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Die Wandmalereien

siehe Bildunterschrift

Abb. 49 Limburg, Dom. Salvator-Bildnis der Emporenkapelle.

Die Bemalung romanischer Kirchen – Naturgefühl und Frömmigkeit – Zerstörende Übermalungen – Die Tünche der Aufklärungszeit – Die Entdeckung der Limburger Malereien und ihrer Technik – Die alten Malbücher – Das Verhältnis der Gemälde zur Architektur – Das dekorative System von Boppard und Limburg – Die Bilderfriese, Gruppen- und Einzelfiguren – Die Entwicklung ihres Stils aus deutschen und byzantinischen Elementen – Die Entartung der Form – Die beiden Salvatorbildnisse – Der Rex in gloria von Limburg als herrschender Stil

 

Unsre Vorstellung von der Wirkung des Georgendoms, wie sie dem Baumeister vorschwebte, würde unvollständig sein, wenn wir uns nicht den Eindruck der ursprünglichen Bemalung zu vergegenwärtigen suchten, ohne die ein romanisches Bauwerk nicht gedacht werden kann.

Nur der rasche Fortschritt der Gotik in der Auflösung des Baukörpers und der allgemeiner herrschende Brauch, kostbare Teppiche als Festschmuck an den Kirchenwänden aufzuhängen – wie es heute in Nordfrankreich noch überall geschieht – kann als Grund dafür angesehen werden, daß die Wandmalerei dort weniger verbreitet war als in Deutschland, wo Wandbehänge bei der Kirchenausstattung der romanischen Zeit freilich ebenfalls eine Rolle spielten.

Die Warnung vor dem trügerischen Schein der Malerei, der Rabanus Maurus in einer poetischen Epistel Ausdruck gegeben, hat die rheinische Dekorationslust, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine erstaunliche Fülle von Wandgemälden hervorbrachte, nie zu beirren vermocht. Fast in allen alten Kirchen sind bei Entfernung der Tünche Spuren einstiger Bemalung zum Vorschein gekommen und oft – wie in der Oberzeller Kirche auf der Reichenau, wo kein Fleck des Mittelschiffs unbemalt war, und noch mehr in Schwarzrheindorf oder Brauweiler mit ihrem das ganze Gewölbe überspannenden Bilderhimmel – trug der Innenraum ein geschlossenes Farbengewand.

Wenn die Bilderfolgen, die sich über die ungebrochenen romanischen Wandflächen zogen, auch den ausgesprochenen Lehrzweck lebendiger Bibeln verfolgten und ebenso wie bloße geometrische Schmucklinien oder polychrome Auszeichnung einzelner Bauglieder der Architektur zu dienen bestimmt waren, deren Rhythmus sie steigerten oder variierten, so belehrt eine Stelle des kunstsinnigen Mönches Theophilus doch darüber, daß sie die religiöse Stimmung nicht allein durch Illustration von Textworten hervorzubringen suchten, sondern auch dadurch, daß sie den Beschauer durch das Farbenwunder der Schöpfung, das sie vor ihm aufleuchten ließen, mit Anbetung für den Weltenschöpfer und seine Werke erfüllten. Denn der Künstler sollte – nach dem Rat des Theophilus – in den Farben, mit denen er das Gotteshaus schmückte, ein Bild des himmlischen Paradieses geben, das in bunten Blumen blüht, in Gras und Blättern grünt und das Auge so bezaubert, daß es nicht weiß, wohin es sich wenden soll. Wir dürfen bei der Sehnsucht des Mittelalters nach der Ganzheit des Daseins annehmen, daß es der Kunst des Malers auch gelungen ist, die Brücke zwischen dem Naturgefühl und frommer Erhebung herzustellen, wenn wir aus lebendiger Anschauung auch wenig darüber wissen, weil wir meist nur den nackten Baukörper der Kirchen kennen.

