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II

Reise

Und eines Abends, da er also wieder betete nach seinem täglichen Gebrauch, da stand der Engel Gottes in dem Garten seines Schlosses, vor ihm auf der Mauer sitzend Doxa, seine schöne, hochgestalte Freundin.

Und ruhig war des Mannes Art, und sinnend schaut er, wie die Sonne an den eignen Strahlen sich entzündete, wie sich die Täler und die Berge purpurn färbten ob dem Widerschein des großen Brandes. Doch jene, seis des eignen Wesens allzeit finstere Natur, und seis ein jüngstvergangner Streit, nicht nahm sie teil an seinem Tun und kehrte all dem Glanz den stolzen Rücken, mürrisch über ihre Schulter blickend, mit den Fingern klaubend in den Fugen an der Mauer äußerm Rand, und einzig dann erhellte sich ihr Aug, wenn ab und zu das schlechte Werk gelang, daß sich ob ihrer Arbeit löseten die Steine, talwärts rollten auf den Efeu, der des Gartens schattiges Verließ umfangen hielt mit inniger Umarmung.

Und während also mit zerstreutem Geist sie in die Tiefe schaute, einer Wetterwolke gleich, die unheilschwanger lagert überm ockerfarbnen Feld, den Schlag verzögernd, das gesamte Land bedrohend, annoch ungewiß, wohin sie ihren Zorn entlade,

Da stieg im fernen Tale aus Prometheus' Herzen das Gebet empor, ein flinker Bote, fertig und bereit zu ziehen nach der hochmutvollen Göttin Heimat.

Und alle andern Tage eilt er richtig auf gerader Straße seines Wegs, und also kam er ohne Fährde an und meldete getreu den Auftrag.

Doch heute, seis von einem bösen Geist verraten, seis vor allzugroßem Übermut, da nahm er einen mächtgen Umweg: stieg gen Himmel, überdem landeinwärts nach des Königs Schloß und zog daselbst vorbei, mit Fleiß sich immer haltend in des Hauses nächster Nähe.

Und kam gerade auf dem schmalen Pfade bei dem Efeu an des Gartens Mauer.

Und als er nun gewahrte das gewaltge Paar, da stellt er seinen Leib zurecht, erhob das Haupt, und festen Blickes ohne Grüßen zog er seines Wegs, und es geschah, als sich die Blicke kreuzten, lächelt er mit seinem Aug und auch ein wenig mit den Enden seiner Lippen.

Und hatt es nicht gewollt und ward sichs selber nicht bewußt, doch wegen eines heimlichen Gedankens überrascht es ihn zuwider seiner Absicht.

Und vornehm, überlegen nahms der Engel an, dem Löwen gleich, wenn sich ein kleines Tier in seiner Torheit unterfängt, daß es ihn reize: zwinkernd mit den Lidern, seitwärts blickend, ärgerlich, geduldig, falls es nicht zu lange währet.

Doch anders seine Freundin: schöpfte in den Tiefen ihres Herzens einen finstern, gluterfüllten Haß und haßte vollen Stromes aus den mitternächtgen Augen, aus den festgepreßten Lippen, aus dem ganzen Reichtum ihres üppgen Körpers.

Und haßte nicht des Feindes Angesicht allein, und haßte seinen ganzen Leib und haßt ein jegliches Gebaren seiner Glieder.

Und also bot sie Antwort seinem Gruß, und schon war er vorbeigelangt, da drehte sie ihr Haupt und sah ihm in den Nacken, blickt ihm immer nach, so lange sie vermochte seine Gegenwart zu halten.

Und als er endlich nun verschwunden zwischen dem Gebüsch und war durchaus nichts mehr zu sehn, daran sie nährte ihren Haß, da warf sie sich zurück und redete und sprach zu ihrem Herrn verächtlich und mit Strafen:

«Wie lange willst du dulden diesen Hohn auf deinem Angesicht, und worauf wartet deine Langmut?

Und sieh, von allzugroßem Wohlbehagen krankt Prometheus' Herz; jedoch so ende einmal seine gute Zeit und nimm hinweg von ihm den Müßiggang und laß ihn kosten von des Lebens irdischem Geschmack, vielleicht so wird zur Demut sich bequemen sein Gemüt und von ihm weichen all das ungesunde Fett der Seele.»

Und von der Freundin Wort gepeitscht, erwachte jetzt sein Zorn, und also rief er einen seiner Diener, die da abseits standen in des Schlosses Tür, begann und sprach zu ihm mit Nachdruck dies Befehlen:

«Zur Erde ziehe hin und zu Prometheus' Tal und führ ihn weg ins fremde Land und laß ihn dienen nach gemeinem Dienst; jedoch daß du mir nimmer rührest an des Mannes Leib, denn siehe, vornehm ist sein Wert, und auch vielleicht zu seiner Zeit, wenn er bekehrt, daß ich ihn kann gebrauchen.»

