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Am Golf von Neapel

Warum Frau Kliebisch seinen Sechsachteltakt und keine Citronen vertragen konnte – Die Abruzzen – Vom Musik-Elend – Der Räuber – Gleichheit vor der Sonne – Ein deutscher Tempel bei Wissenschaft – Santa Lucia – Warum Frau Buchholz nicht im Museum sein mochte – Warum der Neapolitaner mit keinem Berliner Bankier tauscht – Neapel von draußen – Der Hund und der Geizhals – Pompeji und Spandau – Die Fliegen und der Kapuziner – Warum Frau Buchholz vor einem Fische knixt – Warum der Vesuv wild wurde – Capri – Warum in Amalfi ein Loch im Fremdenbuche verehrt wird – Addio mia bella Napoli

Nun rollten wir auf Neapel zu.

Kliebischens hatten sich uns angeschlossen; er wegen des Skats, sie wegen meiner Ratschläge, denn eine ältere Frau hat doch schon mehr durchgemacht, als eine auf der Hochzeitsreise begriffene.

Ich fragte nun, wie sie sich am Gardasee amüsiert hätte.

– Es ließe sich halten. – Ob sie dort auch Apfelsinen und Zitronen gesehen hätte? – »Leider ja.« – »Wieso leider?« – »Ach, liebste Frau Buchholz, was habe ich gelitten. Hinnerich ruhte nicht eher, als bis wir auf dem Dampfschiff waren. Der See ward unruhiger, je weiter wir kamen, mir graust noch, wenn ich dran denke.«

»Das Schiff ging auf und nieder, immer im Sechsachteltakt, wie ein Rondo von Hiller.« – »Und da ward Ihnen schlecht?« – »Noch nicht ganz, ich bin ja an Musik ziemlich gewöhnt. Hinnerich, der meinen Zustand sah, war untröstlich, daß er mir nicht helfen konnte, und suchte mich durch alle möglichen Erfrischungen zu erquicken. Alles, was man ihm anriet, brachte er mir, Kaffee, Selterwasser und zuletzt eine Zitrone in der Schale, die sehr gut sein sollte.« – »Half die denn?«

»Um in die Zitrone hineinzubeißen, mußte ich den Mund öffnen, und das wurde mein Verderben. In demselben Augenblick waren mein neues Samtkleid und Hinnerichs heller Paletot geliefert, so viel Bewußtsein hatte ich noch, das zu bemerken. Dann aber schwand mir alles bis auf den Sechsachteltakt, der sich nicht verlor, sondern mit dämonischer Hartnäckigkeit auf mein kreisendes Gehirn hämmerte.«

»Wie Hinnerich mir später erzählte, schleppten er und ein Matrose mich in die Kabine, wobei ich wie eine geknickte Lilie ausgesehen haben soll. Hinnerich ist ganz in Verzweiflung gewesen und hat immer gerufen: ich habe mein Weib getötet, ich bin der Mörder meiner Henriette, warum ließ ich sie das heimtückische Dampfschiff betreten? O, wie beklage ich meine unselige Neigung für Rudern und Segeln. Dies hat er mir wohl hundertmal erzählen müssen, als wir später auf dem Trocknen waren, und immer wieder schloß ich ihm dann den Mund mit einem Kusse und sprach: »Du Guter, was hast du gelitten; ich will deine treue Liebe und Zärtlichkeit vergelten.« – »Und ich will dir das Dasein versüßen, du Engel,« sagte er dann kosend, »wie ich es nur vermag, du sollst ein viel schöneres Samtkleid haben als das ruinierte, so wahr ich Hinnerich Kliebisch heiße.« – Was aber schrecklich ist, ich kann seit jener Affäre keine Zitrone mehr riechen und keine Hillerschen Kompositionen mehr hören, ... gleich werde ich wieder seekrank.«

»Das ist grausam. Waren Sie auch in Mailand?« – »Ja.« – »Haben Sie den Dom gesehen?« – »Bloß von außen.« – »Haben Sie Napoleon mit nichts an gesehen?« – »Nein.« – »Haben Sie das Abendmahl gesehen?« – »Nein.« – »Was haben Sie denn gesehen?« – »Beste Frau Buchholz, ich war ja so leidend, daß wir fast gar nicht aus dem Hotel herausgekommen sind; Hinnerich wich keine Minute von meiner Seite. Von Mailand reisten wir nach Bologna.« – »Was ist denn da los?« – »Ein sehr gutes Hotel und zwei schiefe Türme.« – »Zwei? Nach Bologna gehe ich nicht, ich hab' gerade genug an einem schiefen Turm. – Karl, guck mal aus, ob du den Vesuv noch nicht sehen kannst?« – »Gleich, mein Kind ... Schellen sticht, schmeckt gut und ist billig. Herr Kliebisch, Sie haben Vorhand.« – »Hinnerich, du Guter, was sind das für Berge hier zur Linken?« – »Einen Moment, Henriette ... Noch mal Atout; und noch mal!« – »Sie spielen weiter, Herr Kliebisch,« sagte mein Karl. –

»Du hast ja den Bädeker, sieh doch einmal nach, Fritz.« – »Gleich, Wilhelmine; Karl, eine Karte oder ein Stück Holz!« – »Der Rest ist für mich!« – »Sie geben, Herr Kliebisch.« – »Ich hätte die grüne Zehn ausspielen sollen, dann wären Sie 'rum gewesen,« sagte Herr Kliebisch und mischte. – »Nicht doch, ich hatte den König zweimal besetzt.« – »Wir möchten wissen, wie die Berge heißen!« mahnte ich sehr scharf.

Während Herr Kliebisch mischte, befragte Onkel Fritz das Buch. »Es sind die Abruzzen!« rief er. – Die Kliebisch erschrak ebenso heftig wie ich. So nahe waren wir den Abruzzen, wo das menschliche Leben noch niedriger im Kurs steht als die Ölheimer Aktien. Und unsere natürlichen Beschützer spielten Karten. Zur Sicherung schlossen wir wenigstens das Fenster. –

»Karl,« rief ich, »weißt du nicht, daß wir von Räubern umgeben sind?« – »Ihr Herr Gemahl zieht uns aus, als wäre er hier zu Hause,« scherzte Herr Kliebisch. Nie habe ich mich mehr über den Halbgaren geärgert als jetzt, denn Witze über meinen Mann vertrage ich nicht. Der Kliebischen stand das Wasser in den Augen. »Hinnerich liebt mich nicht mehr,« jankte sie, »er hat mir schon seit einer Stunde keinen Kuß gegeben.« – »Das können Sie ja im Hotel nachholen,« erwiderte ich giftig.

Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu und sagte weinend: »O, wenn Sie wüßten, wie ich Hinnerich liebe. Was wäre ich ohne ihn? – Eine bedauernswerte Klavierspielerin, die von der Gnade ihrer Mitmenschen leben muß und vom Unterricht, die Stunde zu sechs Groschen. Was sind die Konzerte, welche wir unberühmten Künstler geben, denn anders als musikalische Schnorrereien? ... Wir werden in Gesellschaften geladen, um zu spielen, je öfter um so besser, und dafür nimmt man uns, wenn's so weit ist, einige Dutzend Konzertbillette ab, die dann armen Verwandten oder der Kochfrau und deren Angehörigen geschenkt werden. Vor solchem Publikum ist kein Ruhm zu ernten.«

»Und der pekuniäre Vorteil? Man ist froh, wenn zehn bis zwanzig Mark übrig bleiben, nachdem der Saal, Gas, Druckkosten und die Spesen der Kollegen bezahlt worden sind.«

»Sie kennen das glänzende musikalische Elend nicht, Sie wissen nicht, wie schwer es wird, aufzukommen, denn man verlangt heutzutage fast Übermenschliches. Ach wie bald merkte ich, daß ich nie zu den Auserwählten gehören würde, ich fühlte, wie meine Träume von Stolz und Ruhm zerrannen, wie die Wirklichkeit kam und mich mit Ketten an das Klavier fesselte, zugleich mit der Not und den Demütigungen, denen die Armut im Seidenkleide und gewaschenen Glacés ausgesetzt ist, nur nicht mit der Kunst. Von diesen Ketten hat mich Hinnerich befreit, und wenn er mich nicht mehr liebte, würde ich mich töten.«

»Kliebischen,« sagte ich, »man kann manchmal nicht wissen, was ein hölzerner Bock für Talg hat. Dies gefällt mir an Ihrem Hinnerich, wenn er sonst auch gerade nicht meine Passion wäre.« – »Ach, Sie sollten ihn nur kennen!« fiel sie mir in die Rede.

Ich hielt es nach dieser Gemütsbewegung für gut, einen zu genehmigen. Erst tranken die Herren, weil gerade Gebepause war, und dann reichten sie uns das Flakon.

Als die Kliebisch im Begriff stand, das gute Naß an den Mund zu setzen, klopfte es an das Fenster, und ein Wesen mit geschwärztem Antlitz begehrte Einlaß. »Die Räuber!« schrie die Kliebischen und ließ die Flasche fallen. Die Herren sprangen auf. Indes die Aufregung war zwecklos, denn der vermeintliche Räuber entpuppte sich als ein vom Kohlenrauch angeblakter Schaffner, der meldete, daß wir bald in Neapel sein würden. Wahrscheinlich spekulierte er auf ein Trinkgeld, aber schreckhalbers wurde es ihm vorenthalten.

Ich bin mit mir noch nicht im klaren, ob das Trinkgeld eine Art von sanftmütigem Raub ist oder nicht? Wenn man in einem Hotel Wohnung nimmt, so ist es doch klar, daß man nicht selbst die Stuben fegen, die Betten machen, die Stiefel putzen, den Kaffee und die Speisen aus der Küche holen kann. Sobald man jedoch abreist, verlangen alle die Leute, welche diese selbstverständlichen Dienste leisteten, ihr Trinkgeld. Was heißt das?

Das heißt auf gut Deutsch Abruzzerei. Soll man mit Kleingeld um die Gunst des Hotelpersonals buhlen? Ist es überhaupt sinnvoll, sich das wohlwollende Lächeln des Hausknechts durch Mammon zu erkaufen? Ist es aristokratisch, sich die Achtung des Stubenmädchens durch einen finanzbeschwerten Händedruck zu erwerben? Keineswegs, obgleich Onkel Fritz hierin anderer Ansicht ist, als ich es bin.

Er meint nämlich, man würde besser bedient, wenn man als Gast und Fremder die Hoteldomestiken trinkgeldhafterweise besoldete, aber wieso kann man für Dienste einen Extralohn zahlen, die das Hotel ohne Extravergütung liefern muß?

