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Und abermals nach langer Zeit und vielem Sterben ward der Engel krank, und nicht vermochten seine Glieder mehr zu tragen seines Leibes Schwere.
Und schreckerfüllt vernahmens seine Freunde, eileten herbei, umschrieen ihn mit Jammern und mit Klagen.
Und schwacher Stimme hub er an, ermahnete und sprach mit Trösten:
«Getreue Brüder! wehret eurem Schmerz und dämpfet dieses klägliche Geschrei! denn seht, es ist ein unbedeutend Gift, und auch in Bälde, hoff ich, werd ich wiederum genesen.»
Doch Tag um Tag verschwand, und schlimmer ward mit jedem Tag des Engels Krankheit.
Und als am neunten Abend wie gewohnt die Dämmrung stieg empor, da flog vom Horizont mit trägem Flug ein Geier unter den gespenstgen Wolken mitten durch die grauen Lüfte, kreiste um des Himmels Land mit größern erst und bald in engern Zirkeln, bis er endlich war gekommen zu der Stelle, wo sein Blick in lotgerechter Linie fiel herunter auf des Engels Schloß, und allda ließ er lautlos sich herab, und auf des Daches Giebel fußend, hub er an zu ruhen und zu warten mit geduldgem, faulem Wesen.
Und mit Erbitterung und Schrecken schauete des Himmels Volk den ungeliebten Gast, und scharenweise eilten sie herbei und suchten, wie sie ihn verscheuchten mit Geschrei und Steinen und mit unabläßgem Drohen.
Und von dem großen Lärm gestört, erhob er sich mit plumpen Sprüngen, flüchtete und schwebt in sicherer Entfernung überm Hause eine kleine Zeit, doch immer fiel er frechen Mutes wiederum herab, bis daß sie endlich innewurden seines Willens Übermacht und gaben ihm Gewähr, und über dem, da saß er neulings auf dem Dach, das garstge Aug geschlossen, seinen kahlen Hals verborgen unter seinem lumpigen Gefieder.
Und wenn des Morgens nun die Sonne stieg empor, so flog er feigen Herzens weg, und wo im Wald ein Baum am höchsten stand, da saß er unbeweglich auf dem Wipfel, schielend nach dem fernen Schloß den langen Tag – doch wenn nun Nacht und Finsternis bedeckte alles Land, so strich er heimlich nach dem Abgrund zu des Schlosses Füßen, tanzte häßlich mit gestrecktem Kragen an den Felsenkanten hin und her, bis daß er endlich unversehens wieder thronte auf dem Dach und lauschete, ein böser Arzt, mit kunstverständgem Ohr dem Seufzen und dem Stöhnen, welches regelmäßig gleich dem Puls und gleich dem Uhrwerk drang zu ihm herüber durch des Daches Luken.
Und es geschah, mit jedem Tage wurde zuversichtlicher und dreister sein Gebaren.
Doch unten in der Schmerzenskammer lag der Engel, redete und sprach in seines Herzens tödlicher Beklemmung:
«Sagt an, ihr lieben Freunde, welcher Schatten schwebet über mir? und welches ist der Mordgeruch, der also mein Gemüt beschwert und hemmet meinen freien Atem?»
Und da die andern nun verstummten, prüft ers staunend eine kleine Weile, starrend nach des Zimmers Decke, horchend nach den sonderbaren Tritten, die da auf dem Dache rückten seltsam hin und her – und über eine Zeit, so wurde plötzlich über alle Maßen traurig seine Art, und wieder über eine Zeit ergab er sich mit Seufzen, aber endlich fand er seinen Mut, begann und redete und sprach mit fester, klarer Stimme:
«Ihr lieben Freunde, was verschlägt es, daß wir einer vor dem andern uns verbergen, gleich den Kindern, die die Augen schließen vor der ungeliebten Wahrheit?
Denn seht, wir wissens alle wohl, und deutlich kann auf eurem Antlitz ich das Urteil lesen, gleich wie ich es selber spüre in des wunden Leibes innerstem Gefühl: zum Schlimmen hat sich meine Krankheit mehr und mehr verkehrt, und also scheint es: schwerlich werd ich jemals wieder mich erheben.»
Und als nun jene mit empörter Stimme leugneten und warfen schreiend ihre Arme auseinander, fuhr er fort:
«Und auch es ist um mich ein kleines Ding, und wenn es muß geschehn, so mag ich ruhig sterben.
Denn sehet, dreifach leben mir die Throneserben, meine eignen, trauten Kinder, welche sicher schlafen in der wohlgeschützten Burg auf Erden, wartend jenes Tages, da ich nicht mehr bin, damit an meiner Stelle sie gebieten über alles Volk auf Erden und im Himmel.
Darum lasset ab von diesem unvernünftigen Geschrei und höret nunmehr meinen letzten Willen, daß ihr, pünktlich ihn vollziehend, schützet Gottes Reich vor Leid und Schaden:
Vor allem habet acht, daß ihr mit Fleiß verheimlicht meines Leibes Mißgeschick, auf daß es nicht vernehme Behemoth, des Reiches Feind, mein alter Widersacher, dessen Tücke wachet allezeit, und wenn er höret meiner Hände Ohnmacht, wird er Unheil schmieden.
Und drum so machet fröhlich euer Angesicht und ziehet einen Vorhang um das Haus und laßt Gesang und Saitenspiel ertönen unter meinen Fenstern, ob damit vielleicht ihr übertäubet sein Gehör und täuschet seine listige Erkenntnis.
Und wenn ich bin gestorben, sollt ihr eine Hochzeit rüsten, gleich als wenn ich läge neben meiner auserkornen Braut, und lasset nimmer Tanz und Schauspiel enden, während ihr geheimen Wortes euch vereint mit Epimetheus, meinem treuen Knecht, damit in Nacht und Finsternis im allgemeinen Festgetös er euren Händen überliefre Mythos, meinen ältsten Knaben, meines Thrones ersten Erben, euren Herrn und König.
Und wenn ihr ihn empfangen auf der Schwelle bei dem Erdentore, hebet ihn auf eure Arme, schwingt ihn dreimal auf und ab und hin und wieder, daß an Himmelsatem sich gewöhne seine Brust und all sein Wesen sei ein Doppelleben, ähnlich meinem Leben, tauglich zu vereinigen die Gottesherrschaft so im Himmel als auf Erden – oben auf dem Berge stellt ihn auf den Boden: auf dem Boden werden plötzlich wachsen seine Glieder, also daß er riesig und gewaltig, gleich wie ich, erscheinen wird an seines Körpers Kraft und äußerer Gestalt – und führt ihn feierlichen Kreises um die Grenzen, daß er schaue über alle Lande: von dem Schauen werden sinnend blicken seine Augen, wird sein Geist sich öffnen, zu empfangen ungezählte lichtbeseelte Keime ewiger Gedanken – leitet ihn zur Kirche auf des Himmels höchstem Berge, laßt ihn knieend trinken von den Tränen, die in seltnen Tropfen fallen durch des Hades dunkle Wiese nieder aus des kranken Mannes Augen: von den Tränen wird sich sein Gemüt erweichen, daß es lerne schmerzen und erbarmen – aber zwingt ihn neben meine Leiche: neben meiner Leiche wird er lernen wollen und vollbringen, wird er Feindschaft schwören jeder Heuchelei und Bosheit, stolzen Herzens sich erhebend über all die andern untertänigen Geschöpfe, königlichen Hochmuts hassend jeden Widerstand und jeden eigenwilligen Beschluß – und wenn ihr alles dies vollbracht, so krönet ihn und huldigt ihm und führet ihn hinunter in den Erdengau, damit der Menschen Volk sich vor ihm neige, samt der König Epimetheus, mein getreuer Diener, welchen ich durch euren Mund empfehle seiner Huld und Gnade. Endlich hinter alle dem, so mögt ihr mich begraben. Dieses ist mein Wille, aber jetzt so kommt herbei, damit ihr jedes einzelne beschwört mit Eid und Handschlag.»
Und sprachs und legte sich zurück erschöpft, und jene folgten dem Gebot und nahten schluchzend einer um den andern seinem Lager, boten weinend ihm die Hand, bejahten seine Rede mit gebrochner Stimme.
Und alle kamen sie herbei, und einzig Doxa saß beiseite, starrete zu Boden mit umwölkten Blicken.
Und freundlich hub der Engel an und fragete und sprach mit sanftem Vorwurf:
«Wohlan, geliebte Freundin, die du allzeit warst die erste, wo es galt, mit Wort und Tat zu dienen deinem Herrn und Meister, warum säumest du? und willst du einzig mir versagen, was die andern freien Willens gerne mir entbieten?»
Doch stummen Schmerzes warf sie ihren Kopf zurück, und als nun jener wiederholte seine Frage, bäumte sich und wölbte sich ihr schöner Leib, und krampfhaft an des Stuhles Lehne pressend ihren Nacken, während sich ihr Blut in heftgen Wellen stürzte gegen ihre Stirn, begann sie jetzt und schrie und sprach mit schwankender, verstellter Stimme:
«Es wird geschehn, wenn du gestorben, werd ich nimmer leben.»
Und ob der andre tröstend sie ermahnte mit vernünftiger Belehrung, bliebs bei diesem Spruch, und einzig das bewirkte seine wohlgemeinte Rede, daß sich unter seinen Worten krümmete und wand ihr edler Körper, gleich als wie gepeitscht von Ruten.
Und vieles hätt er noch vielleicht hinzugefügt: da krächzete der Geier auf dem Dach, und plötzlich schwand ihm das Bewußtsein, also daß er irre redete und tobete und schrie und meldete von Krieg, Verrat und Feindesarglist eine wilde, schreckliche Erzählung.
Und sorglich nahte Doxa seinem Lager, ob mit Schmeicheln und mit Küssen sie vielleicht besänftige sein aufgeregt Gemüt, indessen seine Freunde eileten hinaus und malten ihr Gesicht mit Weiß und Rot und zogen einen Vorhang um das Haus und rüsteten Posaunen und Trompeten vor die Fenster, daß mit großem Lärm sie deckten ihres Meisters Stimme, samt mit vieler Lustigkeit verheimlichten die schlimme Zeitung.
Und es geschah, je heftiger der Engel tobete und schrie, je eifriger erscholl das ängstliche Posaunen und Frohlocken.
Und es geschah, in dieser selben Woche feierte der Behemoth ein Fest zu Ehren Astaroths, der jungen Fürstin, seiner einzgen Tochter.
Und eifrig naheten die Großen seines Reiches, huldigten mit Ehrfurcht und mit höfischen Gebärden, jeder seinen Nächsten überbietend, daß vielleicht er sich gewinne die ersehnte unvergleichliche Verbindung.
Doch jene saß mit Hochmut auf dem Thron, und ob auch häßlich schien ihr Angesicht von außen, auch von Pocken war entstellt ihr hagrer, gelber Körper, schaute sie verächtlich auf die dienstbeflißnen Freier, scharfen Auges prüfend eines jeden Eigenart mit spöttischem Behagen.
Und als zu Ende nun der höfische Empfang und einzeln mit verstimmtem Mute schieden die beschämten Gäste, auch Astarte hatte sich zurückgezogen, daß im Chor der untergebenen Gespielen, wohlverborgen hinter den geschloßnen Läden, nochmals lauten Lachens sie die Scheidenden begrüße, hieß der König die betagten, wohlverdienten Freunde mit ihm speisen, bittend, daß sie sich begnügten am bescheidnen Mahle.
Und jene nahmens dankend an, und da nun zwischen jetzt und Mittag lag ein hohler Raum, begannen sie mit Worten ihn zu füllen, jeglicher mit unbefangenen Gesprächen, weil kein Fremdling störte die erlesne trauliche Gesellschaft.
Und sprachen dies und das, und eifrig nahm der König teil an ihren Reden, billigend, ergänzend oder mit geschickten Gegengründen reizend seines Nächsten Meinung; aber als nun über eine Weile ganz und gar erlahmte das Gespräch und völlig matt gerieten die vergnüglichen Geschichten, wie auch immer jeder strafe seinen Geist und ihn ermuntere mit heftigem Ermahnen,
Da trat der König vor und flüsterte, indes die andern alsogleich verstummten über seinen wichtgen Mienen:
«Ihr lieben Freunde, meine treuen Räte! nicht allein zur Freude hab ich euch geladen, sondern daß ich höre eure Meinung über ein gewichtiges Ereignis.»
Und also sprechend führt er sie zum Fenster, zog sich überdies zurück und wartete zuhinterst, gleich wie wer es selber oft gesehen.
Und mit Verwunderung und Staunen folgten sie dem Wink – und eines Mals entfärbte sich ihr Angesicht vor jäher Überraschung.
Und über eine Zeit ergänzete und sprach der König:
«Und seht ihr auch den Geier auf dem Baum im hohen Walde?» Und jene folgten seinem Wort, und plötzlich ward ob ihrem gar gewaltgen Staunen eine merkliche Bewegung.
Und eine lange Weile stört er nicht die stille Arbeit ihrer werdenden Erkenntnis, während selber er mit Lust betrachtete das ausdrucksvolle Wechseln ihrer Mienen, aber endlich holt er sie mit seinem Wink zurück, begann und fragete und sprach mit fester Stimme:
«Und nun so saget unverhohlen eure Meinung.»
Und da nun jene stummen Mundes ratlos vor ihm standen, weil sich noch bekämpften die Gedanken, weil noch nicht die Gründe für und wider sich versöhneten zum Friedensschluß, so fuhr er selber fort: «Ihr lieben Freunde! wie mit eignen Augen ihr gesehn und wie vom Himmel mirs bestätigt eine zuverläßge Nachricht, ist der Engel Gottes krank, und über kurzem, hoff ich, wird er sterben.
Doch über alle dem, so bringts uns keinen Lohn, denn seht, ein Nachwuchs lebet ihm von dreien Kindern, die da sicher wohnen in verstärkter Burg, und wenig wird uns frommen unsres Feindes Sterben, da ein dreifach Unheil wider uns entsteht an Stelle dieses einen.
Und drum so höret meinen Schwur: es soll geschehn, wer immer mir mit seinem Rat die Kinder schafft in meine Hände, diesem will ich Astaroth verloben, meine vielgeliebte Tochter, wer er immer sei, und ob er krank und kläglich an Gestalt und ob zum Grabe neigt sein Leib vor vielem Alter, oder ob sie selber widerstrebe nach der großen Torheit ihres jugendlichen Hochmuts.
Dieses bleibt mein königliches Wort, und also soll es auch geschehn, gemäß dem Schwur, den ihr vernommen.»
Und sprachs und wartete getrost der Antwort.
Und geizend nach dem überreichen Lohne, peitschten jene heftig ihren Geist und warfen hin und wider die Gedanken, überstürzten sie, damit vielleicht durch Zufall eher sich ein unverhofftes Wort entdecke, bis sie endlich, durch den Mißerfolg belehrt, vertauschten ihre Art und hüben richtig an zu denken mit Vernunft und Vorsicht.
Und wählten scharfen Blickes einen einzgen, vielversprechenden Gedanken aus der ungeheuren Menge, faßten ihn mit zartem Finger, zogen ihn behutsam aus dem wirren Knäuel, streckten ihn und dehnten ihn, verzwirnten ihn mit andern seinesgleichen von derselben Farbe, aber unversehens riß er jetzt entzwei, und über dem, da huben sie von neuem an, und also fort, und ob auch immer sie vergeblich sich zermühten, wählten unentmutigt sie geduldig einen andern Anfang.
Und lange hätten sie das Spiel geübt, da brachte man die Suppe auf den Tisch, und weil nun überall die Suppe ist ein rücksichtsloser Herr, der kein Erbarmen kennt und duldet weder Widerstand noch Aufschub, folgten sie ergeben dem Gebot und setzten sich zur Tafel, ungern zwar und mit gezwungenen Gebärden.
Und aßen mit zerstreutem Geist, und hie und da ergriffen sie das Messer statt des Löffels – aber als nunmehr der Fisch gegessen war, begann und sprach der eine, während er sein Haupt erhob und aus den Händen legte Brot und Gabel:
«Erhabner König, weil du Wahrheit uns befohlen, ist es eines jeden Pflicht, daß wir dir Wahrheit bieten ohne jegliche Verzierung:
Und nun du weißt: es wohnt an seines kranken Meisters Statt ein Mann der Kraft und des Gewissens, Epimetheus der Gerechte, welcher immerdar auf seinem Herzen trägt den Festungsschlüssel, also daß uns keine Hoffnung bleibt und ist um nichts gebessert unsres Reiches Zukunft.»
Und sprachs, und schweigend stimmten alle bei – und während sie so schwiegen, fiel ein Glas mit großem Lärm aus eines Dieners ungeschickter Hand hernieder auf den harten Boden.
Und wieder herrschte Schweigen eine lange Zeit, doch als nunmehr die Artischocken dampften auf den Tellern, hub ein andrer an, versuchete und sprach ins Ungefähr, und klaubte vorgebeugten Haupts verlegen an den heißen Blättern:
«Dies eine scheint mir zwar gewiß, daß uns kein Heil besteht in offener Gewalt; denn wohl befestigt ist die Burg und gut gesinnt der Wächter. Auch ist doppelt stärker unsrer Feinde Macht, und mehrfach größer als das unsre ist der Menschen Volk an Zahl, und so wir mit den Waffen kämpfen, werden wir mit Schaden ohne Zweifel unterliegen.
Jedoch gar oft ersetzt durch Geist ein kleiner Mann, was ihm an Länge fehlt, und drum so wollen wirs mit List versuchen, ob vielleicht, indem mit Masken und mit falschen Worten wir das Volk betören, wir die Kinder mühelos gewinnen.»
Doch heftig schrieen alle wider ihn: «Nach einem Irrlicht weisest du! denn siehe, unsre Listen sind vom allzuhäufigen Gebrauch verbraucht, und unsre Masken sind entlarvt, und über alle diesem wohnen auf dem Markte hochgebildete Athener, die da täglich an den Taten unsrer Väter jeglichem beweisen unsre große Falschheit.»
Und von dem heftigen Geschrei erschreckt, verstummte jetzt der Mann und schämte sich – und während er sich also schämte, rollte eine Schüssel auf den Boden aus desselben Dieners Händen.
Und über dem begann und redete und sprach der Behemoth mit endlichem Beschließen:
«Ihr lieben Freunde! Dank für euren Rat! und dieses hab ich nun von euch gelernt, wie ichs auch selbst von Anbeginn vermutet: Eitel Täuschung ist der schöne Schein, und auch Gefahr besteht in diesem Wahn, und wenn wir ihm vertrauen, werden wir es büßen mit des Reiches großem Schaden.
Und drum so wollen wir verbannen jeglichen Gedanken dieser Art und ferner nicht gestatten diesen Gegenstand in unserm traulichen Gespräch, damit wir besser uns beschäftigen mit Festeslust und Sang und Trank und heitern Reden.»
Und jene folgten dem Befehl, und über kurzem war vergessen aller Ernst, und munter flogen hin und her die zugespitzten Worte.
Und also bis zum späten Abend währte ungetrübt das frohe Mahl, doch als nun endlich sich erhob die kleine Schar und einzig blieb der Wirt zurück, und still und leer erschien das Schloß und auch das Hausgesinde lehnte schlummernd in den Ecken,
Da heischte jetzt der König jenen Diener, daß er ihn bestrafe.
Und zog ihn in sein eigenes Gemach und schloß die Türen samt den Fenstern, redete und sprach zu ihm mit ungewohnter Strenge:
«Wohlan nun melde ohne weiteres die ganze Wahrheit!»
Und jener fiel auf seine Knie, erwiderte und stammelte mit vielem Flehen:
«Gestrenger Herr! berechtigt ist dein Zorn, und wahrlich, jeder Strafe bin ich wert, und über alle Maßen ungeschickt benahm ich mich von Händen.»
Doch feindlich funkelte des Königs Blick und drohend hub er an und heischete und sprach mit großer Härte:
«Was soll mir dieser Hohn? und wer verleiht dir diesen Mut, daß du mich täuschen willst mit kindischer Verstellung?
Und nun so stehe eilends auf und melde unverzüglich, wie es sich verhält mit jenem Glase.»
Und jener tat nach dem Gebot und änderte sein Wesen, stellte sich getrost vor seinen Herrn und flüsterte und sprach mit vieler Schlauheit:
«Es ist geschehn vor dieser Zeit, so war ich Diener in dem Menschenland und habe vielerlei gehört und mancherlei gesehen.
Und eines Tages, da ich mich zur Stadt begab nach meines gnädgen Herren Auftrag, kam von ungefähr der König meines Wegs – und eifrig häufte sich um ihn das Volk, damit nach seiner Art es ihn begrüße und beschreie.
Und also tat auch ich und schrie und jauchzete und labte mich an Epimetheus' edlem Wuchs, an seiner männlichen Gestalt, an seinem ernsten Angesicht, da zog er eben durch die Hallen dicht an mir vorbei – und siehe, hohl und dumpf erklang sein Schritt, wie wenn ein ehern Bild gefüllt mit großer Leere.
Und außer mir vor heftgem Mitleid folgt ich seiner Spur, und als er nunmehr war gekommen vor dem Tore zu dem schattgen Erlenbusch am kühlen Flusse, legt er sich zu schlafen von des Mittags großer Hitze.
Und wie ich nun gefällig bin von Eigenschaft und immerfort bereit zu dienen meinem Nächsten, stellt ich mich an seine Seite, daß ich wehrete den Fliegen und den Mücken, die da scharenweise schwärmten um sein Antlitz.
Und also tat ich eine lange Zeit, und als nun tief und ruhig ward sein Schlaf ob meinem unablässigen Bemühn, da öffnet er den Mund, und siehe, aus dem offnen Munde flogen viele Bienen, welche tanzend über seinem Haupte flüsterten und summten in vereintem Chor den wehmutvollen Reigen:
«So ist denn niemand, der sich mein erbarmt und täuschet mich? und hat umsonst mich Gott so gar gerad und tugendhaft gemacht? und ist denn in der weiten Welt kein Herz, das meiner sich erbarmt und mich betrüget?»
Und es geschah, ob dieser Botschaft ward der König tief erregt und sank auf einen Stuhl, damit er sich erhole von der gar gewaltigen Bewegung.
Und über eine Weile faßt er Mut, begann und frug mit Freundlichkeit nach seines Dieners Namen.
Und als nun jener sprach «Leviathan», da fuhr er fort:
«Fürwahr ein schöner Name. Aber melde jetzt zum andern Male, wie es sich gestaltet mit der Schüssel bei den hochgebildeten Athenern.»
Und gern willfahrte der. Und also fing er nochmals an, ergänzete und sprach mit Lächeln, weil im voraus er betrachtete mit seinem Geist die frohen Bilder seiner eigenen Erzählung:
«Und später dient ich ebenda als Koch, und also ging ich oft des Morgens nach dem Markt zu kaufen Fleisch und Eier, oder auch ein andres, je nach meiner gnädgen Herrin Amt und Auftrag.
Und da nun dieses war von jeher meine Meinung, daß ein jeder lerne, wo und wie er immer kann, so blieb ich nach vollbrachter Arbeit eine kurze Weile stehen an der Ecke, wo das Menschenvolk sich täglich Weisheit holt aus Gnaden seiner feingespitzten hochgebildeten Athener.
Und also tat ich jedesmal und lernte viel und staunte viel, weil überall auf jedem stumpfen Stein ein spitziger Athener stand, so daß die Weisheit flutete von rechts und links, sowohl von oben als von unten, auch ein jeglicher Athener hielt in seiner Hand ein Zauberlicht, das strahlte rückwärts auf die längst verschwundenen Geschlechter, brach sich alldaselbst und kehrte wiederum zur Gegenwart zurück und schimmerte ein bißchen dann und wann hinüber in die nahe Zukunft.
Und war von solcher wunderbarer Klarheit dieses Licht, so daß darin sich offenbarte jedes kleinste Ding mitsamt dem zarten Samen in ihm selbst und samt dem fein gewobenen Zusammenhang mit seinem Nebending – und es geschah, so oft ich schaute dieses Lichtes Kraft, so schlug ich meine Brust und rief und sprach mit mächtigem Entsetzen:
«Fürwahr! vor solchem Licht, wie mag in Zukunft noch bestehn ein Irrtum!»
Doch siehe, eines Morgens, da ich also wie gewöhnlich an der Ecke stand und vor der gar gewaltigen Bewunderung verkehrte sich in mir mein Herz, da spürt ich ein Lebendiges sich regen zwischen meinen Füßen, schaute hin und siehe, eine dicke Dummheit kroch am Boden, suchte mit Beschämung, wo sie sich verstecke.
Und war von Herzen eine echte Dummheit, grün und gelb mit Schleim und Warzen übermalt, und nie in meinem Leben hatt ich noch gesehen eine solche ausgewachsne Dummheit.
Und außer mir vor übergroßem Ekel, faßt ich sie an einem Fuß und warf sie schaudernd weg, und zielte nicht – und es geschah, weil ich nicht zielte, fiel sie mitten in des Volkes dichtgedrängten Haufen.
Und heftig jammerte mich nun das Tier und reute mich, denn schon in meinem Geiste sah ich es vom allgemeinen Haß zertreten und zerquetscht – da plötzlich ward ein überlautes Jauchzen in dem vielen Volk, wie wenn ein großes Glück sich unerwartet offenbart, und ward ein ehrfurchtvoller Raum um jenes Tier, und also machte sichs in hastger Flucht davon und zog in raschen Sprüngen durch die Gassen nach dem freien Felde; auf dem Felde war ein Loch, da floh das arme Tier hinein, und niemand konnt es finden.
Und über dem, da ward ein Jammern und ein Klagen und ein Stöhnen durch die ganze Stadt, da nahten die Athener mit dem Zauberlicht, und also zogen sie das Tier hervor und hoben es auf ihren Arm und küßten es und herzten es, und von Triumph und Jubel widerhalleten die Berge.»