Über den romanischen Farbengeschmack und die feineren Stimmungswerte der Dekoration läßt sich trotz der großen Anzahl erhalten gebliebener Bruchstücke daher kaum etwas Zuverlässiges aussagen. Ebensowenig vermögen wir uns ein genaues Bild davon zu machen, nach welchen Prinzipien man bei der Ausmalung der Kirchen verfuhr, zumal oft mehrere Malschichten übereinander liegen, woraus hervorgeht, daß der Geschmack sich nicht gleichblieb und beim Wechsel des Stilgefühls das alte Bild einfach mit einem neuen übermalt wurde. So war über die Gestalt Samsons, die sich auf der Westmauer des südlichen Querschiffes im Limburger Dom befindet, eine Darstellung der Maria Aegyptiaca gemalt, die von ihrem eigenen Haar überwachsen, von Engeln gekrönt und gen Himmel getragen wird. Durch solche Übermalungen ist die Untersuchung der alten Maltechnik ebenso oft unmöglich gemacht worden wie durch späteres Übertünchen, da beim Ablösen der Tünche an der Rückseite der abfallenden Oberschicht häufig die ursprüngliche Modellierung der Wandmalereien haften bleibt oder die alte Farbschicht unter der Einwirkung der Kalktünche sich verändert.

 

Im Jahre 1749 ließ der Stiftsdechant Friedrich Dornuff das Innere von St. Georg (auf eigene Kosten) anstreichen, die Wandflächen rosa, die Grate blau, die Schlußsteine golden, während der Chor im Jahre 1784 mit heller Kalkfarbe übertüncht wurde, worauf das ganze Innere in der nassauischen Zeit noch einmal im Jahre 1840 einen gleichmäßigen weißen Anstrich erhielt. Der veränderte Geschmack der Aufklärungszeit, die keinen Sinn mehr für mittelalterliche Farbigkeit hatte, sondern in der Feierlichkeit des reinen Weiß ihr Ideal erblickte, weshalb auch die gemalten Fenster bei jener Gelegenheit durch weißes Glas ersetzt wurden. Die alte Ausmalung des Georgendoms war dahin. Ein um so bedauernswerterer Verlust, als St. Georg, von wesentlichen Umbauten verschont, die sichere Gewähr für die Erhaltung seines Wandschmucks geboten hätte.

»Zwei Feinde arbeiten gemeinsam an der Zerstörung der Kunstdenkmale: Armut und Reichtum, und wenn erstere sie tötet, so begräbt sie letzterer – aus Freude am kostbaren Leichenbegängnis – vollständig«. Als man im Jahre 1870 die Spuren der romanischen Dekoration des Doms wiederentdeckte, tauchte die neue Gefahr jenes Begräbnisses auf, das Restauration heißt und den urkundlichen Wert des scheinbar vom Tode Geretteten endgültig zu vernichten droht. Die Gefahr wurde dadurch abgewendet, daß man – neben den in Limburg aufgefundenen Resten der Dekoration – auf das fast vollständig erhaltene und Limburg nahverwandte dekorative System aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts in Andernach stieß und zudem die Technik der Limburger Malereien festzustellen vermochte, wobei sich ergab, daß die auf der Nordseite des Limburger Mittelschiffs erhalten gebliebenen Zeichnungen nicht die fertige Malerei darstellten, sondern die in flotten Konturen aufgetragene und am tiefsten in den Feingrund eingedrungene Vorzeichnung, von der die Übermalung und weitere Modellierung, die loser auf der Untermalung aufgesessen, sich abgelöst hatte, während sie auf den übrigen Kompositionen derselben Wand haften geblieben war. So konnte man im Anschluß an die aufgefundenen Spuren eine Wiederherstellung vornehmen, bei der die Figuren von der Hand des Restaurators nur wenig berührt wurden. Die Erneuerungsarbeiten des Jahres 1935 haben die Ausmalung aus den siebziger Jahren mit dem letzten Stand der Forschung in innigeren Einklang gebracht und der wiederbelebten Farbenwirkung auch eine günstige Lichtstimmung geschaffen.