Das ist doch Widersinn. Und ob so ein Fatzke im schwarzen Frack oder eine Donna vom Scheuerlappen mir gewogener ist als einem anderen Gaste, oder mich ein paar Zentimeter in der Privatachtung steigen läßt, das ist mir sehr gleichgültig.

Die Engländer und Amerikaner sind das Trinkgeldzahlen nicht gewöhnt und geben auch keines. Trotzdem, oder gerade deshalb, werden sie mit der ausgesuchtesten Höflichkeit behandelt, bekommen die besten Zimmer, die besten Plätze bei Tisch und stehen nichts aus.

Mit dem Trinkgeld haben wir uns eine direkte Selbstbesteuerung auferlegt, die geradezu ins Ungeheuere geht. Ein junger Mann, der zu Mittag im Wirtshause speist und abends sein Glas Bier trinkt, kommt, wenn er sich nicht der Mißachtung des Herrn Kellners aussetzen will, nicht unter jedesmal zehn Pfennige Trinkgeld frei. Das macht knapp gerechnet im Jahre sechzig Mark. Wenn der Staat ihm die sechzig Mark für wichtige Zwecke abverlangen wollte, wie würde er da zetern, wie würden die Zeitungen schreien, wie würden sie sich im Reichstag die Köpfe blutig reden. Wenn er dies Geld für die Armut hergeben sollte, wie würde er sich winden und krümmen. Aber das Wohlwollen des Kellners ist ihm so viel wert. Gibt es etwas Fratzenhafteres?

Daß man in Italien erst recht auf das Trinkgeld unangenehm wird, das liegt auf der flachen Hand, denn dort kostet alles ein Zwangsalmosen: die Kunst, die Natur, das Leben diesseits und jenseits. Ein richtiger Italiener glaubt, daß der Erzengel Gabriel, als er die ersten Menschen wegen Kontraktbruch exmittiert hatte, Adam ein Trinkgeld abverlangte, und als er keins bekam, weil es damals noch kein Nickel gab, sie nicht wieder in die Wohnung hineinließ. –

Italien ist ja stellenweise geradezu ein Paradies, es wäre aber noch paradiesischer ohne Trinkgeld. –

Die Herren beendeten ihr verruchtes Gespiel, wir sammelten unsere Packeneten zusammen und rüsteten uns zur Ankunft. Die leergelaufene Flasche nahm Herr Kliebisch an sich, um sie auf seine Kosten füllen zu lassen, durch welches Zeichen von Lebensart er mich versöhnlicher stimmte. Herrn Spannbein wäre so etwas natürlich nicht eingefallen, weil Künstler zu oft mit Freigetränken und stellenweise sogar auch mit Freibutterbrot und Käse verwöhnt werden.

Wir fuhren durch Kornfelder, die jedoch mehr Obstgärten glichen, deren Bäume üppige Weingirlanden trugen, an Gemüsegärten vorbei, worin alles, was da wuchs, nur so von Kraft strotzte. Ob es Kohl, Artischocke, Paradiesapfel, Kürbis, Gurke, Salat, Bohne oder Erbse war, jedes bestrebte sich, als wolle es den ersten Preis auf einer Gartenbauausstellung gewinnen. Dabei die Beete sauber wie ein gedeckter Tisch, die Wege wie mit dem Lineal gezogen, die Hecken beschnitten, dazwischen Orangen- und Zitronenbäume und die japanische Mispel, deren kleine gelben, säuerlich schmeckenden Früchte noch erquicklicher sein könnten, wenn ihre harten Kerne nicht so betrügerisch groß wären. Und von Unkraut keine Spur.

Den Vesuv sieht man von der Eisenbahn nicht, weil der Monte Somma ihn verdeckt. Man kommt mit der Bahn in Neapel ebenso an wie in anderen Städten, immer dieselbe Couleur. Auch Onkel Fritz sagte: »Dies soll Neapel sind? Ooch nicht übel!« – Dazu wieder der Ärger über die vermaledeiten Koffer.

* * *

Aus meinem Tagebuche.

Wir sind nun drei Tage in Neapel und noch bin ich wie verbiestert. Wie soll ich es anfangen, die Stadt zu beschreiben? Nach üblicher Manier etwa so: Neapel liegt unter 40° 5' nördl. Breite an der Nordseite des Golfes, welcher in einem Umfange von 7-8 geographischen Meilen im N. W. durch das Capo Misene und im S. O. durch die Punta della Campanella begrenzt und durch die sich anschließenden Inseln, im W. Procida und Ischia, im S. Capri noch mehr gegen das Meer abgeschlossen ist. Usw. Anm. d. Herausgebers. Man kommt ja gar nicht zur Besinnung. Es lebt alles. Der Himmel lebt, das Meer lebt, der Sonnenschein, die ganze Natur. Und die Menschen? – Die toben und lärmen wie Jungen, welche soeben in die Ferien entlassen wurden und denen der Schulmeister nichts mehr zu sagen hat.

Rom hat etwas Vornehmes an sich; wer mag auch bei Gräbern Radau machen? In Neapel vergißt sich dagegen das Vergangene, wie wir den Winter vergessen, wenn der erste Maisommertag erscheint, denn dort ist immerwährender Sommer. Jeder Tag bringt neues Leben, und bei seinen geringen Bedürfnissen kennt das Volk keine Sorgen für morgen. Deshalb kümmert es sich auch nicht um gestern. Jeder gefällt sich so wie er ist, er dünkt sich nicht geringer als sein Nachbar, weil dessen Rock ein Loch weniger hat. Ich meine den Armen, zu dessen Vergnügen der blaue Himmel, das Meer und der Sonnenschein ebensowohl da sind wie für den Reichen. Auch der Arme versteht dort froh zu sein, so jammervoll arm er auch ist.

Man nennt die Neapolitaner faul, weil viele von ihnen ihre geringen Bedürfnisse durch wenig Arbeit bestreiten können, und schilt sie Tagediebe. Das ist unrecht.

Die Handwerker arbeiten an der Straße. Es ist eine Lust zu sehen, wie unermüdlich und fleißig sie sind. In den ärmeren Quartieren gehen die Weiber mit dem Rocken und der Spindel zum Plaudern auf die Gasse, aber sie spinnen einen derben Faden dabei, der ihnen grobe Leinwand zu ihren Röcken liefert. Statt der Strümpfe ziehen sie meistens das Klima an, zumal am Alltag. Sonntags dagegen putzen sie sich. Ein einfaches Kleid, ein farbiges Band, unechter Goldschmuck um den Hals und in den Ohren und dazu kreischend vergnügt. Das ist ihr Staat. Ich hätte mit lachen, mit toben, mit ungebändigt froh sein mögen, aber was hätte man von mir in der Landsberger Straße gedacht? – Bei uns will alles nach der Mode gehen, selbst das Dienstmädchen. Mode macht Sorgen, welche die Tochter des Neapler Volkes so wenig kennt wie Schnee im April. Für wen soll sie sich in Unkosten stürzen? Für ihren Geliebten? Der ist auch kein Modeflaps. Für andere Menschen? Sie ist lustig, ohne das Gefühl, von anderen wegen ihres Kleides beneidet zu werden. Und wie lustig ist sie! –

Gestern Abend waren wir auf der Chiaja. Es war italienische Nacht mit Konzert. Die vornehme Welt Neapels fuhr Korso. Vier Wagenreihen, und welche Eleganz der Equipagen! Welche Toiletten! Ähnliches habe ich nie gesehen. Zu einem Korso gehört Fuhrwerk, Droschken zweiter Güte tun es nicht, selbst nicht erster. Und wie fröhlich sahen alle darein. Später wurde der Park von Hunderten von Gasflammen erleuchtet. Die Palmen waren echt, nicht aus grün angestrichenem Blech. Das Meer rauscht heran bis an den Park, die Wogen begleiten die Musik, und wenn diese aufgehört hat, amüsieren sie sich auf ihre eigene Hand wie die Menschen. Mitten in dem Park erhebt sich ein prächtiges, weißes Gebäude, dessen Wände die Gasflammen hell beleuchten. Das steht so stillernst in dem Trubel, dem Rasseln der Räder, dem Stimmgewirr der Menge und den Weisen des Orchesters wie etwas Fremdes. – Es ist auch fremd, es ist die von Dr. Anton Dohrn, dem Stettiner, erbaute zoologische Station. Das deutsche Reich steuerte hunderttausend Mark dazu, die Berliner Akademie stiftete ein kleines Dampfboot zum Fange der Seetiere. Andere Länder halfen auch, aber deswegen ist die Station doch deutsch. Und wenn sie auch den Naturforschern aller Nationen Gelegenheit zum Arbeiten und Forschen bietet, ein Deutscher hat sie gegründet, und deshalb ist sie deutsch. Mein Karl sagte: »Tobe nur, Neapel, sei nach Herzenslust vergnügt! Mitten in all dem Getöse, an dem schönsten Platz Neapels hat Deutschland der Wissenschaft einen Tempel errichtet, und das freut mich mehr als alles, worauf du stolz bist. Warum? Weil die Ehre meines Vaterlandes auch meine Ehre ist.« –

Der Toledo ist die Friedrichstraße Neapels, nur geräuschvoller und etwa ein Viertel so lang. Wer den Spielbudenplatz auf St. Pauli in Hamburg an schönen Sonntagnachmittagen mit seinen Karrenhändlern, Ausrufern und dem dichten Menschengewühl gesehen hat, kann sich ungefähr ein Bild von dem Getriebe auf dem Toledo machen, wenn er das Geschrei verhundertfacht und statt des breiten Platzes sich eine schmale Straße denkt. Anm. d. Herausgebers. Mich wundert, daß keine Menschen darin überfahren werden, da die schönste Gelegenheit dazu jeden Augenblick vorhanden ist. Die Menschen sind aber dem Malheur in der Fixigkeit über. Und immer die Wagen mitten in den Menschenknäuel hinein gesaust, Equipagen, Droschken, Einspänner, Omnibus; Esel und Maultiere ungerechnet. Die Verkäufer gehen auf und ab und brüllen, als ob sie gespießt würden. Und womit handelt das? Mit drei oder vier Artischocken, einigen Fenchelwurzeln oder Maronen, etlichen Fischen, einem alten Hut und, wie ich einmal sah, mit einem Strick. So lange zetert das, bis es gerade den passenden Käufer für den Strick gefunden hat oder bis es heiser ist. Es wird aber nicht heiser, bevor es seine Ware an den Mann gebracht hat. Dabei handelt es, feilscht es, gestikuliert es, blökt es um die paar Pfennige, als stände die Existenz auf dem Spiele. Das hat es einmal so an sich.

