Pfeifer und Geiger locken zum Tanze – und Seine Fürstliche Gnaden die Hand Wiltrudis, der Hofjungfer, legen in die Hand des Günstlings, Grafen von Santaporta, zum ewigen Verspruche.

Eine der Thüren des Saales ward geöffnet, in die Dämmerung herein leuchteten helle Gewänder, und eine schluchzende Stimme sprach: »Fürstliche Gnaden, ich kann, ich kann nicht! O helfen mir doch Eure Fürstliche Gnaden, daß ich nicht verzweifeln müsse!«

»Helfen? Arme Wiltrud, wer könnte da helfen?« antwortete die süße Stimme der Prinzessin Ulrike.

»Aber das darf man doch nicht, Fürstliche Gnaden – man darf doch kein Menschenkind verhandeln gegen seinen Willen an einen, den es hassen muß? Hassen, Fürstliche Gnaden, und fürchten, unsäglich fürchten!«

»Arme Wiltrud, verliere den Mut nicht! Helfen kann dir niemand mehr. Die Männer wollen, und das Weib muß. Glaub mir, du bist die erste nicht und wirst die letzte nicht sein, der man das Herz zertritt!«

Weit hinten in einer Ecke des Saales ertönte ein kräftiges Räuspern.

»Wer da?« rief die Prinzessin.

320 »Nur der Narr!« kam die Antwort zurück, und langsam trat der Verwachsene hervor.

»Wie du mich wieder erschreckt hast!« Prinzessin Ulrike drückte die Hand auf ihr pochendes Herz.

»Hoffentlich nur angenehm, Euer Liebden?« erkundigte sich der Narr lachend. »Kopf hoch, Jüngferchen!« wandte er sich zu Wiltrud. »Ist noch nicht das letzte Lied gepfiffen, und versprochen ist noch nicht verheiratet. Ich rate dir, mach lustige Augen heut abend und halte sie weit offen, die Augen, daß dir ja nichts entgeht!«

Wiltrud schluchzte: »Ich danke für deinen Spott!«

»Spott? – Fürstliche Gnaden, wollet dieser Jungfer gütigst erklären, daß mein Spott immer Halt macht, wenn es sich handelt um herzbrechende Dinge!« bat der Verwachsene mit Würde.

»Laß uns gehen!« sagte Prinzessin Ulrike beklommen.

Der Narr öffnete die Thür, und die Prinzessin schritt hinaus; hinter ihr die weinende Jungfer.

»Fürstliche Gnaden, auf ein Wort!« rief der Narr dringend.

»Was ist's?« Die Prinzessin kam zögernd zurück.

»Auf ein Wort unter vier Augen, Fürstliche Gnaden – nur eine kleine Bitte an Eure Mildherzigkeit!« wiederholte der Narr, wartete, bis die Prinzessin im Saale war, schlug der Hofjungfer die Thür vor der Nase zu und schob den Riegel vor.

»Auf ein Wort!« rief er laut zum dritten Male, zog die Geliebte tiefer in den Saal, umschlang und küßte sie stürmisch.

321 »Aber Kasimir –!«

»Nur keine jähen Bewegungen, bitt' ich mir aus!« raunte der Narr und küßte sich satt.

Dann rief er laut: »Unterthänigsten Dank für Euer gnädiges Gehör!« öffnete die Thür und entließ Ihre Fürstliche Gnaden unter tiefen Bücklingen.


»Narro! Narro! Pst – Narro!« Der Paggio lugte an der andern Seite in den dämmerigen Saal.

»Nur herein – was giebts?«

»Narro –!« Heftig atmend stand der Paggio vor dem Verwachsenen und agierte mit Händen und Füßen, daß die Schellen an der Birkenrute klangen.

»Nun – habt ihr ihn?« fragte der Verwachsene.

              »Die Schwerter klangen,
              Die Funken sprangen,
              Die That ist gethan –
              Wir ha'n gerungen,
              Er liegt bezwungen,
              Blicke mich an!«

deklamierte der Kleine.

»Zum Henker, so ist es also nicht ohne Aufsehen abgegangen?«

»Aufsehen?« stieß der Knabe hervor.

              »Auf seinem Rosse
              Kam er geritten,
              Und aus dem Dunkel
              Die Helden schritten –
              Halt – wer da?
              Die Schwerter klangen,
              Die Funken sprangen –
Da tränkte den Rasen sein fließendes Blut.«

322 »Zum Henker, so hat er also Widerstand geleistet?« unterbrach ihn der Verwachsene.

»Widerstand –?« Der Paggio sah geistesabwesend ins Leere.

              »Mit meinem Blute
              Hab' ich gesühnet,
              Was ich gethan –
              Neig dich in Hulden,
              Edele Fürstin,
              Blicke mich an –!«

»Zum Henker, du blutest, Kleiner?« Nun zog der Verwachsene den Knaben zum Fenster. »Wo denn?«

              »Blicke mich an!«

»Ach, das ist doch nicht der Rede wert! Hier an der Hand? Laß dich nicht auslachen! Das könnte dir gerade so gut auch von einer Katze geschehen sein.«

»Das ist's eben!« klagte der Paggio. »Und ich hatte mir doch den Kampf an der Waldschenke und meine schwere Verwundung so ergreifend schön ausgemalt und den ganzen Tag schon im voraus an dem Heldenliede gefeilt – und nun – –!«

»Was nun? Mach vorwärts! Florian hat ihn also vom Pferde geschlagen?«

»Vom Pferde geschlagen? Ach nein, er ist gleich von selbst herabgesprungen.«

»Dann aber hat's ein blutiges Handgemenge gegeben? Und wo liegt er? In der Waldschenke?«

»Ein Handgemenge? Ach nein, lieber Narro. Zuerst hat er furchtbar geschimpft, dann hat ihn Florian Abendschein so 'n bißchen geschüttelt, dann hat der Tscheche um Gnade gebettelt. Und liegen thut er nirgends. Florian hat ihm ein dickes 323 Tuch vor den Mund gebunden, nun führt er ihn den Wiesenweg zum hintern Schloßpförtlein. Er muß gleich da sein. Ich aber bin auf des Tschechen Klepper die Straße her geritten, dir Botschaft zu bringen. – Und glaubst du nun, meine That genügt?«

»Er hat dir aber doch die Hand zerkratzt?« erkundigte sich der Verwachsene.