Nicht unwichtig ist dabei, daß alte Malbücher nicht nur das Ergebnis der technischen Untersuchung über die Auftragung der Limburger Farben auf angefeuchteten Putz bestätigen, sondern uns auch einen Einblick gewähren in die Vorgänge der mittelalterlichen Werkstatt, die uns das Malerbuch vom Berge Athos so beschreibt:

»Der jüngere Bruder bereitete den Mörtel auf der Mauer, der Meister skizzierte das Gemälde, der erste Zögling führte die Umrisse aus, welche der Meister zu den Bildern, die er zu vollenden nicht die Zeit fand, angedeutet hatte. Ein junger Zögling vergoldete die Heiligenscheine, malte die Inschriften, arbeitete an den Verzierungen. Die zwei andern, die kleineren, rührten die Farben durcheinander. Unterdessen skizzierte der Meister sein Gemälde wie aus dem Gedächtnisse oder aus Inspiration. In einer Stunde zeichnete er ein Gemälde auf die Wand, welches Christus vorstellt, wie er seinen Aposteln den Auftrag gibt, die Völker zu lehren und sie zu taufen. Christus und die anderen elf Figuren waren fast in natürlicher Größe. Er machte seine Skizzen aus dem Gedächtnis, ohne Karton, ohne Zeichnung, ohne Modell«.

Wir sind Zeugen der Stilbildung. Aus einer solchen Arbeitstechnik, bei der zum Entwurf einer lebensgroßen Figur nur einige Minuten zur Verfügung stehen, mußte sich jener Stil der fließenden Linien und monumentalen Großzügigkeit entwickeln, der in den Wandmalereien von Schwarzrheindorf und Brauweiler seine höchste Ausdruckskraft erreicht und auch dem Duktus des Limburger Meisters seinen Schwung gegeben hat.

Wir dürfen diese Gemälde nicht als Einzelbilder betrachten. Sie wollen innerhalb des dekorativen Systems verstanden sein, dessen kontrapunktische Struktur sich über den ganzen Innenraum erstreckte, die Flächen parzellierte, den Farbenakkord festsetzte und den Platz für den figürlichen Schmuck anwies. Es ist ein anderes in Knechtsteden, wo die feierliche Monumentalität des aristokratischen Kulturkreises und die romanische Geschlossenheit der Flächen sich in kompakteren Farben, schwereren Linien und transzendentaler Wucht der Komposition aussprechen; und ist ein anderes in unserer Epoche, zu Beginn des 13. Jahrhunderts, wo neue Bauformen der Wandmalerei zwar ihre bisherige Unterlage zu entziehen begannen, weil sie die zusammenhängenden Flächen aufteilten und – außer in den Gewölbefeldern – nur noch für Einzelfiguren Raum ließen; wo aber die reiche Gliederung der Wände mit ihren sich verschiebenden Silhouetten wie in Limburg zugleich zur Belebung durch eine neue Art farbiger Ausschmückung reizte. Der Subjektivismus der Übergangszeit erlangte in der architektonischen Malerei größte Bewegungsfreiheit. Das entwickelte tektonische Empfinden ordnete das Dekorative zwar immer dem Baugedanken unter; allein, grade dadurch ergab sich je nach Raumbild und persönlichem Farbenempfinden auch ein anderer farbiger Vortrag. Die verschiedenen Richtungen, die sich dabei herausbildeten, lassen sich auf zwei Hauptsysteme zurückführen, die man das kalte und das warme genannt hat.

Das eine ist in Boppard, das andere in Limburg vertreten. Im Gegensatz zu dem weißen Grund der füllenden Glieder, der Wand- und Gewölbeflächen, haben die tragenden Bauteile von St. Severus in Boppard steingraue Färbung, während die umrahmenden Bänder und Blattwerkfriese auf Braunrot mit Ockergelb und Schwarz abgestimmt sind. Trotz dieser auf das Mindestmaß beschränkten Farbenskala und obwohl die pflanzlichen Ornamente weder modelliert noch abgetönt, sondern ausschließlich flächig behandelt sind, wird die starke Wirkung einer, klaren ruhigen Farbigkeit erzielt. Da sich die Legende des hl. Severus in dieses strenge dekorative Programm jedoch nicht einfügen ließ, ist sie als zweistreifiger Bildteppich an der Nordwand angebracht, ebenso wie Szenen aus der Legende des hl. Aegidius in die Gewölbekappen des südlichen Seitenschiffs verlegt sind.

