August Strindberg
Fräulein Julie
August Strindberg

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Fräulein Julie.

Personen:

Fräulein Julie, 25 Jahre alt.

Jean, Diener, 30 Jahre alt.

Christine, Köchin, 35 Jahre alt.

Die Handlung spielt in der Johannisnacht in einer gräflichen Küche.

Schauplatz:

Eine große Küche, deren Decke und Seitenwände von den Draperien und Soffiten verdeckt werden. Die Hinterwand zieht sich von links schräg in die Scene hinein; auf der linken Seite zwei Gestelle mit Kupfer-, Messing-, Eisen- und Zinngeschirr; die Gestelle sind mit zackigem Papier garniert; etwas weiter rechts sieht man dreiviertel des großen gewölbten Ausganges mit zwei Glasthüren, durch welche ein Springbrunnen mit einem Amor, blühende Fliederbüsche und einige Pappelbäume sichtbar sind. Eingänge rechts und links.

Links auf der Bühne eine Ecke eines großen Kachelherdes mit einem Teil des Rauchfanges.

Rechts das eine Ende eines Gesindeeßtisches aus weißem Fichtenholz mit einigen Stühlen; auf dem Tisch eine große japanische Kruke mit Flieder.

Der Herd ist mit Birkenzweigen ausgeputzt, der Boden mit Wachholder bestreut.

Ein Eisschrank, ein Waschtisch und ein Aufwaschtisch. Eine große, altertümliche Schlaguhr über der Thüre und ein Sprachrohr auf der linken Seite derselben.

Christine steht links am Herd und bratet etwas in einer Pfanne; sie hat ein helles Kattunkleid an und eine Küchenschürze um. Jean kommt durch die Glasthür hinein, in Livree; er trägt in der Hand ein paar große Reitstiefel mit Sporen, die er auf einer sichtbaren Stelle hinten auf den Boden stellt.

Jean. Heute Abend ist das Fräulein Julie wieder verrückt, total verrückt!

Christine. So, du bist jetzt hier?

Jean. Ich begleitete den Herrn Grafen zur Station, und als ich auf dem Rückweg an der Scheune vorüberkam, ging ich hinein, um zu tanzen. Fräulein Julie tanzte gerade mit dem Förster; als sie mich aber gewahr wurde, fährt sie gerade auf mich los und fordert mich zum Damenwalzer auf. Und seitdem hat sie in einer Weise getanzt, daß ich nie etwas derartiges gesehen habe. Sie ist einfach verrückt.

Christine. Das ist sie ja immer gewesen, aber niemals so, wie die letzten vierzehn Tage, seitdem die Verlobung aufgehoben wurde.

Jean. Ja, was war das eigentlich für eine Geschichte. Es war doch ein feiner Kerl, wenn er auch nicht reich war. Ach ja! sie haben so viele Launen! Er setzt sich rechts an den Tisch. Es ist in jedem Fall sonderbar von dem Fräulein, daß sie lieber bei den Leuten zu Hause bleiben will, als ihren Vater zu ihren Verwandten begleiten? Nicht?

Christine. Ja, sie fühlt sich wohl gleichsam ein wenig geniert nach der Geschichte mit ihrem Bräutigam.

Jean. Kann schon sein! Aber es war doch in jedem Fall ein tüchtiger Kerl. Weißt du, Christine, wie es kam? Ich sah es mit an, obgleich ich mir nichts merken lassen wollte.

Christine. Wie? Du sahst es mit an?

Jean. Ja, das that ich. Sie waren eines Abends unten im Stallhof, und das Fräulein »tränierte« ihn, wie sie es nannte – weißt du, was sie machte? Sie ließ ihn über die Reitpeitsche springen, wie einen Hund, den man »hop« machen lehrt. Zweimal sprang er hinüber und bekam jedesmal einen Schlag; aber das dritte Mal nahm er ihr die Reitpeitsche aus der Hand, zerbrach sie in tausend Stücke und – ging.

Christine. So kam es? Nein, was du sagst!

Jean. Ja, so kam es! Aber kannst du mir nun nicht etwas Gutes zu essen geben, Christine?

Christine legt aus der Pfanne auf und setzt es Jean vor. Ach, nur ein bißchen Nieren, die ich aus dem Kalbsbraten herausgeschnitten habe!

Jean beriecht das Essen. Ah! Sehr schön, das ist mein größtes Delice! Er befühlt den Teller. Aber du hättest den Teller wärmen können!

Christine. Du bist noch krittlicher, als selbst der Graf, wenn du erst einmal anfängst. Sie zieht ihn liebkosend am Haar.

Jean böse. Au! Du mußt mich nicht so reißen, du weißt ja, wie empfindlich ich bin.

Christine. Na, na, es war ja nur aus Liebe.

Jean ißt.

Christine zieht eine Flasche Bier auf.

Jean. Bier in der Johannisnacht? Nein, danke bestens! Da habe ich selbst was Besseres. Er öffnet die Tischschublade und nimmt eine Flasche Rotwein mit gelbem Lack heraus. Gelber Lack, siehst du! Gieb mir nun ein Glas! Ein Fußglas, versteht sich, wenn man reinen Wein trinkt.

Christine wendet sich wieder zum Herd und setzt eine kleine Kasserole auf. Gott sei der gnädig, die dich einmal zum Mann bekommt! So ein Kräkler!

Jean. Ach red' doch nicht! Du wärst sehr vergnügt, wenn du so'n feinen Kerl, wie mich, bekämst; und ich glaube nicht, daß du davon Schaden hast, daß man mich deinen Liebsten nennt! Er schmeckt den Wein. Ah! Sehr fein! Sehr fein! Nur etwas zu wenig temperiert! Er wärmt das Glas mit der Hand. Den haben wir in Dijon gekauft. Und er kam vier Francs der Liter ohne Glas; und dann noch der Zoll dazu! Was kochst du denn jetzt? Das stinkt ja infernalisch!

Christine. Ach, das ist so ein Teufelsdreck, den Fräulein Julie für die Diana haben will.

Jean. Du solltest dich ein wenig zierlicher ausdrücken, Christine! Aber warum mußt du am heiligen Abend dastehen und für das Beest kochen? Ist es krank, was?

Christine. Jawohl! Sie hat sich zu dem Hofhund hinausgeschlichen – und da haben sie Unsinn gemacht – und siehst du, davon will das Fräulein nichts wissen.

Jean. Ja, in einer Beziehung ist das Fräulein zu stolz und in anderer zu wenig stolz, ganz wie die Gräfin bei Lebzeiten. Sie fühlte sich am wohlsten in der Küche und im Stall, aber sie wollte niemals mit einem Pferd fahren; sie ging mit schmutzigen Manschetten, mußte aber die Grafenkrone auf den Knöpfen haben. Das Fräulein, um nun von ihr zu reden, nimmt sich und ihre Person nicht genug in acht. Ich möchte sagen, sie ist nicht fein. Jetzt eben, als sie in der Scheune tanzte, riß sie den Förster von Annas Seite fort und forderte ihn selbst auf. Wir würden uns nicht so benehmen; aber so geht es, wenn die Herrschaften sich gemein machen, dann – werden sie gemein! Aber stattlich ist sie! Prachtvoll! O! Diese Schultern! Dieser Busen! und – &c.!

Christine. Na, dabei ist auch viel Kunst! Ich weiß, was Klara gesagt hat, die ihr beim Anziehen hilft.

Jean. Pah, Klara! Ihr seid immer neidisch aufeinander! Ich bin mit ihr ausgewesen und habe sie reiten sehen – Und dann, wie sie tanzt!

Christine. Höre einmal, Jean! Willst du nicht mit mir tanzen, wenn ich fertig bin?

Jean. Ja, natürlich will ich das.

Christine. Versprichst du es mir?

Jean. Versprechen? Wenn ich sage, ich thue es, dann thue ich es auch! Indessen besten Dank für das Essen. Es war sehr gut. Er schlägt den Pfropfen in die Flasche hinein.

Das Fräulein in der Glasthür, spricht nach außen. Ich bin sogleich wieder da! Geht nur solange voran!

Jean verbirgt die Weinflasche in der Tischschublade und steht dann ehrerbietig auf.

Fräulein Julie tritt ein und geht zu Christine an den Herd. Na! Ist es fertig?

Christine giebt ihr durch Zeichen zu verstehen, daß Jean zugegen ist.

Jean galant. Haben die Damen Geheimnisse vor?

Julie schlägt ihm mit dem Taschentuch ins Gesicht. Ist Er neugierig?

Jean. Ach, wie schön das nach Veilchen duftete!

Julie kokett. Unverschämter! Versteht Er sich auch auf Parfüms? Tanzen kann Er – Nicht hersehen! Geh Er fort! Sie tritt hinter den Tisch.

Jean naseweis, aber artig. Ist es ein Zaubertrank, was die Damen da in der Johannisnacht brauen? Etwas, um dann in den Sternen des Glückes zu lesen, sodaß man seine Zukünftige zu sehen bekommt!

Julie scharf. Ja, wenn Er die zu sehen bekommt, dann muß Er gute Augen haben! Zu Christine. Gieße es in eine halbe Flasche hinein und korke es fest zu. Komm Er nun und tanze einen Schottisch mit mir, Jean – Sie läßt ihr Taschentuch auf dem Tisch liegen.

Jean zögernd. Ich will gegen niemand unartig sein, aber diesen Tanz hatte ich Christinen versprochen –

Julie. Na, sie kann ja einen andern bekommen. Sie tritt zu Christine. Oder wie, Christine? willst du mir den Jean nicht leihen?

Christine. Das hängt nicht von mir ab. Wenn das gnädige Fräulein so herablassend ist, so paßt es sich nicht, daß er nein sagt. Geh nur! und bedanke dich für die Ehre.

Jean. Aufrichtig gesprochen, aber ohne Sie verletzen zu wollen, ist es klug von Ihnen, Fräulein Julie, zweimal hintereinander mit demselben Herrn zu tanzen, besonders da die Leute hier sehr geneigt sind, allerhand Schlüsse zu ziehen –

Julie braust auf. Was soll das heißen? Was für Schlüsse? Was meint Er damit?

Jean ausweichend. Da das Fräulein mich nicht verstehen wollen, muß ich deutlicher reden. Es sieht nicht gut aus, wenn Sie einen Ihrer Untergebenen den andern, die dieselbe ungewöhnliche Ehre erwarten, vorziehen –

Julie. Vorziehen! Was bildet Er sich ein! Ich bin ganz erstaunt! Ich, die Herrin des Hauses, beehre den Tanz der Leute mit meiner Gegenwart, und wenn ich nun wirklich tanzen will, so will ich es mit einem, der führen kann, sodaß ich dem entgehe, ausgelacht zu werden.

Jean. Wie das Fräulein befehlen! Ich stehe zu Diensten!

Julie sanft. Sprechen Sie jetzt nicht von befehlen. Heute Abend sind wir ja als frohe Menschen auf dem Fest und legen allen Rang ab! So, geben Sie mir denn Ihren Arm! Sei ganz ruhig, Christine! Ich werde dir deinen Schatz nicht entführen!

Jean bietet ihr seinen Arm und führt sie durch die Glasthür hinaus.

Christine allein.Diese stumme Scene muß gespielt werden, als wenn die Schauspielerin wirklich allein wäre: also sie muß nach Bedürfnis dem Publikum den Rücken zuwenden und nicht in den Zuschauerraum hineinsehen; auch sich nicht übereilen, als wenn sie fürchtete, das Publikum könnte ungeduldig werden. Der Verfasser.]

Schwache Violinenmusik in einiger Entfernung im Takt eines Schottisch.

Christine summt die Musik mit, räumt den Tisch ab, wo Jean gegessen hat, wäscht den Teller am Aufwaschtisch ab, trocknet ihn ab und setzt ihn in einen Schrank. Dann legt sie die Küchenschürze ab, nimmt einen kleinen Spiegel aus der Tischschublade, stellt ihn gegen die Krucke mit Flieder auf dem Tisch, zündet ein Talglicht an und macht eine Haarnadel heiß, mit der sie ihre Stirnhaare kräuselt. Darauf geht sie an die Glasthüre und lauscht, kommt wieder an den Tisch zurück, findet das Taschentuch des Fräuleins, das dieselbe vergessen, nimmt es und riecht daran; dann breitet sie es in Gedanken aus, reckt es, streicht es glatt und legt es viermal zusammen.

