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N atürlich gab das so glücklich bestandene Abenteuer noch viel zu sprechen. Rüchel wurde nicht müde, die Bestürzung und den Schrecken der Soldaten zu schildern, als sie sich plötzlich in der Gewalt ihrer Gefangenen sahen. Dazwischen kam er immer wieder auf die Reize des hübschen Mädchens zu reden, von dem er behauptete, daß es nur deshalb so schnippisch gegen ihn gewesen sei, weil er einen so tiefen Eindruck auf dasselbe gemacht habe; worauf er dann an diesen besonderen Fall eine Theorie der Liebe im Allgemeinen knüpfte, welche vor vielen andern der Art den unzweifelhaften Vorzug hatte, ausnehmend praktisch zu sein. Den Feldzug, der ihnen bevorstand, sah er in dem Lichte einer köstlichen Vergnügungstour. Die Regulären würden sie wie die Lämmer vor sich hertreiben; von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt als Sieger ziehen; wenn der Feldzug beendet sei, wolle er nach dem Orte seiner letzten Heldenthat zurückkehren, das braune Mädel heirathen, und den Rest seiner Tage in Mitten dieser grünenden Hügel, die den herrlichen Wein spendeten, als jovialer Wirth »Zur gelben Traube« friedlich verleben.
So schwatzte und lachte der lustige Gesell; aber auch Wolfgang war kaum weniger fröhlich gestimmt. Im Vollgefühl der Jugend und der durch Strapazen aller Art erprobten Kraft, so eben zum andern Male einer drohenden Gefahr glücklich entronnen, nun auch im Besitz von Waffen, die sie sich durch Muth und Schlauheit hatten erobern müssen, von einem großen Gedanken, dessen Verwirklichung ihm jetzt weniger als je unmöglich schien, gehoben, trank er mit vollen Zügen die goldene Freiheit, die er sich selbst erstritten, und die doch nur ein Tropfen war des unendlichen Freiheitsmeeres, das der Kampf, in den er zog, dem ganzen harrenden Volke erschließen würde. Von den Zinnen jener Burg, deren zertrümmertes Mauerwerk von dem umbuschten Hügel über die Saatfelder zu ihnen herüberblickte, hatte schon vor Jahrhunderten ein begeistertes Auge in eine Zukunft geblickt, die jetzt Gegenwart geworden war. Was damals in den Köpfen einiger weniger vorzüglicher Menschen lebte, war jetzt Gemeingut einer ganzen Nation geworden, nein! nicht der ganzen, aber doch des besseren Theiles der Nation, und ist es denn nicht ein ewiges Gesetz, daß das Bessere zuletzt über das Schlechtere siegt? Hatte die allmächtige Zeit im Bunde mit der allmächtigen Idee jene stolzen Zwingburgen frecher Gewalt nicht in traurige Ruinen verwandelt? lebte nicht jetzt auf diesem selben Boden, durch den einst stumme, scheue Sclaven in zitternder Furcht vor ihren hochgeborenen Tyrannen den Pflug mit ihren eigenen Schultern zogen, ein muthiges Geschlecht, das, wie der Ruf der Freiheit durch die Gaue schallte, die Büchse von der Wand nahm, um voll fröhlichen Vertrauens auf ihr gutes Recht, den letzten, den Entscheidungskampf zu wagen?
Er wandte sich nach Balthasar um, und hätte fast über den Anblick dieses neuen Freiheitskämpfers laut aufgelacht. Es war aber auch ein wunderliches Bild, das der gute Mann in diesem Augenblick gewährte. Rüchel hatte ihm einen der erbeuteten Säbel umgeschnallt, dessen Gurt für den hageren Leib viel zu weit war und in Folge dessen von den schweren Patronentaschen so weit auf die Hüften herabgezogen wurde, daß der kurze Säbel wie ein mächtiges Schlachtschwert auf der Erde schleifte. Die Büchse trug er mit dem Kolben nach hinten auf der Schulter; dazu der abgeschabte, einst schwarz gewesene Frack mit den langen Schößen – sein treuer Begleiter während der letzten zwanzig Jahre – und die verblichenen Nankinghosen, welche, sonst von peinlicher Sauberkeit, jetzt die deutlichen Spuren so vieler unter dem freien Himmel oder in Scheunen und bei Kohlenmeilern zugebrachten Nächte aufwiesen – so schlenderte er dahin, in diesem Augenblick offenbar mit seinen Gedanken viel zu beschäftigt, um auf irgend Etwas in der Welt achten zu können.
