Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der arme Heinrich verlebte eine üble Nacht auf dem Spreusack, den die Hand des mitleidigen Vetters ihm zugeworfen hatte, um sich bequemer auf dem feuchten Boden des Kellers zu betten. Der Vorfall des Abends schien dem geschreckten Knaben nur ein Fieberbild, allein in der Stille der Nacht erinnerte er sich nach und nach aller Reden wieder, welche von den bösen Gesellen geführt worden waren und die er von Anbeginn alle vernommen, ob er gleich in der Todesangst es geleugnet, denn er war kurz nach dem Eintritt der furchtbaren Männer erwacht und hatte sich, von Scheu ergriffen, nicht getraut, seine Anwesenheit kundzugeben und mit Herzklopfen den Augenblick erwartet, in welchem die Schrecklichen gehen würden, bis ihm das Entsetzliche ihres unverhohlen ausgesprochenen Vorhabens einen tiefen schmerzlichen Seufzer ausgepreßt. Und betrübter noch seufzte er jetzt in seines Kerkers Einöde, weil er Klugheit und Gefühl genug besaß, um das Verderben, das über die Stadt verhängt worden, zu würdigen und das jammervolle Schicksal der zum Tod bestimmten Bürger voll inniger Wehmuth beklagte. Und der gräßliche Eid vollends, den er geschworen, den ihm der Vetter selbst noch dringend an's Herz gelegt, den er seinem Glauben und Gewissen zu Folge nicht einmal dem Priester im Beichtstuhle entdecken durfte, um nicht hienieden elend zu sterben und jenseits auf ewig zur höllischen Flamme verdammt zu sein!
Der Knabe litt unaussprechlich und zu diesem Seelenleiden gesellte sich noch körperliche Angst. Wenn ein Luftzug durch das hochgelegene Luftloch hereinstrich, glaubte er das mordgierige Schnauben Zodick's zu vernehmen – wenn eine Ratte an den Riegeln und Angeln der Thüre emporkletterte, fürchtete er die Annäherung seiner grausamen Feinde zu hören. Seines Vetters Gestalt sogar, die sich Früh und Mittags zeigte, um dem kleinen Gefangenen Atzung hinzustellen, beruhigte seine aufgeregten Sinne nicht. Er wußte ja leider, daß sein Verwandter selbst zu der abscheulichen Rotte gehörte. Und näher und immer näher schlich schon wieder der Abend und näher und näher kam die Zeit des Verderbens und er, der um Alles wußte, mußte schweigen, an Schwur und Kerker gefesselt!
Da wurden hastige Schritte in dem Vorgewölbe hörbar, geschäftige Hände riegelten auf und drehten den Schlüssel der Thüre behende, und Brändling, blaß und zerstört, rannte in den Keller. Der erschrockene Knabe, nur seinen Tod ahnend, floh in die Ecke des Gewölbes, aber Brändling beruhigte ihn durch Wort und Geberde, indem er zu ihm sprach: »Guter Vetter, Lieber Heinrich! Du warst von jeher ein wackerer Knabe und nicht meine Schuld ist's – du weißt es wohl – daß du hier sitzest, gleichwie in der Löwengrube. Zürne mir darum nicht und thu' mir das zu Liebe.«
Der Knabe war bereitwillig, und Brändling fuhr fort: »Ein schlechter Mensch von meinen Zechgästen hat dem Weinstecher Veit verrathen, daß ich dann und wann stummen Wein ausschenke. Du lieber Gott! in der Zerstreuung geht wohl manchmal dergleichen vor und ich habe nicht 'mal recht gewußt, daß ich ein unklar Faß im Keller habe. Veit war aber da, er hat's gefunden und ist hinweg gegangen mit der Drohung, noch heut' den Stöckerknecht zu schicken, daß er das Faß abhole und vor dem Römer auslaufen lasse. Bedenke Heinrich – welche Schande . . . welcher Anlaß zu anderen Entdeckungen! Wenn du nicht hilfst, so kann mich's heute an den Galgen bringen. Veit ist mir nicht hold, aber dir, mein Neffe und Söhnlein, den er aus der Taufe hob, um desto mehr. – Deine selige Mutter war ihm lieb und werth und – nun – es wird schon Alles gut werden, wenn du stracks zu ihm laufen und für mich eine Fürbitte einlegen wolltest. Nur den Stöcker lasse er zu Hause und zahlen will ich, was er will. Morgen schon bezahlen – und den Wein vertilgen im Geheim. Willst du, mein Söhnlein?« – Heinrich bejahte gutmütig. – »'s ist jetzt die beste Zeit,« sprach Brändling weiter, »die Wütheriche sind nicht daheim, bis auf einen, der oben in der Giebelkammer faulenzt. Es sieht dich niemand fortgehen und zurück bist du, ohne daß dich eine Seele bemerkt. – Aber – Heinrich, gutes Kind, denke an deinen Eid und an deine ewige Seligkeit und plaudere keinem Menschen aus, was du Unglückseliger vielleicht gehört!«
