August Strindberg
Die Leute auf Hemsö
August Strindberg

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Viertes Kapitel

Hochzeit in Aussicht. Die Alte wird des Geldes wegen genommen

Das Heu war hereingebracht, Roggen und Weizen waren geerntet: der Sommer ging zu Ende und war gut gewesen.

»Er hat Glück, der Kerl!« sagte Gustav von Carlsson, dem man nicht ohne Grund den vergrößerten Wohlstand zuschrieb.

Die Heringszeit hatte begonnen, und alle Leute waren draußen in der Bucht, mit Ausnahme von Carlsson, der zu Hause geblieben war; die Familie des Professors zog in die Stadt, weil die Opernsaison dort ihren Anfang nahm.

Carlsson hatte sich erboten, beim Einpacken behilflich zu sein, und ging den ganzen Tag mit der Bleifeder hinterm Ohr umher, trank Bier am Küchentisch, am Büfett im Saal und auf der Bank vor der Tür. Hier erhielt er einen abgelegten Strohhut, dort ein Paar alte Touristenschuhe, eine Zigarrenspitze, Zigarren, leere Kisten und Flaschen, Angelruten und leere Fleischextraktkruken, Korke, Segelgarn und Nägel, kurz alles, was man nicht mitnehmen wollte oder als unbrauchbar betrachtete, es fielen manche Brosamen vom Tische des Reichen, und alle fühlten, daß man die Fremden vermissen würde: von Carlsson an, der seine Geliebte entbehren sollte, bis zu den Hühnern und Ferkeln, die in Zukunft keine Sonntagsspeisen aus der herrschaftlichen Küche erhalten würden. Am geringsten freilich war der Schmerz für Klara und Lotte, die, obwohl sie manch guten Schluck Kaffee bei Professors erhalten hatten, wenn sie die Milch hinaufbrachten, doch fühlten, daß ihr Lenz wieder grünen würde, sobald der Herbst ihre Nebenbuhlerinnen auf dem Felde der Liebe entfernt hatte.

Als der Dampfer am Nachmittag anlegte, um die Familie abzuholen, herrschte eine große Aufregung auf der Insel; denn noch nie zuvor hatte ein Dampfschiff dort angelegt. Carlsson leitete die Einschiffung, er kommandierte und gebrauchte sein Mundwerk, während der Dampfer sich der Brücke zu nähern suchte. Da ihm aber das Seewesen völlig fremd war, hatte er sich hier auf ein Eis gewagt, das ihn nicht tragen konnte, und gerade in dem stolzen Augenblicke, als er sich vor Ida und der Herrschaft so recht zeigen wollte, bekam er ein ganzes Bündel Taue von oben an den Kopf, so daß ihm die Mütze herabgerissen wurde und ins Wasser fiel. Er wollte gleichzeitig das Tau annehmen und die Mütze im Fallen ergreifen, machte einige komische Tanztritte und fiel unter einem Regen von Scheltworten von seiten des Kapitäns und einem schallenden Hohngelächter der Schiffsmannschaft hin, so lang wie er war. Ida wandte ihm den Rücken, ärgerlich über das ungeschickte Benehmen ihres Helden und nahe daran, aus Beschämung über ihn in Tränen auszubrechen. Mit einem kurzen Lebewohl verließ sie ihn schließlich an der Landungsbrücke, und als er ihre Hand in der seinen behalten wollte und vom nächsten Sommer sprach, und daß sie einander schreiben wollten, und wie er die Adresse machen müsse, wurde ihm die Landungsbrücke unter den Füßen fortgerissen, so daß er um ein Haar auf die Nase gefallen wäre; die nasse Mütze glitt ihm in den Nacken, und der Steuermann brüllte ihm von der Kommandobrücke zu:

»Na, wirds bald, oder willst du das Tauende ewig festhalten?«

Ein neuer Regen von Schimpfworten hagelte auf den unglücklich Liebenden herab, ehe es ihm gelang, das Tau zu lösen. Der Dampfer glitt den Sund hinab, und gleich einem Hunde, dessen Herr abreist, lief Carlsson am Strand entlang, von Stein zu Stein hüpfend und über Baumwurzeln strauchelnd, um die Landspitze zu erreichen, wo er seine Büchse unter einem Erlenbusch verborgen hatte und von wo aus er eine Abschiedssalve abfeuern wollte. Aber er mußte wirklich mit dem linken Bein zuerst aus dem Bett gekommen sein, denn gerade als der Dampfer vorüberkam und er schießen wollte, schnappte der Hahn über. Da warf er das Gewehr hin, lief am Strand entlang, winkte mit seinem blauen Taschentuch und schrie ein keuchendes Hurra, das jedoch vom Schiff nicht beantwortet wurde; keine Hand erhob sich, kein Taschentuch rührte sich. Ida war verschwunden. Aber unverzagt sprang er gleich einem Rasenden über das Steingeröll dahin, lief ins Wasser hinaus, stürzte durch das Erlengesträuch, kam an eine Hecke, fiel halb hinein, so daß er sich die Hände blutig riß, und schließlich, als das Boot gerade hinter der Landzunge verschwinden wollte, schnitt ihm eine schilfbewachsene Bucht den Weg ab. Ohne sich zu besinnen, sprang er direkt in das Wasser hinein, schwang noch einmal sein Taschentuch und stieß ein letztes verzweifeltes Hurra aus. Nun verschwand der Hintersteven des Schiffes zwischen den Tannen, die blaue Flagge mit dem Posthorn nach sich ziehend; Carlsson sah noch den Hut des Professors zum Abschied winken, und dann war alles verschwunden, bis auf den langen schwarzen Rauch, der gleich einem Trauerflor über dem Wasser lag und die Luft verdunkelte.

Carlsson watete an Land und kehrte langsamen Schrittes zu seiner Büchse zurück. Er warf ihr einen ärgerlichen Blick zu, als wolle er ihr einen Vorwurf machen, weil sie ihn im Stich gelassen; dann schüttete er Pulver ins Zündrohr, setzte ein Zündhütchen darauf und feuerte ab.

Darauf kehrte er zur Brücke zurück. Der ganze Skandal zog noch einmal an seiner Seele vorüber: wie er sich auf der Landungsbrücke lächerlich gemacht und zum Gespött der andern gedient hatte; er hörte noch einmal das Gelächter und die Schimpfworte, dachte an Idas kühlen, verlegenen Blick und Händedruck, spürte noch den Geruch des Steinkohlenrauchs und des Maschinenöls, des Bratenfetts aus der Schiffsküche und der frischen Ölfarbe.

Der Dampfer war hier in sein Reich herausgekommen und hatte Stadtbewohner mit sich geführt, die ihn verachteten, die ihn in einem Augenblick von der Leiter herabgestürzt hatten, auf der er schon ein gutes Stück emporgeklommen war, und – hier schnappte er nach Luft – er hatte ihm sein Sommerglück, seine Sommerfreude entführt. Er blickte einen Augenblick in das Wasser hinab, das die Radschaufeln des Dampfers in eine trübe Masse verwandelt hatten, auf dessen Oberfläche große Flocken des herabgefallenen Rußes lagen und wo das Öl in allen Regenbogenfarben schimmerte. Das Ungeheuer hatte während der kurzen Zeit seiner Anwesenheit Gelegenheit gefunden, allen möglichen Schmutz auszuspeien und das klare, grüne Wasser zu trüben; da schwammen Bierkorke, Zitronenschalen, Zigarrenstummel, abgebrannte Schwefelhölzchen und Papierstückchen, mit denen die kleinen Fische ihr Spiel trieben; es war, als seien alle Rinnsteine der Stadt hier herausgekommen und hätten zugleich Schimpfworte und Abfall mit sich geführt.