»Wie geht's, Balthasar?« fragte Wolfgang.
Balthasar wachte aus seinen Träumen auf und lächelte freundlich, wie er es immer that, wenn Wolfgang ihn anredete.
»Danke schön,« sagte er; »recht gut; die ungewohnte Last drückt etwas.«
»Sie sollen bald davon erlöst sein; es wird sich schon ein Anderer finden, der Ihnen Ihre Beute mit Freuden abnimmt.«
»Offengestanden, lieber Herr, es soll mir das nicht unlieb sein; ich komme mir, wenn ich es recht bedenke, doch etwas wunderlich in dieser Löwenhaut vor.«
»Nur noch ein paar Minuten Geduld; ich glaube, daß wir schon auf die Vorposten unsrer Freunde stoßen.«
In der That zeigten sich in diesem Augenblick etwa ein halbes Dutzend Leute, von denen zwei oder drei mit Flinten bewaffnet waren, hinter einem Trümmerstück, das zu der äußersten Umfassungsmauer der Burg gehört haben mochte. Da die Flintenläufe eine drohende Richtung bekamen, als die Wanderer sich auf etwa zweihundert Schritt genähert hatten, so rief Wolfgang den Leuten zu, daß sie »gut Freund« seien. Trotzdem für diese Versicherung alle Umstände sprachen, fand dieselbe so wenig Glauben, daß die Flintenläufe sich sofort entluden (glücklicherweise, ohne den Ankömmlingen Schaden zu thun), worauf die Schützen blitzschnell hinter ihrer Deckung verschwanden.
Ein so unerwarteter Empfang setzte Wolfgang und seine Gefährten natürlich in nicht geringe Verwunderung; indessen behielten sie Geistesgegenwart genug, einzusehen, daß es das Geratenste sei, den übervorsichtigen Freischärlern keine Zeit zu lassen, abermals auf ihre Freunde zu schießen. So liefen sie denn, wiederholt rufend, daß sie »gut Freund« seien, auf das Mauerstück los, und waren so glücklich, bei demselben anzukommen, bevor Jene mit dem mühseligen Geschäft des Ladens noch zur Hälfte fertig waren.
»Zum Teufel, Ihr Herren, warum schießt Ihr denn auf uns? seht Ihr denn nicht, daß wir Freunde sind,« rief Rüchel.
»I, das könnte Jeder sagen!« erwiderte einer der Burschen, der eine zerknitterte Hahnenfeder auf seinem zerknitterten Strohhut trug und vermuthlich der Commandant des Postens war.
»Nun, wenn wir es nicht wären, so sollte es Euch jetzt schlecht genug ergehen,« sagte Rüchel, an seine Miniébüchse schlagend.
»Führe uns Einer von Ihnen ohne Umstände zu Ihren Hauptmann,« sagte Wolfgang, der bemerkt hatte, daß es in dem Hofe des Schlosses, seit die Schüsse gefallen, sehr laut geworden war, »das wird allen weiteren Mißverständnissen vorbeugen. Sie haben, so viel ich sehen kann, auf diesem Posten doch weiter nichts zu thun.«
»Ja, da hat der Herr Recht,« meinte ein anderer Bursche; »wir haben hier nichts zu thun; wir wollen Alle mitgehen.«
Die ganze Gesellschaft brach demzufolge auf. Je näher sie den Burgruinen kamen, desto größer wurde der Lärm, den Wolfgang schon von weitem gehört hatte, und als sie durch das wohlerhaltene Thor, das sie übrigens unbewacht fanden, auf den von malerischen Trümmern umgebenen Hof kamen, bot sich ihnen das wunderlichste Schauspiel dar.