Heinrich gelobte es noch einmal in des falschen Mannes Hand und entrannte, wie ein flüchtiges Reh, dem umbequemen Kerker. – Die Sonne neigte sich zum Untergange und des Pathen Haus war bald erreicht. Der treuherzigen Fürbitte des Knaben konnte der biederherzige Veit nicht lange widerstehen und ließ ihn endlich mit guter Botschaft, aber auch mit der strengsten Warnung für den Ohm ziehen. Heinrich flog wieder heimwärts; allein, da es um die Zeit war, da alle Handwerksgesellen durch die Straßen jubelten, von der Arbeit kommend – die reicheren Kaufleute ihre Laden schlossen und die Vornehmeren der Stadt behaglich lustwandelten durch die Straßen in der abendlichen Kühle – da wurde dem Knaben das Herz schwer, da er der Greuel gedachte, die in diesen froh lebendigen Straßen bald wüthen sollten. Hausväter und ihre Frauen, ihre Kinder und Enkel saßen vor den Thüren, durch welche der Mord eingehen sollte – buntgekleidete Musikanten, Lustigmacher und dergleichen Volk durchstreiften die Gassen und wenn man sie fragte, »wohin die Reise?« so antworteten Alle: »Zu des Altbürgers Froschen Haus; 's ist Hochzeit dort und die Stoßpfeifer dürfen zum Tanz nicht fehlen!«
Diese Worte zerrissen Heinrich's Brust und ohne Bewußtsein und Willen fast, flüchtete er sich in die uralte Kirche der weißen Frauen, die noch offen stand für Reuige und Leidende. Ein innerer Trieb zwang den Knaben, sich vor den Stufen des vergitterten Chors niederzuwerfen auf seine Knie und inbrünstig zu Gott zu beten, um Trost, um Hilfe und um Eingebung von oben. Nachdem er sein Gebet verrichtet, sah er sich um in der Kirche und sie war leer; er blickte, mit Anstrengung auf den Zehen sich erhebend, durch das Chorgitter und gewahrte eine von den weißen Frauen, die auf einem Betschemel kniete und zu beten schien; sonst niemand.
Da fuhr dem aufgeregten Knaben ein abenteuerlicher Gedanke durch den Kopf und er schritt auf die Stelle zur Ausführung, dem Zufall es überlassend, ob seine Saat auf guten Boden falle oder auf Stein. Die Nonne dort konnte ja schlafen – sie konnte taub sein oder ungläubig; aber – Gott wird ja Alles zum Besten lenken, dachte der Knabe . . . . und deinen Schwur hast du nicht gebrochen. – Er wendete sich daher frischen Muths knieend mit ausgespannten Armen zu dem Magdalenenbild am Eingange des Chors und sprach mit vernehmlicher Stimme: »O, du, mein heiliges Steinbild, laß' dir vertrauen, was ich geschworen habe, keiner lebenden Seele zu verrathen und wann der Herrgott nicht ein Wunder thun will und dir den steinernen Mund öffnet, daß du redest, so behalte in deinem tauben Ohre meine Rede. Wisse, daß die Stadt in großer Gefahr ist, daß böse Gesellen sich verschworen haben, mit der zehnten Stunde Glockenschlag noch heute den Hochzeitsschmaus in dem Frosch'schen Hause in ein Blutbad zu verwandeln und zu erwürgen Alles, was sich dort zusammenfindet. Wisse, daß auf diesen Mord die Stadt angestoßen werden soll mit Feuer und geplündert der Reiche und ermordet Arm und Reich. Wisse, daß die Aegypter herübergerufen werden sollen, um Stein vom Stein zu reißen, während die Mörder den Main hinunter schwimmen wollen auf abgekappten Schiffen, von Beute schwer. Wisse dies all', du heiliges Steinbild, denn mein Herz kann's nicht bewahren und die Zunge soll's doch verschweigen. Wahr ist's, dazu helfe mir Gott und von dem Tode all' den armen Leuten, die morgen nicht mehr leben sollen. Amen!«
Der Knabe hatte dies Bekenntnis kaum abgelegt, als er mit der Eile eines flüchtigen Wildes die Kirche verließ, um heimzulaufen. Seine Worte waren nicht ungehört verhallt. Die weiße Frau hatte sich horchend erhoben und keine Silbe verloren; aber nicht minder hatte eine dienende Schwester, die, von einem vorspringenden Grabmal verdeckt, dem Blick des Knaben entgangen war, Alles gehört mit entsetzter Seele. Der kleine Redner war auch kaum außer der Kirche, als die Schwester zu der Nonne trat und dringend fragte: »Habt Ihr gehört, hochwürdige Frau?« – Die Nonne nickte stolz mit dem Kopfe. – »Um aller Heiligen willen!« fuhr die Andere fort, »war das ein wahnsinniger Bube oder ein gesunder Herold der Wahrheit?« – Die Nonne zuckte die Achseln. – Die Schwester sprach ängstlicher und die Hände ringend weiter: »Wie mögt Ihr doch so kalt und gleichgültig sein, würdigste Frau, da doch die Schreckenskunde Euer eigen Haus betrifft?« – »Was wollt Ihr denn thun, Schwester Judith?« fragte die weiße Frau langsam und bedächtig. – »Reden, reden will ich,« antwortete Judith heftig. »Die Oberin, der Beichtvater, der Rath soll Alles wissen und erfahren; du Himmelskönigin und Jesu Christe! es ist keine Zeit zu verlieren.«