Ich weiß nicht, was interessanter ist, die Gegend oder die Menschheit dieser Gegend, oder gehört beides zusammen wie Musik zum Tanze?

* * *

Hier sind meine Neapler Notizen zu Ende; ich hatte keine Zeit mehr, mich in der gebildeten Schreibweise zu üben, wie sie ein einigermaßenes Tagebuch erfordert.

Kliebischs reisten schon nach vier Tagen Aufenthalt ab. Er kam, um die gefüllte Flasche wieder zu bringen, und nahm Abschied. Seine Frau, sagte er, wäre leidend, sie könnte das ewige Zitronenwasser nicht vertragen, und er habe Austern gegessen, wonach er ebenso seekrank geworden wäre wie Henriette auf dem Gardasee. Außerdem sei sie so schreckhaft, daß sie zitterte und flöge, wenn jemand in ihrer Nähe losjohlte, was auch nicht zu verwundern sei, da man in Neapel ja wegen des Lärms kein Auge zukriegte. »Wir gehen nach Venedig, dort kann ich Wasserfahren,« schloß er seine Auseinandersetzung und empfahl sich.

Onkel Fritz sagte mir jedoch den wahren Grund, weshalb die beiden Leine zogen. Sie waren nämlich an der Hafenstraße, die man Santa Lucia nennt, spazieren gegangen – Onkel Fritz handelte dort gerade bei einem Fischer um Korallen und Muscheln – und hätten sich gegenseitig ungemein gefühlvoll angeschmachtet.

Darüber hätten nun die Männer, Weiber und Kinder sich lustig gemacht, denn der Neapolitaner hat ein scharfes Auge für die komischen Seiten der Fremden, und so wären die beiden Verliebten der Zielpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit geworden. Außerdem wäre Kliebisch die Uhr aus der Tasche gestohlen worden. »Das hat sie so verdrossen, daß ihnen Neapel nicht mehr gefällt, und wenn du klug bist, nähst du deinem Mann die hinteren Rocktaschen zu, damit ihm nichts daraus gestohlen wird.« – »Mein Karl läßt sich nichts stehlen,« fertigte ich ihn ab. –

Santa Lucia wird viel gepriesen, die Aussicht auf den Golf und die Inseln ist ja auch herrlich, und die vielen Schiffe erinnern an ferne Weltteile, aber es ist eine Hafenmauer da, und auf der Mauer und an derselben, wie's am bequemsten ist, lassen sich viele, teilweise nur mit sich selbst bekleidete Leute in der Sonne braten. Dies ginge ja noch, allein sie machen dort auch Jagd. Worauf, sage ich nicht. Würden sie einen Kamm nehmen, hätten sie sicherlich reichere Beute, sie bedienen sich jedoch der Finger und fangen einzeln weg, was sie inkommodiert, wozu bei den dicken struppigen Haaren Übung und Gewandtheit gehört. –

Von den dreihundert Kirchen haben wir keine besucht, dagegen waren wir im Nationalmuseum, worin sie die Statuen, Wandgemälde und die vielen Gegenstände aufbewahren, die in Pompeji und Herkulanum ausgebuddelt wurden. Von den anderen Sachen, den Bildern und übrigen Kunstschätzen will ich gar nicht reden, da ich nicht einmal Zeit gehabt hätte, sie bloß zu zählen. Was man schon in Pompeji hatte, davon ist das Ende weg, allein schon an Schüsseln und Pfannen. Einige dieser Töpfe schienen mir jedoch früher eine ganz andere Bestimmung gehabt zu haben, als vor den Augen aller honetten Leute auf Tischen herumzustehen. –

Und diese Statuen aus Marmor und Bronze! Manchen Bronzefiguren waren farbige, natürliche Augen eingesetzt, so daß sie den Eindruck machten, als könnten sie sehen. Da dieselben jedoch den Verfall der Kunst andeuten, wie im Buche steht, ging ich ablehnend weiter, obgleich ich innerlich Behagen dran fand, einige schielten sogar ordentlich.

Aus Versehen geriet ich in einen kleinen Saal des Museums, an den ich noch mit Schaudern denke. Vielleicht war die Kliebischen auch darin und hat sich dort ihre Nerven geholt, denn es gehört ein starkes Gemüt wie das meine dazu, um derartige Anblicke zu ertragen. Wo ist Neapels Madai, daß solche Figuren nicht konfisziert werden? Oder man richte separierte Herren- und Damentage ein, damit die Sache wenigstens einen wissenschaftlichen Anstrich erhält. Soviel aber steht fest bei mir, die Pompejaner waren nette Brüder! – Ich war froh, als wir wieder draußen waren. –

Schrecklich ist in Neapel das Gebettel. Nicht nur alles, was blind, lahm oder verkrüppelt ist, fällt die Fremden an, sondern auch die Gesunden verlangen mit ausgestreckter Hand ihren Tribut.

Noch größere Quälgeister der Fremden als die Bettler sind jedoch die Droschkenkutscher. Kaum hat man das Hotel verlassen, so fahren sie auf ihre Opfer zu und zwar so dicht auf den Leib, daß einem die Passage versperrt wird. Ist man einen glücklich los geworden, dann kommt nach kaum zwanzig Schritten ein zweiter, oder es stellen zwei bis drei ein förmliches Wettfahren an, um den Fahrgast zu erwischen.

Dazu klopfen die Stiefelputzer mit den Bürsten gegen ihre Holzkasten und greifen nach den Beinen der Passanten. All dies Volk: die Bettler, die Blumenmädchen, Photographienhändler, Hausierer, das jammert, brüllt und belästigt den ahnungslosen Fremden, daß er sich zuletzt vor Angst in eine Droschke setzt und froh ist, wenn die Räder derselben ihm beim Vorfahren nicht über die Zehen gingen. Mir wurde oft grün und gelb vor den Augen, und doch kann ich nicht leugnen, daß in diesem Gewoge etwas Berauschendes liegt.

Man muß das Volk am Abend in der Strada di Porto sehen. Dort stehen die Ölkessel auf der Straße über dem Feuer, in denen Polypen und Tintenfische brodeln, dort ißt der Neapolitaner seine Makkaroni, die der Koch mit einem Stock aus dem Kessel holt und der Gast von oben, lang herunter in den Mund gleiten läßt. Das Gewühl, der Ölgeruch, bei Lärm, die Musik von Drehklavieren, Guitarren und Mandolinen, die Ausgelassenheit ist unbeschreiblich. Und das geht Tag für Tag, Abend für Abend so.

Wer jedoch keine Makkaroni oder kein Stück Melone erschwingen kann, der kauft für eine winzige Kupfermünze eine Hand voll Kürbiskerne, die er im Umherschlendern zernagt. Erwischt er noch ein Glas eisgekühlten Schwefelwassers, das unten bei Santa Lucia entspringt, und eine halbe Zitrone zum Hineinträufeln des Saftes in das nach faulen Eiern riechende Wasser, dann tauscht er nicht mit einem Berliner Bankier, weil der nach Karlsbad muß, was der Lazzaroni nicht nötig hat.

Wer gar kein Geld hat, sucht die fortgeworfenen Melonenschalen oder die ausgepreßten Zitronen; eine Brotrinde schenkt ihm schon irgendein Garkoch oder der Wirt eines kleinen malporpern Speisehauses. Man ist Almosengeben gewöhnt, und der Arme ist so genügsam und so leicht vergnügt. Er weiß – etwas gibt es doch irgendwo. – »Ich glaube, der größte Reiz Neapels liegt in seinen Menschen,« sagte ich zu meinem Karl, »denn die Stadt selbst ist eigentlich nicht schön!« – »Wir müssen sie einmal von draußen ansehen,« antwortete er.– –

An einem warmen Nachmittage fuhren wir nach Pompeji. Da Onkel Fritz vielfach seinen Geschäften nachging, studierte ich die Reisebücher fleißig, und hatte gefunden, daß wir durch Portici kommen würden. »In Portici essen wir,« sagte ich, »dort ist gewiß ein Hotel »Zur Stummen«, oder »Zum Masaniello« mit Orangenterrassen, Aussicht auf den Golf und so weiter.« – Jawohl. Proste Mahlzeit! Die Enttäuschung!

Neapel fängt nirgends an und hört auch nirgends auf. Die ganze Küste am Golf ist Neapel, und ein elender, langweiliger, schmieriger Teil davon ist Portici. Mitten in dem Schmutz und den Fliegen hängen die Makkaroni zum Trocknen über den Rinnsteinen, aber es geht in den Fabriken sauberer her, als ich vermutete, wenn auch die Teigknetapparate aus ziemlicher Entfernung mit jenem Teil des menschlichen Körpers aus und nieder geschwungen werden, auf dem der Nichtmakkaronibäcker meistens beschaulich zu sitzen pflegt. Den Straßenstaub und die Visitenkarten der Fliegen kann man ja von den langen Mehlteigröhren abwaschen.

Es gibt weder Hotels zur »Stummen« noch zum »Masaniello,« sondern nur elende Kneipen in Portici. Dann kommt Resina, dann Torre bei Greco, dann Torre del Annunciata, aber man hält den ganzen stundenlangen Darm immer noch für Portici. Dazu weder Aussicht noch sonst etwas. Nur Staub, Häuser und hohe Gartenmauern, über die blühende Bäume ihre Kronen wie zum Hohn herüber strecken. Nach zwei Stunden hielten wir vor dem Hotel Diomedes, durch das der ahnungslose Fremde Pompeji betritt. Räuberhöhle.

Hier schalte ich nun einen leicht faßlichen Brief an die Töchter ein.

Liebe Kinder!

Gestern waren wir in Pompeji. Es ist nur für Erwachsene. Mit den seltsamsten Gefühlen schritt ich, nachdem Papa vier Lire für uns erlegt, durch den Drehzähler die Stufen hinab bis zum alten Hafentore, das jetzt trocken liegt und den Haupteingang Pompejis bildet. Als wir durch dasselbe gegangen waren, deutete unser Führer auf das Straßenpflaster, und dort sahen wir nun die Radspuren, welche die Wagen vor mindestens zweitausend Jahren gemacht hatten. Dies war ergreifend. Darauf sahen wir die Leichenabgüsse, worunter auch ein Hund. Das arme Tier wurde von dem Aschenregen erstickt, es muß schrecklich ausgehalten haben. Ein Geizhals, der seine Schätze retten wollte, kam ebenfalls um. Man muß seinen Sinn nie zu sehr an den Mammon hängen, denn dann verunglückt man. Ihm ist schon recht geschehen.

