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Zweites Kapitel. Die vier Brüder

Das Königreich Temureimoas umfaßt zwei Inseln – Groß- und Klein-Makin; einige zweitausend Untertanen zahlen ihm Tribut und zwei halb unabhängige Häuptlinge huldigen ihm bedingt. Die Bedeutung seiner Stellung steht und fällt mit dem Manne selbst – er kann eine Null, er kann aber auch ein absoluter Herrscher sein. Beide Extreme hat man noch innerhalb von Menschengedenken hier gekannt. Nach dem Tode König Tetimararoas, Tebureimoas Vaters, folgte ihm Nakaeia, der älteste Sohn. Nakaeia war von ungeheurer Köperkraft, herrisch, gewalttätig, voll eines gewissen barbarischen Sparsamkeitsdranges und nicht unbewandert in Menschen- und Geschäftskenntnis. Von allen Einwohnern seiner Insel war er der einzige, der Handel trieb und Geschäfte machte; er war der Pflanzer und Kaufmann, und seine Untertanen mühten sich für ihn in Sklaverei. Hatten sie lange und gut gearbeitet, so schenkte ihnen ihr Fronherr einen Feiertag und veranstaltete eine allgemeine Schwelgerei, an der er sich selbst beteiligte. Seine Gastfreundschaft grenzte mitunter ans Großartige; Gin und Brandy im Werte von sechshundert Dollars wurde auf einen Hieb ausgegeben; das schmale Ländchen hallte wider vom Lärm der Prassenden, und es war ein gewohnter Anblick, die sich selbst nur mühsam auf den Beinen haltenden Untertanen ihren trunkenen Monarchen auf dem Deck eines gestrandeten Schiffs herumtragen zu sehen, wobei König wie Gemeine gröhlten und sangen. Auf ein Wort von Nakaeia hatte die Orgie dann ein Ende; Makin wurde wieder einmal eine Insel von Sklaven und Temperenzlern, und am nächsten Morgen bereits mußte die ganze Bevölkerung unter dem blutunterlaufenen Auge ihres Herrschers auf den Straßen oder in den Tarofeldern ihre Fron verrichten.

Furcht vor Nakaeia erfüllte das Land. Eine geregelte Justiz gab es nicht; es gab keine Verhandlungen, keine Justizbeamten; es gab nur eine Strafe – die des Todes – und Überfälle an hellichtem Tage sowie Ermordungen bei Nacht traten an Stelle von Prozessen. Der König selbst spielte den Henker: er führte seine Streiche in aller Heimlichkeit aus, einzig unter der Mithilfe und Billigung seiner Frauen. Diese dienten ihm auch als Bootsmannschaft: als die eine von ihnen sich einmal dabei ungeschickt anstellte, schlug er sie auf der Stelle mit dem Steuer tot. Unter strenger Disziplin zog er mit ihnen heimlich in der Nacht an den Schauplatz seiner Rache, die er ganz allein verübte, um dann äußerst befriedigt mit seiner ehelichen Besatzung wieder nach Hause zurückzukehren. Die Insassinnen seines Harems nahmen eine für uns nur schwer verständliche Stellung ein. Reine Zugtiere, einzig von der Furcht des Todes getrieben, waren sie dennoch zuverlässige Hüterinnen des Lebens ihres Gebieters. Gattinnen und Königinnen waren sie, deren Antlitz kein Mann erblicken durfte. Ihr Blick war tödlich wie der des Basilisks; wer auch nur zufällig eine dieser rudernden Frauen zu Gesicht bekam, machte sich eines Verbrechens schuldig, das nur mit Blut gesühnt werden konnte. In den Tagen Nakaeias war der Palast von hohen Kokospalmen umgeben, von denen aus man den Hof überschauen konnte. Eines Abends, als Nakaeia mit seinen Frauen draußen beim Essen saß, hockte der Besitzer der Palmen auf einem der Baumwipfel, um Palmwein zu zapfen. Zufällig warf er einen Blick nach unten, und zufällig traf ihn gerade in diesem Augenblick das Auge des Königs. Schleunigste Flucht rettete den unschuldigen Verbrecher. Aber während des Restes der Herrschaft Nakaeias war er überall flüchtig und mußte sich bei Freunden an einsamen Stellen der Insel verbergen; der König fahndete nach ihm ohne Unterlaß, wenn auch immer vergebens, und die Palmen, die dem Verbrechen Vorschub geleistet hatten, wurden unbarmherzig umgehauen. So streng war das eheliche Keuschheitsideal auf dieser Insel, wo mannbare Jungfrauen nackt wie im Paradiese umhergingen. Doch selbst in Nakaeias gutbewachten Harem schlich sich der Skandal. Er war damals Besitzer eines Schoners, den er als Lusthaus benutzte, und in dem er, wenn derselbe vor Anker lag, logierte. Dorthin beschied er eines Tages eine neue Frau. Sie war ihm versprochen gewesen. Ich nehme an, daß er mit einer ihrer Schwestern verheiratet war, denn der Gatte einer älteren Schwester hat auch ein Anrecht auf die jüngeren. So wurde sie denn für diese Gelegenheit geschmückt und kam zu ihm, bekränzt, beladen mit fein geflochtenen Matten und mit dem Familienschmuck, und wie ihre Freunde glaubten, geschmückt zur Hochzeit – zum Tode, wie sie wohl wußte. »Nenn' mir den Namen des Mannes und ich werde dich verschonen«, erklärte Nakaeia. Doch das Mädchen blieb fest; sie schwieg, um den Geliebten zu retten, und die Königinnen erstickten sie zwischen den Matten.

