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Es ist ein Wiener Grundsatz: bevor eine Straße aufgerissen wird, muß sie vorher schön gepflastert werden. Einige Tage liegt sie dann so da in der jungfräulichen Pracht der glitzernden Granitwürfel – dann kommen Männer mit Spitzhacken und Schaufeln, reißen das schöne Pflaster auf und legen Kabel. Die Pflastersteine werden hierauf ziemlich regellos wieder eingesetzt und nach acht Tagen kommen wieder Männer mit Spitzhacken und Schaufeln, reißen das Pflaster an der andern Straßenseite wieder auf und legen ein Gasrohr. Auch hier werden nach getaner Arbeit die Pflastersteine so »überhaps« wieder eingesetzt, meistens sogar mit den Kanten nach aufwärts. Nach vierzehn Tagen oder noch früher kommen wieder andre Männer mit Spitzhacken und Schaufeln, reißen das Pflaster in der Straßenmitte auf, graben eine sehr tiefe, lange Grube und legen ein Wasserrohr.
Das Legen von Wasserleitungsrohren ist kein Kinderspiel. Es können dazu nämlich nur drei Arbeiter, vier Aufseher und zwei Partieführer verwendet werden.
Die drei Arbeiter müssen fortwährend in die Hände spucken, ihre Pfeifen stopfen, dann wieder in die Hände spucken und so lange warten, bis die Pfeifen ausgeraucht sind, worauf diese von neuem gestopft werden müssen. Die vier Aufseher müssen im nächsten Wirtshaus vormittags schnapsen – weil sie sonst keinen Wein zu trinken hätten – und nachmittags binageln, weil sonst die Zeit bis zum Feierabend nicht vergeht. Der eine Partieführer muß auf den andern aufpassen, und dieser kiebitzt andauernd und andächtig den Fischern, die es sich freiwillig zur Pflicht gemacht haben, den Donaukanal von alten Stiefeln, Kasserollen oder Ofenröhren zu reinigen und sich dabei der harmlosen Selbsttäuschung des Fischfanges hingeben.
So war es wenigstens noch zu jener Zeit, als auf der Erdbergerlände das große Wasserrohr gelegt wurde. Die Sache zog sich um ein paar Tage länger hin als es sonst die Regel war, denn der eine Partieführer, der auf den andern achtgeben mußte, hatte die Tochter eines Fischers 7 kennengelernt und anläßlich der Hochzeitsfeier des Glücklichen wurden zwei arbeitsfreie Tage gegeben; die Arbeiter brauchten jedoch zur Vorbereitung auf das Fest zwei Tage vorher, und die Nachfeier sowie die Krankheitsurlaube erforderten noch einige Tage nachher.
Endlich ward das Werk aber doch vollendet; das große Wasserrohr lag in der tiefen Grube, die beiderseits ein hoher Erd- und Steinwall säumte, und die Arbeiter hielten eine Art sinniger Schlußfeier, indem sie unter dem ungeheuren Jubel einer zahllosen Kinderschar, gleichsam als Probe aufs Exempel, aus dem Rohre einen hohen Wasserstrahl springen ließen, das Loch dann verkeilten und eine halbe Stunde vor Feierabend heimgingen.
Langsam senkten sich die Abendschatten auf Wien und Erdberg, auf der Lände wurde es still und stiller. Auf einmal aber erscholl ein gewaltiges Zischen und Brausen, und aus der Tiefe am Ende des Grabens schoß plötzlich ein mächtiger silberfarbiger Wasserstrahl hoch in die Luft. Oben teilte er sich schirmartig, und rauschend und plätschernd fielen die Wassermassen herab. Unaufhörlich zischte und brauste der Geisir und wuchs zu unheimlicher Höhe.