Und mit zufriednen Mienen hörte Behemoth die sonderbare Mär und nickte dann und wann mit seinem Kopf und lächelte, doch als der andre nun geendet seinen Spruch, da hub er an, versuchete und sprach verstellter Stimme:
«Jedoch was hilft mir alles das, und auch was solls beweisen?»
Und spielend gab der andere zurück: «Beweisen soll es nicht, jedoch vielleicht, so mags belehren.»
Und über dem, da hub der König an zu sinnen über den vernommnen Worten, wog und maß sie mit dem Geist, verglich sie mit der eigenen Erfahrung, prüfte sie mit scharfem Zweifel und mit feindlichen Gedanken, bis er endlich sich erhob und zitternd vor Erregung redete und sprach zu seinem Diener bittenden Begehrens:
«Gewiß: ich glaube dir: es ist ein fein Geschlecht, und drum so werden wir sie täuschen mit den plumpsten Lügen, wenn das eine nur gelingt, daß sie Vertrag und Freundschaft mit uns schließen. Aber dieses nenn ich Schwierigkeit, denn sieh, es waltet von der allzuhäufigen Erfahrung ein gewaltig Vorurteil zuwider unsrem Namen, also daß sie uns verdammen und verachten, samt mißtrauen allem, was da immer kommt von unsrer Seite. Darum fürcht ich, werden wir sie niemals wiederum zu einem Herzensbund bestimmen.»
Und es bestätigte und sprach Leviathan mit heuchlerischen Mienen: «Und auch die Grenzen sind mit Ketten abgesperrt, und Wächter stehn am Zoll, verwehrend einem jeglichen den Eintritt.»
Und über dieser Antwort schritt der König heftgen Schrittes leidenschaftlich auf und nieder, daß, von seinem starken Fuß bewegt, erdröhneten die Wände, aber plötzlich stand er still und nahte feierlichen Angesichts bedeutsam seinem Diener, zog ihn mitten in das Zimmer, faßte seinen Arm, und aufrecht stehend, wichtigen Gebarens redet er zu ihm mit unterdrücktem Ton, doch kräftiger Betonung:
«Wohlan, es soll geschehn, wenn dus mit deinem Rat vermagst und schaffest mir das Menschenvolk zu Freunden, also daß ich sie betrüge, will ich nicht berechnen deinen niedern Stand und will dir schenken Reichtum, Amt und Ehren, samt Astarte, meiner eignen Tochter, gleich wie ich es auch versprochen einem jeden andern. Und drum so melde nunmehr ohne Rückhalt deinen Plan, denn ohne Zweifel hast du alles vorbedacht mit künstlicher Verkettung.»
Und über dem, da wechselte der andre seine Art, und listgen Blickes, siegreich lächelnd, hub er an: «Es wird geschehn, wenn meinem Rate du gehorchst, so wirst du übermorgen sitzen auf des Menschenkönigs Knieen, schauend beide Völker Arm in Arm geschlungen, samt die Menschentöchter schaukeln von den Händen unsrer jungen Knaben.»
Und da nun jener großen Auges rückwärts trat und holte vor gewaltigem Erstaunen einen tiefen Atem, fuhr er fort, indessen er sich nicht beeilte, laut der Sitte solcher, die ein wichtiges Geschenk entdecken, weil sie gerne steigern ihres Freundes Ungeduld mit zögernden Gebärden:
«Vor allem zähme deine eifrige Begier und setze dich zu ruhn, denn siehe, länglich ist mein Rat, und ohne welche Langmut wirst du schwerlich ihn ertragen.
Und auch es ist ein dreigespaltner Rat, und nun, damit du nicht verwischest die verschiednen Spalten, will ich drei verschiedne Stühle holen, daß du, folgend meiner Rede, rückest auf den zweiten Stuhl und also fort, so daß, wenn ich geendet, ohne Mühe du nach Form und Farbe scheidest die verschiedenen Gebiete.»
Und also wie er es versprochen, führt ers aus und suchte fleißig aus dem dunklen Zimmer drei verschiedne Stühle, stellte sie ins Mondenlicht, und als der andre sich gesetzt mit leidender Ergebung, hub er endlich an, erzählete und lehrete mit lässiger Verachtung:
Du kennst der Jäger Art, daß sie mit Köder schmücken ihre Fallen, jedem Tier mit jener Speise, die es immer sehr begehrt: dem einen einen Wurm, dem andern Speck und Leber, wieder andern Milch und süßen Honig. Also auch der Mensch, und ist ein Tugendtier, und ohne viele Tugend ist er nimmermehr zu fangen.»
Und es erwiderte und sprach der Behemoth mit Schreien:
«Von Sinnen scheinest du; denn siehe, woher nähmen wir die Tugend, da von Geiz und jedem andern Laster strotzet unsre niedre Seele?»
Und ruhig gab der andre ihm zurück: «Es scheint, du kennest nicht der Tugend Brauch, daß sie nicht fragt nach eines jeden innerem Gehalt und nach dem edlen oder niedrigen Charakter seines Wesens; sondern welcher Mann in seiner Busentasche trägt die richtigen Begriffe, dieser heißt ein guter Mann, und jeden andern heißt man schlecht, es sei nun, daß da Fehler sind in seinem Heimatschein, so daß sich fälschlich reimen ‹haft› und ‹schaft› und ‹muth› und ‹thum› steht ohne h geschrieben, oder sei es, daß er gänzlich keinen Paß besitzt in seiner Mappe. Darum müssen wir vor allem dafür sorgen, daß wir uns von dieser Ware schaffen einen reichen Vorrat.»
Und wieder rief und sprach der Behemot mit Schrecken:
«Jedoch die Grenzen sind gesperrt; und auch von wannen nehmen wir die Mittel?
Denn siehe, über alle Maßen selten ohne Zweifel ist das köstliche Erzeugnis.»
Doch lachend gab Leviathan zurück: «In allen Pinten ist es feil, und wagenweise bieten dirs umsonst am Zoll die ewgen Händler.» Und über eine Weile fuhr er fort: «Und auch das Menschentier ist ein gewissenhaftes Tier und will gefangen sein mit guter Handlung.»
Und wieder hub der andre an zu schrein: «Was meinest du? denn sieh, wir handeln aus Instinkt und Eigennutz, ein jeder für sich selbst und seines Weibes Kinder; aber wenn es hoch kommt, jeder für den gegenseitgen Vorteil.»
Und wieder spottete Leviathan: «Und also tun auch sie. Jedoch es scheint, du hast noch nicht gelernt die Weise des Gewissens, daß es ist ein billiges Gewissen, welches väterlich gestattet den Instinkt und gegenseitgen Eigennutz, doch wenn du handelst mit der rechten Hand, so deute mit der linken nach dem unsichtbaren Vogel auf der allgemeinen Stange; dieses heißt man eine gute Handlung, aber eine Handlung nennt man schlecht, wer dieses unterläßt, es sei nun, daß nach einem andern Ort er deute, oder sei es, daß er gänzlich nicht bewegt den linken Zeigefinger. Darum laß uns einen unsichtbaren Walfisch bauen, daß ein jeglicher aus unserm Volke handelnd danach zeige.»
Doch nicht gefiel dem König dieses Wort, und übellaunig hub er an, erwiderte und sprach mit Murren:
«Jedoch ein Walfisch ist ein unvernünftges Tier, und lächerlich erscheint es, so wir nach ihm deuten.»
Doch unverdrossen hielt der andere Bestand: «Und auch der Vogel ist ein sinnverlassenes Geschöpf und lächerlich an sich, und drum so haben sie mit vieler Weisheit ihn gesetzt auf eine allgemeine Stange, also daß, wenn alle feierlichen Ernstes danach deuten, jeder feierlichen Ernstes nicht mehr lache.
Und also laß uns gleichfalls tun, denn siehe, ohne eine große allgemeine Stange ists kein ernster Walfisch.»
Und über der verständigen Belehrung schwand des Königs Groll, und mit zufriednen Mienen dacht er eine Weile nach, da setzt er wiederum von neuem an, wie wer mit spätem Blick bemerkt in seiner nächsten Nähe ein vergeßnes widriges Ereignis:
«Jedoch, wenn wir den Walfisch unsichtbar gestalten, kann es leicht begegnen, daß man ihn nicht sehe; also nicht begreif ich, wie wir alsdann nach ihm deuten.»
Doch tröstend übernahm Leviathan das Wort: «In allem laß uns folgen unsrer Lehrer Beispiel, welche selbst den unsichtbaren Vogel nicht erblicken, sich begnügend, daß ein jeder ungefähr nach oben weise, aufwärts an der allgemeinen Stange folgend mit dem Zeigefinger.»
Und sprachs und hieß den König sitzen auf den zweiten Stuhl, und über dem begann er wiederum, erklärete und sprach geduldigen Beharrens:
«Und auch so müssen wir die Falle legen an bequemer Stelle, weil ein jedes Tier, wenn es den Köder gänzlich nicht gewahrt, sich nicht gefangen gibt, wie gut auch immer sei sein lobenswerter Wille.
Und drum, nachdem wir morgens alles, wie du es vernommen, zubereitet, wollen übermorgen wir vor Tagesanbruch Schleuderer und Bogenschützen rüsten an die Grenze, welche mit geschickter Hand die richtigen Begriffe jenseits werfen nach der allgemeinen Straße, also daß die Hirten, wenn am frühen Morgen sie die Herde treiben nach den Bergen, leicht dieselben finden können, samt entzückten Herzens unter allem Volk verteilen die willkommne Zeitung.»
Doch fragend fiel der König ein: «Und wird es nicht vielleicht geschehn, daß sie erkennen ihre eigenen Begriffe, sprechend: «Dieses ist gekaufte Ware, und die viele Tugend ist geliehen?»
Doch unentmutigt widerstand Leviathan: «Es ist das Menschentier ein eitles Tier, von jenen, deren Köder man bestreicht mit ihrer eignen Losung.
Und drum, damit sie vielmehr ja erkennen ihre selbstgeschaffne Ware, wollen wir im Gegenteil die Marke nicht versehren, samt den Zettel fleißig schonen, der da meldet jeglichen Begriffes Zahl und heimatlichen Ursprung.»
Und als der König nunmehr nickte mit befriedigtem Verständnis, nahm er wieder auf die unterbrochene Erzählung:
«Und dieses also müssen wir vor Tagesanbruch bei der Dämmerung vollbringen, daß dem Menschenvolk verbleibe eine kleine Frist, darin es sich an uns gewöhne, preisend unsre junge, zarte, neugeborne Tugend. Aber wenn die Sonne höher steht am Himmel, laß uns unter großem Lärm die Stange mit dem Walfisch pflanzen oben auf dem Wiesenhügel an des Landes Mark, damit er leuchte über die entfernten Täler, lockend das gesamte Menschenvolk mit seinem wunderbaren Scheine.»
Doch mit bedenklichen Gebärden hub der König an zu zweifeln: «Indessen wenn wir diese Stange allzuhoch errichten, müssen wir befürchten, daß der Vogel auf dem Markt erblickt den Walfisch in der Ferne, also daß er großen Ärgers sich erbost und feindlich sträubet sein Gefieder.
Denn sieh, ein Walfisch und ein Vogel sind ein gegensätzlich Tier, und hasset jeder, was der andre sehr begehrt, und wo der eine lebt, da kann der andre nicht gedeihen.»
Doch fröhlich zwinkernd mit den Augen gab Leviathan zurück: «In Irrtum redest du; denn Unvernunft und Torheit sieht sich immer herzlich gern, und stets gestaltet sich vom Widersinn zum Unsinn eine schöne, schlanke, anmutvolle Brücke.
Und drum so laß uns eifrig suchen, was du meinst mit Fleiß zu meiden, also daß der Vogel, wenn er schaut den Walfisch glänzen auf der fernen Höhe, lustig krähend ihn verkündige dem Menschenvolke.»
Und sprachs und schöpfte Ruhe eine kleine Weile; aber als er endlich nunmehr sich erholt und auch der König hatte neulings seinen Sitz vertauscht gemäß der kurzen Weisung seines untergebnen Herrn und Meisters, fuhr er fort:
«Und über alle dem, so muß die Falle klappen; anders wischt sich jedes Tier das Maul und danket nicht und zieht getrost zur Quelle, daß es trinke nach der leckern Mahlzeit.
Und nun du kennst das angenehme Wäldchen hinterm Wiesenhügel? In dem Wäldchen wollen wir uns selbst verbergen, wohl verdeckend unsre Gegenwart, bis daß sie ganz und gar von Sinnen ob dem guten Walfisch. Aber wenn sie nun begonnen außer sich zu gehen, ziehen wir hervor mit unbefangenen Gebärden, singend das beliebte Lied: «Wie war es doch so schöner» samt der zweiten Strophe: «Welche Torheit liegt im tiefen Grunde.»
Und ist ein schönes Lied und stehet im Gesangbuch beider Völker.»
Doch schreiend sprang der König von dem dritten Stuhl: «In Traum und Krankheit redest du; denn ist das nicht dasselbe Lied und nicht dasselbe angenehme Wäldchen, da vor dreißig Jahren unsre Väter sie damit betrogen, samt mit unbefangenen Gebärden sie beschädigten zu ihrem unheilbaren Nachteil?»
Und es erwiderte und sprach Leviathan mit Lächeln:
«Es hat mit vieler Güte Gott der Schöpfer eingerichtet diese Welt und alles vorbedacht mit großer Weisheit.
Denn siehe, weil ein jegliches Geschöpf, wie fromm auch immer bleibe seine übrige Gesinnung, ungern naht zum zweitenmal derselben Schlinge, also daß es zögernd nur den rechten Fuß gewähret jenem, der den linken abgebissen, hat der liebe Gott beschlossen eines jeden Tod, damit sich ewig an den Jungen wiederhole, was die Alten widerstreben zu vollziehn in ihres Herzens eigensinniger Verstockung.
Und manche Tiere freilich lehnen sich dawider auf, und viele Männchen, wenn sie liegen neben ihren Frauen, flüstern ihnen heimlich zu die bittere Erfahrung, also daß die Jungen, die da ungesehen gleich den Engeln lauschen hinterm Vorhang, es vernehmen, samt es wohl verzeichnen in ihr Herz, und wenn nun über eine Zeit nach ihrer irdischen Geburt sie nahen jenem Eisen, wollen sie nicht trauen, blinzeln seitwärts mit verdächtgen Mienen, sprechend: «Hier an diesem Orte ward gezwickt des Vaters Kragen.» Aber also umgekehrt der Mensch, und wenn die Menschenjungen kommen zu des Vaters Schlinge, lächeln sie mit überlegenen Gebärden, fangen an darum zu lehren und zu prophezeien, jeglichem beweisend ihrer Väter Torheit, samt des Eisens innern Bau und heimliches Gelenk – und also prophezeiend sitzen sie geklammert in der bösen Zange. Und drum so wollen wir die Füße nicht in neue Schuhe zwängen, sondern siehe da, die alten Lieder singt ein jeder Mann am besten.»
Und da der andre zweifelte, beschloß er seinen Spruch: «Und auch so lieget keinerlei Gefahr dabei, und wenn es alles ganz und gar mißlingt unmöglichen Geschehns, so ziehen ohne jeden Schaden friedlich wir nach Hause, jeder seinen Nächsten tröstend, sprechend von des Wäldchens angenehmer Luft, und wie so herrlich war vom Wiesenberg die Aussicht.
Und dieses war der letzte Stuhl, und nun erhebe dich befehlend, was du immer magst nach deiner königlichen Willkür.»
Doch jener hörte nicht auf sein Gebot, und mit gestemmtem Arm die Hände pressend gegen seine Stirn, beharrt er eine lange Zeit mit stummem Sitzen, bis er endlich brach das Schweigen, fragete und sprach mit zögerndem Bedenken: «Fürwahr, du hast es alles schön und löblich ausersonnen; aber dieses eine fehlt mir noch, daß du mir meldest, wie ich mich benehme wegen Epimetheus' des geraden Königs, weil ich fürchte, wenn er mich von Angesicht zu Angesicht erblickt, so wird ein tiefer Widerwille unbewußt in ihm entstehen, welcher alsogleich vernichtet unsre kunstgerechte, feingesponnene Verschwörung.»
Und es erwiderte und sprach Leviathan: «So will ich viertens einen Schemel holen, denn von Herzen unbedeutender und niedriger verhält sich dieser Einwand.»
Und also wie er es versprochen, führt ers aus, und als der König nun gelagert auf dem niedern Schemel, hub er an:
«Es ist geschehen, während meines Aufenthalts im Menschenlande kannt ich einen ganz geraden Mann in einem Dorf mit rechten Winkeln, welcher vor gewaltger Tugend hart und scharf gelungen war, und niemand wagte sich an ihn, befürchtend das gestrenge Urteil seines lautern, unbestechlichen Charakters. Aber eines Morgens, als die Wächter einen schurkischen Illyrier führten durch die Straße unter seinen Fenstern, faßt ihn plötzlich eine unerklärte heftge Freundschaft, also daß er eilends stürzte durch die Tür und küßt und herzte ihn, und nur mit Hebeln und mit Zangen konnten die erschreckten Wächter ihn entwinden seinen liebedurstgen Armen.
Und also hab ich oftmals später noch gesehn, und darum ohne Zweifel wird ein Herzensbündnis blühen zwischen dir und deinem ganz geraden Nachbarn.»
Und etwas mehr getröstet flehte Behemoth zum andernmal: «Jedoch es bleibet gleichwohl mir vor jenem Mann bestehen eine unbestimmte Angst, und wenn du nicht zuvor mir klar beweisest seine Herzensneigung, werd ich niemals wagen, mich von Angesicht zu Angesicht zu zeigen seinem strengen, lautern Blicke.» Und mit verächtlichen Gebärden gab der andere zurück: «Wohlan, so will ich, singend irgend einen passenden Gesang, ihm erst dein Bildnis überreichen, also daß du, wenn er außer sich vor liebender Begier beginnt nach dir zu seufzen, ohne alle Sorgen mutig nahest seinem stolzen, hohlen Antlitz.»
Und über diesen Worten stand der König auf, und langsam vorwärts rückend, öfters ruhend mit erschöpftem Atem, während kalter Schweiß bedeckte seine Stirn und seine Wangen, hub er endlich an, gebot und sprach mit dumpfer Stimme:
«Wohlan, es sei! und nun so laß uns morgen alles, wie du es gesagt, besorgen.»
Und sprachs und wandte sich und legte sich zu ruhen, während unerwartet schon die Hähne schrien vom nahen Hofe.
Und als am zweiten Morgen nun die Menschen wie gewöhnlich zogen von den Dörfern nach der Stadt zu Markte, ward vernommen viele Neuigkeit, und jeder hatte etwas Wichtiges zu melden.
Und zwar die Hirten, wandelnd zwischen Käs und Butter, fingen als die ersten an, erzähleten und sprachen:
«Es ist geschehen, da wir heut am frühen Morgen unsre Herde trieben nach den Bergen, war verändert ihre Art, und während alle Tage, wenn sie grasten, sie mit ihren Hinterbeinen schauten nach dem Feinde, wandten heute sie sich häuptlings nach der Grenze, weil von drüben naheten die Rinder Behemoths und kamen hastgen Laufes sie zu grüßen und zu küssen mit den breiten, weichen Mäulern.
Und da wir nun, vermutend irgend eine böse Geistesseuche, eilends wandten nach der großen Straße, daß wir schneller förderten nach Hause, sieh, da lagen in den ausgefahrenen Geleisen viele schöne wohlverständige Gedanken, ähnlich den Gedanken, die wir selber streuen über Haus und Hof und Stall und auf den allgemeinen Weg, ein jeder seinem Nächsten zum Geschenk und zur gemütlichen Erbauung.»
Und also sprechend kramten sie aus ihrer Tasche die gefundenen Begriffe.
Und spöttisch zweifelnd folgten alle ihrer Rede, schauten lächelnd hin, doch plötzlich sprangen sie zur Seite, warfen ihre Arme auseinander, schrien und riefen mit gewaltigem Erstaunen:
«In Wahrheit! sind das nicht die richtigen Begriffe? Reimt sich nicht erstaunlich ‹haft› und ‹schaft›? und ist nicht ‹muth› und ‹thum› mit h geschrieben?»
Und auf die Schultern werfend ihre Hasen huben an und lehreten die Jäger:
«Und ähnlich, da wir heute jagten in den Wäldern, tauschten unsre Hunde ihr gesamtes Wesen und Betragen.
Denn alle andern Male, wenn sie bollen hinter einem Wilde, schloffen hinterlistig unsres Feindes Hunde durch die Dornen, bissen sich mit unsren Hunden, bis sie schaueten das Reh in Sicherheit, und über dem, da strichen höhnisch sie von dannen. Aber heute scheuchten sie von selber einen Hirsch in unsere Gehege, kamen alsodann herbei und jagten in vertraulichem Verein, bis daß verendete der Hirsch – und über dem, da zogen sie bescheiden sich zurück, verschmähend ihren wohlverdienten Lohn und die geliebte Speise.
Und außer uns vor fröhlichem Verwundern dankten wir mit Hand und Mund: und siehe da, ein jeder trug ein Halsband von Begriffen, also auch der tote Hirsch gewunden um die krummen Hörner.»
Und also sprechend reichten sie aus ihrem Ranzen einiges hervor: und siehe, richtig war es alles ganz und gar und völlig ähnlich den Begriffen, die da büschelweise hangen um die allgemeine Stange.
Und wie die Hirten und die Jäger meldeten die Zöllner und die Bauern samt den Frauen und den Kindern und dem andern vielen Volk, und siehe, immer war es wohlgereimt und tugendhaft und -schaft, und ‹muth› und ‹thum› mit h geschrieben.
Es wohnten aber damals in den Dörfern auf dem Lande Kolonisten der Athener, welche zwar mit kleinern Zauberlichtern leuchteten den braunern Leuten, aber immerhin mit weiser Lehre sie gewöhnten zu begründen jegliches Ereignis.
Und also wollten sie sich nicht begnügen mit der kindlichen Erzählung, mochten gerne sie betrachten und begreifen, dehnten sie und streckten sie, begannen, lehreten und sprachen von des Feindes Sitten samt der andern Weise, wie sie jegliches daselbst bereiten.
Und es beschloß und redete und sprach der eine:
«Und siehe, über alle dem, so ists ein kleiner Unterschied, und viele Gleichheit wohnt daselbst im Hintergrunde.»
Und es bestätigte und sprach ein andrer:
«Und auch wofern ich völlig darf verkünden meine wahre Meinung, ist das Bessere verteilt auf beiden Seiten, also daß sich gegenüberstehen Gut und Schlecht im Zickzack, gleich dem Schachbrett, da sich dennoch stets ergibt dieselbe schwarz und weiße Summe.»
Und also traulich miteinander redend wallten sie in Eintracht nach der Stadt und zu dem stolzen Tore in der finstern Mauer.
Es liebten aber damals alle Menschenväter, wenn am späten Morgen sie die Glieder hoben von dem keuschen, ehelichen Lager, daß man ihnen melde jegliches Ereignis, das sich außerhalb der Stadt begeben in den Bergen oder Wäldern, also daß sie täglich Boten schickten vor die Tore, welche von den Hirten und den Jägern kauften die entlegnen neugeborenen Geschichten.
Und ähnlich diesen Tag, und als nun die bestellten Boten kaum erblickten die gewichtgen, inhaltschweren Mienen, liefen um die Wette sie herbei, umdrängten das erstaunte Volk, erhandelten um Gold und Silber die ersehnte Zeitung.
Und wenn nun überall die Väter ihre Kinder sammelten zum Frühgebet und sahen die Begriffe samt der wundersamen Botschaft hegen neben ihren Tassen, huben sie mit wichtigen Gebärden an zu schweigen, bis nach einer Weile gnädig sie vergönnten ihre Stimme, samt es alles klein und fein erklärten ihrem andachtvollen lernbegiergen Weibe. Doch hinter ihren Semmeln lungerten die reinen Kinder, strichen mit den Ärmeln durch die weiße Butter, forderten und heischten unbescheidenen Verlangens:
«Jedoch wer ist der Behemoth? und was ist seine Art? und ists ein Guter oder ists ein Böser?»
Und als die Mutter kurzen Wortes strafend sie belehrte, redend von des Feindeskönigs altbekannter List und hergestammter Bosheit, lächelte der Vater überlegnen Mundes, prophezeiete und sprach zu seinem Weib mit milder, väterlicher Weisheit:
«Von alten modrigen Geschichten redest du, und alles dieses hat sich längst verkehrt zu seinem eignen Gegenteil gewendet.»
Und sprachs und macht ihr alles klar von Anbeginn, beschrieb des Feindes Eigenart und merkenswürdige Gebräuche samt der eigenen Väter kindlich liebenswürdge Torheit, wie sie dieses nicht begreifen konnten, weil sie jenes nicht verstanden.
Und geizlos mit verschwenderischer Gnade übt er die Belehrung, weil er selber sehr erstaunte ob dem ungeahnten Reichtum seiner langverborgnen aufgesparten Weisheit.
Und lange hätt er also noch gesprochen, nicht beachtend seines Weibes Ungeduld, damit sie öfters seitwärts schielte nach der Köchin, welche eifrig winkend mit geschäftgen Mienen hin- und herwärts rückte vor der halbgeschloßnen Tür – da plötzlich tönten die Posaunen von dem nahen Turm, und alle Glocken wurden laut, und von der Straße rauscht ein brausendes Getös von ungezählten Stimmen und von hastgen harten Tritten.
Und außer sich vor froher Wißbegierde stürzten sämtlich sie zum Fenster, aber wie sie auch mit Lauschen und mit Fragen sich zermühten, konnten sie ob dem verworrnen Jubel nicht vernehmen eine klare Zeitung, bis nach einer Zeit sich öffnete die Tür und trat herein der Nachbarvater, welcher keuchend mit verstörten Mienen rief und sprach die vorwurfsvollen Worte:
«Wohlan! was säumet ihr? und wollt ihr einzig euch zu Hause halten, während alles Volk sich sammelt auf dem Markt zum festgemäßen Zuge?»