Ungefähr ein halbes Dutzend kleiner Bauerwagen, von denen erst einige bespannt waren, wurden zu gleicher Zeit von einigen funfzig bis sechzig Menschen erklettert. Da etwa nur die Hälfte Platz finden konnte, oder vielmehr schon Platz gefunden hatte, während die andere Hälfte noch auf den Rädern und Deichseln stand, oder auf den Leitern balancirte, jene die einmal eroberten Strohsäcke nicht wieder räumen, diese zu Fuß nebenher zu laufen durchaus nicht gewillt waren, so schrieen Alle wie toll durcheinander, und hier und da war es schon zu Thätlichkeiten gekommen. Besonders arg war der Lärm um einen der Wagen, der, wie es schien, soeben hatte abfahren wollen und von den Andern aufgehalten worden war. Es saß nur ein Mann darauf, dessen rothes, aufgedunsenes Gesicht vor Angst ganz verzerrt war, und den die breite dreifarbige Schärpe, die er um den Leib trug, und der rothe Federbusch auf dem Calabreser als den Anführer bezeichnete. Auf ihn schien sich der Zorn der Andern besonders zu richten.
»Da fährt das Weinfaß hin!« rief Einer.
»So'n Hauptmann möchte ich auch wohl sein!« schrie ein Anderer.
»Davonfahren, während wir Andern uns die Seele aus dem Leibe laufen müssen,« ein Dritter.
Der mit dem rothen Federbusch wandte die verschwommenen gläsernen Augen von dem Einen zum Andern, ohne ein Wort der Rechtfertigung oder Entgegnung finden zu können. In seiner hülflosen Verlegenheit kamen ihm Wolfgang und seine Gefährten, die eben mit ihrer Eskorte auf den Schloßhof traten, gerade recht. Hier war eine günstige Gelegenheit, die unbequeme Aufmerksamkeit seiner Leute von sich abzulenken und nebenbei vielleicht das verlorene Ansehen wieder zu gewinnen.
»Bringt sie her!« rief er, sich in dem Wagen aufrichtend; »hierher! – Wer sind Sie? was wollen Sie? Wie können Sie sich unterstehen, auf meine Leute zu schießen?«
»Wie können Sie sich unterstehen, in diesem Tone mit Männern zu sprechen, die als Freunde zu Ihnen kommen?« entgegnete Wolfgang, der mit einem Blick die tragi-komische Situation durchschaut hatte.
»Ich werde Ihnen Höflichkeit lehren,« schrie der mit dem Federbusch.
»Jemand, der so offenbar wie Sie die Achtung seiner eigenen Leute verscherzt hat, kann keinen Anspruch auf die Achtung Fremder machen,« sagte Wolfgang, und wandte dem jämmerlichen Menschen den Rücken.
Ein untersetzter Mann in grünem Jagdrock, der die Waidbüchse an einem Riemen über die Schulter trug, trat an Wolfgang heran und sagte:
»Ist ganz recht, daß Sie den elenden Kerl ordentlich abtrumpfen.«
»Aber was geht hier vor?« fragte Wolfgang.
»Die Leute haben den Mann da, der nebenbei ein Weinreisender aus der Umgegend ist und sich Wöbler nennt, zu ihrem Anführer gemacht, oder er hat sich vielmehr selbst dazu gemacht; taugt aber dazu, wie mein Nero hier zum Seiltanzen. Jetzt hat er, unter dem Vorwande, die Rückzugsordre, die wir bekommen haben, so schnell als möglich auszuführen, Wagen requirirt; ich glaube aber, er will sich nur selbst so schnell als möglich in Sicherheit bringen.«
»So lassen Sie ihn laufen,« sagte Wolfgang.