Und sprachs – und jener reisete von dannen eilenden Beginnens.

 

Und schon bedeckte Finsternis das Land, da kam der ungewünschte Bote vor Prometheus' Haus, begann und rief mit ehrerbietger Stimme:

«Wach auf mit Klagen! rüste dich mit Tränen!

Denn heute heißt es scheiden von der Heimat Berg und Tal hinweg zum fremden Land in Niedrigkeit und Knechtschaft.»

Und es erwiderte und sprach Prometheus ruhigen Bescheides:

«Von Tränen nicht! von Klagen nicht! und sieh, erwartet hab ich dich, und drum so sei willkommen.»

Und über dem, da rüstet er die Fahrt und machte sich zurecht und gürtete sein Kleid, und als er alles wohl vollbracht, so brach er auf und zog fürbaß an seines Führers Seite.

 

Und als er noch des Gartens Pforte nicht erreicht, da regte sichs von Schritten hinter ihm, und siehe da, sein Hündchen kam daher, umkreiste ihn mit Winseln und mit Schmeicheln.

Und es begann und sprach Prometheus harten Grußes:

«Von wannen kommest du, und was bezweckt dein Schmeicheln?» Und jenes krümmte sich und duckte sich und schmiegte sich zu Boden.

Prometheus aber, da er schauete den Ungehorsam seines Tuns, erhob er seine Hand, befahl und sprach mit scharfem Drohen:

«In Eile kehre heim, denn sieh, zum fernen Lande ziehen wir, und allda kann ich deiner nicht gebrauchen.»

Und jenes drückte sich zur Erde, jammerte und schrie, des Schlags gewärtig;

Doch während es so schrie, so blinzelt es in einem fort hinüber nach des andern Auge.

Und als nun über eine Zeit vor Ungeduld ermüdete des Herren Zorn und Ärger spielete auf seinem Angesicht und unwillkürlich fiel sein Arm zur Seite,

Da wagt es den Versuch und schob sich auf dem Bauch herbei, begann und flehete und sprach mit kriechenden Gebärden:

«Ob ferne sei das Land, so ist gesund mein Fuß, und wenn du meiner nicht gebrauchst, wohlan, so will ich abseits liegen.»

Und wieder wehrete und sprach Prometheus unmutvollen Wesens: «Ein Unverständiges begehrest du, denn wahrlich nicht zur Freude ziehet unser Zug, und wenn du wüßtest, was da unser harrt in jenem Land, vielleicht so bliebest du dahinten.»

Doch jenes widerstand und ließ nicht ab von seinem Tun und folgete von fern dem Zug, und ob auch öfters drohete und schalt sein Herr, so blieb es zwar zurück und kehrte traurig um und zog nach Hause heuchlerischen Blickes –

Doch über kurze Zeit, so war es immer wieder da und schmeichelte und bettelte und folgte unverwandt in gleich gemessener Entfernung.

 

Und es begann und sprach Prometheus zu sich selbst verwunderten Gedankens:

«Und nun so bin ich wohl entronnen meinem Feind, dem grimmen Hasser?»

Und während er so sprach, da glühte durch die Nacht vom Wege her ein Augenpaar, und siehe da, der Löwe lauerte auf ihn, zum Sprung bereit, geduckten Hauptes.

Und es erwiderte und sprach Prometheus zu dem Löwen festen Mutes:

«Vergebens lauerst du, mein Freund, denn noch beschützet mich mein mächtger Gott, und noch ist nicht bereit dein Opfer!

Jedoch, wenn weiser Rat dir angenehm, wohlan: benütze dieses Tages günstiges Geschick und laß dahinten deinen Groll, auf daß vereint wir ziehn zum neuen Lande.»

Doch jener hörte nicht auf sein Gebot und schlich sich brüllend weg und wandelte getrennt von ihm, zur Seite, bergwärts an des Weges steilem Ufer.

Und bald aus dunklem Busche drohete sein Blick, und bald geräuschlos sprang er über Bach und Schlucht, und öfters wieder klettert er empor, und unter seinen mächtgen Tritten löste sich das lockere Gestein und rollte talwärts vielgestaltigen Geräusches.

 

Und also sonderbaren Zuges zogen sie des Wegs im engen Grund, ein jeder von dem anderen getrennt, in Finsternis gehüllt, von Einsamkeit umringt, und keiner sprach ein Wort, und ward kein Laut gehört als ihre eignen Tritte, die da regelmäßig auf und nieder hallten in der schwarzen Stille.