Dann sahen wir den Brunnen, an dem deutlich die Spuren zu erkennen sind, wie die Pompejaner daraus tranken, denn der Marmormund, aus dem das Wasser floß, ist halb hinweggetrunken, wie die große Zehe des Petrus in der Peterskirche hinweggeküßt ist. Könnt Ihr Euch denken, daß man uns beinahe zweitausend Jahre altes Brot zeigte, das noch im Backofen war, als Pompeji verschüttet wurde, und das man jetzt erst auffand? Es ist ganz schwarz geworden und natürlich nicht mehr zu essen.

In dem Isis- oder Ibistempel haust ein Photograph. Wo früher der Opferaltar stand, wird man an den Kopfhalter geschnallt, und in dem geheimen Keller, wo das Orakel murmelte, werden jetzt die Platten präpariert.

Die Engländer ließen sich fleißig abnehmen, um einen Beweis zu haben, daß sie wirklich in Pompeji gewesen sind. Eure Mutter, liebe Kinder, verschmäht solche Mittel, die ja auch bei der Bergfeldten vergebens wären, denn was weiß die vom Ibis?

Ich werde Euch von Pompeji mündlich mit Auswahl mehr erzählen; im übrigen könnt Ihr mir glauben, daß die Pompejaner ziemliche Ferkel waren, und wenn ein Strafgericht über die Gesellschaft hereinbrach, sie es redlich verdienten. Doch Ihr seid noch zu jung, um dies zu verstehen. Daß die Zeitungen, welche doch sonst über die öffentliche Moral wachen, damals solche Wandgemälde und Mauerverzierungen geduldet haben, wie sie dort noch der Schrecken der ehrbaren Gatten sind, begreife ich nicht. Die Presse muß sehr herunter gewesen sein. Vielleicht haben die Redakteure auch nicht gewagt, ein Wort zu sagen, weil sie selbst keine Engel waren, wie heutzutage, wo alles an ihnen tadellos ist bis auf das schlechte Papier, und gingen ebenfalls auf den Wegen der Gottlosen. Liebe Kinder, es war die höchste Zeit, daß Pompeji unter Asche kam. So konnte es nach meinen Gefühlen nicht weiter gehen.

Ihr müßt nun nicht denken, daß Pompeji eine Schachtel von Spielzeug ist. Nein, es ist fast ebenso groß wie Spandau, nur daß es anders aussieht und weder Militär noch sonst Einwohnerschaft darin ist. Alles tot und still. Die Häuser haben keine Dächer, die Türlöcher haben keine Türen, nur die Wände stehen, und Sonne und Mond scheinen in die Ruinen. Beinahe könnte man glauben, Pompeji wäre in der Gründerzeit angefangen und gleich nach dem Krach, noch ehe die Häuser unter Dach waren, verlassen worden. Deshalb macht Westend bei Berlin an einigen Stellen einen durchaus pompejanischen Eindruck; den Ausblick auf den Golf, auf die im Abendrot erglühenden Berge und den alten Speiekel, den Vesuv, muß man sich jedoch dazu denken. ? Papa ist gesund wie ein Fisch; er läßt ebenso herzlich grüßen wie Onkel Fritz. Übermorgen besteigen wir den Vulkan. Es wird großartig!

Eure Euch innig liebende Mutter.

P.S. Wir haben uns jetzt schon so sehr an das Italienische gewöhnt, daß ich mich mitunter wirklich auf einen deutschen Ausdruck besinnen muß. Ich fürchte, wenn ich retour bin und in einen Laden gehe, ich frage wahrhaftig: » Quanto costa? «

Addio! – Rivederci!

Eure la madre.

 

Unser Führer empfahl uns in seinem trümmerhaften Deutsch, im Albergo bei Sole, draußen vor Pompeji zu speisen, und gab uns den Bescheid, baß zwei Wege auf den Vesuv führen: die Funiculi oder Drahtbahn zu 25 Lire die Person und eine neue Führergesellschaft in Torre Annunciata, das Pferd zu sieben Lire. Die Bahn sei bequemer, aber wir sollten bedenken: 75 Franken für drei Personen!

»Wilhelmine,« sagte mein Karl, »ich wäre für das Bequeme, aber wenn du wüßtest, wie viel Überfracht unsere Koffer gekostet haben ...«

»Karl, rede nicht von den Koffern, sie waren eine Torheit. Mein Kleid ist total hin, und wer trägt hier weiße Anzüge? Kein Mensch, denn auf den Straßen brät man, und in den Häusern, Kirchen und Museen ist es eiskellerhaft kühl, da muß man sich ja etwas holen, wenn man keine Wolle an hat. Und warum behalten die Italiener in den Cafés und Restaurants den Hut auf? Um sich den Schädel, der draußen angewärmt wurde, drinnen nicht zu erkälten. Das helle Sommerzeug war meine Eitelkeit. Hat es unmenschliche Überfracht gekostet, so bin ich gern bereit, zu büßen und auf Bequemlichkeit zu verzichten.«

»Du bist manchmal doch recht vernünftig, Wilhelmine,« lachte mein Karl und klopfte mir zärtlich auf den Nacken, »überdies ist eine Besteigung des Vesuvs zu Pferde viel echter als mittels Drahtbahn. So eine moderne Einrichtung paßt auf den alten Berg wie der Igel auf den Lehnstuhl.«

Wir speisten bei dem biederen Sonnenwirte vorzüglich, und als uns das Fremdenbuch vorgelegt wurde, fanden wir, daß viele Leute, und darunter manch Wohlbekannte und Berühmte, sich dort schon vor uns behaglich gefühlt hatten und sich veranlaßt sahen, das Lob des jovialen Mannes, seiner aufmerksamen Familie und seiner Küche in Poesie und Prosa zu vermerken. Daß die Fliegen ebenso häufigen Tadel fanden, wie der Solewirt Anerkennung, begriff ich vollkommen. Frecher als hier und zahlreicher sind sie mir nie begegnet. Es war freilich ein Kapuzinermönch da, der die Bande von Zeit zu Zeit mit einem Busch zu verjagen suchte, wofür er ein kleines Geschenk erhielt, aber ich glaube, die Fliegen wußten recht gut, daß der Mönch über die Schließung seines Klosters ein bißchen von seinem Verstand eingebüßt hatte, denn je lustiger er hüpfte und mit dem Palmenzweige wedelte, um so zudringlicher wurden sie.

Ich schrieb uns, wie immer, in das Fremdenbuch ein: Signor Carlo Buchholzio con moglie di Berlino, Strada Landsbergia, weil die meisten Deutschen es so machen. Herr Kliebisch schrieb auch stets: Signor Klibicio con moglie di Weimersdorfio in Pommerania. Onkel Fritz nannte das albern, aber wenn man im fremden Lande ist, muß man doch Sitten und Gebräuche mitmachen. Meyerbeer schrieb sich auch Giacomo, obgleich er ein Berliner Kind war und Jacob hieß.

Von Hausierern kauften wir allerlei Korallen- und Lavaschmuck für die Kinder zu erstaunlich billigen Preisen. Wenn sie drei Lire verlangten, bekamen sie schließlich eine, so famos hatte ich schon das Handeln gelernt.

Auch in dem Gemüsegarten des Sonnenwirts fand sich, wie überall, nur spärliches Unkraut, und hier sollte mir klar werden, warum es so sorgfältig ausgerissen wird: man gibt es nämlich den Pferden und Eseln zu fressen. In einem elenden Schuppen am Ende des Gärtchens standen Pferd, Esel und Maultier beieinander, kaum vor Wind und Wetter geschützt, und in der Krippe lag frisch von den Beeten entferntes Unkraut zum Knabbern. Ich holte den armen Geschöpfen die Brotreste von unserem Mahle. Wie sie mich ansahen, als ich ihnen dieselben gab und ihren Hals streichelte! Pferd und Esel bekommen nirgends mehr Schläge in der Welt als in Italien, zumal in Neapel. Auf die blutenden geschwürigen Wunden schlagen die Treiber ohne Erbarmen mit den dicksten Knüppeln, wenn die überlasteten Tiere nicht mehr vorwärts können, daß es eine Schande ist. Und wenn das Pferd oder Maultier fällt, dann verarbeiten sie es zu Wurst. Erst in diesem Zustande haben die armen Biester Ruhe vor Hieben. –

Am folgenden Morgen besuchten wir das Aquarium der zoologischen Station. Es soll das schönste der Welt sein, weil es immer mit frischen Seetieren aus dem Mittelmeer besetzt wird. Ich verstehe nicht viel von der Zoologie, aber als ich mir so dachte, daß die Behälter doch eigentlich nur kleine Proben von dem Tierreichtum des Golfes seien, daß in seinen Tiefen ein Garten gedeiht, dessen farbige Pflanzen aus Seerosen, Neptunsfächern, Korallen und was weiß ich, bestehen, in welchem grausige Polypen, Tintenfische, Seepferde, Krebse, Seespinnen, buntschillernde Fische und seltsame andere Geschöpfe Beute suchen, während die wunderbarsten Quallen, klare, rosige, blaue, glatte, gefranste und ganz phantastisch geformte durch das Wasser treiben wie Schmetterlinge durch die Luft, kam ich mir schrecklich unwissend vor und gelobte mit, baldigst nach der Rückkehr Brehms Tierleben anzuschaffen und mit den Kindern fleißig das Berliner Aquarium zu besuchen, einerlei, ob der Schlangendoktor Hermes einen neuen Affen hat oder nicht. Wenn der Mensch eine Lücke in seiner Bildung entdeckt, ist es seine Pflicht, sie zuzustopfen. Schade ist, daß die Seerosen sich nicht außerhalb des Wassers halten, denn etwas Reizenderes zum Garnieren der Hüte läßt sich kaum denken. Namentlich die blaßgrünen mit dem bräunlichen Anflug sind sehr modern in der Farbe, und deshalb wäre es sehr wichtig, wenn die Wissenschaft so lange forschte, bis man die Seerosen gebrauchen könnte. Auch für ältere Damen würden sie ausgezeichnet passen.

