Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Vierunddreißigstes Capitel.

Das abgelegenste und verschlossenste Plätzchen, viele Meilen in der Runde, war in dem Forste um das Ritterhaus Dürningen die Stelle, auf welcher die Forsthütte erbaut war. Das Gebäude, fest und stark aus Baumstämmen zusammengefügt, war auf einer Grasfläche errichtet, rings umgeben von einem schwarzgrünen dichten Waldsaum, welcher, durch angepflanzte Hecken zu einer undurchdringlichen Wand gemacht, nur einen einzigen Eingang auf die Hütte zuließ. Dieser Zugang war nicht leicht zu finden unter den vielen Schlangenwegen, die durch den Wald liefen, und der Fremde, um zur Hütte zu gelangen – mußte es entweder dem günstigen Zufalle verdanken, oder etwa dem Schalle der Glocke folgen, die zur Mittagszeit vor der Hütte geläutet wurde, um das im Forste gehegte Wild zum Futter zu rufen. Der Pfleger dieser Waldthiere, die in ungemeiner Anzahl gehalten wurden, weil die Frau von Dürningen weder an der Jagd Freude hatte, noch täglich einen Wildbraten für ihren Tisch verlangte, wohnte nun in dem aus Baumstämmen erbauten Hause, warf dem Wildvolke sein Futter vor, wählte die zur Küche bestimmten Stücke aus und wachte über die Sicherheit der Waldung, die früherhin häufig von unbefugten Schützen und Holzfrevlern beunruhigt worden war. Der Herr von Dürningen selbst war von einem solchen Wilddiebe mit einem Bolzen durch die Brust geschossen worden, wie er gerade vor der Thüre der Hütte stand und seine Rehe überzählte, er war auch alsobald auf diesem Platze gestorben und seine Wittib hatte sich nicht entschließen können, jemals wieder die Stelle zu sehen, auf welcher das Blut ihres lieben Eheherrn geflossen war.

Desto öfter schlich sich dagegen Regina, der Freiin Tochter und einziges Kind, auf die bunte Wiesenfläche, setzte sich nieder auf den Buchenstumpf, neben welchem ihr Vater verschieden, gedachte in fröhlich wehmüthiger Erinnerung seiner, ob sie gleich bei seinem Tode nur ein ganz junges Mägdlein gewesen und es däuchte ihr, es könnten nirgends die Blumen des Feldes schöner blühen, als gerade auf dem Hügel um den Buchenstrunk. Es traf sich oft, daß sie mit dem frühesten Morgen schon sich auf der bethauten Stätte einfand, um die perlgefüllten Waidglocken zu pflücken und mit Butterblumen in einen Kranz gewunden, an den Resten des Buchenbaumes aufzuhängen, weil sie denselben höher wie die Grabstätte des Vaters selbst hielt. Es war nicht minder nichts Ungewöhnliches, sie am Abend wiederkehren zu sehen, um Kräuter zu pflücken zu kräftigen Suppen für die kränkelnde Mutter. Zu dieser Zeit war sie auch immer die fröhliche, unbefangen aufblühende Dirne im schönsten Lebensalter und nicht beschlich sie die Trauer, wie wohl am Morgen geschah. Sie scherzte mit dem zahmen Hirschlein, das auf der Forsthütte gehalten wurde, spielte mit dem braun- und weißgefleckten Hunden des Waldwärters oder plauderte kindisch mit dem Staarvogel des Hauses, welcher die Jägerrufe: Hussa! Sa sa! Hoho! gelernt hatte und ausschrie in den hallenden Wald, oder sie hörte dem alten Forstwart selbst aufmerksam zu, wenn er von seinen Lebensabenteuern anhob, bis das Rosenlicht der Sonne an den Tannenwipfeln verglühte. Dann eilte sie, schnellfüßig wie die Rehe, die hie und da über ihren Pfad schwirrten – so daß kaum der Wärter, ihr gewöhnlicher Begleiter zu Abend, ihr zu folgen vermochte, nach dem Edelhof zurück. Die Mutter dachte nicht daran, der Tochter diese harmlose Lust zu verbieten, weil sie gefahrlos war.

Der Wald war nämlich, seit der alte Ammon auf der Forsthütte hauste, so sicher geworden, als er vordem unsicher gewesen, und die losesten Gesellen und Gaunervögel scheuten sich, in die Nähe von Ammon's Wohnung zu kommen. Der Forstwart stand nämlich in dem Rufe, einen Bund mit dem Bösen gemacht zu haben, ein Glaube, der im Bauernvolke nicht auszurotten war.

Der Alte, obgleich geboren auf dem Hofe der Dürninger, kam den Nachbarleuten dennoch vor wie ein Fremdling. Er war als ein trefflicher Falken- und Sperberlehrer, mit Befugnis seines Leib- und Zwingherrn, in die Fremde gegangen, um seine Wissenschaft zu erweitern, ein Stück Geld zu verdienen und nach Verlauf der ihm erlaubten drei Jahre zurückzukehren. Er kehrte aber nicht wieder, denn Neubegier und Leichtsinn hatten ihn über das pyrenäische Gebirge nach dem Lande Hispanien geführt, woselbst er in die Gewalt der ungläubigen Mauren gerieth, jedoch bald aus einem geplagten Knechte der Liebling des Königs, seines Herrn, wurde, seiner Geschmeidigkeit und kecken Natur halber. Von diesem Könige, im Verlauf mancher Jahre, nach Afrika gesendet, um ein Gespann von Leuen zu erhandeln und nach Spanien zu bringen, als eine Zierde der königlichen Gärten, kam's ihm plötzlich ein, daß es doch besser sei, umherzuschweifen wie der freie Löwe, statt wieder in den goldnen Käfig zu kriechen. Ohne sich zu besinnen, suchte er den Weg zum gelobten Lande, wo der Herr gewandert ist in Menschengestalt. Ein widriges Geschick verfolgte ihn in Palästina und nackt wie ein Bettler schiffte er über's Meer, zurückdenkend an die Heimat. Stürme verschlugen das Fahrzeug an die Küsten des griechischen Kaiserthums und ein Seeräuber von dem tapfern muhammedanischen Volke, das schon beinahe ganz Griechenland unterjocht hatte, fing es auf mit Mann und Maus. Wieder manches Jahr verlebte Ammon unter den Zelten der Saracenen und begehrte, an dem wilden Leben Freude findend, schier nimmer von ihnen weg, als nach einer schweren Krankheit plötzlich ihn das Heimweh überfiel. Da trieb es ihn fort auf nackten Sohlen, durch die Wildnisse und Moräste der Bulgarei, ohne Säumen, ohne Ruhe, bis er die Länder erreicht hatte, wo man weder den Propheten anruft, noch auf griechische Weise das Kreuz macht.

