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Bei Richard Straußens überragender Bedeutung und der hochgesteigerten Anteilnahme der deutschen Musikwelt an seinem Schaffen durfte eine gedrängte Zusammenfassung von Tatsächlichem zum parteilos geschauten Bild seines Lebens und Wirkens auf einiges Entgegenkommen hoffen. Die Zeit dazu schien gekommen, als, von der Italienischen Fantasie an gerechnet, ein fünfundzwanzigjähriges, in eigenen Bahnen wandelndes und vielseitiges Schaffen der Öffentlichkeit vorlag; die zweite veränderte Ausgabe dieses Buches erschien dann 1914, dem Zeitpunkt, in welchem Strauß, damals eben fünfzig, einen glanzvollen Abschnitt seines Bühnenschaffens abgeschlossen hatte. Die vorliegende dritte nimmt noch die Jahre bis zur Berufung nach Wien, Herbst 1919, hinzu, einen Zeitraum überraschender erneuter Vielseitigkeit, indem neben den dramatischen Arbeiten orchestrale und lyrische, ja auch der unbegleitete Chor und die Pantomime zur Geltung kommen. Die Forderung, über einen großen Künstler erst dann zu schreiben, wenn er nicht mehr am Leben sei, ist handgreiflich ungerecht. Man müßte dazu den ganzen Vorrat von persönlicher Erinnerung an sein Werden und dessen Umwelt, von aufschlußreichen Briefen, die jeden Tag durch Erbanfall oder sonstige Umstände unzugänglich werden können, ungenützt lassen, um später durch mühsame, unsichere Konjektur das heute noch leicht und authentisch Festzustellende zu ersetzen. Auch die anzuführenden Tatsachen selbst sind um so lebendiger, je näher sie der Gegenwart liegen. Das hat nichts zu tun mit dem blutlosen Schattengebild einer »abschließenden Würdigung«, für die es manchen heute zu früh dünkt. Sie fällt kaum jemals mit dem Ableben eines Tonsetzers zusammen; bei dem einen wäre sie schon bald nach dem einzigen glücklichen Jugendwerk zu leisten, bei dem anderen kaum Jahrhunderte nach seinem Tod. Bei Strauß, der bisher je nach dem Stoff seiner Tondichtungen fast in jeder ein völlig anderer war, würde sich ein Versuch dazu, ja schon ein ratender Blick in die nächste Zukunft, von selbst erübrigen. Was ich anstrebte – wofern die Studie über das Kunstschaffen nicht als Selbstzweck gelten soll – war, unbefangene Leser in Straußens durch seine Vielgestaltigkeit äußerst schwer zu überblickendes Arbeiten einzuführen und ihnen zugleich die Anregung zu geben, stolz auf ihn zu sein, als auf einen der großen und lauteren Charaktere im öffentlichen Leben des deutschen Volkes, an denen es seit langem gewiß keinen Überfluß hat. Und ist es wirklich so ganz zwecklos, den zahllosen Kritikerkollegen und sonstigen Hörern seiner Musik eine Handhabe anzubieten in dem Gewirr ungenauer und entstellender Streiflichter, ja bloßer Sagen und Erfindungen, die sich in der Öffentlichkeit zeitweise wie ein engmaschiges Netz vor sein Bild zogen? Zum Verständnis gilt es vor allem, die aus den verschiedensten Stoffen gewobenen Schleier von der Gestalt des Künstlers als Schaffendem zu ziehen, von dem ursprünglichen reinen Kunsttrieb, wie er sich äußerlich in der riesenhaften und dabei mit eindringendster Sorgfalt in erstaunlich kurzer Zeit ausgearbeiteten Rosenkavalierpartitur darstellt, die der eingehenden Betrachtung wie ein Naturwunder, etwa gleich einem aus ungezählten kleinen Gestaltungen nach einem inneren Formgrunde hoch emporgestiegenen Korallenriff, erscheint. Hier offenbart sich dem Unbefangenen jene besondere Art des »willenlosen Intellekts« Schopenhauers, die freilich dem Süddeutschen überhaupt erheblich näher zu liegen scheint, als seinem in weit lebhafterem Grade zweckbewußten mittel- und norddeutschen Bruder. Man kennt diese Art als das innere »Muß« des Künstlers, das auch da, wo man es nicht sogleich nachfühlen kann, bei jedem Werk und überall vorauszusetzen ist, um den Gesichtswinkel zur Betrachtung seines Entstehens nicht zu verfehlen. Um einen hierbei wichtigen Punkt, die folgerichtige Natürlichkeit von Straußens künstlerischer Entwicklung, ins rechte Licht zu setzen, wurden schon die vorwiegend nachschaffenden ersten fünfzehn Jahre seiner tonsetzerischen Arbeit mit einbezogen, aus denen im Anhang auch beredte Beispiele für den Notentext ausgewählt sind.