Und als nun jene flehend ihn umringten, fuhr er fort und meldete und sprach mit hocherhobnem Ton die wunderbare Nachricht:
«Es thront ein unsichtbarer heilger Walfisch leuchtend auf dem. Hügel an des Landes Mark, und krähend hat der allgemeine Vogel ihn begrüßt, und nun so wollen sie den Vogel tragen an die Grenze, daß daselbst in nächster Nähe er genieße seinen anverwandten Freund und trauten Bruder seines Amtes.»
Und während er noch sprach, so krähte schon der Vogel in der Nebengasse, während donnernd gleich der sturmbewegten See erscholl von Jauchzen und Trompeten ein gewaltger Schwall, und über dem vertauschten sie in sinnverlaßner Eile ihre Hüte, stürzten sich in atemlosen Sprüngen am Geländer abwärts nach dem dunklen Gang und von dem dunklen Gange heftig drängend nach der grellen Straße.
Und als sie kamen vor des Hauses Pforte, stand das dichtgescharte Volk auf beiden Ufern, während prächtgen Zuges in des Weges Mitte naheten die Zünfte, majestätisch tretend, jegliche mit ihrer schöngestickten Fahne, samt den buntgemalten Weibeln und den Pfeifern und Trompetern an der Spitze, alle aber sieggekränzt und auf den Hüten steckend ihre zunftgemäßen richtigen Begriffe.
Und sanft belebt, das Auge feucht vor selger Freude, lehnte sich das holde Weib an ihres Mannes Seite, hin und wieder fragend nach dem Namen, wenn von Zeit zu Zeit ein lockenbärtger Jüngling leichtern Schrittes tänzelte einher – doch als der Vogel selber nun erschien, getragen von der Gilde der Athener, weißgeschmückte Mädchen ringsherum und hinterdar die Feuerwächter, ward von allen Dächern ein gewaltiges Geschrei, und von den Fenstern flog ein tausendfältger Gruß von Jubel und von Blumen und von bunten Bändern.
Und also zogen sie hinaus, und es geschah, je weiter war der Weg, je länger wuchs die festgestimmte, selbstzufriedene Gesellschaft.
Und als sie nunmehr kamen an des Landes Grenze, pflanzten sie den Vogel gegenüber seinem Bruder, bauten unter seinem Schatten einen Thron, damit sie alle gegenseitig sich belehrten kraft der Menschen hergebrachtem Brauch und Sitte.
Und einer um den andern stiegen sie hinauf und huben an zu prophezeien von des Walfischs Art und seiner großen Tugend samt der Barten fein verstecktem Sinn – und es geschah, weil jeder, wenn er mit dem Mund und mit der Rechten prophezeite, mit der linken Hand umfing die allgemeine Stange, auch die andern, wenn sie hörten, sich berührten mit den Fingerbeeren, hörten alle mit zufriednen Mienen, was sie selber dachten, während jeder gerne prophezeite, was die andern mit zufriednen Mienen hörten. Und also ward ein gegenseitger Beifall hin und her, und wurden nimmer müde, weil ein jeder, wenn er selber gerne hörte mit zufriednen Mienen, wartete des Augenblickes, da er selber gerne prophezeite.
Und da nun viele Zünfte waren in dem Menschenvolk und jede Zunft vereinte vielmal hundert Väter, ungezählt die Pfeifer und Trompeter und die Weibel und die Feuerwächter, hätten lange sie das frohe Spiel geübt – da regte sichs im angenehmen Wäldchen, kamen durch den Klee des Wegs daher die Zünfte Behemoths mit Trommeln und mit Fahnen und mit unbefangenen Gebärden.
Und eine Weile schwankte zwar das Menschenvolk, und viele machten sich bereit zu fliehen, aber in der Zunft der Bäcker war ein junger Müller, weiß von Haar und rot von Wangen, welcher Müller hatte eine große Stimme; dieser schwang sich auf den Thron, und mit der Linken greifend nach der Stange, hub er an und rief und sprach mit frischem, keckem Mute:
«Ihr lieben Brüder, was beginnet ihr? und sind das nicht dieselben Männer, die uns schenkten die geziemlichen Begriffe samt dem guten Walfisch, unsres Herzens Lust und Wonne?»
Und sei es ob der Stange, sei es weil sie spürten seiner Rede Wahrheit, billigten die übrigen das Wort und warteten begierig und erstaunt der Ankunft.
Inzwischen rückten jene stetig und gemessen vor, und als sie nun gelangten zu des Hügels Mitte, ließen sie die Trommeln schweigen, lösten künstlich ihre zunftgerechten Reihen, daß nach hellen und nach dunklen Stimmen sie sich sammelten in zwei getrennte Haufen, welche mit geschickter Wendung sich betrachteten von Angesicht zu Angesicht, und über dem, da holten sie die Bücher aus der Tasche, suchten eine Weile leise tastend mit der Kehle, bis nach einer Zeit, nachdem sie gegenseitig sich verständigt, sie mit ernstem Blick gemeinsam öffneten den Mund und huben an mit vieler Macht zu singen das geliebte Lied: «Wie war es so viel schöner» samt der zweiten Strophe: «Welche Torheit liegt im tiefen Grunde».
Und aufmerksamen Ohres lauschte das gesangverständge Menschenvolk, und während jene sangen, flüsterten und sprachen sie ein jeder zu dem andern: «Ist das nicht ein Lied aus unserm Buch, und steht es nicht geschrieben Nummer dreiunddreißig?» Aber weh! da hatten sie vergessen ihre Bücher, bis sie endlich, gegenseitig sich ermutigend, beschlossen, daß sie wiederholten den Gesang mit leeren Händen, einzig sich verlassend auf ihr redliches Gedächtnis.
Und also, wie sie es beschlossen, taten sie, und als die andern nun geendet, lösten gleichfalls sie die Zünfte, huben mutig an und gaben ihnen sicher jedes einzelne zurück mitsamt dem zweiten Vers: «Im saftgen Wiesengrunde seh ich liegen eine dicke Torheit».
Und lauter Beifall lohnte ihrer mutgen Tat, und wie nun dieses ist der Sänger Sitte, daß sie immer gerne selber singen, während sie sich gegenseitig loben mit zufriednen Mienen, munterten von hüben und von drüben sie einander auf und wußten immerfort ein neues Lied – und weil die Menschensänger nicht besaßen ihre Bücher, überreichten ihnen jene ihre eignen mit verbindlichen Gebärden.
Doch über eine lange Zeit des wechselseitigen Gesanges wollten sie versuchen einen allgemeinen Doppelchor von beiden Völkern, rückten ihre hell- und dunklen Stimmen aneinander, stellten ihre beiderseitigen Athener in die Mitte, daß sie mit erhobnen Zeigefingern leiteten die ungeheure Menge, huben an und prophezeieten und sangen übereingestimmten Mundes:
«Wenn Feinde Freunde werden, wo sind dann die Feinde?»
Und war ein Kanon dieses Lied, und künstlich wechselte das Feind und Freund, und welchen Takt mit leisem Ruf ein einzelner begann, den wiederholte die gewaltge Schar in brausenden Akkorden.
Und später wiederum verlangten sie ein Einzellied – doch siehe, alle wichen ängstlich jetzt zurück und sahen mit beschämten Blicken auf den Boden, sanft errötend gleich der hochbeglückten Braut, bedrängt von des geliebten Mannes süßem heimlichen Geflüster.
Und als nun gänzlich niemand trat hervor und eine schwere bange Stille herrschte durch die unermeßliche Versammlung, siehe da erschien Leviathan, und mit ergebnen Mienen, um Verzeihung flehend mit den angsterfüllten Taubenaugen, gleich dem Opfer, das sich selber führet zum Altar, den übrigen zur Sühne und Erlösung – also schob er sich herbei, und etwas mehr ermutigt von dem allgemeinen Jubel, da sie dankend ihn damit begrüßten, hub er an, begann und lehrete und sang mit klarer, heller Stimme, etwas zitternd erst, doch bald mit sichrer, kunstverständiger Betonung:
«Und nun so wollen wir vergessen jeglichen vergangnen Streit, und wehe jenem, der sich unterfängt und will Verdacht und Zwietracht streuen unter unsrer neugebornen zwillingsschwesterlichen Freundschaft.»
Und also prächtig war des Mannes heller Ton und also weich umhüllt, und gar so schmeichelnd drang er jeglichem zum Herzen, daß da nimmer enden wollte der entzückte Dank und flüsternd drängten sich herbei der Menschen junge Fraun und Mädchen, schätzend seinen Wuchs, beratend seine Jahreszahl, und ob ein liebend Weib ihm wohne neben seiner Seite oder ob vielleicht er einsam traurig wandle seinen Lebenspfad – und alle heischten sie ein zweites Lied mit stürmischen, gebieterischen Bitten.
Und jener wehrte sich und sträubte sich, doch als er endlich nun gezwungen nochmals trat hervor, da hub er an und redete und sprach mit wichtigen Gebärden:
«Ihr lieben Menschen, was begehret ihr? und ist nicht selbst in eurem Volk ein Sänger, welcher besser, als ich selber es vermag, versteht die hohen und die tiefen Töne, samt dem zarten Wachsen und Ersterben, das da heißt des Sängers höchste Kunst und Tugend?»
Und also sprechend wies er sichern Fingers auf den Hauptmann der Athener, welcher, jähen Schreckens sich entsetzend, rückwärts sprang, bis daß er endlich, weichend seines Gegners hartem Willen, da er immerfort erbarmungslos beharrte über seinem strengen Urteil, heftig jammernd sich entschloß, begann und sang mit tiefer, hohler Stimme:
«Und siehe, sind nicht unsre beiden Völker eines auf das andre angewiesen?»
Und schwach und fälschlich klang des Hauptmanns Ton, und da er übrigens vor Alter grau erschien und auch ein liebend Weib mit fünfzehn Kindern wohnte neben seiner Seite, wandten sich die Menschenmädchen von ihm ab mit widerwärtgen Mienen, während geizger Beifall nur belohnte seine opferfreudge Müh – doch plötzlich stürzte jetzt Leviathan herbei, und taumelnd, schreiend, lallend vor gewaltigem Entzücken fing er ihn in seine Arme, überdeckt ihm das Gesicht mit lauten Küssen, weil von beiden Seiten jubelten und klatschten die gerührten Völker.
Und es geschah, seit diesem Augenblick erfaßte den Athenerhauptmann eine schrankenlose Liebe, also daß, wo irgend ging und saß und lag Leviathan, er ihn verfolgte, samt ihm schmeichelte mit Hand und Mund und weichen süßen Blicken.
Es hatten aber damals alle Einzelsänger in den beiden Völkern diesen selben Brauch, daß, wer da gerne selber singen wollte mit zufriednen Mienen, der versteckte sich in ein Gebüsch, und allda furchtsam zitternd mit den Schultern, aber mit den Füßen trippelnd vor gewaltger Herzensnot und drängender Begierde, schaut er bald von rechts und bald von links hervor, bis daß da ängstlich suchend nahten die besorgten Eltern und Verwandten, riefen immerwährend seinen Namen, holten ihn herbei und schleppten ihn in ihre Mitte, nicht beachtend sein verzweifeltes Geschrei und seiner Arme heftges Sträuben. Aber einmal angekommen in der Mitte, wollt er, singend mit zufriednen Mienen, nicht mehr weichen, also daß zu seiner Zeit am späten Abend ihn von hinten stießen die betrübten Freunde.
Und also diesen Tag, und hinter jedem Busche stak ein notbedrängter Mann, und emsig ging Leviathan herum und rettete sie einzeln in die Mitte, aber über eine Weile führt er wieder sie hinweg mit tröstendem Ermahnen.
Doch wie er auch sich immer emsig mühte, niemals leerten sich die Büsche.
Und lange hätten sie sich noch versteckt, da schlug es Mittag an der Weltenuhr und klingelten die Diener in des Äthers blauem Schloß, und eilends wandte sich die Sonne von der heißen Straße seitwärts zwischen hohen buschigen Platanen nach dem gastlichen Gebäude, wo der adelige Wirt am Tore wartend sie empfing und sie geleitete mit untertänigen Gebärden durch den Garten nach dem sommerlichen Blumensaale, weil die vielen Diener sich bemühten um die edlen Rosse, lösten sie, bedeckten sie und führten sorglich eine kleine Stunde sie im schattgen Hof umher, bis daß sich mäßigte ihr aufgeregtes Blut – und über dem, so lenkten sie zum wohlversorgten Stall und von dem wohlversorgten Stalle nach dem klaren Brunnen. Und ihrem Beispiel folgte jegliches Geschöpf auf Erden, knüpfte sich das Tischtuch um die Schultern, sprach das Dankgebet und setzte fröhlich sich zur Mahlzeit.
Doch auf dem Wiesenberg die beiden Völker sahen traurig sich einander an, begannen, redeten und sprachen:
«Und nun so sollten wir verlassen unsern herzlichen Verein, und über unser aller Geist geböte eines jeden Magen?»
Es waren aber dazumal die Menschenfrauen beides, häuslich und gelehrt, und hatten jegliche die Seele ordentlich geteilt in zwei getrennte Schäfte; in dem obern Schafte hielten sie die richtigen Begriffe, samt des unsichtbaren Vogels goldumrahmtes Bildnis, aber in dem untern lagen die Bestecke samt den Linnen und dem andern allem, was da immer nur gehört zu eines Menschen Hausrat.
Und viele Frauen zwar vermochten zu dem obern Schrein den Schlüssel nicht zu finden, andre umgekehrt verzettelten die Linnen und die irdenen Geschirre, aber von den besten wußte jegliche an beiden Orten Rat, und je nach eines Augenblicks Bedürfnis fanden immer sie Bescheid und Auskunft.
Und also auch die Frau des Hauptmanns der Athener, welcher immerdar das rechte Wort zur rechten Zeit gedieh, und also hub sie an und rief und sprach mit fröhlichem Ermahnen:
«Wohlan, ihr lieben Freunde, warum trauert ihr? und sind wir nicht zur Stelle, daß wir ähnlich wie zu Hause jeglichem bereiten seine Leckerspeise?
Und drum: zerstreuet euch und holet eilends aus den Dörfern und den Weilern, was ihr immer findet, während wir indessen hier besorgen das Zerrupfen und Zerschneiden und das Sieden und das Schmoren und das Braten.»
Und lauter Jubel grüßte den verständgen Rat, und also eilten sie in aufgelösten Scharen nach den Dörfern, mühten sich im Wettstreit jeder für das allgemeine Beste.
Und wie nun jedes echte Glück bereitet ist aus Bienen- und Ameisensaft und nur in Fleiß und Tätigkeit gedeiht ein seelisches Behagen, leuchteten die vielen Augen, lächelte ein jeder Mund, und war in alle dem kein Unterschied und keine Grenze, sondern hin- und herwärts übersprang und unterschlüpfte man die Ketten an des Landes Mark, und in gemischten Gruppen unterstützten und ergänzten sich die bunten Paare, je nachdem ein jeder besser es verstand zu unterhandeln mit den Dorf- und Wald- und Wiesenbauern.
Und damals ward gesehn, wie öfters eines schlichten Mannes klarer Geist besiegt der Weisesten Gelehrsamkeit und wie ein jeder Leib bedarf des Hauptes nicht allein und hat vonnöten untre Glieder.
Denn siehe, zwar die Fleischer und die Brauer und die andern derben Zünfte wußten rasch das Nötige zu schaffen, brachten unerwartet immer wieder eine gute Neuigkeit, damit sie ernteten der holden Frauen Dank und süßen Beifall, aber die Athener, ob sie auch geschäftig hin- und herwärts liefen, nahten stets mit leeren Händen, oder wenn sich ihrer endlich ein verspätet Glück erbarmte, wars ein Strumpfband oder irgend etwas Ähnliches, damit man gänzlich nichts vermochte zu beginnen.
Und also auch der Hauptmann der Athener, welcher keuchend einen Ziegenhauptmann trug auf seinen Schultern, weil Leviathan an seiner Seite munter tänzelte mit einem blau und rot getupften Fisch – und es geschah seit diesem Augenblicke, wenn Leviathan erschien, errötete die Frau des Hauptmanns der Athener.
Und über eine kurze Zeit der frohen Arbeit war das Essen unvermutet gar, und heller Stimme mahnten jetzt die stolzen, selbstbewußten Fraun zur Mahlzeit.
Doch siehe, vor des Äthers Schloß auf freier Straße stand der Sonnenwagen, sandte widerblitzend von den goldnen Wänden seine Gluten nach der schattenlosen Wiese.
Da huben an und redeten die Leute Behemoths: «Wohlan, ihr lieben Brüder, seid willkommen in dem angenehmen Wäldchen, wenn wir dessen wert erscheinen, daß ihr uns gestattet diese Ehre.»
Und eine kleine Weile schwankte zwar das Menschenvolk, doch weil nun immer glühender der Mittag brannte über ihrem Scheitel, nahmen sie es dankend an, und also kamen sie zu Behemoth zu Gast und lagerten im Schatten auf dem Grase, beide Völker bunt gemischt, die Väter wohlgeborgen in den beiderseitgen Zünften, aber ihre Fraun und Jungen, wie der Zufall oder auch des Herzens unbewußte Neigung sie zusammenspielte.
Und ob auch unvollkommen war das Mahl, verglichen mit den regelmäßigen Begriffen, auch zuweilen fehlte diesem oder jenem das Besteck, so daß die Knaben und die Frauen hie und da benützten einen selben Löffel, waltete ein Segen über alle dem, und was nach täglichem Gebrauch bewirkte jedes Einzelvaters finstres Angesicht und klägliche Gebärden, dies erzielte heute allgemeine Lustigkeit, und besser als Muskat und Zimt verziert ein herzliches Gelächter die bescheidnen, anspruchslosen, unbefangenen Gerichte, während in des frohen Kreises Mitte, wo die Kessel dampften, sich die Frau des Hauptmanns der Athener rührig hin- und herbewegte, nicht beachtend ihren eignen Einzeldurst und -hunger, noch des Mittags und des Feuers Doppelhitze, sondern auf den allgemeinen Magen nur bedacht, indem sie sichern Urteils alles ordnete und lenkte, sei es, daß sie ihren gern gehorchenden Gespielen überreichte die gefüllten Schüsseln, oder daß sie scharfen Blicks durchmusterte die vielen Gäste, samt die Schweigenden ermunterte mit witziger Ermahnung.
Und zwar die erste Zeit, solange noch bestand des Körpers dringendes Bedürfnis, wollte keinerlei Gespräch noch Scherz gelingen, also daß ein jeder sich begnügte an der Seele und des Leibes eigenem Behagen, hin und wieder seufzend mit erleichterten Gefühlen oder kurzen Ausrufs sich entzückend ob des angenehmen Wäldchens kühler Luft – doch als nach einer Weile sich besänftigte der unbescheidne Leib, begann der allgemeine Geist zu recken seine Glieder, redete und sprach aus eines jeden Munde die gewohnten, stets willkommenen Gedanken.
Und anfangs ward es bei den Jungen laut, und wo die Knaben saßen, tönte von den Fraun ein sittiges Gelächter.
Und beider Völker Jugend freilich saß gemischt, doch keine Zwietracht tat sich irgend auf, denn es geschah, durch eines seltnen Glückes Willkür fanden alle Knaben mehr Gefallen an den anderseitgen Fräulein, also daß die Menschenknaben sich entzückten an der braunen Farbe, während umgekehrt die Jungen Behemoths bewunderten der Menschenweiber blondes, tugendhaftes Antlitz.
Und etwas später folgten die bedächtgen väterlichen Gilden, aber ernster und gewichtiger gerieten ihre Reden.
Und sprachen von den Dingen, die da wachsen auf den offnen Plätzen, holten aus den Bilderbüchern die vergangenen Geschichten, maßen dieses Tages heilge Kraft und ewige Bedeutung, ratend hin- und herwärts in der nahen und der fernen Zukunft, aber sei es Laune, sei es, daß ein scharfer Gegensatz sie reizte, immer war es ihre höchste Lust, daß sie mit ihrem Geist verweilten über ihrer jüngstvergangnen Feindschaft.
Und also klopften Behemoths getreue Mannen ihren Nachbarn freundlich auf die Schenkel, kneiften ihren Arm und schmunzelten und sprachen:
«Fürwahr, ein wackres Bein, ein fester Arm, und wehe jenem, der es jemals muß erfahren.»
Und umgekehrt die Menschenmänner zogen ihnen ihre Schwerter aus der Scheide, prüften die gespitzte Klinge, flüsterten und sprachen mit vergnügtem Grausen:
«Fürwahr, ein gutes Schwert, und unsre Väter könnten wohl davon erzählen.»
Doch bei der Gilde der Athener saß Leviathan, gewann sich jedes Herz durch seines Geistes Anmut.
Und wußt in Scherz und Ernst Bescheid und übt in ähnlicher Vollendung beide Künste, so das Reden als das Schweigen, also daß er lauschte mit erstaunten Mienen, wenn sein Nachbar ihm erklärte seines Letztgebornen Fähigkeit und sonderbare Eigenart, doch wenn es wiederum zu sprechen galt, entflossen seinem Munde unversieglich die ergötzlichen Geschichten.
Aber als nach einer Weile nahte die bedeutungsvolle Stunde, wo ein jeder Mensch verlangt, daß man ihm laut beweise seine Mahlzeit, stand er auf, und während alle achtungsvoll verstummten, hub er an und redete und sprach mit starker Stimme, daß das Echo schrie vom dunklen Walde:
«Ihr edlen Brüder alle, samt ihr trauten Schwestern, wohl bekommt uns dieses Mahl, und herrlich ist die Hochzeit, die wir heute feiern.
Jedoch, so glaub ich, ist es späte Zeit, daß wir gedenken jener, die das alles hat erdacht und hat sich selbst um uns geopfert, nicht beachtend ihre eigne Einzelheit gemäß dem edlen Wesen ihrer reinen, weißen Seele.»
Und also sprechend schritt er feierlichen Schrittes zu der Frau des Hauptmanns der Athener, nahm sie untern Arm und führte sie an seinen Platz, begleitet von der beiden Völker jubelndem Frohlocken.
Und stummen Mundes dankte jene mit den Augen, laut der Menschenfrauen Brauch und Sitte. Aber jetzt begann der Hauptmann selbst sich zu erheben, schaute wichtgen Blickes in die Runde, bis er endlich großen Ernstes prophezeiend redete und sprach die inhaltschweren Worte:
«Und nun gemäß der Vollmacht meines Amtes, da ihr mich damit betraut, ernenn ich unsern allgemeinen, wohlverdienten Freund Leviathan zum Ehrenhauptmann der Athener, ähnlich meiner Ehre, samt mit jeglicher Befugnis, die damit verbunden.»
Und endlos scholl der Beifall aus der großen Schar, und also löst er seinen hohen Hut und alle andern Zeichen seines Amtes, überreicht es alles seinem Freund mit königlicher Huld und Gnade, welcher vor gewaltger Überraschung nicht vermochte irgend einen Dank zu stammeln, sondern bleichen Angesichtes sich verneigte, einzig das gewährend, daß von Zeit zu Zeit sein Auge weinte von des Herzens übermächtiger Bewegung.
Und wie nun stets das gute Beispiel ist ein kräftger Same, welcher üppig wuchert, wenn er fällt auf gleichgestimmten Grund und Boden, machten sich die Völker hin und her zu Ehrenvölkern, Zunft mit Zunft getauscht, so daß die Weber aus dem Menschenvolke hießen Ehrenweber Behemoths, und ebenso die Fischer Behemoths erhöhten sich zu Ehrenfischern in der Menschen Mund, und keiner war auf Erden so gering, er wollte heute seinen Nachbar ehren.
Und also unter muntern Spielen und verständgen Reden legten sie das Mahl zu Grab, und schon gerieten ungeduldiger die Knaben und die jungen Frauen, also daß sie jetzt zum voraus stritten um die nahen Ringelreigen, weil die Mädchen Behemoths verlangten ‹Wie gefällt euch euer Nachbar›, während umgekehrt die Menschen lieber wollten spielen ‹Blinder Krebs›, und von den Übermütigen verließen wenge Paare schon das Lager, schlichen durch die Büsche nach den Ketten an der Grenze, wo die junge Unschuld nunmehr schaukelte, gestoßen von den Händen ihrer beiderseitgen Knaben:
Da trat mit steifem Angesicht ein Diener zu Leviathan, und kurzen Grußes einen Schemel ihm zu Füßen stellend, hub er an und sprach die abgestoßnen Worte: «Also meldet dir der König, unser Herr und Meister: «Diesen Schemel hast du wohl vergessen.»
Und hölzern, mit verkehrten Augen, gab Leviathan zurück: «Dem guten König Dank, und diese selbe Stunde will ich ihn gebrauchen.»
Und sprachs und nahm den Schemel hinter seine Beine, bückte sich und setzte sich und schob die Glieder mit Behagen.
Doch über eine kleine Weile stand er auf, und auf dem Schemel fußend, während ihn zu beiden Seiten unterstützten die Athener, öffnet er den Mund – und also herzlich war er schon von allem Volk geachtet und geliebt, daß tausendstimmger Beifall ihn belobte, eh er irgend noch ein Wort geredet –:
«Ihr lieben Schwestern, meine trauten Brüder! Fest und Mahlzeit ist ein köstlich Ding; jedoch das Erdenleben selber ist ein ernst Geschäft, und wie nun dieses ist das Merkmal eines weisen Mannes, daß am Mittag er der Nacht gedenkt, und wenn es Sommer ist, des Winters, wollen wir an diesem heilgen Tage nicht nach unvernünftger Tiere Brauch und Sitte eitel uns betören mit Gesang und Speis und Trank und frohen Reden, sondern welche Wehmut liegt im schattgen Hintergrunde, laßt uns nicht vergessen.»
