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Vorwort.

Im Januar 1893 erging von dem Herausgeber des »Magazin für Litteratur« an mich die Aufforderung, »die Besprechung der wichtigeren Erscheinungen der modernen Bühnenlitteratur zu übernehmen.« Ich glaubte, an die Aufgabe nicht herantreten zu dürfen, ohne den Standpunkt, welchen ich in der litterarischen Bewegung einnahm, die in jenen Tagen höhere, zornigere Wogen schlug, als heute, zum andernmale klarzulegen, und versuchte es in dem folgenden Briefe Abgedruckt in Nr. 1 des »Magazin« vom 7. Januar 1893.:

– – – »Meine erste Regung war, Ihren mir so ehrenvollen Ruf mit gebührendem aufrichtigen Danke abzulehnen. Ich bin kein Journalist, bin es nie gewesen. Was mir etwa von schriftstellerischem Talent innewohnt, gravitiert nach einer anderen Seite, und ich habe diese Seite zu kultivieren gesucht, soweit eben meine Kräfte reichten. Bot sich gelegentlich eine unabweisbare Veranlassung, mich über eine Erscheinung auf dem Gebiete der Litteratur oder Kunst öffentlich kritisch auszu VIIIsprechen, bin ich nie ohne ein gewisses Zagen an die Aufgabe gegangen. Nicht, als ob ich darüber im Unklaren gewesen wäre, was ich zu sagen hätte; sondern, weil ich zweifelte, ob ich es würde sagen können, ohne zu weit auszuholen und den Leser, der nur über die betreffende Erscheinung orientiert sein will, durch theoretisch-ästhetische Exkurse zu ermüden. So sind denn auch fast sämtliche Aufsätze, wie ich sie in meinen »Vermischten Schriften«, in meinen »Beiträgen zur Theorie und Technik des Romans« &c. gesammelt habe, auf diesem Wege zu stande gekommen: ich wollte mir den oder jenen Roman, diese oder jene Novellensammlung, dies oder jenes Theaterstück, oder was es sonst sein mochte, kritisch klarmachen, und, ehe ich es mir versah, war ein Essay daraus geworden. Sie werden mir zugeben, bei einer so eigentümlichen Veranlagung taugt man nicht zum Journalisten; vielmehr: Sie gaben mir das in der Unterredung, welche wir über den Gegenstand pflogen, willig zu, und es würde dabei sein Bewenden gehabt haben, wären Sie jetzt nicht mit einer Lockung gekommen, der ich nur schwer widerstehen konnte.

Es handle sich, sagten Sie, bei meiner Mitarbeiterschaft nicht sowohl um eine regelrechte journalistische Thätigkeit, als um meine Hilfe in der Lösung einer Aufgabe, deren Inangriffnahme wenigstens, sollte auch die Lösung selbst problematisch sein, nach Ihrem Dafürhalten nicht länger hinausgeschoben werden dürfe. Diese Aufgabe sei, in den zwischen den Alten und den Jungen, den Idealisten und den Realisten und Naturalisten auf IX allen Gebieten der Kunst zur Zeit wütenden Streit, so Gott wolle, einige Klärung zu bringen, indem man versuchte, die Ansprüche und Forderungen, welche hüben und drüben mit so großer Heftigkeit erhoben werden, auf ihren Rechtstitel hin zu prüfen; herauszubringen, ob der hitzige Streit nicht manchmal seine Ursache in puren Mißverständnissen habe, oder gar um des Kaisers Bart geführt werde; oder ob in Fällen, wo es sich um nachweisbare Rechte handelt, die Rechtsinhaber immer den legitimen Gebrauch von ihren Befugnissen machten. Und diesen Versuch anzustellen mit dem Wohlwollen für beide Parteien, das doch niemals zur Schwäche wird, welche, indem sie keinem zu nahe treten möchte, keinen befriedigt.