Wie hier ein System kalter und einfacher Farben durchgeführt ist, baut sich Limburg auf der warmen Palette auf. Das kalte Weiß der Flächen ist einem gedeckteren Tone gewichen. Aus dem Steingrau der architektonischen Glieder holt ein gelblicher Einschlag Wärme. Der reicher gewordenen Palette ist Blau und Grün in mannigfaltigen Schattierungen für Zwickel und Bogenfüllungen entnommen, Rotgelb aber zum beherrschenden Akkord geworden, der Harmonie in die Fülle der durch die Zerlegung der Flächen entstandenen Bauglieder bringt. Wie dunkeltonige Behandlung den Emporen- und Triforiensäulen die Stimmung schwarzen Marmors verleiht, ordnen sich die in graue und grüne Quadern aufgeteilten Rundstäbe, Rippen und Gurten bunt in das plastische Leben des Raums, bis in die Höhe der Vierungskuppel hinauf, deren beschattete Trompenaugen sie geheimnisvoll umrahmen.

 

Wenn dieses Ausschmückungsschema Schildbogen, Lünetten und Zwickel auch mit freundlichen Farbengirlanden umwindet und ein intimes Raum- und Lichtleben verbreitet, so war das gotische Wandbild doch der Ausstattung des Doms mit einem großen zusammenhängenden Bilderzyklus nicht günstig. In St. Caecilien in Köln überqueren Bilderzonen mit den Wundertaten Jesu und dem Leben der hl. Caecilia, in Boppard der Severusfries derart die Wände, daß man noch den Zusammenhang der Monumentalmalerei mit Wandteppichen aus ihnen erkennt. In Limburg sind Flächen für solche Bildteppiche bei der starken Zerlegung der Mauern überhaupt nicht übrig geblieben.

Aber auch ein leitender Gedanke, wie etwa der Gemäldezyklus von Schwarzrheindorf die Geschichte des Propheten Ezechiel vom Untergang und Aufbau des irdischen Jerusalem erzählt oder die vierundzwanzig Gewölbekappen von Brauweiler den Sieg des Glaubens in Szenen aus dem alten Testament, dem Hebräerbrief und der Heiligenlegende verherrlichen, läßt sich in den Limburger Gemälden nicht entdecken.

Durch das ganze Mittelschiff, das althergebrachterweise historischen Szenen vorbehalten war, laufen die großen frontalen Kniefiguren von Aposteln und Heiligen, beiderseits wie Wächter auf den Zinnen einer befestigten Stadt samt ihren Sinnbildern und Spruchbändern zwanglos in die Lünetten der Emporen komponiert: Paulus mit dem Schwert durch den Nacken, Andreas mit dem Kreuz, Jakobus mit der Muschel, der jugendliche Johannes mit dem Ölfaß, der bärtige Apostelfürst Petrus mit riesigem Schlüssel. In roten, braunen, gelben und grünen Gewändern steigen sie zwischen den Befestigungstürmen herauf, während rechts und links in den Zwickeln über ihnen Bartholomäus, Philippus, Jacobus minor, Salomo und die Königin von Saba, der vom Fisch ausgespiene kahlköpfige Jonas und eine weibliche Heilige in ähnlicher Farbenauffassung, alle Nimben ums Haupt, in wehender Gewandung hervorschweben. Friese mit grünlichem Fond laufen als Abschluß der ganzen Gliederung über den Triforien hin. Aus ihren Medaillons schauen Brustfiguren der Tugenden und gekrönter Gestalten und reichen Spruchbänder zu den Figürchen der Laster herab, die halbbekleidet, sich die Haare raufend oder in verrenkter Haltung hintübergeworfen auf den Wellenlinien der Triforienbögen schaukeln.

Damit reißt der Zusammenhang der Gemälde schon ab und wir finden nur noch Gruppen und Einzelbilder, zwischen denen keine innere Beziehung zu erkennen ist. So erscheint auf der Nordwand der Erdgeschoßarkaden, von bewegten Wellen getragen, ein Schiff mit drei Insassen, von drei Personen am Ufer empfangen, während in einer anderen Szene drei Frauen im Heiligenschein unter einem Bogen hervortreten, denen ein anbetendes Paar in eigentümlicher Kopfbedeckung naht, beide Darstellungen der Legende des hl. Nikolaus entnommen, der in der Emporenlünette darüber abgebildet ist.