»Ach nein, Narro, nicht mal das. Am Felleisen des Tschechen ist 'was Spitziges gewesen, und daran habe ich mich verletzt.«

»Paggio, ich glaube wahrhaftig, du bist ein Poet!«

»Das glaub' ich auch,« gab der Kleine mit einem tiefen Seufzer zu. »Doch sag – meinst du, die That genügt?« Er lauschte. »Hörst du? Sie kommen!«

Junker Griffo trat mit einer Laterne in den Saal, verneigte sich tief vor dem Verwachsenen und stellte sich schweigend zur Seite.

»Da 'rein und muck nit!« brummte Florian Abendschein und schob den Tschechen am Kragen vor sich über die Schwelle. Geräuschlos drückte der Paggio die Thür ins Schloß und rief stolz: »Da ist er, den wir bezwungen!«

»Alle Thüren riegeln!« befahl Griffo, und von Thür zu Thür eilte der Knabe.

»Das Tuch weg!« befahl Griffo, und umständlich wickelte Florian Abendschein den Tschechen aus.

»Was ist das falsche Spiel, niederträchtige, mit Diener von große Pan, zu fang mir nix dir nix, wird großer Pan sagen Fürst Euriges!« Der Tscheche schüttelte heftig ein Kästchen, das er in den Händen hielt.

324 »Maul halten!« herrschte ihn Griffo an.

»Nix Maul halten! Ich schreien, daß hören große Pan, ich müssen gehen große Pan –!«

»Bring den Kerl zur Ruhe!« befahl der Hofjunker, und der alte Soldat begann den Gefangenen zu schütteln, daß ihm das Kästchen polternd entfiel.

»Ein guter Fang, wie mir scheint!« sagte Herr Griffo, hob das Kästchen auf und gab es dem Verwachsenen.

»Laßt – Diebio!« kreischte der Tscheche. Aber wimmernd schwieg er stille; denn Florians Faust fuhr ihm grimmig an den Kragen.

Nachdenklich wog der Verwachsene das Kästchen und reichte es dem Hofjunker zurück: »Mein Lieber, es hilft dir nicht das geringste, wenn du schreist. Der da hinter dir hat keine Ursache, sparsam zu sein mit handgreiflichen Beweisen seiner Zuneigung. Nicht, Florian?«

Junker Griffo zog den Dolch und hantierte am Kästchen.

»O, 's ist wirklich nit der Rede wert, so 'n Knirps, so 'n Jammerhase!« brummte der alte Soldat. »Oft hab' ich mir gedacht, wenn du ihn nur so unter den Fäusten haben könntest, Florian, nur einmal, den Schürzenjäger, den vermaledeiten! Nu hab' ich ihn, und nu ekelt mir. Und so 'ner Kreatur hat sich – nu, so 'ner Kreatur hat sich eine mögen an den Hals hängen – pfui Deibel! Aber muck dich nit, sonst werd' ich dich knuffen, nit zu meiner Ergötzung, sondern nur in Erfüllung der Amtspflicht!«

Mit Krachen sprang der Deckel des Kästchens auf.

325 »Stimmt,« sagte Griffo, »sind Goldproben!« und er reichte dem Verwachsenen einen glitzernden Stein.

»Woher ist das Gold?« herrschte er den Tschechen an.

»Gnadi, Pan!« flehte dieser.

»Das Leugnen hilft dir nichts mehr. Hier ist auch ein Brief. Also 'raus! Quarz ist's, goldhaltiger – woher?«

»Gnadi – aus Bergreichenstein,« wimmerte der Tscheche.

»Das ist des Grafen Handschrift!« rief Junker Griffo. »Und auf der andern Seite steht die Antwort.«

»Lies!« befahl der Verwachsene.

»Bin in größter Not, soll dem Narren Gold heben aus seinen Bergen, und ist doch nie 'was andres drinnen gewesen als Dreck. Schicke mir nur ein paar Proben, damit ich Zeit gewinne.«

»An wen ist der Brief gerichtet?« herrschte der Junker den Tschechen an.

»Schichtmeister dortiges.«

»Und was ist der Graf ehedem gewesen?«

Der Tscheche schwieg und sah angstvoll umher.

»Wird's?« rief der Junker, und Florian Abendschein half nach mit einem Rippenstoß.

»Ist gewest Kammerdiener bei Grafen Lobkovice.«

»Ein Mann von solchem Adel der Erscheinung!« murmelte der Verwachsene wehmütig.

»Und hier die Antwort des Schichtmeisters!« sagte Griffo lachend. »Ein witziger Kopf, wie mir scheint: 326

»Mit klingenden Hufen
Ist er gekommen,
Den du gesandt –
Dein Bitten und Rufen
Hab' ich vernommen
Und drück' dir die Hand.
Vergoldeter Graf,
Getreuer Kumpan,
Da hast du die Stufen –
Lasse das Schaf
Lecken daran!«

»Crimen laesae majestatus!« äußerte sich der Verwachsene mit Befriedigung. »Nehmt den Brief an Euch, Griffo, der genügt.«

»Florian,« wandte sich der Hofjunker lachend an den Pfortner, »thu, was wir besprochen haben! Und du, Halunke, nimm dein Kästchen wieder und halt es fest!«

Florian Abendschein schob den Tschechen vor sich her zur Herrenbühne der Dirnitz und stieß ihn die Stufen empor. Junker Griffo öffnete einen von den riesigen Wandschränken.

