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7

Dimples Denby war ein Mensch, der auf die ersten belanglosen Worte Tams sofort mit überströmender Herzlichkeit reagierte. Ein stämmiges, blauäugiges Persönchen, so stark geschminkt, daß man unmöglich ihr Alter schätzen konnte. Über ihr Aussehen im Naturzustand konnte man sich nur auf Mutmaßungen verlassen, denn angefangen von ihren Schühchen mit den riesigen Absätzen bis zu den tizianroten Haaren hatte sie das äußerste versucht, sich zu verschönern oder doch wenigstens den ursprünglichen Entwurf von Mutter Natur zu ihrem Vorteil zu verändern. Es mag sein, daß Fräulein Dimples das wahre Motiv von Tams Einladung zu diesem Abendessen zwischen zwei Aufführungen ahnte, aber sie zeigte nichts als helle, freudige Zustimmung, und zwar galt ihre Freude ebenso dem Essen wie der Vornehmheit des Restaurants.

»Ja, wir armen Chormäuschen, die wir von der schäbigen Gage leben müssen, haben es bald satt, immer aus Konservenbüchsen zu essen«, vertraute sie Tam an und widmete sich den Vorspeisen mit mehr Appetit als Eleganz. »Ja, wenn man einen Kavalier hat, da ist es etwas ganz anderes, aber bei mir ist nichts als ein möbliertes Zimmerchen mitten im riesigen New York, für das ich die Miete selbst zahlen muß. Das macht nicht immer großen Spaß!«

»Man hat mir erzählt, Sie wohnen im gleichen Hanse wie einige Hauptdarsteller von ›Piratengold‹?«

»Gewiß!« lächelte das Girl voll Freundlichkeit, »im gleichen Haus, aber nicht im gleichen Stil! Terry hat eine feine kleine Wohnung, und Darcy wohnt mit Tearly zusammen in einer anderen, die vielleicht noch mehr Klasse ist, und ihretwegen nahm ich das kleine Loch, das meine Wirtin unverschämterweise als Zimmer bezeichnet.«

»Sie kennen also die Herren gut?«

»Na ja, es geht so.«

Dimples schreiend aufgeputzter, grellfarbiger Hut nickte zustimmend. »Ich kenne sie schon viele Jahre, nämlich seitdem ich da oben auf den Brettern flügge geworden bin, und sie sind ja furchtbar nett, die drei Jungens, alle drei nicht die Spur eingebildet!«

»Darcy sieht aber doch so aus, als ob er und die Welt sich nicht immer gut vertrügen?«

»Natürlich, das ist sein unglückliches Temperament, und dann hat er niemals einen Regisseur getroffen, der einen Star aus ihm macht, na, und das verbittert doch einen Künstler! Wenn er auf mich hörte, sollte er Gott auf den Knien danken fürs tägliche Brot am laufenden Band und für die dicke Gage, die er kriegt. Aber manche Leute sind so dumm, daß man sie mit der Nase auf ihr Glück stoßen muß, sonst merken sie es nicht. Er stand immer schon auf dem Kriegsfuß mit dem Leben, und jetzt, wo er verliebt ist, da ist er nicht mehr zu halten.«

»Ach, wirklich? Verliebt ist er? Und dabei sieht er aus, als ob er bergehoch erhaben sei über menschliche Schwäche und Eitelkeit!«

»Ach, nicht doch! Sie müssen ihn nur einmal ansehen, wenn er Lois Chalmers verliebte Augen macht, da werden Sie staunen, wie es in ihm brodelt und glüht!«

»Lois Chalmers kennen Sie also auch?« Dieser Umstand setzte Tam sehr in Erstaunen, und dabei wußte sie doch, daß Schauspieler oft Gott und die Welt kennen.