Jean kommt allein durch die Glasthür zurück. Ja, sie ist verrückt. So zu tanzen! Und die Leute stehen an den Thüren und grinsen über sie. Was sagst du dazu, Christine?

Christine. Ach, es ist ja jetzt ihre Zeit, und da ist sie immer so sonderbar. Aber willst du jetzt kommen und mit mir tanzen?

Jean. Du bist doch wohl nicht böse, daß ich dir echappierte?

Christine. Nein! Nicht im geringsten, das weißt du ja; und ich kenne auch meine Stellung –

Jean legt die Hand um ihre Taille. Du bist ein verständiges Mädchen, Christine, und würdest eine tüchtige Hausfrau werden –

Julie kommt durch die Glasthüre herein; sie ist unangenehm überrascht; mit erzwungener Munterkeit. Sie sind ja ein scharmanter Kavalier – der seiner Dame davonspringt.

Jean. Im Gegenteil, Fräulein Julie, wie Sie sehen, habe ich mich beeilt, die Verlassene aufzusuchen!

Julie in anderm Ton. Wissen Sie, daß Sie wie kein anderer tanzen! Aber warum gehen Sie am Festabend in Livree? Legen Sie sie gleich ab!

Jean. Dann muß ich das Fräulein bitten, sich einen Augenblick zu entfernen, denn mein schwarzer Rock hängt hier – Er geht mit entsprechender Gebärde nach rechts.

Julie. Geniert Er sich vor mir! Um einen Rock zu wechseln! Geh' Er denn in sein Zimmer und komme wieder zurück! Übrigens kann Er auch hierbleiben, ich drehe mich um!

Jean. Mit Ihrer Erlaubnis, mein Fräulein. Er geht nach links, man sieht seinen Arm, wenn er den Rock wechselt.

Julie zu Christine. Höre, Christine; ist Jean dein Schatz, da er so vertraut mit dir ist?

Christine nach dem Herd gehend. Schatz? Ja, wenn man so will! Wir nennen es so.

Julie. Nennen?

Christine. Na, das Fräulein haben ja selbst einen Schatz gehabt, und –

Julie. Ja, wir waren richtig verlobt –

Christine. Aber es wurde ja doch nichts daraus – Sie setzt sich und schläft nach und nach ein.

Jean in schwarzem Rock und mit schwarzem Hut.

Julie. Très gentil, monsieur Jean! Très gentil!

Jean. Vous voulez plaisanter, madame!

Julie. Et vouz voulez parlez français! Wo haben Sie das gelernt?

Jean. In der Schweiz, als ich in einem der ersten Hotels in Luzern Zimmerkellner war!

Julie. Aber Sie sehen in dem Rock ja wie ein Gentleman aus! Charmant! Sie setzt sich an den Tisch rechts.

Jean. Ach, Sie schmeicheln!

Julie verletzt. Schmeicheln? Ihm?

Jean. Meine angeborene Bescheidenheit erlaubt mir nicht zu glauben, daß Sie einem Menschen, wie mir, veritable Artigkeiten sagen, und darum erlaubte ich mir, anzunehmen, daß Sie übertrieben, oder wie man zu sagen pflegt, schmeichelten!

Julie. Wo haben Sie es gelernt, so Ihre Worte zu setzen? Sie müssen das Theater viel besucht haben?

Jean. Gewiß! Ich habe viele Orte besucht!

Julie. Aber Sie sind doch hier in der Gegend geboren?

Jean. Mein Vater war Instmann bei dem Staatsanwalt dieses Bezirks, und ich habe auch das Fräulein als Kind gesehen, obgleich das Fräulein mich nicht bemerkt haben!

Julie. Wirklich?

Jean. Ja, und auf einmal besinne ich mich namentlich – ja, aber davon kann ich nicht reden!

Julie. O ja – thun Sie es doch! Wie? Mir zum Gefallen!

Jean. Nein, ich kann jetzt wirklich nicht! Ein andermal vielleicht.

Julie. Ein andermal ist gar keinmal. Ist es denn jetzt so gefährlich?

Jean. Gefährlich ist es nicht, aber es ist doch am besten, es zu unterlassen! Sehen Sie nur, die da! Er zeigt auf Christine, die auf einem Stuhl am Herde eingeschlafen ist.

Julie. Das wird eine muntere Frau. Vielleicht schnarcht sie auch?

Jean. Das thut sie nicht; aber sie spricht im Schlaf.

Julie. Woher wissen Sie, daß sie im Schlaf spricht?

Jean. Ich habe es gehört!

Pause, in der sie einander betrachten.

Julie. Warum setzen Sie sich nicht?

Jean. Das darf ich mir in Ihrer Gegenwart nicht erlauben!

Julie. Und wenn ich es befehle?

Jean. Dann gehorche ich.

Julie. Setzen Sie sich! – Aber warten Sie! Können Sie mir nicht etwas zu trinken geben?

Jean. Ich weiß nicht, was sich hier im Eisschrank vorfindet. Ich glaube, es ist nur Bier.

Julie. Das ist nicht zu verachten! und ich meinesteils habe einen so einfachen Geschmack, daß ich es dem Wein vorziehe.

Jean nimmt eine Bierflasche aus dem Eisschrank, welche er aufzieht; er sucht im Schrank nach einem Glas und einem Teller, auf dem er serviert. Darf ich bitten!

Julie. Danke! Wollen Sie nicht auch trinken?

Jean. Ich bin gerade kein Bierfreund, aber wenn das Fräulein befehlen!

Julie. Befehlen? Mir scheint, als höflicher Kavalier könnten Sie Ihrer Dame Gesellschaft leisten.

Jean. Das ist sehr richtig bemerkt! Er zieht noch eine Flasche auf und nimmt ein Glas.

Julie. Trinken Sie nun auf mein Wohl!

Jean zögert.

Julie. Ich glaube, der alte Kerl ist schüchtern!

Jean auf den Knieen scherzhaft parodierend, erhebt sein Glas. Das Wohl meiner Herrin!

Julie. Bravo! – Nun müssen Sie auch meinen Schuh küssen, dann ist es vollständig.

Jean zögert, faßt dann aber dreist ihren Fuß und küßt ihn flüchtig.

Julie. Ausgezeichnet! Sie hätten Schauspieler werden sollen.

Jean erhebt sich. Das geht nicht so weiter, Fräulein! Es könnte jemand kommen und uns sehen.

Julie. Was thäte das?

Jean. Die Leute würden ganz einfach darüber sprechen. Und wenn das Fräulein wüßten, wie die Mäuler schon vorhin gingen, dann –

Julie. Was sagten sie denn? Erzählen Sie es mir! Aber setzen Sie sich!

Jean setzt sich. Ich möchte Sie nicht kränken, aber sie gebrauchten Ausdrücke – die Vermutungen der Art andeuteten, daß – ja, Sie werden das ja wohl selbst verstehen! Sie sind ja kein Kind mehr, und wenn man eine Dame allein mit einem Mann zusammen trinken sieht – sei es auch nur ein Bedienter – zumal noch in der Nacht – dann –

Julie. Was dann? Und übrigens sind wir nicht allein. Christine ist ja hier.

Jean. Ja, sie schläft.

Julie. Dann werde ich sie wecken. Sie steht auf. Christine! Schläfst du?

Christine im Schlaf. Bla–bla–bla–bla!

Julie. Christine! – Die kann schlafen!

Christine im Schlaf. Die Stiefeln des Grafen sind geputzt – Kaffee aufsetzen – sofort, sofort, sofort. – O, o! – Puh!

Julie faßt sie bei der Nase. Willst du aufwachen!

Jean streng. Stören Sie einen Schlafenden nicht!

Julie scharf. Wie?

Jean. Wer den ganzen Tag am Herd gestanden hat, kann müde sein, wenn die Nacht kommt. Und den Schlaf soll man respektieren.

Julie in anderm Ton. Das ist hübsch gedacht, und das ehrt Ihn – Danke! Sie reicht Jean die Hand. Kommen Sie nun hinaus und pflücken Sie mir etwas Flieder!

Christine erwacht während des Folgenden und geht schlaftrunken nach rechts ab, um sich zu Bett zu begeben.

Jean. Mit dem Fräulein?

Julie. Mit mir!

Jean. Das geht nicht! Absolut nicht!

Julie. Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Sollte es möglich sein, daß Sie sich etwas einbilden?

Jean. Ich nicht, aber die Leute!

Julie. Was? Daß ich in einen Bedienten verliebt wäre?

Jean. Ich bin kein eingebildeter Mensch, aber man hat Beispiele gesehen – und den Leuten ist nichts heilig.

Julie. Er ist, glaube ich, Aristokrat!

Jean. Ja, das bin ich.

Julie. Und ich steige herab –

Jean. Steigen Sie nicht herab, Fräulein, hören Sie meinen Rat! Niemand glaubt, daß Sie gutwillig herabsteigen; die Leute werden immer sagen, Sie sind gefallen!

Julie. Ich habe eine bessere Meinung von den Leuten, als Sie! Kommen Sie und versuchen Sie! – Kommen Sie! Sie fordert ihn mit den Augen auf.

Jean. Wissen Sie, Sie sind sonderbar!

Julie. Vielleicht! Aber das sind Sie auch! Alles ist übrigens sonderbar! Das Leben, die Menschen, alles ist eine Eisscholle, die auf dem Wasser dahingetrieben wird, bis sie sinkt, sinkt. Ich habe einen Traum, der hie und da wiederkommt und an den ich jetzt denken muß. Ich sitze auf einer hohen Säule und sehe keine Möglichkeit herunterzukommen; mir schwindelt, wenn ich hinuntersehe, und doch muß ich hinunter, aber ich habe nicht den Mut mich hinabzustürzen; ich kann mich nicht festhalten und ich sehne mich darnach zu fallen; aber ich falle nicht. Und doch habe ich keine Ruhe, bevor ich unten bin, keinen Frieden, bevor ich auf der Erde angelangt bin. Und komme ich auf die Erde hinunter, so will ich hinunter in die Erde. Haben Sie jemals so etwas empfunden.

Jean. Nein! Ich pflege zu träumen, ich läge unter einem hohen Baum in einem düstern Walde. Ich will hinauf, hinauf zum Wipfel, und mich in der lichten Landschaft umsehen, wo die Sonne scheint, und das Vogelnest dort oben plündern, in dem die Goldeier liegen. Und ich klettere und klettere, aber der Stamm ist so dick und so glatt, und es ist so weit bis zum ersten Zweig. Aber ich weiß, wenn ich nur den ersten Zweig erreichte, könnte ich zum Wipfel, wie auf einer Leiter, emporsteigen. Noch habe ich ihn nicht erreicht, aber ich muß ihn erreichen, und wäre es auch nur im Traum!

Julie. Hier stehe ich und schwatze mit Ihnen! Kommen Sie nun! Nur hinaus in den Park. Sie bietet ihm den Arm und sie gehen.

Jean. Wir sollten heute Nacht auf neun Johannisnachtkräutern schlafen, dann gehen unsere Träume in Erfüllung, Fräulein!

Beide machen in der Thür kehrt.

Jean hält die Hand vor das eine Auge.

Julie. Lassen Sie mich sehen, was Ihnen ins Auge gekommen ist.

Jean. O nichts! Nur ein Stäubchen – das ist gleich wieder gut.

Julie. Es war der Ärmel meines Kleides, der Sie kratzte; setzen Sie sich nun, dann werde ich Ihnen helfen. Sie nimmt ihn am Arm und setzt ihn am Tisch nieder; faßt dann seinen Kopf und legt ihn hintenüber; mit einem Zipfel des Taschentuches sucht sie das Stäubchen herauszubekommen. Sitzen Sie jetzt still, ganz still. Sie schlägt ihm auf die Hand. So! will Er gehorchen! Ich glaube, der große, starke Mensch zittert! Sie befühlt seinen Oberarm. Mit solchen Armen!

Jean warnend. Fräulein Julie!

Julie. Ja, Monsieur Jean.

Jean. Attention! Je ne suis qu'un homme!