Und als nun alle, sei es ob dem bittern Kerne seiner Rede, sei es ob den jämmerlichen Mienen seiner Stimme, sich zerknirschten, fuhr er fort: «Und auch damit auf alle Zeit vermieden bleibe jede künftge Zwietracht, wollen wir die beiderseitgen Könige entbieten, daß sie, schauend ihrer Völker innigen Verein, erweichen ihren harten Mut und schließen einen Bund und heben von der Grenze die verhaßten Ketten, also daß hinfort kein Hindernis sich dränge zwischen unsre Herzen, sondern freien Schrittes wandle unsre Liebe hin und her, und ewig soll der Vogel wohnen neben seinem Walfisch.»
Und dieses war das Wort, das jeder längst begehrt, und gleich wie wenn ein mächtger Zauberer ein freigebornes Feuer schließt in kleine dunkle Körner, aber grollend stürzt vom Himmel der ergrimmte Bruder, daß, von seiner starken Hand erlöst, die wutentbrannten Flammen rächend stürmen gegen ihre Wächter, also stob das viele Volk von seinen Plätzen, nahten wilden Jubels dem Erlöser, faßten seinen Rock und drückten seine Hand, und kaum vermocht er auf dem Schemel zu bestehen vor dem ungestümen Anprall.
Und ob dem abertausendstimmigen Geschrei, damit sie ihn betäubten, mußt er eine lange Zeit verstummen, einzig nur bedacht auf seines Leibes Rettung, aber endlich setzt er wieder an, und eifrig abwärts winkend mit den Armen, rief und sprach er mit verstärkter Stimme, während jene nicht vermochten gänzlich zu gebieten ihres Mundes aufgeregten Wellen:
«Und auch, damit wir jedem König klar beweisen unsre große Eintracht, samt mit doppeltem Gewicht verstärken unsre Bitte, laßt uns die Gesandtschaft bunt gestalten, also daß aus beiden Völkern man erwähle eine gleiche Zahl der Väter, angeführt von einem umgekehrten Sprecher, nämlich einem Menschensprecher nach dem Hause Behemoths und ebenso zu Epimetheus einen Mann aus unserm Lande.»
Und da nun alle schreiend ihm willfahrten, schloß er ab: «Wohlan, gemäß dem Ehrenamt, damit ihr heute mich belohnt, ernenn ich an die Spitze der Gesandtschaft Behemoths den Hauptmann der Athener – aber ratet nunmehr selber, welchen Mann ihr stellt zum andern Führer.»
Und sprachs und zog sich eilends hinter einen Baum, doch siehe da: er wurde selbst erwählt, und also gürtet er sein Kleid und machte sich von hinnen.
Inzwischen stand der König Epimetheus auf dem Söller seines Schlosses, schaute unterm Schatten der bewegten Fahne sehnend nach dem fernen Horizonte.
Und wie nun stets der weite Raum die Körper aneinanderrückt und eint und bindet sie und formt aus den getrennten Gliedern ein gewaltges Sammelwesen, sichtbar nur den fernen Blicken, sah der König beide Völker in Gestalt von zweien riesenhaften Lämmern, die an einem selben Ölzweig friedlich nagten, weil ein himmelblauer goldbeschwingter Engel sie geleitete an einem rosenfarbnen Band, indes er mit dem andern Arm umschlungen hielt die beiden allgemeinen Stangen, ernsten Blicks nach oben deutend mit dem linken Zeigefinger.
Und dieses war das herrlichste Gemälde, das er jemals noch geschaut, und nie vermocht er sich davon zu trennen, sondern Stund um Stunde rann dahin, doch immer blieb ihm neu der wunderbare Anblick.
Und ihm zur Seite hielt sich sein Gewissen, gönnt ihm unaufhörlich flüsternd seine köstliche Belehrung.
Und alle Tage freilich wars ein karges, einzelsilbiges Gewissen, welches eitel wußte ja und nein, und ehe mans befragte, wollt es schwerlich sprechen, aber heute war es gänzlich außer sich, und aufgeregten Wesens mit beredtem Munde hub es immer wieder an und nötigte und zwängte seinen Herrn mit Bitten und mit Strafen und mit dringendem Ermahnen.
Und lehrte von der Eintracht rosensamtnen Schleife, prophezeite von dem rauhen Zwilch der Zwietracht, sang von neuem immer diesen selben Kehrreim:
«Und nun so kröne, König, deines Volkes Werk! und nimm vereint mit Behemoth die Ketten von der Grenze, die da gänzlich nichts befördern, sondern eitel hindern jede trauliche Gemeinschaft.»
Und es entgegnete und sprach der König mit bedenklichen Gebärden:
«Jedoch, es heißt der Behemoth ein schlimmer Mann, und viele Falschheit steht von ihm geschrieben in den väterlichen Büchern.»
Doch unerschrocken bot es ihm zurück: «Nach Namen frag ich nicht, und Vorurteile andrer sollen mich nicht täuschen, sondern was ein jeder trägt in seinem Busen, dieses darf allein mein Urteil leiten und bestimmen.»
Und also sprechend zeigt es nach den richtigen Begriffen, welche probeweise lagen hingebreitet auf des Königs Stuhl, und blinzelte mit Wehmut nach dem fernen Walfisch.
Und als der andre immerfort bestand in seinem Trotz und hielt ihm öfters dar ein Bilderbuch, darin man schaute die vergangenen Geschichten, zog es schmollend sich zurück und weinte in des Daches anderer Ecke, leise zwar zuerst, doch mählich lauter, bis nach einer Zeit der König sich erhob und holt es tröstend wiederum herbei – und über dem, da hub es neulings an und zwängte ihn und drängte ihn und zupft ihn heftig an den Schößen seines Kleides.
Und während er sich also selbst bekämpfte, schwankend zwischen sehnender Begier und bösen Zweifeln, siehe da die Abgesandten, ihre Köpfe schiebend durch des Daches Boden.
Und als sie nun gekommen zu des Königs Füßen, zog Leviathan ein Liederbuch hervor, begann und sang mit weicher, schöner Stimme:
«Es war einmal ein altes Mißverständnis» samt dem zweiten Vers: «O wenn man sich betrachtete von Angesicht zu Angesicht» – und also singend überreicht er Behemoths getreues Abbild.
Und wie nun Sympathie und Liebe plötzlich oft entsteht und fragt nicht viel und läßt sich nicht beirren von den wohlerfahrnen ältlichen Gedanken, so geschah es, als er kaum erblickte das Gemälde, daß sich eines Mals entzündete sein Herz, und mit entschloßnem Willen hub er an, begehrete und sprach mit fester Stimme:
«Wohlan! und ob die Erde sich zerteile, ob die Meere überfluten das gesamte feste Land – jedoch in dieser selben Stunde muß ich schauen dieses Bildes Urbild.»
Und also gleichfalls das Gewissen, welches, auf den Zehen trippelnd, wißbegierig schaute über Epimetheus' Hände, aber ob dem bärtgen Anblick Behemoths geriet es außer sich, und mit dem Finger zeichnend über des geduldgen Mannes Stirn und Nase, rief und sprach es unter steigendem Entzücken:
«In Wahrheit dieser Bart bedeutet einen tugendhaften Mann, und diese Augen sind gerecht, und über alle Maßen sittlich ist der Ausdruck dieser Mienen.»
Und zwar solange Epimetheus noch verweilt in seinem Zimmer, daß er bräutlich schmücke seinen Körper, hielt es sich geduldig wartend auf dem Dache, aber als er nunmehr festlich aufgeputzt in weißen Kleidern eilte nach dem Hof und gürtete sein schnellstes Pferd mit hastigem Beginnen, kam es unversehens ihm zuvor, und schmeichelnd unter kindlichen Gebärden, flehend, sängelnd, hemmt es unaufhörlich seinen Fuß – und also nahm ers mit und setzt es reitends über seinen Sattel.
Und als er über eine kleine Stunde nun gelangte zu dem Wiesenhügel, stand der Behemoth bereit, und ehrerbietig grüßend wich das Volk zu beiden Seiten, während selbst er jetzt vom Pferde sprang und kleinen Schrittes langsam nahte seinem Gegner, wankend und errötend gleich der angetrauten Braut, das Herz erfüllt von süßer Angst und wonniger Verwirrung.
Und lieber hätt er offnen Armes ihn empfangen, kaum vermögend, daß er hemme seine ungeduldgen Füße, welche hüpfend mit den kraftbeschwingten Sehnen ihn mit raschem Flug entführen wollten nach des Bräutigams beseelter Nähe, aber ob den unsichtbaren Schnörkeln, die da fadenweise gleich den Spinngeweben waren vor ihm hingezogen, durft er nicht gehorchen, mußte sorglich und behutsam mit bedachtem Finger erst zerteilen das verschlungne Wirrsal.
Es waren aber diese Schnörkel Ranken von dem Efeu und den Winden und dem andern Schlinggewächs, das üppig wuchert um die allgemeine Stange, spinnend über das gesamte Land und jedes Menschendasein überstrickend mit verräterischen Maschen, also daß, wenn einer sorglos und natürlich schreitet durch die Straße, reißt das köstliche Gespinst und alsobald erhebt der Vogel ein ersterbend klägliches Geschrei und strafend schauen die erzürnten Nachbarn aus den Fenstern. Aber sei es ob des Menschenvolkes großer Tugend, sei es wegen ihrer vielen Weisheit, schonen sie mit Fleiß das ewge Immergrün und unterstützen es mit Draht und künstlichem Geflecht, und auch je mehr es sich verschnörkelt und verzwickt, je größer wird des Volkes selbstzufriedenes Behagen.
Und also rückten beide Könige behutsam vor, doch gleich wie wenn sich zwei verwandte Eisen gegenüberstehend langsam nähern, aber plötzlich fliegen sie zusammen, also lagen sie, die niedre Kette überspringend, einer an des andern Brust und netzten jeder seines nächsten Angesicht mit stummen Tränen.
Und andachtsvoll, entblößten Hauptes stand das viele Volk umher, und ward kein Laut gehört in der gewaltgen Menge als allein ein unterbrochnes Schluchzen, während aus dem nahen Wald erscholl der Finken heller Ruf und in den Gräsern schmetterten und jubelten die Grillen; aber als nach einer langen heilgen Stunde jetzt das Herrscherpaar in feierlicher Weise hob die Ketten von des Landes Grenze, brach der Beifall donnernd aus der dicht gedrängten Schar, und gleich der Spreu, vom Sturm gemischt, so flogen durcheinander die vereinten Haufen, stürzten sich entgegen mit befreiten Armen.
Und viele Kranke, unvermögend zu bewegen ihre Glieder, hatte man herbeigetragen, daß sie, schauend ihrer Brüder Fröhlichkeit und Lust, vergäßen ihre eignen Leiden; diese konnten jetzt genesen, scheltend ihren jüngst vergangnen Kleinmut, da verzagend sie erflehten ihre gänzliche Vernichtung. Andre wieder, welche gegenseitig feindlich sich verkümmert alle Tage ihres Lebens, suchten sich in diesem Augenblick und reichten, einer in des andern Augen lesend, sich versöhnt die Hände.
Und dieses war der Edelstein in Epimetheus' Leben, war der vielen Tugend schönster Lohn, und mit bewegtem Herzen, während sein Gewissen stummen Dankes mit verklärtem Antlitz ihn belobte, ließ er seine Blicke weiden auf den selgen Massen, bis er endlich unbewußten Willens schaute nach dem königlichen Schloß und von dem Schloß hinüber nach dem stillen Tale seiner Jugend.
Und sei es Irrtum seiner Augen, sei es Wahrheit einer geistgen Ordnung, sah er neben seinem Schlosse riesenhafte Palmen sprießen, überdachend das gewaltge Haus und schüttend ihrer goldnen Früchte reichen Segen auf die niedern Lande, daß sich der gesamte Menschengau verwandelte zu einem selgen Garten – schaute aus dem heimatlichen Tale leuchtend steigen die vergangnen Tage, welche Hand in Hand gereiht mit Singen und mit Grüßen nahten der erhöhten Gegenwart – und über allem diesem winkten von dem veilchenblauen Horizonte ungezählte sanfte, rosenfarbne Engel.
Und als sie über eine lange selge Weile wieder mit entzückten Blicken lasen einer in des andern Augen, während die Gedanken gleich dem Zauberfunken, der entsprüht dem glutbeseelten Bernstein, hin- und herwärts springend sich verglichen, siehe, da entstand in beider Herzen ein vereinigter Entschluß, und eilends teilten sie das Volk und gingen ohne Zaudern, zu verschwinden hinter einem dichten Busche.
Und mit Verwunderung und Staunen nahmen alle das gewahr und stellten ratend sich zur Seite, unvermögend zu enträtseln dieses seltene Ereignis; aber als nun über eine kleine Zeit sie neuerdings erschienen, jeder mit vertauschten Kleidern, also daß der Behemoth zu schauen war in Epimetheus' Rock und Epimetheus in des Freundes pelzgeschmückten Hosen, kamen sie von maßvergessenem Entzücken gänzlich außer sich, und hurtig machten sie sich gleichfalls auf, und über kurzem trug ein jeder seines Nachbars Schuh und Strümpfe.
Und freilich war des Jubels alle Tage viel im Erdenland, und immer wenn das Menschenvolk entdeckte eine runde Stelle oder hörten etwas in den Lüften sich bewegen, oder auch wenn mehr als zwanzig unvermutet aufeinander trafen an der Straßenecke, übten sie die Stimme mit vergnügtem Jauchzen; aber in der Menge war ein Mann von hundert Jahren, welcher niemals wie in diesem Augenblick ein solches wildes, sinnverlassenes Frohlocken noch gehört; denn gleich wie wenn beim wütenden Orkan der Donner sich verbindet mit der Erde fürchterlichen Stößen, so erfolgte Schlag auf Schlag das maßvergessene Geschrei, und gleich dem Echo, von dem eignen Klang berauscht, bedurften endlos sie der tausendfältgen Wiederholung.
Doch in der Erde Mitte bei dem ungeheuren Kirchhof, wo myriadenweise ruhn die Seelen der belebten Wesen, die vor alter oder junger Zeit, verflucht durch einen rätselhaften Machtspruch, sich bewegten auf dem schmerzdurchfurchten Oberfeld – und ist hienieden weder Kampf noch Stöhnen, auch kein Unterschied beherrscht die edlen und die niederen Geschöpfe, sondern gleicher Ehre mit dem Menschen hat der Wurm sein eignes Grab und sein besondres Gärtchen, wo er friedlich schlummernd lauscht der sanften Totenglocke, die da stetig läutet durch die nachterfüllten stillen Lande, während leisen Trittes auf den sandbestreuten Wegen schleichen die barmherzgen Schwestern, schweigend, wo sie hören ein geregelt Seufzen, aber wenn von Zeit zu Zeit ein einzelner, vergangner Leiden eingedenk, beginnt zu wimmern, beugen sie sich auf sein Grab und singen einen wiegenden Gesang und wiederholen flüsternd seinen Namen – weil am andern Ende, bei des grenzenlosen Gartens Eingang, wo der steile Bergpfad führt vom Höllenfeld hernieder nach dem selgen Grunde, stehen edle Fraun bereit, und wenn sie nun gewahren die gestorbnen Seelen, wie sie reihenweise, mühsam am Gebüsch sich haltend, abwärts steigen auf den schmalen Stufen, bleichen Angesichts, die schwachen Glieder zitternd von der schlimmen Lebenskrankheit, ziehn sie jedem einzelnen entgegen, unterstützen ihn mit ihren weichen, kräftgen Armen, trösten ihn mit liebenden Gesprächen, bis sie endlich ihn geleitet nach dem Friedenstor, und allda lehnen sie den heftig Weinenden an ihren Busen, lenken ihn mit Flüstern nach der ewgen warmen Heimat:
Dieses war die Stätte, da Proserpina, die milde, großgesinnte Fürstin mit den seelenvollen Augen, schritt aus ihrem ernsten Hause, maß mit leisem Fuß die sandgen Gänge, ehrfurchtsvoll sich neigend, wenn auf ihrer Bahn die Krankenpflegerinnen nahten mit den müden Gästen.
Und als sie über eine lange Stunde nun gekommen aufwärts an des Landes Grenze zu der finstern Adamshöhle, wo der Vater aller Menschen saß gestützten Hauptes, horchend nach dem fernen Tosen, das da durch der Erde Spalten murmelnd drang zu ihm hernieder, weil an seiner Seite Atlas, sein getreuer Sohn, mit nachtgewohntem Blick verzeichnete die Pläne, die der andre hastgen Wortes ihm gebot, versuchend, ob damit er bessere der Menschenkinder hartes Schicksal, stand sie still, und beide Hände grüßend vor sich reichend, hub sie an und flehete und sprach mit innigem Erbarmen:
«Ihr lieben Männer, die ihr einzig unter allem Erdenvolk verschmähet Schlaf und Frieden, höret meinen wohlgemeinten Rat und lasset endlich ab von euren bittern Mühn und Sorgen, da ihr selber euch damit zerquält und keinem andern bringt es jemals Nutzen!
Denn seht, verflucht von Anbeginn und völlig heillos ist die ganze Welt, und was ihr immer auch mit ihr beginnt, so wird es bleiben eine Welt der Qual, darinnen einem jeglichen allein der Tod bereitet die Erlösung. Sondern leget nunmehr gleich den andern euch zu ruhn, indem ich selbst mit eigner Hand euch führe nach dem trauten heimatlichen Hause.»
Und also sprechend wollten sies vollbringen laut den Worten ihrer Rede. Aber ungeduldgen Muts entwich der Vater ihrem Drängen, zog mit abgewandtem Angesicht von dannen nach der Nebenpforte, während Atlas unbeweglich sie betrachtete mit finstern Mienen, bis er endlich öffnete den Mund und sprach mit Knirschen und mit Beben:
«Gebenedeite Königin, du edelste der Frauen, die du in der gnadenreichen Großmut deines Wesens niemals einem Wesen irgend Leid noch Böses hast getan und alle deine Mienen strahlen Mitleid und Erbarmen: wie erträgst du diese Grausamkeit, und welches ist die Sünde, die ich je an dir begangen, daß du ewig mich allein aus allem Volk verdammst, und während alle andern segnen deinen Namen, muß ich stündlich fluchen jenem Tag, darin zum erstenmal ich schaute dein geliebtes Antlitz.
Und freilich alle Schmerzen hab ich schon erprobt, und gänzlich wohl ist mir vom täglichem Gebrauch bekannt der Erdenrinde bittrer, giftiger Geschmack, und auch hienieden trag ich meines Vaters Gram zugleich mit meinem eignen Kummer, der umspannt die Leiden aller meiner Brüder; aber alles dieses ist gering zuwider jenem tiefem Weh, damit dein schönes Auge mir das Herz zerschneidet.»
Und mutlos ließ Proserpina die Arme fallen, blickte mit verschränkten Fingern traurig in sein Angesicht, doch plötzlich trat sie ihm entgegen, legt ihm flehend ihre zarten Hände auf die Brust und redete und sprach zu ihm mit weichem, bittendem Ermahnen:
«Geliebter Bruder, meines Herzens trauter Freund, in welch ein unglückselges Wahngebilde hat sich doch dein krank Gemüt verirrt! und wahrlich größres Unheil konntest du für beide nicht ersinnen, als indem du meine heilge Pflicht vermengst mit abenteuerlichen, sündigen Gefühlen.
Denn siehe, nicht zu eines Einzelmannes eigensüchtger Liebe hat mich Gott bestimmt, und nicht wie irdsche Frauen darf ich diesem oder jenem mich bestimmen, sondern all mein Sinnen und Beginnen ist geweiht, und keinerlei Begierde noch Gedanke keimt in meiner Seele jenseits meines hohen Amtes. Darum höre mein Gebet, womit ich dringend zu dir flehe kraft der Freundschaft, die du mir vielleicht gestattest: Wehre deinem mißgestalten Wahn, beharre ferner nicht in deinem Eigensinn, damit er nicht erlaube deinen falschen Wünschen, daß sie dich verraten und zerreißen, samt betrüben jene, die dir gerne gönnt ein jedes Glück und jedes gute Schicksal.»
Doch trotzig widerstand der harte Mann, und all die Zeit, da jene sich bemühte ihn zu heilen, sog er gierig mit den Blicken neuerdings das heißgeliebte Gift aus ihren Augen, bis sie endlich ihre Ohnmacht sich gestand, und über dem, da kehrte sie mit schwerem Mute heimwärts nach dem ernsten Schlosse.
Und ähnlich war es jeden Tag, doch heute, als die abendliche Stunde nahte, da die milde Königin zu unternehmen pflegte ihren hoffnungsvollen Wandel nach der finstern Grotte, sprang der Vater jählings auf, und mit geschloßnen Augen horchend nach der fernen Höhe, redet er und sprach zu seinem Sohn mit aufgeregtem Wesen:
«Was ist das für ein Toben und ein Jubeln in dem Menschenland? und wahrlich dieses ist der Freude Ton! und ist vielleicht ein Heiland meinem Volk erschienen? oder hat sich Gott der Schöpfer seiner Welt erbarmt, und alles Nervenleben wird vernichtet?»
Und also sprechend zwang er ihn hinweg, damit er lerne die ersehnte Botschaft.
Und zweifelnd zwar und ungern nur gehorchte Atlas seinem ungeduldgen Drängen, aber um der großen Treue willen, da er allzeit diente seinem Vater, gab er ihm Gewähr und machte eilends sich von dannen.
Und eine bange Stunde blieb er weg, indessen Adam ohne Ruhe mit verstörten Mienen in der engen Kammer hin und wider sich bewegte, bald mit raschen Schritten laufend nach dem Eingang oder mit dem Daumennagel unvernünftig schabend an dem harten Felsen – aber da er endlich wiederum erschien, da öffnet er die Lippen nicht zum Gruß und nicht zur Antwort, sondern wenn der andre allzuheftig ihn bestürmte, spie er seitwärts auf den Boden.
Und mit verzweifeltem Gebieten heischete und sprach der Vater: «Wohlan: was immer auch enthalte deine Botschaft, ende meine Pein und laß mich ohne Zaudern kennen jenes Jubels Grund und Inhalt.»
Und da nun jener länger nicht vermochte zu verweigern seine Rede, spielt er eine Weile widerwärtig mit den Lippen, gleich wie wer ein Saures hin- und widerwälzt in seinem Munde, bis er endlich groben Wortes stieß hervor: «Es hat ein Mann mit seinem Nebenmann vertauscht den Kittel.»
Und also sprechend spie er nochmals auf den Boden.
Und über dem, da suchte Adam nach den Plänen und den Büchern, die da lagen um ihn her, zerriß es alles Blatt für Blatt, begann und sprach zu seinem Sohn mit freundlichem Ermuntern:
«Wohlan, was säumen wir? denn siehe, Schande brächt es uns, wofern wir länger uns um dies Geschlecht bemühten.»
Und sprachs, und also zogen sie in Frieden nach der ewgen Heimat. Und als sie kamen zu dem Gitter vor dem Trauerschlosse, kam Proserpina verspätet eilends aus des Hauses Tür, damit sie wie gewöhnlich unternehme ihre fromme Reise.
Und da sie nunmehr, unterm Gitter angelangt, gewahrte die gesuchten Gäste, wie sie ihre Schritte lenkten nach dem richtgen, vorbestimmten Ziele, stellte sie den schlanken Leib, und weil sie eben hinter ihrem Rücken schloß die Gartenpforte, nahm sie von der Klinke ihre Hand nicht weg, und also auf der halbgesperrten, hin- und herbewegten Tür ihr Gleichgewicht vermittelnd, wartete sie herzlich grüßend mit des Mundes und der Blicke Lächeln ihrer Ankunft.
Und eingedenk der großgesinnten Gnade, da die hohe Fürstin täglich Trost gewährte seinem kummervollen Mute, bot ihr Adam dankend seine Rechte, welche jene freudig nahm entgegen, mit beseeltem Druck beweisend ihres Herzens Wahrheit. Aber als nun Atlas nahte, zog er feindlich neben ihr vorbei, vergönnt ihr weder Blick noch Gruß noch Rede.
Und wehmutvoll aus ihren Grabesaugen fragete und sprach mit stummem Mund die ernste Göttin:
«Mein teurer Bruder! mein geliebter Freund! was hab ich jemals dir getan? und hab ich dieses auch verdient, daß du mich also endlos hassest ohne Gnade noch Versöhnung?
Und siehe: alle Tage, wenn es also dir gefiel in deinem harten Herzen, mochtest du mir zürnen, aber heute, da für alle Ewigkeit zum letztenmal ich vor dir bitte, wirst du deiner Freundin nicht zum Angedenken schenken eine bittre Wunde, welche niemals wieder du vermagst zu heilen.»
Doch jener, ob ihm schon das Herz zerschnitt der heißgeliebten Augen kummervolles Flehn und ob auch leidenschaftlich ihn verlangte, daß er, sich erniedrigend zu ihren Füßen, überdecke ihre edle Hand mit Küssen und mit Tränen, hielt gewaltsam sich zurück, und auch, damit er sicherer sich wappne gegen jede unwillkürliche Erweichung, wiederholt er fieberhaften Eifers im Gedächtnis all die namenlosen Qualen, die er ihretwillen täglich litt – und also widerstand er ihr mit Mut und schritt mit Groll und Rache nach der finstern Grube. Aber Schlaf und Ruhe fand er nicht, und wie auch die barmherzgen Schwestern sich bemühten, daß mit weichem Trösten sie besänftigten sein wildes Stöhnen, ewig bohrten jene schönen Blicke bittend in den Tiefen seiner Seele – bis nach einer langen Zeit, nach vielen Jahren selbst die großgesinnte Fürstin, seiner Leiden sich erbarmend, kam zu singen über seinem Grab – und über dem, da fing er an zu weinen, stammelnd über den geliebten Namen einen inngen, heißen, heilgen Segen.
Doch auf dem Wiesenhügel um die beiden Stangen jubelte und jauchzte immerfort das viele Volk, und auch damit sie festlich feierten den neugebornen Bund und ihre junge Eintracht, bauten sie sich Hütten, wo sie, vor des Abends Tau und Feuchtigkeit geschützt, sich fröhlicher umarmten, einer auf des andern Knieen, Behemoth auf Epimetheus', auf dem Hauptmann der Athener der erwählte Ehrenhauptmann, ebenso die übrigen, wie immer Zufall oder Liebe sie mit unsichtbarem Wunderband verknüpfte.
