Rudolf Stürzer
Lustige Geschichten aus dem Wiener Leben
Rudolf Stürzer

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Der Ganzseidene mit dem Goldgriff.

Es gibt Menschen, die gar kein Stilgefühl haben. Zieht einer zu einem Salonrock eine Pepitahose und gelbe Schuhe an, setzt sich auf das mehr oder minder gelockte Haupt einen Girardihut und raucht dazu aus einer kurzen Pfeife, so kann man ihn allenfalls noch immer für einen Expressionisten, sehr schwer aber für einen in Harmonien schwelgenden Prachtmenschen halten. Ins Loch wird so einer jedoch deswegen nicht gesteckt, und wem solches geschieht, der muß sich schon gar arg gegen jedes Stil- und Harmoniegefühl vergangen haben. Und das tat der Peter Fürstenhofer. Auf seinem struppigen Haarboden trug er irgendein schmieriges Filzgebilde, das morgenrote Gesicht starrte von rostigen Bartstoppeln, der ehemals sicher schwarze, jetzt aber schon bedenklich ins helle Flaschengrün spielende und nicht ganz regelrecht geflickte Schößelrock deckte nur spärlich ein knöpfeloses, vom dunklen Bernsteingelb in noch dunkleres Mausgrau wechselndes Hemd, die großkarierte verschiedenartig gefleckte, kniefenstrige Hose endete unten in wehenden Fransen und aus den reichlich mit Lüftungen versehenen, absatzlosen Schuhen lugten sich die großen Zehen bei jedem Schritte schelmisch an – aber unter dem rechten Arme trug der Peter Fürstenhofer einen hochfeinen, ganzseidenen Herrenregenschirm mit gleißendem Goldgriff!

Wie harmlos muß ein Mensch sein, der sich nun darüber wundert, daß ein solcher Zwiespalt zwischen Tracht und Gegenstand dem Postenführer Grabinger selbst noch in der Abenddämmerung auffiel! Und dennoch war der gute Fürstenhofer eigentlich nur das Opfer einer Unregelmäßigkeit. Dort, wo gleich nach der Friedhofsmauer die Bezirksstraße im rechten Winkel abbiegt, hatte der Peter scharf nach rechts gespäht, denn seine langjährige Erfahrung hatte es ihm gelehrt, daß der Gendarm regelmäßig just hinter der dritten Pappel aufzutauchen pflegte, aber der Postenführer Grabinger hatte an diesem Tage saure Milch gegessen und kam daher gegen jede Regel plötzlich von links hinter der Johanneskapelle hervor, sah zuerst nur den gleißenden Goldgriff und dann auch den Peter Fürstenhofer.

13 Bald darauf stand dieser wieder einmal vor seinem irdischen Richter.

Der Bezirksrichter Doktor Kammerer war von Haus ein Zweifler, und da der goldgriffige Ganzseidene seiner Meinung nach auf gar keinen Fall zu dem flaschengrün-, bernsteingelb- und mausgraufarbenen Fürstenhofer zu passen schien, wuchs des Gesetzesvollstreckers Zweifelsucht ins Ungemessene. Hohnlächelnd hörte er dem bunten Delinquenten zu, der mit schlichter Biederkeit die Kränkung eines Diebstahlsvorwurfes zurückwies.

»Aber, Herr kaiserlicher Rat, wo werd' denn i an Schirm stehl'n, fallt mir gar net ein – den Schirm hat mir a Herr g'schenkt, der was 'hn net hat brauch'n könna, weil er eahm z' groß war – da hab'n S' an Schirm, hat er g'sagt, Sö armer Teuf'l müass'n ja ganz naß werd'n, wann S' so umawandern – i brauch 'n net, i hab' gnua Schirm – – Ja, wo der Herr wohnt, dös waß i net, er hat 'n mir auf d'r Gass'n geb'n, wia ra haßt, waß i net, es war a mittlerer Herr im schwarzen Anzug, wann i 'hn siech, kenn i 'hn glei wieder. . . .«

»Also der große Unbekannte, mein Lieber, den kenn' ich besser wie Sie,« sagte der Bezirksrichter, dann setzte er sein Barett auf, erhob sich und sprach im Namen Seiner Majestät – das war nämlich noch dazumal – den Peter Fürstenhofer schuldig des Diebstahls, und mit gar keiner Milderung und lauter Erschwerungen verurteilte er ihn zu vierzehn Tagen strengen Arrests. Dann gab er dem mit beiden Händen Abwehrenden die gesetzlichen Belehrungen: »Wenn Sie glauben, daß Sie unschuldig sind, können Sie die Berufung erheben, Sie haben drei Tage Bedenkzeit. . . .«

Der Fürstenhofer überwand das durch die schwere Kränkung entstandene Gefühl der Abneigung gegen die Person des Doktor Kammerer und behielt sich Bedenkzeit vor. Dann führte ihn der Amtsdiener Schiegl wieder ins Verlies.