Herr Dr. Schmidtlein, unter dessen Leitung das Aquarium der Station steht, war so liebenswürdig, uns auf manche Seltenheit aufmerksam zu machen. Wenn ich etwas nicht recht verstand, sagte ich: »Außerordentlich interessant.« Damit kommt man in Museen, Galerien, Aquarien usw. sehr schön durch und gilt, wenn man weiter keinen Ton redet, für ungemein gelehrt. Der Doktor führte uns vor ein Bassin, vor dem er meinen Karl und Onkel Fritz ersuchte, den Hut abzunehmen. Als dies geschehen, holte er eine Handvoll Sand aus dem Bassin und zeigte uns kleine silberschimmernde Fische darin. »Dies ist der Lanzettfisch,« erklärte er, »nach Darwin und Haeckel der Urstammvater des Menschengeschlechtes. Sie werden zugeben, meine Herren, daß man seinem Ahnherrn Ehrfurcht schuldig ist.« ? Infolgedessen machte ich einen tiefen Knix vor dem Fischlein, konnte aber doch nicht unterlassen zu fragen:

»Warum ist denn der Fisch ein Fisch geblieben und nicht auch Mensch geworden?« ? »Wahrscheinlich weil ihm der Trieb zu Höherem fehlte!« ulkte Onkel Fritz mich an. ? »Er repräsentiert die unterste Stufe des Wirbeltierreiches,« sagte Dr. Schmidtlein, »denn er besitzt nur einen sogenannten Rückenmarksstrang und kein Gehirn.« ? »Außerordentlich interessant,« sagte ich. ? »Da hätte er ja ganz gut Zollbeamter werden können,« bemerkte mein Karl, »wenigstens wäre es dann erklärlich, warum Schinken für Leinwand, Tinte für Glas und Pökelfleisch für lackierte Eisenwaren angesehen werden.« – »Geschieht denn das irgendwo in der Welt?« fragte der Doktor. – »O ja,« erwiderte mein Karl, »im Lande der Denker wird auch manchmal beizugedacht.« –

Wir verließen das belehrende Aquarium, frühstückten (ich hatte den Fleischextrakttopf immer bei mir) und fuhren am Nachmittage nach Camaldoli. Nun erst begriff ich die unaussprechliche Schönheit Neapels, als ich von dem Klostergarten einen Teil der Stadt und den Golf zu meinen Füßen sah, wie das feierliche Rom vom Janiculusberg. Hier jauchzt die Natur; sie atmet und glüht wie ein jugendfrisches Weib im fröhlichen Tanz am Arm des Geliebten. Meilenweit schweift der Blick über das Meer mit seinen Inseln, über den Fruchtgarten mit den zahlreichen Ortschaften, den man das glückliche Campania nennt, und in der Feme erhebt sich der Vesuv mit der dunstigen Rauchsäule, die sich mitunter wie eine schmale Wolke weit über das Land zieht. An der anderen Seite sieht man Pozzuoli mit der Solfatara, die auch dampft und als ein Junges vom Vesuv gelten kann. Dort liegt auch Cumae mit der Grotte der Sibylle, welche die älteste Wahrsagerin mit vielfachem Eintreffen war, die Hundsgrotte und Bajä, der Lustort der alten Römer, mit seinen Trümmern, wo jetzt die Bettelei größer ist als einst die wahnsinnige Verschwendung. Der Posilipp trennt dieses Stück Armut und Schwefelboden von Neapel. Auf dem Posilipp wachsen unsagbare Mengen von Wein, den die Franzosen holen, um Bordeaux daraus zu machen. Wir mochten ihn nicht, denn wir sind nicht wie die Bergfeldten, die nur dann die Butter gut findet, wenn sie nach dem Faß schmeckt, und dankten für den Wein, der sich gratulieren könnte, wenn er seinen Geschmack nur vom Faß hätte. Multrig ist noch zu anständig dafür.

Über die Armut, die Trümmer und die in dem feuerunterwühlten Boden schlummernden Gefahren macht sich der Neapolitaner jedoch keine Gedanken, da er sich an diese Beigaben zu dem Stück auf die Erde gefallenen Himmels eben so gewöhnt hat wie an den schlechten Posilippwein. Ihm gilt nur das lachende Heute, was scheren ihn graue Vergangenheit und ungewisse Zukunft?

Einer der Mönche brachte uns Erfrischungen, goldigen Wein, Orangen und Mispeln. Ich ließ ihn von Onkel Fritz fragen, ob nicht hier oben in all der Herrlichkeit das Glück wohne? Der Alte schüttelte wehmütig sein graues Haupt. »Das Glück hat keine Stätte,« gab er zur Antwort, »wir sind nur glücklich, so lange wir es suchen.« ? Von der Klosterkirche ertönte ein silberhelles Glöcklein. Der Mönch grüßte uns freundlich und schritt auf einem rebenbeschatteten Seitenwege langsam dem Kloster zu, indem er die Kügelchen seines Rosenkranzes durch die welken Hände gleiten ließ. ? Wir blieben noch und sahen, ohne viel zu reden, in die Ferne, auf das Meer, auf die Stadt und die blühenden Gebüsche an den Abhängen. Es war so träumerisch, so still wie eine Mondnacht am Tage. Nur ungerne trennten wir uns von diesem Orte friedlicher Rast, denn unser Hotel lag in dem tobenden, heulenden Neapel, und dort mußten wir hin, da die Schatten bereits abendlich länger wurden.

Je mehr wir uns Neapel auf dem Rückwege näherten, um so deutlicher vernahmen wir den gewohnten Lärm der Stadt, bis wir, aus Ruhe und Frieden kommend, uns wieder mitten in dem lauten Leben befanden. – Wir hatten noch Zeit, den Platz zu besuchen, auf dem Carl von Anjou Conradin, den letzten Hohenstaufen, enthaupten ließ. Und Deutschland mußte ohne Murren diesen Faustschlag ins Gesicht von dem Franzosen hinnehmen, weil es erbärmlich schwach und uneins war. Mein Karl ward sehr ernst, als wir vor dem Brunnen standen, der auf der Stelle sprudelt, wo damals das Schaffot errichtet war, von dem der jugendliche Kaisersproß tränenerstickt rief: »O, meine Mutter, welches Leid bereite ich dir!« – »Das Blut, welches hier vergossen wurde, wäscht kein Wasser der Erde hinweg!« sagte mein Karl bewegt, »wenn die Schmach auch gesühnt ist. Niemand darf fürder wagen, Deutschland ungestraft zu kränken. – Gott segne dich, mein Hohenzollernhaus!«

Es scheint, als wenn dieser Platz, auf dem auch Masaniello loswiegelte, etwas Verrufenes an sich hat. In denselben münden viele enge und schmutzige Gassen, in denen Mord und Totschlag, Diebsgesindel und Verbrecher wohnen, die ihr Geschäft gründlichst verstehen. Mir wurde erzählt, daß einst, als Zigeuner in der Nähe Neapels Halt machten, ihnen von Neapolitanern ein Pferd gestohlen worden sei. Das war ihnen noch nie passiert, weil die Zigeuner doch seit undenklicher Zeit ein Patent auf das Stehlen haben. Der Hauptmann der Bande ist denn auch tiefsinnig darüber geworden und nie wieder so recht zu sich gekommen. Man kann denken, wie wenig behaglich wir uns fühlten, aber ein Carabiniere gesellte sich zum Schutze zu uns, da es bereits dämmerte, und brachte uns unangefallen bis zum Hotel. Beim Pranzo aß ich Tintenfisch, ohne daß ich es ahnte. Erst nach Tisch sagte Onkel Fritz mir, was die gebackenen Ringelchen gewesen seien. Da gleichzeitig eine Engländerin auf dem verstimmten Flügel im Damenzimmer ein sich ihr widersetzendes Stück zu spielen versuchte, daß es einen Hund jammern konnte, zog ich mich schleunigst zurück und gedachte mitfühlend der Kliebisch. – Ganz so krank wie diese wurde ich jedoch nicht. Die Naturen sind ja auch verschieden. –

Länger als bis fünf Uhr schläft Neapel nicht. Dann erwacht es allmählich. Einzelne Schreier fangen an, ihnen folgen mehrere, und um sieben Uhr früh ist das Gerase von gestern wieder im Gange, um bis nach Mitternacht anzuhalten. Am Tage und am Abend sind die Neapolitaner auf der Straße, die Häuser dienen ihnen nur als Schlafstellen. –

Wir mußten rechtzeitig aufstehen, um gegen sieben Uhr in Torre Annunciata bei den Vesuvführern zu sein. Heute wollten wir den alten Schornstein der Unterwelt besteigen.

Ich glaube, man kann sich an alles gewöhnen, an das Meer, an den Wald, an das Hochland, an die Ebene, aber gegen einen Berg, aus dem bei Tage Rauch aufsteigt und bei Nacht Flammen herausschlagen, wird man nie gleichgültig werden. Wer weiß auch, was das Ungetüm vor hat, ob es zivilisiert sein oder im nächsten Augenblick Fluren und Ortschaften verwüsten, Menschen und Tiere vernichten will? Feuer ist immer eine gefährliche Sache, wenn man es nicht in der Gewalt hat.

Wenn bei Tage die Ferne dem Vesuv einen blauen Duftmantel umhängt, wenn ihn am Abend die untergehende Sonne orangegelb färbt und die Dämmerung seine Schluchten mit tiefem Violett anfüllt, dann macht er sich wunderschön mit der Rauchsäule auf dem Gipfel, die bald steil in die Höhe steigt, bald seitwärts vom Winde weggetrieben wird, als wäre er eine harmlose Räucherkerze der Natur.

Aber wenn es dunkelt! – Dann erglüht der Qualm von der zeitweilig im Krater aufsteigenden Lava wie Lohe, und alle fünf bis zehn Minuten zeigt sich oben auf dem Berge eine unheimliche Glut. In ganz finsterer Nacht, wenn selbst die Umrisse des Gebirges nicht mehr zu erkennen sind, glimmt hoch in der Luft ein Feuerschein auf. Er nimmt an Größe und Helligkeit zu, erblaßt allmählich und erlischt dann gänzlich. Nach kurzer Pause wiederholt sich dieselbe Erscheinung, etwas schwächer oder etwas stärker, aber stets gleich gespensterhaft beunruhigend. Man sucht den Berg mit den Augen, wo er nur habhaft zu werden ist, von der Ankunft in Neapel bis zum letzten Blick auf den Golf und seine paradiesischen Ufer. Es ist, als wenn er einen verhexte: man muß hinauf.

Die Bahn nach Torre geht am Ufer entlang; man hat ihr einen Weg durch einen erstarrten Lavastrom hauen müssen, der vom Vesuv herunter in das Meer floß, daß es hoch aufkochte und vierhundert Menschen tötete. Dagegen hilft kein Regenschirm, und auch von Staats wegen stehen sie machtlos da.