Und blieben beieinander diese ganze Nacht, und es geschah, je länger sie verweilten, desto seliger und herzlicher gedieh die brüderliche Freundschaft. Aber als nunmehr der Morgen graute, zogen sie nach Hause, ungern zwar und tränenreichen Abschieds, gegenseitig mit Geleit sich ehrend, auch zum Zeichen ihres ewgen Bundes ließen sie die beiden Stangen friedlich beieinander stehen, jeglichen bedrohend und verfluchend, der da irgend sie verrücke, während vor dem Zelt die beiden Herrscher, Hand in Hand geschlungen, schauten mit gerührtem Herzen über ihre reinen, unschuldvollen Völker, die im Dämmerlichte waren anzuschaun wie zwei gewaltge weiße Saugekinder, ohne einen andern Wunsch als Milch und einzig «Abba» lallend zwischen ihren kleinen, wurzellosen Butterzähnchen.
Und schon begannen gleich den andern sie des Abschieds kalte, feuchte Hand zu fühlen, schon mit abgewandtem Haupte wischten öfters sie mit ihrem Ärmel eine Träne aus den Augen, da erschien ein rosenfarbner Streifen überm lichten Horizont, und plötzlich heischte jetzt und sprach der Behemoth mit überirdischer Verklärung:
«Wohlan, dies eine wollen wir noch gönnen unserm Herzen, daß wir miteinander schauen, wie die keusche Morgensonne sich erhebt aus ihrem ewgen Lager. Dieses scheint mir unsres Festes würdigster Beschluß; und siehe, hinterm angenehmen Wäldchen ist ein Aussichtshügel, da wir über alle Maßen kosten das erhabne Schauspiel.»
Es hatten aber damals alle Menschenväter eine große Freundschaft mit der Morgensonne, welche ähnlich ihrem eignen Beispiel fleißig ist und auch des Morgens früh, gewaschen und gekämmt, sich reinlich aus dem Bett erhebt nach ordentlicher Leute Brauch, und darum hielten sie dieselbe mittels eines Spinnen- und Ameisenfadens an der allgemeinen Stange, also daß ein jeder, wenn er hörte ihren Namen, sich darob entzückte.
Und zwar die andre Sonne, welche Berg und Tal mit goldnen Farben übermalt und wandelt Busch und Baum und Wald und Feld zum Paradies, versöhnend das verfluchte Dasein mit den zauberhaften Schatten und gedämpften Lichtern, diese war der Stange nicht verknüpft, und jeder durfte ohne Strafe gleich den Eulen und den Fledermäusen sich davor verschließen; aber wer da nicht beachtete die Sonne, die sich bald erhebt und legt sich früh zu Bette, den ermahnte man mit häßlichen Gebärden.
Und also Epimetheus, da er kaum gehört den trauten Namen, stimmte eifrig bei mit froher Überraschung.
Und fragend widerredete und sprach Leviathan: «Jedoch wer hütet während dessen unsre Pferde?» Aber siehe da, der Hauptmann der Athener, welcher artig sich zu diesem Amt entbot und nicht beachtete das heftige Geschrei und das gewaltge Sträuben, da Leviathan mit vieler Heftigkeit versuchte selbst mit eigner Hand die Zügel zu erstreiten.
Und also blieb der Hauptmann der Athener bei den Pferden, während Epimetheus mit den andern beiden rüstig schreitend sich entfernte durch das angenehme Wäldchen nach dem Aussichtshügel.
Und eifrig bittend zweifelte und sprach Leviathan: «Mein hoher Herr und König Epimetheus, warum sollst du dein Gewissen immer selbst auf deinem eignen Arme tragen? sondern gönne mir die Ehre, oder besser wollen wirs dem Hauptmann der Athener überlassen bei den Pferden mit dem übrigen Gepäck, damit es nicht geschieht und jenes sich vielleicht erkältet, weil dein müder Arm erlahmt in schlimmen Krämpfen.»
Doch freundlich wehrend gab der andere zurück: «Fürwahr, ich danke dir! doch sieh, es ist von Herzen leicht, und auch mein Arm ist dieser Last gewohnt, und ist ein ewigdauerhaftes, probesicheres Gewissen, welches niemals heiser wird, und rein und deutlich stets erklingt das Ja und Nein aus seinem kräftgen Munde.»
Und frisch und stärkend wehte die gesunde Luft, und während sie so stiegen, neigte sich Leviathan von Zeit zu Zeit und pflückte von der Weide die versteckten Blümchen, die er alsdann Epimetheus zierlich grüßend überreichte, samt erklärte deren Namen, beides, in der eignen und der Menschen Sprache.
Und als sie nun gekommen zu des Hügels Spitze, siehe, da erstreckte sich das runde Erdenland in blauem Duft, und weißlich ragten überm nebelhaften Horizont die scharfen Alpen.
Und da nun Epimetheus kläglich jammernd sich erkundigte nach eines jeden Titel, sprang Leviathan herbei und macht ihm alles klar von Anbeginn, und es geschah, sobald der Menschenkönig hörte einen spitzen Titel, ward er alsogleich gesund mit mächtigem Behagen.
Und lange hätten sie zusammen noch das umfangreiche Spiel gelernt, da plötzlich unternahm der Behemoth mit unterdrückter Stimme ein erbärmliches Geschrei: und siehe, da erhob sich überm fernen Berg ein funkelnder Rubin, ein stolzer, königlicher Purpurfleck, verachtend das gemeine grau und blaue Dasein.
Und raschen Sprunges eilten sie hinzu, und in vereinter Gruppe, jeder seinen Arm um seines Nächsten Nacken schlingend, spähten sie in fiebernder Erregung.
Und augenblicklich wachsend, stetig stieg der riesenhafte blutge Mond zum Himmel, zorngen Eifers löschend die geringern Lichter, kräftig unterdrückend die gesamte Erde – mit gehemmten Strahlen zwar, damit sie um so deutlicher sich scheide von der kalten, seelenlosen Luft – indes der Ostwind rauschend über Berg und Tal verkündete die Siegesbotschaft. Aber als sie nunmehr gänzlich sich gelöst von jeder irdschen Stütze, schwamm sie frei und hoch einher, getragen von allmächtgen Gasen, bis sie endlich zum Beschluß des feierlichen Einzugs sich vergnügte, daß sie spielend wechselte ihr Angesicht und tauschte ihre Formen.
Und erstens war sie eckig an Gestalt und seitwärts länglich ausgedehnt mit platten Polen, später glich sie einem mattgeschliffnen Glas mit ausgeschweiften Buchten, wieder später schien sie eine hohle Kugel oder umgekehrt ein dichter Ball und schließlich eine flache Scheibe, während ebenso die Farbe wandelte von Blut durch Rosen nach dem gelben Feuer.
Und atemlos, den Blick gebannt, verfolgten die vereinten Freunde das gewaltige Ereignis, stummen Mundes, außer daß von Zeit zu Zeit zu Epimetheus selig flüsterte sein redliches Gewissen, das er, auf dem linken Arme sitzend, drückte gegen seinen Busen, weil er mit der Rechten koste auf des Nachbars Schulter – aber als nunmehr die andre Sonne kam zu Tag, die Sonne mit dem Strahlenmeere, welche mit der allgemeinen Stange hatte keinerlei Vertrag, begann und redete und sprach Leviathan mit unbefangenen Gesprächen:
«Und siehe, wenn du jetzt die Augen wendest gegen irgend eine andre Stelle, wirst du auch bemerken, welches Wunder sich vor deinen Blicken offenbaret?»
Und nicht begreifend seine Meinung folgte Epimetheus lässig dem Gebot und schaute ratend nach der blauen Luft: und siehe da, sie war gefleckt mit abertausend abgestückten veilchenroten Makeln, welche abenteuerlichen Schwunges hastig aufwärts reisten nach der höchsten Ferne.
Und mit ergänzender Belehrung fügte jener jetzt hinzu:
«Und blicke nunmehr abwärts nach dem Rasen unter deinen Füßen.»
Und siehe, aus dem Grase flogen, reihenweis geordnet, wunderbare samtne, grüne Kugeln.
Und freundlich lächelnd fuhr der andre fort: «Und wenn du blinzelst, werden sich die Farben jedesmal verjüngen.»
Und also wie er es versprochen, so geschahs, und über dem, da hub der König eigenmächtig an den Blick zu lenken, immerdar das Ziel vertauschend, öfters auch den Gegner leitend mit entzücktem Zuruf.
Und war ein muntres und ergötzliches Geschäft, denn über alle Maßen aufgeräumt und drollig war die bunte Schar und liebten ihr Gesicht mit Masken zu bedecken, also daß sie bald wie Spinnen oder Vögel, bald wie Lämmer oder Ziegen sich gebärdeten mit sonderbaren Sprüngen.
Inzwischen schaute Behemoth an ihrer Seite unbeweglich immer nach der Sonne, nicht beachtend jede andre Gegenwart, und ohne daß er hin und wieder heftig keucht und stöhnte, schien entschwunden all sein Leben.
Und also tat er eine bange, inhaltschwere Zeit, indes die andern sich vergnügten an den blauen Flecken. Aber plötzlich dreht er jetzt sich um die Achse seiner Fersen, stürzte jählings Epimetheus um den Hals, und während er ihn leidenschaftlich preßte mit den starken Armen, hub er an und rief und sprach mit umgekehrten weißen Augen, weil vor seinem gar gewaltigen Gefühl sich schüttelte sein großer, dicker Körper:
«Und nun im Anblick dieses hohen, reinen Himmelsangesichts, davor sich flüchten alle niedrigen Gedanken, wollen wir mit einer schönen Tat besiegeln unsern Herzensbund und wollen Liebespfänder miteinander tauschen.»
Und da nun mählich minder ward die Harmonie in Epimetheus' Wesen, fuhr er zärtlich fort: «Und drum so wollen wir ein jeder seinem Nächsten unser Teuerstes vertrauen, unsere vielgeliebten Sprossen, also daß ich dir gewähre Beelzebub, den eingebornen Knaben, meines Reiches einzgen Erben, während ähnlich du mir leihst die hübschen wohlgezognen Gotteskinder, meine kleine Seelenwonne, daß sie folgend ihrer Väter Beispiel gegenseitig sich gewöhnen, ihnen selbst zur frommen Zucht und unsern Völkern zur andächtigen Erbauung.»
Und es geschah, ob diesen Worten ward der König Epimetheus über alle Maßen bleich, und ohne daß der Behemoth ihn hielt umschlungen, fiel er auf den Boden.
Und eine lange Weile bracht er gänzlich keinen Laut hervor, doch endlich hub er an und redete und sprach mit Lallen und mit Stammeln:
«Mein heißgeliebter Freund und trauter Bruder, wahrlich ferne liegt von meinem Herzen jeglicher Verdacht, und augenblicklich, so du es begehrtest, würd ich selber mich gebunden überliefern deinen väterlichen Händen.
Jedoch die Gotteskinder sind ein Mündelgut, darüber mir kein Recht besteht, daß ichs verleihe, wie auch immer Zins und Vorteil reichlich sie daraus gewönnen, sondern einzig zur Bewahrung ward der Schlüssel mir gegeben. Darum suche dir vielleicht ein andres Pfand, jedoch das walte Gott, daß du verdenkest, daß ich es verdächte.»
Doch sei es von dem kühlen Morgenwind, so wurde Behemoth mit einem Male kalt und steif, und fröstelnd hüllt er sich in seinen Mantel, stieg zu Tal mit raschen Schritten.
Und teilnahmsvoll mit großem Mitleid wollt ihm Epimetheus folgen, daß er ihm entböte seinen warmen Schal, da sprang Leviathan herbei, und mit entsetzten Mienen, während er ihn kräftig rückwärts drängte, hub er an und flüsterte und sprach mit sorgenvollen, strafenden Gebärden:
«Erhabner Herr und König, welch ein Unheil hast du da getan! und hast zerrissen unsern jungen Bund und hast den Takt nicht eingehalten, den der Vogel und der Walfisch eingestimmten Willens schlagen mit den Flügeln und den Flossen!
Denn freilich dick und barsch von außen scheint der Behemoth geformt, und alle seine Art ist rauh, doch gleich den Augen an der Menschen Zehen wohnt in ihm ein weicher Kern, damit er über alle Maßen fein empfindet, also daß ich fürchte, schmerzlich hast du ihn verletzt, und ohne viele Mühe wirst du schwerlich wieder ihn vergüten.»
Und über diesem Wort erblaßte jener jetzt von einer andren Seite, also daß vom Doppelschreck gerührt er gänzlich nicht begriff, wohin er sich bewege, bis er endlich des Gewissens eingedenk getrosten Muts genas – doch wo er auch mit seinen Blicken suche: das Gewissen war dahin, und nicht auf seinem Arm und nicht im Grase konnt ers irgend finden.
Und da er nun, von Sinnen ob dem unersetzlichen Verlust, begann umherzuspähn in größern Kreisen, siehe, da erblickt ers in dem angenehmen Wäldchen, wie es auf versteckten Pfaden, heimlich schleichend durch die Sträucher, sich beeilte nach der Richtung zu dem heimatlichen Lande.
Und leidenschaftlichen Begehrens rief der König seinen Namen, schrie und sprach zu ihm mit Bitten und mit Drohen:
«Mein süßer Freund und Lehrer, dem ich allezeit getreu gehorcht, und deinetwegen hab ich hingegeben meine stolze Seele! wohin eilest du? und ist es recht und billig, daß du mich in dieser Not verlässest?
Und nun wofern so heftig dich bedrängt das Heimweh: wohl! in dieser selben Stunde ziehen wir nach Hause. Aber komm nunmehr auf einen einzgen Augenblick zurück, damit du mir gewährest deinen heilgen Rat und deine unfehlbare Einsicht.»
Doch wie er auch sich immer mühte, floh das andre unbekümmert seines Wegs, und wenn ihn hin und wieder gar zu deutlich traf des Meisters Stimme, schob es sich gekrümmten Rückens durch das Dickicht, bis es endlich war gekommen nach dem flachen Tal, und über dem, da lief es auf der großen Straße unter gleichgemeßnen Sprüngen froh und munter nach dem heimatlichen Schlosse.
Und ganz betört von übermächtigem Entsetzen starrt ihm Epimetheus unvernünftig nach, das Herz erfüllt von Zorn und Trauer. Aber als er endlich inneward der Ohnmacht seiner Blicke, da er gleich als wie mit Angeln wollte an sich reißen seinen ungetreuen Lehrer, sieh, da stand er ganz allein, und nahe seinen Füßen stieg Leviathan zu Tal, verfolgend seinen Herrn und Meister.
Und dieses war zuviel für eines einzgen Menschen Herz, und schluchzend unter bittren Tränen holt er jenen ein, umarmte ihn, bestürmte ihn mit jammervollen flehenden Gebärden:
«So will mich heute alles denn verlassen? sondern weile einen kleinen Augenblick, bis daß vielleicht ich finde einen beiderseitigen Vertrag und annehmbaren Ausgleich.»
Und also sprechend zog er ihn gewaltsam rückwärts nach des Berges Gipfel.
Und widerstrebend zwar und murrend gab der andere nach, ermahnete und sprach mit hartem Drängen:
«Jedoch daß du dich sehr beeilst, denn anders muß ich unverzüglich folgen meinem Herrn und Meister.»
Und über dem, da hub der König an mit Macht zu denken, bei geschloßnen Augen, hastig auf und nieder tretend, mit den Fingern fiebernd an dem Kragen seines Rockes, während immerfort sein Nachbar ihn bestrafte – bis von unten her mit strengem Ruf der Behemoth begehrte seinen Knecht, und über dem, da knickte Epimetheus einen raschen Schluß, verweigerte und sprach mit lauter fester Stimme:
«Wohlan, ich will erfüllen deines Königs Wunsch, jedoch in diesem einzgen Fall, daß er mir alles klein und fein gewährt, was ich verlange für der Kinder Sicherheit und Wohlfahrt:
Vor allem soll er mir zuerst entsenden seinen Beelzebuben, daß er bei mir wohne sieben Tage. Später will ich ihm die Gotteskinder leihen einen einzgen Tag. Und soll mit Nahrung reichlich sie versehn, mit Milch des Morgens und des Abends, aber Mittags Fleisch und Wein.
Und gut gelüftet und geräumig sei die Wohnung, rein und warm das Lager, dessen zum Beweis ich stündlich mich versichern will durch meine abgesandten Boten. Auch damit erfüllet werde der geringste Wortlaut meines Amtes, darf ich nicht den Schlüssel selber übergeben, sondern mit Gewalt und Überraschung müßt ihr ihn bei Nacht gewinnen, daß ich widerwillig, schreiend es erleide mit gebundnen Händen. Endlich soll der Behemoth mit eigner Unterschrift es alles rein und klar versprechen. Dieses muß er mir gewähren, oder anders will ichs keineswegs erlauben. Aber siehe nun, was du vielleicht vermagst um unsrer Freundschaft willen samt der Wohlfahrt unsrer sanften Völker.»
Und mit bedenklichen Gebärden schüttelte Leviathan den Kopf und zuckte mit den Achseln, machte eilends sich davon mit hastigem Beginnen, während Epimetheus angstbeklommnen Herzens wartete zuhinterst auf des Hügels Spitze, suchend, ob mit emsiger Beschäftigung er täusche seinen Geist und zähme seine gierige Erwartung.
Und also schaut er eifrig nach der Sonne; aber siehe da, sie war verwachsen und verschrumpft und grinste häßlich, gelben Scheines, ihm entgegen – blickte nach den Zauberflecken, aber schmutzig waren sie, und wenn sie früher sich verwandelten in Lämmer oder Ziegen, glichen sie Giraffen, Krokodilen und Kamelen – ähnlich die gesamte andre Welt, und alles war verzerrt, verzeichnet.
Und endlos schien ihm die gedehnte Zeit und unerträglich der Verzug, und dennoch ward er überrascht, als jetzt Leviathan erschien mit atemlosen Sprüngen, ein Papier in seiner hocherhobnen Rechten, hinter ihm der Behemoth versöhnten Wesens.
Und über dem, da herrschte wieder unbefangne Fröhlichkeit und herzliches Gelächter – außer Epimetheus, welcher, sei es von der ruhelosen Nacht und seis vom feuchten Grase, spürt ein unbequemes Frösteln, welches ihm benahm die Sinne, also daß er kaum verstand die Dinge um ihn her, und was die andern immer zu ihm sprachen, gab er nur zurück ein kindlich Lallen.
Und wie er kam von dannen, wie die andern von ihm schieden, konnt er niemals sich entsinnen, sondern unversehens spürt er sich zu Pferde heimwärts reitend, neben sich den Hauptmann der Athener, der ihn immerdar belästigte mit Lächeln und mit zugespitzten Reden.
Und war ein böser Ritt, und ob auch alle Tage Epimetheus war ein unbescholtner Reiter, welcher richtig seine Beine rückwärts zwang, die Hacken tief herabgestemmt, die Zehen einwärts schauend nach dem Pferde, mußt er jetzt sich öfters klammern, sei es an den Sattel, sei es an des Tieres Hals, indem die weiten Hosen Behemoths wie Nesseln oder Feuer ihn beklemmten und beengten. Und freilich war der Morgen klar und mild, und allenthalben grüßt aus Feld und Wald ein fröhliches Getier, und wenn er hin und wieder überholte seine Brüder, welche singend heimwärts zogen von dem späten Feste, stürzten sie mit Jubeln und mit Danken ihm entgegen, aber ob den Sonnenflecken, die da immer gleich geschwänzten Ungetümen tanzten über seinen Augen, schien ihm alle Welt beschmutzt, und wegen jenes Fröstelns, da er sich damit sein Ohr erkältet, konnt er heute nicht ertragen seiner Brüder Stimme, sondern mied die große Straße, reitend auf gekrümmten Wegen, ob auch sehnlichst ihn nach Ruh verlangte.
Und als er endlich nun gekommen zu dem heimatlichen Schlosse, zog er ohne Säumen richtig in sein Zimmer, nicht beachtend das Gesinde, noch sein redliches Gewissen, welches unter vieler Vorsicht auf der innern Treppe blinzelnd ihn begrüßte, warf sich heftig auf das Lager, daß er sich erwärme von der peinlichen Erkältung.
Doch wie er auch mit Kissen und mit heißen Flaschen sich gebärde, immer zitterte in ihm sein Herz, und unaufhörlich schauderten vom großen Froste seine Füße.
Und über eine Zeit umfing ein wüster Schlummer seinen Geist, und während dieses Schlummers wars, da öffnete sich leise seines Zimmers Tür, und siehe, Majas liebliche Gestalt erschien daselbst, jedoch das Angesicht verhärmt von Herzeleid und Tränen.
Und nahte nicht dem Lager, wollte nicht die Schwelle überschreiten, sondern traurig stand sie in der Tür und schaute langen Blickes vorwurfsvoll hinüber nach dem müden Mann – und über dem, da legte sie die vielen Schlüssel auf die Schwelle, wandte sich und schlich gesenkten Hauptes durch den Hof und durch den Garten auf versteckten Wegen abwärts nach dem ebnen Gau und von dem ebnen Gau hinüber nach dem fernen Walde.
Und wurde niemals mehr gesehn, doch ob sie selber auch verschwunden: in des Königs Garten lag ein Teich, darinnen oftmals sie ihr holdes Angesicht bespiegelt – dieser Teich behielt ihr Bild und schickt es oftmals sehnsuchtsvoll aus seines Herzens dunklen Gründen an die Sonne, wenn der Abend tiefer stand und wonniger sich lagerten die Schatten,
Und im Syringenbusch die Nachtigallen, wo das sanfte Kind geruht in warmen Sommernächten, sangen schöner als die andern Nachtigallen auf der ganzen Erde –
Bis daß nach einer Zeit es waren andre Nachtigallen, welche sangen gleich wie jedermann und sangen viel und keck, und es geschah, je weniger enthielt ihr Lied, je zuversichtlicher und lauter schrien sies in vereintem Chor von allen Zweigen.
Und also wie sie es beschlossen, so geschahs, und also kam der Beelzebub zu Gast und wohnte neben Epimetheus sieben Tage, wohl bedient und über alle Maßen sehr geehrt und speisend an des Königs Tafel.
Und ob er auch ein wenig rauh und schroff erschien von außen, ähnlich seines Vaters Vorbild, waren ihm die Menschenmänner ungewöhnlich hold und zugetan und freuten sich gewaltig, wenn von Zeit zu Zeit er neckte seine Wärter, ebenso die Menschenfrauen, schauend seinen Eigensinn, bewunderten die freigeborne Kühnheit seines Willens, alle aber wiederholten immer seinen Namen, trugen sein getreues Bild auf Hals und Busen, kleideten die eignen Kinder laut der Lehre seines pelzverbrämten Beispiels.
Und also blieb er sieben Tage, aber an des achten Tages Morgen führten sie ihn weg, geleitet und begrüßt und auch zugleich beschenkt mit ausgesuchtem Naschwerk.
Und an des achten Tages Abend kam beim Dämmerlicht ein Wagen in den königlichen Hof gefahren, hielt geheimnisvoll am Tor der festen Burg, bedeckt von wenigen verhüllten Männern.
Und waren an dem Wagen alle Räder dicht mit Stroh umwunden, ebenso die Pferde trugen Wollenschuhe an den Füßen, aber um die Mäuler Gitter oder Säcke, daß sie nicht verrieten ihre Gegenwart mit Stampfen oder auch mit unwillkommnem Wiehern.
Und all die Weile, da sich von den vielen Häusern Lärm und Rufen und des buntgestaltigen, geschäftgen Lebens mannigfaltiges Geräusch erhob, so duckten sich die rätselhaften Männer unbeweglich auf dem Sattel aber; als nunmehr die Lichter nach und nach erloschen in der ganzen Stadt und stille ward es um und um und nur die Hunde bellten von der hohen Mauer, sprangen sie behenden Schwunges auf den Boden, eilten auf den Zehen tretend in das unbewachte Schloß und in des Königs offnes Zimmer, überwanden ihn und schnürten ihn und raubten ihm den Schlüssel, ungeachtet seinem leisen, sterbenden Geschrei und seiner Füße wildem Sträuben, übrigens so zogen sie zur Burg und holten sich die Gotteskinder, brachten sie auf ihren Kissen, schlafend, nach dem dienstbereiten Wagen.
Doch unter den Verhüllten war ein Mann, der hatte einen ungewöhnlich männlichen Charakter, also daß er für und für mit Haaren war bewachsen, auch sein Bart gedieh ihm bis zum Gürtel, ähnlich seine Stimme grölte gleich dem sturmbewegten Meer, und also fest und zuverlässig war sein Mut, und also abhold war er jedem weibisch-schwächlichen Gelüsten, daß er keine süße Speise je berührte, sondern nährte sich allein von Salz und Pfeffer und Salat und scharfen Säuren. Dieser, als er sah die Gotteskinder weichlich liegen auf den Schwanenkissen, wurde außer sich und wehrte sich entrüsteten Gebarens:
«Fürwahr, das nenn ich eine schlechte Zucht! und warum sollen diese Kinder besser schlafen als die eignen Kinder, die mit harten Betten sich begnügen? sondern nehmet hurtig weg den sittenlosen Flaum, damit sie gleich den andern sich bescheiden und enthalten, samt die Körper stärken zu gerechter, braver, schwielger Arbeit.»
Und weil nun wegen seiner groben Stimme alle immer seinem Willen dienten, folgten sie dem Rat, und also legten sie die Kinder auf des Wagens nackte Bank, Messias in der Mitte, Hiero und Mythos neben ihm zur Rechten und zur Linken ans Geländer hingelehnt, und als sie alles wohlgerüstet und vollbracht, so zogen sie behutsam nach dem Fluß und von dem Flusse nach dem freien Felde, wo sie leichtern Atems hurtig trieben durch die stillen Auen.
