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Einführende Leitgedanken

A Als ich mich vor einigen Jahren anschickte, der Persönlichkeit Hohenheims näher zu treten, stellte ich mir schon im Anbeginn meiner Versuche die Fragen: Wie ordnet sich dieser seltsame Mann in das Milieu seiner Zeit? Wie hebt er sich als Individualität ab von den Willensrichtungen der Masse? Was war das spezifisch Eigenartige seiner ganz exzeptionellen Erscheinung als Mensch und Forscher? Diesen letzteren nur annähernd zu verstehen ohne eingehende Beschäftigung mit dem ersteren, schien mir gerade bei Paracelsus eine Unmöglichkeit. Trägt doch der Mensch Paracelsus den wertvollsten Bestand an geistigen Lebenspotenzen für den Forscher Paracelsus! Stets hat er aus jenem entnommen, wovon die Totalität seiner geistigen Größe lebte. Ich brauch wohl darauf nicht erst hinzuweisen, daß dies vor allem nur vom Standort der Sudhoffschen Handschriftenerschließungen geschehen konnte. Erst sie boten ein brauchbares Mittel, das bereits alte, im Druck vorliegende Material von Paracelsus durchsichtiger zu gestalten, ja, haben für manche Probleme einzig und allein den Schlüssel gegeben.

Oft fragt man nach der ureigentlichsten Grundlage Hohenheims. Da ist dann gewöhnlich viel die Rede von Mystik, Neuplatonismus, Fausttypus, von Charlatanerie und vom »medizinischen Luther«, von urdeutscher Derbheit u. a. m. Was daran viel Wahres ist, wollen wir in einem anderen Abschnitt genauer festzustellen versuchen. Nur das möchte vorangehen – wir kommen überdies noch öfters darauf zurück –: Einzelne Lebensfarben der Renaissance und der Reformation haben sich bei Paracelsus zu einer eigenartigen Unterfarbe und Grundnüance verfärbt. Darauf projiciert sich sein durchaus originales Bild. Wilhelm Dilthey hat das Milieu in seiner geistvollen Auffassung und Analyse der Menschen im XV. und XVI. Jahrhundert meisterhaft herausgearbeitet und von allen späteren Retouchen befreit. Und was dünken ihm die Wurzeln jener neu anbrechenden Zeit? Wir fassen zusammen: der religiös universale Theismus, das Durchbrechen eines neuen Lebensideals mit neuen innerlichen Werten und Selbstschätzung des Menschen, »die neue Art, die höheren Überzeugungen über das Verhältnis des Menschen zum Unsichtbaren zu befestigen und zu begründen«, die neue Position zur Gesellschaft und letztlich die völlig neue Theologie mit ihrem religiösen Erlebnis und ihrer kritischen Tendenz. Das alles – von dem einen viel, von dem anderen wenig und von manchem sogar fast nur Spuren – schlägt sich in Hohenheims Seele nieder. Aber selbständig hat sie es verarbeitet und ihre eigenen Ausdrucksformen dafür gefunden.