»Dieses fällt mir rechtschaffen beschwerlich,« murrte der alte Soldat.

»Kann dir nicht helfen, du treue Seele, es muß sein,« lachte Griffo.

Brummend schob Florian den Gefangenen in die finstere Höhle, schlüpfte dann selber hinein und zog den Flügel zu.

»Aber nun vorwärts!« drängte der Narr und ging eilig mit dem Junker und dem Paggio durch den dunkeln Saal und hinaus. –

Stille war's.

Da ließ sich in der Höhle des Schrankes eine klagende Stimme vernehmen: »Herr Abenschön, Pan Abenschön, hör Sie mich doch!«

327 Der alte Soldat schwieg.

»Pan Abenschön, laß Sie mich 'raus, ich muß gehen Pan meiniges, daß Kisti kommen, sagen. Pan meiniges Sie geben Gold, viel Gold, wenn thun.«

Florian Abendschein stampfte im dunkeln Wandschranke neben dem Tschechen: »Daß du das Maul hältst, du Lump, da wird fein nix bestochen!«

Eine Weile war wieder alles still im Kasten. Dann räusperte sich der Tscheche bescheidentlich: »Pan Abenschön, ist Weibsbild Euriges, ich Hand lassen von, ich nix mehr wissen wollen. Aber lassen mir 'raus, ich laufen, Pan sagen, Kisti kommen, ich wieder kommen hier, niemand wissen.«

Florian Abendschein gab einen verächtlichen Brummer von sich, und dann rumpelte es ein wenig im Kasten.

»Au, au! Pan Abenschön, au!«

Hernach ward es ganz still im Saale.

*

Pfeifer und Geiger oblagen mit Hingebung ihren Verpflichtungen, und im Saale bewegten sich die geschmückten Paare nach dem Takte der lockenden Weisen.

Mit finsterm Gesichte stiegen Seine Fürstliche Gnaden Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste empor zur Herrenbühne. Hinter ihnen als ihr getreuer Schatten, aber als weißseidener, der Graf von Santaporta.

»Ich habe Euch mein Wort gehalten!« murrte der Fürst.

328 »Euer Knecht, Fürstliche Gnaden, ist Euch zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet!«

»Ich habe Euch das meinige gehalten, Ihr mir das Eurige nicht!« grollte der Fürst.

»Ich weiß, Fürstliche Gnaden,« der Graf rieb seine Hände und wand sich, »die Proben, ich weiß, aber es ist nicht meine Schuld.«

»Ja, die Proben. Auf heute abend waren sie versprochen.«

Wie eine Katze schlich der Narr unten im Saale heran.

»Ich weiß, Fürstliche Gnaden. Aber morgen spätestens – morgen gewiß, Fürstliche Gnaden!«

Behende lief der Narr die Stufen empor: »Vetter, mir dünkt, es ist nicht weit her mit unsrer Lustigkeit heut abend, und ein Schwank könnte nicht schaden!«

»So strenge dein Hirn an, du Kröte, und bring Leben herein!« brummte der Fürst.

»'s wäre höchste Zeit!« schnarrte der Graf.

»Höchste Zeit, guter Freund!« sagte der Narr und glitt nahe heran, maß den Goldsucher mit höhnischem Gesichte und kreuzte die Arme: »Höchste Zeit, guter Freund. Aber mir dünkt, ich habe dir noch gar nicht Glück gewünscht. Glück auf, Herr Graf!«

»Bring Leben herein!« unterbrach ihn Herr Stanislaus.

»Leben, Vetter? O ja, Leben, Vetter, daß der Boden wankt! Aber, Vetter, mir dünkt, du brauchtest nur zu befehlen, dann lebte alles! Vetter, befiehl doch mal des Grafen Braut, daß sie lache! Vetter befiehl doch. Sieh, Vetter, es macht sich schlecht, die Braut sitzt da drüben, hat 329 verweinte Augen und soll doch in Gold gefaßt werden. Ei, das Närrlein! Vetter, befiehl doch! Vetter –!« Nahe heran bewegte sich der Verwachsene und flüsterte: »Die Weiber sind schuld daran, Vetter, die Weiber wollen nicht, die Weiber, Vetter. Mir dünkt, Vetter, du hast dich in den Weibern verrechnet, und es giebt heute wenig Kurzweil.«

»So bring Leben herein!« Der Fürst stampfte. »Wozu füttert man dich?«

»Wozu? Ei, Vetter, das ist dir freilich noch nicht ganz klar, ich glaub's wohl. Aber macht nichts.«

»Bring Leben herein!«

»So ist's recht, Vetter, das heiße ich richtig befehlen. Und dennoch jammerst du mich. Dein Witz ist ausgegangen, und so strampelst du nur noch mit den Füßen. Aber du hast ja getreue Diener. Wozu besäßen diese Witz, dir zu leuchten, wo dir doch der Witz ausgegangen ist, wie ein schlechtes Talglicht!«

»Eurer Fürstlichen Gnaden eine Partie Schach genehm?« fragte der Graf. »Mich dünkt, alles wäre kurzweiliger als des Narren Geschwätz.«

Des Verwachsenen Augen funkelten unter der Kapuze, aber laut lachend klatschte er dreimal in die Hände. »Schach? O ja, Vetter, Schach ist ein schönes Spiel. Wollen wir Schach spielen mit dem glücklichen Bräutigam!«

»Warum halten die Pfeifer inne?« fragte der Fürst.

Mitten im Takte hatte die Musik aufgehört, totenstill war's in der weiten Dirnitz, verwundert 330 standen die Paare und sahen hinauf zur Herrenbühne.

»Warum, Vetter?« rief der Narr mit schneidender Stimme. »Weil wir ja nun spielen wollen mit dem edeln Grafen von Santaporta!«

»Mir scheint, Fürstliche Gnaden, der Narr regiert heute abend das Fest. Er befiehlt, er klatscht in die Hände, hab's ja genau gesehen, wie er den Pfeifern –« begann der Graf.