Ein Bildstreifen desselben Joches erzählt in dichtgedrängter Szenenreihe die Begegnung der beiden hhl. Einsiedler Antonius und Paulus in der Wüste, die jedoch nur bis zum Begräbnis des hl. Paulus, dem zwei Löwen das Grab scharren, kenntlich ist.

Während auf der benachbarten Wand des nördlichen Seitenschiffes, dort, wo dieses Bild seinen traditionellen Standort in der Kirche hat, die Riesengestalt des hl. Christophorus den Welterlöser durch die Fluten trägt, schließen die beiden Patrone des Doms die Malereien des Mittelschiffs in zwei großen Einzelfiguren an den westlichen Vierungspfeilern ab: Der hl. Georg mit Kettenpanzer, Schild und Fahne auf blauem Grund, der hl. Nikolaus in grüngoldner Kasel und rotem Pluviale mit Mitra und Bischofsstab.

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Abb. 50 Limburg, Dom. Gemälde des Samson.

Im Gegensatz zu dem nördlichen Kreuzarm, der nur mit einem Fries dekoriert ist, in dessen gelben Sternmedaillons das Lamm auf dem Buch mit den sieben Siegeln, Apostelköpfe und die Evangelistensymbole aufziehen, ist der südliche Kreuzarm durch eine Reihe eigenartiger Einzelfiguren belebt. Einem knieenden Engel mit weitausgespannten rötlichen Flügeln und Johannes dem Täufer, der in seinem Mantel von Kamelhaaren mit nackten Füßen über die wundervollen Blumenbogen des Triforiums schreitet, folgt auf der Querwand über einem Kopf, der als geheimnisvolle Blume aus einem Laubornament herauswächst, das Bildnis des hl. Josef, der als Gärtner des himmlischen Weinstocks aufgefaßt mit Winzerhut und Winzermesser in stilisiertem Rebengarten erscheint. Ihm schließt sich auf der östlichen Nachbarwand ein in Umrißlinien gehaltener, nur leicht angetönter Christus am Kreuze an, über dem in stilisierten Wolken vier Engel mit dem kreuzgeschmückten Pomum und der Kreuzscheibe in Händen schweben.

Die stilistisch hervorragendste Figur bildet jedoch die mächtige Gestalt des Samson, der in gelblichem Kittel und braunroten Beinlängen breitbeinig einen Baum umfaßt und ihn mit den Wurzeln aus dem Boden reißt. In dem kurzen Leibrock und dem gescheitelten, in langen Strähnen herabfallenden Haar ähnelt er dem Samsontypus der Mosaiken von St. Gereon – im Vergleich zu der Idealgestalt, die er in Brauweiler angenommen, eine mehr volkstümliche Erscheinung. Da er in seiner heldischen Kraft von jeher als eins der alttestamentarischen Vorbilder Christi aufgefaßt wurde, läßt sich die Ausreißung des Baumes – die Ausrottung des Übels mit der Wurzel – ebenso zwanglos als Symbol für den Erlösungsgedanken verstehen wie die Zerbrechung der Stadttore von Gaza nach christologischer Auffassung als Auferstehung Christi, der die Grabespforten gesprengt hat, zu deuten ist. (Abb. 50)

Die Samsonepisode leitet stilistisch ohne weiteres zu der Kreuzigung Petri über, die in der kapellenartigen Ausnischung auf der Empore des südlichen Kreuzarms eines der Gewölbefelder füllt. Mit dem Kopf nach unten hängend und das lange Gewand an den Waden zusammengeschnürt, wird der Apostel am Kreuzesstamm angenagelt, während bärtige Gesellen den schweren Körper an einer durch die gefesselten Füße gesteckten Querstange auf den Schultern nach oben halten. Die Szene ist – außer ihrem sonstigen Interesse – auch dadurch bemerkenswert, daß die hahnenkammartige Kopfbedeckung des einen Häschers durch den ähnlich phantastischen Indianerkopfputz des Bogenschützen auf der Gewölbemalerei der Severi-Kirche von Boppard eine Beziehung zu dem Meister der Aegidiuslegende herstellt.