Noch wunderbarer aber als das Phänomen war die unglaubliche Schnelligkeit, mit der eine ungeheure Menschenschar urplötzlich von allen Seiten herbeiströmte, voran natürlich die Kinder, die sofort den Erd- und Steinwall erklommen und so den Erwachsenen die Einsicht in die Tiefe benahmen, was viele von diesen veranlaßte, scharfe Kritik an der neuzeitlichen Kindererziehung zu üben und die Daseinsberechtigung so vieler Kinder überhaupt in rücksichtsloser Weise zu bestreiten. Einer gab der allgemeinen Ansicht gewissermaßen in gesammelter Form Ausdruck; »Daß die Leut' heutzutage gar nix anders z'tuan wiss'n, als nur Kinder in die Welt z'setz'n – a Schand und a Spott, meiner Seel', bei d'r Nacht rennen dö Bankerten no um, statt daß s' scho lang' schlafert'n, i hätt' mi nach Sieb'ne no auf d' Straß'n trau'n soll'n, mei Vatta hätt' mi d'rschlag'n – – geht's ham, Schraz'n, habt's g'hört?«
Die Kinder lauschten scheu und andächtig, aber mangels eines entschlossenen Führers wagte es keines, den Heimweg anzutreten.
Dort aber, wo der Geisir aus der Tiefe hervorschoß, stand auf dem hohen Wall ein untersetzter Mann mit einer goldbordierten Kappe auf dem schwarzumbarteten Haupte in der tiefen Kniebeuge und sah scharf forschend hinunter ins Dunkle. Nach geraumer Zeit reckte er sich und sprach mit 8 tiefem Ernst und jeden Widerspruch bannender Bestimmtheit in die Menge: »Dö Röhr'n muaß a Loch hab'n . . .«
Dieser Ansicht stimmten sofort die meisten bei, und ein Wichtigtuer behauptete sogar, er habe sich das auch schon gedacht. Der Mann mit der Goldborte an der Kappe sah mit eisiger Verachtung auf den Schwätzer, dann begab er sich wieder in die tiefe Kniebeuge, neigte das bärtige Haupt einige Male nach links und rechts, erhob sich und sah voll Sorge und Mißbilligung dem Wasserstrahl zu, bis ihm plötzlich lichtvolle Erkenntnis aus dem Antlitz leuchtete: »Wann ma wüßt', wo dös Loch is, kunnt ma's zuastopf'n«, worauf ein Fürwitziger meinte, das Loch wäre wahrscheinlich dort, wo das Wasser herauskomme, aber der Mann mit der Goldborte sagte im Tone würgender Geringschätzung: »So g'scheit wia Sö war i schon lang aa – aber wo kann man da a Loch sehgn, solang dös Wasser a so außasudelt.« Der Fürwitzige schwieg beschämt, die andern stimmten zu, schon deshalb, weil die meisten in dem Brausen des Geisirs nicht alles verstanden hatten. Immer dichter wurde die Menschenmenge. Ganz hinten, im Hintergrunde, wo das Rauschen des Wassers nicht jedes Wort verschlang, meinte einer: »Ui Jessas, d'r Ganzg'scheite is schon wieder ob'n, der hat's heraußt, wia d'r Krowot 's Hemat, wann der net wär, und d'r Löff'l, kunnt ma die Supp'n mit d'r Gab'l ess'n – paßt's auf, der gibt 'n Dreck a Watsch'n!«
Der Erfüllung dieser Prophezeiung sahen viele mit Spannung entgegen, als urplötzlich zur allgemeinen Verblüffung – man wußte nicht woher – auf einmal ein Sicherheitswachmann neben dem Manne mit der Goldborte auf dem Walle stand.
»Was is da los? Was hab'n S' denn da g'macht?«
»I hab' da gar nix g'macht, Herr Wachmann, dö Röhr'n muaß a Loch kriagt hab'n, i plag' mi schon seit ana halb'n Stund', daß i 's find.«
Nun begaben sich beide in die tiefe Kniebeuge, die jedoch bei dem Wachmanne nicht vollständig gelang, weil ihn auf der linken Seite der Säbel stark behinderte.