Und während diese also heimlich sich ergingen in dem finstern Tale, schritt am hohen Horizonte klagend auf und nieder Laila, die von Schmerzen kranke Göttin, suchend ihren toten Sohn nach ihrer täglichen Gewohnheit.
Und schlafend, träumend aus den weitgesperrten Augen zog sie durch die stillen Wälder, grabend in den Blättern auf den dunklen Boden, immerwährend rufend den geliebten Namen, weil der Dienerinnen große Schar beleuchtete mit Fackeln ihrer Hände Arbeit.
Und ihr zur Seite, tröstend, mahnend, hielt sich Mantis, ihre treue edle Tochter, schmeichelt ihr mit liebevollen Händen, suchte zu erweichen ihren harten Schmerz mit sanften Worten, redete und sprach zu ihr mit Bitten und mit Tränen:
«Erhabne Herrin, meine vielgeliebte Mutter! ists noch nicht genug der Trauer und des Leides? oder willst in alle Ewigkeit du also dich umsonst zerhärmen?
Denn sieh, vergeblich ist es alles ganz und gar, und ob du täglich steigerst deine maßvergessne Sehnsucht, wirst dus nimmermehr erzwingen. Aber willst du endlich deines andern Kindes nicht gedenken, Mantis, deiner treuen Tochter, welcher keine Freude jemals ward zuteil, und gönnest ihr kein Wort und keinen Blick, und hat ein Doppeltes verloren, hat verloren ihren holden vielgeliebten Bruder samt der Mutter, ihres jungen Lebens einzgen Trost und Inhalt.»
Doch jene hörte nicht auf ihre Bitten, wehrte ungeduldig mit den Händen, bückte sich, und auf der Erde suchend, rief und lockte sie mit weichen Tönen, singend, klagend, weil vor übergroßer Sehnsucht bebete und schwankete und irrte ihre Stimme:
«Oneiros, du mein süßer trauter Sohn, Oneiros, mein Geliebter, höre deiner Mutter Stimme, deren Antlitz sorgend wachte über deinem Haupte, wenn du schliefest, die ein jeglich Leid mit dir geteilt und hat in Not und Krankheit dich beschützt und dir gehört ein jeglicher Gedanke meines Herzens;
Und nun, wenn dieses ist der Kinder Pflicht, daß sie mit Dank vergelten ihren Eltern viele Angst und Arbeit, wohl, erbarme dich der Schwergeprüften, deiner Mutter, der Verwaisten, daß du ihr gewährest die bescheidne Bitte:
Ein einzges Mal noch laß mich dich umarmen, oder wenn dir dieses scheint zuviel, so zeige mir von ferne nur dein holdes Antlitz, oder endlich laß aus deinem selgen Munde mich vernehmen meinen Namen.»
Und sprachs und richtete sich auf und lauschte in die Ferne.
Und da ihr nunmehr keine Antwort ward als nur allein des Windes Rauschen, der vom hohen Wald herniederströmte nach dem dunklen Tal, so wurde heftiger ihr Schmerz, und leidenschaftlicher begann sie wiederum und rief und klagete mit bittrem Vorwurf:
«Ein unvernünftger Kaiser herrscht in dieser Welt, und wer er immer sei, so nenn ich ungerecht und schändlich seine Art und blind sein Urteil.
Denn siehe, warum ward ich einst mit Glück und Seligkeit verschwenderisch beschenkt im Übermaß, und alle Tage könnt ich schauen meinen lieben Knaben, könnt ihn küssen und umarmen, samt genießen seines Mundes sonnenhelles Lächeln und die ungezählten Worte seiner trauten Rede, während jetzt umsonst ich flehe um ein einzges Körnchen meines einstgen Reichtums? Aber was verschlägt es dem Verschmachtenden, daß du ihn einst gebadet in dem großen Strom? Doch jetzt in dieser Stunde wird ein kleines Tröpfchen ihn erretten.»
Und über diesem schaute sie mit ihrem Geiste das ersehnte Bild, erweichte sich, und schmelzend gleich der Nachtigall entflohen ihrem Mund melodisch die beseelten Töne:
«Du warst zu mild! du warst zu gut! und darum mußtest du verderben!
Denn sieh, in dieser schlechten Welt ist jedes Glück und Wohlgedeihn auf Grobheit oder List gestellt, und gleich wie Eisen nährt des Menschen Blut, so müssen untergehen, deren Fühlen nicht gehärtet wird durch Eigennutz und kalte Bosheit. Aber du, dem weichen, unversetzten Golde glichest du, und all dein Wesen war ein edler Hauch, und deines Leibes Bau bestand aus Schönheit! Darum konntest du in dieser plumpen Welt nicht widerstehen, konntest niemals Leid mit Leid vergelten, sondern gleich dem Abendrot erloschest du vor meinen Augen, gleich dem Frühling schwand dein zarter Körper, stummen Schmerzes, ohne Klagen, während schöner immerdar gerieten deine wehmutvollen Augen.»
Und also sang und rief und jammerte sie alle Zeit, und ob auch eitel Täuschung war die Frucht der stets erneuten Hoffnung, hielt sie immer wieder still und horchte mit bewegtem Blut und mit gespanntem Atem.
Doch heute, während sie wie alle Tage fragend lauschte in die Ferne, wurde plötzlich anders ihre Art, und staunend hub sie an und redete und sprach mit mächtigem Verwundern:
«Was ist das für ein Himmelsatem, der da aus der irdschen Tiefe steigt zu mir empor? und dieses Seufzen gleicht dem Seufzen meines Sohnes, wenn in lauer Maiennacht er schlief im duftgen Walde, um sein Angesicht das goldne Leuchten eines schönen Traumes.»
Und sprachs und schüttelte die ausgestreckten Arme, fuhr sodann mit ihren schmalen Händen mehrmals über Stirn und Antlitz, bis sie endlich ganz und gar erwachte, samt vernünftig blickten ihre Augen, frei von Wahn des Traums, verstehend jegliches Geschehen um sie her – und über dem, da wandte sie das Haupt, und mit getrennten Fingern auf den Rücken werfend ihre langen Haare, hub sie an, befahl und rief mit lauter Stimme durch den stillen Äther:
«Ihr Dienerinnen alle, macht euch auf und nehmet eure Fackeln, folget mir zur hohen Runde, tausend mir zur Rechten, tausend mir zur Linken, aber zweimal tausend hinter mir, auf daß ihr mir beleuchtet dieses seltene Ereignis!
Denn sehet, eine neue Gottheit offenbaret sich auf Erden, wundersamen Wesens, dreifach atmend. Aber dieses eine bleibt mir rätselhaft, warum in Nacht und Heimlichkeit sie sich gebiert und nicht vernimmt mein Ohr den feierlichen Chorgesang und den gewaltgen Krönungspomp und des gesamten Menschenvolkes ungezählte Tritte. Dieses will mir nicht gefallen.»
Und also sprechend machte sie ein Zeichen in dem Walde, ging sodann hinüber nach der schwarzen Eisentreppe, die im ungeheuren Halbkreis führt vom Horizonte aufwärts nach des Äthers monderhelltem Schloß, allmählich sich verengernd, daß zu beiden Seiten mehr und mehr sich nähert das Geländer – stieg, auf ihre Tochter lehnend, mitten auf die breiten, niedern Stufen, ihr zur Seite mit erhobnen Fackeln ihre Dienerinnen, tausend ihr zur Linken, tausend ihr zur Rechten, aber zweimal tausend hinter ihr – und weil nun luftig war die Treppe aufgebaut und regelrichtig allerorts mit vieler Kunst durchbrochen, fielen von dem langen Zuge breite Schatten durch die Ritzen abwärts auf die tiefe Erde, während durch die sternenförmgen Lücken glitzerten und funkelten die vielen Fackeln.
Und als sie nun gekommen zu der Runde, die in halber Höhe vor dem Schlosse kühnen Vorsprungs seitwärts bog in Nacht und Finsternis hinaus, da trat sie einsam an die niedre Brustwehr, seitwärts stellend ihren Körper: mit den Augen aufwärts schauend nach dem mondenhellen Schlosse, aber mit dem Geiste horchend nach der grenzenlosen Tiefe.
Und da nun mancher unvernünftge Lärm von unten störend rauschte an ihr Ohr, erhob sie ihren Arm – und sei es von dem Zauber dieses Armes, sei es von geheimnisvollen Kräften ihres schwarzen Mantels, der in langen Falten fiel von ihrem Handgelenk nach ihren Füßen, wurde einesmales stumm ein jeder Lärm, und eine riesenhafte Stille füllete die ungeheure Weltenhöhle, während einer schweren Wolke gleich der Schlaf sich langsam erdwärts senkte vom Zenit – und müde ward ein jegliches Geschöpf, und auch der Engel Gottes auf dem Krankenlager schöpfte Ruhe zwischen seinen Schmerzen, fand zum erstenmal den Schlummer, also daß in dieser Nacht verstummete sein Schreien, mit dem Schreien auch das ängstliche Trompeten der Posaunen.
Und auch die vielen Dienerinnen auf der Treppe schauten angehaltnen Atems lautlos nach dem aufgehobnen Arm: da plötzlich fing die Göttin an umherzuschreiten, rang die schönen Hände über ihren Augen, flüsterte und sang den schauerlichen Reigen:
«Den Totenvogel hör ich fliegen, wohl erkenn ich seinen Flug – denn also zitterte und jammerte die schwarze Luft an jenem letzten Abend vor dem letzten Morgen, als Oneiros ruhiger begann zu atmen, ließ die großen Augen länger auf mir weilen, tröstend mein Gesicht mit seinen bleichen Händen, aber ich, die Unglückselge, Wahnbetörte lächelte und jubelte und sang in meinem Herzen, daß vom übergroßen Glück die Dankestränen netzten seine todesfeuchte Stirn». Und wilden Aufschreis fuhr sie fort: «Herbei, ihr Dienerinnen! reiht euch ans Geländer, schwinget eure Fackeln, ob vielleicht es mag geschehn und ich erspähe den Verhaßten, der im Dunkeln feige schleicht umher, vermeidend einer Mutter Racheblick in seinem niederträchtigen Bewußtsein.»
Und als nunmehr von viermal tausend Lichtern erdwärts sich ergoß ein hehrer Glanz und offenbarete das Menschenland und zeigete die Gotteskinder fortgetrieben in dem Wagen der Verräter, gleich wie wenn ein edler Ring entglitt aus eines Mannes Hand und wird hin weggeschwemmt von Schlamm und Regen, oder gleich des Malers Braut, von einem Wechsler heimgeführt, und gleich dem ewgen Mann, geprellt von kleinen Spöttern,
Da ward von Zorn und Mitleid einerseits und anderseits von bitterm Angedenken ein gewaltiges Bewegen in der Göttin Busen, jagten durch die tränenfeuchten Augen mancherlei verborgene Gedanken, während immerwährend wechselte das Spielen ihrer Mienen, gleich wie wenn im Doppelsturm ein See erglänzt zugleich vom Sonnenschein und von Gewitterblitzen.
Und eine lange Weile stand sie also kämpfend da, das Kinn zur Brust gesenkt, das Haupt den Lichtern abgekehrt, damit man nicht errate ihre heimlichen Gefühle, bis mit einem Male über alle Maßen schön und sanft geriet ihr Angesicht, und über dem, da winkte sie der Tochter, überhäufte sie mit stürmischem Liebkosen, herzte sie und küßte sie und redete und sprach mit Bitten und mit Schmeicheln:
«Geliebte Tochter, Mantis, du mein treues, gutes Kind! nicht zürne deiner Mutter, daß sie deiner nicht gedenkt und nicht mit Wort und Blick belohnt die vielen Opfer deiner täglichen Entsagung.
Und wahrlich, gerne gab ich deinem Herzen alles Glück und allen Frieden, die es reichlich wohl verdient, und tiefes Weh erfüllt mich bei dem Anblick deiner kranken Augen, deines abgehärmten Wesens. Aber sieh, von Sinnen bin ich ob der allzuherben Trauer, weiß nicht, was ich weder tue weder sage, also daß du mir verzeihen mögest alles, was ich je an dir gesündigt, samt in Zukunft werde sündigen in großer Menge.
Und nun, so hebe dich hinweg und eile zu dem Engel Gottes, der da wohnt im himmlischen Palast – Jehova ist sein Name, ihm gehorchen alle Gotteslande – wecke seinen Geist mit scharfem Mahnen, daß er, sich erhebend, schaue die Verräter, samt vom bittern Tod errette seine heilgen, vielgeliebten Kinder – anders, als mir selber widerfahren, da sich niemand kümmerte um meines Sohnes Sterben, sondern kalt verblieb die ganze Welt, und auch kein Zeichen offenbarte sich bei seinem Tode.»
Und liebegierig, dürstend, nahm die andere an die freundschaftsreichen Worte, gleich der Blume unterm Sonnenschein nach langem Regen, lehnte dankend ihren Kopf an ihrer Mutter Hals und Busen, selig lächelnd mit den treuen Augen, mit den hellen Zähnen, während schmiegend gleich dem Schwan und gleich der Welle sich bewegete, vom übermächtgen Glück erregt, ihr zarter Leib – und als sie nun vernommen ihrer Mutter Wunsch und Willen, machte sie sich heftig atmend auf und stürzte hastig, bald errötend, bald erbleichend, am Geländer abwärts auf den breiten Stufen, stolz und freudig zu erfüllen den willkommnen Auftrag, schaute nimmer um, bis daß sie war gekommen zu dem himmlischen Palast, und allda pochte sie ans Fenster, meldete und sang die schlimme Botschaft.
Doch gleich wie wenn in trüber Luft ein Schiff verdreht sich spiegelt, also daß die Masten samt den Segeln meerwärts hangen, überdacht vom schweren Rumpf des riesenhaften Bootes, also wendete des Engels kranker Geist ins Gegenteil die bittre Wahrheit, weil er wohl durch Schlaf und Traum vernahm die Namen seiner Kinder, aber nicht verstand die Sage.
Sondern schauete, vom äußern Schall betört, die Kinder friedlich ruhen in dem sichern Erdenschlosse, wähnte sich in grauenhafter Täuschung stehend neben ihren Betten, wie er einen um den andern hob empor und redete und sprach zu ihm mit weicher Stimme, während jener zwischen Schlaf und Wachen, blinden Blickes, zwinkernd mit den Augen, schlug die heißen Glieder um des Vaters Hals und Brust und Nacken:
«Geliebte Kinder, meine süßen, reinen Tauben, habt ihr sanft geschlafen all die lange Zeit, da ich gefangen lag in Schmerz und Krankheit, unvermögend euch zu schützen oder zu genießen?
Und auch es waren böse Stunden, Stunden vieler Angst und eitlen Argwohns, da ich oft in meines Fiebers Irrtum euch erblickt in Not und Krankheit und Gefahr und manchem Schlimmeren, wovor sich weigern die Gedanken.
Doch nun so ist es alles längst vorbei, und war ein blöder Wahn, und dieses nenn ich meine beste Heilung, daß ich also mit den Händen kann begreifen meines Herzens liebstes, langentbehrtes Kleinod.»
Und also träumt und redet er, und ähnlich seinem Traume stammelt er in Wirklichkeit mit lautem, körperlichem Ton, indessen sich verklärte sein Gesicht gemäß der Kinder holdem Gegengruß und Lächeln.
Doch Mantis vor dem Fenster, als sie inne ward den Irrtum seines Fühlens, machte dringender ihr Mahnen, sang und weinete mit weicher Stimme:
«In kalter, weiter Welt, im freien, unbeschützten Felde wohnen sie, die zarten Sprossen: Mythos, deine Erstgeburt, und Hiero, der Schöne, samt Messias, deiner letzten Hoffnung; wohnen in den Händen der Verräter, Nacht und Einsamkeit vereinzelt sie, und niemand stehet auf, sie zu erretten.
Und drum erhebe dich! umgürte dich! und laß mein Herz sich weiden an dem frohen Schauspiel, wie du heilgen Zornes gleich dem Ungewitter fegest in den Reihen deiner feigen Feinde!»
Und wohl verspürt er jetzt von fern das Klagen um die Namen seiner Kinder, fühlte ob der schönen Stimme unverstandnem Weinen einen tiefen Schmerz, und auch sein Auge füllte sich mit Tränen.
Doch unbewußt geriet ihm das, und fremde, unvernünftge Bilder füllten seinen Geist, und nicht bewegte sich ob alle dem sein Wille.
Und also blieb es alle Zeit, und ob die andre immer eifriger sich mühte, rieselten die Tränen ihm auf Bart und Kissen, aber leblos lag er da, ein schwacher Mann, gebrochen und gelähmt, des eignen Geistes bar, ohnmächtig seines ganzen Wesens.
Indessen zogen die Verräter schweigend in dem tiefen Tal, mit Vorsicht führend ihre Opfer auf entlegnen Wegen.
Und zwar solange Nacht und Finsternis erfüllete des Äthers schwarze Kuppel, hielten sie sich sicher auf dem offnen Felde, sich begnügend, daß sie mieden jedes Dorf und jeglichen bewohnten Weiler.
Doch als nunmehr von viermaltausend Sternen fiel ein klares Licht hernieder, übersilbernd alles Land mit märchenhaftem Schein, da schwenkten hastig sie zur Seite, wählten eine Straße, welche plan- und schußgerecht, von hohen Pappeln eingesäumt, sie führte nach der Richtung, wo des Himmels zackiges Gebirge überschattete das Wiesental mit einem breiten, mitternächtgen Streifen.
Und warm und wonnig war die Luft, und leichte Wölkchen reisten flockenweise mit gespannten Segeln eilends durch den dunkelsamtnen Raum, und links und rechts die Matten und die Bäume, blaß vom Sternenschein und weiß von schaumgen Blüten, streuten neidlos mit verschwenderischen Händen ihre scharfen Wohlgerüche nach der Straße, jeder einzelne bescheiden sich versteckend, ungesehen leistend seinen Beitrag, unverdrossen, wenn im allgemeinen Reichtum seine Gabe spurlos sich verlor – den Menschen gleich, wenn eine edle Frau, es sei aus Edelmut und sei aus irgendeinem andern Grunde, fremder Armut sich erbarmt, und eifrig nahen die Gespielen, spenden selbstvergessen, nicht begehrend Dank und Ehre, mit gerührtem Herzen die willkommenen Geschenke.
Und überall ertönt ein Singen und ein Klingen, säuselten und bebeten geheimnisvolle Stimmen.
Und anders waren diese Stimmen als des Tages Stimmen, wenn von lautem Jubel glänzet Berg und Tal und Luft und Erde, sondern flüsternd klang der vielverschlungne Ton, und aufwärts in den ungeheuren Räumen herrschte Grabesstille, auch die Vögel schwiegen überall in Busch und Baum, und einem stummen Bilde gleich erschien die weiß und schwarze Welt, als wie geleimt aus toter Karte – aber unten in den Sträuchern lagen Äolsharfen, waren ungezählte feine Saiten hingezogen durch die saftgen Wiesen, also daß ein jeder zarte Hauch und jedes kleinste Leben, das sich regte zwischen diesem und dem gegenseitgen Horizonte, sich verwandelte in Melodie und zitterte, von wähl verwandten Klängen keusch begleitet, schwingend in die Ferne, während aus der Erde hohlem Boden kräftig sich ernährte und verstärkte seine reine Seele.
Doch wenig achteten die schlechten Räuber dieser Dinge, flüchteten, das Herz von Angst und Furcht beklemmt, mit scheuen Blicken, auf den Zehen tretend, durch den wollustreichen Gau – und schon in weiter Ferne lagen die bewohnten Orte, tönte leise nur und von der vielen Zwischenluft gedämpft der Mädchen doppelstimmiger Gesang vom Dorfe her und ab und zu der Hunde treuer Wächterruf – und auch kein Mensch begegnete dem feigen Trupp als nur allein im nahen Bach die jungen Frauen, welche ängstlich flohen an das andre Ufer, unterm Schilf verbergend die erschreckten Glieder, bis sie mählich, ihrer Sicherheit bewußt und eingedenk des unbestimmten Lichtes, da man nicht vermochte zu erkennen ihre Namen, eine um die andre, traten wiederum hervor und schauten in vereinter Gruppe, freundlich sich umschlingend, munter lachend, mit Verwunderung herüber nach dem fremden, ungewöhnlichen Ereignis.
Und von den Lieblichen die Schönste – größer war ihr Wuchs als aller andern, enger schloß die Anmut ihre weichen Arme um den reinen Körper, daß, vom sanften Druck getragen, richtiger und freier sich entfaltete die schlanke Blume – diese trennte sich von den Gespielen, schritt mit kleinen Schritten ruhig herwärts durch des Baches Furt, und leichten Schwunges springend auf das niedre Ufer, stellte sie sich unbefangen auf die duftge Wiese, Frühlingsgeister gaukelnd um sie her, doch Schönheit strahlend selbst mit ihrem eignen Wesen.
Und lässig auf den Rücken legend die gestreckten Arme, Hand in Hand gefaltet, folgte sie mit ihrem Blick dem Zuge alle Zeit, so lang er sich bewegt in nächster Nähe gegenüber ihren Augen.
Doch als nun mehr und mehr sich seitwärts richtete ihr Angesicht, da machte sie sich plötzlich auf und zog von dannen mit befriedigtem Gemüte.
Und weiter flohen sie des Wegs, und riesenhafter stets und deutlicher erschien des Himmels abenteuerliche Wand, und schon erreichten sie beinah die schwarzen Schatten, schon, von starkbewegter Bergesluft getroffen, neigten sich der Pappeln hohe Häupter, wogten hin und her die Gräser und die Sträucher:
Da hoben an die Kinder sich in ihrem Schlaf zu regen, wendeten und kehrten sich und seufzeten und stöhnten, ähnlich jungen Falken, die gefesselt sitzen auf des Jägers Hand, verhüllt das stolze Antlitz, aber unterm hohen Walde recken sie die Hälse, schlagen mit den Flügeln, richten schreiend ihre Schnäbel nach den heimatlichen Felsen.
Und als der erste öffnete Messias seine dunklen Augen, sah umher mit übermächtigem Erstaunen.
Und viele farbge Träume hatt er schon geschaut, und manche schönen Wunder waren ihm begegnet in den Tiefen seines Wesens, wenn bei seines Leibes Schlafen in dem weichen Bette keimt und blühte seine Seele, aber niemals dünkt ein Traum ihn also kühn und kräftig, nie erschien ihm noch ein Wunder gleich wie heute groß und reich, und eifrig hielt er an die Glieder und den Atem, wagte nicht das Köpfchen zu erheben, daß er ja sich nicht erwecke, samt verstöre die aus Duft gewobenen, vergänglichen Gestalten.
Und weil nun gänzlich Neuling war sein Auge, welches niemals noch erfahren die Entfernung und Verkürzung, auch sein Geist noch nicht gelernt den ungeheuren Raum und aller Dinge schachtelförmges Dasein, könnt er das Gemälde nicht vertiefen, glaubt es alles ebnen Planes sich bewegend herwärts einem schwarzen Vorhang.
Und also mit entzücktem Herzen, doch verstohlnen Blicken fing er an zu lesen und zu sammeln, erntete die feenhafte Welt zum unauslöschlichen Gedächtnis.
Und erst begann er mit den größten Bildern, welche stille hielten seinen Blicken, mit den Männern und den Pferden neben ihm, indem er nicht begriff das stete Auf- und Niedertreten ihrer Füße, während hastig herwärts reiseten die schlanken Bäume – schweifte folgends nach dem Silbermeer zu beiden Seiten, wo sich riesenhafte Schattenungetüme neben tausend kleinern tummelten umher – bis daß er endlich merkte die diamantnen Blumen, die da langsam zogen über seinem Angesicht, und über dem, da blieb verachtet jede andre Neuigkeit, und ruhig drückt er seine Locken rückwärts auf den Wagen, hub mit selgem Lächeln an den holden Flor zu zählen und zu rechnen.
Und sonderte die seltnen grünen von den roten und den bläulich weißen, wählte für die größten seitwärts einen Ehrenplatz – doch eine Blume war, die strahlte vor den andern also über alle Maßen licht und hehr, daß sich das eitle Kind vergaß und holte unvermerkt ein Ärmchen aus der Decke, krümmte die gespreizten Finger, schob die Hand mit Zaudern langsam aufwärts – aber siehe da, die Blume wuchs zu hoch, und mit beschämtem Mute ließ er nunmehr ab, und mit gebesserten Gefühlen unternahm er wiederum die wonnevolle Arbeit.
Und zählt und rechnete in einem fort, und schon bedeckte sich sein Auge mit den müden Lidern, schon umschleierte der Schlaf sein zartes Antlitz –
Doch immerwährend übte sich sein Geist an den gestirnten bunten Fluren.
Und weiter zogen sie des Wegs, und brausend fiel der heiße Sturmwind von des Himmels scharfen Zacken, fegt in heftgen Stößen, Blüten streuend, übers tiefe Tal – da wurde Hiero mit einem Male über alle Maßen stumm und still, und als nun eben endeten die Pappeln in dem mitternächtgen Schatten, samt sich seitwärts bog der dunkle Weg, in gleicher Richtung führend mit dem riesigen Gebirge, kroch er kauernd auf des Wagens Decke, schaute, ans Geländer stemmend seine beiden Hände, aufwärts nach der schwarzen abenteuerlichen Mauer.
Und schaute nicht wie solche, welche Neuigkeit erstaunt vernehmen, lernend mit vergnügtem Geiste, sondern sinnend war sein Blick und ernst der Ausdruck seiner Mienen, während starrend haftete sein Auge an den weichen Gärten, an den blumgen Stufen, an dem Wasserfalle, der mit milchig weichem Fluß geräuschlos glitt hernieder in die waldgen Schluchten.
Und über eine Zeit, so hub er an und redete und sprach geheimnisvollen Flüsterns:
«Sag an, mein Herz, was ist es, das dich also sehr bewegt? und warum krümmst du dich und kehrst du dich beim Anblick dieser Wälder?»