Einen Augenblick ward ihm ganz unheimlich zumute, er dachte daran, daß, wenn er seine Geliebte allen Ernstes gewinnen wolle, er dort hinein müsse in die Stadt zu den Gassen und Rinnsteinen, wo der hohe Tagelohn und die feinen Kleider, die Gaslaternen und die Ladenfenster, die Mädchen mit Halskrausen, Manschetten und hohen Zugstiefeln – kurz, wo alles zu finden ist, was lockt und reizt. Aber er haßte die Stadt, wo er so wenig galt, wo man über seinen Bauerndialekt lachte, wo seine grobe Hand nicht imstande war, die feine Arbeit auszuführen, und wo ihm seine Kenntnisse nur zu geringem Nutzen gereichen würden. Und doch mußte er daran denken; denn Ida hatte gesagt, daß sie niemals einen Knecht heiraten würde, und Hofbesitzer konnte er ja nicht werden.

Ja – konnte er das nicht?

Draußen im Sunde kräuselte eine kühle Brise das Wasser, die wurde stärker und stärker, setzte die Wellen in Bewegung, so daß sie anfingen gegen die Brückenpfähle zu plätschern, fegte den Ruß fort und putzte den Abendhimmel blank. Das Rauschen der Erlen, das Murmeln der Wellen und das Schaukeln des Bootes rissen ihn aus seinen Träumereien, und die Büchse über dem Nacken, schlenderte er heimwärts.

Der Weg schlängelte sich unter den Haselbüschen hin, über einen Hügel hinweg, den eine tannenbewachsene Granitklippe krönte, die er noch niemals bestiegen hatte. Von Neugierde getrieben, kletterte er zwischen Farnen und wilden Himbeerbüschen aufwärts und stand bald auf einer Granitplatte, auf der ein Seezeichen errichtet war. Die untergehende Sonne beleuchtete eine Vogelperspektive der Insel mit Wäldern, Ackern, Wiesen und Häusern, und in der Ferne, ganz weit da draußen im Meer lagen Werder und Klippen. Dies war ein großes Stück der Erde, und das Wasser, die Bäume, die Steine, alles konnte sein Eigentum werden, sobald er nur die Hand darnach ausstreckte – nur die eine – und die andere zurückzog, die nach etwas haschte, das nur seine Eitelkeit befriedigen und ihm Armut bringen würde. Hier bedurfte es keines Versuchers, der sich neben ihn stellte und ihn anflehte, vor diesem Bilde zu knien, das die Strahlen der untergehenden Sonne mit einem rosenroten Schimmer übergossen; das blaue Wasser, die grünen Wälder, die gelben Äcker und die roten Häuser vereinigten sich zu einem Regenbogen, der wohl einen schärferen Verstand als den, über den ein armer Bauernbursche verfügte, hätte berücken können.

Gereizt durch der Treulosen vorsätzliches Vergessen, das sich kundgab, indem sie ihr nur fünf Minuten altes Versprechen, ihm einen Abschiedsgruß zu senden, unerfüllt ließ; verwundet durch die Hohnreden der übermütigen Stadttölpel, die ihn gleich Peitschenhieben getroffen hatten; überwältigt von dem Anblick der fetten Erde, des fischreichen Sundes, der warmen Häuser, faßte er den Entschluß, nach Hause zu gehen und das falsche Herz – das ihn vielleicht schon längst vergessen hatte – zum letztenmal auf die Probe zu stellen; nachher wollte er dann nehmen, was er nur bekommen konnte, ohne zu stehlen.


Als er endlich nach Hause kam und das Hauptgebäude öde und leer daliegen sah, mit herabgelassenen Rollvorhängen, umgeben von Stroh und leeren Kisten und Kasten, da überwältigte ihn ein Gefühl, als habe er ein Stück Apfel in die unrechte Kehle bekommen, und nachdem er alle Sachen, die ihm die scheidenden Sommergäste hinterlassen hatten, aufgesammelt, schlich er sich so geräuschlos wie möglich auf sein Zimmer. Hier verbarg er seine Schätze unter dem Bett, setzte sich an den Schreibtisch, nahm Papier und Feder zur Hand und machte sich ans Schreiben. Die erste Seite ergoß sich in einen einzigen Wortschwall, teils eigenen Fabrikats, teils Azelius' Sagengeschichte und schwedischen Volksliedern entnommen, die er bei einem Inspektor in Wermland gelesen und die großen Eindruck auf ihn gemacht hatten.

»Teure, geliebte Freundin,« begann er, »einsam sitze ich hier auf meiner kleinen Kammer und sehne mich entsetzlich nach meiner Ida. – Mir ist es, als sei es erst gestern gewesen, daß Ida hierherkam, und doch war es, als wir das Saatenkorn säten und der Kuckuck im Haine rief, und jetzt haben wir Herbst, und die Leute sind auf den Heringsfang gegangen. Mir würde nicht so bange ums Herz sein, wenn nicht Ida abgereist wäre, ohne mir einen Abschiedsgruß vom Dampfer zuzusenden, wie das der Herr Professor in so liebenswürdiger Weise vom Hinterdeck aus tat; hier ist es heute abend so leer, seitdem Ida fort ist, und das wird doppelt fühlbar, weil der Kummer mich so schwer bedrückt. Denkt Ida noch an das Versprechen, das sie mir damals beim Heumachen gegeben? Ich weiß es noch so deutlich, als hätte ich es aufgeschrieben; aber ich bin imstande, zu halten, was ich versprochen habe, wozu nicht alle imstande sind; doch das ist auch einerlei, und ich mache mir nicht so viel daraus, wie die Menschen gegen mich sind; eines aber will ich sagen: ich liebe Ida und werde sie nie vergessen.«

Der Schmerz der Sehnsucht hatte sich nun gelegt, und die Bitterkeit gewann die Oberhand; dann wurde die Furcht vor unbekannten Nebenbuhlern rege, vor den Versuchungen des Stadtlebens und der Tanzlokale, und mit dem Bewußtsein seines eigenen Unvermögens, immer auf geraden Wegen zu wandeln, griff er in die edleren Gefühlsregionen hinab, und sofort sprudelten die Erinnerungen aus seinem Kolporteurleben hervor. Er wurde feierlich-ernst, gleich einem strafenden Rächer, durch dessen Mund ein andrer redet:

»Wenn ich daran denke, wie einsam nun Ida in der Stadt einhergeht und keine stützende Hand mehr hat, die sie gegen Gefahren schirmen kann, so fühle ich einen Stich durchs Herz, es ist mir, als habe ich ein Unrecht gegen Gott und Menschen begangen, indem ich Ida verließ: ich wollte ein Vater für Ida sein, und Ida hätte sich auf den alten Carlsson stützen können, als wäre er ihr leibhaftiger Vater.«

Bei den Worten »Vater« und »alter Carlsson« ward ihm sehr weich ums Herz, er mußte unwillkürlich an das letzte Begräbnis denken, dem er beigewohnt hatte.