Nakaeia war gefürchtet, aber augenscheinlich nicht gehaßt. Taten, die für unsere Begriffe nach Mord riechen, trugen in den Augen seiner Untertanen das verehrungswürdige Antlitz der Gerechtigkeit. Seine Orgien machten ihn populär. Auch heute noch rühmen die Eingeborenen respektvoll seine machtvolle Regierung, und selbst die Weißen, die er lange Zeit befeindete und sich vom Leibe zu halten verstand, geben ihm (eine landläufige Südseephrase) den Titel eines »vollkommenen Gentleman, wenn nüchtern.«

Als er ohne Nachkommen zu hinterlassen auf dem Sterbebette lag, rief er seinen ältesten Bruder, Nanteitei zu sich, hielt ihm einen Vortrag über die königliche Politik und warnte ihn vor allzu großer Schwäche. Die Warnung fiel auf fruchtbaren Boden, und eine Zeit lang regierte er ganz nach dem Muster Nakaeias. Nanteitei entließ die Wachen und ging mit einem Revolver umher, den er in einem ledernen Postsack trug. Um seine Schwäche zu verbergen, bewahrte er ein rauhes Schweigen. Man konnte den ganzen Tag über auf ihn einreden, ihm mit Ratschlägen, Vorwürfen, Bitten, Drohungen kommen – auf nichts erhielt man eine Antwort. Die Zahl seiner Frauen betrug siebzehn, und viele von ihnen waren Erbinnen, denn das königliche Haus ist arm, und Heiraten galten von jeher als ein Mittel zur Stützung des Thrones. Nakaeia hatte seinen Harem für sich arbeiten lassen, Nanteitei vermietete ihn an andere. So ließ damals zum Beispiel die Firma Wightmann einen Landungssteg mit Veranda am Nordende der Stadt erbauen. Die Maurerarbeit ist das Werk der siebzehn Königinnen, die dort im Wasser umherwateten und sich abrackerten wie die Fischermädel. Aber der Mann, der das Dach decken sollte, wagte nicht mit der Arbeit zu beginnen, bis die Frauen nicht fertig waren, aus Angst er könnte sie von obenher zu Gesichte bekommen. Das war vielleicht das letzte Auftreten der Haremsarbeiterinnen. Vor längerer Zeit hatten sich hawaiische Missionare in Butaritari niedergelassen – Maka und Kanoa, zwei tapfere, kindliche Männer; Nakaeia hatte von ihrer Lehre nichts wissen wollen, vielleicht war er sogar eifersüchtig auf ihren Einfluß gewesen; da er aber zugleich ein Mensch war, konnte er nicht anders: er mußte sie gern haben. Einst hatte er in seinem Hause vor den Augen Kanoas mit eigener Hand drei Matrosen aus Oahu getötet, indem er sich ihnen auf den Rücken setzte und sie erstach. Dabei hatte er dem Missionar gedroht, ihn auch zu töten, falls er sich einmischte. Doch er hatte ihn damals nicht nur verschont, sondern ihn später sogar (nachdem Kanoa geflohen war) mit Ausdrücken der Ehrerbietung zurückgerufen. Nanteitei, der schwächere, verfiel blindlings dem Zauber dieser Männer; Maka, ein heiterer, liebenswerter, seinen Beruf jedoch sehr ernst nehmender Mann, gewann einen Einfluß auf den König und verstärkte ihn ständig, bis er allmächtig wurde. Nanteitei wurde samt seinem ganzen Hause sehr bald öffentlich bekehrt, und mit einer Strenge, wie sie freier denkende Missionare zurückweisen, wurde der Harem auf der Stelle aufgelöst. Das war ein schwerwiegender Schritt. Der Thron verarmte, seine Macht war erschüttert, die Verwandtschaft der Königinnen war gekränkt, und sechzehn Frauen aus Häuptlingsgeschlecht (manche davon sehr begütert) wurden mit einem Schlage auf den Markt geworfen. Ich bin mit einem hawaiischen Matrosen gefahren, der nacheinander mit zwei dieser Impromptu-Witwen verheiratet war und der von beiden wegen schlechten Betragens geschieden wurde. Daß zwei große und reiche Damen (denn beide waren reich) »einen Mann von einer anderen Insel« heirateten, ist an und für sich schon ein Beweis für die Auflösung der Gesellschaft. Außerdem wurden sämtliche Gesetze, nicht immer zu ihrem Vorteil, umgeändert. Ich liebe Maka als Mensch; als Gesetzgeber hat er zwei Mängel: er ist schwach, wo es gilt zu strafen, und hart in dem Verbot unschuldiger Freuden.