Und etwas vorwärts wanderte Prometheus an des Weges Linken, schauete feldeinwärts nach dem nachtbedeckten Gau, belauschete die Gräser, die da zueinander flüsterten geheimnisvolle Dinge;

Und zu des Weges Rechten schritt sein Führer, schaute bergwärts ohne Sinn und Ziel, und war sein einzig Augenmerk, daß er vermeide des Gefährten Blicke.

Und also lautlos treibend hatten sie des Tales Mitte fast erreicht, da stand am Weg ein Lindenbaum und schlief und träumte.

Und es begann und richtete sich auf der Baum und flüsterte und sprach in seinen Träumen:

«Wer seid ihr von Prometheus' Tal und von des stillen Denkers trauter Heimat?»

Und es verstellete Prometheus seine Stimme, sah empor und sprach: «Ein Freund aus seiner Jugendzeit, und es geschieht, wenn wund sein Herz, ist krank mein ganz Gemüt, und wenn es schreit und weint, so mag ichs nimmer mehr ertragen.»

Und wieder fragete und sprach der Baum in seinen Träumen:

«Was wirkt Prometheus in dem stillen Haus, und wohin zielt sein Schaffen?»

Und wiederum verstellete Prometheus seine Stimme, sah empor und sprach: «Er schläft und träumt, und vom gelobten Tage träumt er, wenn dereinst der Hochzeitmorgen flammet übers Feld und scheucht hinweg die Nebel.»

Und über diesem Wort, da wurde eingedenk der andere der morgendlichen Lust, wenn hell die Vögel singen überm Ackerfeld – und also denkend dacht er fort und fort und neigete sein Haupt und schwieg.

 

Und weiter zogen sie des Wegs, da schlich ein Bächlein schläfrig durch den Grund, und träg und leise glitten seine Wellen.

Und müden Herzens hub es an und murmelte und gurgelte und sprach das Fragen:

«Wer seid ihr von des Tales Schlucht, und wie vom Haus des stillen Dulders nahen eure Tritte?»

Und es verstellete Prometheus seine Stimme, sah hinab und sprach: «Ein Kranker bin ich, der da hörte von Prometheus' Kunst und seiner hehren Göttin wunderkräftger Macht, und drum, so hab ich mir gedacht, vielleicht, daß sie mich heilen.» Und wiederum begann und fragete der Bach mit Murmeln:

«Was sinnet seine Seele, seine schöne Freundin mit den stolzen Wimpern?»

Und wiederum verstellete Prometheus seine Stimme, sah hinab und sprach: «In ihrem schönen Garten wandelt sie am klaren Quell und spinnt ihr Hochzeitkleid, und also spinnend murmelt sie ein Lied, und also murmelnd denkt sie ihres Knechtes, der da einsam weilt im fernen Lande.»

Und es geschah ob diesem Wort, da wurde eingedenk das Bächlein seiner Schwestern, die da murmeln in dem dunklen Hain, und dachte fort und fort und träumete, vergaß sich selbst und schwieg.

 

Und weiter zogen sie des Wegs, da wurde plötzlich ängstlicher Prometheus' Art, und leiser setzt er seinen Tritt, dieweil er stetig mit verstohlnen Blicken schaute nach dem andern Ufer zu der Berge unbestimmten dunklen Massen.

Und als nun über eine Zeit ein Pfad sich seitwärts krümmte zu der alten Hütte am verlaßnen Bruch, von Finsternis versteckt, dem Führer unbemerkt und sichtbar nur dem kundgen Auge,

Da hielt Prometheus seinen Fuß zurück und regelte nach dem Gefährten seinen Schritt, so daß ihn stets beschützete des andern Leib und immerfort sein Schatten ihn bedeckete in gleicher Achse mit des Pfades Richtung.

Und also unhörbaren Trittes mit verhaltnem Atem strebte er vorbei und fürchtete zumeist, daß ihn verrate seines Herzens lautes Schlagen.

Und schon lag hinter ihm der Pfad, und neue Gegenstände tauchten auf zur Rechten und zur Linken an des Weges Seite;

Doch lange noch bewacht er seinen Fuß, vermied ein jegliches Geräusch, bis daß ein breiter Zwischenraum gelagert zwischen ihm und jenem Orte.

 

Und über dem, da wurde freier seine Art, und leichter ward sein Atem, gleich wie wer das Schwerste überstand, und gleich wie wer aus einem Hinterhalte ohne Fähr entronnen.

Und ruhig, gleichgemeßnen Schlages hallten wieder ihre Tritte durch die Nacht – da hatten unversehens sie erreicht des Tales Ausgang.

 

Und es begann und sprach der Führer gnädigen Erlaubens:

«Vielleicht, wenn dirs genehm, so wende dich ein letztes Mal zurück, auf daß du nochmals grüßest deiner Heimat Tal und vielgeliebte Gründe.»