So kam er endlich an in der Gegend, wo er geboren worden, ein fremder, unbekannter Mensch, mit ungewohnten Sitten, ausländischen Gebräuchen und in der heidnischen wilden Sprache besser erfahren denn in der vaterländischen. Als ein schmucker Bursche war er von dannen gezogen und als wilder rauher Greis kam er heim, mit der Röthe eines heißen Himmelstrichs auf den benarbten Wangen und mit geschornem Kopfe, aus welchem nur sparsam die Stoppelspitzen des weißen starren Haars wieder heraufkeimten. Der Herr von Dürningen hatte Erbarmen mit dem alten Landstreicher und setzte ihn in den Wald als Forst- und Wildhüter. Er hatte just den Diener in sein Haus geführt und ihm die Zahl der Rehe angegeben, als sein Stündlein schlug. Ammon schwur dem unbekannten Thäter und seinem Gelichter unversöhnliche Rache und hielt sein Wort. Mit der gräßlichsten Strenge ging er zu Werke, die Holzdiebe peitschte er zum Sterben, die auf's Wild lauernden Räuber ereilte er wie der Tod und ehe sie sich's versahen, saß ihnen auch schon der Tod im Herzen, den der wilde Ammon aus einer tragbaren Donnerbüchse, die er selbst verfertigte, schleuderte, ohne nur einmal seines Ziels zu verfehlen. Diese Sicherheit im Schuß und der Umstand, daß ihn nimmer ein Bolzen getroffen, von denen, die man oft aus Busch und Dickicht meuchlings gegen ihn versandte, schreckte die Bösewichter schon, die auf übernatürliche Künste zu schließen gern bereit sind. Bald theilte das ganze Landvolk, um und um, diese Meinung. Ammon ging nie zur Kirche und zeigte sich immer so finster und verschlossen, daß jedermann schwur, er stehe mit dem Gottseibeiuns im Pakt. – Dieser Glaube schien nicht ohne Grund zu sein, da Ammon häufig bei Nachtzeit in Wald und Moor herumlief, Ottern suchte und ihr Fett zu gewissen Salben bereitete und seine Hütte offen stehen ließ, ohne Furcht. Einige Wagehälse hatten zwar einmal den Augenblick benützen wollen, da der Alte nicht zu Hause war, um dasselbe zu berauben, oder in Asche zu legen, allein sie fanden in einer ungeheuren Wolfsfalle auf spitzigen Pfählen den Tod und Ammon hing ihre Leiber zur Warnung für Andere an den Fichten auf, neben welchen der Eingang in den Wald führte. Nun floh ihn und seinen Aufenthalt, was in der Umgegend lebte, Regina ausgenommen, die das Geheimnis gefunden hatte, sich die gutmüthige Theilnahme des verwilderten Greises zu gewinnen, indem sie seinen Erzählungen ihr aufmerksames Ohr nicht entzog und ihn auf jede Weise in Schutz nahm, wenn nachbarliche Zeugen die fromme Mutter vor dem alten Knechte warnten.

Nach wie vor fand das Fräulein seines Tages Freude auf dem stillen Waldplatze und war eines Morgens, wie gewöhnlich, beschäftigt, einen Kranz von Wiesenblumen zu flechten, als der Schall mehrerer menschlichen Stimmen unter den Baumgewölben vernehmbar wurde – Stimmen, die sie anriefen und Verirrten zu gehören schienen. – »Ammon,« sagte Regina zu dem Alten, der unweit von ihr ein Jägernetz ausbesserte, »geh' doch hin und weise die Leute zurecht.« – »Ei, was!« brummte der Forstwart, »haben sie sich hereingefunden, mögen sie auch sehen, wie sie wieder hinauskommen. Führt sie der Weg hierher, dann will ich ihnen schon den Weg weisen.«

Diese letzten Worte begleitete er mit einer sehr nachdrücklichen Geberde, die auf keinen guten Empfang der ungeladenen Gäste schließen ließ. – Regina verbot ihm ernsthaft jede Gewaltthat, insofern die Verirrten hierher gerathen und nach dem Wege fragen sollten. Sie hatte kaum ausgeredet, als sich schon am Eingange des Platzes ein Mann zeigte, welchem ein Frauenbild folgte und ein anderer Mann, der einige Gäule nach sich durch den Wald zog. Ach! wie ging in Reginens Seele die Erinnerung an den letzten Osterabend auf, den sie in Frankfurt zugebracht. Denn der junge Mann, der so bescheiden sich nahte, um nach der rechten Straße zu fragen, war – sie wußte es ganz gewiß – der anmuthige Junker, der sie damals mit seinen Scherzen unterhalten, der sie eine Königin genannt und der erste Mann gewesen, der wohlthuend ihren Reizen vor aller Augen Gerechtigkeit hatte widerfahren lassen. Der ernsthafte Ausgang jenes fröhlich begonnenen Ostermahls hatte ihre jugendliche Brust mit Bewunderung für den kühnen Jüngling erfüllt, der die unverletzlichen Menschenrechte muthig vertheidigte gegen den schnöden Vorwurf – und dann und wann war des Jünglings Bild noch wiedergekehrt vor ihre Seele und hatte immer den Wunsch im Gefolge gehabt, ihn bald wieder zu sehen.