Krieg und Revolution sind meistens die Nachfolger der Reformation. Nanteitei jedoch starb (an einer übergroßen Dosis Chloroform) im ruhigen Besitz seines Thrones, und erst unter der Regierung des dritten Bruders, Nabakatokias, eines tapferen, aber schwachen Mannes, brach das Unwetter los. Von jeher scheinen die Häuptlinge und Notabeln die eigentliche Macht gehabt, ja, mitunter sogar die Monarchie abgelöst zu haben. Die »Alten« (wie sie genannt werden) haben das Recht, im Sprechhaus neben dem König zu sitzen; des Königs Oberhoheit gelangt in einer Schlußformel – »Das Sprechen ist beendet« – zum Ausdruck. Nach der langen Zeit des Absolutismus unter Nakaeia und den Umwälzungen Nanteiteis hatten die Alten ihre Ohnmacht satt bekommen, zweifellos waren sie auch auf Maka eifersüchtig. Verleumdung – vielmehr Persiflage – wurde zur Hilfe gerufen; eine Wort-Karrikatur machte die Runde der Gesellschaft: Maka, hieß es, habe in der Kirche erklärt, der König sei der erste und er selber der zweite Mann der Insel, und aufgebracht durch die vermeintliche Beleidigung brachen die Häuptlinge in offene Rebellion aus. Sie sammelten sich zu den Waffen, und nach Verlauf eines einzigen Vormittags war der Thron Nakaias in den Staub gezerrt. Der König saß in seiner Maniap' vor den Toren des Palastes in Erwartung seiner Rekruten: Maka war an seiner Seite, beide waren in schwerer Sorge. Währendessen hatte einer der Häuptlinge sich vor die Tür eines Hauses am Nordende der Stadt postiert und fing die Truppen im Vorbeimarsch ab. Sie kamen einzeln oder in Gruppen, jeder mit seinem Gewehr oder einem Revolver um den Hals geschlungen. »Wohin geht ihr?« fragte der Häuptling. »Der König hat uns gerufen«, lautete die Antwort. »Hier ist euer Platz,« entgegnete der Häuptling, »setzt euch.« Mit unfaßbarer Unloyalität gehorchten alle, und nachdem so von beiden Seiten eine genügende Streitmacht gesammelt worden war, ließ man Nabakatokia holen und zwang ihn, sich zu ergeben. Damals wurden fast in jedem Teile der Inselgruppe die Könige ermordet; auf Tapituea hängt auch heute noch in dem Hauptsprechhaus der Insel das Gerippe des letzten Monarchen als Warnung vor dem Ehrgeiz. Nabakatokia hatte mehr Glück; man schonte sein Leben und ließ ihm die äußerliche Repräsentation, nahm ihm dafür aber jede Macht. Die Alten tobten sich bei einem großen Gelage in öffentlichen Reden aus; die Gesetze wurden wiederum geändert, ohne jedoch jemals durchgeführt zu werden; das Volk erhielt Gelegenheit, den Vorzügen der Regierung Nakaeias nachzuweinen, und der König, ohne die Stütze reicher Heiraten und die Dienste einer Schar von Frauen, geriet nicht nur in Mißachtung, sondern auch in Schulden.