 

Wenn die Gemälde des Kreuzhauses im Zeichen ungewöhnlicher Erfindung stehen, so folgt die figürliche Ausmalung der Mittelschiffgewölbe der üblichen Typologie. Es geht auf den antiken Vorstellungskreis zurück, daß die Elemente Wasser und Erde hier in dem sich um den Schlußstein drehenden Bilderkreis von Bäumen, Blumen und Sternen als weibliche Gestalten dargestellt werden: Terra in hellrotem Mantel auf einem Regenbogen sitzend, während Schlange und Schwein gierig an ihren entblößten Brüsten trinken; Aqua in bläulichem Gewand, ähnlich wie in den kraftvollen Kapitellfiguren von St. Germain des Près in Paris als Meerfrau mit den Fischen spielend.

Es scheint auch eine antike Erinnerung Bild geworden in den halbbekleideten weiblichen Figuren, die in dem goldnen Ring des zweiten Schlußsteins Wasserfluten aus gestürzten Krügen ausgießen: »Aus den Urnen lieblicher Najaden springt der Ströme Silberschaum«. Es sind die vier Paradiesströme Gison, Phison, Tigris und Eufrates, die zugleich Sinnbilder der vier Kardinaltugenden darstellen, weil diese – wie die Ströme einem Urquell – der göttlichen Weisheit als dem Quell des Lebens entspringen, ein Zusammenhang, den das Taufbecken des Hildesheimer Doms darin erkennen läßt, daß Paradiesflüsse und Tugenden hier aufeinander bezogen vorkommen. Wir finden das beliebte Motiv von jeher in Mosaiken, Evangeliaren, Kapitellen und Schreinen verwendet. Sogar der typische Schwung des Wassergefäßes über die Schulter des Tigris findet sich auf dem Elisabethschrein von Marburg wieder; und ebenso wie auf dem Papstgrab von Bamberg, ist Eufrates in Limburg ganz nackt gebildet. (Abb. 51)

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Abb. 51 Limburg, Dom. Gemälde des Paradiesflusses Tigris.

Den Kreis dieser Gruppe schließen die Erzengel Gabriel und Michael, der erste die Rolle der Verheißung in der Linken, der zweite das geflammte Schwert in der Rechten, beide rote Mäntel über bläulichem Gewand und in Flügelstellung, Gesichtsform und feierlicher Haltung mit dem Engelbild in der Unterkirche von Brauweiler fast übereinstimmend. Sie leiten zu zwei Gemälden des thronenden Salvators über, von denen das eine den Triumphbogen und das andere das mittlere Gewölbefeld in der Emporenkapelle des südlichen Kreuzarms schmückt – beide zu jenen repräsentativen Darstellungen gehörig, denen das Altarhaus geweiht ist.

Während der Himmelskönig hier in einer Mandorla auf doppeltem Regenbogen thront, umschwebt von den als Symbole der Apostel angenommenen Tieren aus der Vision des Ezechiel, hat er auf dem großen Gemälde, das zwischen den Trompenaugen des Vierungsturmes, von der Lichtglorie der Kuppel übergossen, dem Eintretenden mit tiefblauem Grund entgegenleuchtet, als Pantocrator den reichverzierten hochlehnigen Kissenthron eingenommen. Seine Hand ist zum Segen feierlich erhoben. St. Georg mit der Speerfahne und der hl. Nikolaus mit Buch und Bischofsstab umgeben ihn. Die Nimben sind im Reliefstil modelliert und vergoldet, in den Saum des Gewandes sind Halbedelsteine eingesetzt – ein Nachklang aus der Zeit, da die maiestas domini noch als Mosaikbild die goldstrahlende Halbkugel der Apsis einnahm.

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Abb. 52 Brauweiler, Wandgemälde im Kapitelsaal. Christus als Retter der Seelen.