Bei der im Herbst 1911 erschienenen ersten Ausgabe dieses Buches erschwerte ein Doppeltes die Arbeit. Als erster, der zusammenfassend ausführlich über Strauß schrieb, mußte ich im Auge behalten, daß alle Nachfolgenden mein Buch benutzen konnten, und ließ die gesamte literarisch-philologische und musiktheoretische Zurüstung mit darin. Desgleichen empfand ich als Verpflichtung, für alle, die sich fernerhin mit Strauß und dessen Verhältnis zu seiner Zeit befassen, ein an sich gewiß nicht anziehendes Bild von dem damals äußerst lebhaften Pressekampf um seine Künstlerpersönlichkeit festzuhalten. Wer weiß, wozu es einmal gut ist, es nachzulesen. Mit diesen Aufgaben war eine äußerliche Abrundung zu fließender Lesbarkeit innerhalb des vorgesetzten Umfangs nicht vereinbar. Unermessener Kleinkram, der zur Größe des Mannes und seines Schaffens in keinem Verhältnis stand, mußte von seinem »ersten Biographen« als Material für später aufbewahrt und eingereiht werden. In der Ausgabe von 1914 war ich dem Leser gegenüber in einer wesentlich angenehmeren Lage. Für jene, die über Strauß arbeiten wollen, hat der Verlag auf meinen Wunsch eine Anzahl von Exemplaren der ersten Ausgabe zurückbehalten, in denen sie jenen ganzen Stoff, so übersichtlich und vollständig, als es mir möglich war, geordnet finden. Die Einzelheiten der heute geschichtlich gewordenen Fehde, nebst zahlreichen anderen, durften, als für das Gesamtbild der Sache selbst, Straußens künstlerische Persönlichkeit, unwesentlich, ja störend, fortbleiben. Und statt aller dort eingeflochtenen eigenen Polemik genügte es, einige meiner leitenden Gesichtspunkte kurz anzudeuten. Etwa folgende: Die Tatsachen der musikalischen Vergangenheit und Gegenwart verhindern den Verständigen, jeweils einen einzelnen zu dem Meister seiner Kunst, und seine Zeitgenossen zu Neben- oder bloßen Gegensatzfiguren stempeln zu wollen. Ferner: Der künstlerischen Erkenntnis dient fast ausschließlich die positive Kritik, das Bestreben, die Eigenart eines Ganzen vor allem verstehen zu lernen, sich in sie einzuleben. Daß dies ohne eine gewisse Wärme für den Gegenstand der Darstellung nicht möglich und von ihr unzertrennlich ist, wird bei einigem Nachdenken niemand ernsthaft bestreiten. Mit dem »Anertum« der Parteisucht hat diese Empfindung nichts zu tun; denn Parteimann ist nur, wer in irgendeiner Richtung den heute so beliebten Ausschließungssport betreibt: z. B. für Bach gegen Händel, für Mahler gegen Strauß. Der Verfasser fühlt sich nicht nur nicht als Glied einer Partei, er hat sogar heillose Angst vor solchen; denn da Partei Sache des »Willens«, der Erregung ist, so bleibt auf sachlichem Gebiet jede Verständigung mit den Angehörigen einer solchen erschwert oder ausgeschlossen. Endlich ein Drittes: Es ist meines Erachtens ein Wahn, die Bedeutung von Kunstwerken, die doch vor allem auf Gefühlsmomenten beruht, in ästhetischen Formeln, also meist wohl in Modeschlagworten irgendwelcher Art erschöpfend festlegen zu können. Mancher lächelt wohl mitleidig, wenn er hier liest, daß in einem Kompendium für sächsische Lehramtskandidaten zum Auswendiglernen für die Prüfung in theoretischen Musikfächern vermerkt steht: »Richard Strauß – wohl der größte Meister der Gegenwart, – neigt aber bedenklich zum Realismus.« Der gleiche Leser aber würde vielleicht die aus einer größeren Anzahl seltenerer und in der Bedeutung unbestimmterer Fremdwörter zusammengesetzte Formel für Straußische Kunst ganz ernsthaft dankbar aufnehmen und denken, er hätte etwas daran. So einfach aber ist die Sache nicht; kein Buch kann das eigene Erlebnis der Kunst ersetzen; es kann im besten Fall Anweisungen geben, wie man sich darauf vorbereiten, wie man es genießen, verarbeiten und nachklingen lassen kann, um dem Gehalt des Kunstwerks möglichst nahezukommen.