»Der Narr beherrscht das Fest, da hast du recht,« lachte der Verwachsene. »Und solche Feste sind die langweiligsten nicht. Spielen wollen wir mit dem Grafen von Santaporta, spielen! Hört ihr da drunten? Fürstliche Gnaden, Prinzessin Ulrike, schönste Braut Wiltrudis – hört Ihr, spielen –!«

Langsam schritten die fürstlichen Frauen mit der verweinten Braut heran, und geschäftig half ihnen der Narr über die Stufen empor und schleppte Stühle herbei. »Nehmt Platz, Herrschaften, Platz – alles heran, alles, das Spiel beginnt!«

Neugierig drängten sich die Paare herzu.

»Das Spiel beginnt!« rief der Narr und klatschte abermals in die Hände.

An einer Saalthür im Hintergrunde entstand Gedränge. »Hinaus, hinaus!« riefen halbunterdrückte Stimmen.

»Nein, herein!« schrie der Verwachsene, daß es gellte. »Vetter, befiehl doch, Vetter, ich klatsche ja nur das Leben herein!«

»Was giebt's?« fragte Herr Stanislaus, und mit krummem Rücken näherte sich Herr Windewendeleben. »Ein Fahrender, Fürstliche Gnaden!«

331 »Ein Fahrender?« rief der Narr. »Nun, Vetter, den laß herein! Laß alles herein, was Leben zu bringen vermag! Laß die Fenster öffnen, daß die Luft herein kann, es ist dumpf im Saale. Laß Licht herein, die Kerzen brennen düster. Laß alles herein, laß den Fahrenden auch herein! Wer weiß, was uns der Fahrende bringt?«

Der Fürst winkte, es bildete sich eine Gasse, und mit feierlichen Schritten kam eine hohe Gestalt heran in wallendem Gewande.

»Nur herbei, nur herbei, alles herbei! Die Ohren eingespannt, das Spiel beginnt, Herr Graf von Santaporta!« rief der Verwachsene.

»Wes rühmst du dich?« fragte Herr Stanislaus den Fahrenden mit Herablassung, und tief verneigte sich dieser.

»Ein wenig schärferer Augen als andre sie haben,« sagte der Fahrende mit näselnder Stimme und strich über seinen langmächtigen, weißen Bart.

»Das kann sein!« rief der Narr. »Nicht wahr, Vetter? Scharfe Augen an einem fürstlichen Hofe, das wäre doch gegen alle Ordnung. Mir dünkt, er könnte möglicherweise schärfere Augen besitzen als du. Nicht, Vetter?«

»Fürstliche Gnaden wollen nicht denken, daß ich prahle mit leeren Worten,« näselte der Fahrende. »Die Natur hat mir Augen verliehen, mit denen ich Verborgenes sehe in Säcken und Taschen, Kisten und Kasten, Gruben und Höhlen.«

»Ei, Vetter,« sagte der Narr, »da machen wir gleich eine Probe. Verborgenes in Kisten und Kasten, sagst du, Mann? Nun, da wende dich ein wenig, da, schau dir doch einmal unsern lieben Windewendeleben an, meinen guten Freund, und 332 künde uns, was der in seinem Hirnkasten hat! Nun –?«

Der Fahrende strich den weißen Bart, räusperte sich verlegen, blickte bald auf den kahlen Schädel des Höflings, bald auf Herrn Stanislaus den Zweiunddreißigsten, setzte einen Fuß vor und zog ihn zurück.

»Vetter, der hat uns betrogen!« hetzte der Narr.

»'raus mit der Rede! Was sehen deine scharfen Augen in seinem Hirnkasten?« rief der Fürst.

»Das möchte ich lieber verschweigen, Fürstliche Gnaden,« sagte der Fahrende. »Wär's nicht möglich, mir eine andre Aufgabe zu stellen?«

»Nein!« beharrte der Fürst. »Was siehst du? 'raus damit!«

Nochmals wandte sich der Fahrende nach dem Höfling zurück, faßte ihn scharf ins Auge, schüttelte das ehrwürdige Haupt und sagte laut und langsam: »Mit – dem besten – Willen – nichts!«

Seine Fürstliche Gnaden lehnten sich zurück und lachten laut auf zum erstenmal an diesem Abend, und mit ihnen lachte der Hof. Auch der Graf verzog das gelbe Gesicht.

Zornig wandte sich der alte Windewendeleben und machte sich unsichtbar im Gewühl.

Der Narr aber rief mit Würde: »Vetter, zu dem hab' ich Vertrauen, der weiß Bescheid!«

»Das war keine schwere Aufgabe,« murmelte der Fahrende vernehmlich. Dann wiederholte er mit lauter Stimme: »In Säcken und Taschen, in Gruben und Höhlen, in Kisten und Kasten!« 333 ließ seine Augen umherschweifen, bis sie auf den Wandschrank trafen, begann zu zittern, reckte den Hals und näselte: »Gold, Fürstliche Gnaden, viel Gold!«

»Ei, das wäre uns recht,« meinte der Narr. »Nicht, Vetter? Nichts lieber als Gold, viel Gold. Nicht, Herr Graf? Solange das Gold aus der Tiefe ausbleibt, nehmen wir's, wo's liegt – holen wir's, wo man's uns giebt, das Gold.«

»Gold?« fragte Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste und folgte neugierig den Augen des Fahrenden. »Wo?«

Bedächtig trat der Fahrende auf die Bühne und rief: »Thu dich auf und schütte dich vor seine Füße!«

Im Wandkasten hob ein Gerumpel an. Die Flügelthüren wurden aufgestoßen, und Florian Abendschein steuerte den Tschechen vor sich her auf die Herrenbühne.