Die Nonne blickte starr und schweigend vor sich hin. Judith machte sich indessen fertig, den Chor zu meiden, plötzlich jedoch besann sie sich und sagte zu sich selbst: »Die Pflicht geht vor. Thue zuerst, was du mußt und dann erst, was du sollst. Bald hätte ich den Geißelstrick der Oberin aus dem Gewölbe mitzunehmen vergessen.« – »Gleich,« setzte sie zu der Nonne gewendet hinzu, »gleich, hochwürdige Frau, bin ich zurück und dann laßt uns den Mund aufthun, um zu reden, denn zornig ist der Herr und doch allmächtig in dem Schwachen.«
Bei diesen Worten schob sie den schweren Riegel von der Fallthüre des Geißelgewölbes und bemühte sich, die ungeheueren Eichenbohlen aufzuheben; mit aller Anstrengung gelang es ihr nicht und sie wollte schon das Werk verlassen, als die Nonne sich selbst herabließ, ihr Hilfe zu leisten. Der vereinten Kraft der Weiber fügte sich die schwere Last und ließ sich in ihren Angeln herumlegen. Judith, den scheidenden Abendstrahl, der durch die Fenster schimmerte, als einzige Leuchte mit sich nehmend, eilte die Treppe hinab, nachdem sie noch gesehen, wie die Nonne durch die Seitenthür in den Kreuzgang verschwunden war. Kaum aber war der Klang ihrer Schritte schwächer geworden und sie im Gewölbe selbst angekommen, als schnell die Nonne zurückkehrte, auf die Gruft zueilte, die eiserne Stützstange der Fallthüre wegriß und die Pforte dröhnend in ihre Fugen fallen ließ.
Der Schlag hallte schrecklich im ganzen Gebäude wieder und vor ihrer eigenen Handlung erschreckend, floh die Boshafte nach ihrer Zelle. Dort athmete sie ruhiger. – »Muth, Wallrade!« sagte sie zu sich, »geht heut die Rache nicht in Erfüllung, so verzichte ich auf sie in Ewigkeit. Die schwatzhafte Judith schmachte, bis die Stunde vorüber. Ihr ohnmächtiges Poltern an der Grabespforte wird die furchtsame Beschließerin zum Gespensterspuk rechnen und mit scheuem Kreuzschlage ihres Weges ziehen. Ein Zufall entschuldigt wohl später der Laienschwester unwillkommene Haft. Ich aber will spielen mit dem Schicksal, das jetzt in meiner Hand liegt. Die zehnte Stunde muß erst geschlagen haben, ehe ich durch meine Worte die Stadt rette. Ich will sehen, wie in meinem Hause das Unglück schreitet; ob ich allein dazu verdammt bin, oder Andere mit. Falscher Dagobert! So war es nicht gemeint. Ich raubte dir der Zelle Trost, damit du der Entsagung und der Täuschung Foltern schmecktest dein Leben lang; damit du Unkraut säest im Vaterhause wie bisher. Glücklich wollte ich dich nicht sehen und heute – welche Freude – heute trittst du an deines Glückes Grenze. Fahre hin; und du, einfältige Braut, und du, scheinheilige Stiefmutter, welche einen Sieg über mich errungen zu haben wähnt, fahrt hin, ihr Lästerzungen alle, die ihr meinen Leumund zerfleischt habt und an meiner Feinde Hochzeitstisch zu prassen denkt. Schon richtet sich der Pfaff zu eurer Todtenmesse!«
Sie schauderte selbst vor den entsetzlichen Gedanken zurück und ein Bild mit greisen Zügen und weißen Haaren, ein Bild voll Liebe und Gram stellte sich langsam in der Dämmerung vor ihre Augen. – »Mein Vater!« seufzte sie unter menschlicher Regung, »mein Vater. Er ist der Einzige in jenem Hause, der nicht fallen sollte, wie die Anderen? Er ist aber auch der Tugendhafteste,« setzte sie, in grausamem Wahn sich selbst belügend, hinzu, »und wenn Gott nicht will, so erlahmt der Arm des Mörders, sein Stahl zerbricht, und frei aus geht der Gute unterm fürchterlichsten Wirrsal. Fasse Muth, Wallrade, rede nicht matt und feige. Gott wird unter den Sündern die Seinen finden und behüten.«
Also ihr böses Trachten mit ihrem nagenden Gewissen schlau vereinbarend, ließ die tückische Wallrade die Stunden hinschleichen und schwelgte im Voraus in den Schreckensauftritten, die im Vaterhause vorfallen sollten. Ihres Vaters gedachte sie zwar häufig – weniger ihres armen Sohnes, aber die Glut wilder Leidenschaft und eine gewisse freche Lust, das Schicksal in die Schranken zu fordern, erstickte den Funken von Kindesliebe in ihrer Brust. Mutterliebe hatte sie nie gekannt und das Andenken an den so gehaßten Vater des kleinen Johannes war allein schon hinreichend, um sie zu bewegen, den Knaben einem dräuenden Unheil sonder Mitleid zu überlassen.