»Ein Vater, der stets voller Nachsicht ist; wer weiß, wie lange der alte Carlsson (er hatte sich förmlich in diesen Ausdruck verliebt) noch hier auf Erden wandern darf; wer weiß, ob nicht seine Tage bereits gezählt sind, wie die Tropfen im Meere und die Sterne am Himmel; ehe man sichs versieht, liegt er vielleicht da wie welkes Gras, und dann ist da vielleicht eine, die sich jetzt so etwas nicht denken kann, die ihn dann aber wohl gerne wieder aus der schwarzen Erde herausgraben möchte, laßt uns deshalb hoffen und beten, daß er noch den Tag erleben mag, an dem die Blumen auf den Feldern wieder sprießen und die Turteltauben sich in unserm Lande hören lassen; denn dann ist es eine herrliche Zeit für manchen, der nun klagt und seufzt, und mit dem Psalmisten will ich singen ...«

Hier angekommen, konnte er sich jedoch nicht darauf besinnen, was der Psalmist gesungen, weswegen er in seiner Kiste nach der Bibel suchen mußte. Da waren aber mehr als hundert Psalmen, zwischen denen er wählen konnte, und weil Klara bereits zum Abendbrot rief, mußte er aufs Geratewohl hineingreifen, und so kam es denn, daß er folgende Verse niederschrieb:

»Die Wohnungen in der Wüste sind auch fett, daß sie triefen, und die Hügel umher sind lustig.

Die Anger sind voll Schafe, und die Auen stehen dick mit Korn, daß man jauchzet und singet!«

Er sah hierin eine glückliche Anspielung auf die Vorzüge des Landlebens vor dem Stadtleben.

Dann grübelte er darüber nach, was er weiter schreiben sollte; aber er war so müde und hungrig und konnte es sich auch nicht verhehlen, daß es im Grunde einerlei sei, was er auch schreiben mochte, denn Ida war doch für ihn verloren, ehe der Frühling kam.

Deshalb schloß er und unterschrieb sich: »Dein inniglich getreuer und ergebener« – worauf er in die Küche hinabging, um zu Abend zu essen. Es war dunkel geworden und fing an zu stürmen. Madame Flod kam in großer Unruhe herein und setzte sich an den Tisch, an dem Carlsson allein bei einem Talglicht saß. Die Mägde gingen schweigend und erwartungsvoll zwischen dem Feuerherd und dem Tisch hin und her.

»Carlsson soll heute abend einen Schluck haben,« sagte die Alte; »ich seh es Ihm an, daß er dessen bedarf.«

»Ach ja, es war ein gut Stück Arbeit, alle die Sachen an Bord zu schaffen,« sagte Carlsson.

»Nun denk ich, wird ein wenig mehr innere Ruhe eintreten,« meinte Madame Flod und holte das »Stundenglas«. – »Aber es ist doch schrecklich, wie es draußen stürmt, und nun ist der Wind nach Osten umgesprungen; Gott mag wissen, wie die Leute über Nacht mit den Netzen fertig werden!«

»Ja, da kann ich nichts machen,« erwiderte Carlsson in verdrießlichem Tone, »das Wetter kann ich nicht ändern. Aber in der nächsten Woche möchte ich allerdings gern gutes Wetter haben, denn da gedenke ich selber mit dem großen Boot zur Stadt zu fahren, um mit dem Fischhändler zu sprechen.«

»So – ach, will Carlsson das?«

»Ja, ich finde, wir bekommen keinen ordentlichen Preis für die Fische, und da muß natürlich irgendwo ein Fehler sein.«

Die Alte trommelte auf dem Tisch und dachte bei sich selber, daß das Geschäft in der Stadt wohl mit etwas anderm als mit den Fischen in Zusammenhang stehe.

»Hm,« sagte sie, »dann besucht Carlsson den Professor auch wohl?«

»Das tue ich wohl, wenn ich so viel Zeit habe, denn er hat einen Flaschenkorb hier vergessen.«

»Das waren prächtige Menschen. – Will Carlsson noch einen Schluck haben?«

»Ja, bitte, Mutter! – Ja, das waren gute Leute, und ich glaube schon, daß sie wieder hierherkommen, soviel ich darüber von Ida gehört habe.«

Es war für ihn eine eigenartige Wonne, diesen Namen auszusprechen, und er tat es mit wohlbedachter Berechnung. Die Alte fühlte denn auch, wie meilenweit entfernt sie von ihm war; ihre Augen brannten, ihre Wangen brannten.

»Ich glaubte, es sei aus zwischen Ihm und Ida,« flüsterte sie.

»Nein, wo wollt Ihr hin? Das ist keineswegs der Fall,« antwortete Carlsson, der sich ganz klar darüber war, daß der Fisch gebissen hatte und nun an der Angel zappelte.

»Wollt Ihr Euch denn heiraten?«

»Ja, das wird wohl nicht anders kommen, wenn es erst so weit ist; ich muß mich vorher aber erst nach einer andern Stellung umsehen.«

Durch das runzlige Gesicht der Alten ging ein Zucken, und die abgemagerte Hand bewegte sich krampfhaft wie die einer Kranken auf dem Bettuch.

»Er denkt also daran, uns zu verlassen?« stieß sie zögernd mit trockener, zitternder Stimme hervor.

»Einmal muß es doch geschehen,« antwortete Carlsson; »früher oder später will man doch auch sein eigener Herr werden, man arbeitet sich ja doch auch nicht gern umsonst für andre ab.«

Klara war mit der Mehlsuppe hereingekommen, und Carlsson überkam plötzlich die Lust, mit ihr anzubinden. »Nun, Klara, ist Ihr nicht bange, so allein im Dunkeln zu bleiben, jetzt, wo alle die Leute fort sind? Möchte Sie es wohl dulden, wenn ich Ihr ein wenig Gesellschaft leistete?«

»Ach, das ist ganz überflüssig,« erwiderte Klara.

Es trat eine augenblickliche Stille in der Küche ein. Man hörte, wie der Sturm draußen durch den Wald sauste, wie er das Laub von den Birken riß und an der Windfahne und dem Dachfirst rüttelte. Hin und wieder strich ein Windstoß durch den Schornstein und wirbelte Rauch und Feuer auf dem Herd auf, so daß Lotte die Hand vor den Mund und die Augen nehmen mußte; und zwischen den Windstößen hindurch hörte man deutlich, wie die See gegen die östliche Landzunge brauste. Plötzlich schlug der Hofhund an, und das Bellen entfernte sich dann, als sei der Hund jemandem entgegengelaufen.

»Geh Er doch einmal hin und seh Er nach, wer das sein kann,« sagte die Alte zu Carlsson, der sofort aufgestanden war.

Als er aus der Tür hinaustrat, umfing ihn vollständige Finsternis, man konnte buchstäblich nicht die Hand vor den Augen sehen. Und der Wind empfing ihn mit einem Stoß, daß ihm das Haar auf seinem Kopfe wie Borsten in die Höhe stand. Er rief den Hund, aber das Bellen erklang jetzt ganz in der Ferne und hatte ein freudiges, wiedererkennendes Gepräge.

