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XVIII.

Wetter im Verhör.

Der Polizei-Kommissarius Wetter lag im süßen Mittagsschlummer, als er von einem Polizeidiener geweckt wurde und den schriftlichen Befehl des Polizei-Direktors erhielt, sich sofort, – das Wort war dreimal unterstrichen, – in die Privatwohnung des Staatsanwalts von Quedenau zu einer dringenden Vernehmung zu begeben.

Murrend und fluchend kleidete Wetter sich eiligst an. Er mußte wohl gehorchen, so unangenehm ihm dies auch war, – zu einer amtlichen Vernehmung fühlte er sich gar nicht aufgelegt. Der Mittagsschlaf hatte ihn zwar ernüchtert; aber der Kopf brannte ihm. Am liebsten hätte er sich hingelegt und den ganzen Abend verschlafen, dies aber ging nun nicht, und in sehr übler Laune trat er seinen Weg an.

Im Vorzimmer des Staatsanwalts traf Wetter den Polizei-Kommissarius Schmidt, einen alten, im Dienst ergrauten Kollegen, der seiner hohen Pflichttreue wegen beim Polizei-Direktor in einem sehr guten Ruf stand, gerade deshalb aber von seinen Kollegen vielfach angefeindet wurde.

Wetters Laune wurde durch diese Begegnung keineswegs verbessert. – »Donnerwetter, Schmidt, – was machen Sie hier?« fragte er ärgerlich. »Wenn Sie schon hier sind, bin ich wohl überflüssig.«

»Das weiß ich nicht. Ich habe Ordre bekommen, mich dem Herrn Staatsanwalt zur Disposition zu stellen, er hat mich ersucht, hier auf seine weiteren Anordnungen zu warten. Alles Uebrige geht mich nichts an.«

»Ich bin zu einer Vernehmung herbeschieden. Wissen Sie nicht, um was es sich handelt?«

»Geht mich nichts an. Dort kommt der Diener. Lassen Sie sich melden.«

Brummend that es Wetter, er wurde gleich darauf in das Arbeitszimmer des Staatsanwalts geführt und war nicht wenig erstaunt, als er bei diesem die Tochter des Präsidenten fand. – Jetzt ahnte er, welcher Ursache seine Vernehmung zuzuschreiben war; er erkannte, daß er am Morgen bei seiner Unterhaltung mit Marie Wartenberg zu weit gegangen war.

»Setzen Sie sich, Herr Wetter,« sagte der Staatsanwalt, ruhig auf einen Sessel zeigend; »wir werden wohl eine längere Besprechung haben; ehe ich sie beginne, muß ich Ihnen aber mittheilen, daß Fräulein Marie Wartenberg meine Braut, daß also der Präsident Wartenberg mein künftiger Schwiegervater ist. Dies dürfte Ihnen vielleicht bis jetzt unbekannt gewesen sein und ich halte es für meine Pflicht, Sie davon zu benachrichtigen.«

Wetter athmete bei diesen Worten freier auf, sie sagten ihm ja klar genug, daß der Staatsanwalt nicht in seiner amtlichen Eigenschaft, sondern als der Bräutigam der Tochter des Präsidenten ihn zu sich beschieden habe und daß er jedenfalls beabsichtige, seinen Schwiegervater gegen eine etwaige Denunciation zu schützen. Der Polizist fühlte sich jetzt wieder sicher, er beschloß, sich auf gar keine Unterhandlungen einzulassen; hatte er doch den Präsidenten in seiner Hand.

»Sie haben heut Morgen meiner Braut Mittheilungen gemacht, welche sehr eigenthümlicher Natur sind,« fuhr der Staatsanwalt fort, »ich ersuche Sie, jetzt das zu wiederholen, was Sie dem Fräulein Wartenberg über die Betheiligung des Präsidenten an dem Einbruch in seinem Hause gesagt haben.«

»Fällt mir gar nicht ein!« polterte Wetter grob heraus. »Falls ich es für nöthig finden sollte, gerichtliche Anzeige über das zu machen, was ich weiß, – und dies dürfte bald genug geschehen, wenn das Fräulein nicht andere Saiten, als heut Morgen, aufzieht, – dann werde ich mich jedenfalls an einen anderen Staatsanwalt, aber nicht an den Schwiegersohn des Präsidenten wenden.«

»Es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß ich die Untersuchung gegen den des Einbruchs verdächtigten Schlosser Weinert führe?«