Plötzlich nun war dieser Wunsch erfüllt worden und Regina, davon überrascht, zögerte nicht – ein harmloses Kind der Natur – dem Ankömmling entgegen zu eilen, ihn zu begrüßen und ihm das Anerbieten zu machen, ihn zu ihrer Mutter zu führen, die erfreut sein würde, ihn zu sehen. Dagobert, wohlthätig überrascht von diesem Empfang, den er in diesen Wäldern nicht erwartet hatte, warf einen forschenden Blick um sich her und sprach zu Reginen: »Mein gutes Fräulein! Es ist, als ob mich Gott hierher geführt hätte, in diesen traulichstillen Wald und in Eure Nähe. Ihr befehlt als Herrin hier und so Ihr wolltet, könntet Ihr mir größere Huld verleihen, als ich Euch je vergelten könnte. Wir sind seit Mitternacht geritten auf's Geradewohl in die Welt hinein, verfolgt von Ungewitter und gefährlichen Menschen, die es auf dieser Jungfrau Leben abgesehen hatten. Die Unglückliche hat jedoch kein Obdach für die erste Zeit und heilige Pflichten rufen mich auf mehrere Tage von ihrer Seite. Wäret Ihr wohl geneigt, meine liebliche Königin, in deren duftigen Wald und Blumenreiche wir angekommen sind, eine kurze Zeit hindurch dies edle, sonder Verschulden in's Elend gerathene Mädchen in diesem stillen Hause verborgen zu halten vor Jedermann – die Mutter selbst nicht ausgenommen – weil die Jungfrau hier noch keine Christin ist, sondern sich erst vorbereiten will, zum heiligen Bunde zu treten? Eine kurze Frist nur – dann sorge ich ferner für Esther's Geschick . . . den alten Mann dort, wenn er ihr verschwiegener Hüter sein wollte, würde ich lohnen, wie ein Fürst nur kann, und Euch ewig dankbar sein, mein Fräulein.«

Es wallte in Reginens Brust die Begierde auf, dem bewunderten jungen Mann einen Dienst zu leisten. Ihr Auge verweilte indessen forschend auf Esther's Angesichte und je reizender ihr dieses vorkam, je deutlicher wurde ihr ein geheimer Widerwille, der ihr widerrathen wollte, sich der allzu schönen Fremden anzunehmen. Ihre Haltung wurde dadurch gemessener und ihr Blick wandte sich halb verlegen gegen Ammon, in dessen Gesichte sie jedoch zu ihrer Verwunderung eine wohlgefällige, seltene Heiterkeit wahrnahm. – »Sprecht doch mein Urtheil,« sagte hierauf Dagobert schmeichelnd und führte Esther dem Fräulein entgegen. »Seht, holdes Fräulein, dieses seltene Geschöpf und gesteht, daß selbst unter dieser niedern Hülle eine Blüthe verborgen ist, die mit den schönsten Eures stillen Reichs den Wettstreit beginnen kann . . . Eure Majestät, wie sich's gebührt, ausgenommen.« – Das Fräulein mußte über diese scherzhafte Schmeichelei lächeln und schon ließ ihre angeborne Fröhlichkeit die Larve der gezwungenen Bedenklichkeit sinken.

Esther, die es deutlicher fühlte, was in dem Busen Reginens vorging, senkte erwartungsvoll die schöne Wimper über das schönere Auge – Regina, nachgebend und dennoch widerstrebend ließ sich in abgebrochenen Worten vernehmen, es falle ihr schwer, vor ihrer lieben Mutter ein Geheimnis zu haben, ob sie gleich im selben Augenblicke zugab, es sei nichts leichteres, als das Geheimnis zu bewahren, weil die Frau von Dürning nimmer diesen Platz besuche. Aber ihre Bedenklichkeiten beschränkten sich endlich darauf, daß sie nicht wisse, ob es nicht eine Sünde sei, eine Jüdin heimlich zu hegen und ob Ammon sich bewegen lassen würde, die Ungläubige in seinem Hause aufzunehmen. Dagobert bekämpfte den ersten Theil dieses Vorwandes mit der Betheuerung, Esther verlange nichts Sehnlicheres, als eine Christin zu werden und Ammon stellte seinerseits Reginen völlig sicher. »Mir ist gleich,« sprach er, »ob's ein Türke, ein Heide oder ein Jude ist, der unter meinem Dache haust, so Ihr's befehlt, mein Fräulein. Gott ist überall. Sagt, ob Ihr wollt, Fräulein, und mehr bedarf es nicht.« – Und da Regina einen Blick auf die schöne Fremde warf und Esther ihre Augen aufschloß und mit der schmelzend weichen Stimme, der nichts widerstehen konnte, die Worte sprach: »Verstoßt mich nicht, gute, edle Jungfrau, und vergelten wird's Euch der hochgepriesene Gott und meines Vaters Segen, und meines edlen Freundes Dankbarkeit!« – da hätte Regina nicht das gefühlvolle, reine Mädchen sein müssen, um nicht einzuwilligen von Herzen.

So wohnte denn nun, von jenem Augenblicke an, Esther in der Hütte des Forsts zu Dürningen und der alte Ammon sorgte für ihre Bedürfnisse so gut, als er es vermochte, denn er war geschmeidig geworden durch die Erinnerung, diesen Zauber, der den Menschen durch das Leben geleitet und im Greise stärker wirkt als im Jüngling selbst, weil sein Dasein nur in der Vergangenheit liegt. Auch der wilde Falkenjäger hatte einst geliebt, da seine Jugend noch in der schönsten Blüthe stand, und diese Liebe war ein maurisches Mädchen gewesen, ähnlich den Zügen Esther's. Seit vierzig Jahren war diese Dirne aus dem Leben geschieden, von jäher Krankheit dahingerafft, in einer Zeit, wo Ammon seiner Väter Glauben willig hingeworfen hätte, um das schöne Kleinod sein zu nennen. Seit vierzig Jahren feierte Ammon alljährlich des Mädchens Todestag und nun, da Kida's Bild merklich schon angebleicht worden war in der Kammer seines Gedächtnisses – nun war sie, gleich wie auf's Neue lebendig geworden in der reizenden Esther, zu ihm getreten in seine Wildnis – ein freundlicher Engel, ein Trost für seine leere Brust. Darum hatte er auch dem Mädchen die einzige Stube des Hauses eingeräumt und sich auf den Speicher gebettet; darum hatte er rund um die Hütte neue, gefährliche Fallen und Gruben angelegt, damit ihm niemand bei Nacht die Anvertraute stehle – darum ging er wie ein sorgsamer Knecht hinter der Gebieterin her, um ihren Wünschen sein Ohr zu leihen und ihr so viele Annehmlichkeiten zu verschaffen, als in seinen schlechten Kräften stand.