»Kommen da Gäste um diese Zeit?« sagte er zu der Alten, die sich unter die Tür gestellt hatte; »wer kann das nur sein? Ich will doch einmal nachsehen, wer es ist. Hör einmal, Klara, zünde mir die Laterne an und gib mir meine Mütze.«

Er erhielt die Laterne und kämpfte sich gegen den Sturm nach der Gegend durch, aus der das Gebell kam. Er erreichte den Tannenhain, der die Wiese vom Strande trennte. Jetzt verstummte das Bellen, aber zwischen den sausenden und knarrenden Tannen vernahm er Fußtritte und ein Geräusch, als berührten Stiefeleisen den Felsboden; die Zweige knackten, als bahne sich jemand den Weg da hindurch; dann ward ein Plätschern in den Wasserpfützen hörbar und Flüche als Antwort auf die Liebkosungen des Hundes.

»Hallo! Wer da?« rief er.

»Der Pastor!« antwortete eine rauhe Stimme, und im selben Augenblick gewahrte Carlsson einen Sprühregen von Feuerfunken, die durch die Kollision des Eisenbeschlages des Stiefels mit einem Feuerstein erzeugt worden waren, und aus dem Gebüsch heraus tründelte ein kleiner, bepelzter, breitschultriger Mann mit grobem, verwittertem Gesicht, das von einem verwilderten grauen Backenbart eingerahmt und von einem Paar kleiner, scharfer Augen unter zwei moosähnlichen Augenbrauen belebt wurde.

»Sind das aber verteufelte Wege, die ihr hier auf der Insel habt!« lautete sein Gruß.

»Herr du meines Lebens! Ist der Herr Pastor in einem solchen Hundewetter unterwegs!« antwortete Carlsson ehrfurchtsvoll auf die Willkommensflüche des Seelsorgers. »Aber wo ist denn die Jolle?«

»Es ist keine Jolle, sondern ein großes Boot, und das hat Robert in den Hafen gebracht. Laßt uns jetzt nur vor allen Dingen unter Dach und Fach kommen. Der Wind dringt einem ja durch Mark und Bein. Beeil Er sich doch ein wenig!«

Carlsson schritt mit der Laterne voran, der Prediger kam hinterdrein, gefolgt von dem Hund, der kleine Abstecher in das Gebüsch machte, um einen Auerhahn aufzuspüren, der kurz zuvor aufgescheucht worden war und den Flug nach dem Moor zu genommen hatte.

Die Frau war vor das Haus gegangen, dem Laternenschein entgegen, und als sie den Prediger erkannte, bot sie ihm ein freudiges Willkommen.

Er hatte sich auf dem Wege zur Stadt mit Fischen befunden, aber der Sturm überraschte ihn so, daß er ans Land hatte flüchten müssen. Er schimpfte und wetterte, daß er nun nicht zur rechten Zeit zur Stadt kommen und seine Fische loswerden könne. Es handelte sich darum, in dieser Zeit so früh wie möglich auf den Markt zu gelangen, »denn alle Teufel waren auf den Beinen und jagten nach jedem lebenden Wesen, das sich im Wasser befand«.

Die Alte wollte ihn in die Stube nötigen, er aber ging direkt in die Küche und zog das Feuer vor, an dem er sich trocknen konnte. Die Wärme und das Licht schienen dem Pastor jedoch weniger gut zu bekommen; denn er schnitt Gesichter und blinzelte mit den Augen, als sei er nicht ganz wach. Dann entledigte er sich seiner Schmierstiefel, und Carlsson half ihm beim Ausziehen eines alten grünlichgrauen Mantels, der mit Schaffellen gefüttert war; bald darauf saß der Pastor in einer wollenen Unterjacke auf Socken an der Ecke des Tisches, wohin die Alte das Kaffeegeschirr gestellt hatte.

Wer Pastor Nordström nicht kannte, würde niemals auf den Gedanken gekommen sein, daß dieser völlig verbauerte Mensch ein geistliches Amt bekleidete: so sehr hatten dreißig Jahre der Seelsorge unter diesen Küstenbewohnern den früher so feinen Theologen verwandelt, der nach seiner Ordination Upsala verlassen hatte. Sein äußerst kärgliches Gehalt hatte ihn gezwungen, in Fischerei und Landwirtschaft einen Extraerwerb zu suchen, und wenn auch das nicht ausreichte, war er auf das Wohlwollen seiner Pfarrkinder angewiesen, das er durch eine den Umgebungen entsprechende Geselligkeit wachzuhalten verstand. Aber der gute Wille der Gemeindemitglieder gab sich größtenteils durch Kaffeepunsch und auf der Stelle zu verzehrende Mahlzeiten zu erkennen, wodurch der Wohlstand des Pfarrhofes nicht gehoben wurde, was aber einen ungünstigen Einfluß auf den physischen und moralischen Zustand des Pastors hatte. Und da nun außerdem die Küstenbewohner, sei es infolge der teuer erkauften Erfahrung, daß in Stunden der Not Gott nur dem hilft, der sich selber hilft, oder weil es ihnen unmöglich war, einen starken östlichen Sturm mit der Augsburger Konfession in Zusammenhang zu bringen, keinen rechten Nutzen aus der kleinen hölzernen Kapelle zogen, die sie hatten erbauen lassen, so war der Kirchgang, der noch obendrein durch die langen Ruderfahrten sehr beschränkt oder bei ungünstigem Wetter vollständig verhindert wurde, mehr zu einer Art von Volksmarkt geworden, auf dem man Bekannte traf, Geschäfte abschloß und Neuigkeiten hörte. Der Prediger war die einzige obrigkeitliche Persönlichkeit, mit der man in Berührung kam. Der Gemeindevorsteher wohnte weiter landeinwärts und wurde niemals in Streitfällen herbeigerufen. Das machte man unter sich bei einem halben Pott Branntwein ab.

Der Pastor war, wie gesagt, auf der Reise nach der Stadt begriffen, um die Fische zu verkaufen, die er selber gefangen hatte, und war nun vom Sturm verschlagen worden. Naß, durchfroren, die Büchse in einem kalbledernen Futteral, den Proviant in einer Tasche aus Seehundsfell, so war er in das Licht und die Wärme gekommen.

In dieser vom Küchenfeuer und zwei Talglichtern beleuchteten Gestalt, einer Mischung von Bauer und Seemann, war keine Spur von Latein oder Griechisch mehr zu erkennen. Die Hände, die in seinen jungen Jahren weich gewesen, waren jetzt braun und schwielig und mit gelben Leberflecken übersät, eine Wirkung der Sonne und des Salzwassers. Sie waren hart und geschwollen von der Arbeit mit Rudern und Segeln. Die Nägel waren halb vergangen und hatten schwarze Ränder infolge der unsanften Berührung mit Erde und Gerätschaften. Die Ohrläppchen der stark behaarten Ohren waren durchbohrt und mit Bleiringen versehen; aus der auf der wollenen Jacke befestigten ledernen Tasche hing eine geflochtene Haarkette mit einem Schlüssel aus gelblichem Metall und einer Berlocke aus farbigem Glas; die nassen, wollenen Strümpfe waren an der großen Zehe durchlöchert, und die ununterbrochenen Bewegungen der Füße beabsichtigten, diesen Schaden zu verbergen; die wollene Jacke war unter den Armen gelblichbraun, und die Beinkleider litten an einem traurigen Mangel an Knöpfen.

Er zog eine hölzerne Pfeife aus der Hosentasche und klopfte sie gegen die Tischkante aus, wodurch sich ein kleiner Maulwurfshaufen aus Asche und aufgeweichtem Tabak an der Erde bildete. Aber die Hand war unsicher, und so ging das Stopfen der Pfeife nicht regelmäßig vor sich; es war zu umständlich, als daß es nicht die Unruhe der Anwesenden, die den Pastor in ehrerbietigem Schweigen betrachteten, hätte erregen sollen.