 

Zwei Stilrichtungen haben auf die Formensprache der Limburger Malereien eingewirkt. Die eine, für die vielleicht die Paradiesflüsse das beste Beispiel abgeben, geht von Schwarzrheindorf und Brauweiler aus. Es ist eine zeichnerische Kunst, die sich in fließenden Umrissen substanzlos aufbaut. In Längsfalten gleiten die Gewänder und betonen mit den Ausdruckswerten ihrer schleierartigen Durchsichtigkeit die unverborgenen schlanken Glieder, die in dreieckige Zwickelräume und schmale Gewölbefelder, unter Ausnutzung jedes Winkels, im Kontrapost gebogen, luftig einschweben. Die germanische Lust am Fabulieren, die sie erzeugt hat, weht sie hierhin und dorthin. Sie haben keinen Boden unter den Füßen und selbst die Farben bestehen nur in leichten Tinten, die lasierend über die zeichnerischen Flächen gehaucht sind, um die Kontur nicht zu erdrücken. Es ist ein Spiel echt deutscher Phantasie, wenn der siegfriedhafte Christus von Brauweiler mit rechts und links ausgerecktem Arm die aus dem Schlund von zwei Drachen als schlanke Frauengestalten hervorschwebenden Seelen rettend ergreift. (Abb. 52) Und mit derselben naiven Freiheit, mit der jener Christus von Auxerre im Gefolge von vier berittenen Engeln auf weißem Roß gegen den Drachen der Finsternis heransprengt, läßt die Samsonszene von Limburg ihren Helden Bäume entwurzeln, obwohl er nach der Schrift nur die Säulen am Haus der Philister und die Tore von Gaza zerbricht. Auch die kalligraphisch reizvolle Heiligengestalt mit der hohen, persisch aussehenden Mütze, die sich zur Rechten der Johanneslünette in Limburg befindet und die selbständige Auffassung des Nährvaters Josef als Winzers gehören hierher.

Aber dieser fließende Stil, in dessen Bahnen sich – außer den Paradiesflüssen – auch die Limburger Gestalten der Terra und Aqua, die Kreuzigung Petri und alle Emporenfiguren des Langschiffs bewegen, hat eine Entwicklung genommen, der der Limburger Meister bei seinem Gefühl für Rhythmus der Linie und Anmut der Bewegung nicht gefolgt ist. Zwar ist der Geist des Schwebenden in der Zone der Apostelfiguren, wo alles entweder in Lüften oder hoch über Burgzinnen geistert und die knapp anliegenden Gewänder der Volkstracht den schönen Fluß biegsamer Körperlichkeit unterstreichen, besonders lebensvoll ausgeprägt. Doch geht er nirgends in die Unruhe über, die er im Laufe des 13. Jahrhunderts infolge seiner Neigung zu eckig gebauschten knittrigen Gewandlinien, stürmisch flatternden Zipfeln und unmotivierten Brüchen angenommen hat.

Dieser barocken Verwilderung hat der Mittelrhein dadurch widerstanden, daß er sich infolge byzantinischer Einflüsse wieder stärker an die Architektur band, die den Ausgangspunkt des Stils gebildet hatte. Denn die Anschmiegung an den Schwung der Gewölberippen, die Flügelspitzen der Lünetten, die Sektoren der Kappen und die langschenkeligen Pfeilerecken, in die sie sich einpassen mußten, haben seine gestreckten Wesen geschaffen; und wie die Krümmung des Elfenbeinzahns, aus dem die Madonna geschnitzt wurde, die Kurve der gotischen Gestalt hervorbrachte, haben die gebogenen Gewölbeflächen und verschobenen Wandfelder die Neigung zum Kontrapost geboren. Während aber das byzantinische Element dem Stil, der für den deutschen Hang zum Strömenlassen und Zerdenken eine Gefahr bedeutete, in Limburg Bändigung aufnötigte, hat es zuweilen auch gerade zur Auflösung beigetragen und wie bei der Apostelfigur von St. Ursula in Köln oder auf dem Altarvorsatz aus der Wiesenkirche zu Soest die zackige Form durch kubistische Zerklüftung und flackernde Konturen zur Dämonie des Bizarren gesteigert. Bei dem bethlehemitischen Kindermord in der Kirche auf dem Frankenberg von Goslar spritzt die Menschengestalt, wie von einer Bombe getroffen, in einem Linienwirbel auseinander.