Julie. Will Er stillsitzen! – Sieh da! Nun ist es fort! Küss' Er meine Hand und dank' Er mir.

Jean steht auf. Fräulein Julie! Hören Sie mich an! Jetzt ist Christine fortgegangen und hat sich zu Bett gelegt! Wollen Sie mich anhören?

Julie. Erst die Hand küssen!

Jean. Hören Sie mich an.

Julie. Erst die Hand küssen!

Jean. Ja, aber Sie müssen die Verantwortung übernehmen.

Julie. Wofür?

Jean. Wofür? Sind Sie mit fünfundzwanzig Jahren noch ein Kind? Wissen Sie nicht, daß es gefährlich ist, mit dem Feuer zu spielen?

Julie. Nicht für mich; ich bin assekuriert!

Jean dreist. Nein, das sind Sie nicht! Und wenn Sie es sind, dann giebt es feuergefährliche Einrichtungen in der Nachbarschaft!

Julie. Sollten Sie das sein?

Jean. Ja, nicht weil ich es bin, sondern weil ich ein junger Mann bin –

Julie. – von vorteilhaftem Äußern – welche unglaubliche Eitelkeit! Ein Don Juan vielleicht! Oder ein Joseph! Ich glaube, meiner Treu, er ist ein Joseph!

Jean. Glauben Sie?

Julie. Ich fürchte beinahe.

Jean geht dreist auf sie zu und will sie umarmen, um sie zu küssen.

Julie giebt ihm eine Ohrfeige. Fort!

Jean. Ist das Ernst oder Scherz?

Julie. Ernst!

Jean. Dann war auch das vorher Ernst! Sie spielen allzu ernst und das ist gefährlich! Nun bin ich aber des Spiels müde und bitte um Entschuldigung, daß ich wieder an meine Arbeit gehe. Er geht nach hinten zu den Stiefeln. Der Graf muß beizeiten seine Stiefel haben, und Mitternacht ist längst vorüber. Er nimmt die Stiefeln auf.

Julie. Stell' Er die Stiefel fort!

Jean. Nein! Das ist mein Dienst, den ich schuldig bin zu thun. Ich habe es aber niemals übernommen, Ihr Spielkamerad zu sein, und kann es auch niemals werden, denn ich halte mich dafür zu gut.

Julie. Sie sind stolz!

Jean. In gewissen Fällen; in andern nicht.

Julie. Haben Sie jemals geliebt?

Jean. Wir gebrauchen nicht das Wort; aber ich habe viele Mädchen gern gehabt, und einmal bin ich davon krank geworden, daß ich die nicht bekommen konnte, die ich haben wollte; krank, sehen Sie, wie die Prinzen in »Tausend und eine Nacht«, die vor lauter Liebe nicht essen und nicht trinken können. Er stellt die Stiefel wieder hin.

Julie. Wer war es?

Jean schweigt.

Julie. Wer war es?

Jean. Sie können mich nicht zwingen, es zu sagen.

Julie. Wenn ich Sie, wie Ihresgleichen bitte, wie – ein Freund? Wer war es?

Jean. Sie!

Julie setzt sich. Wie komisch!

Jean. Ja, wenn Sie es denn hören wollen! Es war lächerlich! Sehen Sie, das ist die Geschichte, die ich vorhin nicht erzählen wollte; aber jetzt werde ich sie erzählen! Wissen Sie, wie die Welt von unten aussieht? Nein, das wissen Sie nicht! Gleich Habichten und Falken, deren Rücken man selten sehen kann, da sie meist droben schweben. Ich wuchs im Insthause mit sieben Schwestern und – einem Schwein zusammen, draußen auf den nackten, grauen Feldern heran, wo nicht ein Baum wuchs. Aber vom Fenster aus konnte ich die Mauer des gräflichen Parks mit den Äpfelbäumen darüber erblicken. Das war der Garten des Paradieses; und dort standen viele Engel mit flammendem Schwert und bewachten ihn. Aber nichtsdestoweniger fand ich und andere Jungen den Weg zum Baume des Lebens – nun, verachten Sie mich?

Julie. Ach! Äpfel stehlen, das thun alle Jungen!

Jean. Das sagen Sie jetzt so, aber Sie verachten mich doch! Na, gleichviel! Einmal kam ich mit meiner Mutter in den Garten hinein, um die Zwiebelbeete von Unkraut zu säubern! Dicht bei der Gartenmauer stand ein türkischer Pavillon im Schatten von Jasminen und umrankt von Kaprifolien. Ich wußte nicht, wozu es diente, aber ich hatte noch niemals ein so schönes Gebäude gesehen. Leute gingen dort aus und ein, und eines Tages stand die Thür offen. Ich schlich dorthin und sah die Wände mit Bildern von Königen und Kaisern bedeckt, und vor den Fenstern waren rote Gardinen mit Franzen daran – nun wissen Sie, was ich meine. Ich – er nimmt einen Fliederzweig und hält ihn dem Fräulein unter die Nase – ich war niemals im Schlosse gewesen, hatte niemals etwas anderes, als die Kirche gesehen – aber dies hier war viel schöner; und wo meine Gedanken auch hineilten, immer kehrten sie dorthin zurück. Und dann allmählich erhob sich in mir die Sehnsucht, einmal die ganze Herrlichkeit kennen zu lernen – enfin, ich schlich mich hinein, sah und bewunderte. Aber dann kam jemand! Für die Herrschaft gab es zwar nur einen Ausgang, aber ich fand noch einen andern, und ich hatte weiter keine Wahl!

Julie welche den Fliederzweig genommen hatte, läßt ihn auf den Tisch fallen.

Jean. So sprang ich denn und stürzte durch eine Himbeerhecke, rutschte über ein Gartenbeet hinweg und kam auf die Rosenterrasse. Dort erblickte ich ein helles Kleid und ein paar weiße Strümpfe – das waren Sie. Ich legte mich unter einen Haufen Unkraut, – darunter, können Sie sich das denken? – unter Disteln, die mich stachen, und nasse Erde, welche stank. Und ich schaute nach Ihnen, während Sie zwischen den Rosen dahinschritten, und ich dachte: wenn es wahr ist, daß ein Mörder ins Himmelreich kommen kann und bei den Engeln bleiben, so ist es sonderbar, daß ein Kätnersjunge hier auf Gottes Erde nicht soll in einen Schloßpark kommen und mit des Grafen Tochter spielen können.

Julie elegisch. Glauben Sie, daß alle armen Kinder in diesem Fall denselben Gedanken gehabt hätten.

Jean erst zögernd, dann in überzeugtem Ton. Ob alle armen – ja – natürlich! Ganz gewiß!

Julie. Es muß ein grenzenloses Unglück sein, arm zu sein.

Jean mit tiefem Schmerz, stark auftragend. Ach, Fräulein Julie! Ach! Ein Hund kann auf dem gräflichen Sofa liegen, ein Pferd kann von einer Damenhand auf die Schnauze geklopft werden, aber ein Junge – in verändertem Ton. Ja, ja, bei einem Einzelnen ist wohl genug Stoff vorhanden, um in der Welt emporzukommen, aber wie oft ist das der Fall! Indessen wissen Sie, was ich that? Ich sprang in Kleidern in den Mühlbach hinunter; wurde aber herausgezogen und bekam Prügel. Am nächsten Sonntag aber, als Vater und Alle im Hause zu Großmutter fuhren, wußte ich es so einzurichten, daß ich zu Hause blieb. Und dann wusch ich mich mit Seife und warmem Wasser, legte meine besten Kleider an und ging zur Kirche, wo ich Sie zu sehen bekommen konnte! Ich sah Sie und ging nach Hause, entschlossen zu sterben; aber ich wollte schön und angenehm sterben, ohne Schmerzen. Und da besann ich mich, daß es gefährlich wäre, unter einem Fliederbusch zu schlafen. Wir hatten einen solchen, welcher gerade in Blüte stand. Ich pflückte alle Blüten ab, die er besaß, und bettete mich dann im Haferkasten. Haben Sie bemerkt, wie glatt der Hafer ist? weich für die Hand, wie Menschenhaut. Dann schloß ich den Deckel, druselte ein, schlief schließlich ganz fest und erwachte wirklich sehr krank. Aber ich starb doch nicht, wie Sie sehen. Was ich wollte – ich weiß es nicht! Sie zu gewinnen, war ja keine Möglichkeit vorhanden – aber Sie waren für mich ein Beweis dafür, wie hoffnungslos es für mich sei, aus dem Kreise emporzukommen, in dem ich geboren.

Julie. Sie erzählen scharmant, wissen Sie! Sind Sie in die Schule gegangen?

Jean. Ein wenig; aber ich habe viel Romane gelesen und bin viel im Theater gewesen. Außerdem habe ich feine Leute reden hören, und von ihnen habe ich am meisten gelernt.

Julie. Horchen Sie denn auf das, was wir sagen?

Jean. Ja, gewiß! Und ich habe vieles gehört, wenn ich auf dem Kutscherbock gesessen oder das Boot gerudert habe. Einmal hörte ich Fräulein Julie und eine Freundin –

Julie. So? Was hörten Sie denn?

Jean. Ja, das kann ich nun nicht so sagen; aber ich war wahrlich ein wenig erstaunt und verstand nicht, woher Sie all' die Worte gelernt haben. Vielleicht ist im Grunde genommen kein so großer Unterschied zwischen Menschen und Menschen, wie man glaubt!

Julie. Ach, schämen Sie sich! Wir leben doch nicht, wie ihr, wenn wir einen Liebsten haben.

Jean fixiert sie. Ist das so sicher? Ja, meinetwegen brauchen sich das Fräulein nicht so unschuldig anzustellen –

Julie. Es war ein Schuft, dem ich meine Liebe schenkte.

Jean. Das sagen die Mädchen immer – hinterher.

Julie. Immer?

Jean. Ich glaube immer, da ich den Ausdruck schon mehrmals früher in solchen Fällen gehört habe.

Julie. Was für Fälle?

Jean. Wie der eben erwähnte. Das letzte Mal –

Julie. Still, ich will nichts mehr hören –

Jean. Das wollte sie auch nicht – es ist merkwürdig. Na, dann bitte ich zu Bett gehen zu dürfen.

Julie scharf. In der Johannisnacht schlafen gehen.

Jean. Ja! mit dem Pack da draußen zu tanzen, das amüsiert mich wirklich nicht.

Julie. Nehmen Sie den Schlüssel zum Boot und rudern Sie mich auf den See hinaus; ich will den Sonnenaufgang sehen.

Jean. Ist das vernünftig?

Julie. Es hat den Anschein, als wären Sie um Ihren Ruf besorgt!

Jean. Warum nicht? Ich möchte nicht gern lächerlich werden, ich möchte nicht gern ohne Empfehlung fortgejagt sein, wenn ich mich etablieren will. Und mir scheint, ich habe gewisse Verpflichtungen gegen Christine.

Julie. Ja so, nun ist es wieder Christine –

Jean. Ja, aber auch Ihretwegen. Hören Sie meinen Rat und gehen Sie hinauf und legen Sie sich zu Bett.

Julie. Soll ich Ihnen etwa gehorchen?

Jean. Dieses eine Mal, um Ihrer selbst willen! Ich bitte Sie! Es ist spät in der Nacht, der Schlaf macht trunken, und der Kopf wird heiß! Gehen Sie zur Ruhe! Übrigens – wenn ich recht höre – kommen die Leute hierher, um mich zu suchen! Und findet man uns hier, so sind Sie verloren!

Chor der von fern hörbar ist und sich nähert.

Sie gefällt mir aus der Maßen,
Das schöne Fräuelein,
Ich kann's nicht unterlassen,
Ich muß ihr Diener sein,
Denn sie erfreut mein Herz!
Tiritidi–ralla, Tiritidi–ra!

Und nun ist mir gelungen,
Wonach ich hab' getracht.
All' Freier sind verdrungen,
Hab' sie in Lieb gebracht,
Das schöne Fräuelein
Tiritidi–ralla–la–la!

Julie. Ich kenne unsere Leute und ich liebe sie, gleich wie sie mich gern haben. Laß sie nur kommen, dann werden Sie sehen!