»Ich kenne Mona Dare, die doch viel eher zu ihrem Kreis gehört und die mit mir etwas befreundet ist. Ich finde es ja ulkig, daß beide Freunde, Darcy und Tearly, in Lois verliebt sind, wo doch die beiden Lots immer mit Mona zusammen getroffen haben – und ich würde keine Sekunde schwanken! Für mich ist Mona die tausendmal scharmantere. Und erst jetzt in den letzten Wochen ist Mona Dare so für Terry eingenommen.«

»Aber der Pflegevater soll seine Zustimmung zu der Verlobung verweigert haben?!«

»Ähnlich sieht das dem Kirby sicherlich. Er hatte sein Adoptivtöchterchen auf einen hohen Thron gesetzt, und da war kein Mann gut genug für sie. Seine Liebe zu ihr war das Anständigste an ihm.«

»Und sie liebte ihn auch?«

»Ganz gewiß! Sie hätte ihren leiblichen Vater nicht inniger lieben können. Kirby hatte einen schauderhaften Ruf, was Frauen betrifft, aber im Grunde war er eine gutmütige Seele, man konnte sehr gut mit ihm auskommen, solange es nicht an seinen Geldbeutel ging, und sogar in diesem wunden Punkte zeigte er sich gegen Mona Dare sehr anständig.«

»Es scheint, als ob Sie ihn sehr genau studiert hätten?«

Dimples runde Augen beschatteten sich in eigenartiger Weise, ganz rätselhaft. »Ist das ein Wunder? Das ist doch so bei jedem Mädel, dem der Arbeitgeber Brot und Butter bedeutet.« Dann fuhr sie mit unerwarteter Offenheit fort: »Ach Gott, ich möchte am liebsten mit offenen Karten spielen. Ich bin alt genug geworden, um zu wissen, daß Menschen Ihrer Art sich nicht ohne eine bestimmte Absicht an Leute meinesgleichen anschließen. Mit einem Wort: was wollen Sie?«

»Es wäre denn doch denkbar, daß ich mich bloß so ganz im allgemeinen für Sie interessiere, ich meine für Ihren Beruf!« erwiderte Tam vorsichtig.

»Möglich ist alles, aber bei Ihnen stimmt es nicht!« lautete Dimples schlagfertige Antwort, »wenn ich nicht sehr irre, haben Sie mich zu diesem guten Essen nur deshalb eingeladen, weil ich mit den drei Jungs in einem Hause wohne. Aber warum das?«

»Ja, ich fürchte, ich darf es Ihnen nicht sagen.«

»Ja, und ich fürchte wieder, daß ich nicht Versteck spielen kann. Dazu habe ich alle drei zu gern.«

»Würde es Ihnen die Sache erleichtern, wenn ich Ihnen sagen kann, daß das, was ich suche, keinen von allen direkt etwas angeht?«

»Das soll dann heißen, daß Sie nicht hinter ihnen her sind?«

»Ja, so ungefähr. Nur nach einer Tatsache, die sie vielleicht wissen.«

»Ehrenwort?«

»Ja!« Tam sprach die Wahrheit. Sie teilte McCoys Verdacht auf Terry nicht. Sie hatte die feste Absicht, sich um Schuld oder Unschuld des Komikers keine Sekunde länger zu kümmern, sondern mit allen Kräften den Namen des mysteriösen Girls herauszufinden. Trotzdem ließ sie ihre Ehrlichkeit noch hinzufügen: »Es könnte sich zwar immer noch etwas herausstellen, was die Situation grundlegend ändert, aber im Augenblick habe ich keinen von den dreien im Verdacht.«

»Dann bin ich dabei! Schießen Sie los, wenn ich Ihnen nützen kann.«

»Ja, ich brauche Sie, um mit Tearly in nähere Verbindung zu kommen.«

»Und mit Terry nicht?«

»Noch nicht! Die beiden andern halten irgendwelche Tatsachen zurück, die ich gern wissen möchte.«

Jetzt blieb es ein wesentliches Problem, die geeignete Form für eine solche »nähere Verbindung« zu finden, und Fräulein Dimples gab sich diesem Plane so intensiv hin, daß sie darüber sogar die gebratene Ente vor sich vergaß. »Ja, die einzige Form, in der ich es machen könnte, ist die, daß ich so tue, als hätte ich Schreibmaschinenarbeiten für Sie zu besorgen«, verkündete sie endlich als Resultat ihres tiefen Nachdenkens.