Während die Schreckliche also still und einsam in der dunkeln Zelle brütete und die arme Judith im ganzen Kloster wie verschwunden schien, dämmerte tiefer und tiefer der Abend nieder; die Straßen wurden leerer, die Trinkstuben voller und auch im »Knippling« ging es lustig und geräuschvoll her. In der vordern Stube johlten Waidträger, Löher und Schiffknechte, in dem hintersten Gemache saßen die Verbündeten mit mehreren ihrer Helfershelfer beim schäumenden Trunke. Die neunte Stunde hatte schon längst geschlagen und mit Ungeduld harrten die Raublustigen auf die zehnte.
Um sich die Langeweile und Unruhe zu vertreiben, trank der Hornberger Zug für Zug einen Becher leer und der Reifenberger, wie auch Veit von Leuenberg thaten herzhaft Bescheid. Zodick hingegen hielt sich nüchtern und ermahnte die Führer der bereits auf ihren Sammelplätzen versteckten Knechte, die sich ebenfalls zum Abendtrunk hier eingefunden hatten, klar und hell im Kopfe zu bleiben, um den Dienst nicht zu versäumen. – »Wie der Jude schwatzt!« rief der Reifenberg unwirsch, »im offenen Streit ist ein kleiner Weinnebel an seiner Statt; man sieht nicht lange, wo man hinschlägt. Um eine Kehle abzuschneiden, bedarf man freilich klarerer Augen.« – »Mein! mein!« versetzte Zodick giftig, »wir wollen sehen, wer lacht von uns am letzten, ich mit meinen hellen Scheinlingen, oder Ihr mit Euren trüben.« – »Pest und rother Hahn!« polterte Leuenberg dazwischen, »fröhlich gelebt und fröhlich gestorben . . . wie heißt das Sprüchlein, Bruder Hornberg?«
»Laß' mich doch ungeschoren mit deinem Possenschwank!« antwortete ihm der Hornberger, eine Kanne leerend und damit auf den Tisch klopfend. »Ich weiß ein besseres Liedlein: »Firnewein vor der Schlacht, hat viele zu Helden gemacht!« und so wollen wir's heute halten. Donner, Strahl, Hagel und Gewitter! keine halbe Stunde mehr und der Tanz geht los. Bis hieher haben uns alle Heiligen bewahrt und geschirmt. Von all' den Stadtschurken, die uns vorgekommen sind, hat uns kein einziger erkannt – nicht mich, der ich mit der Stadt meine Späne habe – nicht den Reifenberg, der hier so viel schuldig ist, daß er von dem Gelde sein verfallenes Dach mit Goldgulden decken und seinen Hof damit pflastern könnte; – nicht den Leuenberg, der im Stadtbann liegt, er weiß wohl, warum . . .?« – »Nicht einmal den verfluchten Judenchristen hier haben sie erwittert,« fiel der Leuenberg ein – »ob er gleich von Stadt, Kaiser und Reich verfehmt und geächtet ist.« – Zodick lachte pfiffig. – »Wißt Ihr, Ihr Herren,« sprach er, »woher das kommt? Weil ich mir nie getrunken habe einen Rausch. Für den Groschen, den hinauswirft der trunkene Mann, gewinnt der nüchterne ein Pfund.« – »Pah!« rief der von Leuenberg, »wie könnte auch ein Jude fröhlich sein, wie ein christlicher Rittersmann! Gebt dem Gelichter 'ne Zwiebel, schimmlich Brot und faul Wasser; glücklich ist's dabei, wenn es nur Münze zusammenscharren mag.« – »Daß Ihr doch lahm würdet, verfluchte Gojim!« murmelte Zodick in den Bart. – »Laßt doch den Friedrich,« brummte der Hornberger, »der ist ein Christ, so gut wie einer, und wer ihn schimpft, hat's mit mir zu thun. Aber, Donner und Teufel! wo steckt der Wirth? Vergebens klopfe ich seit einer ewigen Frist nach einer frischen Kanne. Heda! eingeschänkt!«