Jean. Nein, Fräulein Julie, die Leute lieben Sie nicht. Sie essen Ihr Brot, aber sie verspotten Sie hinterher. Glauben Sie mir! Hören Sie, hören Sie nur, was sie singen! – Oder nein, hören Sie lieber nicht hin!

Julie lauscht. Was singen sie?

Jean. Es ist ein Spottgedicht! Von Ihnen und von mir!

Julie. Abscheulich! O pfui! Und so hinterlistig –

Jean. Das Pack ist immer feig! Und in dem Kampfe kann man nichts thun, als fliehen!

Julie. Fliehen? Aber wohin? Hinaus können wir nicht. Und zu Christine hineingehen können wir auch nicht!

Jean. Also denn in mein Zimmer hinein! Not hat kein Gebot; und mir können Sie trauen, denn ich bin Ihr wirklicher, aufrichtiger und ehrfurchtsvoller Freund!

Julie. Aber bedenken Sie! – Wenn man Sie nun dort sucht?

Jean. Ich verriegle die Thür, und will man hineinbrechen, so schieße ich! – Kommen Sie! Knieend. Kommen Sie!

Julie bedeutungsvoll. Geloben Sie mir –

Jean. Ich schwöre!

Julie eilig links ab.

Jean folgt ihr erregt.

Stumme Scene.

Brautleute in Feiertagskleidung, mit Blumen an den Hüten, ein Violinspieler an der Spitze, kommen durch die Glasthüre. Ein Faß Dünnbier und ein Fäßchen Branntwein, mit Laub umwunden, werden auf den Tisch rechts gelegt; man nimmt Gläser hervor. Alsdann wird getrunken. Dann wird ein Ring gebildet und das Tanzspiel gesungen und getanzt. Hiernach ziehen sie wieder singend durch die Glasthür ab.

Julie kommt von links allein zurück, sieht die Unordnung in der Küche und schlägt die Hände zusammen; dann nimmt sie eine Puderquaste vor und pudert ihr Gesicht.

Jean kommt dem Fräulein von links nach, exaltiert. Da sehen Sie! Sie haben nun selbst gehört! Halten Sie es für möglich, hier zu bleiben?

Julie. Nein! Das thue ich nicht mehr! Aber was sollen wir denn machen?

Jean. Fliehen, reisen, weit von hier fort!

Julie. Reisen? Ja, aber wohin?

Jean. Nach der Schweiz, nach den italienischen Seen; dort sind Sie noch niemals gewesen?

Julie. Nein! Ist es schön dort?

Jean. O ein ewiger Sommer, Orangen, Lorbeeren! Ach!

Julie. Aber was sollen wir dort denn nachher anfangen?

Jean. Dort errichten wir ein Hotel ersten Ranges mit Gästen ersten Ranges.

Julie. Ein Hotel?

Jean. Das ist ein Leben, können Sie mir glauben; unaufhörlich neue Ansichten, neue Sprachen; nicht eine Minute Zeit zum Grübeln oder Träumen; kein Suchen nach Beschäftigung, denn die Arbeit kommt von selbst: Tag und Nacht schellt die Glocke, pfeift der Zug, kommt und geht der Omnibus, während die Goldstücke im Kontor rollen! Das ist ein Leben!

Julie. Ja, das heißt leben! Und ich?

Jean. Die Herrin des Hauses; die Zierde der Firma. Mit Ihrem Aussehen – und Ihrem Benehmen – o – der Erfolg ist sicher! Kolossal! Sie sitzen wie eine Königin im Kontor und setzen die Sklaven in Bewegung mit einem Druck auf die elektrische Glocke; die Gäste defilieren an Ihrem Thron vorbei und legen demütig ihre Schätze auf Ihren Tisch. Sie können sich gar nicht denken, wie die Menschen zittern, wenn sie eine Rechnung in die Hand bekommen – ich werde die Noten pfeffern, und Sie müssen sie mit Ihrem süßesten Lächeln bezuckern. Ach! Lassen Sie uns von hier fort reisen! Er nimmt einen Fahrplan aus der Tasche. Gleich mit dem nächsten Zug! wir sind um sechs Uhr dreißig in Malmö, in Hamburg um acht Uhr vierzig morgen früh; Frankfurt – Basel ein Tag, und in Como, mit der Gotthardtbahn in – sehen wir – drei Tagen. Nur drei Tage!

Julie. Das ist alles sehr schön! Aber Jean – du mußt mir Mut geben! Sage mir, daß du mich liebst! Komm und umarme mich!

Jean zögernd. Ich möchte – aber ich wage es nicht. Nicht hier im Hause. Ich liebe Sie – zweifellos – können Sie überhaupt daran zweifeln?

Julie mit echt weiblicher Scham. Sie! Sage du! Zwischen uns giebt es keine Schranken mehr! Sage du!

Jean in gequältem Ton. Ich kann nicht! Noch giebt es Schranken zwischen uns, solange wir in diesem Hause weilen – da ist die Vergangenheit – da ist der Herr Graf; ich bin niemals mit einem Menschen zusammengetroffen, vor dem ich soviel Respekt hatte – ich brauche nur seine Handschuhe auf einem Stuhl liegen zu sehen, dann komme ich mir gleich ganz klein vor – ich brauche nur die Glocke da oben zu hören, dann fahre ich zusammen, wie ein scheues Pferd – und wenn ich nun seine Stiefel da stehen sehe, so stolz und gerade, dann packt es mich im Rücken! Er stößt die Stiefel mit dem Fuß weiter. Aberglaube, Vorurteil, das man uns von Kindheit an eingepfropft hat, das man aber niemals loswerden kann. Kommen Sie nur in ein anderes Land, in eine Republik, und man soll auf den Knieen liegen vor der Livree meines Portiers – auf den Knieen soll man liegen, Sie werden sehen! aber nicht ich! Ich bin nicht dazu geboren, auf den Knieen zu liegen, denn es ist Stoff in mir, Charakter, und habe ich nur erst den ersten Zweig erreicht, dann sollen Sie mich klettern sehen! Ich bin heute Bedienter, aber nächstes Jahr bin ich Proprietär, in zehn Jahren Rentier, und dann reise ich nach Rumänien und lasse mich dekorieren, und kann – merken Sie wohl, ich sage kann – als Graf enden.

Julie. Gut, gut.

Jean. Ah, in Rumänien kauft man sich den Grafentitel, und dann werden Sie doch eine Gräfin! Meine Gräfin!

Julie. Was mache ich mir aus all' dem, was ich nun von mir werfe! Sage, daß du mich liebst, sonst – ja, was bin ich sonst?

Jean. Ich werde es sagen, tausendmal – später! Nur nicht hier! Und vor allem keine Empfindsamkeit, wenn nicht alles verloren sein soll! Wir müssen die Sache ruhig auffassen, als kluge Menschen. Er nimmt eine Cigarre vor, schneidet die Spitze ab und zündet sie an. Setzen Sie sich nun da hin. Dann setze ich mich hierher, und dann plaudern wir, als wenn nichts geschehen wäre.

Julie. O mein Gott! Haben Sie denn kein Gefühl?

Jean. Ich! Es giebt keinen gefühlvolleren Menschen, wie mich; aber ich kann mich beherrschen.

Julie. Vor kurzem konnten Sie meinen Schuh küssen – und nun?

Jean hart. Ja, vorher! Nun haben wir an anderes zu denken.

Julie. Sprechen Sie nicht hart zu mir!

Jean. Nein, aber klug! Eine Thorheit ist begangen, begehen wir nicht mehrere! Der Graf kann jeden Augenblick hier sein, und unser Schicksal muß vorher entschieden sein. Was halten Sie von meinen Plänen für die Zukunft? Sagen sie Ihnen zu?

Julie. Sie scheinen mir ganz annehmbar, aber eine Frage: zu einem so großen Unternehmen gehört ein großes Kapital; haben Sie das?

Jean raucht. Ich! Ja gewiß! Ich habe meine Fachkenntnisse, meine seltene Erfahrung, meine Sprachkenntnisse! Das ist ein Kapital, welches etwas wert ist, scheint mir!

Julie. Aber dafür können wir nicht einmal ein Eisenbahnbillet kaufen.

Jean. Das ist wohl wahr; aber deshalb suche ich einen Menschen, der die Fonds vorstrecken kann.

Julie. Wo finden Sie den in der Eile?

Jean. Den werden Sie finden, wenn Sie mein Compagnon werden.

Julie. Das kann ich nicht, und ich selbst besitze nichts.

Pause.

Jean. Dann fällt die ganze Sache in sich zusammen –

Julie. Und –?

Jean. Es bleibt, wie es ist!

Julie. Glauben Sie, ich weile unter diesem Dache noch länger als Ihre Maitresse? Glauben Sie, ich will die Leute mit Fingern auf mich zeigen lassen; denken Sie, ich kann hiernach meinem Vater ins Gesicht sehen? Nein! Führen Sie mich fort von hier, von Erniedrigung und Entehrung! O mein Gott, was habe ich gethan! O mein Gott, mein Gott! Sie weint.

Jean. Aha, nun fängt es auf die Art an! – Was Sie gethan haben? Dasselbe, wie tausend andere vor Ihnen!

Julie schreit wie in einem Krampfanfall. Und nun verachten Sie mich! Ich falle, ich falle!

Jean. Fallen Sie nieder zu mir, dann werde ich Sie später emporheben.

Julie. Welche entsetzliche Macht zog mich zu Ihnen herab? Die, welche den Schwachen zum Starken hinzieht? Den Fallenden zum Steigenden? Oder war es Liebe? Liebe – dieses? Wissen Sie, was Liebe ist?

Jean. Ich? Ja, das sollte ich meinen? Glauben Sie, ich hätte sie nicht schon früher empfunden?

Julie. Welche Sprache Sie reden! Und welche Gedanken Sie denken!

Jean. So habe ich es gelernt; und so bin ich! Seien Sie nun nicht nervös und spielen Sie nicht die feine Dame, wir haben uns eine Suppe eingebrockt, die wir ausessen müssen! – Na sieh, mein Mädel, komm, ich will dir ein Glas extra geben. Er öffnet die Tischschublade, nimmt die Weinflasche heraus und füllt zwei der gebrauchten Gläser.

Julie. Von wo haben Sie den Wein her?

Jean. Aus dem Keller!

Julie. Meines Vaters Burgunder!

Jean. Ist er vielleicht zu gut für den Schwiegersohn?

Julie. Und ich trinke Bier!

Jean. Das beweist nur, daß Sie einen schlechteren Geschmack haben, als ich.

Julie. Dieb!

Jean. Wollen Sie etwa ausplaudern?

Julie. O, o! Die Mitschuldige eines Hausdiebes! Bin ich heute Nacht betrunken gewesen und habe im Traum gehandelt? Johannisnacht? Das Fest unschuldiger Freuden –

Jean. Unschuldiger – hm!

Julie geht auf und ab. Giebt es in diesem Augenblick einen Menschen auf Erden, der so unglücklich ist, wie ich?

Jean. Warum sind Sie es? Nach einer solchen Eroberung! Denken Sie an Christine dort drinnen! Glauben Sie, daß sie nicht auch Gefühl hat?

Julie. Ich glaubte es früher, aber jetzt glaube ich es nicht mehr. Nein, Knecht ist Knecht –

Jean. Und Dirne ist Dirne!

Julie auf den Knieen, mit gefalteten Händen. O Gott im Himmel, nimm mein erbärmliches Leben von mir! Nimm mich von diesem Schmutz, in dem ich versinke! Rette mich! Rette mich!

Jean. Ich kann nicht leugnen, daß Sie mir leid thun! Damals, als ich im Zwiebelbeet lag und Sie im Rosengarten sah, da – nun werde ich es Ihnen sagen – da hatte ich dieselben schmutzigen Gedanken, wie alle Jungen.

Julie. Und doch wollten Sie für mich sterben!

Jean. Im Haferkasten? Das war nur leeres Geschwätz.

Julie. Also Lüge?

Jean beginnt schläfrig zu werden. Nahezu! Die Geschichte habe ich einmal in einer Zeitung gelesen, von einem Schornsteinfeger, der sich in einen Kasten mit Flieder legte, weil er zum Alimentationsbeitrag verurteilt wurde.