»Haben Sie denn eine Maschine?«

»Maschine? Ein Reliquie aus grauer Vorzeit! Alle Typen haben das Zipperlein, aber sie arbeiten immer noch. Auf diese Weise verdiene ich mir ein wenig Geld nebenbei, indem ich Schriftsätze oder Rollen ausschreibe für Leute, die nicht gar zu genau sind. Und da gibt es viel Arbeit, denn Sie müssen wissen, jeder Schauspieler, der mal auf den Brettern gestanden hat, der hat das beste Drama der Welt in seinem Schreibtisch.«

»Und wie denken Sie sich die Arbeit für mich?«

»Oh, es wäre am besten, wenn Sie einige Ihrer schauerlichsten Fälle aufschreiben wollten, um sie zu einem Drama oder einem Kriminalroman zu verarbeiten. Morgen ist Sonntag, am Abend kommt immer eine kleine Gesellschaft zu Tisch, und ich helfe in der Küche mit, habe ja einmal kochen gelernt, als ich noch im Zirkus gearbeitet habe. Da wäre es am besten, wenn Sie ganz zufällig hereinschneien könnten. Einladungen sind nicht nötig, wir halten ein offenes Haus.«

Als sich Dimples durch das ziemlich lange Menu hindurchgefuttert hatte, schminkte sie sich ihr scharlachfarbenes Lippenpaar wieder auf neu und seufzte zufrieden und behaglich auf. »Das war ein Essen, Donnerwetter! Wenn ich heute abend schlecht tanze, wissen Sie den Grund: ich habe zu viel getankt!«

Als Tam ins Theater zurückkehrte, fand sie McCoy bei lauwarmem Kaffee und halbvertrockneten Sandwiches vor.

»Hab nicht mal Zeit gehabt, eine anständige Mahlzeit in den Magen zu bekommen. Habe die ganze Zeit dazu gebraucht, Berichte zu prüfen. Und dazu kommt Darcys Behauptung, Kirby habe sich einige Augenblicke vor seiner Ermordung nach links gedreht. Das will auch rekonstruiert sein, das ist keine Kleinigkeit.«

»Und hast du Erfolg gehabt?«

»Ja, Gott, das hängt schließlich davon ab, ob Darcys Angabe über die Linksdrehung präzis ist oder nicht.«

»Und das mysteriöse Girl ist noch nicht aufgetaucht?«

»Hast du das angenommen?«

»Offen gestanden, nein. Aber es gibt doch auch angenehme Überraschungen, obgleich ich zugebe, daß das Gegenteil öfter der Fall ist. Glaubst du, daß sie es war, die Kirbys Papiere in der Mordnacht durchgekramt hat?«

»Wer zum Teufel soll das wissen?« McCoy ließ voller Groll seine Hände durch sein Haar fahren, so daß sie wüst zu Berge standen. »Sie ist das erstaunlichste an der ganzen Sache! Ihre Fingerabdrücke auf einer Pistole, die nicht losgegangen ist, deuten doch auf ihre Schuldlosigkeit, ihre panikartige Flucht auf Schuld. Dann läßt sich doch wiederum begreifen, daß die Mörderin an den Papieren des Opfers ein Interesse hatte, andererseits scheint nichts Wichtiges zu fehlen, und so tappt man im Dunkeln und hat keine Ahnung, wo das alles hinauswill. Erst müssen wir das mysteriöse Girl haben!«