Hornberg polterte aus allen Kräften mit den Kannen auf den Eichentisch, bis endlich Brändling erschrocken zur Thüre hereinsprang. Der Mann hatte zwar in der Freude über Heinrich's willkommene Botschaft, sowie in der heimlichen Seelenangst vor der kommenden Nacht ebenfalls viele Schlucke über den Durst gethan und wankte unsicher auf seinen Beinen umher, aber die Sorge für die Sicherheit seines Hauses und seiner Gäste verließ ihn selbst in diesem Zustande nicht. »Um der ewigen Barmherzigkeit willen!« rief er, »Ihr Herren, macht doch nicht des Lärmens so viel. Die Trinker in der Stube werden aufmerksam werden und wissen wollen, wer dahinten also rumort. Und denkt 'mal, wer Euch also sähe, bewehrt und bewaffnet, wie Ihr seid . . .« – »Halt's Maul, Hund!« fuhr ihn der Hornberger an, »schaff' Wein herbei und sei nicht lässig im Dienst, sonst schneide ich dir – Gott verdamme meine arme Seele – für jede Kanne einen Kerbstrich in dein Hundeantlitz, daß du aussehen sollst, wie ein bemalter Turnierpfahl. Wein, Schurke! Wein!« – »Wasser untern Wein! Wasser darunter!« flüsterte Zodick dem erschrockenen Brändling zu, welcher verblüfft seinen Abgang nahm und bald neuen, sehr getauften Weinvorrath brachte. Mit ihm trat ein Knecht des Reifenberg in die Stube. »Sieh' da, Eckart!« fragte sein Herr, »wie steht's? was bringst du?« – »Alles ruhig, Ihr Herren,« meldete der Knecht, »die Leute alle auf ihrer Stelle im Hinterhalt. Ich gab noch den Befehl, daß keiner von ihnen sich unterstehen solle, etwas zu beginnen, bevor Ihr nicht mit Euren Freunden an ihrer Spitze seid. Sie erwarten das Zeichen ungeduldig.« – »Wahrlich, nicht mit größerer Ungeduld als wir,« antwortete der Hornberger, »Gewitter und Strahl! will denn die Zeit stehen bleiben? Sag' an, Bursche, welche Stunde ist's?« – »'s muß im Augenblicke Zehne schlagen!« antwortete der Knecht, »in Sachsenhausen drüben riefen die Wächter schon die Stunde ab, doch pflegen sie's stets früher zu thun, als hier herüben die Glocke schlägt.« – »Ei, so laßt uns die Krüge leeren,« sprach der Hornberger, »Gott sei gelobt, wir stehen am Ziele.« – »Krüge aus, Waffen an!« lallte der Leuenberg, »Bruder Reifenberg, schnalle mir den Gurt fester; meine Hand ist schwer und ungeschickt geworden.« – »Du wirst doch nicht zu viel im Kopfe haben?« fragte der Hornberger spöttisch, »ich fühle Bärenmark in meinen Knochen und wollte einen Eichbaum spalten.«
Um den Beweis zu führen, hob er die schwere Klinge mit Macht und wollte einen Hieb gegen den Ofen thun, allein die niedere Stubendecke wehrte dem Streich und die Waffe fiel klirrend aus des Zechers Hand. – »Weh' geschrieen! weh' geschrieen!« begann Zodick, der unruhig wurde. »Was soll daraus werden? Hab' ich doch gezählt auf einen Simson und es wird nicht da sein ein Davidchen! Ihr Leute, Ihr Waffenknechte, haltet Euch besser als Eure Herren und folgt dem, was ich werde befehlen, denn ich werde gehen sicher und zustoßen ohne Fehl und wenn herabkäme vom Himmel der Melach der Könige!«
»Bist du gewesen an der Frosche Haus?« fragte er sodann den Eckart leise. Dieser bejahte und berichtete, Alles gehe dort hell auf, von Kerzenschimmer funkle Fenster und Thor, die Pauke wirble, der Bombard schnurre und die Pfeifer bliesen lustig zum Tanz. – Zodick rieb sich, teuflisch lachend, die Hände, während die Edelleute in Braus und Verwirrung ihre Waffen und Wehr ordneten und die Knechte alle Hände voll zu thun hatten, ihre Gebieter zum Strauß zu rüsten und sprach vor sich hin: »Ich danke dir, hochgelobter Gott, daß du mich lässest Rache nehmen an meinen Feinden, aber warum kann ich nicht mit diesem blanken Messer trennen vom Rumpfe der Menschheit alle Hälse meiner Feinde? Warum ist Ben David gegangen in die Welt? Jochai geflohen, von wannen man nicht kehrt heim und Esther gewandert mit ihrem Bruder in's Weite, wohin mein Dolch nicht trifft? Aber Euch verfolge mein Fluch, Euch sei die Hölle und das Feuer der Gehenne!«