Und es erwiderte und sprach zu ihm sein Herz mit Flüstern:
«Erinnrung seh ich steigen auf den steilen Pfaden, Ahnung spür ich liegen in den finstern Gärten, aber an dem Wasserfalle spielen meine eignen wesentlichen Träume, grüßen traurig gegen mich herüber aus den seelenvollen Augen.
Und alles dieses hab ich einmal schon gesehn, es sei in ferner Zukunft oder auch in längstvergangnen Tagen.»
Und über diesem Wort gedachte Hiero des Bildes, das da hing ob seinem Bette, jener Landschaft, da sein Vater oft ihn auf den Armen hob dazu empor, erzählt und deutet ihm die vielen schönen Sachen, redete und sprach zu ihm mit weicher Stimme: «Dieses ist die Wohnung deines treuen Vaters, dieses deine wahre eigne Heimat, da du einst, so Gott will, selber wohnen mögest glücklich und geliebt in deiner Brüder Mitte.»
Und etwas anders freilich war das Bild gewesen, hell mit grünen Farben übermalt, und auch in seiner Mitte prangt ein stolzes Schloß, beherrschend alle niedern Lande, aber gleich erschienen hier wie dort die zackigen Gebirge, gleich die blumgen Halden samt dem Wasserfalle, welcher lautlos so wie heute rollte durch die hohlen Schluchten.
Und über dieser Ähnlichkeit begann er jetzt zu dichten und zu sehnen, schweren Mutes, kraft der Dichter üblicher Gewohnheit.
Und was er mit den Augen schaute, wollt ihm nicht genügen, sondern jenseits war sein Wunsch, und also schwang er sich mit seinem Geist hinüber nach den unsichtbaren Feldern, sah die Himmelskinder spielen vor den Toren auf dem mondbestrahlten Rasen, dachte seines Vaters in dem fernen Schlosse, wohnte neben ihm, begleitend alle seine Schritte.
Und wo er wohl in diesem Augenblick verweile? ob er in dem glanzerfüllten königlichen Saale fröhlich sich erlabe in der Freunde Mitte, oder ob er jagend streife durch die finstern Forsten, Abenteuer um ihn her und Feindeshinterlist und mancherlei Gefahren, oder ob vielleicht er seiner Kinder sich erinnre, sei es, daß am Fenster stehend er durch Nacht und Dunkel sinnend blicke nach den niedern Landen, sei es, daß ein Traum ihm aufwärts rücke die geliebten Bilder?
Und hier an dieser Halde stieg er wohl herab, wenn er am seltnen Tage bei des Abends Dämmerlicht sie überraschte, bald mit Blumen, bald mit bunten Muscheln, bald mit andern hellen, schönen Sachen, die er an den Himmelsufern unterwegs gesammelt, daß damit er tröste ihre jungen Herzen, samt erwecke ihres edlen Vaterlandes heimisches Bedürfnis.
Und weil er also künstlicher Erfindung dichtete und malte an den hohen Wänden, hub im buschigen Gebirg ein Vogel an zu singen, rief ein schwermutvolles Lied mit lauter Stimme über die bestirnten Auen.
Und niedrig überm Boden fliegend, gleich dem Kuckuck, gab er seine mächtgen Töne, also daß er niemals ward gesehn, und immerwährend täuscht er die Vermutung, da er bald in nächster Nähe überm Wiesengrunde mächtgen Schalles strich einher und bald auf duftger Höhe, wo vom vielen Zwischenraum sich dämpfte sein Gesang, dem Echo gleich und gleich dem Liebesschwur, von heißem Mannesmund mit Leidenschaft begehrt und wiederholt von schöner Lippen flüsternder Erlaubnis – aber ob im Tale oder auf den Gipfeln, alldurchdringend klang die Stimme, herzbewegend lautete das Lied, und es geschah, ob dieser Stimme Rufen widerhalleten die Saiten und die Harfen durch den ganzen weiten Erdenplan, und über dieses Liedes Inhalt fing es an zu keimen in den Lüften, stiegen aus des Äthers schwarzer, unergründlicher Versenkung die vergangnen Dinge, senkte leuchtend sich die reine, duftge Gotteswelt hernieder auf das plumpe Dasein.
Die Gotteswelt, die reine, die beseelte, wie sie Gott der Schöpfer ahnte, als er am verhängnisvollen Abend liebestrunken wankte zu Usia, seiner angetrauten keuschen Braut, doch überm Walde, wo am heißen Stein die Brombeern leuchteten im Abendsonnenstrahl, da kam des Wegs entgegen Physis, das gewaltge, üppge Weib, gemein an Seele und Bewegung, klein von Geist und grausam an Gesinnung, aber heftig und gerade war ihr Wesen, samt von kräftiger, gesunder Schönheit ihres Körpers prächtger Bau, und es geschah, nach sanfter Leute Brauch und Sitte faßte Leidenschaft sein weich Gemüt, und da nun jene künstlich spielte mit den Augen, mit dem Munde, mit den weißen Gliedern, auch in Wahnsinn tobten seine Sinne, irrt er einen kleinen Augenblick, und ob auch alsobald ein ungezähmter Ekel ihn befreite, ob er sie verfluchte mit den fürchterlichsten Schwüren, ob in Reu und Gram er sich verzehrt in alle Ewigkeit, so wars geschehn, und alles Unheil stammt daher, und also ward geboren eine Bastardwelt, gemein von Wesen, aber schön von Gliedern, stark zugleich und grob und grausam, kraft der schlechten Mutter treuem Ebenbild und Erbteil.
Und jene andre Welt, die ungeborene, darinnen herrscht Gemüt und Liebe, senkte sich hernieder bei des rätselhaften Vogels sehnsuchtsvollem Singen, daß von abertausend seligen Gestalten sich erfüllete der ungeheure Raum – und knieend auf dem Wagen starrte Hiero inmitten dieser Wunder, könnt es alles nicht bewältigen in seinem kleinen Herzchen, rang und kämpfte mit ersticktem Atem, weil ein unverstandnes Weh verletzte seine tiefste Seele.
Und gerne hätt er lauten Rufs geschrieen in die stille Nacht, und mächtig schwoll in ihm der Strom der Tränen, droht ihm wilden Stoßes zu zersprengen Hals und Busen, aber von der stets erneuten Flut des äußern Meers bedrängt, erlahmte seine Stimme, mußten seine Tränen rückwärts fließen, sich beschränkend zu durchwühlen sein Gemüt mit Sturm und Aufruhr.
Und also blieb er alle Zeit, und schon erlöste Schlaf und Ohnmacht seinen Geist und seine Sinne, schon vor übergroßer Arbeit senkte sich sein Haupt und legte sich sein Körper, aber immerwährend starrte sein erschrecktes Angesicht, und lange noch umfingen seine zarten Hände krampfhaft das Geländer.
Indessen stöhnt und seufzte Mythos neben seinen beiden Brüdern, bäumte sich und krümmte sich, dem wunden Manne gleich, auf dessen Leichnam streiten Tod und Leben.
Und es begannen, redeten und sprachen zueinander die Verräter: «Ihr lieben Brüder, eine Torheit haben wir begangen, da wir aus dem flachen Lande flüchteten zu diesem Hochgebirge, denn seht, der Gotteskinder Heimat wohnt allhier, und wenn wir länger weilen unter dem verräterischen Winde, werden sämtlich sie erwachen, auch erheben ihre Stimmen, daß vielleicht vom nahen Schloß es innewird ihr starker Vater.
Und drum so wollen wir vor allem meiden das verzauberte Gebiet und eilends rückwärts fliehen, uns versteckend, sei es unterm Schilf und sei es im Gehölz, bis daß wir zwischen Nacht und Tag beim Dämmerlicht uns retten nach des Landes Grenze.»
Und alle billigten das Wort, und da nun eine Nebenstraße scharfen Winkels seitwärts bog, so machten sie sich auf und hetzten ihre Tiere mit Geschrei und Peitschen, nicht beachtend ferner Heimlichkeit und Stille, sondern dieses nur erstrebend, daß sie eiliger entrönnen dem verwunschnen Wald und dem gefeiten Schatten.
Und schon erreichten sie die sternbestrahlten Auen, schon erhellte sich ihr Antlitz, weil sich in des Weges Nähe zeigte eine buschige Versenkung:
Da stürzte sich der heiße Sturmwind donnernd vom Gebirg ins Tal, und einesmales richtete sich Mythos auf und blickte, leicht mit einer einzgen Hand des Körpers Gleichgewicht vermittelnd, kräftig sehend in die Runde.
Und mehr bedurft er nicht, und über dem, da winkt er mit der Hand – und heftgen Rückpralls mit gespannten Sehnen stellten sich die Pferde, während widerwillig, knirschend nur gehorchten die Verräter.
Und er begann und heischete und sprach mit scharfen Worten:
«Sagt an, ihr Männer, was beginnet ihr? und ists in meines königlichen Vaters eignem Auftrag, daß durch Nacht und Heimlichkeit ihr also in die weite Fremde führet meine edlen Brüder?»
Und als nun jene schwiegen mit verbißnen Mienen, fuhr er fort: «Wohlan, so knieet nieder, ob vielleicht ich mit Gebet euch rette vor der wohlverdienten Strafe eures niederträchtigen Verbrechens.»
Und zitternd, mit entblößtem Haupte knieten sie zu Boden, schauten nach der Erde schuldbeladenen Gewissens, ohne jenen Mann des Bartes, welcher mutig murrend stand zur Seite, tief den Hut ins Angesicht gedrückt, und frechen Blickes mit gestemmten Armen glotzend nach des Kindes Antlitz.
Und über dem, da hub er an, und rückwärts nach dem Himmel schauend, aber mit den Händen zeigend nach den Sündern unter seinen Füßen, betet er und flehete und sprach mit lautem Ton und ernster Stimme:
«Mein Gott und Vater, ewig ist dein Reich, und deiner Herrscherstärke werd ich immerdar vertrauen! Darum, wenn auch heut aus irgendeinem Grund verdunkelt ist die Vollmacht deines Geistes, daß du nicht gewahrest deine Kinder preisgegeben den Verrätern, wirst in naher Zeit du wiederfinden deine königliche Kraft, und alsdann wirst du einen Tag bezeichnen, da du richtest über eines jeden Sünde.
Und freilich ist mir nicht erlaubt, zu beten aus dem Mund und Namen meiner Brüder, also daß, was ihnen immer widerfährt, du richten mögest kraft dem weisen Spruche deines heilgen Urteils. Aber meinetwillen fleh ich jetzt zu dir, daß du das Gnadenamt, des königlichen Standes höchste Würde, mir verleihen mögest eine kleine Stunde, mir dem Erstgebornen, deines Thrones nächstem Erben, also daß du meinen Tod nicht sühnest, sondern gänzlich ihn verzeihst zu meines Namens ehrendem Gedächtnis. Dies ist deines treuen Sohnes letzter Wunsch und Wille, auch vielleicht so bleibt es seines jungen Lebens einzge Handlung.»
Und als er nun geendet, eilten jene dankend ihm entgegen, drängten sich um seine Knie, belästigten sein Aug und Ohr mit niedertän'gen Reden und Gebärden, sich entschuldigend in ekelhaftem Wettstreit – aber mit Verachtung stieß er sie zurück – und über dem, da fiel er auf die Knie – und als er eine lange Stunde still vor sich gebetet und gerungen, legt er ruhig sich zu schlafen neben seiner Brüder Seite.
Und kleinlaut mit beschämtem Herzen schlichen jene nach dem sicheren Verstecke.
Und auf dem Dache seines Hauses stand der Behemoth und schaute über die ergrauenden Gefilde ungeduldig nach des Landes Grenze.
Und als nun bei des Tages erstem Leuchten er erblickte, wie der Gotteskinder goldne Locken funkelten im Sonnenglanz, da stieg er alsobald hinab, versammelte die Großen seines Reiches, die er wiederum auf diesen Tag geladen, redete und sprach zu ihnen barschen Tones mit Verachtung diese Rede:
«Wohlan, ihr Hochgebornen! die mit aller eurer Weisheit wußtet keinen Rat und spracht: ‹Vergeblich ist ein jeglicher Gedanke!› schauet hin, was ich erreicht durch eines einzigen Verständgen Urteil.»
Und also sprechend öffnet er dasselbe Fenster, das er dazumal geöffnet, führte sie hinaus, und als sie nun vor Neid und Ärger sehr erblaßten, wurde über alle Maßen freundlich sein Gesicht, und lächelnd holt er jetzt Leviathan herbei, umarmte ihn und stellt ihn neben sich, begann und redete und sprach vergnügten Wesens:
«Und da nun dieser niedre Sklave besser ward erfunden als ihr andern alle, die ihr euch gewaltig dünkt aus Gründen eurer fürstlichen Geburt, so will ich ihn zu einem König setzen über euch, damit ihr euch vor ihm verneigt und ehret ihn an meiner Statt, und wehe jenem, welcher sich erinnert seiner schlechten Herkunft.»
Und also sprechend legt er seine eigne Krone auf des Dieners Haupt, und außer sich vor Scham und Zorn vernahmen es die andern, aber wagten nicht mit Wort noch Blick zu widersprechen, sondern neigten sich, und auf des Königs Wink so eilten sie von dannen.
Und als die beiden nun allein sich gegenüberstanden, fragete und sprach der Behemoth mit Zischeln:
«Doch jetzt erwartet uns das Schwerste: nämlich, welches sollen wir beginnen mit den Kindern?»
Und über dem, da zog der andre eine Scher aus seiner Tasche, rückte prüfend seine linke Hand vor seine Augen, schnitt und kratzte blinzend an den Fingernägeln, bis er endlich zwischen vielem Blasen lässig fragete und sprach mit oberflächlichem Erstaunen:
«Wohlan, was hindert, daß wir sie erwürgen diese selbe Stunde?» Und über dieser Antwort wich der Atem aus des Königs Brust, und all sein Blut gefror in seinem Herzen, daß er taumelte und schwankte, mit den Händen suchend, wo er irgend finde eine Stütze.
Und als er endlich sich erholt, begann er wiederum mit furchterstickter Stimme, weil sich seine Haare sträubten vor gewaltgem Grausen:
«Es wird geschehn, wenn wir die Gotteskinder morden, wird der Donner rollen, wird die Erde beben, werden aus den Gräbern auferstehn die Toten!»
Und emsig an den Nägeln feilend lächelte und sprach Leviathan: «Jedoch in kurzer Zeit, so wird der Donner schweigen, wird die Erde ruhig stehn, und auch die Toten werden wiederum hinuntersteigen nach vernünftiger Erwägung.»
Und schaudernd hörte Behemoth das Wort und zitterte und bebete, und kaum vermochten seine Kniee seinen Leib zu tragen.
Und über eine Zeit begann er abermals: «Und wenn nun alles Volk im ganzen Menschenlande sich entrüstet wider uns und ziehet an die Grenze mit Geschrei und wütenden Gebärden, vor den andern Epimetheus, in den Händen das Papier mit meinem Namen, welche Stellung wirst du nehmen, welches wird dein Antlitz sein zuwider ihrem sehr gerechten Fragen?»
Und ruhig schabend gab der andere zurück: «Die Hände auf dem Rücken, dieses wird die Stellung sein, und auch zum Antlitz will ich wählen einen Strohhalm zwischen meinen Lippen.»
Doch nicht gefiel dem König dieses Wort, und zweifelnd hub er wieder an mit Zaudern und bedenklichen Geberden:
«Jedoch bei alle dem, so laß uns einen Vorwand finden, daß damit wir irgendwie beschönigen den ungeheuerlichen Frevel.»
Und lauten Lachens fiel der andre ein: «In Wahrheit, diese Arbeit dünket mich zu groß, denn wo sie keinen Vorwand finden, werden sie sich selber eine Nachwand machen, ganz allein auf ihre Kosten, ohne irgend unser eigenes Bemühen.»
Doch wenig tröstete den König dieser Spruch, und als nun eben aus dem Hof erscholl der Gotteskinder Ankunft, wie sie harmlos schliefen, ohne Ahnung ihres bittern Loses, sprang er plötzlich auf und flüchtete, und in der Türe stehend wandt er jetzt sich um und rief mit großer Eile, weil vor gar gewaltger Angst ihm schier versagte seine Stimme:
«Wohlan, so habe diesen Tag Geduld, und überdies am Abend will ich dich bescheiden.»
Und sprachs und floh hinaus und strich den ganzen Tag im freien Felde ruhelos umher und rührte keine Speise an und sah und hörte nicht, was immer ihm begegne vor den Augen oder Ohren,
Doch als nun Finsternis und Nacht bedeckte alles Land, da kam er mit verstörten Mienen wiederum zurück, verkündete und sprach das schwere Urteil mit verzerrtem Munde, samt der Zähne lautem Klappern:
«Wohlan, es sei! doch wollen wirs zuerst mit einem einzigen versuchen, daß, wofern das Menschenvolk sich allzusehr ereifert, wir behalten in den andern beiden ein willkommnes Pfand, damit wir uns erretten.»
Und da nun jener mit den Achseln zuckte, fügt er rasch hinzu: «Bei meinem Zorn gebiet ichs dir! und überdies, so warte eine kleine Weile, bis ich ein Versteck gefunden, weil ich wahrlich aus der Nähe nicht vermöchte zu ertragen das Geschrei und Röcheln.» Und sprachs und rannte sinnlos weg und barg sich hinterm Scheiterhaufen auf dem Speicher, krampfhaft mit den Händen drückend seine Ohren; aber ruhig machte sich der andre auf und schritt mit Singen und mit Pfeifen an die grauenvolle Arbeit.
Und war ein banger Augenblick, und drückend senkte sich die Nacht herab, und schaurig winselte der Sturm, und auf dem Speicher lag der Behemoth in Todesangst und betete und sang und rückte mit den Gliedern hin und her, damit er weniger vernehme jegliches Ereignis. Aber plötzlich hob ihn jemand auf, und siehe da, Leviathan mit Grinsen und mit Lachen wies ihm dar ein blutig Messer.
Und außer sich vor Schrecken fiel der König auf den Boden, rief und sprach mit Ohnmacht und erstorbner Stimme:
«Und wars ein schweres Werk? und hat das Opfer auch geschrien und sehr gelitten?»
Und tröstend meldete Leviathan: «Von Herzen war es leicht, und gleich wie wenn man eine Taube würgt, und etwas wenig hat er nur gewimmert und gestöhnt und dreimal schwach gezuckt mit seinen Gliedern.»
Und mit erlöstem Mute stand der König auf und dehnte sich und atmete, versuchte abermals, begann und sprach das Fragen:
«Und hat die Erde nicht gebebt? und auch der Donner nicht gebrüllt? und stiegen nicht die Toten aus den Gräbern?»
Und Trost und Beifall fand er in des andern Mund: «Ein wenig bebte zwar die Erde hinterm Hofe bei der Küche, aber sanft und angenehm, und auch der Donner flüsterte mit Anstand in der Ferne, rücksichtsvoll beachtend, daß er keinem Manne störe seinen wohlverdienten Schlummer; übrigens die Toten stiegen freilich aus den Gräbern, aber mit geringer Lust und wenige an Zahl, und zogen jeder einmal um sein Grab, und über dem, da stiegen sie befriedigt wieder in die Tiefe.
Und blieb ein einzger nach, dem klopft ich auf die Schultern.»
Und über dieser Meldung drückte Behemoth die beiden Hände gegen seinen Magen, seufzete mit lautem Ton zu wiederholten Malen.
Und über diesem Seufzen ward ihm über alle Maßen leicht und wohl sein Mut, und tänzelnd schritt er auf und nieder, bis von neuem seinen Geist beschwert ein lästiger Gedanke:
«Und nun, mein Freund, so laß dichs nicht verdrießen zu vollenden dieses Werk, daß du dich stellest auf den Wiesenhügel an des Landes Mark, damit du, wie es sich gebührt, empfangest das erzürnte Volk, wenn es des Morgens mit Geschrei und Drohen Rechenschaft verlangt ob dem begangnen Frevel.»
Und sprachs, und jener machte sich von dannen ohne Furcht, mit dienstbegierigem Gemüte.
Und als am andern Morgen nun das Menschenvolk in wutentbrannten Massen stürzte nach dem Berg, an ihrer Spitze Epimetheus, das Papier in seiner Rechten, aber die Athener kleinlaut an des Zuges Ende, alle ungestümen Mutes tobend und mit vielem Drohen sich gebärdend, hielt Leviathan die Hände auf dem Rücken, samt den Strohhalm in dem Mund – und es geschah, durch diesen Strohhalm ward mit einem Male sanfter ihr gewaltger Zorn, und also fort, bis daß in Flüstern sich verwandelte das grimmige Geschrei und sie begannen ihn zu fragen mit bescheidenen Gebärden.
Und fragten allerlei und oft, mit Leidenschaft zuerst, hernach mit Höflichkeit, doch als der andre immer mehr verstummte, machten sie sich endlich gleichfalls stumm, begannen zu bereuen ihre allzusteife Härte.
Und also standen sich die beiden gegenüber eine lange Zeit und sahen schweigend sich einander an, da plötzlich tat sich eine Stimme auf und rief und sprach mit überlegener Belehrung:
«Ihr lieben Brüder! was begehret ihr? und welches ist der Grund, daß ihr so gar gewaltig euch erhitzt und euch gebärdet?
Und stehen nicht die Balken richtig wie zuvor? und siehe da die Bächlein, wie sie munter springen!»
Und mit erstauntem Geiste schauten sie sich um: und als nun richtig überall die Balken standen, auch die Bächlein lustig sprangen wie zuvor, da kehrten sie mit Lächeln um und zogen friedlich wiederum nach Hause.
Und diesmal wandelte der König kleinlaut an des Zuges Ende, aber die Athener schritten stolzen Haupts voran, belehreten das Volk, beleuchteten mit ihren Lichtern das Ereignis.
Und redeten und sprachen mit geheimnisvollen Mienen:
«In Wahrheit, wenn wir alles recht bedenken, ist ein großer Segen uns geschehn; denn sehet Mythos war ein epileptisch Kind, und leicht vermochten seine Brüder zu gewinnen diese selbe Krankheit.»
Und als Leviathan nun gegen Mittag wiederkehrend meldete die Friedensmär, da rieb der König seine Hände, setzte sich zu Tisch, damit mit Speis und Trank er stärke die erschöpfte Seele.
Und endlos lange währte dieses Mahl, und immerwährend stand Leviathan dabei, erspähend den ersehnten Augenblick, und als nun jener schließlich sich erhob, begann er jetzt und mahnete und sprach bescheidnen Drängens:
«Und nun, so dir es angenehm, so wollen wir das Werk vollenden.»
Doch ungern hörte der das Wort und wich der Frage aus und wehrete und sprach mit Widerwillen:
«Vor allem laß mich ruhn und schlafen diesen Tag, denn vor der schrecklichen Bewegung bin ich ganz und gar entkräftet, unvermögend zu ertragen eine neue Arbeit, aber abends, wenn ich mich erholt, so magst du wiederum mich fragen.»
Und notgedrungen gab der andre nach, und also ging der Behemoth zu ruhn und schlief mit Röcheln und mit Stöhnen bis zum späten Abend. Aber als nun Nacht umhüllte jeden Gegenstand, da kam Leviathan herbei und weckte ihn und wiederholte eifriger das Mahnen und das Drängen.
Und schweren Kopfes, übellaunig drehte sich der König um, entgegnete und sprach mit großer Unlust:
«Es wird geschehn, wenn wir die übrigen erwürgen, wird der Vorhang in dem Tempel reißen!»
Und tröstend gab der andere zurück: «Jedoch so wird er reißen in der Naht, und ohne Mühe werden wir ihn wieder nähen.»
Und als er nunmehr immerdar beharrete mit Bitten und mit leidenschaftlichem Ermahnen, gab der König endlich nach, beschloß und sprach mit gnädiger Erlaubnis:
«Wohlan, es sei! doch dieses achte wohl, daß du Messias noch verschonest.»
Und sprachs und kehrte abermals sich um und fing von neuem an zu schlafen unter bösen Träumen.
Und schlief und stöhnt und seufzete die ganze Nacht, doch als der Morgen kam, da wurde ruhiger sein Atem, bis er gegen Mittag ganz und gar mit neugestärktem Mut erwachte.
Und siehe da Leviathan vor seinem Lager mit vergnügten Mienen.
Und außer sich vor frohem Staunen hub der König an:
«Wohlan, ists auch nach unserm Wunsch geschehn? und ist der Vorhang in dem Tempel nicht zerrissen?»
Und schmunzelnd gab der andere zurück: «Nach deinem Willen hab ich es vollbracht, und zwar der Vorhang ist ein wenig wohl gerissen, aber einzig in der Naht des Unterfutters, wohl beachtend, daß er nicht beschädige den seidnen Oberstoff, und darum haben ohne Mühe wirs ergänzt, und kann kein Auge irgendeinen Fleck noch Fehler mehr entdecken.»
Und wieder hub der König an: «Und wie geschah es mit dem Menschenvolk? und melde mir getreulich alles, wie es sich ereignet.»
Und er begann, erzählete und sprach und setzte sich vertraulich auf des Königs Lager:
«Es ist geschehen alles wie zuvor, und lärmend stürzte sich das Volk zum Berg, an ihrer Spitze Epimetheus, hinten die Athener, aber gar bedeutend weniger an Zahl und über alle Maßen sanfter, also daß ich ohne Mühe sie versöhnte, weil ich meine Hände steckte in die Taschen.
Und freilich eine Weile schwankten sie, da tat sich eine Stimme auf, belehrete und sprach mit überlegner Einfalt:
«Ihr lieben Brüder, was verlanget ihr? denn stehen nicht die Bäumchen schlank als wie zuvor? und siehe da die Vöglein, wie sie zierlich ätzen ihre Jungen.»
Und alsobald begannen die Athener zu beleuchten dieses Wort, erkläreten und sprachen:
«Und über alle dem, so ists ein ungeahntes Glück, denn siehe, stärker ruht das Gottesreich auf einem einzgen Haupte, während daß vielleicht sich Streit erhob und sie sich allesamt zerfleischten über ihrem großen Erbe.»