Wenige Monate vor unserem Kommen war er, ohne von irgend jemandem beweint worden zu sein, endlich gestorben. Alle blickten jetzt voller Hoffnung auf seinen Nachfolger, der dem Rufe nach der Held der Familie war. Von allen vier Brüdern war er der einzige, der Nachkommen hatte, einen erwachsenen Sohn Natiata und eine dreijährige Tochter. An ihn hatte sich in der Stunde der Revolution Nabakatokia, wenn auch verspätet, um Hilfe gewandt, und in früheren Zeiten war er die rechte Hand des kraftvollen Nakaeias gewesen, Nontemat', »Herr Leiche« lautete sein furchtbarer Spitzname, und er hatte ihn sich mit Recht erworben. Wieder und immer wieder hatte er auf Befehl Nakaeias in tiefster Nacht die Häuser umstellt, die Moskitonetze durchschnitten und ganze Familien niedergemetzelt. Hier war also die eiserne Hand; hier war Nakaeia redux. Er kam, von seiner Unterregentschaft auf Klein-Makin abberufen, bestieg den Thron und – entpuppte sich als Marionette und Feigling, als plumper Federball in der Hand der öffentlichen Redner. Der Leser hat seine Überreste in dem Sommersaal unter dem Namen Tebureimoa kennengelernt.

Die Änderung in des Mannes Charakter bot Anlaß zu zahlreichen Erörterungen und wurde verschiedentlich als die Folge von Opium oder seiner Bekehrung zum Christentum erklärt. Meiner Ansicht nach hat jedoch überhaupt keine Veränderung stattgefunden, alles erscheint mir im Gegenteil bis ins Letzte folgerichtig. Herr Leiche fürchtete seinen Bruder: König Tebureimoa die Alten. Furcht vor dem erstgenannten trieb ihn zu Verzweiflungstaten; Furcht vor den letzteren machte ihn zu jeder Regierungstat unfähig. In der Vergangenheit hatte er die Rolle eines Bravos gespielt, indem er der Richtung des geringsten Widerstandes folgend andere zu seinem eigenen Schutz abschlachtete: heute, da er älter und schwerfälliger, ein Konvertit und ein Leser der Bibel, vielleicht auch ein Büßer geworden ist, kapituliert er im Bewußtsein des akkumulierten Hasses, den er erzeugte, und in Erinnerung an die Bilder von Gewalt und Mord, die ihn bedrängen, vor den Alten, benebelt sich mit Opium und sitzt der fürchterlichsten Erwartungen voll unter seinen Wachen. Die gleiche Feigheit, die ihm das Messer des Meuchelmörders in die Hand drückte, hat ihm sein Königsszepter entwunden.