In Limburg haben sich Formwille und Sinn für Monumentalität, die keine Verkleinlichung aufkommen ließen, als stärker erwiesen. Die Großartigkeit der Architektur blieb auch für den Bildgeschmack richtunggebend. In diesem Sinne hat sich die byzantinische Komponente des Limburger Stils, die sich bereits in der durchgehenden Vorderansicht der Apostelreihe wie der größeren Feierlichkeit der Erzengelfiguren bemerkbar macht, in den beiden Salvator-Bildnissen am entschiedensten durchgesetzt. Sie spiegeln zwei verschiedene Entwicklungsstufen des Motivs. Der Heiland in der Emporenkapelle thront – der in der älteren nordischen Kunst herrschenden Vorstellung entsprechend – auf dem phantastischen Sitz des Regenbogens; ein zweiter Regenbogen ist der Schemel seiner Füße und die Gestirne umkreisen ihn. So zeigt er sich in dem geöffneten Himmelstor der Mandorla, naturnah, die Mitte der Schöpfung. Aber auch menschennah. Die Arme erhoben, hält er der Menschheit die Handteller mit den Wundmalen entgegen: Der für euch gestorben ist – Der Erlöser. Es steht mit der Schlichtheit dieser Auffassung im Einklang, daß er in die Seitenkapelle herabgestiegen ist, erreichbar den Blicken, niedrig über den Häuptern derer, die ihn suchen. (Abb. 49)

Ganz anders der Rex in gloria auf der Triumphbogenwand des Vierungsturms, hoch oben in der Lichtkuppel schwebend und dem Auge so weit entrückt, daß es die bedeutenden Maße der drei Meter hohen Gestalt nicht in ihrer ganzen Größe zu erkennen vermag. Zwar begegnen uns auch schon bei dem Salvator der Seitenkapelle die feierliche Haltung und die Parallelfalten des über das freie linke Knie gerafften Gewandes. Aber aus dem Regenbogen ist nun ein goldgeschmückter, mit Kissen belegter Thronsessel geworden, die Feierlichkeit ist zu hieratischer Würde gesteigert, an die Stelle ausgebreiteter Arme ist die gemessene, kaum wahrnehmbare Bewegung der nur mit zwei Fingern segnenden Rechten getreten. Die Erinnerung an den großen Christus in der Vorhalle von S. Marco in Venedig taucht auf, dessen Bildnis in das Vorlagenbuch der rheinischen Maler überging. Denn in derselben Majestät erscheint er nun in der Hauptapsis von St. Patroklus in Soest und bleibt von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zu dem Limburger Christus der herrschende Stil. Von den Leidensmalen des Gottessohnes ist nichts mehr zu erblicken; der Beherrscher der Welt, mit sorgsam wie nach strengem Zeremoniell in Falten geordnetem Mantel und von den beiden Heiligen wie von einer Leibwache umgeben, blickt aus Himmelshöhen der Verklärung, trotz vornehmer, kunstvoll und dekorativ umgeschlungener Gewandung von überirdischer Monumentalität: Der Pantocrator. Seine Linke legt sich auf das geschlossene Buch des Lebens zum Zeichen, daß er zugleich der Richter und Lehrer der Welten ist. (Abb. 53)

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Abb. 53 Limburg, Dom. Der Weltenrichter des Vierungsbildes.

Das Hoheitsideal der Staufer oder des Hofes von Byzanz? Sie sind nahe verwandt, und wir brauchen das gemeinsame Urbild nicht ferne zu suchen. Der Domschatz von Limburg besitzt eine der wichtigsten kunstgeschichtlichen Urkunden, die uns nicht nur den Typus überliefert, der dem Meister des Vierungsgemäldes vorschwebte, sondern uns auch darüber belehrt, auf welchen Wegen der fremde Einfluß in die nordische Malerei eindrang. Es ist das byzantinische Kreuzreliquiar der Kaiser Konstantin Porphyrogennetos und Romanos II., des Vaters der – Theophano.


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