»Und bis es soweit ist, kannst du nicht etwas aus dem Erpresserbrief machen?«

»Ach, nicht die Spur. Es ist ganz gewöhnliches Papier, wie man es in allen Schreibwarenläden und Kaufhäusern bekommt, es besieht gar keine Wahrscheinlichkeit, daß wir die Quelle herauskriegen.«

»Und die Schreibmaschine, mit der der Brief geschrieben ist?«

»Ich ließ alle Maschinen, die es im Theater gibt, und zwei, die in Kirbys Wohnung sich vorfanden, genau prüfen, und ebenso eine, die Vivian Fayne gehört. Bei keiner von allen fand man die fehlerhaften Typen und Unregelmäßigkeiten in der Linienführung wie in dem Erpresserbrief.«

»Warum bist du darüber enttäuscht? Du hast doch sicherlich nicht angenommen, daß der Brief auf einer von Kirbys Maschinen geschrieben worden ist?«

»Ja, solches Glück hat man leider nie. Aber wir müssen nun einmal eingehend mit den Schreibmaschinen und den Chorgirls uns befassen. Bis jetzt hat keiner meiner Leute jemand ausfindig machen können, der unsern Kirby in letzter Zeit in anderer Gesellschaft als in der von Vivian oder Mona gesehen hat. Er hat mit den Herren aus der Schauspielertruppe verkehrt; im großen ganzen war das seine Gesellschaft, aber nicht diese Gruppe Chormädchen. Die meisten motivieren dies mit Vivians greulicher Eifersucht.«

»Da wir gerade von den Männern sprechen, so möchte ich dazu höflich bemerken, daß Dimples Denby mich zu morgen abend zum Essen bei Darcy und Tearly eingeladen hat. Wir wollen hoffen, daß ihnen bei dieser Gelegenheit eine Andeutung über das geheimnisvolle Fräulein entschlüpft, ich bin absolut sicher, daß sie mehr wissen, als sie bis jetzt gesagt haben.«

Dieser Blütentraum der Hoffnung sollte nicht reifen. Denn am nächsten Abend erfuhr Tam nichts, was das entschwundene Fräulein Smith betraf. Aber auf der anderen Seite hatte sie eine Entschädigung durch die nette Gesellschaft, die sie vorfand. Sie hatte auch endlich Gelegenheit, einige Mitglieder der Truppe näher zu studieren. Keiner von allen schien über das plötzliche Hinscheiden von Kirby allzuviele Tränen zu vergießen. Mag sein, daß sie wesentlich tiefer getrauert hätten, wenn Mona Dares Bevollmächtigte das Stück abgesetzt hätten. Wer soweit kam es nicht. Obwohl es schon eine lange Saison hinter sich hatte, wurde es noch immer vor vollen Häusern gespielt.

Natürlich waren weder Mona noch Vivian Fayne in der Gesellschaft, aber Lois Chalmers war unter den ersten Gästen, und beide Gastgeber versuchten ganz offensichtlich, sie zum Ehrengast zu machen. Darcy bewies es dadurch, daß er immer an ihrer Seite blieb, und alle Ankömmlinge eifersüchtig fernzuhalten suchte, und Tearly bot ihr einen Drink nach dem andern an – die sie meistenteils ablehnte –.

Es wurde gar kein Versuch gemacht, sich um einen Tisch zu sammeln, jeder saß, wo er sich gerade befand, und Tam saß geschützt in einer Ecke, mit einer Portion Eiscreme und einer unbekannten Art Salat auf ihren Knien.