Er fand in Esther's Lobe kein Ende, wenn Regina kam, und mißbilligte es sehr, daß das Fräulein gleichgültig die warmen Dankesäußerungen Esther's zurückwies und sich ihren einsamen Beschäftigungen überließ, wie zuvor, ohne seinem Schützling zu verstatten, ihm näher zu kommen und vertraulicher zu werden. Ammon wußte nicht, daß weder der niedere Stand Esther's, noch ihr Glaube sie von Reginens mitleidigem Herzen entfernte, sondern gerade der Vorzug, den das Fräulein ihr einräumen mußte, der Vorzug, Dagobert's Freundin zu sein. Ammon bemerkte es nicht, wie oft Regina in tiefes Nachdenken versank und Viertelstunden lang nach dem Waldgange blickte, als müsse er jetzt kommen . . . als müsse er dann den fremden Gast hinwegführen und dann allein wieder kommen, und täglich wiederkehren, und endlich gar nicht mehr von dannen gehen. – An Dagobert's Statt kam aber eines Mittags Ben David an, dürftig und verschmachtend – bloß von der Hülle bedeckt, die ihm das Mitleid zugeworfen. Ammon hatte schon nach der Peitsche gegriffen, um den verdächtig aussehenden Bettler aus dem Reviere zu treiben, Esther's Freude und Angstruf entwaffnete ihn. Dem Vater von Kida's Ebenbilde konnte er nichts Uebles zufügen und er wehrte dem Alten nicht, die Wohnung seiner Tochter zu theilen. Vater und Tochter waren völlig ungestört, denn eine Unpäßlichkeit hielt Reginen vom Walde fern und Ammon machte doppelt eifrig seine Runde. Esther's und David's Wiedersehensfreude, wie ihr Leid um Jochai's Hinscheiden und ihre Verstoßung aus der Stadt, die ihnen Schirm und Heimat gewesen, durfte ohne störende Zeugen sich aussprechen, fessellos, wie es der Schmerz verlangt.

Aber schon am folgenden Tage begehrte David zu wissen aus Esther's Munde, wie ihr Verhältnis gewesen sei zu dem Junker. Esther's Wange erröthete zwar, doch hatte ihr Mund keine Schuld zu bekennen und ihre Rede trug der Wahrheit Stempel. Ben David's scharfes Auge, allen seinen Glaubensgenossen mehr oder minder eigen, sah indessen durch den Schimmer der Wahrheit hindurch einen dunkeln Punkt in dem Herzen seiner Tochter, ein verschleiertes Gefühl, dessen Decke zu heben sie nicht begehrte. Er faßte daher ihre Hand und sprach: »Geliebtes Kind, Dagobert ist gewesen dein Schirm, dein Alles, weil ich lag in Banden. Dagobert hat dich genährt und gepflegt und gerettet aus tausend Gefahren; der hochgelobte Gott wird ihn darob segnen, weil er Gutes gethan an Israel uneigennützig und nicht hat befleckt dein Kleid der Ehren. Friede sei mit ihm und auch auf seinem Angedenken sei einst Friede, wie auf Zodick's Gedächtnis Schmach sei und der Zorn Gottes und ihm selbst das Feuer der Gehenna! Aber, liebste Tochter, mein Kind, dergestalt, wie du den abtrünnigen Knecht Zodick mußt hassen – dergestalt hast du gelernt lieben den seltenen Mann, der da handelte, als stamme er aus den Landen Jakob's und nicht vom Berge Seir. Gesteh' es mir, mein Kind!«

»Vater,« erwiderte Esther stockend, »deiner Klugheit kann nichts verborgen bleiben. Ich muß es bekennen, und wenn es Sünde wäre vor dir und dem Gesetz. Nach dem hochgelobten Gott, den ich fürchte, – nach dir, mein Vater und Herr, den ich ehre, lebt niemand mehr auf der Welt, denn Er, den ich bewundere, den ich liebe . . . o, laß' mich nicht vollenden.« – »Nein, meine Tochter, vollende nicht,« versetzte David ängstlich; »du liebst ihn nicht, wie der Dankbare den Wohlthäter, nicht wie die Schwester den Bruder . . . du liebst ihn, wie die Jungfrau den Mann, und Wehe geschrieen über mich und dich . . . was soll aus dieser Liebe werden?« – »Was Gott wird beschließen und du, mein Vater!« sagte Esther ergeben, wiewohl sie erbleichte und erkannte, daß sie nun an den Markstein ihres Lebens getreten. – »Ich kann nichts beschließen,« antwortete seufzend der Vater, »ich bin ein armer, geschlagener, zu Nichts gewordener Mann; sie haben mich hinausgestoßen in die Welt und ich habe von all meinem Gute nichts mitgenommen, als die Last der Dankbarkeit gegen den Jüngling Dagobert, dessen freigebige Hand mir noch einige Pfennige zuwarf. Des Herzogs Glücksstern ist erloschen und mein Gold, das ich ihm lieh, gewiß verloren. Meine übrige Habe, theils in Costnitz zurückgeblieben, theils in unserem Hause zu Frankfurt verwahrt, ist eine Beute geworden dort betrügerischer Freunde, hier der habsüchtigen Richter, die noch nach verborgenen Schätzen lechzten, von welchen ihnen der abscheuliche Zodick vorgelogen. Ich muß wieder hinaus in die Welt, um zu erjagen womöglich ein neues Glück; und dich, mein einziges Kleinod, muß ich lassen hinter mir, auf daß du nicht verderbest unter dem Druck des Elends und der Entbehrung meiner flüchtigen Wanderschaft. Du magst nun entscheiden, Tochter, ich lasse dir die Wahl: willst du dich werfen in die Arme Edom's? Willst du zurückbleiben unter unsern Leuten, zu Worms entweder, oder zu Nürnberg? Wir haben zwar nicht Freunde mehr, nicht Verwandte, aber Israel wird nicht lassen von David's unglücklicher Tochter.«