»Wann 's nur net so finster war', die Gas hab'n s' net anzünd'n könna, weg'n dem Grab'n da und d'r patscherte Mond gibt a nix aus, i siach schon no a paar einifall'n und d'rsauf'n, dö Leut' hör'n auf ka Red'n,« tadelte der Mann mit der Kappe, und der mit dem Helme machte eine gebieterische Armbewegung: »Owi da von dö Stana – zaruck, zaruck, wann dö Erd'n nachgibt lieg'n S' alle drinn in d'r Soß!«
9 Aber in der Verachtung jeglicher Gefahr war Erdbergs Volk von jeher groß, daher versuchte der Mann mit der Goldborte eine andere Tonart: »Aber geht's do ham – habt's denn no ka Wasser g'sehg'n?«
»Ah freili, aber so an Springbrunn' no net!« scholl es aus der Menge, und hinten sagte wieder einer: »Wann der blade G'schaftlhuaber einifallt, stopft er alser ganzer 's Loch zua und mir sehgn nix mehr.«
Der Wachmann sah wieder sinnend in die Tiefe und an dem Wasserstrahl empor, dann sprach er mit ruhiger Entschlossenheit: »Da bleibt nix übrig, als aufs Stadtbauamt telephonieren – das Wasser hört net auf und die Lack'n wird immer größer.«
Der Mann mit der goldbordierten Kappe stimmte sofort zu: »Kumman S' nur mit in mei Fabrik durt, i hab' 's Telephon eh in meiner Losch, i hab' eh schon selber telephonier'n woll'n, aber i kann ja von da net weg, die Leut' pass'n ja net auf, a Unglück is glei g'schehg'n«, dann mit starker, drohender Stimme zu den Nächststehenden: »Daß ma kana da auffasteigt, die Stana san eh schon rogli, wann ana einifallt, i ziag 'n net aussa – also kumman S', Herr Wachmann!«
Seit undenklichen Zeiten pflegen die Erdberger selbst bei höchster Gefahr nur kalt zu lächeln, im Nu war daher auch der Hügel erklommen und der Geisir eng von Neugierigen umschlossen.
Alles war schwarz von Menschen, und dort, wo man nichts sehen konnte, erging sich die Menge in grenzenlosen Mutmaßungen, besonders die Frauen Erdbergs, deren sibyllische Veranlagung da wieder zu schönem Ausdruck kam.
»Ja, ja, die Donau is a böses Wasser, das hat mei Großmutter schon g'sagt, dö hat was erlebt mit dem Eisstoß, mit der Donau is net zum spiel'n. . . .«
»Ja sie is schon seit a paar Täg im Steig'n, jetzt is austret'n und hat 'n Damm eing'riss'n, i war zuvor weiter vurn da hat's g'hass'n, es lieg'n zehn Arbeiter drinn alser toter. . . .«
»I sag' Ihna, dös is a Zeich'n, ja, ja, a Zeich'n, das hat was zu bedeuten, umasunst schiaßt das Wasser net so auf amal aus der Erd'n aussa, mir werd'n no was d'rleb'n. . . .«
»Das Wasser hat 32 und 's Unglück 65, und 's Wasserbraus'n hat 4 – dös muaß ma nach Linz setz'n, vielleicht kriag i do no 'n Zins eina. . . .«
Der Geisir sprang und brauste noch immer, und der halbe Mond sandte sein mildes Licht herab auf das schaurig-schöne Bild. Der Wachmann und der Mann mit der Goldborte 10 waren wieder auf ihrem Posten oben auf dem Walle und sahen ernst, aber gefaßt dem Wasserspiele zu.
Da ertönte aus der Ferne der wohlbekannte langgezogene Hornruf.