Und es antwortete und sprach Prometheus ruhigen Erwiderns:

«In Irrtum redest du, mein Freund! denn meine Heimat ruhet nicht im Ort und wohnt in ferner Zukunft überm dunklen Berge.»

 

Und also sprechend bog er mutig um des Tales Ecke.

 

Und über dem, da kamen sie zum vielbewohnten Gau und zu der Menschen müder, schlafender Gemeinde.

Und es geschah, durch eines Zufalls Willkür führte sie der Weg in nächster Nähe zu dem Königsschloß auf stolzem Hügel.

Und hell von Lichtern glänzete des Schlosses schwarzer Rumpf, und weithin strahlten seine Schatten durch das nächtliche Gefild, und aus den Fenstern scholl des Lachens Silberklang und munteres Gespräch und mannigfache frohgestimmte Laute.

Und allda raffte sich Prometheus auf und drängte sich vorbei mit abgewandtem Haupte.

Und also auch der Löwe wich ins Feld mit großem Bogen. Doch da als letzter nun das Hündchen war gekommen an des Berges Fuß, da blickt es immerdar empor und witterte und schnupperte und spürete und lauschte.

Und warnend wandte sich Prometheus um, begann und redete und sprach zu ihm mit Schelten:

«Ein Unverständiges beginnest du, und nun so habe acht, damit du nicht erfahrest, wie da schmecket fremdes Glück im eignen Herzen!»

Und von des Meisters Ruf erschreckt, da ließ es ab, errötete und machte sich zurecht, versammelte den Leib, erhob das Haupt und eilete voran in strammer tugendhafter Haltung;

Doch über kurze Zeit, so wurde zögernder sein Schritt, und als ein breiter Schatten war gelagert über seinem Weg, da schlich es heimlich fort und eilte unvermerkt auf krummen Wegen durch den Garten zu dem Schloß, und allda stellt es sich mit beiden Händen auf den Sims und spähete mit vorgerecktem Hals und offnen Ohren.

 

Und tageshell erleuchtet war der reiche Saal, und heitre schöne Menschen wandelten darin umher, begrüßten sich mit herzlichem Gespräch, und aller Augen strahleten von reiner geistger Freude.

Und vor den andern allen zeichnete sich aus die Königin, doch nicht durch Schmuck und nicht durch ihrer Kleider Pracht und nicht durch ihres Wesens Hoffart;

Denn gleich wie alle andern mischte sie sich in die allgemeine Schar, und einfach war ihr Kleid, von jedem Putz befreit, und unbefangen schwebte sie von Paar zu Paar, belebete und ordnete den traulichen Verein und gönnte jedem einzelnen ein huldreich Wort nach guter Wirte Brauch und Sitte;

Doch während sie so schritt von Ort zu Ort, da weilte jedes Auge staunend auf den adeligen Formen ihres Angesichts, und gleich wie betend wagte sich der Blick an ihren stolzen Wuchs, und gleich wie Andacht folgt es ihren Schritten;

Und über alledem, so schwebete ein Geist der Güte um sie her, der machte weich und sanft die Linien ihres Haupts, verklärt ihr Aug und Mund und milderte das strenge Urteil ihrer Schönheit.

Und plötzlich ward es stille in dem großen Saal, und aus dem bunten Kreise trat ein bleicher Mann hervor: schwarz war sein Kleid und vornehm seine Art und leicht und ungezwungen sein Benehmen;

Und freien Blickes schaut er jetzt umher, verneigte sich und grüßete, und über dem, da hub er an, erzählete und sprach ein Lied mit dunkler, weichumhüllter Stimme.

Und klar und farbig war das Lied, wie wenn die Sonn erglänzt zur Mittagszeit, doch düster war des Mannes Stirn und tief in ihren Höhlen glühten seine Augen.

Und von der Menschen mannigfaltgem Tun und Treiben hub er an und von des Waldes Heimlichkeit und von der Liebe Leid und Lust mit vielverschlungner, künstlicher Erzählung.

Und sinnend ruheten der meisten Blicke auf des Redners Mund, doch andre schauten abwärts vor sich hin, und wieder andre staunten durch die Fenster in die schwarze Nacht und sahen auf dem dunklen Grunde heller leuchten all die lebensvollen Bilder.

Und also auch der König und die Königin – und standen einer von dem andern weit entfernt, vom vielen Volk getrennt, und schienen beider Herzen ganz allein beschäftigt mit des Dichters Worten,

Doch wenn nun ab und zu von Lieb und Sehnsucht meldete der Mann, da wandten sie ihr Haupt, den andern unbemerkt, und kreuzten ihren Blick, verstanden sich, und doppelt fühlte nun das Wort ein jeder von den beiden.

 

Und als zu Ende war das Lied, da trennte sich die hohe Schar und zog nach Haus, begleitet von des königlichen Wirtes Gruß und Segen.