»Meinetwegen,« erwiderte der Grünrock; »wenn wir nur erst einen Andern an seiner Stelle hätten. Ich habe kein Geschick dazu; aber Sie könnten es wohl; Sie thun der guten Sache einen Dienst, denn, wenn dies so fortgeht, sind heut Abend von dem ganzen Corps nicht mehr zehn Mann bei einander, und es sind ganz wackre Bursche darunter, wenn sie nur ordentlich geführt würden.«
Wolfgang's Entschluß war schnell gefaßt. Er bat den Förster – als solchen bezeichnete sich der Grünrock – mit ihm zu denjenigen Männern, die er für die Verständigsten halte, zu treten, und mit ihm zu versuchen, ob sie nicht eine kleine verläßliche Schaar zusammenbringen könnten. Der Förster war es gern bereit. So gingen sie denn von Wagen zu Wagen, und es dauerte nicht lauge, so hatten sie die Ordnung so ziemlich wieder hergestellt. Rüchel war unterdessen auch nicht unthätig gewesen. Er hatte schon überall Bekanntschaften, oder, was bei ihm dasselbe war, Freundschaften geschlossen; vor Allem aber die Leute auf Wolfgang aufmerksam gemacht, von dem er in geheimnißvollem Ton erzählte, daß es ein gar vornehmer Herr sei, der sich auf die Seite des Volkes geschlagen habe, und der mehr militairisches Genie besäße, als ein ganzer Generalstab der Regulären zusammengenommen. Noch vor kaum einer Stunde habe er einen Vorposten der Regulären über die Klinge springen lassen.
Da Wolfgang's Auftreten und die erbeuteten Waffen Rüchels Angaben zu bewahrheiten schienen, fand der Vorschlag, welchen der Förster von einem großen Stein herab mit lauter Stimme machte, »Wolfgang bis auf Weiteres zu ihrem Anführer zu erwählen,« fast einstimmigen Beifall. Wolfgang erkletterte nun ebenfalls den Stein, und hielt eine kurze Rede, in welcher er den Leuten für ihr Zutrauen dankte, und sie aufforderte ihrem Entschlusse nun auch treu zu bleiben, da er sonst sein Commando sofort wieder niederlegen müsse. Er ließ darauf die Leute in drei Reihen antreten, in der ersten die mit Gewehren Bewaffneten, in der zweiten die Sensen- und Säbelträger, in der dritten Diejenigen, welche sich noch keiner Waffen irgend einer Art erfreuten. Dann theilte er die ganze Schaar in drei Haufen, von denen zwei kleinere, deren Anführung er dem Förster und Rüchel übergab, die Vorhut und Nachhut bilden sollten, während er selbst den größeren befehligen wollte. Von den Wagen würde er nur einen zur Fortschaffung der Sachen und der Munition mitnehmen; die übrigen stelle er Denjenigen zur Verfügung, die es vorzögen, nach Hause zu fahren, anstatt gegen den Feind zu marschiren.
Die Leute, welche fast ohne Ausnahme der beste Wille beseelte, merkten kaum, daß sie einen wirklichen Anführer hatten, als sie wie umgewandelt waren. Sie brachten Wolfgang ein Hurrah und folgten seinen Anordnungen auf das Bereitwilligste. Der ganze Trupp setzte sich nun in Bewegung: voran der des Landes kundige Förster mit sechs flinken und anstelligen Burschen, dann Wolfgang mit dem Gros; zuletzt Rüchel mit seiner Schaar. Balthasar, der Büchse, Säbel und Patronentasche bereitwillig einem hübschen jungen Menschen, der von dem Förster als ganz besonders zuverlässig geschildert worden war, abgetreten hatte, ging an Wolfgang's Seite. Der Weinreisende, Herr Wöbler, hatte sich schon vorher in einem unbeobachteten Augenblick, mit Zurücklassung seiner tricoloren Schärpe, die man zwischen einigen großen Steinen liegend fand, aus dem Staube gemacht.