Terry Nagle sprach über Mona:

»So etwas wie sie hat es noch nie unter Menschen gegeben! Sie hat die Natur eines Engels und das Herz eines Kindes«, endete er. »Der Himmel allein weiß, was sie an mir findet!«

Tam, die ganz unbefangen sein pausbäckiges Gesicht betrachtete, das dazu ausersehen schien, nur die komischen Eindrücke des Lebens wiederzugeben, neigte sehr dazu, sein Erstaunen zu teilen. Warum hatte dieses so außerordentlich bezaubernde Mädchen gerade ihn auserwählt? Nun, die Liebe ist ja bekanntlicherweise blind – oder wenigstens zeitweise geblendet –, vielleicht glaubte Mona, daß er ein Adonis sei, und bei diesem Gedanken mußte Tam lächeln. Terrys anklagender Blick traf sie.

»Sie scheinen zu denken, daß ein Komiker kein Recht auf ernste Gefühle hat.« Seine Stimme war voller Groll.

»Nun, so lange wie Sie das Mädchen, das sie lieben, für sich gewonnen haben, sehe ich nicht ein, daß Sie irgendwelchen Grund zum Klagen haben«, gab Tam zurück und fügte mit einem Blick auf die Tür hinzu: »Kommt da nicht Vera Vernon?«

Der Star des »Piratengoldes« trug eine rote und malvenfarbige Modeschöpfung, die mehr ihre Reize zur Schau stellte als von ihrem guten Geschmack zeugte. Sie begrüßte jeden einzelnen mit derart überschäumender Freundlichkeit, daß es Tam sehr schwer fiel, sie für dasselbe Gewitter-Girl zu halten, das erst am Freitagabend im Theatervestibül eine Kostprobe seines Temperaments gegeben hatte.

Erst später, als sie sang, verstand Tam, warum der Name dieser Primadonna eine solche Anziehungskraft besaß. Ihre Stimme war herrlich. Sie hatte darauf bestanden, daß kein anderer als Humphrey Tearly sie begleitete, und unter dem Schutz der Musik flüsterte Tam die Frage, warum sie so entschieden gerade den auserwählt habe.

»Er ist ein Hexenmeister auf den elfenbeinernen Tasten«, flüsterte Terry zurück. »Er komponiert auch viel, und obwohl er noch nichts veröffentlicht hat, sagte ihm Kirby doch voraus, daß er eines Tages einen großen Treffer machen würde. Sie werden selber zugeben, daß er etwas davon verstanden hat.«

Ein Lied aus dem »Piratengold« erklang herrlich bis beinah zum Ende, als Vera plötzlich in der Mitte eines Tones abbrach, und ganz unerwartet Humphrey eine Ohrfeige gab. Zunächst waren alle über diesen sonderbaren Abschluß überrascht, dann lachte man. Tearlys Gesicht rötete sich in kaum verhaltener Wut, dann wurde es leichenblaß. Schließlich stand er auf und trat mit zitternden Händen vor Vera hin:

»Wie konntest du das tun? Du … Du …«, er brach ab, hilflos stammelnd.

»Ich werde dich lehren, Phantasien zu spielen, wenn du begleitest«, gab sie ruhig zurück. »Du hast diesen letzten Takt so gedreht, daß meine Töne falsch klangen! Nächstes Mal such dir jemand anderes aus, wenn du gern komisch sein willst.«

Tam kannte das Lied nicht so genau, um beurteilen zu können, ob die Anschuldigung der Primadonna gerecht war, aber dann bemerkte sie, wie Tearly sich wieder beruhigt zu Lois wandte, und ihr Urteil von vorhin bestätigte sich mehr oder weniger: er war ein sehr nervöser, leicht erregter Mensch mit nicht zu großen Kräften und ohne Ausdauer.

Da sie sich stets für die Liebesgeschichten anderer Menschen interessierte, ohne sich danach zu sehnen, sie auf eigene Gefahr zu versuchen, war sie neugierig, welchen von den beiden Männern Lois Chalmers vorzog. Aber der Abend endete damit, daß Tam in dieser Beziehung nicht klüger wurde, weil das Mädchen beide mit reizender, aber vollständig unparteiischer Freundlichkeit behandelte.