Esther sprang auf, faßte heftig ihres Vaters Hand und rief mit ausbrechenden Thränen im Auge: »Vater! nimm mich mit dir; ich will leiten deine Schritte durch Fels und Sand; ich will schlummern neben dir auf Heidekraut und Moor, ich will nicht mehr begehren, denn ein Stücklein verschimmelten Brots, um mein Leben zu fristen und am Ende auch dieses Leben willig verlieren, erliegen unter Bekümmernis und Gottes, des Herrn Schickung. Aber nimmer geh' ich nach Worms, nimmer nach Nürnberg. Uns're Leute, zu denen ich flüchtete zu Frankfurt, haben mich verrathen an die Wollust, ein Sohn der Gebote hat dich verrathen und den Raaf Jochai getödtet; was soll ich erwarten von ihnen? Die Arme wird sein verachtet, eine Magd werde ich sein müssen in Schmach und Kummer. Vater, dir will ich folgen, aber nicht fürder dem Gesetze und seinen Bekennern. Der Herr hat uns verderben lassen in der Noth, die Brüder haben uns lassen verzweifeln. Der Christ hat mich errettet. Ihm gehören, nach dir, meine Tage. Weisest du mich von dir, so bin ich sein Eigenthum, wenn er's verlangt, seine Dienerin, denn er ist mehr als ein Mensch, ein Engel des Heils, ein Erlöser und Erretter!« – »Weh' mir! weh' mir!« entgegnete Ben David bekümmert, »o, wie ist dir doch angeflogen der Mehlthau aus Amalek! Du willst nicht mehr sein eine Tochter Zions! Erwarte nicht, daß ich dir fluche, nicht daß ich zu dir stehe! Aber gerettet möchte ich deine Seele wissen. Ich würde dich ermorden, wenn ich dich mit hinaus nähme in Sonnenbrand und Nachtsturm, um mir mein Brot suchen zu helfen, begleitet von Verachtung und Hohn. Deine Blüthe wurde nicht groß gezogen, um zu ersticken im Kothe. So bleibe denn lieber in Edom und halte dich zu den Ungläubigen. Vielleicht, daß einst der Herr in seiner Barmherzigkeit deine Seele berührt mit dem Stabe seiner Gnade, – vielleicht, daß du einst zurückkehrst in den Schoß des Gesetzes, nicht zu spät für meine in Kummer und Todesgram erloschenen Augen!«

Wehmüthig und beklommen stand der Vater auf und überließ Esther dem Strome von Thränen, in welchen sich die Erschütterung ihrer Brust auflöste. Ben David legte sich hinter der Hütte in's üppige Waldgras, von Mücken umtanzt, von Vögeln umgeben, deren Gezwitscher herrlich und frei aus dem Wipfel der Bäume zum Himmel stieg. In dieser Einsamkeit legte sich der Sturm seines Vorurtheils und, zu der blauen Decke hinaufblickend dachte er, daß dieses schöne Zelt ja für jeden erbaut sei und daß die Hand des Herrn alle Menschengräber mit Gras und Blumen ziere. Die Brust wurde ihm weiter und mit ihr auch die Fesseln, die seine knechtische Glaubenslehre ihm von Jugend an über den Nacken geworfen. Er beseufzte das Geschick, das ihn unter diesem Himmelsstriche in Jakob's Hütten hatte hervorgehen lassen, er wünschte um seiner Esther willen, in den Reihen der Gojim geboren zu sein; er dachte sich die Möglichkeit, sie mit Dagobert vereint zu sehen, er gönnte ihr den edlen Mann, ihm die reine vollendete Jungfrau: aber wie ein Felsstück von der Höhe des Alpengebirgs rollte die Erinnerung an jenen Schwur, den er in des sterbenden Jochai Hände hatte leisten müssen, auf sein Herz. – »Ich darf sie ja nicht zulassen zu dem Bade, das in Edom ein Bad der Wiedergeburt genannt wird,« sprach er vor sich hin; »ich darf sie ja nicht abschwören lassen vor dem Volke ihren Glauben! O, Herr! hochgelobter Herr! Halte mich aufrecht, daß ich nicht verdiene den Zorn meines abgeschiedenen Raafs. Erleuchte mich in meinem Haupte, damit ich den Ausweg finde. Leite mich, Herr und du, Seele meines Vaters, auf dessen Andenken der Friede sei!« David versank in ein eifriges Gebet, das er in den folgenden Tagen in kurzen Zwischenräumen immer wieder fortsetzte im Dickicht des Waldes. Er sprach kein Wort mehr über das Vergangene mit Esther. Er hatte seinen Entschluß gefaßt und harrte sogar mit Ungeduld auf Dagoberts Ankunft, welcher auch Esther's Herz sehnlichst entgegenschlug, denn ihr Herz war zu einem Entschlusse gelangt, zu dem höchsten, dem seltensten in der Seele eines leidenschaftlich liebenden Weibes, zu dem Entschlusse der Entsagung.

Dagobert ließ sich nicht allzulang erwarten. Eines Abends schnaubte sein Roß am Waldgehege; seine Schritte wurden hörbar von Esther's Kammer und ein trat er zu den ihm entgegen Eilenden wie ein verklärter Lebensbote. – »Grüße dich Gott, du vielgeprüfte Dirne,« sagte er, dem Mädchen treuherzig und liebevoll die Hand reichend, »und auch du, armer Ben David, sei gegrüßt. Als ich von dannen ritt aus diesem Walde, dachte ich nicht mit so viel Glück beladen wieder zu kommen. Esther, du liebes, treues Kind, freue dich mit mir. Mit dem Vater ausgesöhnt, habe ich auch die Mutter, gleichsam wie eine zweite junge Braut, an sein Herz gelegt. Wallrade, die Stifterin des Bösen, ist verwiesen aus dem Hause und mein Vater hat aus ihrem Munde kein Wort mehr vernehmen wollen. Graf Montfort, dem ich Schonung zu erweisen im Stande war, will dankbar mich dem Herzog Friedrich empfehlen, daß meine Freilassung von dem Kirchendienst vom neuen Papste bestätigt werde und daß der Herzog so schleunig als er kann, das Geld ersetze, so er von dir geliehen, armer Ben David. Mein Vater, willfährig gegen meine Wünsche geworden, hat mir erlaubt, ihm eine Tochter zuzuführen, sobald mein Handel mit Rom ausgeglichen und will nicht fragen nach ihrem Stand, nicht nach ihrem Namen, nicht nach ihrer Habe.«