Die Hofleute reckten die Hälse, der Graf bekam ein aschgraues Gesicht, neugierig beugte sich der Fürst auf seinem Sitze nach vorn, und der Narr sagte mit schneidender Stimme: »Vetter, zu dem hab' ich Vertrauen, der weiß Bescheid!«

Der Tscheche sank wimmernd in die Kniee, hob das erbrochene Kästchen in die Höhe und rief: »Gnadi!«

»Aber ist das nicht Euer Diener, guter Freund?« wandte sich der Fürst mit allen Zeichen großer Verwunderung an den Grafen von Santaporta.

»Ich denke, Fürstliche Gnaden, der Spaß geht zu weit!« rief nun der Goldmacher und trat vor. 334 »Ich bitte, man ängstigt offenbar den armen Menschen, der nur geringe Sprachkenntnisse besitzt.«

»Vetter,« rief der Narr dazwischen und lachte lustig auf, »darf uns der da den Spaß verderben, der mit seinem grauen Gesicht? Vetter, du hast doch selber befohlen, ich solle Leben hereinbringen! Vetter, entziehst du mir nun das Narrenrecht?«

»Man spiele weiter!« befahl Herr Stanislaus und lehnte sich behaglich zurück.

»Gnadi, sein Ernst –,« wimmerte der Tscheche. Aber Florian Abendschein packte ihn mit grober Faust im Genick.

»Schach dem Grafen!« rief der Verwachsene.

»In Gruben und Höhlen, Kisten und Kasten, Säcken und Taschen!« näselte der Fahrende, während an der Wand hinter dem Grafen sich lautlos zwei Hofknechte postierten.

»Schönste Jungfer,« rief der Fahrende, verneigte sich tief vor der Braut und bat: »Wollet doch das Brieflein aus der Tasche Eures Kleides holen und mir einen Augenblick einhändigen!«

Verwirrt hob Wiltrudis, die Hofjungfer, das Köpflein und flüsterte: »Ihr irrt Euch, ich habe keinen Brief in der Tasche.«

»Doch, seht nur nach!« beharrte der Fahrende, und die Hofjungfer senkte die Hand in die Tasche.

»Nicht?«

»Aber es ist mir ein Rätsel –« stotterte Wiltrudis und brachte ein zerknittertes Papier ans Licht. »Ich weiß doch gewiß, den Brief hab' ich niemals gesehen.«

»O, das glaub' und bezeug' ich, hat auch nichts zu bedeuten. Nur auf einen Augenblick!« 335 bat der Fahrende, nahm das Blatt und reichte es dem Narren.

»Du verstehst deine Kunst!« lobte der Fürst und machte ein wohlwollendes Gesicht.

»In Gruben und Höhlen, Kisten und Kasten, Säcken und Taschen,« näselte der Fahrende.

Der Narr aber glättete das Blatt: »Vetter, darf ich lesen?«

»So lies!«

»Vetter, nein aber, Vetter, ist das ein Spaß! Vetter, mir dünkt, das ist ein Mordspaß. Verse, Vetter! Nein, Vetter, die mußt du selber lesen.«

Seine Fürstliche Gnaden nahmen das Blatt und begannen murmelnd:

»Mit klingenden Hufen
Ist er gekommen,
Den du gesandt,
Dein Bitten und Rufen
Hab' ich vernommen
Und drück' dir die Hand,
Vergoldeter Graf,
Getreuer Kumpan,
Da hast du die Stufen,
Lasse –«

»Halt, Vetter, das übrige ist für deine Gnaden allein, den Rest mußt du ganz stille genießen!«

Wütend fuhr der Goldsucher gegen den Narren auf: »Dein Spiel wird unlustig!«

Der Narr aber wich zurück, tanzte auf der Bühne und rief lachend: »Vetter, hast du gelesen?«

»Dein Spiel wird unlustig,« äußerte sich nun auch Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste mißtrauisch.

»Vetter, mein Spiel wird nun gerade sehr 336 lustig. Ei, wende doch das Blatt, auf der andern Seite dieses Blattes steht etwas, das dich angeht – lies doch!«

Der Fürst wandte das Blatt: »Bin in größter Not, soll dem Narren –«

Der Verwachsene rief: »Damit meint er mich, wen sonst? Nur mich! Und Vorsicht, Vetter, der Rest ist auch nur wieder für deine Augen!«

Verwundert sah Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste abwechselnd auf das Blatt, abwechselnd auf den Grafen: »Aber ist das nicht Eure Handschrift, mein Lieber?«

»Vetter,« fuhr der Verwachsene abermals dazwischen, »werde nicht irre, 's ist natürlich alles nur ein Spiel. Werde nicht irre an deinem Getreuen und gieb mir das Blatt!«

Zögernd reichte der Fürst dem Verwachsenen das Papier. »Spiel?« fragte er verwundert. »Aber das ist doch Eure Handschrift, lieber Graf?«

»Ein Gaukelspiel, bei der Haube meiner Urgroßmutter – nicht, lieber Graf?« sagte der Narr. »Ein wohldurchdachtes Gaukelspiel!«

»Ein Spiel, wahrhaftig ein Spiel – zum Lachen!« brachte der Graf mit heiserer Stimme hervor.

»Und sieh nur, Vetter, die schönen, goldglitzernden Steine in dem Kästchen, die schenkt dir der Graf. Sieh nur! Proben nennt man's – aus Böhmen, nicht wahr, Herr Graf? Und so spielen wir nun weiter – und ich wette, der Graf wird mir fortan mein Spiel nicht mehr verderben!«

»In Gruben und Höhlen, Kisten und Kasten, 337 Säcken und Taschen,« näselte der Fahrende, während der Fürst eine Goldprobe nach der andern aus dem Kästchen hob und nachdenklich betrachtete, der Graf aber unschlüssig dastand.