Eine Geschichte, die man mir erzählte, sowie ein nebensächliches Ereignis, das ich zufällig selbst beobachtete, werden ihn in diesen beiden Rollen zeigen. In einer leichtsinnigen Stunde fragte ein Häuptling aus Klein-Makin: »Wer ist Kaeia?« Ein Vogel trug den Ausspruch weiter, und Nakaeia übergab die Angelegenheit einem Komitee von drei. Herr Leiche wurde zum Vorsitzenden gewählt; das zweite Mitglied starb vor unserer Ankunft, das dritte dagegen ist auch jetzt noch wohlauf und munter und hat ein so ungemein würdiges Äußere, daß wir es Abu ben Adhem tauften. Diesmal spürte Herr Leiche doch Gewissensbedenken: Der Mann aus Klein-Makin war sein Adoptivbruder, und es zeugte unter diesen Umständen nicht von sonderlich viel Zartgefühl, wenn er überhaupt in der Sache auftrat. Den Streich ausführen zu müssen (was man augenscheinlich von ihm erwartete), war jedoch über die Maßen peinlich. »Ich werde den Streich führen,« erklärte der ehrwürdige Abu, und Herr Leiche ging (zweifellos mit einem Seufzer der Erleichterung) auf das Kompromiß ein. Das Wild wurde also in den Busch gelockt, dort veranlaßte man ihn, einen Baumstamm zu heben, und als er die Arme ausstreckte, schlitzte ihm Abu von unten her den Bauch auf. Nachdem somit das Werk der Gerechtigkeit vollzogen war, wandten sich die Kommissare voll kindischen Entsetzens zur Flucht. »Ihr braucht jetzt nicht fortzulaufen«, erklärte das unglückliche Opfer. »Bleibt bei mir«; und er starb in einigen zwanzig Minuten, während seine Mörder um ihn herumsaßen: eine Szene würdig Shakespeares. Alle Phasen eines gewaltsamen Todes, das Blut, die ersterbende Stimme, die durch den Todeskampf entstellten Züge, die veränderte Gesichtsfarbe – alles ist Herrn Leiche stets gegenwärtig, und seitdem er es an dem von ihm verratenen Bruder studiert hat, hat er selbst einigen Grund, an die Möglichkeit von Verrat zu glauben. Niemals bin ich einer Sache so sicher gewesen, wie der Tragik in den Gedanken Tebureimoas, und doch habe ich ihn nur ein einziges Mal überrumpelt. Ich hatte eine Botschaft an ihn allein auszurichten. Wieder einmal war es die Stunde der Siesta, doch waren Müßiggänger unterwegs, und diese wiesen uns nach einem geschlossenen Haus an den Ufern des Kanals, wo sich der König unbewacht aufhalten sollte. Da wir Eile hatten, betraten wir es ohne jede Anmeldung, und fanden ihn auf einem Ruhebett von Matten liegend, zerknirscht in die Lektüre seiner Gilbert Island-Bibel vertieft. Bei unserem plötzlichen Eintritt richtete sich der schwere Mann halb auf, so daß die Bibel auf den Boden rollte, starrte uns einen Moment mit weit aufgerissenen Augen an und sank dann, als er seine Besucher erkannt hatte, wieder auf die Matten zurück. So hat Eglon Ehud angesehen.

Es gibt eine seltsame Gerechtigkeit der Tatsachen, die selbst merkwürdig gerecht ist. Nakaeia, der Urheber dieser Taten, starb in Frieden, predigend über die Kunst und List der Könige; sein Werkzeug muß tagtäglich die erzwungene Mitschuld büßen. Nicht die Natur des Handelns, sondern das innere Gleichgewicht zwischen Handeln und Charakter verdammt oder errettet den Menschen; Tebureimoa stand von Anfang an an falscher Stelle. Daheim, in irgendeiner ruhigen Dorfnebenstraße, wäre er ein braver Handwerker geworden, und selbst heute noch ist er trotz seiner ungeheuren Blutschuld nicht bar aller bescheidenen Tugenden. Er hat keinen Landbesitz; er hat nur die Nutznießung von so viel Grund und Boden, als von Pfändungen ausgeschlossen ist; durch das alte probate Mittel des Heiratens kann er sich auch nicht mehr bereichern: Sparsamkeit ist also das sine qua non seiner Zukunft – und er ist sich dessen wohl bewußt und weiß sie zu üben. Elf auswärtige Händler zahlen ihm Lizenzen in Höhe von je hundert Dollar, und einige zweitausend Untertanen müssen ihm eine Kopfsteuer von einem Dollar pro Mann, einem halben Dollar pro Frau und einem Schilling für jedes Kind entrichten. Das macht, den Wechselverlust abgerechnet, rund dreihundert Pfund im Jahr. Neun Monate saß er auf dem Thron, als wir kamen; in der Zeit hatte er seiner Frau ein seidenes Kleid und einen Hut (Kostenpunkt unbekannt) und sich selbst eine Uniform im Werte von dreihundert Dollar gekauft, hatte für fünfzig Dollar die Photographie seines Bruders zum Vergrößern nach San Francisco geschickt, hatte einen großen Teil der Schulden seines Vorgängers abbezahlt und hatte noch einige Sovereigns in der Tasche. Ein liebevoller Bruder, ein guter Hausvater, war er außerdem noch ein geschickter Zimmermann, der gelegentlich das Holzwerk an seinem Palaste eigenhändig mit dem Hobel bearbeitete. Es ist keineswegs verwunderlich, daß Herr Leiche einige Tugenden besitzt: was mich jedoch mit Erstaunen erfüllte, war die Tatsache, daß Tebureimoa die Möglichkeit sich zu zerstreuen finden konnte.


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