Die Einteilung des Stoffes folgt nun der leichtesten Übersicht halber den beruflichen Aufenthaltsorten des Tondichters. Der Kritiker, welcher aus dieser rein praktisch einfachsten und für die Benützung des Buches handlichsten Gliederung den Vorwurf des Äußerlichen für das Ganze herleitete, ist dabei selbst im Äußerlichsten steckengeblieben. Ich persönlich lese derartige im Stoff begründete Überschriften erheblich lieber über den einzelnen Abschnitten, als Romanuntertitel, die zum Auffinden irgendeiner Einzelheit nichts beitragen und zudem oft in hohem Grade subjektiv und unsachlich sind. Von anderen leichten Anwürfen sei nur der eines Ungenannten (eine besondere Art des Geisteskampfes!) in einem bekannten literarischen Wegweiser erwähnt, der die Arbeit in erster Auflage etwas oberflächlich fand. Dank, mein Lieber, für dieses »etwas« in der Warnung vor meinem Buche, nebenbei dem damals einzig vorhandenen über Strauß. Wie verbunden wäre ich, für meine oft in den einzelnen Takt sich einbohrenden Verständnisversuche die Ihnen hiernach jedenfalls besser bekannten Wege zum Tiefergehen kennenzulernen!
Die Epochen, in die sich Straußens bisheriges Schaffen für die Öffentlichkeit natürlich einteilt, greifen zuweilen zeitlich ineinander über; es sind die des in der Form ausgereiften Epigonen der deutschen Romantiker, des Eigenen als programmatischen Tondichters und als Musikdramatikers, der sich in den letzten sieben Jahren die einer auf die früheren Epochen zurückgreifenden, erneut größeren Vielseitigkeit anschließt. Aus der einheitlich fortlaufenden Anordnung sah ich nur den einen kleinen Nachteil erwachsen, daß das Vokalschaffen im allgemeinen und die, verschiedenen Schaffenszeiten entstammenden, Lieder nicht mehr in einem einzigen zusammenfassenden Abschnitt behandelt werden konnten. Doch dürfte sich der Leser auch hier mittels des als Register dienenden Verzeichnisses der Werke leicht zurechtfinden. Für die einzelnen Lieder sei auf den überall käuflichen Straußkatalog der Wiener Universalausgabe aufmerksam gemacht, in dem sie übersichtlich geordnet sind. Angaben über Straußliteratur bietet das wertvolle Programmbuch zur Münchener Strauß-Woche 1910 von der Hand des Dr. Walter Külz-Marburg, im Verlag des Konzertbüros Emil Gutmann-München erschienen.
Allen denen, die durch Überlassung urkundlichen Stoffs von Text und Notenbeispielen, durch Hunderte von ungedruckten Briefen von Richard Strauß an Hans und Marie v. Bülow, Alexander Ritter, Max v. Schillings, Ludwig Thuille, Carl Hörburger, oder durch sonstige Mitteilungen den Verfasser bei der ersten Ausgabe unterstützten, in erster Linie Frau Marie v. Bülow in Berlin, die außerdem die Benutzung der so wichtigen Bülow-Briefe Band VI und VII gestattete, bleibe der herzlichste Dank bewahrt. Ebenso allen, die an der Fortführung des Buches Anteil zeigten. Berichtigungen, Mitteilungen, Anregungen jeder Art sind an den Verfasser in Leipzig freundlichst erbeten.