»So bringe ich denn, mein zierlich Mägdlein, mein Werben bei dir an. Das Geschick hat uns so oft und wunderlich zusammengeführt, daß es des Himmels Wille sein muß, daß wir uns näher angehören. Schlag' ein in meine Hand! Dein Vater wird sich nicht weigern, in dein Glück zu willigen.«

Bei dieser Zuversicht überflog eine zitternde Bewegung Esther's Körper und ihr Mund stammelte: »Herr! Ihr überrascht mich . . . diese Güte . . . dieser Vorzug . . .«

»Ei, meine Esther, ist Liebe denn Güte oder Gnade?« fragte Dagobert lächelnd. »Wenn's ein Vorzug ist, daß ein Reicherer eine minder begüterte Ehewirthin wählt, so hast du diesen Vorzug über alle Maßen verdient durch deine zarte Weiblichkeit, durch deine Engelstugend und durch deine Schönheit.«

»Die Schönheit verblendet Euch,« sprach Ben David, schüchtern seine Stimme erhebend, »wird sie jedoch Euren Vater blenden? Weiß er, daß Ihr eine Jüdin begehrt und verpönen nicht Eure Gesetze solchen Bund mit der Strafe des Feuers?«

»Nun, bei Gott!« rief Dagobert, »wenn Esther eine Jüdin ist, so möchte ich die Christin sehen, die ihr gleich kommt. Alle Menschen gleich zu lieben, befiehlt uns der Heiland; und wenn seine Worte nicht immer und allenthalben befolgt werden, so ist es nicht des göttlichen Lehrers Schuld, kein Mensch auf Erden ist der Taufe würdiger als deine Tochter. Sie sehnt sich darnach, sie hat eingewilligt, aus Eurem Bunde zu treten und als Christin wird sie vor Gott und Menschen mein Weib!«

Ben David's Stirne überzog ein finstrer Schleier, da er die Augen auf seine Tochter heftete. »Du sehnst dich nach der Taufe?« fragte er düster und langsam. »Du hast eingewilligt? Tochter! was soll ich dir sagen? Soll ich zerreißen mein Kleid, wie für einen werthen Gestorbenen, oder soll ich mich freuen deines Glücks in der Zeitlichkeit? Und Ihr, Herr Frosch, ist's Euer ernstlicher Wille, daß Esther sich scheide von mir und fürchtet Ihr nicht mindestens die Zungen der Welt, wenn Ihr gleich gefangen habt das Herz eines allzuschwachen Vaters?«

»Eines gerechten Vaters,« verbesserte Dagobert; »ich scherze nicht mit einer Leidenschaft. Ich gebe ihr auch nicht leichtsinnig Raum. Aber hier bin ich fest entschlossen. Du mußt zugeben, daß deine Tochter ihre Irrthümer abschwört, du mußt zugeben, daß sie mein Weib werde; und damit die Zungen der Welt unser Glück nicht stören und meines Vaters Tage nicht trüben, will ich mich fern von der Vaterstadt häuslich niederlassen, einsam mit meinem schönen Kleinod. Lieb und angenehm ist mir's, wenn du, Ben David, auch den falschen Herrn vertauschen willst gegen den wahren Glauben, aber selbst im Gegenteile auch soll dir in der Ferne eine namhafte Unterstützung nicht entgehen, nur magst du, vor der Welt zum mindesten, meine Schwelle meiden. – Entscheide jetzt und sei klug.«

»Also fragt man den Verdammten um Entscheidung seines Schicksals,« entgegnete Ben David betrübt und im Kampfe mit sich selbst. »Herr! ich bin geworden zu alt, um wegzuwerfen mein Licht und Hort. Herr! ich habe keine Stimme gegen eine Tochter, die da liebt, und einen Mann, der mir mein Höchstes nimmt mit dessen Befugnis. Herr! ich bin Euch Dank schuldig, denn Ihr seid ein vornehmer Mann und begehrt mein Kind, eine schlechte Jüdin, in Ehren. – Ich bin geworden Euer ewiger Schuldner, da Ihr gehandelt habt wie ein Bruder an ihr, wie ein Sohn an mir. – Ich bin Euch, Gott soll mir helfen, verpflichtet als Knecht, weil ich gesündigt habe gegen Euer Haus und Ihr mir dennoch wollt vergeben . . .«

»Die Verirrung meiner Mutter wird sich milde lösen,« entgegnete Dagobert, »ich hege keinen Groll deshalb gegen dich, ob ich gleich weiß, daß du vor Gerichte die Wahrheit nicht gesagt und daß der kleine Hans nicht mein Bruder ist.« – »Gott soll mir helfen,« versetzte David eifrig, »wenn ich nicht habe gesagt Alles, so wie mir's der Beichtvater Eurer Mutter im Thurme hat befohlen.« – »Ich dachte mir's,« sprach Dagobert, »darum sei ruhig und fahre fort in deiner Rede, deren Bedenklichkeit ich mit den Worten der Wahrheit beantworten will.« – »Herr,« begann Ben David wieder, »Ihr habt gesagt, ich müßte willigen in Esther's Uebergang, in Esther's Ehe mit Euch. Vor dem Gesetze Eurer Herren müßte ich's, denn ich bin ein elender Jude, den man aufhängt zwischen Hunden, wenn man seiner los sein will. Aber ich muß nicht vor meinem Herzen: ich muß nicht vor dem Euren, das da ist ein gutes und treues Herz, welches sogar in den Kindern des alten Bundes ersieht seine Nebenmenschen. Aber die Dankbarkeit ist mir mehr geworden, als das Gesetz Eurer Herren, die Dankbarkeit läßt mich dazu lächeln, daß Ihr so grausam sein wollt, auf ewig meinen größten Schatz zu nehmen, zum Lohne für das, so Ihr gethan an uns. Ich will segnen das Band, weil ich will lösen meine Schuld und nicht laden will auf mich den Fluch meines Kindes, mag auch dann aus mir werden, was da wolle.«