Als sie nach Hause kam, fand sie einen schläfrigen, aber triumphierenden Dips vor, der nur darauf wartete, ihr Bericht erstatten zu können.

»Hab über das Mädchen, das Kirby nachlief, schon Auskünfte«, kündigte er stolz an, bevor sie noch eine Frage stellen konnte.

»Fang nicht am Ende an!« unterbrach ihn Tam. »Als ich gestern abend nach Hause kam, warst du schon fest eingeschlafen, deswegen weiß ich auch nichts über den Anfang.«

»Ich habe den Zeitungsjungentrick gemacht, wie Sie mir geraten haben.« Tams kleiner Helfer machte es sich vor ihr auf dem Teppich bequem und kam auf die Ereignisse am Sonnabendmorgen zurück. »Das macht sich immer gut, und ich habe es auch sehr gem. Als ich an Kirbys Block vorbeischlenderte, sah ich als erstes eine rundliche Dame, der man die Irländerin an der Nasenspitze ansah, die ihre Lieblingskatze an die Luft führte. ›Die Köchin‹, sagte ich mir, und da sie ihre Katze besonders gern zu haben schien, so habe ich natürlich demgemäß meine Pläne geschmiedet. Ich holte mir fix ein Einkaufsnetz, und ein bißchen später, als Pussie gerade ein Schläfchen hielt und die Parterretür für den Eismann offen gelassen worden war, warf ich das Netz über das Tier und entführte es. Dann verbarg ich es in einem Mülleimer, bis ich ein paar Jungs aufgegabelt hatte, mit denen ich einen Kampf um die Katze inszenierte, ich selbst spielte den Erlöser. Die Sache ging großartig, ich habe ihren Liebling gerettet! Die Köchin hätte mich vor lauter Glück beinah geküßt.«

»Ja, diesen Teil habe ich gesehen«, sagte Tam, als Dips Atem holte. »Was geschah, nachdem sie dich ins Haus genommen hatte?«

»Erdbeeren mit Schlagsahne und Waffeln!« Dips Zunge fuhr in Erinnerung an die Genüsse über seine Lippen. »Die Köchin läßt mich, so oft ich will, in die Küche, so daß sich bereits alle daran gewöhnt haben, mich aus- und eingehen zu sehen. Gestern ist nichts geschehen. Heute ging ich wieder hin, und die Köchin gab mir wieder das Beste. Sie müßten wissen, was das heißt!«

»Du scheinst mehr Interesse für Essen zu haben als für die Feststellung, wer Kirbys Papiere durchstöbert hat.«

»Lassen Sie mir doch etwas Zeit, ich bin noch nicht fertig!« entgegnete der Junge. »Der amtliche Teil wurde heute abend erledigt. Die Köchin und ich trafen heute das Hausmädchen Delia in einem Zustand, daß Ihnen das Herz brechen würde, ihr Kopf lag auf einer zerdrückten Zeitung, die sie sich auf den Abwaschtisch ausgebreitet hatte. Sie können sich ja vorstellen, daß die Erwachsenen bei einem so ernsten Vorfall ganz vergaßen, daß ich noch da war, und so blieb ich da, ohne daß sie es bemerkten, während die Köchin das Mädchen fragte, was denn eigentlich los sei. Delta schien gelesen zu haben, daß eins der Chorgirls verschwunden war, und sie hatte die fixe Idee, daß ausgerechnet dieses Mädchen unseren Clyde Kirby getötet haben müsse. Sollte sie nun zur Polizei gehen und Mitteilung machen, daß sie die Unbekannte gesehen hätte? Die Köchin gab Delia keinen Rat, bis sie alles aus ihr herausgebracht hatte. Das Mädchen erzählte nun, wie ihr Kavalier sie Freitag nachts gegen zwei Uhr heimgebracht hat. Und da das später war als sie eigentlich heimkommen durfte, hat sie ihn weggeschickt, bevor sie noch die Tür öffnete. Beim Aufschließen ist eine fabelhaft angezogene Dame, die auf diesen Moment gewartet haben muß, auf die gute Delia zugestürzt und hat sie unter Weinen und Jammern angefleht, sie solle sie einlassen. Sie hat einen ganzen Roman erzählt, daß nämlich Kirby Liebesbriefe von ihr hätte, und daß er ihr gedroht habe, sie ihrem Mann zu zeigen, wenn sie nicht sofort alles tue, was er wolle! Und sie will sich nur diese Briefe holen und hat Delia eine Stange Gold geboten. Und Delia, die noch nicht wußte, welches Schicksal ihren Herrn ereilt hatte, ist auch richtig darauf hereingefallen und hat der Frau erlaubt, sich diese Liebesepisteln zu holen. Zuerst hat sie unter den Papieren gekramt, aber das Gesuchte nicht gefunden, dann aber kamen zwei Briefe und ein Foto zum Vorschein, und dieses Zeug hat sie dem Mädchen gezeigt, als Beweis, daß sie nur diese Stücke und sonst nichts gesucht hat.