Julie. Ja, also so sind Sie –

Jean. Was sollte ich sonst erfinden; man muß die Frauenzimmer ja immer mit Schmeicheleien fangen!

Julie. Schuft!

Jean. Dirne!

Julie. Und ich sollte der erste Zweig werden –

Jean. Aber der Zweig war morsch.

Julie. Ich sollte das Aushängeschild des Hotels werden –

Jean. Und ich das Hotel.

Julie. In Ihrem Kontor sitzen, Ihre Kunden anlocken, Ihre Rechnungen fälschen –

Jean. Das würde ich selbst besorgen –

Julie. Daß eine Menschenseele so durch und durch schmutzig sein kann!

Jean. Waschen Sie sie doch rein!

Julie. Lakai! Domestik! Steh auf, wenn ich rede!

Jean. Domestikendirne halte den Mund und geh von hier fort. Willst du herkommen und mir vorwerfen, ich sei roh? So gemein, wie du dich heute Abend aufgeführt hast, hat sich niemals einer meinesgleichen benommen. Glaubst du, ein einfaches Mädchen berührt Männer so, wie du? Hast du je ein Mädchen meines Standes sich so anbieten gesehen?

Julie zerknirscht. So ist's recht; schlage mich; trete mich nieder; ich habe es nicht besser verdient! Ich bin eine Elende; aber hilf mir! Hilf mir weiter, wenn eine Möglichkeit vorhanden ist!

Jean sanfter. Ich will nicht auf meinen Anteil an der Ehre, Sie verführt zu haben, verzichten; aber glauben Sie, daß eine Person in meiner Stellung gewagt haben würde, die Augen zu Ihnen zu erheben, wenn Sie nicht selbst dazu aufgefordert hätten! Ich bin noch ganz verblüfft –

Julie. Und stolz –

Jean. Warum nicht? Obschon ich bekennen muß, daß der Sieg mir zu leicht war, um eigentlich einen Rausch geben zu können.

Julie. Schlagen Sie mich nur noch mehr!

Jean steht auf. Nein, verzeihen Sie mir lieber das, was ich schon gesagt habe! Ich schlage keinen Wehrlosen und am wenigsten ein Frauenzimmer. Ich kann nicht leugnen, daß es mich einerseits freut, gesehen zu haben, daß es nur Katzengold war, was uns dort unten blendete; gesehen zu haben, daß der Rücken des Habichts auch nur grau ist, daß auf der zarten Wange Puder war, und daß die geschliffenen Nägel schwarze Ränder haben können, daß das Taschentuch schmutzig war, wenn es auch nach Parfüm duftete –! Aber es peinigt mich andererseits, gesehen zu haben, daß das, wonach ich strebte, nichts Höheres, Solideres war; es peinigt mich, Sie so tief gesunken zu sehen, daß Sie weit unter Ihrer Köchin stehen: es peinigt mich zu sehen, wie die Herbstblumen von dem Regen zerschlagen und in Schmutz verwandelt werden.

Julie. Sie reden, als wenn Sie bereits über mir ständen.

Jean. Das thue ich auch: Sehen Sie, ich könnte Sie in eine Gräfin verwandeln, aber Sie können mich niemals zum Grafen machen.

Julie. Aber ich bin von einem Grafen gezeugt, und das können Sie niemals werden.

Jean. Das ist wahr: aber ich könnte selbst Grafen erzeugen, wenn –

Julie. Aber Sie sind ein Dieb, und das bin ich nicht.

Jean. Dieb ist nicht das Schlimmste! Es giebt schlimmere Dinge. Und übrigens: wenn ich in einem Hause diene, betrachte ich mich gewissermaßen als Mitglied der Familie, als Kind des Hauses, und man sieht es nicht für Diebstahl an, wenn das Kind eine Beere von einem vollen Strauch pflückt. Seine Leidenschaft erwacht wieder von neuem. Fräulein Julie, Sie sind ein herrliches Weib, allzu gut für einen Menschen wie mich! Sie sind die Beute eines Rausches gewesen, und Sie wollen den Fehler dadurch verdecken, daß Sie sich einbilden, Sie lieben mich! Das thun Sie aber nicht, es sei denn, daß Sie vielleicht nur mein Äußeres verlockt – und dann ist Ihre Liebe nicht besser, als die meinige; aber ich kann mich niemals damit begnügen, für Sie ein bloßes Tier zu sein, und Ihre Liebe kann ich nicht erringen.

Julie. Sind Sie dessen so sicher?

Jean. Sie meinen, es könnte geschehen! Ich könnte Sie lieben, ja, zweifellos: Sie sind schön, Sie sind fein, er nähert sich ihr und faßt ihre Hand gebildet, liebenswürdig, wenn Sie wollen, und wenn Sie die Begier eines Mannes erregt haben, erlischt dieselbe wahrscheinlich niemals. Er umfaßt sie. Sie sind wie glühender Wein mit starken Kräutern, und ein Kuß von Ihnen – er versucht sie nach links hinauszuführen; aber sie ringt sich los.

Julie. Lassen Sie mich los! So gewinnen Sie mich nicht!

Jean. Wie denn? – Nicht so! Nicht mit Liebkosungen und schönen Worten; nicht mit Umsicht für die Zukunft, Rettung vor Schande! Wie denn?

Julie. Wie? Wie? Ich weiß nicht! Überhaupt nicht. Ich verabscheue Sie, wie die Ratten, aber ich kann nicht ohne Sie sein.

Jean. Fliehen Sie mit mir!

Julie macht sich an ihrem Anzug zu schaffen. Fliehen? Ja gewiß werden wir fliehen! Aber ich bin so müde! Geben Sie mir ein Glas Wein.

Jean gießt ein.

Julie sieht nach der Uhr. Aber erst müssen wir reden; wir haben noch ein wenig Zeit übrig. Sie trinkt das Glas aus und reicht es nach mehr dar.

Jean. Trinken Sie nicht so unmäßig, Sie werden berauscht.

Julie. Was thut es?

Jean. Was es thut? Es ist gemein, sich zu betrinken. Was wollen Sie mir also sagen?

Julie. Wir werden fliehen! Aber erst wollen wir reden; daß heißt, ich werde reden, denn bisher haben Sie nur allein gesprochen. Sie haben Ihr Leben erzählt, nun will ich das meinige erzählen, dann kennen wir einander gründlich, bevor wir die gemeinschaftliche Wanderung antreten.

Jean. Einen Augenblick! Verzeihen Sie! Denken Sie nach, ob Sie es nicht hernach bereuen werden, wenn Sie mir die Geheimnisse Ihres Lebens preisgegeben haben!

Julie. Sind Sie nicht mein Freund?

Jean. Ja, bisweilen! Aber trauen Sie mir nicht!

Julie. Das sagen Sie nur so. Und übrigens: meine Geheimnisse kennt jedermann. Sehen Sie, meine Mutter war nicht von adliger, sondern von ganz einfacher Herkunft. Sie war in den Lehren ihrer Zeit von Gleichheit und Freiheit des Weibes und all' dem erzogen; und sie hatte eine entschiedene Abneigung gegen die Ehe. Als daher mein Vater um sie freite, antwortete sie, sie würde niemals seine Gattin werden wollen, aber – dann wurde sie es doch. Ich kam zur Welt – gegen den Wunsch meiner Mutter, soweit ich verstehen konnte. Nun sollte ich von meiner Mutter zu einem Naturkind erzogen werden und zudem sollte ich alles lernen dürfen, was ein Junge zu lernen bekommt, damit ich ein Beispiel liefern könnte dafür, daß das Weib ebenso gut wäre, wie der Mann. Ich durfte in Jungenkleidern gehen, lernte Pferde warten; durfte aber nicht in die Meierei gehen; ich mußte Pferde striegeln und anschirren und auf die Jagd gehen, ja ab und zu durfte ich sogar versuchen, Feldarbeit zu erlernen. Und auf dem Hofe wurde den Männern Weiberarbeit, und den Weibern Männerarbeit übertragen – mit dem Erfolg, daß das Besitztum anfing herunterzukommen, und wir zum Gelächter der ganzen Gegend wurden. Schließlich muß mein Vater aus seiner Verzauberung erwacht sein und revoltiert haben, denn es wurde alles nach seinen Wünschen umgeändert. Meine Mutter wurde krank – was für eine Krankheit weiß ich nicht – aber sie litt oft an Krämpfen, versteckte sich auf dem Boden und im Garten und blieb die ganze Nacht im Freien. Dann kam die große Feuersbrunst, von der Sie wohl reden gehört haben. Haus, Wirtschaftsgebäude und Ställe brannten ab und zwar unter Umständen, die eine Brandstiftung vermuten ließen, denn das Unglück geschah am Tage nach dem Ablauf des Versicherungsquartals, und die Prämie, die mein Vater einsandte, wurde durch die Nachlässigkeit des Boten aufgehalten, sodaß sie nicht zur Zeit hingelangte. Sie füllt das Glas und trinkt.

Jean. Trinken Sie nicht mehr!

Julie. Ach, was macht das! Wir waren obdachlos und mußten im Wagen schlafen. Mein Vater wußte nicht, wo er zum Wiederaufbau des Hauses Geld hernehmen sollte. Da giebt Mutter ihm den Rat, einen ihrer Jugendfreunde, einen Ziegelfabrikanten hier in der Nähe, um ein Darlehn anzugehen. Vater erhielt das Darlehn, sollte aber keine Zinsen bezahlen, was ihn in Erstaunen versetzte. Und dann wurde der Hof aufgebaut! Sie trinkt wieder. Wissen Sie, wer den Hof angesteckt hatte?

Jean. Ihre Frau Mutter.

Julie. Wissen Sie, was der Ziegelfabrikant war?

Jean. Der Liebhaber Ihrer Mutter.

Julie. Wissen Sie, wem das Geld gehörte?

Jean. Warten Sie ein wenig – nein, das weiß ich nicht.

Julie. Meiner Mutter.

Jean. Dem Grafen also, wenn sie nicht in getrennten Gütern lebten?

Julie. Das thaten sie nicht! Meine Mutter hatte ein kleines Vermögen, welches sie nicht durch meinen Vater verwalten lassen wollte, und darum deponierte sie es bei – dem Freunde.

Jean. Der es unterschlug!

Julie. Ganz richtig! Er behielt es! Dies alles kommt meinem Vater zu Ohren; er konnte aber nicht prozessieren, den Liebhaber seiner Gattin nicht bezahlen, nicht beweisen, daß es das Geld seiner Frau war. Das war die Rache meiner Mutter dafür, daß er die Gewalt im Hause an sich riß. Damals hatte er die Absicht, sich zu erschießen! Es ging das Gerücht, daß er es hätte thun wollen, und daß es mißglückt wäre! Er blieb also am Leben, und meine Mutter mußte ihre Thaten entgelten! Das war eine böse Zeit für mich, können Sie sich denken. Ich sympathisierte mit meinem Vater, aber ich ergriff doch die Partei meiner Mutter, da ich nicht die Verhältnisse kannte. Von ihr hatte ich Mißtrauen und Haß gegen die Männer erlernt – denn sie haßte die Männer, so weit ich gehört habe – und ich schwor ihr, niemals die Sklavin eines Mannes zu werden.

Jean. Und dann verlobten Sie sich mit dem Kronvogt.

Julie. Gerade deshalb, daß er mein Sklave werden sollte.

Jean. Und das wollte er nicht?

Julie. Er wollte wohl, aber es kam nicht dazu! Ich wurde seiner überdrüssig.

Jean. Ich sah es – im Stall.

Julie. Was sahen Sie?

Jean. Ich sah, wie er die Verlobung aufhob.

Julie. Das ist gelogen! Ich war es, die die Verlobung aufhob. Hat er gesagt, daß er es that, der Schuft?

Jean. Er war wohl kein Schuft! Sie hassen die Männer, Fräulein?

Julie. Ja! – Meistens! Aber bisweilen, wenn die Schwachheit kommt – o pfui!

Jean. So hassen Sie auch mich?

Julie. Grenzenlos! Ich könnte Sie töten lassen wie ein Tier –

Jean. Der Übelthäter wird zur Strafarbeit verurteilt, das Tier aber getötet!

Julie. Ganz recht!