Und über dem, da zogen sie getrost von dannen, hinterm Zug der König Epimetheus, aber die Athener vornen.»
Und sprachs und fügte eifriger hinzu:
«Und jetzt so laß uns eilends enden unser Werk, auf daß es nicht geschieht und sich ein Ungefähr ereignet, das vereitle alle unsre viele, schöne Arbeit.»
Und während er noch redete, da stieg der König von dem Lager, fing sich an mit vieler Ruh zu kleiden und zu schmücken, nicht beachtend seines Dieners ungeduldge flehentliche Mienen.
Und als ers endlich nun vollbracht und öfters vor dem Spiegel sich geprüft und auch verbessert, hub er lässig an, erwiderte und sprach mit eines Schwiegervaters gnädigen Gebärden:
«In Wahrheit, allzugroße Eile scheint dir not, und nicht vermeinst du zu erwarten deine nahe Hochzeit. Aber laß uns nun nicht irgend etwas überstürzen, sondern jegliches zu seiner Zeit, und wenn die Nacht verheimlicht jegliches Geschehn, wohlan, so wollen wirs vollbringen.»
Und also sprechend schritt er nach dem Garten, setzte sich auf eine Bank in schattger Laube, hub mit aufgeräumter Laune an zu denken und zu sinnen,
Und schaute mit entzücktem Geiste, wie an seines Lebens Ende alles ohne Mühe sich von selbst ergab, was immer er in seiner Jugend kaum sich wagte zu gestehn in seinen Träumen, sah das Gottesreich zu seinen Füßen, sah sich thronen auf dem Menschenschloß und alles Volk ihm Untertan mit Zittern und mit Zagen und mit abergöttischer Verehrung.
Und weil er öfters nun verwechselte die Zeiten, auch den gegenwärtgen Augenblick verglich mit jenen Stunden, da als Kind er spielt in diesem selben Garten, wurde mählich weich und sehnend sein Gemüt, und also holt er aus dem Schlosse Beelzebub, den lieben eingebornen Knaben, setzt ihn notgedrungen auf sein Knie und sättigte an ihm sein Herz mit Küssen und mit Schmatzen.
Doch während dieser also sich erlabte, stand im Wald ein Haus und in dem Haus ein Keller. In dem Keller hatten sich versteckt die Fürsten dieses Landes, zischelten und sprachen zueinander finstern Blickes:
«Es wird geschehn, wenn diese Nacht ihm wiederum gedeiht sein Werk, so werden wir uns alle beugen müssen vor dem niederträchtgen Mann aus schimpflichem Geschlecht, und siehe, schon ist dreist und haßerfüllt sein Angesicht, und wenn es vollends wohlgelingt, so wird uns keine Rettung sein vor seiner übermütgen Frechheit.
Jedoch was hilft uns unser Groll? denn jenen schützt des Königs starke Hand, und so wir etwas wagen, wird es auf uns selber fallen, ihm zur süßen Lust und uns zur gänzlichen Vernichtung.»
Und während sie so schwankten zwischen Furcht und Abscheu, pocht es an der Tür, und bleichen Angesichts erschraken sie und zückten ihre Schwerter. Aber als sie nunmehr langsam öffneten, da trat herein ein altes Weib mit zuversichtlichen Gebärden, grüßte mit besonderm Gruße jeden einzelnen mit Grinsen und mit traulichem Verneigen, redete und flüsterte und sprach mit gleisnerischen Mienen:
«So bietet euch zum Gruß des Königs Tochter, meine edle Herrin:
Es soll geschehn, wenn einer unter euch es wagt, daß er auf irgend eine Weise sie erlöse von der schimpflichen Verlöbnis, will sie ihm gehören alle Zeit mit Herz und Hand und auch mit ihrem reinen, keuschen, jugendlichen Leibe.
Und also sprechend zog sie unterm Mantel einen Ring hervor und wies ihn einem jeden dar zu ihrer Worte Zeugnis.
Und über dem, da wuchs ihr Mut, daß sie sich unter sich verschworen heiligen Gelübdes:
«So wollen wir zuerst das Gotteskind befrein, damit wir Unmut und Verstimmung säen zwischen ihm und seinem Meister; übrigens so wollen später wir das andere beraten.»
Und gingen hin und rüsteten das Werk und sparten weder Geld noch Worte.
Und als der Abend brach herein und Dämmerung verdüsterte die Luft und trübete die Formen, stahlen sie das Kind und führten es mit Vorsicht heimlich an des Landes Mark und gabens an vermummte Männer. Diese brachten es auf Seitenwegen nach der Menschen Stadt und setzten es behutsam in den Tempel, wohl versorgt mit Decken und mit Kissen und mit Trank und Speise.
Und über dieser Nachricht ward ein ungeheures Lärmen in dem königlichen Schloß, und außer sich vor Wut und Rache hieß der Behemoth die Wächter vor sich bringen, aber sieh, da waren sie entflohn, und niemand wollte irgend sich zu dieser Tat bekennen.
Und als er nunmehr lange, doch vergebens hin und hergeforscht und viel umsonst gedroht und auch gefoltert, wandte plötzlich seitwärts sich sein Zorn, und also fordert er Leviathan und schrie und herrscht ihn an mit barscher Stimme:
«Wohlan, so ist nun dieses der Gewinn? Und darum hab ich Mord und Meineid auf mein Haupt geladen? darum aller Menschen Haß gerufen über meinen Namen?
Und alles das auf deinen Rat! und alles das um deines Vorteils willen!»
Und unerschrocken gab Leviathan zurück und biß sich in die Lippen:
«Fürwahr, ein großes Unheil ist geschehn – und auch wenn du in allen Stücken meinem Rat gefolgt, vielleicht, so konnten wirs vermeiden.
Doch dämme nunmehr deine Leidenschaft und laß dich nicht von deinem gegenwärtgen Schmerz bezwingen, weil vielleicht, wenn du dich mir vertraust, ich dirs mit List und Umsicht wiederum vergüte.»
Doch heftig schreiend fuhr der König fort: «Nach neuen Abenteuern lüst ich nicht, und allzuviel ist schon nach deinem Rat geschehn, und allzulange hab ich dir gedient nach deinem eignen Nutzen.»
Und über dem, da warf der andre sich zu Boden, betete und sprach mit dringendem Ermahnen:
«Gestrenger Herr, mein Leben liegt in deiner Hand, und wenn ich deine Gnade täusche, magst du über mich verfügen, wie es immer dir gefällt, und magst mich peitschen, magst mich widmen einem blutgen Tode:
Jedoch bedenke unsres schweren Werkes schönvollbrachten Anfang, samt des Reiches unermeßlichen Gewinn und Beelzebub, den eingebornen Knaben, daß ein einzges Mal du noch vertrauest deinem treuen Knecht, damit ich dir das Kind zurückerstatte, ehe dreimal steigt der Morgen aus der dunklen Tiefe!»
Und sei es wegen seines eifrigen Ermahnens, sei es wegen seiner Mienen Wahrheit, sei es endlich, daß sich in des Königs eignem Herzen regt ein mächtiges Begehren, gab er endlich nach, erwiderte und sprach mit grollender Erlaubnis:
«Wohlan! zum letztenmal! und auch damit dir keinerlei Entschuldigung verbleibe, will ich alles deiner eignen Willkür überlassen, will mich abseits stellen, daß du selbst an meinem Platze alles, wie es dir gefällt, beschließest, samt gebietest allem Volk; und wehe jenen, die dir widerstreben.
Und solches geb ich dir zu leihen, binnen dreimal hinterm Berg die Sonne aufersteht; doch dies beachte wohl: wenn du mein Herz betrügst und führst mein Reich in Schaden, sollen meine Diener dich mit Schimpf und Schande nackend peitschen durch das ganze Land, damit am Kreuze du beschließest dein gemeines Dasein.»
Und ehrfurchtvollen Grußes dankend stand der andre auf und eilte vor das Haus, berief und sammelte die königlichen Boten, redete und sprach zu ihnen zuversichtlichen Gebarens:
«Im Namen Behemoths, des hohen Königs, überdies in meinem Namen, der da heißt Leviathan, des Königs Freund und Schwiegersohn und aller Fürsten erster: gehet hin zu allem Volk, damit ihr ihm verkündet dies Befehlen:
Es soll sich jedermann im ganzen Reiche ungesäumt bewaffnen! soll sich unverzüglich stellen an des Landes Mark! und alles dieses ungesäumt, denn also will Leviathan, des Königs Schwiegersohn, bei Todesstrafe.»
Und sprachs, und jene folgten dem Gebot und stürmten eilends weg in alle Lande.
Und als am andern Morgen nun erwachten wie gewohnt der Menschen Kinder, sahen sie von Waffen starren alle Berge rings umher, und unabsehbar dehnte sich des Feindes Macht in dichten Haufen.
Und es geschah, ob diesem Schauspiel ward ein unbeschreibliches Gewühl im ganzen Land, und ungezähmter Widerwille offenbarte sich aus jedem Mund, und eingestimmten Willens zogen die vereinten Zünfte jegliche mit ihrer schöngestickten Fahne vor des Königs Schloß, begehreten und riefen ungestümen Mahnens:
«Nicht also wollen wir! denn Blut ist über alle Maßen uns verhaßt, und drum so tue, was es immer sei; jedoch auf jeden Fall entferne dieses garstge Bild vor unsern Augen.»
Und während sie so sprachen, nahten feierlichen Zuges zwölf berittene Gesandten, hielten mitten in dem vielen Volk mit wichtigen Gebärden.
Und ernst und düster war ihr Angesicht und traurig ihre Art und dunkel ihr Gewand, und als nun eine aufmerksame Stille ward um sie herum, erscholl von zwölf Posaunen ein gewaltger Ton, und über dem entfaltete der Herold ein Papier, begann und meldete und sprach mit klarer, lauter Stimme:
«Es ist geschehn: in dieser Nacht gefiel es wengen schlechten Männern, welche unsre Einigkeit verdrießt, daß sie Verdacht und Zwietracht streuten zwischen unserm Volk und eurem Volk; und also raubten sie das Gotteskind und setzten es in euren Tempel, uns zum Hohn, doch euch zum Leid und Ärger!
Und drum so spricht Leviathan, im Namen Behemoths, des Königs, unsers edlen Herrn: wofern ihr bis zum andern Morgen nicht das Friedenspfand zurückerstattet, will er mit den Waffen es verlangen, daß vielleicht mit Blut er wieder wasche die befleckte Ehre.»
Und sprachs, und über dem, da wandten sich die zwölf zur Seite, zogen langsam nach dem freien Feld, und allda hielten sie und schütteten von ihrer Heimat Erde auf das Gras und bauten sich ein Zelt und machten sich mit eigner Hand ihr Mahl zu recht und nahmen keinen Dienst und keine Frage an, und also fremden Wesens harrten sie der Antwort.
Und über dem, da wurde heftiger des Volkes ungestümes Schrein, und leidenschaftlichen Entrüstens huben sie nun an und riefen vor des Schlosses Fenster, während jeder eifrig unterstützte seines Nächsten Rede:
«Gerecht ist dieses Wort und billig ihr Verlangen. Darum, edler König, siehe zu, daß du je eher desto besser uns befreist von dieser widerwärtgen Drohung.»
Und es erwiderte und sprach der König bleichen Angesichts vom Fenster:
«Ihr lieben Kinder, haltet eine Weile still, damit vielleicht mit freundlicher Belehrung ich verwandle dieses ungebührliche Verlangen!
Denn sehet, nicht erlaubt mir mein Gewissen, daß ich es erfülle.»
Doch wilden Heulens riefen sie zurück: «Von freundlicher Belehrung nicht! und nicht von ungebührlichem Verlangen! auch es ist ein schlecht Gewissen, welches wegen einer kleinen Sache fordert unser köstlich Blut und leitet Krieg und namenloses Unheil auf das ganze Land und macht zu Waisen unsre reinen Kinder, samt zu Waisenmüttern unsre weißen Weiber.»
Und während sie so sprachen, tat sich eine Stimme auf und rief und sprach bestimmten Tones:
«Von jenen Gotteskindern stammet alle unsre viele Not und Angst, die wir erlitten in der jüngsten Zeit, und wahrlich besser war uns, daß wir gänzlich sie entbehrten!»
Und allgemeinen Beifall fand der Spruch, und es erklärten seine Wahrheit die Athener, lehreten und sprachen:
«Schon lange haben mit der Nase wirs gespürt, doch nun so wird es offenkundig unsren Augen:
Es sind die Gotteskinder heillos ganz und gar verfault in ihres Herzens tiefstem Mark, es sei von Aussatz oder Pocken oder auch von irgendeiner andern schlechten ekelhaften Krankheit.»
Und allerorts aus Hecken und aus Gruben sprangen neugeborene Propheten, huben an zu hüpfen und zu tanzen, hetzten das erhitzte Volk mit heißen Reden.
Und vor den übrigen Propheten zeichnete sich aus ein Lämmchen, weiß von Haar und mild von Herzen, welches alle Tage seines langen Lebens friedlich blökend graste von den frommen Kräutern, die da wachsen um den Tempel, also daß zum Sprichwort wurde seine reine, weißgelockte Sanftmut. Aber heute ward verwandelt seine ganze Art, und wie von Sinnen sprang es unterm Volke hin und her und eiferte und geiferte aus seinem weißen Maule:
«In Wahrheit, so uns dieses Kind verführt, so scheint mir Gnade, welche Todesart wir ihm bestimmen. Nämlich, da mit Tod wir sühnen eines einzgen Menschen Blut, so sprechet, welcher Lohn gebühret dem, um dessentwillen tausend bluten?»
Und über alle dem, da zog das ganze Volk in wutentbrannten Zünften vor den Tempel, lagerte daselbst und machten einen Bund, beschlossen unter sich mit Schwur und Handschlag:
«Es soll geschehn, wenn morgen die Gesandten unbefriedigt heimwärts ziehn, so wollen wir mit eigner Hand das Gotteskind bestrafen, uns zu Heil und Rettung.»
Und also sprachen sie. Doch von den Bergen, von den Tälern wallten langen Zuges nach der Königsburg die Menschenweiber, neben ihnen ihre halberwachsnen Knaben samt den Mädchen, aber ihre Saugekinder an den Brüsten.
Und hielten stille vor dem Schloß, und mit den Knieen kneifend so die Knaben als die Mädchen, aber mit emporgehobnen Armen ihre Saugekinder in den Lüften schwenkend, machten sie ein tausendstimmges Wehgeschrei mit Weinen und mit Zetern und mit jammervollen Klagen.
Indessen lag der König fiebernd auf dem Bette, unwohl seines Muts, und kalter Schweiß bedeckte seine Schläfen.
Und als nun immer stärker wurde das Geschrei und Jammern unter seinen Fenstern, sprang er plötzlich auf und redete und sprach entschloßnen Willens:
«In Wahrheit, länger trag ichs nicht, und seis auf diese oder jene Weise will ich kräftig handeln, je nachdem mit ja und nein es mir gestattet und verbietet mein Gewissen.»
Doch während er noch sprach, da sprang mit einem mächtgen Satze das Gewissen von dem Schrank und flüchtete nach seiner Art behende durch die offne Tür – indessen nicht allein, denn hinter ihm der König eilte auf den Gang und schrie und sprach durchs ganze Haus gewaltgen Zornes:
«Ihr Diener alle, kommt herbei, daß ihr mit Stecken und mit Stangen wiederbringet mein Gewissen. Übrigens befürchtet nicht es zu verletzen, sondern darauf seid allein bedacht, daß ihr es sicher fanget, seis mit Güte, oder wenn es also ihm behebt, mit Stoßen und mit Schlagen.»
Und jene folgten dem Befehl – doch immer sprang das kluge Tier zur Seite, wußte ewig Mittel zu entwischen, bis es endlich ganz von Kräften flüchtete aufs Dach, und allda fingen sie es ein und brachten das Erschöpfte, heftig Atmende dem König im Triumphe.
Und über dem verschloß der König sorglich Tür und Fenster, stopfte mit Papier die Ritzen an den Wänden, setzte das Gewissen auf den Tisch, und kräftig mit den beiden Fäusten es erfassend, hub er nunmehr an, verlangete und sprach verzweifelten Entschlusses:
«Fürwahr, nicht sollst zum drittenmal du mir verstummen, sondern diesmal laß ich nicht von dir, bis daß du deutlich mir verkündet deinen Spruch und mir mit ja und nein bewiesen meine Pflicht zu meiner sicheren Erkenntnis!
Und nun so sprich: was soll ich tun? und soll ich um des einen Kindes willen meines Volkes Krieg und Mord und Unglück wagen, oder soll ich, der Vernunft und auch dem Herzen folgend, besser nicht beachten meines Amtes Modeform und äußren Anstand?» Und als nun jenes widerstrebend sich zusammenzog und biß die Lippen aufeinander, fing er an daran zu quetschen und zu pressen mit ergrimmtem Finger, bis nach einer Zeit es endlich inneward des Königs unverbrüchlichen Entschluß – und also gab es nach und öffnete den Mund, und andachtvollen Mutes lauschte Epimetheus mit gespanntem Atem.
Doch siehe, doppelstimmig hub es an mit ja und nein zugleich und jede Stimme von der andern schön geschieden.
Und über dem, da ward der König außer sich: «Ein Doppelstimmiges begehr ich nicht, und eine einzge Stimme kann ich nur gebrauchen.»
Doch wie er auch sich mühe mit Geschrei und Bitten und mit Drohen, wie er auch mit Kneten und mit Kneifen es mißhandle, fing es freilich an zu jammern und zu weinen, aber doppelstimmig tönt in einem fort sein Urteil.
Und über dem, da war verlassen all sein Rat und ganz und gar zerknickt sein Mut, und also nahm er jetzt die Krone und das Zepter, stieg hinunter nach dem Saale, wo die Ältesten des Volkes sich berieten mit bedenklichen Gebärden, redete und sprach mit Demut und bescheidener Erkenntnis:
«Ihr lieben Freunde, diese Krone ist mir allzuschwer, und jenes Zepter kann mein schwacher Arm nicht führen. Darum nehmet hin, wer immer sich getraut, daß ers ertrage.»
Doch mit erschrocknen Mienen wichen alle auseinander, zogen in die Ecken und die Winkel sich zurück, und da nun eine Hintertür im Saal bestand, da flüchteten sie unversehens einer um den andern nach dem Gange.
Und über dem, da legt es Epimetheus alles auf den Tisch und schritt von dannen. Aber dienstbeflissen naheten die Weibel, reichtens ihm gehorsam dar mit höflichem Verneigen.
Und über dem, da warf ers in den Gang, da hobs der Schweizer auf und ließ es aus dem Fenster gleiten; aber unten stand das Volk und schob es ihm auf Stangen wieder in sein Zimmer.
Und ganz von Sinnen lief er in den Garten, warf es heimlich in den Teich; doch siehe da, ein Fischer angelte danach und überbracht es ihm mit freundlichen Gebärden.
Und endlich warf er selber sich zu Boden, daß vielleicht mit Sterben er beschließe seine Not – da naheten des Schlosses Ärzte, hoben ihn empor und stärkten ihn mit Kampfer und mit beizenden Gewürzen.
Und also jeder Hoffnung ledig, setzt er sich auf einen Stuhl, bedeckte mit den Händen sein Gesicht, geduldig wartend, ob vielleicht von außen irgendetwas sich ereigne seiner Pflicht zu Rat und Hilfe.
Und wartete vergeblich alle Zeit, und mählich schwand der Tag, und lauter immer ward das Jammern und das Schreien um ihn her, und schon errichteten die Weiber Leitern an den Fenstern, schon vernahm man aufgeregtes Volk vom Gange her – da plötzlich, sei es, daß er unbemerkt entschlummerte vor allzugroßer Müdigkeit, und sei es vor gewaltger Überspanntheit seines Fühlens, sah er einen Jeremias nahe seinen Augen, ernst von Angesicht, mit langem, weißem Bart und gar verehrungswürdig an Gestalt und Ausdruck; dieser redete und sprach zu ihm mit väterlicher, ältlicher Anchise:
«Was härmst du dich und suchst mit großer Weisheit künstlich, wie du richtig treffest die Entscheidung, während gänzlich klar gezeichnet ist dein Weg und bleibt allein ein einzges deiner Wahl gestattet?
Denn siehe, wenn du nicht das Kind mit deinen eignen Händen selber übergibst, so wird das Volk es ohnehin zerreißen, aber wenn du es mit schicklichem Vertrag beschützest, wirst du alsowohl das Kind erretten, samt das Volk befreien von der bösen Angst der schlimmen Drohung.»
Und es geschah, ob diesen Worten schwand der wüste Zweifel von des Königs Geist, und mit geheiltem Herzen sprang er auf und rüstete das Werk und machte sich von dannen.
Und unten auf dem Hofe stand ihm schon sein Pferd bereit, gesattelt und gezäumt, und jubelnd hielten ihm die Fraun den Bügel, waren ihm behilflich mit gewaltgem Eifer.
Und als er nun gekommen zu den beiden Stangen an des Landes Grenze, stand daselbst Leviathan, die Finger in der Nase.
Und es begann und redete und sprach der Menschenkönig:
«Leviathan, mein Freund! ist nicht ein Herz in deiner Brust? und kann auch dein Gemüt ertragen diese spitzen Waffen?»
Und also sprechend wies er nach dem unsichtbaren Walfisch.
Und mit bewegter Stimme gab Leviathan zurück: «In Wahrheit blutet mir mein Herz, und drum so siehe zu, daß du es ungesäumt verbindest.»
Und sprachs und zeigte nach dem heilgen Vogel.
Und wieder hub der König an: «Vielleicht, so siehst du ein, daß es sich nicht für mich geziemt – jedoch das walte Gott, daß ich im mindesten bezweifle deine reine Absicht!»
Und wiederum entgegnete Leviathan: «In Wahrheit, dies begreif ich wohl, doch unsrer Ehre ziemt es sich, und um des Scheines willen muß ich es verlangen.»
Und sprachen also friedlich miteinander eine lange Zeit und fanden einen Mittelweg und machten einen Bund mit Schwur und Handschlag:
«Zum Scheine nur allein: wir wollen einen Kreis errichten vor dem angenehmen Wäldchen auf dem Wiesenhügel, also daß in beiden Landen ruhen soll der Kreis, und morgens um die sechste Stunde bringe Epimetheus das geraubte Kind, geführt von dreien seiner Mannen, in des Kreises Mitte. Überdies so will zur selben Zeit ich mit derselben Zahl der Männer es empfangen einen einzgen Augenblick, damit hernach ichs alsogleich zurückerstatte ohne jegliches Versäumen.
Und alles dies zum Scheine nur, denn an der Sache ist mir gänzlich nichts gelegen.»
Und schüchtern fügte Epimetheus noch hinzu: «Und auch vielleicht, so soll das Kind mit seinem Leibe herwärts bleiben, daß du dich begnügest zu erfassen seine rechte Hand und seine linke Schulter?»
Und gnädigen Erlaubens gab der andre nach: «Wohlan! jedoch die linke Hand mitsamt der rechten Schulter!»
Und nochmals wagte Epimetheus den Versuch: «Und sollt es nicht genügen, daß wir es vollziehn um sechs Uhr zehn Minuten?» Und nochmals gab der andre nach: «Wohlan, um deinetwillen: sechs Uhr fünf Minuten.»
Und schon beendigt war des Abschieds Gruß und Gegengruß, da wandte Epimetheus sich ein letztes Mal zurück, versuchete und sprach verlegnen Fragens:
«Und auch, damit wir diese Nacht in Frieden schlafen, laß die Spieße abwärts halten, daß es nicht geschieht und träumt von Blut mein Volk und Fieber stört die Ruhe seiner weißen Weiber samt der reinen Kinder.»
Und stummen Mundes bot der andere Gewähr – und über dem, da ritt der König triumphierend heim, und nie in seinem Leben floß so schön und rein die Harmonie in seinem ganzen Wesen.
Und als ihn nunmehr kommen sah das Menschenvolk im Abendschein und hörete die frohe Mär und schauete die Spieße abwärts sich verneigen, war wie ihre jüngste Angst die gegenwärtge Lust, und dem Erobrer gleich, der Frieden bringt mit Ruhm und Beute, machten sie ein Siegesfest und löseten des Herzens bange Spannung durch des Mundes lautes Jauchzen.
Doch während diese also sich erholten, saß das Gotteskind im Tempel, wo es wohl vernahm ein jedes Wort und angespannten Ohrs verfolgte jegliches Geschehen.
Und all die Weile, da das Volk mit Drohen und mit Schreien stürmte um die Türen und die Fenster, saß es unbeweglich still und wartete geduldig seines Todes.
Doch als es nun vernahm das Siegesjauchzen und das Jubelrufen, floh es zum Altar, und knieend vor dem Bildnis seines Vaters hub es an und betete und flehete mit angstverzerrten Mienen:
«Mein guter Vater, dessen Augen immer gnädig ruhten über mir, und sanft und liebend tönte deines Mundes Rede!
Was ist die große Sünde, warum du uns also peinlich strafst und hast beschlossen deiner Kinder Untergang, und keine Herzensnot und keine angsterfüllten Bitten können deinen harten Zorn erweichen?
Und wenn ich bin des Todes würdig, wohl, so will ich ihn gehorsam leiden aus den Händen meines eignen Volkes, aber dieses eine nur erlasse mir um meiner zarten Jugend willen: daß du nicht zum andernmal mich überlieferst fremden Männern, welche deiner nicht gedenken, wenn sie meiner strafen, samt mit Hohn und Spott beschimpfen meines Vaters Ebenbild in meinem sündgen Antlitz.»
Und sprachs und rang die weichen Händchen, während gleich dem Schilfe zitterte und bebete sein schwacher Körper.
Und also seufzt und fleht es alle Zeit, doch eine andre Antwort fand es nicht, als siehe da das Lämmchen, welches außerhalb am Dache kletterte empor und durch die Lücken zwingend seine reinen Finger samt dem frommen Munde predigte und prophezeiete von oben her mit ungebändigtem Frohlocken.