Und also wollte auch das Hündchen tun, und schon zum Abschied macht es sich bereit, da plötzlich glitt ein samtner Schatten durch die schwarze Nacht, und siehe da, die Königin erschien am Fenster –

Und hurtig duckt es sich ins Gras und lauerte und horchte mit verhaltnem Atem.

Und jene lehnte am Gesims, und an dem kalten Rahmen stützend ihre Stirn, begann sie träumerisch hinauszuschauen über all die dunklen, unsichtbaren Lande.

Und sei es, daß ein ernstes Wort des Redners widerklang in ihrer Seele Tiefen, sei es, daß in ihrem Herzen auferstand aus ihrer Jugendzeit ein allzufrohes Bild, da wurde traurig ihre Art, und Wehmut sprach aus ihrem großen Aug, und düstrer immerfort gerieten ihre Blicke.

Und eine lange Weile tat sie so, der Gegenwart vergessend, ihrer selbst nicht mehr bewußt – da plötzlich wurde licht und schön ihr Angesicht, wie wenn der grauumwölkte Himmel sich verklärt im Morgenrot: und siehe da, der König stand an ihrer Seite hinter ihr, und es bedeckte sich ihr Haupt mit seinem Schatten.

 

Und sachte schlang er seinen linken Arm um ihren Leib und suchte mit der Rechten ihre Hand, die halb geschlossen ruhete am Sims, erfaßte sie und öffnete die weiche Faust und führete die zartbeseelten Finger rückwärts sanften Druckes;

Und es geschah ob seinem Tun, da schmolz wie Schnee im Frühling ihre herrliche Gestalt, und gleich wie wenn ein Maienregen übergießt das Blumenfeld, so war in weiche Anmut aufgelöst ihr ganzes Wesen.

Und eine kleine Weile hielt sie so Bestand, mit Lust verlängernd seinen Sieg, die eigne Niederlage kostend,

Doch über eine Zeit erhob sie ihren Busen, bog den Leib zurück, und mit des Halses angespannten Muskeln neigte sie ihr Haupt zum Nacken.

Und jener folgte ihrem Tun und neigte sich herab: und Aug in Aug versenkend ihren Blick, vereinten Atems, durstgen Mundes schauten sie sich an und lasen einer in des andern Seele.

Und herrlich, schien es, war das Buch und deutlich seine Schrift, denn über diesem Lesen schwamm in Seligkeit ihr Aug und hattens nimmermehr genug und lasen fort und fort und frageten und sprachen viel mit steigendem Entzücken;

Und näher immer schmachtete der beiden Mund, und als sich endlich nun berührte ihrer Lippen heißer, süßer Kelch, da schloß das hehre Weib die Wimpern, dehnte sich und seufzete und sog und sog und trank und trank – und über dem, da zogen sie von dannen, Glied an Glied und Leib an Leib geschmiegt mit liebendem Verlangen.

 

Prometheus aber, da er nicht mehr hörte die gewohnten Tritte hinter seinem Fuß, da schaut er oftmals um und wartete, und schickte seine Stimme aus und rief und lockte, wandte sich nach jedem Ort, versucht es immerfort nach allen Seiten.

Doch über eine Zeit, da immer wieder leer ihm wiederkehrte seiner eignen Stimme Laut, da hub er an und redete und sprach zu sich mit Trösten:

«Wohlan, so ist es endlich heimwärts nun gezogen nach vernünftiger Erwägung.»

Und sprachs und wandelte getrost von dannen.

Und eine lange Strecke hatt er schon zurückgelegt, da regte sichs auf seiner Spur, und Tritte wurden laut, und siehe da, sein Hündchen eilete herbei, jedoch den Blick verstört, das Angesicht vergrämt, und immerfort zur Erde flossen, flossen seine Tränen.

 

Und es begann und sprach Prometheus mit verwundertem Gebaren:

«Was weinest du? und welches Leid hat also dein Gesicht verstellet?»

Und es erwiderte das Hündchen, schluchzete und sprach:

«Vom fremden Glück im eignen Herzen bin ich so bestellet.»

Und also sprechend flossen, flossen seine Tränen.

 

Prometheus aber nahm sich sehr zu Herzen seines Hündchens Gram, und – sei es von dem weiten Weg – so wurde matt und traurig seine Art, und müden Schrittes zog er weiter, mit gesenktem Haupt, ein Trugbild der Geduld und der Ergebung.

Und immer müder ward sein Schritt, und immer trauriger geriet sein Herz, und über eine Zeit gewann er Frieden aus der allzugroßen Traurigkeit und schlief und ruhete mit seinem Geist und spürte ferner nichts als seines ganzen Wesens völlige Erschöpfung.