»Wie geht es dem Herrn Pastor heute abend; er befindet sich wohl nicht besonders gut?« fragte Madame Flod.

Der Pastor richtete sein herabgesunkenes Haupt auf und sah mit nach der Decke gerichteten Augen um sich, als suche er die Sprecherin.

»Ich?« sagte er und stopfte den Tabak auf die Außenseite des Pfeifenkopfes. Dann schüttelte er den Kopf, als wünsche er, daß man ihn in Frieden lasse, und versank in schwermütige Gedanken, die keine bestimmte Form annahmen.

Carlsson, der den Zustand des Pastors erkannte, flüsterte der Alten zu:

»Er ist nicht nüchtern!«

Und weil er es für seine Pflicht hielt, einzuschreiten, nahm er die Kaffeekanne und schenkte die Tasse des Predigers voll, schob die Branntweinflasche hin und bat ihn mit einer Verbeugung, vorliebzunehmen.

Der Prediger erhob den grauen Kopf und warf Carlsson einen vernichtenden Blick zu, als wolle er ihn verschlingen; dann schob er mit einem Ausdruck des Abscheues die Tasse von sich, spie verächtlich aus und sagte:

»Bist du hier Herr im Hause, Bursche?«

Und sich an die Alte wendend, fuhr er fort:

»Gebt mir eine Tasse Kaffee, Madame Flod!«

Darauf versank er wieder in tiefes Schweigen, gedachte der Größe vergangener Tage und stellte Betrachtungen über die zunehmende Unverschämtheit der Leute an.

»Hinaus mit dir, du verfluchter Schlingel!« rief er dann plötzlich aus. »Willst du wohl machen, daß du hinaus kommst und Robert hilfst!«

Carlsson versuchte, den Pastor zu besänftigen, wurde aber sofort mit einem: »Du weißt wohl nicht mehr, wer du bist?« abgespeist.

Dann verschwand Carlsson durch die Tür.

Nachdem er sich durch einen Schluck Kaffee gestärkt hatte, fuhr der Prediger auf die Alte ein, die etwas zur Entschuldigung des Knechtes stammelte:

»Habt Ihr die Netze draußen?«

»Ja, bester Herr Pastor,« sagte die Frau und öffnete die Schleusen ihrer unterdrückten Beredsamkeit. »Um sechs Uhr konnte ja niemand ahnen, daß über Nacht ein Sturm losbrechen würde, und ich kenne Gustav, der geht lieber zugrunde, als daß er die Netze die Nacht hindurch draußen läßt.«

»Ach was, der schlägt sich schon durch!« tröstete der Pastor.

»Sagen Sie das nicht, Herr Pastor. Es ist schlimm genug mit den Netzen, es steckt viel Geld darin; aber wenn der Junge nur mit heiler Haut davonkommt, dann ...«

»Nun, er wird auch nicht so dumm sein und in solchem Wetter hinaussegeln, um die Netze zu bergen.«

»Das ists ja gerade, er ist zu allem fähig, das hat er von seinem Vater; er legt zuviel Wert auf irdisches Gut, und er ist imstande, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um den Verlust der Netze zu verhindern.«

»Ja, liebe Madame Flod, wenn er so ist, dann kann ihm kein Teufel helfen. – übrigens ist der Fischfang gut gewesen, wir waren neulich draußen und bekamen in sechs Zügen achtzehn Wall.«

»Nun, war denn der Hering auch fett?«

»Das will ich meinen! Fett wie Butter. Aber sagt mir doch, Madame Flod, was für ein Gerede ist es denn, das man über Euch hört. – Ihr wollt Euch jetzt wieder verheiraten, was?«

»Herr des Himmels, hab ich je so was gehört!« rief die Alte aus; »sagt man das? Ja, ist es nicht entsetzlich, was sich die Leute alles ausdenken?«

»Nun, nun, mich geht es ja nichts weiter an,« fuhr der Pastor fort; »verhält es sich aber so, wie die Leute sagen, daß es sich um den Knecht handelt, so tut es mir um des Sohnes willen leid.«

»Ach, dem tritt keiner zu nahe, und es gibt oft weit schlimmere Stiefväter.«

»Wie mir scheint, ist das Gerücht denn also doch nicht so unbegründet.«

»Will der Herr Pastor nicht noch einen Schluck haben?« unterbrach ihn die Alte, denn das Gespräch fing an, eine Wendung zu nehmen, die ihr nicht paßte.

»Ja, bitte, Madame Flod, so ein Schluck ist nicht zu verachten. Aber ich muß auch wohl zu Bette gehen; Ihr habt doch wohl eins für mich in Bereitschaft?«

Nachdem man sich dahin geeinigt hatte, daß Carlsson und Robert in der Küche schlafen sollten, wurde Lotte auf die Kammer geschickt, um das Bett für den Pastor fertig zu machen. Der gähnte, rieb den einen Fuß gegen den andern und fuhr mit der Hand über die Stirn und den kahlen Scheitel, als wolle er schwere Sorgen verscheuchen; dann sank der Kopf in kurzem, plötzlichem Nicken auf den Tisch, bis er schließlich auf dem Kinn ruhte.

Die Alte, die sich jetzt über den Zustand des Pastors klar war, ging zu ihm hin und legte ihm die Hand auf die Schulter, streichelte ihn und bat mit bewegter Stimme:

»Lieber Herr Pastor, sollen wir heute abend vor dem Zubettegehen nicht ein erbauliches Wort hören? Denken Sie an die alte Frau und an ihren Sohn, der draußen auf See ist.«

»Ein erbauliches Wort wollt Ihr hören? Dann gebt mir das Buch einmal her. Ihr wißt ja, wo es liegt, im Futtersack.«

Die Alte holte die Ledertasche und zog ein schwarzes Buch mit goldenem Kreuz heraus, das als Reiseapotheke benutzt wurde, aus der alte Frauen und Kranke ihre Dosis stärkender Tropfen zu bekommen pflegten; und feierlich, als sei ein Stück Kirche in ihre niedrige Hütte gekommen, trug sie vorsichtig das geheimnisvolle Buch wie ein warmes Brot zwischen zwei Händen, schob die Tasse, die vor dem Pastor stand, beiseite, wischte eine Stelle des Tisches sorgfältig mit der Schürze ab und legte das Heiligtum vor den schweren Kopf.

»Lieber Herr Pastor,« flüsterte sie, während der Sturm im Schornstein tobte, »hier ist das Buch.«

»Gut, gut!« antwortete der Prediger gleichsam im Schlaf, streckte die Arme aus, ohne den Kopf zu erheben, tappte nach dem Buche und stieß mit dem Finger gegen den Henkel der Tasse, so daß diese umfiel und der Branntwein sich in Strömen über den Tisch ergoß.

»Ach herrjemine!« klagte die Alte und rettete mit genauer Not das Buch, »das geht nimmer gut, der Herr Pastor ist müde und sollte lieber hinaufgehen und sich schlafen legen.«

Aber der Pastor schlief schon, die Arme auf die Tischplatte gestützt und den Mittelfinger in komischer Gebärde von sich streckend, als zeige er auf ein unsichtbares, für den Augenblick unerreichbares Ziel.