»Vetter,« begann der Verwachsene plötzlich und ergriff den Grafen am Gelenke. Der folgte ihm willenlos. »Vetter, was gilt's, wer ist Dir mehr ergeben – er oder ich? Vetter, spare deine Antwort, ich denke, wir wollen's erproben! Ergeben kommt wohl von geben. Wohlan, wir zwei beide wollen dir nun alles geben, was uns lieb und wert ist. Ich denke, der Graf wird mir fortan das Spiel nicht mehr verderben. Wohlan, ich lege dir zu Füßen meinen Degen!«

Er bückte sich und legte die Pritsche auf die Dielen. »Nun, Herr Graf?«

»Meinen Degen!« murmelte dieser und legte seinen Degen zu Boden.

»Ich lege dir zu Füßen das, was mir nächst meinem Herzbeutel das Teuerste ist, meinen Geldbeutel, Vetter. Nun, Herr Graf?«

»Meinen Geldbeutel,« murmelte dieser und that desgleichen.

»Ein ansehnlicher Geldbeutel, dieser gräfliche Geldbeutel!« spottete der Narr. »Meine Schuhe! Nun, Herr Graf!«

»Meine Schuhe!« murmelte der Graf.

»Vergebt, edle Fürstin, vergebt, Prinzessin Ulrike,« lachte nun der Verwachsene: »Ich lege dir zu Füßen mein Wams!«

»In Gruben und Höhlen, Kisten und Kasten, Säcken und Taschen,« näselte der Fahrende und kam nahe heran. Der Narr aber streifte behende sein Wams ab und legte es auf die Dielen. 338 »Nun, Herr Graf?« sagte er drohend, im Saale aber entstand ein Gemurmel: denn mit dem weiß-roten Wamse war des Narren Höcker auf den Boden gefallen, und in der Gugelhaube stand ein Schlankgewachsener im engen, schwarzseidenen Hofrocke vor dem Fürsten. »Nun, Herr Graf?«

»Eh –!« wunderte sich Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste und beugte sich seitwärts nach vorn.

»Mein Wams,« sagte der Graf zögernd und rührte sich nicht.

»Nun, Herr Graf?«

»Fürstliche Gnaden, gebietet Einhalt, er will mich zum Spotte machen vor Euch und dem Hofe!« rief der Goldsucher mit heiserer Stimme. »Er hatte ein zweites Wams unterm ersten – ich aber –«

»Siehst du, Vetter, es hapert schon!« sagte der Narr. »Wetten, daß ich dir ergebener bin als er? Siehst du, Vetter, nun geb' ich dir mich selbst. Bindet mich!«

Behende legte der Fahrende dem Narren Handfesseln an, und dieser rief lachend: »Nun, Herr Graf?«

Mit heiserem Lachen streckte der Goldsucher die Hände vor, und der Fahrende band ihn umständlich.

»Fürstliche Gnaden, das ist ein kindisches Spiel!« murrte der Gefesselte.

»Das dünkt mich auch,« sagte der Fürst ungeduldig.

»Gemach, das Spiel ist aus!« rief der Narr, streifte seine Fesseln ab, sprang auf den Goldsucher, riß ihm das Wams auf und schwang gleich 339 einer Fahne über seinem Haupte das Pergament: »Schachmatt, Herr Graf! – Lieber Vetter, ist dir nicht eine wichtige Urkunde abhanden gekommen?«

In ohnmächtiger Wut zerrte der Entlarvte an seinen Fesseln und kreischte: »Glaubt ihm nicht, Fürstliche Gnaden, es ist alles Gaukelspiel!«

Aber die Faust des Fahrenden packte ihn im Genick und drückte ihn auf die Kniee.

»Das Spiel ist aus!« triumphierte der Narr, während sich die Menge im Saale mit Gemurmel noch näher herandrängte, die fürstlichen Frauen erschrocken aufstanden und Herr Stanislaus zornig rief: »Was soll der Schabernack?«

»Nein, du bleibst!« rief der Paggio mit gellender Stimme. »Dibio, Fürstliche Gnaden!«

Alles wandte sich. Totenbleich stand der Schreiber in der Menge und vor ihm mit hocherhobener Birkenrute der Paggio.

»Der da hat die Urkunde gestohlen, und ich hab's entdeckt!«

Der Schreiber spähte angstvoll nach einem Auswege. Dann griff er an seinen Degen. Aber wie rasend warf sich der Knabe auf ihn und schlug ihm die Reiser über die Augen. Hofknechte rannten herbei, und im Nu war er gefesselt.

»Zum Henker, was soll's – bin ich nun der Herr im Hause oder wer ist's?« rief Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste.

»Das Spiel ist aus!« jubelte der Narr zum dritten Male. »Ob du nun wieder Herr sein wirst, Vetter, das steht bei dir. Es ist nur so viel gewiß, eine Zeitlang bist du nicht Herr gewesen. Aber freue dich, daß andre schärfere 340 Augen hatten als du. Freilich, mit den goldenen Träumen ist's aus und vorbei. In deinen Bergen wächst kein Gold, die Proben, die man dir von Zeit zu Zeit unter die Nase hielt, hatten die Helfershelfer dieses Gauners aus weiter Ferne gesandt. Und während du den Gauner hegtest und pflegtest, verführte er jenen dort, und der stahl das wichtige Pergament. Wohl dir, daß andre für dich wachten, als du schliefest – hier hast du deinen großen Wald!«

Verwundert hatte der Fürst bei der feierlichen Rede des Narren umhergesehen, und es schien ihm allgemach die Erkenntnis der Dinge aufzudämmern. Er nahm die Urkunde, guckte lange hinein und murmelte etwas. Dann fragte er den Weißseidenen zweifelnd: »Du hast dich also unterfangen, uns im geheimen zu betrügen und zu bestehlen?«

Der Entlarvte schwieg.

Der Narr aber konnte nicht umhin, zu bemerken: »Ei, Vetter, das pflegt man doch stets im geheimen zu thun.«

»Und am Ende bist du gar kein Graf?« fragte der Fürst in steigender Erregung.