Die Geschichte der Renaissance – der philosophischen sowohl, wie auch der künstlerischen – mit ihren Tausenden von Stimmungen und Individualwerten muß zu Hohenheim in Beziehung gebracht werden, es muß versucht werden, klarzustellen, wie dieser wundersamen Zeit Seele anklang in diesem vereinsamten Naturforscher und Arzt – einsam unter den völlig irregeleiteten Vertretern der philologischen Naturbetrachtung und Heilkunde des ausgehenden Mittelalters – wie Altes sich abstieß und ein Neues dafür eintrat. Aber Geschichte der Zeit ist nicht eine dürre Abfolge und Addition von alltäglichen Erscheinungen, von Dingen die gestern und heute geschehen und die dann lokalchronistenhaft registriert werden. Und die Geschichte Hohenheims Tage erst recht nicht. Die Renaissance barg einen tiefwurzelnden Seelenbestand, eine ungeheuere, mehr innere Auseinandersetzung mit einer sterbenden Zeit und deren Glauben vom unfreien Menschen und der teuflischen Welt, von Rechtlosigkeit und Sünde. Die eine Seite des Paracelsus ist nur überhaupt aus dem Geiste der Renaissance zu verstehen, nämlich der Drang zum »Lichte der Natur«, zur methodischen Induktion und zum Vergleich. Ihre wunderliche Legierung mit den geistigen Kräften der Reformation, im engeren und weiteren Sinne, also auch mit Hervorbringungen in den Geistesbezirken, die sich nicht direkt Wenn ich nicht falsch sehe: auch ein Stück von dem Geist jener überschäumenden »katholischen« Restaurationsversuche, hat – insbesondere in seinen späteren Jahren – in Paracelsus angeklungen. So wie zur Zeit des franziskanischen Klassizismus. Es blieb beim Versuch. Fast möchte ich glauben, daß auch dieser Zug in dem seiner katholischen Kirche sonst entgegengesetzten Paracelsus nicht unwesentlich ist. Bekanntlich war er zeitlebens Katholik. an Luther orientierten, stellt die andere Seite bei Paracelsus vor. Er war der Nährboden für die religiösen Keime. Auf der einen Seite steht also die nervöse und tolerante Renaissance mit ihrer akuten Weltlichkeit, ihrem antiken Ideal und Schönheitsverlangen, mit der neuen Ansicht über Natur und Mensch. Auch Reste des ausgehenden Mittelalters und die unstillbare Sehnsucht nach Ergründung von Jetzt und – Demnächst sind hier lebendig, die überstarke Phantasie und poetische Gottesgelehrsamkeit, gleichwie das verhängnisvolle Erbe der Antike, die Welt des Polydämonismus. Und das Gegenstück: das scharfkantige, religiöse Umsetzungsprodukt der humanistischen Bewegung im Norden: das Deutschland und die Schweiz kurz vor Luther und endlich dieser selbst mit seiner beispiellosen, revolutionären Tatkraft und grundehrlichen Opposition. Aber doch hat es Seiten seiner Seele gegeben, die alt katholisch und mittelalterlich gefärbt waren – trotz seines modernen Paulinismus und der versuchten Umwandlung und Läuterung seiner ehemaligen Kirche. Und immer und immer wieder kommen wir darauf zurück: Renaissance und Reformation haben Paracelsus beeinflußt. Aus ersterer strömten dann auch die unendlichen Werte des Lebens und der wiedergegebene männliche Sinn für individuelle und selbständige Menschheitsbildung, die ganz unermeßliche Triebkraft der humanistischen Freiheit in der Naturerklärung, die idealen und poetischen Kräfte, die er in seinem reizsamen Schauen bekundet. Gerade diese stehen hinter seinen mühelos gesehenen, poetischen und doch so empfindungsstarken Sprachbildern, in die er mit einer wunderlichen Glut Offenbarungsstätte Gottes d. h. Natur und Reichgottesgedanken eingeordnet hat. Das Reich Gottes, das ganz natürlich kommt und dessen Bürger eine ernste Menschheitsbildung hinter sich haben. Es ist der neue Zustand hier auf Erden, Gottes Herrschaft in religiösen: Sinn. Daraus ergibt sich von selbst Hohenheims Interesse an dem großen Anderen, das sich an der Reformation orientierte: der unendliche wert der Seele, die heiße, religiös persönliche Verinnerlichung samt ihrer geradezu provokatorischen Selbstheit und Kraft. Der lebendige und zuversichtliche Glaube an den lebendigen und gnädigen Gott! Aber wie Paracelsus zeitlebens als Katholik seine Kirche und ihre Vertreter fast nie mit besonders liebevollen Worten bedacht hat, so stand er auch den Reformationsbildungen als solchen kühl gegenüber. Er verhielt sich ablehnend gegen jede christliche Konfession mit Kultgesetz und Kirchentum. Wie wir sehen werden – ein verwandter Zug mit dem tieffrommen Sebastian Franck! Viele andere »christliche Humanisten« auch stehen Paracelsus hierin nahe. Aber in dem Kern der Reformation – und auch viele Regungen und Versuche tut Mittelalter schon gehören dazu – hatte sich Paracelsus gefunden, in der urchristlichen Tendenz. Der Kampf galt ja der Abbeugung vom Alten und Ursprünglichen, den Wucherungen und Verwahrlosungen.

Unendlich wertvolle Güter bargen sie Beide, sowohl das, was in Italien so jäh aufschoß, als auch dessen Um- und Neubildung auf dem religiösen Boden jenseits der Alpen. Und als damals im Süden Johann Pico della Mirandola – dem Christentum und Heidentum so vereinbar schienen – von der würde des Menschen gesprochen, da war es doch der neue Mensch den er kündet, der bereits seine Wegbereiter im Norden hatte und zu dessen Adam Gott redet: »Mitten in die Welt habe ich dich gestellt, damit du um so leichter um dich schauest und sehest alles, was darinnen ist. Ich schuf dich als ein Wesen, weder himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich allein, damit du dein eigener freier Bildner und Überwinder seiest; du kannst zum Tiere entarten und zum gottähnlichen Wesen dich wiedergebären. Die Tiere bringen aus dem Mutterleibe mit, was sie haben sollen, die höheren Geister sind von Anfang an oder doch bald hernach, was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du allein hast eine Entwickelung, ein Wachsen nach freiem Willen, du hast Keime eines allartigen Lebens in dir.« Zuerst in den commentationes des Pico ohne Titelaufschrift. Erst in späterer Zeit lieft man den Namen Oratio de hominis dignitate. Vgl. Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien [Lpzg. 1899] II. Bd. S. 73 und Excurs LXXVII, wo sich der lateinische Wortlaut findet. Wie oft lieft man es nicht bei Hohenheim!

Am 17. November 1494 ist Pico gestorben. – Der große Savonarola stand bei ihm, als er seinen Fuß auf die Torschwelle des Todes setzte. ...

Fast genau ein Jahr nachdem Hohenheim zur Welt gekommen ist.

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