»Was in aller Welt sollen wir nur anfangen, um ihn ins Bett zu schaffen?« jammerte Frau Flod, indem sie sich an die beiden Mädchen wendete; es war ihr völlig unklar, wie sie den Schlafenden wecken sollte, denn sie wußte, wie entsetzlich heftig er war, wenn er in betrunkenem Zustande gestört wurde; in die Küche konnte sie ihn der Mädchen wegen nicht bringen, und wenn er in der Stube blieb, war es nicht viel besser, dann hatten die Leute erst recht Grund zum Reden. Die drei Mädchen umschlichen den Prediger wie die Mäuse die Katze, aber niemand wagte ihn zu stören.

Inzwischen war das Feuer auf dem Herde ausgegangen, der Wind drang durch die Fensterscheiben und die undichten Wände, und den Pastor, der in Socken dasaß, mußte wohl gefroren haben, denn ehe man sichs versah, richtete er sich auf, öffnete den Mund, gähnte und stieß einige Laute aus, die ungefähr so klangen, als wenn ein Fuchs verenden will.

»Ich glaube, ich habe geniest,« sagte der Prediger, erhob sich und tappte wie ein Blinder bis an eine Bank am Fenster, wo er niedersank, sich der Länge nach ausstreckte und mit über der Brust gefalteten Händen und einem tiefen Seufzer einschlief.

Alle Hoffnung, ihn fortzubringen, war nun vorbei; Carlsson und Robert, die inzwischen zurückgekommen waren, wagten nicht, ihn anzurühren.

»Nehmt euch in acht, er schlägt!« belehrte Robert. »Legt ihm nur ein Kissen unter den Kopf und deckt ihn warm zu, dann schläft er wie ein Dachs bis an den hellen Morgen.«

Madame Flod nahm die Mägde zu sich in die Kammer. Robert erhielt einen Platz oben über der Vorratskammer, und Carlsson ging auf sein Zimmer hinauf. Die Lichter erloschen, und in der Küche wurde alles still. Bald lag das ganze Haus in einem mehr oder weniger ruhigen Schlaf.

Am nächsten Morgen beim ersten Hahnenschrei, als Madame Flod aufstand, um die Leute zu wecken, waren der Pastor und Robert schon fort.

Der Sturm hatte sich ein wenig gelegt, kalte weiße Herbstwolken trieben landeinwärts, und der Himmel hatte eine frische, blaue Farbe. Gegen acht Uhr begann die Alte ihre Wanderung nach der östlichen Landzunge, um zu sehen, ob nicht ein Boot auf der See sichtbar würde. Draußen im Fahrwasser, zwischen den Klippen und kleinen Inseln tauchten hin und wieder ein paar gereffte Segel auf, die verschwanden und dann nach einer Weile wieder zum Vorschein kamen. Die stahlblauen Wellen brachen sich noch an den Klippen, und die äußersten verschwammen derartig, daß es aussah, als hingen sie auf luftfarbigen Stücken Zeug, als seien sie von dem Wasser in die Höhe geworfen und verdufteten jetzt gleich in den Nebeln der Nacht. Die jungen Wildenten lagen im Schutz der Bucht und hinter der Landzunge und ließen sich von der Brandung wiegen. Wenn sie den schwerfälligen Flug des Seeadlers auf sich gerichtet sahen, verschwanden sie unter der Wasserfläche, tauchten wieder auf und tanzten auf den Wellenkämmen, so daß das Wasser hoch aufspritzte. Wenn die Alte die Möwen draußen auf den Klippen auffliegen sah, glaubte sie, daß ein Segler käme, und es kamen auch solche, aber sie steuerten alle von der Insel ab und nahmen ihren Kurs nach Norden oder Süden.

Es wehte ein kalter Wind, und die weißen Wolken blendeten. Die Alte ging wieder in den Wald, des Wartens müde, dann fing sie an Beeren zu pflücken, die sie in die Schürze sammelte; es war ihr unmöglich, ohne Beschäftigung zu sein, sie mußte etwas vornehmen, um sich die Unruhe zu vertreiben. Denn der Sohn war das Liebste, was sie hatte; ihr war an jenem Abend, als sie am Zaun stand und eine andre schwache Hoffnung ln der Ferne verschwinden sah, bei weitem nicht so beklommen gewesen. Sie sehnte sich heute mehr denn je nach ihrem Sohn; sie hatte ein Gefühl, als könne sie ihn möglicherweise bald verlieren. Die Worte des Predigers am vorhergehenden Abend und das Gerede der Leute hatten die Lunte entzündet, und bald würde die Mine in die Luft springen! Wer bei der Explosion zu Schaden kommen würde, konnte niemand wissen; daß aber ein Unglück geschehen würde, war vorauszusehen.

Dann ging sie langsam trippelnd nach Hause und gelangte schließlich auf den Eichenhügel. Von der Landungsbrücke drang ein Geräusch zu ihr herauf, und durch das Eichenlaub hindurch sah sie, daß am Packhause Leute hin und her liefen; sie redeten durcheinander, verhandelten und stritten sich.

Es war klar, daß während ihrer Abwesenheit etwas geschehen war, – aber was?

Die Unruhe vermehrte die Neugier, und so schnell die Beine sie tragen konnten, lief sie den Hügel hinab; sie mußte wissen, was dort vorgefallen war. Als sie an die Hecke hinabkam, sah sie den Spiegel der Jolle: sie waren also nach Hause gekommen und um die Insel herumgerudert.

Normans Stimme war deutlich zu erkennen, als er erklärte, wie die Sache sich zugetragen hatte:

»Er sank wie ein Stein zu Grunde, bald aber kam er wieder in die Höhe, und dann bekam er den Tod gerade in das linke Auge; es war, als wenn man ein Licht ausbläst.«

»Herr du meines Lebens! Ist er tot?« schrie die Alte und stürzte über die Hecke; aber niemand hatte sie gehört, denn im Boot setzte Rundquist die Leichenrede mit lauter Stimme fort.

»Und dann faßten wir ihn mit dem Bootshaken, und als ihm der Haken im Nacken saß, da...«

Die Alte war nun bis hinter die Netzgabeln gelangt und konnte nur wie durch einen vor einen Spiegel gehängten Flor sehen, wie die Bevölkerung des ganzen Hofes um einen dunklen Körper, der im Boot lag, beschäftigt war. Und dann fing sie an zu schreien, so laut sie nur konnte, und wollte unter den Netzen hindurchkriechen, aber ihr Haar blieb darin hängen, und die Bleigewichte schlugen ihr gleich Martergerätschaften ins Gesicht.

»Was in aller Welt haben wir in unserm Garn gefangen?« rief Rundquist, der sah, daß sich etwas zwischen den Netzen hin und her bewegte. – »Sehe ich recht? Ist das nicht unsre Mutter?«

»Ist es vorbei mit ihm?« rief Madame Flod mit gellender Stimme. »Ist es vorbei mit ihm?«

»Tot wie ein Hering!«

Die Alte machte sich endlich frei und gelangte an die Brücke hinab. Hier sah sie Gustav barhäuptig und vornübergebeugt im Boote liegen; aber er rührte sich, und unter ihm kam ein großer haariger Körper zum Vorschein.