Während Sie mir diesen Gedanken in Ihrer eindringlichen Weise klarlegten, glühte mir der Kopf. War es doch dieselbe Idee, die zu verwirklichen ich mir schon seit Jahren hatte angelegen sein lassen, zuletzt noch in meiner Autobiographie bei der Besprechung von Schillers Aufsatz: »Über naive und sentimentalische Dichtkunst«, wo ich so ziemlich alles zusammengestellt habe, was ich zur Sache zu sagen wußte. Und was das Wohlwollen betraf, – das Wohlwollen für beide Parteien, – dessen freilich der nicht entraten darf, der nicht noch Öl in das lodernde Feuer schütten will, – so meinte ich, daß ich in diesem Punkte so leicht niemandem nachstehen möchte; auch vor dem Undank, auf welchen sich erfahrungsmäßig gefaßt machen muß, wer zwischen heiß entbrannten Gegnern die Stelle des Mittlers ambitioniert, schreckte ich nicht zurück.

X Soweit war ich also ganz Ihr Mann.

Ich bin es vielleicht auch noch in einer anderen Beziehung, unter einem anderen Gesichtspunkte.

Nichts liegt mir ferner als die Anmaßung der Behauptung, ich habe in meinen dichterischen Produktionen die Versöhnung von Idealismus und Realismus, wenn nicht überall, so doch im ganzen und großen praktisch durchgeführt; wohl aber darf ich sagen, daß ich diese Versöhnung, wie theoretisch, so auch thatsächlich, immer aus allen Kräften angestrebt habe. Welche Rechte ich auch der Phantasie einräumte, ich bin mir stets bewußt gewesen, daß der Künstler nach dem Modell arbeiten, d. h. von der Wirklichkeit ausgehen, die Wirklichkeit vor Augen haben müsse; und wo er von ihr abweiche, es auf seine Gefahr thue, die dann auch nicht verfehlen werde, für ihn und sein Werk verhängnisvoll einzutreten. Aus dieser Überzeugung war ich immer der Meinung Fritz Reuters, daß man nur solche Geschichten gut erzählen könne, die man entweder selbst erlebt, oder doch von solchen gehört habe, die dabei gewesen sind. Und welche theoretischen und praktischen Konsequenzen ich denn sonst noch aus meinem Fundamentalsatze zog – Konsequenzen, die den Idealisten von der strikten Observanz gar sehr mißfielen und mir, besonders bei meinem ersten Auftreten, aber auch noch bis auf den heutigen Tag, die schlimmsten Vorwürfe von seiten dieser Herren eingetragen haben.

Ohne daß es mir freilich gelungen wäre, trotz meines heißen Bemühens, in der Dichtung der Wahrheit stets die gebührende Ehre zu geben, denen genugzuthun, XI die in der Dichtung Wahrheit um jeden Preis wollen, auch um den der Dichtung. Oder, um es weniger epigrammatisch auszudrücken: aus der Dichtung ausgemerzt sehen wollen, wofür sich nicht der Beweis – nicht der idealischen, sondern – der tatsächlichen, ungeschminkten, wahrhaftigen Wahrheit antreten lasse. Ich nehme an, daß ich in den Augen derer, welche auf diesem Standpunkte stehen, also: der Naturalisten von heute, genau so für einen Idealisten gelte, wie den Magistern der alten Schule für einen Realisten.

Eine Situation, die zweifellos etwas sehr Mißliches hat, die sich aber der gefallen lassen muß, der sich niemals dazu hat bringen können, auf eines Meisters Worte, er sei auch, wer er sei, zu schwören, und lieber unselig sein wollte, als nach anderer Leute Façon selig werden.

Und in dem Falle, um den es sich hier handelt, hat sie doch wohl ihr Gutes.

Denn nur so, indem ich, ohne mich durch ein Dogma von rechts oder links schrecken zu lassen, meinen eigenen Weg ging, glaube ich mir in ästhetischen Dingen eine mittlere Seelenstimmung erworben zu haben, die gleich fern von Zelotismus wie von Latitudinarismus sich hält; für das Treffliche, wo immer es sich findet, herzliche Anerkennung, oder, wenn erforderlich, aufrichtige Bewunderung hat und Goethes Faust und Sudermanns »Sodoms Ende« oder Gerhart Hauptmanns »Weber« in einem Atem nennen kann, ohne mit der Wimper vor dem Vorwurf zu zucken, sich einer Blasphemie schuldig gemacht zu haben.