Indem blies vom nahen Stiftsthurme der Wächter, und die Glocken schlugen die zehnte Stunde an. »Halloh! halloh!« rief der Hornberger, »rüstig, Ihr Genossen! Der Teufel ist los!« – »Hand in Hand noch einmal laßt uns stehen!« sprach der Reifenberg, »und schwören, ehrlich an einander zu halten und unsere Pflicht zu thun.« – »Wir schwören's,« riefen Edle und Knechte. »Du, Jude, thue deine Schuldigkeit!« – »Gott soll mir helfen, daß ich sie thue,« erwiderte Zodick, sich die Mütze fest bindend. – »Geschwinde!« rief Eckart in die Thüre, »Stunde schlug, Thür' ist offen, der Wirth harrt unser, leis' an der Stube vorbei, hinaus auf die Gasse!« – »Baschol! baschol!« trieb nun Zodick selbst eilfertig und heimlich, »wir haben gewonnen, so wir behalten den Kopf frei und die Hand. »Wenn ich nicht vollführe, was ich versprochen, so will ich den Dalles haben im Augenblick ohne Gebet und Barmherzigkeit. Fort! fort!« – Der Schwarm von Menschen drängte sich zur Thür, als diese rasch aufging und Brändling's geisterbleiches Angesicht hereinsah. – »Halt! halt!« stammelte er entsetzt, »wir sind verloren . . .!« – »Verloren?« donnerte ihm der Hornberger zu und hob das gewichtige Schwert; aber, wenngleich des Schenkwirths Stimme versagte, so ergab sich doch alsobald der Bescheid auf des Hornbergers Frage. »Im Namen der kaiserlich freien beschlossenen Acht!« schallten mehrere Stimmen draußen, begleitet von Schlägen an Wand und Thüre.
»Die heimliche Vehm!« riefen die Söldner verwirrt und aus ihren Händen fiel die Wehr, einige verkrochen sich unter Tische und Ofen, wohin auch Brändling sich geflüchtet hatte, Andere schmiegten sich an Wand und Ecke. Selbst den Leuenberg und den von Reifenberg hatte dieser Schreckensname dergestalt erschüttert, daß sie auf ihre Stühle zurücksanken, und der Hornberger senkte das dräuende Schwert, hinter der Thüre lauschend, durch welche einige vermummte Gestalten rasch und keck hereintraten und wie Falken nach allen Seiten die Augen drehten. »Keiner rühre sich!« schrie der Erste von ihnen mit rauher Stimme.
Da ergriff den Zodick eine entsetzliche Angst. Wild sprang er auf, schlug die Lampe um und wollte durch die Reihen der Geheimen in's Freie brechen; allein der Schimmer eines Windlichtes, das durch die Oeffnung der Thüre blitzte, blendete ihn und ein Verhüllter riß ihm indessen Kappe, Haarhaube und Pflaster vom Kopf und Gesicht.
»Der ist's!« rief er, den Schaudernden gegen seine Begleiter stoßend und diese antworteten in tiefem Tone. »Bei unserem Eid! der ist's!« – »Jehovah! Sammael! Christus, rette mich!« schrie der verzweiflungsvolle Jude, da ihm nun eine fürchterliche Ahnung durch's Herz zuckte. »Weh' mir! Helft, Ihr Freunde!«
Aber die Freunde blieben scheu und unthätig, weder Himmel noch Hölle that zu des Frevlers Gunsten ein Wunder und der heftige Dolchstoß, den seine erprobte Faust mit aller Gewalt auf die Brust des Anführers der Verhüllten führte, brach sich an dem Panzer, den dieser führte. Ein heftiger Schlag schleuderte ihm die Waffe aus den Fingern, und eine feste Schlinge flog um seinen Hals und riß ihn, seine Kehle zuschnürend, zu Boden. – »Gnade dir Gott, Missethäter!« riefen die Trabanten der heimlichen Acht und schleppten den ohnmächtig Widerstrebenden vor die Thüre.