Der Gauner schwieg, und der Narr murmelte lachend: »Bei solchem Adel der Erscheinung!«

»Pfui, nicht mal 'n Graf – wie frech!« erklärte Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste mit allen Zeichen des Abscheus und wandte sich. »Man werfe diesen und seine Gesellen in den Turm!«

Viele Arme griffen diensteifrig nach dem Entlarvten, dem Schreiber und dem Tschechen. Auch Florian Abendschein wollte nicht zurückbleiben. Aber der Narr hielt ihn am Wamse fest. Und 341 während sich der größte Teil des Hofgesindes mit den Gefangenen unter Schreien und Stampfen aus dem Saale wälzte, rief er: »Vetter – was nun?«

»Ja, da ist es wohl an mir, Gnaden auszuteilen für geleistete Dienste!« sagte Herr Stanislaus.

»Ei freilich, Vetter, walte deines Amtes!« rief der Narr eifrig. »Paggio, Fahrender, Florian – ihr bleibt! Mein Vetter gedenkt euch fürstlich zu danken.«

Nun waren Seine Fürstliche Gnaden wieder in ihrem Elemente, gleich einem Fische, der sich vom Trockenen zurückgeschnellt hat ins Wasser: »Bitte dir eine Gnade aus, Fahrender, wer du auch seist!«

»Das Weib, das mir gehört!« rief der Fahrende und riß Bart und Perücke ab; und jauchzend flog ihm Wiltrudis an den Hals.

Seine Fürstliche Gnaden machten ein unsäglich verwundertes Gesicht und sagten langsam: »I was, der Griffo ist's?«

Der Narr aber meinte spöttisch: »Du wirst jetzt wohl nichts mehr dagegen haben, Vetter, daß dieser nimmt, was ihm gehört?«

Seine Fürstliche Gnaden standen wortlos. Die Fürstin aber eilte herzu, legte die Hände der Liebenden ineinander und sprach mit bebender Stimme: »Seid gesegnet! Hab' ich's nicht allzeit gesagt?«

Der Narr zog die Kapuze tief ins Gesicht und wischte verstohlen über seine Augen: »Glückauf, Herr und Frau Forstmeister! Aber der erste Tanz mit der Braut am Hochzeitstage gehört mir!«

Wiltrudis hob das glückstrahlende, thränennasse Antlitz und nickte heftig. Der Narr aber 342 zog sein Fazinettlein und schneuzte sich hörbar. Dann rief er mit lauter Stimme: »Weiter im Texte – Numero zwei, Vetter, der Paggio!«

»Meinen Degen, Frau Fürstin!« bat dieser, ließ sich vor seiner Herrin auf ein Knie nieder und sah bittend zu ihr empor.

»Vetter,« rief der Narr und bückte sich nach dem Degen, der noch auf den Dielen lag, »ich meine, die Bitte gewähren wir dem tapferen Kerlchen! Wer weiß, Vetter, was ohne den geschehen wäre. Ich will dir das alles noch einmal der Reihe nach erzählen.« Und mit einer tiefen Verbeugung reichte er der Fürstin den Degen.

Diese sah bittend hinüber zu ihrem Eheherrn, und als Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste nickte, sprach sie mit holdseligem Lächeln: »Steh auf, Lieber und Getreuer –« Sie stockte, ward ein wenig rot und reichte ihrem Herrn und Gemahl den Degen: »'s wird doch besser sein, Euer Liebden nehmen sich diesmal der Sache an!« flüsterte sie mit reizendem Lächeln.

»Die Probezeit ist aus, nimm unsern fürstlichen Dank!« sagte der Landesvater mit Erhabenheit und gab ihm den Degen.

Glühenden Antlitzes nahm der Paggio die Waffe, verneigte sich tief und trat einen Schritt zurück:

»Nicht mehr mit Eitelkeiten
Will ich Euch Schmerz bereiten,
Ich lass' die Venus fahren!
Ich will dem Kriegsgott singen,
Mich auf zu Thaten schwingen,
Das sollt Ihr bald erfahren.
Die Knabenzeit ist aus,
Heil Euch, Herr Stanislaus!«

deklamierte er mit weithin schallender Stimme.

343 Gnädig lächelte der Landesvater. »Numero drei,« sagte der Narr und winkte Florian Abendschein heran.

Aber mit Nachdruck sagte der Fürst: »Numero drei, der getreue Narr!«

»Ich, Vetter?«

»Du! Wir wollen auch dir fürstliche Gnade erweisen. Bitte dir aus, was du willst, es soll dein eigen sein!«

»Wie du befiehlst, Vetter. Ich bin nun wohl die längste Zeit in deinem Schlosse gewesen, es ist nur billig, daß ich meinen Stab weitersetze. Darum möchte ich dich allerdings bitten: Gieb mir ein Andenken mit auf den Weg!«

»Wähle, es ist dir gewährt!«

Mit einem Ruck riß der Narr die Gugel aus der Stirn und vom Haupte und warf sie zu Boden, und die goldenen Locken rollten auf seinen Nacken hernieder. Mit ein paar Schritten stand er vor dem Stuhl der Prinzessin, sank auf ein Knie und rief: »Eure Liebden – diese hier, wie Recht ist!«

Sprachlos stand der Fürst, bittend hob die Fürstin die Hände zu ihm, flehend murmelte Prinzessin Ulrike: »Sei barmherzig, Bruder!«

Der Knieende erhob sich und trat hochaufgerichtet vor den Fürsten: »Ich halte mich an Euer Wort, Euer Liebden!«

»Tollkühner, wer bist du?« brachte der Fürst endlich hervor.

»Der Euch vor einem Jahre um die Hand Eurer Schwester gebeten und nun von Euch die bindende Zusage erhalten hat,« sagte der Prinz und verneigte sich mit frohem Lächeln.

344 »Sei barmherzig, Bruder!« flehte Prinzessin Ulrike und trat neben ihren Verlobten.