Die Neapolitaner sagen: Neapel begeht die Sünden, aber Torre muß sie bezahlen. Und so ist es auch, denn Torre bei Greco, Torre dell' Annunciata, Portici und Resina haben am meisten von den Ausbrüchen zu leiden. Es muß aber auch schaudervoll sein, wenn man vor Asche in der Luft nicht die Hand vor Augen sehen und den Weg nicht finden kann, während glühende Lava die Ortschaften erreicht und alles in Flammen setzt, was brennbar ist, und die Häuser wackeln und umfallen.

»Na,« sagte ich, »wenn er nur so lange ruhig bleibt, als wir oben sind, dann geht es noch!«

In dem Führerbureau trafen wir Gesellschaft. Natürlich Leute aus Berlin, die auch hinauf wollten. Wir wurden gleich miteinander bekannt. Der eine Herr war Professor Paulsen, der berühmte Maler, und der andere Dr. Julius Stinde. Der kannte mich nun, und ich kannte ihn dem Namen nach, weil wir ja beide zuweilen für Schorers Familienblatt schriftstellern, das auch in Neapel zu haben ist. Da lebt man nun in ein und derselben Stadt und sieht sich erst persönlich am Fuße des Vesuvs. Berlin ist eben zu sehr Weltstadt.

Ich sagte gleich zu ihm: »Herr Doktor, nun müssen Sie mich belehren, denn ich werde ein Buch über Italien schreiben und wenn ich da hinein einen Schuß Wissenschaft geben könnte, würde das von stupender Nützlichkeit sein. Sie glauben gar nicht, wie die Wissenschaft jetzt in Mode ist.«

Der Doktor bedauerte, daß er seine Bücher nicht bei sich habe und somit außerstande sei, meinen Wünschen zu entsprechen, aber ich ließ nicht locker und fragte, ob er gern Gänsebraten äße? Als er dies mit einem appetitlichen Lächeln bejaht hatte, sagte ich: »Nächsten Herbst lade ich Sie zu einem Gänsebraten ein, wie die Buchholzen ihn macht. Sie kommen doch?« – »Gans? ... O gewiß?« – »Schön, dann bringen Sie Ihre Bücher nur mit, das übrige findet sich beim Ausfegen.« – Es liegt ja alles daran, wie man die Menschen behandelt. Die Gans war in der Tat vorzüglich, weil Frau Buchholz den Braten, sobald er sich bräunt, mit kaltem Wasser abschreckt, wodurch die Haut eine ideale Knusprigkeit erlangt. Anm. d. Herausgebers.

Daß der Doktor nicht so unhöflich sein würde, mir einen Korb zu geben, wußte ich im voraus, denn niemals habe ich gesellschaftliche Strafpredigten von ihm gelesen, mit denen er seinen Umgang in öffentlichen Blättern wegen ungebildigter Benehmigung herunterputzt. Somit durfte ich einige Kultur bei ihm voraussetzen. –

Nachdem bei geschäftliche Teil im Bureau erledigt war, wurden wir in eine abgelegene Seitenstraße geführt, wo die Pferde unserer warteten. Hätte man uns die Tiere vorher gezeigt, so würden wir verzichtet haben, denn es waren richtige Unkrautmähren, die den Eindruck machten, als wenn sie Hafer nicht fressen würden, weil sie ihn nie kennen gelernt hatten.

Für mich war ein Schimmel mit Damenreitzeug reserviert. Aufrichtig gesagt, seitdem ich als Kind bei Griebenows mitunter für'n Sechser Esel ritt, war ich nie wieder in den Sattel gekommen und hätte deshalb gerne die Tour aufgegeben; aber größer als meine Beklommenheit war die Furcht, der Doktor könne mich in die Zeitung bringen und die Bergfeldten von meiner Zaghaftigkeit erfahren. Lieber das Genick brechen!

Ich kam jedoch besser in den Sattel, als ich dachte, aber als ich glücklich saß, stellte sich heraus, daß das Roß nicht so wollte wie ich. Statt rechts, ging es links und statt vorwärts rückwärts, als wenn ihm die Vorderbeine hinten eingesetzt wären, bis es mich zum Ergötzen des Publikums gegen eine Gartenmauer drückte, was um so unangenehmer war, als ich kein richtiges Reitkleid anhatte.

»Bedenke doch, daß der Gaul nicht dein Karl ist!« rief Onkel Fritz mir zu, »und lasse ihm mehr Freiheit.« Meine Lage war leider zu unbehilflich, als daß ich ihm geeignet mit Verachtung antworten konnte.

Der Führer, ein älterer, besonnener Mann, nahm mein Roß am Zaum und leitete es, indem er mir die Zügel in den Händen lockerte und andeutete, daß ich das Pferd nicht zu straff halten dürfe. Dabei rief er: piano, piano, als sollte ich Klavier spielen lernen und nicht das Reiten. Das Tier verstand ihn aber ganz gut.

Nach zehn Minuten waren ich und das Pferd ein Herz und eine Seele; ich hätte Gastrollen bei Renz geben können. Nun machte mir die Tour erst recht Spaß. Hoch zu Roß durch die Weingärten, in denen der Lacrymae Christi wächst, an Bauernhäusern vorbei, an Oliven- und Walnußwäldchen, unter dem blauen, wolkenlosen Himmel am frühen Morgen. Das war eine Lust!

Wir bildeten eine stattliche Karawane. Voran der berittene Führer, dann wir fünf Reisende zu Pferde, mit dem Führer zu Fuß und einem Dutzend großer und kleiner Bengel, welche sich für Pferdetreiber ausgaben und unser bißchen Lebensmittelgepäck trugen, jeder ein Stückchen.

Und fidel war die Horde! Sobald wir durch ein Dorf kamen, wurden wir von Alt und Jung mit Indianerfreudengeheul begrüßt, das unsere Lumpengarde in gleich ohrenzerreißender Güte erwiderte. Dann sausten die Stöcke auf die Pferde nieder, daß sie erschreckt einen Satz machten, und im Trab durch den Ort trotteten. Mir war, als sollten die Sätze meines Harttrabers mir das Herz abstoßen, aber soviel ich mich auch verwahrte, sobald wir ein Dörflein passierten, mußten die Rosinanten ihre Lauffähigkeit zeigen. Nach einer halben Stunde fühlte ich bereits sehr, daß ich im Sattel saß.

Wir kamen durch einen Ort, der Bosco tre Case heißt, weil die Lava ihn bis auf drei Häuser gänzlich zerstörte. Dort hielten wir, labten uns an dem herrlichen Vesuvwein, von dem wir etliche Flaschen erstanden, um oben bei dem Krater ein Wort mit ihnen zu reden.

Nach und nach wurden die Weingärten kümmerlicher, und dann breiteten sich die braunen, leeren Lavafelder vor uns aus, die allmählich bis zum Aschenkegel ansteigen, der immer größer, immer steiler erscheint, je näher man ihm kommt.

Endlich erstirbt jegliche Vegetation; kein Strauch, keine Pflanze, kaum ein Grashalm sprießt auf dem Lavaboden, kein Vogel besucht diese Öde. Wir sind auf einer Brandstätte, ohne Leben und Regung. Man könnte beinahe glauben, sämtlicher Kaffeesatz der Welt wäre hier auf einen Haufen gekarrt, so bräunlich und krümelig sieht die verwitternde Lava aus.

Wären nur die entsetzlichen Treiber nicht. Wenn das Pferd, mühevoll steigend, langsamer geht, schlagen sie es heimtückisch mit dem Stock und schreien mit entsetzlicher Stimme: »Hrrah, Makkaro, hrrah!« als kriegten wahnsinnig gewordene Esel ihre Zufälle. Dann macht das geängstete Tier einen Satz, und die Buchholzen fliegt in die Höhe und wieder auf ihren Sitz zurück, daß ihr die Rippen knacken und ihr der Atem ausbleibt. Die Bengel aber hängen sich zu zweit und zu dritt an den Schwanz des Pferdes und lassen sich eine Strecke ziehen, bis es wieder zu kriechen anfängt. Und so ohne Aufhören immer zu. Mir lief schließlich die Galle über.

Ich bat meinen Karl um seinen Stock, und als ich den hatte, schlug ich den Rangen auf die Finger, sobald sie nur Miene machten, meinen Zelter anzurühren. Das half. Sollte das Roß sich ein wenig eilen, brauchte ich nur »hrrah, Makkaro, hrrah!« zu schreien, und vorwärts kletterte es. Die Pferde und Maultiere haben dort keine Namen wie bei uns, sondern heißen schlichtweg »Makkaro«, bis sie als »Salami« auf den Markt kommen. Für ein Geschöpf, das nur zum Quälen da ist, sind ja auch Schmeichelnamen überflüssig; es geht ihnen wie Waisenkindern, die nennt auch niemand mein Herzblatt und mein Liebling. –

Wir ritten zu, und zwar um so langsamer, je höher wir kamen. Nach etwa drei Stunden hielten wir am Fuße des Kegels und genossen die Aussicht, die gewiß noch herrlicher gewesen wäre, wenn man ein wenig sanfter auf den Pferden gesessen hätte, denn ebenso wie zu enge Schuhe den schönsten Tanzball verderben, schmälern zerrüttete Gliedmaßen den kostbarsten Naturgenuß, wenn auch in diesem Falle dem Gesichte ja keinerlei Schaden zugefügt worden war. Aber ist der menschliche Organismus nur allein Antlitz? – Ich fragte den Doktor, wie er sich befände. – Er meinte: vorzüglich. – Ich bin aber fest überzeugt, daß er ebenso froh war, von dem Makkaro herunter zu kommen, wie ich.

Doch die eigentlichen Beschwerden kamen noch erst. Die Pferdearbeit war zu Ende, denn der Kegel ist eine gehörige Ecke bis oben hinauf und so steil, daß der Mensch ihn eigenfüßig besorgen muß, wenn er den Qualm in der Nähe betrachten will, der in dichten Wolken von graubrauner Farbe unaufhörlich aus dem Krater wirbelt. Der Kegel selbst ist ein Haufen von Bimssteinstückchen, in den der Fuß mit jedem Tritt einsinkt. Drei Schritte hinauf und zwei Schritte zurück, anders kommt man nicht vorwärts.