»Bist du es, Mutter?« begrüßte Gustav die Alte, ohne sich umzuwenden. »Da haben wir einen tüchtigen Kerl gefangen!«

Die Alte machte große Augen, als sie eines fetten Seehundes ansichtig wurde, dem Gustav gerade die Haut abzog. Man schoß freilich nicht alle Tage Seehunde, und selbst wenn das Fleisch nicht sonderlich zart war, so konnte man es doch essen; der Tran reichte für viele Paar Stiefel aus, und das Fell war mindestens seine zwanzig Kronen wert. Aber der Winterhering war doch weit notwendiger, und als sie nicht eine einzige Flosse im Boot erblickte, wurde sie ärgerlich. Sie vergaß vollständig den wiedergefundenen Sohn und den unerwarteten Seehund und brach in einen Strom von Vorwürfen aus:

»Aber wo habt ihr denn die Heringe gelassen?«

»Ja, die waren nicht so leicht zu fangen,« antwortete Gustav; »und außerdem kann man die ja immer kaufen, ein Seehund dagegen läuft einem nicht jeden Tag zwischen die Finger.«

»Ja, so redest du immer; aber es ist wirklich unrecht, Gustav, volle drei Tage fort zu sein und dann ohne Fische nach Hause zu kommen. Was denkst du dir eigentlich, wovon wir diesen Winter leben sollen?«

Aber ihre Rede fand keinen Anklang, denn Heringe hatte man überreichlich gegessen, und Fleisch blieb doch stets das Beste; außerdem nahmen die Jäger alle Aufmerksamkeit in Beschlag mit ihren wunderbaren Beschreibungen von dem Jagdabenteuer.

Carlsson ließ die Gelegenheit jedoch nicht vorübergehen, ohne seinen Senf zu der Sache zu geben.

»Ja, wenn wir die Landwirtschaft nicht hätten, müßten wir wohl alle bald am Hungertuch nagen.«

Für den Tag war es nun mit der Fischerei vorbei, der große Kessel wurde zum Trankochen aufgesetzt, in der Küche wurde gekocht und gebraten und ein Kaffeepunsch nach dem andern getrunken; und draußen an der südlichen Scheunenwand wurde das Fell als Siegeszeichen aufgeschlagen, man hielt Leichenreden und Auseinandersetzungen, und alle Ungläubigen mußten die Finger in die Schußwunden stecken und sich erklären lassen, wie sich das Blei eingebohrt hatte, als der Seehund auf einen Stein gegangen war; was Gustav im letzten Augenblick, kurz bevor der Schuß abgefeuert worden war, zu Norman gesagt hatte, und endlich, wie sich der Seehund aufführte, als ihm das Lebenslicht ausgeblasen wurde.

Carlsson war in dieser Zeit nicht der Held des Tages, er ging in aller Stille umher und ergriff seine Maßregeln, und als der Fischfang endlich aufhörte, setzte er sich in dem großen Boot an das Steuer und segelte mit Norman und Lotte nach Stockholm.

Als Madame Flod an die Brücke hinunterkam, um die aus Stockholm heimkehrenden Reisenden zu empfangen, war Carlsson so übertrieben liebenswürdig und doch zurückhaltend dabei, daß die Alte gleich merkte, daß etwas dahintersteckte.

Nach dem Abendbrot wurde er in das Zimmer gerufen, um Rechenschaft abzulegen, und dann mußte er sich hinsetzen und erzählen. Aber das ging sehr langsam vonstatten, der Bursche schien keine Lust zu haben, sein Herz auszuschütten; doch die Alte ließ nicht locker, bis sie einen Bericht seiner Reise aus ihm herausgepreßt hatte.

»Nun, Carlsson, erzähle Er mir doch, ob Er auch beim Professor gewesen.«

»Ja, das versteht sich, da war ich gleich zuallererst,« antwortete Carlsson, augenscheinlich durch die Erinnerung an diesen Besuch angenehm berührt.

»Nun, und wie sah es denn da aus?«

»Ja, sie haben mir so viel Grüße für alle aufgetragen, und sie waren außerordentlich liebenswürdig und luden mich zum Frühstück ein. Es war sehr fein im Hause, und wir wurden gut miteinander fertig.«

»Also wirklich? Und was hats denn Gutes gegeben?«

»Ach, wir bekamen Hummer und Champignons und tranken Porter dazu.«

»Sag Er mir doch, Carlsson, hat Er auch die Mädchen gesehen?«

»Ja, natürlich!« antwortete Carlsson mit großer Offenheit.

»Und die hatten sich wohl nicht verändert?«

Das war nun freilich der Fall; aber es würde der Alten zu viel Vergnügen gemacht haben, das zu hören, und deshalb beantwortete Carlsson die Frage gar nicht. »Ja, sie waren sehr munter, und am Abend waren wir in Berns Salon und hörten Musik! Ich spendierte Sherry-Kobbler und Butterbrot. Es war sehr amüsant.«

Aber in Wirklichkeit war es durchaus nicht amüsant gewesen, und die Sache verhielt sich ganz anders. Carlsson war nämlich in der Küche von Lina empfangen worden, weil Ida abwesend war, und hatte dort eine Flasche Bier am Küchentisch getrunken. Darauf war die Frau Professor gekommen, hatte Carlsson begrüßt und zu Lina gesagt, sie solle einen Hummer holen, denn es würde Besuch erwartet, und dann war sie wieder gegangen. Als Carlsson später mit Lina allein geblieben war, hatte sich diese anfangs ein wenig steif gezeigt, aber schließlich hatte Carlsson doch aus ihr herausbekommen, daß Ida seinen Brief erhalten hatte und dieser eines Abends laut vorgelesen worden war, als ihr Schatz dagewesen und sie im Mädchenzimmer gesessen und Porter getrunken hätten, während Lina Champignons reinigte. Und sie hätten sich halbtot gelacht, weil Idas Schatz den Brief in salbungsvollem Kanzeltone zweimal vorgelesen hätte. Am meisten hätten sie sich über den »alten Carlsson« und seine »letzte Stunde« amüsiert, und als sie bis an die »Gefahren« gekommen waren, hatte Idas Schatz – er war Bierfahrer – den Vorschlag gemacht, sich in Berns Salon zu begeben, und dahin waren sie denn auch gegangen und mit Sherry-Kobbler und Butterbrot traktiert worden.

Mochte nun Linas Bericht Carlssons Sinn derartig in Aufregung versetzt haben, daß sein Gedächtnis dadurch in Unordnung geraten war, oder war sein Wunsch, bei der betreffenden Gelegenheit in den Kleidern des Bierfahrers zu stecken, ein so brennender gewesen, daß er sich selber in dieser angenehmen Situation als Wirt erblickte, sich mit den hummerspeisenden Gästen verwechselte, den Porter von Idas Liebstem trank und Linas Champignons verzehrte – kurz, die Art und Weise, wie er der Alten die Sache darstellte, übte die beabsichtigte Wirkung aus, was ja die Hauptsache war. Nachdem dies geschehen, fühlte er sich ruhig genug, um zum Angriff schreiten zu können. Die jungen Burschen waren draußen auf der See, Rundquist hatte sich zur Ruhe begeben, und die Mädchen hatten ebenfalls ihr Tagewerk beschlossen.

»Was ist das für ein Gerede, das hier in der Umgegend die Runde macht, und das mir überall, wohin ich komme, unter die Nase gerieben wird?« begann er.

»Was erzählt man sich denn jetzt wieder?« fragte die Alte.