Aber der Fürst kniff die Lippen zusammen, trat einen Schritt zurück und sagte mit bissigem Lächeln: »Ja, wenn er mir über 'n Kopf springt!«

Hellauf lachte Prinz Kasimir; dann hob er die Arme und begann mit tiefer, verstellter Stimme wie gestern: »Hochselig entschlafen – hopsasa! Ihr Füchse und Luchse, ihr Schlangen und Molche – hopsasa! Hochbetrübte, tiefansehnliche Trauerversammlung –!«

»Du?!« brauste Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste auf.

»Eure Liebden,« sagte der Prinz vertraulich und kam nahe heran, »das bleibt wohl am besten zwischen uns zwei beiden. Ich schlage Euch vor, wir nehmen's dereinst mit uns in die beiderseitigen Gruben.« Und er legte feierlich den Finger auf die Lippen.

Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste war in gewissem Sinne doch ein bedeutender Herrscher: er fiel selten aus seiner angeborenen Würde. Darum reckte er sich auch jetzt und rief: »Liebe und Getreue, es bleibt uns noch übrig, männiglich zu verkünden, daß wir angesehen haben die Liebe und Treue, mit der unser hochgeborener Vetter, Fürst und edler Herr Kasimir um unsre Schwester, die auch hochgeborene Prinzessin Ulrike, in seltsamer Weise und Vermummung gedient hat etliche Monde, und bekennen, daß aus sonderbaren Ursachen der Schwur unsers Mundes geworden ist null und nichtig, welcher ihrer ehelichen Verbindung im Wege gestanden. Aber –« er unterbrach sich und blickte verlegen auf die Gugel des 345 Narren zu seinen Füßen – »es ist doch ärgerlich, daß Ihr Euch also vermummt und dienstbar gemacht habt an unsrer Hofstatt!«

»Vetter,« sagte der Prinz und reckte nun auch die schlanke, zierliche Gestalt, »Vetter, Ihr irrt – wer ist denn in Wahrheit dienstbar gewesen an Eurer fürstlichen Hofstatt in dieser letzten Zeit? Und« – Prinz Kasimir wandte sich und ließ die großen, blitzenden Augen suchend über die Menge der Hofleute gehen – »wer von allem Hofgesinde kann auftreten und behaupten, ich hätte nicht auch in der Narrengugel meinem Fürstenstande ziemlich gelebt?«

»Heil Seiner Fürstlichen Gnaden!« rief Junker Griffo. Und »Heil, Heil!« riefen die Herren im Saale.

»Seid mir gegrüßt, Frau Schwägerin, und vergebt auch Ihr den Mummenschanz!« wandte sich Prinz Kasimir zur Fürstin und küßte ihr die Hand.

Frau Johanna blickte ihn liebevoll an. Dann breitete sie die Arme aus und schloß ihre aufschluchzende Schwägerin hinein.

»Numero vier!« sagte der Prinz und winkte Florian Abendschein herzu. »In Euern Bergen, Euer Liebden, ist kein Gold verborgen; das ist nun offenbar. Doch wenn Ihr nach goldtreuen Herzen schürfen wolltet in Euern Landen, es könnte sich lohnen. Und einer von Euern Goldtreuen ist dieser!«

»Bitte dir eine Gnade aus!« befahl der Fürst.

»Daß ich meine Försterei kriege, Fürstliche Gnaden,« sagte der alte Soldat.

»Die hast du ja schon – eine Gnade!«

346 »Daß ich mein Försterhäusel beziehen darf!«

»Aber das versteht sich ja von selbst!« rief der Fürst ungeduldig. »Ich habe doch gedacht – hast du nicht – ich habe ja doch gehört – hat man dir denn nicht die Braut abspenstig gemacht?«

»So, Fürstliche Gnaden – so, so, das haben Fürstliche Gnaden also auch gewußt? Jawohl, Fürstliche Gnaden, das hat seine Richtigkeit, jawohl. Aber« – nun räusperte sich Florian Abendschein – »jawohl –«

»Nun also, ich will bei Gelegenheit ein Wort für dich einlegen,« sprach Herr Stanislaus mit Güte. »Alle sollen glücklich sein, alle, alle!«

»Unterthänigsten Dank, Fürstliche Gnaden! Ein gutes Wort einlegen? Glaub's wohl« – hier verzog der alte Soldat sein Gesicht – »glaub's wohl, das Weibsbild ließe jetzt reden mit sich, aber –«

»Was aber? Alle sollen glücklich sein!«

»Vordem, Fürstliche Gnaden, hat mich, kann's nit leugnen, gar sehr gelüstet nach dieser Suppen; aber inzwischen hab' ich näher hineingeguckt in den Topf und hab' was gefunden in der Brühe, Fürstliche Gnaden.« Er hielt inne.

»Gefunden – was?«

»Gefunden,« antwortete Florian Abendschein mit der Ruhe eines Weltweisen. »Es hat hier jeder das Seine gefunden, Fürstliche Gnaden, also auch ich. Eure Fürstliche Gnaden haben Ihr Recht gefunden, es hat seine Richtigkeit mit dem Wald. Der Herr Prinz hat sein Recht gefunden, es hat seine Richtigkeit mit dem Verspruch. Der Herr Hofjunker hat sein Recht 347 gefunden, es hat seine Richtigkeit mit der Frau Forstmeisterin. Der Herr Paggio hat sein Recht gefunden, es hat seine Richtigkeit mit dem Degen. Und die Herren Gauner haben ihr Recht gefunden, und es wird seine Richtigkeit haben mit Seilers Tochter. Ich aber hab' auch 'was gefunden, nit nur die andern, in meiner Brühe,« er strich den Bart, »und des will ich zeitlebens gedenken in meiner Försterei –«

»Und was ist's, das du gefunden hast?« forschte Herr Stanislaus der Zweiunddreißigste neugierig.

Florian Abendschein machte einen steifen Kratzfuß: »Ein langes Weiberhaar, Fürstliche Gnaden.«

 


 


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