Delia hat sie nun fix hinausbegleitet und natürlich auch daran gedacht, die anderen Papiere vor dem Schlafengehen in Ordnung zu bringen. Sie hat dann noch einen kleinen Happen zu sich genommen, und während dieses Soupers ist der Chinesenboy, der für Kirbys Zimmer verantwortlich ist, zu ihr gekommen, so daß sie dann nicht mehr unbemerkt in das Zimmer zurückkonnte. Auch in der Nacht hat sie es nicht gewagt, aus Angst, man könnte sie hören. Am nächsten Morgen waren dann alle derart aus dem Häuschen, als sie von der Ermordung das Hausherrn hörten, daß man alles ließ, wie es stand und lag. Und schließlich entdeckte der Chinese, daß jemand im Arbeitszimmer herumgewühlt hatte. Sie wurde, so erzählte sie, immer ängstlicher und wagte nichts zu sagen.

Die Beschreibung des vermißten Fräuleins Smith in der Zeitung gab ihr den Rest, sie paßte genau auf die Frau, die sie bestochen hat.«

»Wie beschreibt sie den Eindringling?«

»Zuerst gab sie der Köchin eine Beschreibung und später mir selber auch eine. Groß, goldblondes Haar, unschuldige, große blaue Augen, herrliche Kleider und eine Haut wie weiße Seide, anscheinend aus guter Gesellschaft, und die Kleider müssen ein Heidengeld gekostet haben.«

»So.« Tam erinnerte sich an die etwas unklare Beschreibung, die sie schon früher von dem mysteriösen Girl bekommen hatte.

»Es scheint auf das verschwundene Fräulein Smith gut zu passen. Obgleich ich nicht genau weiß, ob schon jemand etwas über ihre Größe ausgesagt hat, so muß sie doch ziemlich groß gewesen sein, denn sonst wäre sie ja nicht in der letzten Reihe des Chors aufgestellt worden. Hat Delia die Absicht, der Polizei einen Bericht zu erstatten?«

»Nein, sie ist zu ängstlich. Die Köchin hat ihr gesagt, das beste, was sie tun könne, sei, den Mund zu halten.«

»Waren die Bilder, die sie entwendet hat, ihre eigenen?«

»Natürlich, Delia hat sie beide gesehen.«

»Du hast mehr geschafft, als ich gehofft habe, Dips, und deine Beschreibung dieser Dame, die höchstwahrscheinlich das verschwundene Fräulein Smith war, bestätigt den Eindruck, den ich aus Mona Dares Reden von ihr bekommen habe. Ich glaube, daß dieses geheimnisvolle Girl einem anderen Kreis angehört als Clydes Durchschnittsfreundinnen, und diese Tatsache sollte uns dazu verhelfen, sie bald ausfindig zu machen.«


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