»Ach, es ist die alte Geschichte, daß wir beide uns miteinander verheiraten wollen.«

»Ist es weiter nichts? Das haben wir ja nun schon so lange gehört!«

»Ja, aber es ist doch unrecht, daß die Leute etwas behaupten, was jeglicher Begründung entbehrt; es ist mir ganz unmöglich, zu verstehen, wie so etwas zwischen die Leute kommen kann.«

»Ja natürlich, was sollte auch so ein junger, schöner Bursche mit einem alten Weibe wie ich?«

»Nun, was das Alter anbetrifft, so wäre das wohl kein Hindernis. Wenn ich meine Ansicht aussprechen darf, so will ich nur sagen: wenn ich einmal daran denke, mich zu verheiraten, so geschieht das nicht mit so einer jungen Dirne, die nichts kann und nichts weiß. Die Sache ist nämlich folgende: Die Liebe ist ein Ding für sich, und das Heiraten ist ein anderes; die Neigung verfliegt wie der Rauch, und ein Treueschwur ist nicht mehr wert als eine Prise Tabak, wenn ein andrer kommt und eine feine Zigarre anbietet. Aber so bin ich eben nicht, Mutter; derjenigen, mit der ich mich einmal verheirate, der bin ich auch treu, und so bin ich stets gewesen, und wer etwas andres von mir sagt, der lügt.«

Madame Flod spitzte die Ohren und merkte, daß da wohl nicht alles so ganz in Ordnung sei; vorsichtig tastete sie weiter.

»Nun, und Ida? Wird es denn nichts mit ihr und Ihm?«

»Ida, hm, die ist ja an und für sich sehr nett, und wenn ich ihr nur einen Finger hinhalte, so hab ich sie gleich; aber sie hat nicht den rechten Sinn, sie ist zu weltlich und eitel, und ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube nun einmal, daß sie leicht auf Abwege geraten kann. Und übrigens fange ich jetzt an, alt zu werden, ich habe keine Lust mehr zu Narrenspossen; ich sage es offen heraus: wenn ich einmal auf den Gedanken kommen sollte, mich verheiraten zu wollen, so würde ich eine ältere, verständige Person nehmen, eine, die den rechten Sinn hat; ich weiß nicht recht, wie ich mich näher erklären soll, aber Mutter versteht mich doch wohl, denn sie hat das richtige Verständnis für diese Sachen, das steht fest.«

Die Alte hatte sich am Tische niedergelassen, um Carlssons Gedankensprüngen besser folgen zu können und sofort Amen zu sagen, wenn er seine Lektion beendet hatte.

»Ja, aber sag Er mir doch, Carlsson, hat Er denn noch niemals an die Witwe in Avassa gedacht, die so allein dasitzt und keinen sehnlicheren Wunsch hegt, als sich wieder zu verheiraten?«

»Was, die? Nein! Ich kenne sie ja freilich gut genug, aber sie hat nicht den rechten Sinn, und das ist das einzige, was mich fesseln kann. Auf Geld, ein schönes Äußere und hübsche Kleider seh ich nicht, denn für so was bin ich nun mal nicht eingenommen, und wer mich wirklich kennt, wird das auch nicht von mir sagen können.«

Das Thema schien jetzt völlig erschöpft zu sein, einer von beiden mußte nun das letzte Wort sagen.

»Nun, an wen hat Carlsson denn eigentlich gedacht?« fragte die Alte, tapfer einen Schritt vorrückend.

»Gedacht und gedacht! Ich habe überhaupt noch nicht ordentlich über die Sache nachgedacht; wer darüber nachgedacht hat, kann ja reden, ich schweige still, damit man mir nachher nicht nachsagen kann, daß ich jemanden verleitet habe, denn das ist nicht nach meinem Sinn.«

Die Alte wußte nun nicht recht, wie sie sich dabei benehmen sollte; aber sie mußte doch noch einmal sondieren.

»Ja, aber lieber Carlsson, wenn Er Ida doch noch im Sinne hat, so kann Er doch nicht im Ernst an eine andre denken!«

»Ida, die Teufelsdirne? Nein, die will ich nicht haben, und würfe man sie mir selbst vor die Füße; nein, ich will höher hinaus, und meine zukünftige Frau muß wenigstens die Kleider, die sie am Leibe trägt, besitzen, und hat sie noch ein wenig daneben, so schadet das auch nichts, obgleich ich darauf nicht sehe, denn so bin ich nun einmal, und so ist mein Sinn.«

Nun waren sie so lange im Kreise herumgefahren und hatten so oft umgewendet, daß sie kurz davor waren steckenzubleiben; doch die Alte gab dem Wagen einen kräftigen Stoß.

»Nun, Carlsson, was würde Er wohl dazu sagen, wenn wir beide uns zusammentäten?«

Carlsson machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, als wolle er gleich von vornherein jeden Verdacht auf eine solche Handlung von seiner Seite abwehren.

»Nein, davon kann niemals die Rede sein,« beteuerte er. »Davon wollen wir gar nicht reden und noch viel weniger daran denken. Ich weiß wohl, daß die Leute dann sagen würden, daß ich Euch des Geldes wegen genommen hätte, aber das liegt mir so fern. Nein, niemals wollen wir wieder über diese Sache reden. Versprecht mir das, Mutter, gebt mir die Hand darauf« – hier streckte er seine Hand aus – , »daß wir nie über diese Sache reden wollen. Gebt mir die Hand darauf!«

Aber die Alte wollte ihm die Hand darauf nicht geben, im Gegenteil, sie wollte recht gründlich über die Sache sprechen.

»Warum wollen wir das nicht besprechen, was doch keineswegs eine Unmöglichkeit ist? Ich bin alt, wie Carlsson weiß, und Gustav ist nicht der Mann danach, die Hofwirtschaft zu leiten; ich bedarf einer Persönlichkeit, die mir zur Seite steht und mir behilflich ist, aber ich verstehe es wohl, daß Er sich nicht für andre abarbeiten will, ohne den Lohn der Arbeit zu ernten, und deshalb sehe ich keinen andern Ausweg, als daß wir einander heiraten. Laß die Leute sagen, was sie wollen, die reden doch, wir mögen uns nun heiraten oder nicht, und wenn Carlsson nichts Besonderes gegen mich hat, so sehe ich nicht ein, was uns verhindern sollte. Sag Er mir einmal aufrichtig, Carlsson, hat Er etwas gegen mich?«

»Nein, nicht im geringsten, was sollte ich wohl gegen Euch haben, Mutter? Aber das verfluchte Gerede wird schon das eine oder das andre herausfinden, und übrigens wird es uns Gustav niemals vergeben.«

»Ach was, wenn Er nicht Manns genug ist, Gustav Mores zu lehren, so werde ich ihn schon bändigen können. Ich bin zwar schon bei Jahren, aber das will ich Ihm nur gleich unter vier Augen sagen: ich bin noch ebenso rüstig und flink wie manch junges Mädchen.«

Das Eis war gebrochen, und nun folgte eine ganze Sündflut von Plänen und guten Ratschlägen: wie man Gustav das Ereignis mitteilen solle, wie die Hochzeit am besten einzurichten sei, und manches andre. Und die Verhandlungen währten lange, so lange, daß die Alte die Kaffeekanne aufsetzen und die Branntweinflasche hervorholen mußte, ja sie währten bis tief in die Nacht hinein und noch darüber hinaus.


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