Noch schlimmer als Asche und Geröll sind die Wegelagerer, die sich anbieten, den Fremden für teures Geld hinaufzuziehen oder auf Tragsesseln hinaufzutragen. Dreißig Lire für einen Sessel konnte ich jedoch wegen der Kofferüberfrachten nicht bewilligen, und einen Mann zum Ziehen mochte ich nicht nehmen, weil er zu fürchterlich roch, als er mir nahe kam. Wir also hinein in den Bimsstein.

Je höher wir hinaufkeuchten, um so heißer wurde die Angelegenheit. Von oben brannte die Sonne, von unten heizte der Berg, dazu das mühsame Gewate in dem Geröll ohne Halt.

Ich äußerte diese Meinung dem Doktor gegenüber und fragte ihn, ob sein Forschungstrieb nicht so groß sei, daß er Lust hätte, sich einmal an einer eisernen Kette in den Krater hinabzulassen, worauf er ganz trocken mit »Nein« antwortete. Müßte es jedoch sein, dann nur in meiner Begleitung.

»Doktor!« rief ich entsetzt, »wie können Sie verlangen, daß ich in dem Glutkessel lebendig verbrennen soll?«

»Nun,« entgegnete er, furchtbar harmlos aussehend, »ich dachte, Sie hätten ein so großes Interesse an der Wissenschaft, daß es Ihnen auf ein paar Quadratfuß Brandblasen nicht ankommen würde!« –

»Wo denken Sie hin?« erwiderte ich, »die Wissenschaft ist doch hauptsächlich dazu da, um uns Damen zu unterhalten und uns den Erdball einigermaßen interessant zu machen!« –

Der Doktor wurde noch harmloser aussehend und sagte dann nach einer Pause: »Sie haben recht, man kann die Wissenschaft fast kaum mehr vom Amüsement unterscheiden, aber deshalb ist es doch nicht nötig, daß die Gelehrten ihr Leben ebenso unnütz aufs Spiel setzen wie ihren Ruf.« –

Ich muß bekennen, daß ich nicht recht verstand, was der Doktor damit sagen wollte, ich vermute aber mit Bestimmtheit, es war eine Bosheit. Ich bin nie boshaft. Anm. d. Herausgebers.

In der sengerigen Umgebung sah ich mich jedoch zu einem Disput nicht veranlaßt; wo Vulkane das Wort führen, muß der Mensch schweigen. Außerdem rumorte der Berg in höchst ungemütlicher Weise, aber da er sozusagen ein Neapler Kind ist, kann man ein ruhiges, gesittetes Betragen wohl nicht gut von ihm verlangen. Der Doktor hatte noch die Güte, mir zu erzählen, daß bei dem Ausbruche des Vesuvs am 26. April 1872 der Kegel sich plötzlich an der Seite gespalten und eine Anzahl von Besuchern, welche dem Schauspiel in der Nähe zusehen wollten, mit Lava zu Tode verbrannt habe, wodurch mein ohnehin schwankendes Sicherheitsgefühl bedenklich sank. Die hoch aus der Luft herabfallenden Steinchen, von denen einige auch uns trafen, der heiße Boden und der Schwefeldunst verjagten uns bald, doch ehe wir gingen, rief ich: »Meine Herrschaften, bitte noch einen Augenblick. Sehen Sie hier diese Skatkarten, denen ich geschworen habe, sie dahin zu senden, wohin sie gehören ... in die Hölle!« Bei dem Wort »Hölle« schleuderte ich das Onkel Fritz heimlich ausgeführte Kartenspiel in den schmauchenden Abgrund. – Onkel Fritz rief entrüstet: »Wilhelmine, du bist – –,« aber weiter kam er nicht, denn in demselben Moment krachte es im Innern des Kraters so unerhört heftig, daß der Boden unter unseren Füßen erzitterte und uns ein Hagel von ziemlichen Brocken überschüttete. Ich gab nicht schlecht Fersengeld und machte, daß ich herunter kam, denn ich glaubte, der Berg wollte sich wieder einmal spalten und mich in die glühende Lava kriegen. Mir schlotterten die Knie noch lange Zeit nachher. Wohin der Vesuv die vier Wenzel gespien hat, das wird auch wohl, wie der Vulkanismus, ein ewiges Rätsel bleiben.

Die Rücktour in den zerfetzten Schuhen mit mürbe gesengten Sohlen durch die scharfkantige Asche war eine Pönitenz, aber doch gewissermaßen eine Annehmlichkeit gegen den darauf folgenden Ritt auf der Mähre, die sich eher zum Kontorbock als zum Reitpferd eignete. Bei jedem Stoß bereute ich die Koffer, denn so mürbe wie das Makkaro hätte mich die Seilbahn sicherlich nicht gearbeitet.

Erst als wir in Neapel im Restaurant al Vermouth di Torino an dem gedeckten Tisch saßen und der Malersmann Paulsen uns aus einer mindestens fünf Liter haltenden Flasche mit Chianti versorgte, überkam uns das Bewußtsein der Menschlichkeit. Mein Karl speiste eine gebratene, auf einer Unterlage von Risotto servierte Wachtel. Ich fragte: »Wie schmeckt sie?« Er antwortete: »Die kann der ärmste Mensch essen.« – Da ließ ich mir auch eine geben.

Weil der Professor und der Doktor beabsichtigten, am anderen Morgen nach Capri zu segeln, und mir daran lag, den letzteren für die Herausgabe meines Buches zu gewinnen, sagte ich, daß wir denselben Plan hätten. Hierauf sprachen wir viel über Wissenschaft und Kunst. Als ich den Professor Paulsen fragte, warum man jetzt keine Madonnen mehr malen könnte wie die alten Meister, strich er den Bart und sagte, er hätte es nur noch nicht versucht. Dann fragte ich ihn leise, ob er mich wohl heimlich malen würde, damit ich meinen Mann zum Geburtstage mit meinem Porträt überraschen könnte, aber gerade so reizend wie ein Bild, das ich von ihm auf der Ausstellung gesehen und worüber man allgemein begeistert war. Als er dies bejaht hatte, beredeten wir das nähere für später, und auch im Preise ließ er sich human finden. –

Natürlich störte Onkel Fritz die Unterhaltung, denn er war in einen Laden gegangen und hatte ein neues Spiel Karten gekauft.

Ich brach daher mit meinem Manne rechtzeitig auf. Mit wurde der Gang nach dem Hotel mit den geräderten Gliedmaßen sehr sauer, denn jetzt, nachdem ich eine Zeitlang in Ruhe gesessen hatte, spürte ich erst recht die Wirkung von dem Ritt. Es zog mir bis oben in die Schulterblätter. »Karl,« stöhnte ich, »wenn du doch ein wenig Franzbranntwein zum Einreiben besorgen könntest.« – »Weißt du denn, wie der auf italienisch heißt?« – »Schlage doch im Taschenlexikon nach.« –

So emsig mein Karl auch suchte, Franzbranntwein stand nicht darin. Er wußte allerdings manche Vokabel, wie: il moccatojo, die Lichtputze; il pozzo, der Ziehbrunnen; la nuora, die Schwiegertochter, und viele andere Worte aus seinem Lernbuche, aber Franzbranntwein hatte er noch nicht gehabt.

»Ich bezweifle, daß ich mich morgen rühren kann, wenn nichts geschieht,« klagte ich. – »Weißt du was? Nimm Kognak, der ist ja auch Branntwein.« – »Karl, du bist doch praktischer, als du aussiehst. Lange mir die Flasche nur her! Kliebisch hat sie ja frisch füllen lassen.«

Ich will nicht sagen, eine wie grausame Nacht ich verbrachte, denn statt Kognak hatte Kliebisch einen süßen Likör gekauft, von dem ich ganz zuckerig ward. »Kliebisch ist ein Esel,« schalt ich. »Morgen in aller Frühe nehme ich ein warmes Bad. Ich mag Neapel nicht mehr sehen.« Gar oft neckte mein Karl mich später, indem er sagte: »So süß, wie in Italien sei ich noch nie gewesen.« – –

Auf dem Dampfschiffe trafen wir die Reisegefährten vom Vesuv, und als die Räder sich in Bewegung setzten, die Stadt mit ihrer Umgebung sich allmählich wie ein Riesengemälde ausdehnte, das immer duftiger wurde, je weiter wir uns von der Küste entfernten, vergaß ich die ausgestandenen Mühseligkeiten und den gehabten Ärger in dem unsagbar herrlichen Anblicke dieses Panoramas, das man ohne Gucklöcher in natürlichem Zustande vor sich hat. Als nun gar der Doktor mir auf energisches Zureden versprach, sich an meinem Buche über Italien zu beteiligen, war ich überglücklich.

Das Dampfboot war voller Menschen, und eine Musikbande spielte und sang an Bord die lustigsten Weisen. Man kann sich kaum vorstellen, was eine Violine, eine Gitarre und eine Mandoline und drei neapolitanische Kehlen hergeben. Nun, die sind ja von klein auf an Lärmmachen gewöhnt. Um Mittag landeten wir bei Capri. Boote fuhren dem Schiffe entgegen, und in denselben standen barfüßige Jungen, welche taktmäßig in die Hände klatschten und dazu sangen: Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus. –

Ja, was war denn das? Ein deutsches Lied zum Willkommen auf dem Felsen im Golf von Neapel? Süßer Heimatsklang, so unerwartet; wie unvergeßlich hast du unser Herz getroffen, – Es regnete natürlich Kupfermünzen. Fiel eine derselben vorbei, dann sprang einer von den Knaben kopfüber in das Meer und haschte sie tauchend mit dem Munde.

Und so wie der erste Gruß erwies sich nachher ganz Capri. Die geselligen, genügsamen Capresen, unter denen es keinen Dieb gibt, lieben deutsche Art. Sie fingen deutsche Lieder, sogar die Wacht am Rhein, und sind zutraulich gegen den Tedesco und Prussiano.

Die Engländer pflegen sie dagegen Bottojoni, das heißt Knopfmacher, zu nennen und erachten sie nur des Anbettelns würdig.

Gegen vierzehn Tage blieben wir auf diesem Eiland, das, wenn es auch nicht das Paradies ist, wenigstens dicht dabei liegt. Wir fuhren zuweilen im Boot um die Insel, schlüpften in die blaue Grotte, wo der Himmel unter uns, die Erde über uns schwebt, saßen auf den Klippen, an denen die Brandung haushoch aufschäumte, wenn der Sirocco von Afrika herüberblies, wanden Sträuße aus wilden Hyazinthen, weißen Ziströschen, roten Schwertlilien, Myrten und Lorbeer und hörten am Abend, wenn der Mond eine lange Silbergasse über das Meer zog, die Nachtigall in den Orangenhainen schlagen, deren würziger Hauch die Luft durchflutete.