Jean. Aber nun ist hier kein Tier – und auch kein Ankläger. Was wollen wir nun thun?

Julie. Reisen!

Jean. Um einander zu Tode zu quälen?

Julie. Nein – um zwei, drei Jahre, oder so lange man kann, zu genießen – und dann zu sterben.

Jean. Sterben? So dumm! Da halte ich es für besser, ein Hotel zu errichten!

Julie ohne auf Jean zu hören. Am Comersee, wo ewig die Sonne scheint, wo die Lorbeerbäume zur Weihnachtszeit grünen und die Orangen glühen.

Jean. Der Comersee ist ein Regenloch, und ich sah dort nirgend Orangen, als bei den Obsthändlern; aber es ist ein guter Fremdenort, denn es giebt dort viele Villen, die an verliebte Paare vermietet werden, und das ist eine sehr einträgliche Industrie, wissen Sie warum? Sie machen Kontrakt auf ein halbes Jahr – und reisen bereits nach drei Wochen.

Julie naiv. Warum nach drei Wochen?

Jean. Sie erzürnen sich natürlich! aber die Miete muß trotzdem bezahlt werden! Und dann vermietet man wieder. Und so geht es einmal nach dem andern, denn Liebe giebt es bis in alle Ewigkeit – wenn sie auch nicht so lange währt.

Julie. Sie wollen nicht mit mir sterben?

Jean. Ich will überhaupt noch nicht sterben! Einmal, weil mir das Leben noch gefällt, und dann, weil ich den Selbstmord für ein Verbrechen gegen die Vorsehung ansehe, die uns das Leben geschenkt hat.

Julie. Sie glauben an Gott – Sie?

Jean. Ja, gewiß thue ich das? Und ich gehe jeden andern Sonntag in die Kirche. Aufrichtig gesprochen, bin ich dessen hier jetzt müde und gehe nun zu Bett.

Julie. Ja so, und Sie glauben, daß ich mir damit genügen lasse? Wissen Sie, was ein Mann einer Frau schuldig ist, die er entehrt hat?

Jean nimmt sein Portemonnaie hervor und wirft eine Silbermünze auf den Tisch. Seien Sie so gut! Ich will nichts schuldig sein!

Julie thut, als wenn sie seinen Schimpf nicht bemerkt. Wissen Sie, was das Gesetz bestimmt?

Jean. Leider kennt das Gesetz keine Strafe für das Weib, das einen Mann verführt.

Julie wie vorher. Sehen Sie einen andern Ausweg als den, daß wir reisen, uns trauen und wieder scheiden lassen?

Jean. Und wenn ich mich weigere, die Mesalliance einzugehen?

Julie. Mesalliance?

Jean. Ja, für mich! Sehen Sie, ich habe feinere Ahnen als Sie, denn ich habe keine Mordbrenner in meinem Geschlecht!

Julie. Können Sie das wissen?

Jean. Sie können jedenfalls nicht das Gegenteil beweisen, denn wir haben keine andern Stammtafeln – als auf der Polizei! Aber von Ihrem Stammbaum habe ich in einem Buch auf dem Salontisch gelesen. Wissen Sie, was Ihr Stammvater war? Ein Müller, bei dessen Frau der König während des dänischen Krieges eine Nacht verbrachte. Solche Ahnen habe ich nicht! Ich habe überhaupt keine Ahnen, aber ich kann selbst einer werden.

Julie. Das habe ich davon, daß ich mein Herz einem Unwürdigen geöffnet, daß ich meine Familienehre preisgegeben habe –

Jean. Familienschande wollen Sie sagen! Ja, sehen Sie, das sagte ich Ihnen ja! man soll nicht trinken, denn dann schwatzt man! Und man soll nicht schwatzen!

Julie. O wie ich es bereue, wie ich es bereue! Und wenn Sie mich wenigstens liebten!

Jean. Zum letztenmal – was wollen Sie? Soll ich weinen, soll ich über die Reitpeitsche springen, soll ich Sie küssen, auf drei Wochen an den Comersee locken, und dann – was soll ich? Was wollen Sie? Es fängt an peinlich zu werden. Aber das kommt davon, wenn man seine Nase in Frauenzimmerangelegenheiten hineinsteckt! Fräulein Julie! Ich sehe, daß Sie unglücklich sind, ich weiß, daß Sie leiden, aber ich kann Sie nicht verstehen. Wir machen nicht solche Geschichten; wir kennen keinen Haß gegeneinander! Wir betreiben die Liebe als Spiel, wenn die Arbeit dazu Zeit läßt; aber wir haben nicht den ganzen Tag und die ganze Nacht dafür zur Verfügung. Ich sehe Ihnen an, Sie sind krank. Sie sind bestimmt krank.

Julie. Sie müssen gut gegen mich sein, und nun reden Sie wie ein Mensch. Helfen Sie mir, helfen Sie mir; sagen Sie mir nur, was ich thun – welchen Weg ich einschlagen soll?

Jean. In Jesu Namen, wenn ich es selbst wüßte.

Julie. Ich bin rasend, ich bin verrückt gewesen, aber soll es denn keine Rettung geben?

Jean. Bleiben Sie und seien Sie ruhig! Niemand weiß etwas.

Julie. Unmöglich! Die Leute wissen es und Christine weiß es.

Jean. Das wissen sie nicht, und sie werden niemals etwas Derartiges glauben.

Julie zaudernd. Aber es kann noch einmal geschehen.

Jean. Das ist wahr.

Julie. Und die Folgen?

Jean erschreckt. Die Folgen! Wo habe ich meinen Kopf gehabt, daran nicht zu denken? Ja, dann giebt es nur eins – fort von hier! Sogleich! Ich begleite Sie nicht, denn dann ist alles verloren, sondern Sie müssen allein reisen – fort – gleichviel wohin.

Julie. Allein? Wohin? Das kann ich nicht.

Jean. Sie müssen! Und zwar bevor der Graf zurück ist. Bleiben Sie, so wissen Sie, was daraus wird! Hat man erst einmal gefehlt, so wird man damit fortfahren, da der Schaden ja bereits geschehen ist. Dann wird man dreister und dreister – schließlich wird man entdeckt. Also reisen Sie! Schreiben Sie später an den Grafen, und bekennen alles, außer daß ich es war! Und das wird er nie erraten! Ich glaube auch nicht, daß ihm daran liegen wird, es zu erfahren!

Julie. Ich werde reisen, wenn Sie mitkommen!

Jean. Sind Sie rasend, Fräulein? Sie wollen mit Ihrem Bedienten durchbrennen? Übermorgen stände es in den Zeitungen, und das überlebte der Graf niemals.

Julie. Ich kann nicht reisen! Ich kann nicht bleiben! Helfen Sie mir! Ich bin so müde, so grenzenlos müde. – Befehlen Sie mir! Bringen Sie wieder Leben in mich hinein, denn ich kann nicht mehr denken und nicht mehr handeln.

Jean. Sehen Sie nun, was für ein elendes Geschöpf Sie sind? Warum blasen Sie sich auf und recken die Nase in die Luft, als wenn Sie der Herr der Schöpfung wären? Na, dann werde ich Ihnen befehlen! Gehen Sie und ziehen Sie sich an; versehen Sie sich mit Reisegeld und kommen Sie dann wieder herunter!

Julie halblaut. Kommen Sie mit hinauf!

Jean. Auf Ihr Zimmer? Nun sind Sie wieder verrückt. Er zögert einen Augenblick. Nein! Gehen Sie! Sofort! Er faßt sie bei der Hand und geleitet sie durch die Glasthür hinaus.

Julie im Abgehen. Sprich doch freundlich mit mir, Jean.

Jean. Ein Befehl klingt immer unfreundlich! Fühlen Sie es nun selbst, fühlen Sie es! Beide ab.

Jean kommt zurück, seufzt erleichtert auf, setzt sich an den Tisch rechts und zieht sein Notizbuch hervor; er rechnet hie und da laut; stummes Mienenspiel. Christine kommt von rechts für den Kirchgang gekleidet, ein weißes Vorhemd und weißes Halstuch in der Hand.

Christine. Herr Jesus, wie sieht es hier aus! Was ist denn hier geschehen?

Jean. Ach, das Fräulein hat die Leute hineingerufen. Hast du denn so fest geschlafen, daß du nichts gehört hast?

Christine. Ich habe wie ein Stein geschlafen!

Jean. Und bereits für die Kirche angezogen?

Christine. Ja! Du hast ja versprochen, mich heute zum Abendmahl zu begleiten!

Jean. Ja, das ist ja wahr! Und da hast du ja auch schon meinen Staat. Na, komm her. Er setzt sich rechts.

Christine giebt ihm das weiße Vorhemd und Halstuch und ist ihm beim Umnehmen behilflich.

Pause.

Jean schläfrig. Was für ein Evangelium ist heute?

Christine. Es handelt wohl von der Köpfung Johannes des Täufers, denke ich mir.

Jean. Das wird wohl schrecklich lange dauern! Au, du kratzt mich! O ich bin so schläfrig, so schläfrig!

Christine. Ja, was hast du denn die ganze Nacht gemacht; du bist ja ganz grün im Gesicht?

Jean. Ich habe hier gesessen und mit Fräulein Julie geplaudert.

Christine. Die weiß doch bei Gott nicht, was sich schickt.

Pause.

Jean. Du, Christine, hör 'n mal!

Christine. Na?

Jean. Es ist doch immerhin sonderbar, wenn man darüber nachdenkt!

Christine. Was ist denn an ihr so sonderbar?

Jean. Alles.

Pause.

Christine erblickt das Glas, welches halb geleert auf dem Tisch steht. Habt ihr auch zusammen getrunken?

Jean. Ja.

Christine. Pfui! Sieh mir in die Augen!

Jean. Ja!

Christine. Ist es möglich? Ist es möglich?

Jean nach kurzem Bedenken. Ja, es ist!

Christine. Gitsch! Das hätte ich doch niemals geglaubt. Nein, pfui! Pfui!

Jean. Du bist doch wohl nicht eifersüchtig auf sie?

Christine. Nein, nicht auf sie! Wenn es Klara oder Sophie gewesen wäre, ja! Das arme Mädchen! Nein, weißt du was, ich will hier nicht länger im Hause bleiben, wenn man vor seiner Herrschaft keinen Respekt mehr haben kann.

Jean. Warum soll man vor ihnen Respekt haben?

Christine. Ja, und das fragst du, der du so schlau bist? Aber willst du denn Leuten dienen, die sich so unanständig aufführen? Was? Man schändet sich selbst dabei, scheint mir.

Jean. Ja, aber es ist doch ein Trost für uns, daß die andern nicht besser sind, als wir.

Christine. Nein, das finde ich nicht, denn wenn sie nicht besser sind, so hat es ja keinen Wert darnach zu streben, wie die besseren Leute zu werden. Und denke an den Grafen! Denke an ihn, der sein Leben lang soviel Kummer gehabt hat! Nein, ich will nicht länger in diesem Hause bleiben! Und mit so einem, wie du! Wenn es noch der Kronvogt gewesen wäre; wenn es ein besserer Mensch gewesen wäre.

Jean. Was soll das heißen?

Christine. Ja, ja! Du bist ja auch ein ganz braver Kerl; aber es ist doch immerhin ein Unterschied zwischen Leuten und Leuten. – Nein, das kann ich niemals vergessen – das Fräulein, das so stolz war, so schroff gegen Männer, so daß man sich gar nicht denken konnte, sie würde sich je einem Manne hingeben – und dann so einem! Sie, die gleich die arme Diana totschießen lassen wollte, weil sie dem Hofhunde nachlief! Na, das muß ich sagen! Aber hier will ich nicht länger bleiben, und zum vierundzwanzigsten Oktober geh ich meines Wegs.

Jean. Und dann?

Christine. Ja, da wir gerade davon reden, es wäre an der Zeit, daß du dich nach etwas anderem umsiehst, da wir uns doch verheiraten wollen.

Jean. Ja, wonach sollte ich mich umsehen? Eine so gute Stelle kann ich nicht bekommen, wenn ich verheiratet bin.