»Das geht mich gar nichts an.«

»Sie irren sich. Die Sache berührt Sie näher, als Sie glauben. Aus den Mittheilungen, welche Sie dem Fräulein Wartenberg gemacht haben, geht hervor, daß der Schlosser Weinert ganz unschuldig an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen ist, daß Sie den wahren Schuldigen, den Präsidenten, kennen und den Beweis seiner Schuld führen können. Sie haben für Ihr Schweigen, Ihrem Geständniß gemäß, vom Präsidenten 100 Thaler erhalten, sich also bestechen lassen. Sie haben ferner von Fräulein Wartenberg unter der Drohung, Sie würden den Präsidenten aufs Zuchthaus bringen, von Neuem Geld gefordert. Dies ist Erpressung. Sie werden jetzt selbst beurtheilen können, ob diese Angelegenheit Sie persönlich berührt oder nicht.«

Wetter befand sich plötzlich in einer Verlegenheit, auf welche er nicht vorbereitet war. Daran, daß ihm von dieser Seite her eine Anklage drohen könne, hatte er nicht gedacht. Er sah sich umstrickt mit einem Netze, aus welchem er den Ausweg nicht finden konnte. Aber seine Unverschämtheit verließ ihn nicht. Er glaubte den Staatsanwalt zu durchschauen, dieser wollte ihn offenbar nur in Schrecken setzen, um ihn von einer offiziellen Denunciation des Präsidenten abzuhalten; aber dies sollte ihm nicht gelingen. Für ein so einfältiges Manöver war der Wetter zu schlau.

»Gut ausgesonnen!« sagte er höhnisch. »Darf ich vielleicht fragen, ob der Herr Staatsanwalt als solcher oder als der Schwiegersohn des Präsidenten sprechen?«

»Der Staatsanwalt spricht mit Ihnen!« erwiderte Quedenan mit unveränderter Ruhe. – »Der Schwiegersohn des Präsidenten hat bis jetzt mit dieser Angelegenheit nichts zu thun. – Ich fordere Sie nochmals auf, mir unumwunden Mittheilungen über alles, was Sie von dem Einbruch wissen, zu machen. Noch sind Sie der Zeuge, den ich vernehme. Ob es im Interesse der Staatsregierung liegen kann, die Anklage wegen Bestechlichkeit und Erpressung gegen Sie zu erheben, wird mit von Ihrer Aufrichtigkeit abhängen. – Weigern Sie sich noch ferner, die von Ihnen geforderte Zeugenaussage abzugeben, dann haben Sie Ihre sofortige Verhaftung und eine Haussuchung zu gewärtigen; der Polizei-Kommissarius Schmidt wartet zu diesem Zweck im Vorzimmer auf meine Befehle. Daß der Verhaftung und Haussuchung die Anklage auf dem Fuße folgen muß, versteht sich wohl von selbst!«

»Gut! Ich werde sprechen; aber vergessen Sie nicht, Herr Staatsanwalt, daß ich dann auch die Protokollirung meiner Aussage und die Einreichung des Protokolls zu den Akten fordere, daß damit das Zuchthaus sich für den Herrn Präsidenten öffnet, daß er der Unterschlagung, des gewaltsamen Diebstahls und der falschen Denunciation angeklagt werden wird.«

»Sie dürften sich in dieser Beziehung irren. Kein Gesetz verbietet es einem Staatsbürger, in seiner eigenen Wohnung durch das Fenster zu steigen und seinen eigenen Geldkasten herauszuheben, – ein Einbruch also liegt nicht vor, ebenso wenig eine Unterschlagung, denn Niemand ist geschädigt worden, die Kirchenbaukasse hat die dem Präsidenten anvertrauten Gelder unverkürzt zurückerhalten und darüber quittirt, von einer falschen Denunciation gegen den Schlosser Weinert kann endlich gar nicht die Rede sein, da der Präsident vor seiner Erkrankung ausdrücklich vielfach erklärt hat, Weinert sei unschuldig an dem Einbruch, und da er niemals eine Denunciation eingereicht hat.«

»Ach, ich sehe schon! Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen!« rief Wetter tief erbittert aus. –