Und nicht mißfiel ihm das, und gerne hätt er so geschlafen alle Zeit und dachte also dumpfen Fühlens zu vollenden seine schwere Reise:

 

Da regte sichs in ihm und tat sich auf, und leise stiegen die Gedanken aus den Höhlen ihrer Gräber, witterten und lauschten, sahen sich nach allen Seiten um, und da sie nun bemerkten ihres Herren Müdigkeit und seines strengen Willens schlaffen Arm, da wurde dreister ihre Art, daß sie begannen um ihn her zu schwirren und zu jagen, tobend, schreiend, hundertstimmgen häßlichen Gesanges.

Wie wenn ein Wandrer schleicht im heißen Wald zur Mittagszeit und ihn umschwärmt des Sommers winzge Brut mit Singen und mit Summen, gibt ihn nimmer los und reizt und ärgert ihn und immerwährend wächst die Zahl der ungeliebten Gäste,

So schwirrten die Gedanken um Prometheus' Angesicht und weckten ihn, und keine Ruh gedieh ob ihrem garstigen Gesange.

Und sanfter Stimme hub er nunmehr an und flehete und sprach vernünftigen Ermahnens:

«Ihr lieben Freunde! also bittet euer Herr, der euch Erholung oft gewährt, zur rechten Stunde nach der Arbeit Wohlgelingen:

So mögt auch ihr ihm heute Ruhe gönnen nach der Zeit des schweren Kampfs, da krank und traurig ist sein Herz und wahrlich sehr bedürftig, daß man seiner schone!

Und drum, ihr lieben Freunde, haltet eine kleine Weile still, und über dem, zu jeder andern Zeit, so mögt ihr tun nach eurem Wohlgefallen.»

Und es geschah, ob seinen Bitten schämten sich die meisten aus der großen Schar und gaben nach und wandten sich, gehorchend dem verständigen Ermahnen;

Doch all die Bösgesinnten, da sie nun vernahmen aus des Meisters eignem Munde seiner Schwäche Eingeständnis, hielten um so mehr Bestand und kamen dreister nur heran, und nicht genügte ihnen ferner noch das rohe Spiel, doch ihres kranken Herrn zu spotten war nunmehr ihr Wohlgefallen.

 

Und es begann und jubelte der eine höhnischen Gesanges:

«Prometheus! weisester der Menschen! du vor allen Ausgezeichneter! und dünktest dich zu vornehm, daß du dich begnügtest mit den größten Gütern!

Wohlan, was hast du nun erreicht? und wie bestehet deine hohe Weisheit?»

Und es begleitete und sprach ein andrer mit verstärkter Stimme: «Und hast verschmäht in deines Dünkels Hochmut deiner Brüder Glück und hast dich selbst zerquält und gönntest deinem eignen Herzen weder Freud noch Ruh, doch alle Müh und alle ungezählten Opfer der Entsagung hast du reichlich ihm geschenkt zu all dem andern Leid, der Erde Patengabe!

Und nun dem Ärmsten winket Schlaf, und an des Kranken Bette weilt sein Weib und dem Geringsten unter allem Volke lachen Kinder –

Du aber: Sehnsucht war dein Schlaf und Einsamkeit dein Weib und Zwietracht deine Kinder!»

Und es geschah, ob diesen Worten wandte sich in ihm sein Herz und weinte bitterlich.

Und also von dem eignen Herzen angeklagt und unvermögend mit dem Geiste zu entwerten dieser Reden Wahrheit, trug Prometheus schweigend jedes Wort und kannte keine Gegenwehr als seines Atems tiefes, lautes Seufzen.

Und über seinem Schweigen wuchs ihr Mut, und jetzt gedachte einer, daß er alle andern überbiete, legte sich an seines Meisters Ohr, begann und flüsterte und sprach mit tückischem Versuchen:

«Und nicht ist Klagen jemals dir erlaubt, denn sieh, es war ein Tag und in dem Tag ein Augenblick, wenn dus gewollt, so triebest heute du nicht einsam, unbeachtet durch das finstre Land, von niemandem gegrüßt, von niemandem vermißt, und keine Träne weint dir nach und heilt kein teilnahmvoller Blick die Schwermut deines Herzens!

Und säßest selbst an deines Bruders Stelle in dem lichterfüllten Schloß, und um dich her das auserlesne Volk, und wär ein allgemein Ereignis deines Herzens Freude oder Leid, und an dem Tag des Unglücks spürtest du der Liebe tröstende Gewalt, und spürtest sie: und segnetest des Unglücks Namen!»

Doch über diesem Wort, da raffte sich Prometheus auf, befahl und sprach mit Zorn und mit gewaltgem Willen:

«Verwegener!! wie wagst du zu berühren meines Lebens Heiligtum!! Und siehe: recht hab ich getan, und also tät ich wieder heut und morgen und zu einer jeden Stunde!»