Christine. Selbstverständlich nicht! Und du mußt wohl eine Portierstelle annehmen, oder sehen, als Diener an einem öffentlichen Institut Anstellung zu erhalten. Der Kronenkuchen ist knapp, aber sicher, und dann bekommen dort Frau und Kinder Pension –

Jean mit einer Grimasse. Das ist zwar sehr nett, aber es paßt nicht mit meiner Manier, gleich im Anfang daran zu denken, für Frau und Kind zu sterben. Ich muß gestehen, daß ich wirklich etwas höhere Aussichten hatte.

Christine. Deine Aussichten, ja! Du hast aber auch Verpflichtungen! Denke nur an sie!

Jean. Du sollst mich nicht damit ärgern, daß du von Verpflichtungen redest. Ich weiß wohl, was ich zu thun habe. Er lauscht nach außen. Darüber nachzudenken haben wir indessen noch gute Zeit. Geh nun hinein und mache dich fertig, dann gehen wir zur Kirche.

Christine. Wer wandert dort oben umher?

Jean. Ich weiß nicht, ob es nicht Klara ist.

Christine geht. Das kann doch nicht etwa gar der Graf sein, der nach Hause gekommen ist, ohne daß ihn jemand gehört hat.

Jean ängstlich. Der Graf? Nein, das glaube ich nicht, denn dann hätte er schon geklingelt.

Christine. Ja, weiß der liebe Gott! Niemals habe ich so etwas erlebt! Ab nach rechts.

Die Sonne ist inzwischen aufgegangen und beleuchtet draußen allmählich die Baumwipfel des Parks; der Schein rückt nach und nach tiefer, bis er schräg in die Fenster hineinfällt.

Jean geht zur Glasthür und macht ein Zeichen.

Julie kommt im Reiseanzug und mit einem kleinen Vogelbauer, das mit einem Handtuch bedeckt ist und stellt es auf einen Stuhl. Nun bin ich fertig.

Jean. Still! Christine ist wach!

Julie äußerst erregt während der folgenden Scene. Ahnte sie etwas?

Jean. Sie weiß nichts! Aber, mein Gott, wie sehen Sie aus?

Julie. Wie? Wie ich aussehe?

Jean. Sie sind blaß, wie eine Leiche und – verzeihen Sie, aber Sie sind schmutzig im Gesicht.

Julie. So geben Sie mir Waschwasser! – So! Sie geht zum Waschtisch und wäscht sich Gesicht und Hände. Geben Sie mir ein Handtuch! Ach – die Sonne ist aufgegangen!

Jean. Und dann flüchtet der Zauberkobold.

Julie. Ja, heute Nacht ist wirklich ein Kobold in Thätigkeit gewesen! Aber Jean, höre mich! Komme mit mir, denn nun habe ich die Mittel.

Jean zögernd. Genügend?

Julie. Genug für den Anfang! Komm mit mir, denn ich kann heute nicht allein reisen. Denke, am Johannistage, in einem schwülen Zug, in eine Masse von Leuten hineingepfropft, die einen anglotzen; auf den Stationen warten, wenn man fliegen möchte. Nein, ich kann nicht, ich kann nicht! und dann kommen die Erinnerungen, die Kindheitserinnerungen an die Johannistage mit der laubgeschmückten Kirche – Birkenlaub und Flieder; das Mittagsmahl mit prachtvoll gedecktem Tisch, die Verwandten und Freunde; der Nachmittag im Park, Tanz, Musik, Blumen und Spiele. Ach, man flieht und flieht; aber im Gepäckwagen folgen die Erinnerungen, die Reue und die Gewissensqualen nach!

Jean. Ich werde Sie begleiten! Aber dann fort, ehe es zu spät ist. Jetzt auf der Stelle!

Julie. So machen Sie sich fertig! Sie nimmt das Vogelbauer.

Jean. Aber keine Bagage! Dann sind wir verloren.

Julie. Nein, nichts! Nur was man ins Coupé mitnehmen kann.

Jean hat einen Hut genommen. Was haben Sie denn da? Was ist das?

Julie. Das ist nur mein kleiner Zeisig! Den will ich nicht zurücklassen!

Jean. Nanu? Sollen wir nun auch noch das Vogelbauer mitnehmen! Sie sind rein verrückt! Lassen Sie den Vogel da!

Julie. Das Einzige, was ich von Hause mitnehme; das einzige lebende Wesen, das mich gern hat, seitdem mir Diana untreu geworden ist! Sei nicht grausam! Laß mich ihn mitnehmen!

Jean. Lassen Sie ihn da, sage ich – und reden Sie nicht so laut. Christine kann uns hören!

Julie. Nein, ich lasse ihn nicht in fremden Händen zurück! Töte ihn dann lieber!

Jean. So geben Sie das kleine Ding denn her, ich werde ihm den Hals umdrehen!

Julie. Ja, aber ihm nicht wehe thun! Nicht – nein, ich kann es nicht!

Jean. Her damit, ich kann's!

Julie nimmt den Vogel aus dem Bauer und küßt ihn. O mein Sennchen, sollst du durch deine eigne Herrin sterben?

Jean. Seien Sie so gut und machen Sie jetzt keine Scenen; es gilt ja Ihr Leben, Ihre Wohlfahrt! So, schnell!

Er reißt ihr den Vogel aus der Hand, trägt ihn zum Hackblock und nimmt das Küchenmesser.

Julie wendet sich ab.

Jean. Sie hätten Hühnchen schlachten lernen sollen, statt mit dem Revolver zu schießen, haut zu dann würden Sie nicht vor einem Blutstropfen ohnmächtig werden.

Julie schreit. Töte auch mich! Töte mich! Wenn du ein unschuldiges Tier schlachten kannst, ohne daß dir die Hand bebt! O ich hasse und verabscheue dich. Zwischen uns steht Blut. Ich fluche der Stunde, da ich dich sah, ich fluche der Stunde, da ich geboren wurde!

Jean. Ja, was hilft es, daß Sie fluchen! Gehen wir!

Julie nähert sich dem Hackblock, gleichsam gegen ihren Willen hingezogen. Nein, ich will noch nicht gehen; ich kann nicht – ich muß sehen – still! draußen fährt ein Wagen. Sie lauscht, während sie die Augen starr auf den Hackblock und das Messer geheftet hält. Glaubst du, ich kann kein Blut sehen? Glaubst du, ich bin so schwach – o – ich möchte dein Blut sehen und dein Hirn auf dem Holzblock. Ich möchte dein ganzes Geschlecht in einem See, wie der da, schwimmen sehen. Ich glaube, ich könnte aus deiner Hirnschale trinken, ich könnte meine Füße in deinem Brustkorb baden und dein Herz gebraten essen! Du glaubst, ich bin schwach; du glaubst, ich liebe dich; du glaubst, ich will deine Brut unter meinem Herzen tragen und mit meinem Blute nähren – dein Kind gebären und deinen Namen annehmen! Höre du, wie heißest du? Ich habe niemals deinen Zunamen gehört – du hast wohl gar keinen, glaube ich. Ich wollte Frau »Hofwächter«, oder »Madame Kehrichtfeger« werden – du Hund, der mein Halsband, du Knecht, der mein Wappen auf den Knöpfen trägt – ich sollte mit meiner Köchin teilen, mit meiner Dienstmagd rivalisieren. O! o! o! Du glaubst, ich sei feig und wollte flüchten! Nein, nun bleibe ich – und dann möge das Unwetter heraufziehen! Mein Vater kommt heim – er findet seinen Sekretär erbrochen, sein Geld gestohlen! Dann klingelt er – mit der Glocke – zweimal nach dem Bedienten – und dann schickt er nach dem Schulzen – und dann werde ich alles erzählen. Alles! O es ist schön, ein Ende damit zu machen – wenn es nur ein Ende nehmen wollte! – Und dann bekommt er den Schlagfluß und stirbt. – – Und dann hat die ganze Geschichte ein Ende – und es tritt Frieden und Ruhe ein! – Ewige Ruhe! – – Und dann wird das Wappen über dem Sarge zerbrochen – das Grafengeschlecht ist ausgestorben – und der Dienersprößling wächst in einem Waisenhaus heran – gewinnt seine Lorbeeren im Rinnstein und endet in einem Gefängnis!

Christine zum Kirchgang gekleidet, das Gesangbuch in der Hand, kommt von rechts.

Julie eilt auf sie zu und fällt ihr in die Arme, als wollte sie Schutz bei ihr suchen. Hilf mir Christine! Hilf mir gegen diesen Mann!

Christine unbeweglich und kalt. Was ist denn das nun für Spektakel am Feiertagsmorgen. Sie sieht nach dem Hackblock. Und was für Schmutzerei Sie hier gemacht haben! – Was soll das alles bedeuten? Und wie Sie schreien und skandalieren!

Julie. Christine! Du bist ein Weib und meine Freundin! Hüte dich vor diesem Schuft!

Jean ein wenig scheu und verlegen. Wenn die Damen räsonnieren, gehe ich hinaus und rasiere mich. Er schleicht sich nach rechts hinweg.

Julie. Du wirst mich verstehen; und du sollst mich anhören!

Christine. Nein, ich verstehe mich wirklich nicht auf solche Wippchen! Wo wollen Sie denn in Ihrem Reiseanzug hin? – Und er hat auch den Hut auf? – Was? Was?

Julie. Höre mich an, Christine; höre mich an, dann werde ich dir alles erzählen.

Christine. Ich will nichts wissen!

Julie. Du mußt mich hören!

Christine. Was denn? Von den Dummheiten mit Jean! Ja, sehen Sie, darum kümmere ich mich absolut nicht, denn da mische ich mich nicht hinein. Aber denken Sie ihn zum Durchbrennen zu verlocken, dann werden wir Ihnen schon den Weg versperren!

Julie äußerst erregt. Versuche ruhig zu sein, Christine! und höre mich an! Ich kann nicht hier bleiben, und Jean kann nicht hier bleiben – wir müssen also reisen!

Christine. Hm, hm! –

Julie mit plötzlichem Einfall. Aber siehst du, nun bekomme ich eine Idee – wenn wir alle drei reisten – ins Ausland – nach der Schweiz und zusammen ein Hotel errichteten. Ich habe Geld, sie zeigt es siehst du – und Jean und ich werden dem Ganzen vorstehen – und du, hatte ich mir gedacht, übernimmst die Küche. Ist das nicht nett! Sage nun ja und komm mit uns, dann ist alles arrangiert. Sage doch ja! Sie umarmt Christine und klopft sie zärtlich.

Christine kalt und nachdenklich. Hm! Hm!

Julie schneller. Du bist niemals draußen gewesen und gereist, Christine – du sollst hinaus und dich in der Welt umsehen. Du kannst gar nicht glauben, wie unterhaltend es ist, auf der Eisenbahn zu fahren – unaufhörlich neue Menschen – neue Länder – und dann kommen wir nach Hamburg und besehen uns auf der Durchfahrt den zoologischen Garten – was hältst du davon? Und dann gehen wir ins Theater und hören die Oper – und wenn wir nach München kommen, da haben wir die Museen, und da sind Rubens und Raphaels – Bilder von den beiden großen Malern, weißt du. Du hast ja von München, wo der König Ludwig wohnte, reden gehört – der König, weißt du, welcher wahnsinnig wurde – und dann werden wir seine Schlösser besehen – er hat Schlösser, die ganz wie in den Märchen eingerichtet sind – und von da ist es nicht mehr weit bis zur Schweiz – mit den Alpen, du – denke die Alpen mit Schnee darauf mitten im Sommer – und dort wachsen Apfelsinen und Lorbeerbäume, die das ganze Jahr grün sind –

Jean erscheint von rechts, sein Rasiermesser auf einem Riemen streichend, den er mit den Zähnen und der linken Hand festhält; er lauscht vergnügt dem Gespräch und nickt hie und da Beifall.