Esther und Dagobert wurden tiefbewegt durch diese Rede, die keines von ihnen erwartet hatte, durch diese Einwilligung, in welcher ein großer Schmerz sich kund that. Die Flamme der Beschämung schlug in Dagoberts Gesichte auf. »Wahrlich,« sprach er, »Ben David, ich will nicht grausam sein und die Dankbarkeit, die du mir vielleicht schuldest, als eine Schlinge gebrauchen, in welcher deines Lebens Freuden ersticken sollen. Davor bewahre mich der Allmächtige. Aber deine Tochter, deren Lebensglück ich gerne stiften möchte, hat doch auch in diesem Handel eine Stimme. Sie rede frei, ohne Zwang. Wird sie dem Vater und seinem Irrthume folgen, oder dem Verlobten in den Bund der wahren Kirche?« – Ben David schwieg, wie Dagobert verstummte und die Blicke Beider hefteten sich unruhig auf Esther, die in den grausamsten Kampf verfiel, wie eine Siegerin jedoch sich schnell und besonnen daraus emporriß.

»Dagobert!« rief sie, ihren Arm fest um seinen Nacken schlingend, »Herr meiner Gedanken und meiner Seele! Daß ich Euch liebe und an Euch hänge für alle Zeit; . . . das erste Mal ist's, daß ich wage, es Euch zu gestehen; aber, Engel des Friedens, würde ich sein Eurer werth, wenn ich zauderte in diesem Kampfe? Ich glaube fest, daß uns Alle jenseits vereinigen wird Ein Paradies. Dort Euer zu sein, Dagobert, wird meinem Glauben der hochgelobte Gott gewähren. Hier . . . o, seht den Schmerz des Vaters! Ich kann nicht tödten den, der mir gegeben hat das Licht; – Vater! nimm mich mit dir; über Berg und Thal, über Feld und Meer! Dein gehör' ich bis an's Ende deiner Tage!«

Von dem Halse des Geliebten sich losreißend, warf sie sich in die Arme des Vaters, der überrascht auf seinen Füßen wankte, der Tochter Stirne mit Küssen bedeckend. So wie aber Ben David's Auge sich nach Dagobert umschaute und den erbleichenden Jüngling gewahrte, wie er sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte und demungeachtet seiner Esther Beifall zulächelte, als David auf Esther blickte, die, nicht minder zum Tode blaß, unter dem Gewichte der erfüllten Pflicht zu erliegen dachte, da wurde sein Gesicht wieder trübe und ängstlich und er trat an das Fenster und betete zum Herrn und zu der Seele seines verstorbenen Vaters. Endlich wendete er sich um zu dem Paare, das stillschweigend sich die Hände erfaßt hatte, als sollte schon jetzt Trennung und Abschied hereinbrechen und sprach milde und leise, wie er's gewohnt war, mit Esther zu reden: »Ich danke dir, meine Tochter. Du hast mir wieder gemacht Muth, und Jehovah wird lohnen, wo ich es nicht kann. Aber dich mitnehmen auf meinen Wegen . . . ich kann es nicht. Und zu unsern Leuten kehren willst du nicht und Menschen, die sich also lieben, von einander reißen – das soll nicht sein. Darum will ich denn auch, so schwer mir's wird, gestehen, was ich weiß, um zu fördern Euer Glück, um mir zu erwerben Euer dankbar Angedenken.«

Ehe er begann, schöpfte er mühsam Athem; sein kurzes Ueberlegen war schon eine Ewigkeit für Dagobert und Esther, die mit wißbegierigen Blicken erwartungsvoll an seinem Munde hingen. Endlich hob er an und sprach mit kurzen Unterbrechungen: »Mein Weib – ihr sei das Paradies – hat mir geboren zwei Söhne und das letzte Kind, das es mir schenkte, war ein Mägdlein, an das ich mich gewöhnte schneller und leichter, denn an die Buben, was selten ist bei unsern Leuten, die nach Söhnen streben, wie nach Reichthum. So oft ich ging über Feld, legte ich das Töchterlein der Mutter auf's Gewissen und drohte ihr, wofern dem Kinde widerführe etwas Leides, sie zu verstoßen aus dem Hause und der Ehe, so wie's das Gesetz erlaubt. Gewiß – Gott soll mir helfen – ich hätt' es nicht gethan, aber die Angst war gekommen auf das Weib und es meinte, sterben zu müssen auf dem Fleck, als eines Morgens – da ich abwesend war mit meinen beiden Söhnen und mein Töchterlein erst alt drei Wochen – das Kind todt fand in der Wiege; denn die Katze hatte sich hereingeschlichen vom Nachbarhause und sich gelegt auf des Kindes Hals und dasselbe also erstickt. Die Mutter erhob kein groß Geschrei, denn sie wollte nicht kund geben ihre Nachlässigkeit, allein sie setzte sich in den Winkel neben das todte Kind und weinte bitterlich, und da gerade der Vater Jochai herein kam, so redete sie zu ihm: »»Raaf! sieh' hier das Kind. Dein Sohn verstößt mich, so er's erfährt, und ich bin doch unschuldig. Hilf mir.«« Der kluge Greis Jochai entgegnete: »»Schweige, Weib. Ich will gehen hinaus und sehen, was mir der Herr eingibt, oder der Prophet Elias.«« – Und nicht lange war er fort gewesen, so kehrte er wieder zu der betrübten Mutter und trug ein kleines Mägdlein auf dem Arme und redete: »»Weib! sieh' hier, was mir hat Gott beschert. Draußen an der Straße hab' ich gefunden ein Bettelweib im Sterben und das Würmlein hier an dessen Brust. – Mutter, sagte ich, weil mir's der Herr eingab, willst du mir erlauben dein Kind, ehe es mit dir stirbt? Ich bin ein ehrlicher Mann. – Das Weib sah schon nicht mehr hell und wußte nicht, daß ein Jude zu ihm sprach, es reichte mir aber das Mägdlein hin und sagte: ›Nimm, ehrlicher Mann, und Gott vergelt's. Getauft ist das Kind und heißt Marie.‹ – Es war der Armen letztes Wort; sie starb und hier bringe ich dir die Kleine, damit sie eine Jüdin werde und David's Herz nicht betrübt sei bis in den Tod.«« So legten denn die Beiden das lebende Kindlein von gleichem Alter und selbem Ansehen an die Stelle des todten, das sie heimlich fortschafften und da ich wiederkam, liebte ich das Kind wie zuvor und habe es erzogen, und nicht anders gewußt, als bis ich von Jochai auf seinem Sterbelager erfahren, was er gethan; wofür ich ihn noch segne, denn mein Weib ist hinüber gegangen im häuslichen Frieden, mein Herz war nicht betrübt bis in den Tod und ich vermag's, zwei Herzen zu verbinden, die sich lieben, denn du, Esther . . . wahrlich . . . du bist jenes Kind.«