Glauben Sie nun, verehrter Herr, aus diesen apho XIIristischen Bekenntnissen den Schluß ziehen zu dürfen, daß ich wirklich zur Lösung der schönen und großen Aufgabe, für die Sie meine Mitarbeiterschaft in Anspruch nehmen, auch nur ein weniges beitragen kann – an meinem guten Willen soll es nicht fehlen. Parteien wird es in der Republik der schönen Künste immer geben, wie in jedem andern Gemeinwesen. Es kann auch nicht ausbleiben, daß es auf dem Markte im Kampfe der Parteien manchmal stürmisch hergeht. Das ist kein Unglück, im Gegenteil. »Denn«, sage ich in einem meiner Gedichte: ›Plain air‹ überschrieben:

»– jezuweilen ist er gut, der Sturm,
Fegt aus der Lust die bösen, giftgen Schwaden;
Und kracht darob zusamm' ein morscher Turm,
Drin Eulen horsten, kann es auch nicht schaden«.

Aber der Sturm darf sich nicht in Permanenz erklären, soll die Republik darunter nicht Schaden leiden.

Und er hat jetzt lange genug gewütet, daß man wohl wünschen darf, er möchte endlich einmal aufhören. Nicht um der Windstille zu weichen! Dafür ist gesorgt: solange es noch Capulets und Montechis giebt, steht nicht zu fürchten, daß der ewige Friede auf den Markt von Verona seinen Einzug halten wird. Nur soll nicht einer dem andern um jeder Bagatelle willen »einen Esel bohren«; nur sollen sich die Streitsüchtigen darauf besinnen, daß sie Bürger der einen gemeinsamen Vaterstadt sind und es höhere Güter zu verfechten giebt, als kleinliche und ach, wie so oft in kläglicher Weise mißverstandene Koterie-Interessen. – – –«

XIII Nun beschränken sich freilich diejenigen Aufsätze der »Neuen Beiträge«, welche ich daraufhin für das »Magazin« schrieb, auf die Nummern XI-XVII, zu denen sich – bei einer späteren Veranlassung und auf einem anderen Felde – noch Nr. IV gesellte; aber mein Vorwort für sie gilt buchstäblich auch für die übrigen, wovon sich der Leser überzeugen wird, ohne daß ich es des näheren darzulegen brauchte.

Nicht zum wenigsten für die Goethe-Rede, deren Abdruck hier mir durch das freundliche Entgegenkommen des Vorstandes der Gesellschaft ermöglicht wurde. Es lag mir daran, gerade diesen »Versuch« jenem größeren Kreise vorzulegen, an den ich – der ich kein Gelehrter bin, es zu sein, nie den mindesten Anspruch gemacht habe, – bei der Abfassung der Rede naturgemäß lebhafter dachte, als an das Parterre von Goethe-Forschern, vor dem ich sie dann hielt. Wie Kirschen schmecken, soll man ja Kinder und Sperlinge fragen; die Arbeit eines Laien findet wohl im Laienpublikum eine unbefangenere Beurteilung. Es wird schwerlich der Vorwurf »der sichtbaren Animosität gegen das Drama«, der mir nicht erspart blieb, für jemand haben, der der modernen dramatischen Produktion eine so eingehende Aufmerksamkeit zuwendet, und bei dem alles, was sie uns Gutes und Schönes gebracht, eine so freudige Anerkennung findet.

Und da ich nun schon einmal kein Gelehrter bin, habe ich mir auch die Freiheit genommen, in Nr. VIII, wo ich erzähle, »wie ich zu dem Helden von Sturmflut kam« – der Aufsatz war seiner Zeit auf Wunsch der XIV Redaktion für die »Gartenlaube« geschrieben – die novellistische Form unverändert zu lassen.

Es ist vielleicht ein deutsches Vorurteil: man dürfe ernste Dinge nicht in ein Gewand kleiden, das, wenn es nicht gefällig ist, doch so zu sein sich bestrebt.

In der Pfingstwoche 1897.
Friedrich Spielhagen.

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