Julie äußerst schnell. Und dann übernehmen wir ein Hotel – und ich sitze an der Kasse, während Jean steht und die Gäste empfängt – ausgeht und handelt – Briefe schreibt – Das wird ein Leben, kannst du mir glauben – dann pfeift der Zug, dann kommt der Omnibus, dann klingelt es im Hause, dann klingelt es in der Restauration – und dann schreibe ich die Rechnungen aus – und ich werde sie pfeffern. – Du kannst dir gar nicht denken, wie schüchtern die Reisenden sind, wenn sie ihre Rechnung bezahlen sollen! Und du – du sitzest als Herrin in der Küche. Du sollst natürlich nicht selbst am Herd stehen – und du darfst fein und hübsch gekleidet gehen, wenn du dich vor Leuten zeigen sollst – und du mit deinem Aussehen – ja, ich schmeichle dir nicht – du kannst dir schon eines schönen Tags einen Mann ergattern! einen reichen Engländer, siehst du – die Leute sind so leicht sie fängt an langsamer zu sprechen zu fangen – – und dann werden wir reich – und bauen uns eine Villa am Comersee – freilich regnet es dort bisweilen – aber mit immer schlafferem Ton die Sonne wird wohl auch manchmal scheinen – wenn es auch trüb aussieht – und – dann – dann können wir ja auch wieder heimreisen – und zurückkommen Pause – hierher – oder irgendwo anders hin – –

Christine. Hören Sie, Fräulein! Glauben Sie selbst daran?

Julie vernichtet. Ob ich selbst daran glaube?

Christine. Ja!

Julie müde. Ich weiß nicht; ich glaube überhaupt an nichts mehr. Sie sinkt auf die Bank nieder und legt den Kopf zwischen die Arme auf den Tisch. An nichts! An gar nichts!

Christine wendet sich nach links, wo Jean steht. So, du dachtest also daran, durchzubrennen!

Jean beschämt, legt das Rasiermesser auf den Tisch. Durchbrennen? Das ist nun zu viel gesagt! Du hörtest ja das Projekt des Fräuleins, und obgleich sie nun nach der durchwachten Nacht müde ist, kann das Projekt wohl ausgeführt werden!

Christine. Hör' 'n mal! War es deine Meinung, daß ich bei der da Köchin werden sollte –

Jean scharf. Sei so gut und bediene dich einer feineren Ausdrucksweise, wenn du von deiner Herrin sprichst! Verstehst du!

Christine. Herrin?

Jean. Ja!

Christine. Nein, hört doch! hört doch einmal den!

Jean. Ja, hör' du! das kann dir sehr dienlich sein, und schwatze etwas weniger! Fräulein Julie ist deine Herrin und wegen derselben Sache, deretwegen du sie jetzt verachtest, dürftest du dich selbst verachten.

Christine. Ich habe immer so viel Achtung für mich selbst gehabt –

Jean. Daß du andere verachten kannst?

Christine. Daß ich mich niemals unter meinem Stand fortgeworfen habe. Komm doch und sage, die gräfliche Köchin habe etwas mit dem Viehknecht, oder dem Schweinehirten zu thun gehabt! Komm und sage das!

Jean. Ja, du hast mit einem feinen Kerl zu thun gehabt, das ist ein Glück für dich!

Christine. Ja, ein feiner Kerl, der dem Grafen den Hafer aus dem Stall verkauft –

Jean. Davon willst du reden, die Prozente beim Gewürzkrämer bekommt und sich vom Schlächter bestechen läßt!

Christine. Wie?

Jean. Und du kannst nicht mehr Respekt vor deiner Herrschaft haben! Du, du, du!

Christine. Komm jetzt mit zur Kirche! Nach deinen Thaten kann dir eine gute Predigt sehr dienlich sein!

Jean. Nein, ich gehe heute nicht in die Kirche; du kannst allein gehen und deine Sünden beichten.

Christine. Ja, das werde ich auch, und ich werde mit Vergebung heimkehren, auch gleich noch für dich! Der Erlöser hat gelitten und ist am Kreuz gestorben für alle unsere Sünden, und wenn wir ihm mit Glauben und bußfertigem Sinn entgegentreten, dann nimmt er all' unsere Schuld auf sich.

Julie. Glaubst du das, Christine?

Christine. Das ist mein lebendiger Glaube, so wahr ich hier stehe, und das ist mein Kinderglaube, den ich mir von Jugend auf bewahrt habe, Fräulein Julie. Und wo die Sünde überfließt, fließt auch die Gnade über!

Julie. Ach, wenn ich deinen Glauben hätte! Ach wenn –

Christine. Ja, sehen Sie, den kann man nicht bekommen –

Julie. Wer bekommt ihn denn?

Christine. Das ist das große Geheimnis der Gnadenthat, sehen Sie, Fräulein, und Gott hat kein Ansehen der Person, sondern die Ersten sollen die Letzten sein.

Julie. Ja, dann hat er ja ein Ansehen der Person bei den Letzten –

Christine fährt fort. Und es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher ins Himmelreich komme! Sehen Sie, so ist es, Fräulein Julie! Nun gehe ich indessen – allein, und im Vorbeigehen werde ich dem Stallknecht sagen, daß er keine Pferde herausgiebt, im Falle jemand reisen wollte, bevor der Graf nach Hause kommt! Adieu! Ab durch die Glasthür.

Jean. So ein Teufel! Und all' das um eines Zeisigs willen!

Julie schlaff. Lassen Sie den Zeisig beiseite! Sehen Sie einen Ausweg hieraus, ein Ende für dieses?

Jean grübelt. Nein!

Julie. Was würden Sie an meiner Stelle thun?

Jean. An Ihrer? Warten Sie ein wenig? Als hochgeboren, als Weib – als Gefallene? – Ich weiß nicht– ja! nun weiß ich!

Julie nimmt das Rasiermesser und macht eine Bewegung. So?

Jean. Ja! Aber ich würde es nicht thun – beachten Sie das wohl! denn das ist der Unterschied zwischen uns.

Julie. Weil Sie ein Mann sind und ich ein Weib? Was ist dabei für ein Unterschied?

Jean. Derselbe Unterschied – wie – zwischen Mann und Weib!

Julie mit dem Messer in der Hand. Ich will es, aber ich kann es nicht! Mein Vater konnte es auch nicht, damals, als er es hätte thun sollen.

Jean. Nein, er hätte es nicht thun sollen! Er mußte sich erst rächen!

Julie. Und nun rächt sich meine Mutter wieder durch mich!

Jean. Haben Sie Ihren Vater nicht geliebt, Fräulein Julie?

Julie. Ja, grenzenlos, aber ich habe ihn sicher auch gehaßt! Ich muß es gethan haben, ohne es selbst zu bemerken. Aber er hat mich selbst zur Verachtung meines eigenen Geschlechtes herangezogen, zum Halbweib und Halbmann. Wer hat die Schuld an dem, was geschehen ist? Mein Vater, meine Mutter, ich selbst! Ich selbst? Ich habe ja kein Selbst! Ich habe nicht einen Gedanken, den ich nicht von meinem Vater, nicht eine Leidenschaft, die ich nicht von meiner Mutter bekommen hätte, und das Letzte – daß alle Menschen gleich seien – bekam ich von meinem Verlobten, den ich darum einen Schuft nenne! Wie kann es aber mein eignes Vergehen sein? Die Schuld auf Jesus schieben, wie es Christine macht – nein, dazu bin ich zu stolz und zu klug – dank den Lehren meines Vaters. Und daß ein Reicher nicht ins Himmelreich kommen könne, das ist Lüge, und Christine, die Geld auf der Sparkasse hat, kommt zum Mindesten nicht hinein! Wer hat die Schuld an dem Vergehen? Was geht es uns an, wer sie hat! Bin ich es doch, der die Schuld und die Folgen tragen muß.

Jean. Ja aber –

Es klingelt laut zweimal hintereinander.

Julie fährt auf.

Jean wechselt rasch links den Rock. Der Graf ist zu Hause! Denken Sie, wenn Christine – Er geht nach hinten ans Sprachrohr, klopft an und lauscht.

Julie. Nun ist er schon am Sekretär gewesen?

Jean. Es ist Jean, Herr Graf! Er lauscht; man hört nicht, was der Graf spricht. Ja, Herr Graf. Er lauscht. Ja, Herr Graf! Sogleich. Er lauscht. Sehr wohl, Herr Graf! Er lauscht. Ja! In einer halben Stunde.

Julie äußerst ängstlich. Was sagte er? Herr Jesus, was sagte er?

Jean. Er verlangte seine Stiefel und seinen Kaffee in einer halben Stunde.

Julie. Also in einer halben Stunde! O ich bin so müde; ich vermag nichts, ich vermag nicht zu bereuen, nicht zu fliehen, nicht zu bleiben, nicht zu leben, nicht zu sterben! Helfen Sie mir nun! Befehlen Sie mir, und ich werde gehorchen, wie ein Hund! Leisten Sie mir den letzten Dienst, retten Sie meine Ehre, retten Sie meinen Namen! Sie wissen, was ich wollen sollte, aber nicht will. Wollen Sie es und befehlen Sie mir, es zu vollbringen!

Jean. Ich weiß nicht – aber nun kann ich auch nicht – ich begreife es selbst nicht. Es ist gerade, als wenn der Rock hier bewirkte, daß ich Ihnen nichts befehlen kann – und nun, seitdem der Graf zu mir gesprochen hat – ich kann es nicht recht erklären – aber – ah, es ist der Lakai, der mir im Rücken sitzt! Ich glaube, wenn der Graf jetzt käme und mir befehlen würde, ich sollte mir den Hals abschneiden, so würde ich es auf der Stelle thun.

Julie. Thun Sie also, als wären Sie er, und ich Sie! Sie konnten sich ja vor kurzem so gut verstellen, als Sie vor mir auf den Knieen lagen – da waren Sie ein Ritter – oder sind Sie niemals im Theater gewesen und haben den Magnetiseur gesehn?

Jean macht eine bejahende Gebärde.

Julie. Er sagt zu dem Medium: nimm den Besen; es nimmt ihn; er sagt: fege; und es fegt –

Jean. Dann müßte der andere ja schlafen.

Julie exaltiert. Ich schlafe bereits – der ganze Raum steht mir wie voller Rauch vor Augen – und Sie sehen wie ein eiserner Ofen aus – der einem schwarzgekleideten Mann mit Cylinder gleicht – und Ihre Augen leuchten wie Kohlen, wenn das Feuer ausgeht – und Ihr Gesicht ist ein weißer Fleck wie Flugasche.

Das Sonnenlicht hat nun den Boden erreicht und strömt über Jean hin.

Julie. Es ist so warm und schön – sie reibt sich die Hände, als wenn sie sie an einem Feuer wärmte und dann so hell – und so still!

Jean nimmt das Rasiermesser und giebt es ihr in die Hand. Da ist der Besen! Geh nun, da es hell ist, hinaus in die Scheune – und – er flüstert ihr etwas ins Ohr.

Julie wach. Danke! Nun gehe ich zur Ruhe! Aber sagen Sie mir jetzt noch, daß auch die Ersten der Gnade teilhaftig werden können. Sagen Sie es, wenn Sie es auch nicht glauben.

Jean. Die Ersten? Nein, das kann ich nicht! Aber warten Sie, Fräulein Julie – nun weiß ich! Sie gehören ja nicht mehr zu den Ersten – denn Sie sind unter den Letzten!

Julie. Das ist wahr! – Ich bin unter den Allerletzten; ich bin die Letzte! O – Aber nun kann ich nicht gehen – Sagen Sie noch einmal, daß ich gehen soll!

Jean. Nein, jetzt kann ich es auch nicht mehr! Ich kann nicht!

Julie. Und die Ersten sollen die Letzten sein!

Jean. Denken Sie nicht! Denken Sie nicht! Sie rauben auch mir alle Kraft, sodaß ich feig werde! Was! Ich glaube, die Glocke bewegte sich! Nein! – Sollen wir Papier hineinstecken! – So bang vor dem Ton einer Glocke zu sein! – Ja, aber das ist nicht nur eine Glocke – es sitzt jemand dahinter – eine Hand setzt sie in Bewegung – und etwas anderes setzt die Hand in Bewegung – aber halten Sie sich nur die Ohren zu! Ja, dann klingelt es noch schlimmer! klingelt, bis man Antwort giebt – und dann ist es zu spät! und dann kommt der Schulze – und dann –

Es wird zweimal stark geläutet.

Jean fährt zusammen; dann richtet er sich auf. Es ist entsetzlich! Aber es giebt keinen andern Ausweg! – – – Gehen Sie! –

Julie geht festen Schrittes zur Thüre hinaus.

Ende.


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