»Eine Christin?« rief Dagobert frohlockend. – »Nicht deine Tochter?« fragte Esther mit einer Empfindung, gemischt aus Freude und Wehmuth. – »So steht ja unserm Bunde nichts im Wege?« fuhr Dagobert fort. »Marie! Geraubt aus unserer Kirche, kehrst du wieder dahin zurück, zum Glück der Zeitlichkeit, zum Glück des ewigen Lebens. Marie! o, laß' uns den Greis segnen, der noch im Sterben seinen Betrug offenbarte; laß' uns diesen ehrlichen Juden segnen, der, die Hinterlist seines Volkes verschmähend, uns bekannt macht mit dem Geheimnisse, das uns ohne Widerrede verbindet!« Dankbar gerührt reichten Beide dem Juden die Hände. »Es quält mich, wie es mich entzückt, daß ich nimmer deine Tochter sein soll,« sprach Esther. »Ganz verwaist stehe ich nun da in dieser Welt.« – »Hast du nicht mich, deinen Freund, deinen Gatten?« erwiderte Dagobert. »Hast du nicht den Heiland wieder gefunden, du, nach seiner Mutter Genannte? O, du warst nie eine Jüdin; du theiltest nie den Haß jenes Volkes gegen Andersglaubende, du warst stets so rein, wie die Heilige, deren Namen du führst.« – »Ich bin wie im Traum!« stammelte Esther, sich dem Arm des entzückten Jünglings überlassend. »Was ich wünschte, wonach ich mich gesehnt, ist längst geschehen, ich bin schon eine Christin; darf nicht vor allem Volke den Schwur leisten, nicht erst betteln um das Brot der Weihe, denn ich hab' es schon empfangen, oder, mein Freund, muß dieser Gebrauch erneuert werden, um . . . .?« – »Nein, nein,« fiel Ben David ängstlich ein; »nein, nein, mein Kind. Es wird ja nur einmal getauft und wär' es nicht Sünde, zum zweiten Male es zu begehren?« – »Sündlich und überflüssig;« versicherte Dagobert. »Wozu ein neues Hindernis auf die Bahn zu unserm Glücke schleudern? Marie! Nun bist du mein. Nun hat dieser Mann keinen Theil mehr an dir, keinen Anspruch, als auf meine Dankbarkeit, die ihm allenthalben folgen, ihn überall erreichen wird.« – »Ben David!« setzte Esther weinend hinzu, »ich habe Euch geliebt, wie eine Tochter den Vater! ich habe wegen Eurer mich wollen reißen los von dem edlen Mann, der mein Alles ist in der Welt. Vergebt mir meine Freude darum, ihm schon jetzt näher anzugehören und empfangt meinen Dank.« – »Ei! ei!« antwortete Ben David kopfschüttelnd und schmerzlich lächelnd, »seht doch, wie ihre Gesichter sich tauchen in das Roth der Freude. Vor einer Weile hatte ich noch eine Tochter, jetzt nicht mehr. Vor einer Weile wollte mir folgen eine treue Seele in's Elend; jetzo stehe ich verwaister, als die Palme in der Wüste. Gelobt sei der Herr! Gesegnet meine Zunge und ihr, deren Glück einzig ist mein Werk.«

Mit Thränen in den Augen riß er sich von den Wonnetrunkenen los und ging hinaus in den Forst, wohin er durch eine Lücke im Gehege drang. Unter einem von Buchen gewölbten Dome warf er sich auf seine Knie und betete, nach seiner Väter Weise, zum Herrn der Himmel, der hoch oben seine Sterne schon angezündet hatte. »Vergieb mir, Gott Israels!« beteten seine Lippen zum Schlusse, »vergieb mir, wenn ich gehandelt wider deine Gebote; aber ich habe gehandelt nach der ewigen Thora, die da wohnt in jedes Menschen Brust. Verzeih', daß ich freiwillig dahin gab eine Tochter Zions, da sie doch, spät oder früh, gezogen wäre zum Berge Seir, statt zu wohnen in dem herrlichen Salem! So habe ich doch gehalten den Eid, den ich geschworen in meines Vaters sterbende Hand, so habe ich doch geübt Dankbarkeit, so habe ich doch gelassen mein Kind im Schutze der Macht, nicht im Staube deines auserwählten Volks, das noch immer dein Zorn darniedertritt, wie einen Grashalm. O, laß' mich finden im Paradiese die Tochter und den heldenmüthigen tugendhaften Jüngling! Du prüfest ja Herzen und Nieren! Vor dir ist der Behemoth eine Milbe. Und also kann auch deine Gnade reinigen den Ungläubigen zum Sohne Jakobs. Mit mir aber, so lange ich auf Erden lebe, thue nach deinem Gefallen, Herr. Ich bin geworden unter deinem Zorne und den Streichen der Feind ein Wurm statt eines Menschen, aber gesegnet sei dein Wille, gelobt dein Name, gepriesen deine Herrlichkeit; hochgelobter, unendlicher, ewiger Gott!«

Gestärkt und ermuthigt stand der arme David auf und ging davon; allein zu Esther kehrte er nicht mehr zurück.


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