Und über seinem Zorne stoben alle auseinander jähen Schrecks und suchten schleunig ein Versteck, verkrochen sich: der eine hinterm Zaun, der andre ins Gebüsch, und jeder überall, wo sich zunächst ihm bot ein Ausweg.

Und war in einem einzgen Augenblick verschwunden all die große Schar und schienen ganz und gar besiegt, und völlig unwahrscheinlich war ein neuer Angriff.

Doch gleich wie wenn im Palmenwald den Wandrer überfällt von schwarzem, nacktem Volk ein feiger Trupp und flüchtet kreischend vor dem lärmenden Gewehr, doch über eine Zeit, so wagen sie von neuem den Versuch und höhnen ihn, ermüden ihn, bedrohen ihn mit Hand und Mund und mit des Leibes schrecklichen Gebärden,

So wagten sie in kurzem ihren Kopf hervor, und wieder über kurzem kamen sie herbei, und endlich taten sie als wie vordem und waren ohne Furcht, umringten ihn und neckten ihn, von weitem erst und bald in nächster Nähe.

Prometheus aber, da er inneward der Feinde Übermacht, so kniete er zur Erde, beugte sich, berührte dreimal mit der Stirn den Boden, grüßete, begann und sprach inbrünstigen Gebetes:

«Du meine Göttin, die du tötest mit dem Zucken deiner Brauen, weihst zur ewigen Verdammnis, den dein Blick verachtet!

Vor deinem strengen Angesichte schwör ich dir: nicht hab ich irgend teil an der Gedanken sündigem Gespräch, und rein und schuldlos bin ich mir vor dir bewußt, und nicht im Traum und nicht in unbewachten Augenblicken hab ich jemals meine heilge Tat befleckt mit schnöder Reue!

Und drum so übe Gnade heut an mir und rechne mir nicht an, was jene sündigen vor deinem Thron, denn sieh, Empörer sinds, die meiner spotten in der Zeit der Not, Verräter, die da fälschlich nur gebrauchen meinen Namen.»

 

Und während er so zog mit trübem Mut, das Herz mit Bitterkeit beschwert, dem wunden Stiere gleich, der mühsam durch die Steppe schleift den kranken Leib und Wölfe folgen seiner Spur und immer wieder stößt er sie zurück mit seinem mutgen Horne,

Da lagerte ein frohes Volk am Weg und sang und tanzte um ein lustig Feuer.

Doch vor Prometheus' Angesicht erschraken sie und schafften eifrig Stille.

Und es begann und sprach Prometheus freundlichen Ermahnens:

«Ihr lieben Brüder, fahret fort und singet mir ein Lied nach eurer Weise!»

Sie aber neigten sich zur Erde knechtischen Gebrauchs und wehreten, erwiderten und sprachen:

«Gestrenger Herr! zum Spotten scheinest du geneigt, denn sieh, wir sind ein niedrig Volk, und auch es wohnt kein Sinn in unsrem Liede.»

Doch über eine Zeit, da er beharrete in seinem Wunsch, da nahete ein Mädchen, schwarz von Haar und braun von Angesicht und angetan mit buntem, schmutzgem Flitter;

Und in des Kreises Mitte stellte sie sich auf und ordnete ihr Kleid und grüßete und dehnte sich und reckte sich und wand und drehte spielend den geschmeidgen Leib – und über dem, da hub sie an und sang und sprang – und gleich dem Feuer sprühten ihre Blicke:

«Ein Narr, ders anders meint, als die da ziehen ohne Heimat über Berg und Tal, der Arbeit ledig!

Und es geschieht am frohen Tag, zur Jugendzeit, da trinken wir des Lebens Süßigkeit und Lust, und wenn des Alters böse Zeit erscheint, so singen wir: ‹Wohlan, so ist es recht!› Denn siehe, Erdenglück ward reichlich uns zuteil, und drum so ist es billig, daß wir kennen Erdenweh und Sterben.»

Und also singend jubelte ihr Angesicht und Wollust strömte durch die anmutvollen Glieder.

Und es erwiderte und sprach Prometheus sinnenden Gemütes:

«Fürwahr, ein schönes Lied! und wahrlich weiser als die schulgemäßen Lieder, die sie singen im gelehrten Chor, und um ein weniges, so wollt ichs mit euch singen.

Und ist ein einzig Lied, daß ihr mich nicht bekehrt; jedoch um dieses einen willen sollt ihr Unrecht leiden wider mich und meines Lebens viele Müh und Plage.»

Und jene huben an und frageten und sprachen:

«Vielleicht, so du es uns gewährst, so teils uns mit zu unserm großen Heil und Nutzen.»