Vor ihrem Anblick flohen die übrigen Gäste – bisher neugierige Zuschauer – zur Pforte und Gasse hinaus. – »Macht geschwinde!« herrschte der Schöffe seinen Frohnen zu. »Henkt ihn auf.« – »Wohin, Herr?« fragten diese. – »Knüpft ihn an den Kettenhaken neben der Thür!« befahl der Schöffe kalt, und dies Todesurtheil brachte den halb bewußtlosen Mörder zu sich selbst. – »Gott! hochgelobter Gott!« stöhnte er, außer sich. »Ich bin doch unschuldig, Ihr Männer, ich bin unschuldig . . .« – »Du bist verfehmt,« erwiderte der Schöffe, »und All' ist zu spät.«
Schon ward der Strick um den Haken geschlungen. – In wüthiger Todesangst brüllte Zodick: »Ich gehöre nicht vor Euer Gericht. Ich bin ein Jude, des Kaisers Kammerknecht . . .!« – »Wardst du nicht getauft. abtrünniger Hund?« riefen die Frohnen. »Fahr' hin!«
Der Elende schwebte in die Höhe. All' seine Glieder strebten an gegen den hart einbrechenden Tod . . . seine erstickende Kehle schnappte nach Luft, sein Mund versuchte noch den letzten Fluch, aber unter dem dumpfen: »Fahr' hin! Zeter! fahr' hin! Gnade dir Gott!« stockte das verhaßte Leben, und der Gräßliche war nicht mehr. Die Frohnen streckten ihn aus, der Schöffe stieß sein Messer in den Thürpfosten und Alle entfernten sich durch die verödete Gasse – denn alle Gäste der Schänke hatten die schnellste Flucht ergriffen vor den Vollstreckern der gefürchteten heimlichen Acht.
Die zum Mordbrand Verschworenen, sammt ihren Söldnern und Gesellen, hatten sich nicht minder, von blindem Schreck gejagt, nach allen Seiten hin zerstreut. Der Unbändigste und Frechste aus ihrer Mitte war vom schnellen Tod dahingerissen worden, den seine frevelnde Zunge gerade herbeigerufen – und jeder der Uebrigen war sich mancher schweren Schuld bewußt. Die Spannung der Trunkenheit war gewichen, die Erschlaffung der Kräfte und die Pein des Gewissens war zurückgeblieben.
Ohne ferner an die Verübung des gräßlichen Mordplans zu denken, irrten die Theilnehmer desselben in den Gassen der Stadt umher, und ihre Furcht wuchs mit jedem Augenblicke mehr heran, denn mit Staunen und Herzklopfen hörten sie, wie plötzlich, rasch hinter einander alle Glocken auf den Kirchthürmen wach und lebendig wurden, wie die Wächterhörner von den Zinnen bliesen, laut und dringend, wie das Gämperlein läutete, die Schnurre durch die Straßen lief, wie die Trommel vor dem Quartier der Söldner wirbelte und die Trompete die Reisigen zu dem Sammelplatze rief. Lichter und Laternen wurden allenthalben ausgesteckt, in allen Häusern wurde es hell und lebhaft. Die Zünfte, Rotten und Fähnlein der Bürger und Söldner strömten zusammen auf ihren Lärmplätzen. Die Bürgermeister mit den Bannern, den laufenden Gesellen und den Zünften der Altstadt, hielten auf dem Samstagsberge und vor dem Falkenstein; in der Neustadt riefen die Hauptleute vor St. Marthen und Katharina die ihrigen auf. Der Schultheiß jagte zu Pferde wie ein Wüthender zu seinen Reitern auf dem Liebfrauenberge und nach Sachsenhausen hinüber der Oberstrichter, um dort den Befehl zu übernehmen und die verdächtigen, daselbst gelagerten Aegypter zu bewachen und zu beobachten. Um die Verbindung mit der Stadt zu unterhalten, blieben die Brückenthore offen, wiewohl mit Wachen und freiwillig herbeieilenden Bürgern besetzt; denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, die Stadt sollte mörderisch angestoßen werden mit Feuer und Schwert und jeder zitterte für seine Habe und jeder entbrannte in Begierde, für das gemeine Wesen sein Schwert zu ziehen.
Die vielen Fremden, aus dem Schlummer aufgeschreckt durch das Getöse, hatten sich, in Landsmannschaften getheilt und bewaffnet, um ihre Niederlagen versammelt; streifende Rotten von Spießknechten durchflogen die Straßen, aufgreifend Alles, was verdächtig schien und vor dem Römer glimmten die Lunten der Hakenschützen, kampf- und streitfertig.
Noch suchte jedoch das Auge der Gewarnten und Gerüsteten vergebens den bewehrten Feind. Er hatte die Waffen weggeworfen und irrte vermummt und verzweifelt über Plätze und Gassen, das Dunkel suchend und einen rettenden Ausweg. Dieser letztere war aber nicht zu finden und so mußten die Verschworenen sich begnügen, einen Schlupfwinkel für den gefährlichsten Augenblick zu erspähen.