»Es liegt etwas Wahres in Ihren Worten,« fuhr der Staatsanwalt mit unverwüstlicher Ruhe fort. »Da Sie dies einsehen, werden Sie gut thun, durch ein offenes Geständniß dafür zu sorgen, daß Sie nicht gehängt werden, das heißt, daß Ihre vorgesetzte Behörde von einer Anklage gegen Sie im Staatsinteresse Abstand nehmen könne. Zu Ihrer Beruhigung will ich Ihnen übrigens mittheilen, daß das Protokoll Ihrer Vernehmung noch heut dem Justizminister zur Entscheidung darüber, ob eine Anklage gegen den Präsidenten erhoben werden soll, mitgetheilt werden wird. – Meine erste Pflicht ist, dafür zu sorgen, daß der unschuldig Verdächtigte seiner Haft entlasten werde, meine zweite Pflicht geht dahin, eine Untersuchung, in der ich selbst als Schwiegersohn des Präsidenten Partei bin, anderen Händen zu übertragen. Sie wissen jetzt, was Sie zu erwarten haben und ich stelle Ihnen zum letzten Male die Frage: Wollen Sie freiwillig alles, was Sie über jenen Einbruch wissen, zu Protokoll erklären? Wollen Sie die Beweisstücke, die Sie nach den dem Fräulein Wartenberg gemachten Mittheilungen in Händen haben, dem Gericht übergeben? – Bedenken Sie wohl, was Sie thun; Ihre Antwort ist entscheidend.«

»Versprechen Sie mir, daß gegen mich keine Anklage erhoben werden wird, wenn ich – –«

»Ich habe kein Recht, irgend etwas zu versprechen, da Ihre Vernehmung, oder wenn diese nicht erfolgen kann, der Hafts- und Haussuchungsbefehl gegen Sie meine letzte Amtshandlung in dieser Angelegenheit sein wird; aber ich rathe Ihnen zur strengsten Aufrichtigkeit.«

Wetter fühlte, wie die Maschen des Netzes, in welchem er gefangen war, sich immer enger um ihn legten, er sah ein, daß kein Entrinnen möglich sei. Er überlegte. Wenn er offen alles mittheilte, was er wußte, dann konnte seine Aussage nur in dem Falle gegen ihn benutzt werden, wenn gegen den Präsidenten ebenfalls ein Prozeß eingeleitet wurde; er war aber überzeugt, daß dies nicht geschehen würde. Aus diesem Grunde entschloß er sich, die Wahrheit zu sagen. Während der Staatsanwalt seine Aussagen niederschrieb, gab er eine genaue Erzählung der von ihm gemachten Entdeckungen, er hob schließlich besonders hervor, daß bei seiner Unterredung mit dem Präsidenten dieser ausdrücklich von ihm gefordert habe, die Unschuld des Schlossers solle konstatirt werden, daß er aber aus Furcht vor einer Entdeckung auf diesen Wunsch nicht eingegangen sei. Durch diese letzte Erklärung hoffte Wetter wesentlich zur Niederschlagung der Untersuchung gegen den Präsidenten beizutragen.

Nachdem das Protokoll von Wetter unterschrieben worden war, entließ diesen der Staatsanwalt. Der Polizei-Kommissarius Schmidt erhielt Befehl, seinen Kollegen nach dessen Wohnung zu geleiten, von ihm die im Protokoll erwähnten Beweisstücke, die Ueberschuhe, die Stemmeisen, den Hammer und das Pechpflaster, in Empfang zu nehmen und dieselben sofort dem Polizei-Direktor zu überbringen.

»Dein edles Werk ist nun vollendet, theure Marie,« sagte Quedenau, nachdem er den Polizei-Kommissarius entlassen hatte. »Durch dieses Protokoll wird die Schuld Deines Vaters und die Unschuld Weinerts überzeugend festgestellt. Ich eile jetzt zum Polizei-Direktor. Weinert soll sofort seiner unverdienten Haft entlassen werden, dann aber fahre ich mit dem Polizei-Direktor nach St**, um noch heut dem Justizminister Vortrag über diese ganze Angelegenheit zu halten. Mag er bestimmen, was weiter geschehen soll. Hoffe, meine theure Marie; ich bin überzeugt, Du wirst die Genugthuung haben, daß Du den Unschuldigen gerettet hast, ohne Deinen Vater zu verderben.«

Er führte die Braut nach dem Hause des Vaters zurück, wo sie am Krankenbett ihren Platz wieder einnahm, während er selbst den Polizei-Direktor aufsuchte und ihm die Aussage Wetters mittheilte.


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