Prometheus aber lächelte mit trübem Blick: «In Wahrheit: wenig, glaub ich, war es euch genehm, denn seht, es ist ein schweres Lied, und mühsam über alle Maßen ists zu singen.

Und auch es ist ein traurig Lied, und über alledem, so fehlt des Liedes Ende.

Jedoch wenn über Jahr und Tag ein wohlgelaunter Zufall wieder uns vereint, wohlan, so will ichs deutlichen Versprechens euch verkünden samt dem Ende.»

 

Und sprachs und seufzete, und über dem, da zog er weiter über Berg und Tal und zu dem fremden Volk im unbekannten Lande.

Aussicht

Und bis zum Tagesanbruch währete ihr Weg, doch bei des Morgens erstem Schein, da hatten sie erreicht das ungeliebte Land, und allda stellten sie sich auf den Markt geduldigen Erwartens.

Und als nun zur gewohnten Stunde sich versammelte das Volk, da kamen sie herbei und musterten den Mann und frageten nach seinen Künsten.

Und es erwiderte und sprach Prometheus lächelnden Gebarens:

«Von Künsten nicht! doch will ich dienen schlecht und recht bescheidenen Vermögens.»

Doch nicht gefiel den andern dieses Wort, und also blieb er lange Zeit allein und war der letzte nach von allen andern.

Doch als nun Mittag schlug vom Turm, da nahete ein Mann, von Alter blöd und töricht von Geburt, der redete und sprach bei sich in seines Geistes Einfachheit und Milde:

«In Wahrheit: redlich scheinet mir sein Angesicht, und nun vielleicht, so werd ich um ein weniges ihn mir gewinnen.»

Und sprachs und handelte; und also ward Prometheus Knecht in dieses Mannes Dienst und zog mit ihm nach Haus – und mit ihm zogen seine beiden Tiere.

 

Und in der ersten Zeit, so wars ein harter Dienst, und es geschah, wenn er des Morgens ging zu weiden seines Meisters Herde vor dem Tor, da machten sie sich auf und fingen an zu grasen von den Äpfeln an dem nahen Baum und hörten nicht auf sein Verbot und ließen sichs behagen;

Und wenn nun abends stöhnte das Getier und krümmte sich und wurde außer sich, da jammerte und sprach zu ihm sein Herr: «Vom allzuvielen Grase stammet das, und drum so laß uns eilig Feigen kaufen von des Marktes Händlern.»

 

Und wenn er ging zu bauen nach des Meisters Wunsch, da redete und sprach zu ihm sein Herr mit Tadeln:

«In Wahrheit: Anmut scheint dir nicht beschert, denn siehe, winklig bauest du das Haus, und alle seine Linien sind gerade.»

 

Und also sprechend zwang er ihn und hieß ihn schräge bauen all die Mauern und die Wände.

Und wenn nun bei des Werks Vollendung stürzete der Bau mit Poltern und mit Krachen,

Da weinete und schrie der Mann: «So hast zum andern Mal du Schaden mir gebracht! denn siehe, allzueckig war das Haus, und drum so hebe nochmals an und achte wohl, daß du mit Fleiß vermeidest jeglichen gerechten Winkel.»

 

Und also war sein Dienst; doch über eine Zeit, da kamen zu dem Manne seine Freunde, frageten und sprachen mit gewaltigem Verwundern:

«Was ist so hell und rein dein Haus? und alle deine Habe bessert sich und mehret sich mit Wohlgedeihen!»

Und es geschah seit dieser Zeit, da wurde leidlicher Prometheus' Dienst, und wieder über eine Zeit, so ward er unentbehrlich seinem Herrn, und wo er ging und stand, da folgte jener seinem Schritt und sonnte sich an seinem frohen Mut und an dem reichgestalteten Charakter seines Wesens.

 

Doch während also leichter ward sein Dienst, da pocht es an der Tür beim Abendschein, und siehe da, der Wurm vom heimatlichen Tal, und trat herein und redete und sprach vertraulich dieses Grüßen:

«Ein langer Weg und eine böse Fahrt, jedoch nun hab ich es erreicht, und drum so wollen wir uns freun der neugewonnenen Gemeinschaft.»

Und also sprechend schüttelt er den Staub von seinem Leib und machte sich bereit zu ruhen.

Und es erwiderte und sprach Prometheus zu dem Wurme:

«Willkommen, der du nahst zur rechten Zeit! denn, sieh, mir droht ein niedrig Glück, und ein gemeines Wohlbefinden schlingt sich mit entehrender Umarmung um mein Herz; du aber übe deine Pflicht und stich es alles weg mit deinem kräftgen Hauche.»

 

Und jener tat, was er gewünscht, doch tat ihm dieses nicht allein, und fügt ein Überzähliges hinzu und traf ihm mit dem niedern Glück zugleich sein feinstes Fühlen.


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