»Zurück! Zurück!« brüllte der Wachmann mit Löwenstimme und versuchte, eine Gasse durch die dichtgedrängte Menge zu bahnen, aber die Feuerwehr kam von der andern Seite. Nun wurde die Sache erst schauerlich; das grelle Licht der Magnesiumfackeln erstrahlte und – der Geisir hörte zu springen auf. Unter den Füßen des Goldbordierten war ein Pflasterstein ins Rollen gekommen, in die Tiefe gekollert und auf das Loch im Wasserrohr gefallen. Der Graben war schier bis zum Rande mit Wasser gefüllt. Der Wachmann hatte sich mühevoll durch die Menge zurückgewunden und erstattete nun dem Führer der Feuerwehr die dienstliche Meldung. Auch der Mann mit der Goldborte meldete: »Herr Löschmeister, da is alles voller Wasser. . . .« »Dös siech i, daß dös ka Powidl is – i kann mi a net draufsetz'n, daß aufhört, d'r Inschenör muaß eh glei kumma – – – owa da von die Hauf'n und vom G'lander!« Aber keiner wich, da gebot der Löschmeister kalten Tones seiner Mannschaft: »Ramt's die Leut' owa!« und die Feuerwehrleute unternahmen einen Sturmlauf gegen Wall und Hügel, die Hartnäckigsten ergriffen die Flucht, und jene, die auf dem Geländer des Dammes saßen und sich völlig sicher wähnten, wurden von den Pfosten herabgestreift wie Fliegen von der Leimrute.
»Was Schurl, sauber hab'n ma s' owag'rebelt,« meinte dann ein Feuerwehrmann mit bescheidenem Stolze zu seinem Kameraden, und dann kam auch der Ingenieur, der nun ebenfalls auf den Wall kletterte und in die tiefe Kniebeuge überging, wobei sich seine Pejacsevich-Hose in besorgniserregender Weise spannte.
»Da muß man den Wasserwechsel absperren – Sie, Herr Wachmann, wo ist der nächste Wasserwechsel?« fragte der Ingenieur, und der Wachmann meldete mit diensteifriger Bestimmtheit, daß er das nicht wisse.
Da trat der Mann mit der Goldborte in den Vordergrund: »Das weiß nur der Nettula, Herr Inschenör!«
»Also, wo ist der Nettula?«
»Das weiß ich net!«
»Also, was red'n S' denn dann, wann S' nix wiss'n, was hab ich von Ihnern Nettula, wann er schon liegt im Bettula – – gehn S' runter da!«
11 So wurde der Mann mit der goldbordierten Kappe lieblos kaltgestellt, er war nur noch Publikum; man hörte förmlich, wie der Gram in ihm gor.
Die Feuerwehr begann Erdreich in die Grube zu werfen, da hörte der Mann mit der Goldborte, wie unweit von ihm einer einem andern ganz verzweifelt klagte: »Satrazene, jetzt machen s' den Luch zu und Luch sull off'n bleib'n, bis Kummission kummt, den kennen 's mi murg'n wieder aufgrab'n. . . .«
»Halt' die Papp'n,« sagte der andre, aber da war auch schon der Goldbortenmann an des einen Seite, riß ihn nach vorn bis zum Fuß des Walles und rief im hellen Triumph hinauf: »Herr Inschenör, Herr Inschenör, der Nettula is da!«
»Na also, Herr Nettula, wo war'n S' denn so lang? Wo ist denn der nächste Wechsel?«
»In zweite Gass'n am Eck.«
»Ja hör'n Sie, jetzt steh'n Sie die ganze Zeit da und rühr'n Ihnen nicht! Warum hab'n S' das nicht gleich g'sagt?«
»Hat mi niemand fragt,« murrte der Mann, sichtlich beleidigt ob der langen Zurücksetzung, dann führte er die Feuerwehr zum nächsten Wasserwechsel, der wurde abgesperrt und der Geisir war in der Wurzel vernichtet.
Das Volk pries die Feuerwehr, sogar auch die Polizei, weil diese die Feuerwehr herbeigerufen hatte, es pries den Nettula, der gewußt hatte, wo der Wechsel war, nur den Mann mit der goldbordierten Kappe wollte niemand preisen – es ist daher Pflicht des gewissenhaften Chronisten, auch seiner zu gedenken, denn hell strahlt sein Verdienst im Widerspiegel der Frage: Wenn er den Nettula nicht erkannt hätte? 12