Auch den Eremiten auf den Ruinen des Tiberiuspalastes besuchten wir und nahmen die Kaktusfeigen, welche seine fidele alte Köchin geschickt aus der Stachelhülle schälte, gerne an und warfen unter ihrer Anleitung Steine von der Höhe in die weißköpfigen Wogen da unten. Wer aber nicht weit genug ausholte, der traf nicht das Meer, sondern die Felsen oder die Fächerpalmen, welche an den Uferabhängen wachsen. Während wir lustig wie die Kinder waren und laut jubelten, wenn einer von uns einen ebenso geschickten Stein warf wie das alte vergnügte Fell von Einsiedlerköchin, sahen die grünen Eidechsen mit ihren klugen Augen uns zu. Ich glaube, es gibt auf Capri keinen einzigen Stein, auf dem sich um Mittag nicht eine Eidechse sonnt. Die kleinen Geschöpfe sind wirklich zu lieb.

Mit dem Eremiten hat Viktor Scheffel manche Flasche Capriwein vertilgt, als er seinen Trompeter von Säkkingen hier dichtete. Mein Karl fand den Einsiedlerwein jedoch zu sehr geschwefelt.

»Wenn wir jetzt eine Maß Hofbräu von Danziger in der Leipziger Straße hätten,« sagte er, »dann wäre der Timberio der schönste Punkt der Erde.« – »Und was meinst du, wenn die liebenswürdige Frau Danziger dir ein Beefsteak à la Nelson dazu vorsetzte?« – »Wir wollen das Wohl der beiden trinken,« schlug Onkel Fritz vor, »vielleicht klingen ihnen dann die Ohren, und sie gedenken unser, wie wir der frohen Stunden, die uns schon durch sie zuteil wurden.« Das taten wir, und der Eremit stieß mit an.

Wegen mangelnder Geübtheit im Italienischen kam eine eingehende Unterhaltung mit dem würdigen Klausner leider nicht zustande. Zu gerne hätte ich gewußt, ob er niemals Lust zum Heiraten verspürte und warum er denn eigentlich sitzen blieb? Jetzt ist er wohl über die Jahre hinaus, um noch auf eine anständige Partie hoffen zu können.

Ein besseres Getränk als bei dem frommen Mann gibt es in der »Deutschen Weinwirtschaft« bei Mohl in Anacapri, einem Württemberger, der die Bella Magarita geheiratet hat, eine schöne blonde Capresin mit schwarzen Augen und dunklen Braunen und bieten Rebengärten.

Über die Bella Magarita sind schon ganze Bücher zusammengeschrieben, erzählte uns Herr Mohl. Aber alles miteinander sei falsch. Ich glaube, wenn er erfahren hätte, daß ich auch schreibe, würde er mir ein Leides angetan haben, so sehr haßt er die Schriftstellerinnen, welche ihm und seiner schönen Frau Romane andichten, die nie passiert sind. Viele von meinen Kolleginnen lügen leider ja sträflich. Ich hoffe, ich mache eine Ausnahme.

Mitunter wurde am Abend im »Hiddigeigi« Tarantella getanzt. Ein Tamburin bildete das Orchester, und die barfüßigen Tänzer und Tänzerinnen wurden nicht müde, sich ganz der Lust hinzugeben. Für höhere Töchterpensionate halte ich die Tarantella jedoch nicht geeignet, wenn sie echt getanzt wird, aber die Capresen denken sich weiter nichts dabei, weil sie eben nicht eine so feine Erziehung erhalten wie unsere Kinder, die genau zwischen Anständig und Unanständig unterscheiden lernen, damit sie zur rechten Zeit einen unwilligen Mund machen können, wenn mal etwas Natürliches passiert, um zu zeigen, daß sie sehr wohl wissen, was sich schickt und was nicht. Wie das Volk auf Capri so arm und doch so froh ist, so unausgesetzt mit Fremden in Berührung kommt, doch noch nicht verdorben wird, das ist ein wahres Wunder.

Wo blieben die Tage auf dem verzauberten Felsen, den das blaue Meer umwogt, den die Natur so lieb hat, daß sie selbst das rauhe Gestein mit Blumen schmückt? Wo bleiben die Träume beim Erwachen? –

Auf einer Barke segelten wir nach Amalfi, das die Engländer »Emmelfei« nennen. Sarazenen haben diese Stadt zum Teil erbaut. In dem Albergo della Luna kehrten wir ein; dasselbe war einst ein maurisches Kloster. Man zeigte uns in dem Fremdenbuch die Stelle, an die Bismarck seinen Namen geschrieben hatte, als er die Stadt in der Felsschlucht besuchte, aber irgendein Reisender hatte den Namen ausgeschnitten. Das Loch in dem Papier aber gilt noch heute in Amalfi als ein Gegenstand der Ehrfurcht.

Onkel Fritz sagte, daß die Kaufleute in Italien, mit denen er in Berührung gekommen sei, nur bewundernd von dem Manne sprächen, um den sie Deutschland beneideten. Das habe ihn oft stolz gemacht. Der Mensch soll freilich nicht stolz sein, aber mitunter hat er doch sogar die Verpflichtung dazu. – Wir haben den ganzen Bismarck und nicht bloß das Blatt, wo er einmal seinen Namen hingeschrieben hatte, den großen herrlichen Mann!

Fritz meinte, es wäre für jeden Deutschen wünschenswert, daß er einmal hinaus in die Fremde käme, um zu erfahren, was aus Deutschland geworden sei und wie burgenhaft stolz es sich von ferne ausnähme. Dann würde er es recht lieben lernen, nicht wie der Bauer seine Milchkuh und sein Speckschwein, des Vorteiles wegen, sondern wie ein Sohn seine Mutter, als unantastbares, heiliges Gut. –

»Wenn der Deutsche nur nicht zur sehr Affe wäre,« entgegnete mein Karl, »der glaubt, daß alles, was die Fremde bietet, tausendmal schöner und besser sei als die Gaben der Heimat, und dabei doch nicht die schätzenswerten Eigenarten anderer Nationalitäten nachzuahmen sucht, sondern nur die Albernheiten und Nichtswürdigkeiten derselben.«

»Wie du recht hast, Engelskarl,« rief ich. »Früher mußten wir eine Krinoline tragen, und jetzt sind wir nur noch Form. Und dabei sehen die jungen Leute die jungen Damen stets mit Blicken an, als wären sie Bildhauer, die ihre Modelle taxieren müßten!«

»Und wie viel ist Kunstform dabei!« sagte Onkel Fritz.

»Das verstehst du nicht, denn du bist ein elender Junggeselle. Wärest du ein echter Deutscher, dann hättest du mindestens schon Zweie auf dem Gymnasium.« –

So redeten wir auf der Tour von Amalfi nach Salerno, wo die Felsenstraße an dem Meere längs führt. Noch sieht man die Ruinen alter Warttürme, in denen Bewaffnete auf die Schiffe der Sarazenen lauerten, die von Sizilien herüber kamen, um zu räubern und sich in den Besitz des eroberten Landes zu setzen. Dann kam es zu ausgesuchten Kämpfen. Waren die Bewaffneten in den Türmen stark genug, kriegten die Sarazenen Senge, waren diese aber den Mannen und Reisigen über, besahen die sich ihre Keile. Nun herrschte dazumal in Italien eine scheußliche Kleinstaaterei. Eine Republik war neidisch auf die andere, und die Bewohner des einen Kleinstaates standen mit verschränkten Armen an der Grenze des anderen und warfen denen drüben schiefe Blicke zu. Die Folge davon waren natürlich Holzereien bester Sorte, und weil sie sich in Haß, Wut und Ingrimm einander nicht beistanden, sondern in den Warttürmen im Stiche ließen, nahm der biedere Sarazene ein Stück Land nach dem anderen und ließ sich häuslich nieder.

»Wie wäre es uns wohl anno Einundsiebzig gegangen,« sagte mein Karl, »wenn Deutschland noch in den Kleinstaatswindeln gelegen hätte? Wer weiß, ob wir jetzt nicht in Berlin Französisch sprechen müßten?« –

»Karl,« sagte ich, »vielleicht hätte ich mich zum Französischlernen bequemt, aber geschimpft hätte ich doch nur auf Deutsch!« –

Über Castellamare erreichten wir Neapel wieder, von dem ich mich nur schwer trennen konnte, weil es zu gelungen dort hergeht.

Man wird nicht müde, dem nie rastenden Volksgewühle zuzusehen und dem Gebrülle und Getose zuzuhören. Ich glaubte früher, in Neapel gingen die Leute ebenso bunt angezogen wie in der Oper »Die Stumme von Portici,« wo die Damen vom Chor tote und blaue und grüne Röckchen mit allerliebsten weißen Schürzen tragen und die Herren so prachtvoll frisiert und mit den wundervollsten roten Backen begabt sind, aber ich hatte mir ein falsches Bild von der Wirklichkeit gemacht und bin jetzt vollkommen davon überzeugt, daß es in Neapel Leute gibt, die niemals in ihrem Leben weder ein neues, noch ein ganzes Stück Zeug über den Leib bekommen haben. Aber was schadet das, da sich der Neapolitaner über solche Dinge keine Sorgen macht?

Er hat überhaupt in vielen Dingen ganz andere Ansichten als wir, namentlich über die Begriffe von Mein und Dein, denn am letzten Tage, den wir in Neapel verlebten, stahl man meinem Karl ein neues seidenes Taschentuch und das Zigarrenetui auf offener Straße aus der Rocktasche, worüber ich mich sehr fuchste: »Wartet nur, ihr Neapolitaner,« tief ich empört, »dafür spuckt euch der Vesuv noch einmal auf den Kopf. Habe ich für euch Gesindel die Zigarren unter Angst und Gewissensqualen über die Grenze gebracht?«

Onkel Fritz sagte, er hätte mir ja geraten, meines Mannes Rocktaschen zuzunähen. Wozu ich denn sonst da wäre? Mein Karl bedauerte nur die Zigarren; an dem Tuch und der Tasche lag ihm nicht halb so viel.

Als wir wieder nach Rom abreisten, der Golf unseren Blicken entschwand und der Monte Somma sich vor den Vesuv und all die Herrlichkeit schob, ward mir doch etwas schwer ums Herz. Onkel Fritz sang das Lied, welches er auf dem Capridampfer gehört hatte: Addio mia bella Napoli, und mein Karl sagte:

»Das hätten wir gehabt!«


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