Am Schlimmsten war daran der von Leuenberg, in dessen Gehirne noch der Taumel des Weines tobte, während seine Füße Blei waren, und der Hornberger, der mitleidig bei ihm aushielt, alle Mühe hatte, ihn mit Gewalt von der Stelle zu schleppen. Zodick's Hinrichtung hatte den fürchterlichsten Eindruck auf ihn gemacht und er sah sich selbst schon unterm Schwert des Nachrichters. So prahlend seine Zunge sonst gewesen, so feige war sie jetzt und er hätte sich zum Mönch scheren lassen um den Preis seiner Rettung. Aber diese Rettung war ihm nicht beschieden. Die schwarze Stunde trat auf seine Ferse. Am Ausgang eines Gäßleins warf sich den Flüchtigen ein Trupp von Fußknechten in den Weg und trennte sie. Während auf der einen Seite der Hornberger angehalten wurde und seine Kunst, so frech zu lügen, daß man's glauben mußte, in Anwendung brachte, verbarg sich Leuenberg unter die Bank eines Eckhauses und kroch schwerfällig hervor, da die Söldner weiter gezogen waren. Mit aller Schwere seines Körpers und seines eiligen Laufes fiel er einem unfern gehenden Manne, den er für Hornberg hielt, um den Hals. »Pest und rother Hahn!« rief er, obwohl leise genug, »du hast dich meisterlich durchgelogen, Veit, und nun laß' uns weiter gehen.« – Der Mann brummte einige unverständliche Worte und suchte sich los zu machen. Um so fester klammerte sich der Leuenberg an ihn und raunte ihm hastig und bebend in's Ohr: »Hornberger! Du wirst mich doch jetzt nicht verlassen wollen? Nur jetzt nicht, Bruder, denn beim Teufel, ich bin schwach wie ein Kind und in meinem Herzen spür' ich 'ne Angst, wie ich sie nicht verspürt, da ich dem Dürning den Rest gab, ob's gleich mein erstes Stücklein war.« – Da stieß der Mann, Veit's böser Engel – einen gellenden Schrei der Ueberraschung aus und eine derbe Faust packte den Raubjunker wild bei der Brust. – »Hund!« rief die fremdartige Stimme, »du bist's also? Du der Schelm, der meinen Herrn ermordet hat? Nieder mit dir, Mordbube!« – Beim auflodernden Schein eines Pechkranzes sah Veit mit sträubendem Haar in ein grausam verzerrtes Gesicht und dieser Blick war sein letzter, denn Ammon's Jagdmesser übte die langgenährte Blutrache so fürchterlich und schnell, daß kein Laut dem Darniedersinkenden mehr über die erbleichenden Lippen ging. Ammon stand eine Weile mit wilder Zufriedenheit bei dem Entseelten, steckte den rächenden Stahl in die Scheide und murmelte: »Wenn das nur Zufall war, so bin ich ein Schurke; nach so langer Frist mußte ich hieher gerathen, um dem Todtschläger meines Herrn seinen Lohn zu geben? Und er ging heim, ohne zu wissen, wer ihn heimschickte? und ich erschlug ihn, ohne mehr von ihm zu kennen, als sein selbstgeständiges Versprechen? Lieber Herr dort oben! Bitt' für mich, wenn's eine Sünde war, die ich gethan!«
Er wollte eben von dannen, als unfern von dem Platze eine Flamme aufging und das ganze Gewühl der in den Straßen strömenden Volksmenge zu der Rettung eines brennenden Hauses aufforderte. Ammon – nicht gelaunt, dem Gewühle zu folgen, hielt sich gegen den Strom fest an der Ecke des Nebenhauses. Fußgänger und Berittene gingen über den Leuenberger weg, ohne im allgemeinen Drange sonderlich auf den in dunkler Gasse Erschlagenen zu achten und da der Menschensturm etwas nachließ, drängte sich ein Mann, mit einem Kinde an der Hand, quer durch und wendete sich mit Heftigkeit an den harrenden Ammon. – »Der Lärm und das Getöse haben mich verwirrt gemacht,« sagte er mit unruhiger Hast, »wollt mir berichten, wo man zum Liebfrauenberge am schnellsten gelangt.« – »Ich gehe dahin,« erwiderte Ammon, den Zerlumpten mißtrauisch betrachtend, »habt Ihr ein gut Gewissen, mögt Ihr folgen, wo nicht, so bleibt zurück; der Schultheiß befehligt dort.« – »Auf meinem Wege fürcht' ich ihn nicht,« antwortete der Andere ruhig und folgte mit seinem kleinen Begleiter getrost dem schnell vorangehenden Ammon.