Nun ruhte die strenge Themis, und ihr Jünger trat zum Fenster, sah scharf prüfend nach dem Himmel, der sich mit drohendem Schwarz zu überziehen begann, was in Doktor Kammerer trotz angeborner Zweifelsucht dennoch die Ueberzeugung festigte, daß er trockenen Fußes nicht nach Hause kommen werde. Und richtig, es begann auch schon zu tröpfeln, dann spritzte es vorerst, schließlich aber goß es. Ein Aufhören war nicht abzusehen. Das konnte auch ein Landregen werden! Wer hätte das gedacht – am Morgen war es doch so wunderschön, da wollte Doktor Kammerer den Regenmantel nicht mitschleppen, Regenschirm trug er grundsätzlich keinen, jetzt aber erkannte er zum erstenmal den hohen Wert eines solchen Schutzdaches, und während er verdrießlich und peinvoll im Zimmer auf und ab ging, den Regen an die Scheiben klatschen hörte, 14 fiel sein Blick auf den Ganzseidenen mit dem Goldgriff. »Den leih' ich mir aus und bring' ihn nachmittags wieder her.«

Ganz herrlich ging es sich unter dem schönen Regendach; kaum war Doktor Kammerer ein paar Schritte weit, hörte es auch schon zu gießen auf und die Sonne blinkte auf dem nassen Pflaster. Nach dem Essen machte Doktor Kammerer seinen Sprung ins Kaffeehaus. Es war Jahrmarkt im Kreisstädtchen und das Lokal voll Menschen. Doktor Kammerer las seine Zeitungen, trank seinen Schwarzen und wollte gehen. Ja, richtig, der Regenschirm! Er wußte ganz genau, daß er ihn hinter sich in den Stockständer gestellt hatte – aber da war kein Ganzseidener mit Goldgriff mehr. Weg war er! Doktor Kammerer suchte mit den Augen auf und ab, Regenschirme waren genug da, aber keiner mit gleißendem Goldgriff! Jeder Mensch weiß, daß Fluchen nichts hilft, aber jeder tut es dennoch, auch Doktor Kammerer tat es, allerdings nur innerlich, dann ging er in das Bezirksgericht.

Kaum saß er hinter seinem tintenvollen Schreibtisch, da trat auch schon der wackere Schiegl herein und meldete, der Peter Fürstenhofer wolle sich vorführen lassen.

»Herr kaiserlicher Rat, ich hab' mir 's überlegt, i leg' Berufung ein,« sagte der Stromer kalten Tones, und Doktor Kammerer fluchte wieder, innerlich.

Nun mußte ein schöner Akt ausgefertigt werden, und den bekam dann Doktor Wiesinger, jener Ekel, der ebenfalls bei Frau Fanta, der jungen, reizenden Witwe, verkehrte und ihr Herz betörte, jenes Herz, für das auch der Doktor Kammerer glühte und das er so gern sein eigen genannt hätte. Alle Augenblicke steckte der Doktor Wiesinger bei ihr, während der Doktor Kammerer nur an den allgemeinen Besuchstagen hinkam.

Doktor Wiesinger kam gerade von einem »gelegentlichen Sprung« aus der Konditorei, wo Frau Fanta, ebenso jung wie reich, ihr Schlagobers schlürfte, und die ihm da ihr Leid geklagt hatte, daß ihr ein ganz neuer Schirm gestohlen worden sei. Und nun bekam er den Berufungsakt des Fürstenhofer in die Hand. Der Akt ging sofort zurück mit dem Vermerk, das Corpus delicti anzuschließen.

Fluchen hilft tatsächlich nichts, auch wenn es noch so kräftig geschieht. Doktor Kammerer fluchte eine Viertelstunde lang, dann rief er den wackeren Schiegl: »Schiegl, suchen Sie einen Schirm heraus, er muß dem Akt angeschlossen werden, und tragen Sie ihn gleich wieder hinauf zum Doktor Wiesinger.«

15 Schiegl schmunzelte und suchte dann einen Schirm hervor, baumwollen, löcherig und mit einem Griff, der nicht von Gold, wohl aber von Fett glänzte. Der wurde dem Akt angeschlossen.

Das Berufungsgericht gab dem Einspruch Peter Fürstenhofers statt und fällte einen Freispruch. Begründung: In Anbetracht des defekten Zustandes des Corpus delicti scheint die Verantwortung, den Schirm geschenkt erhalten zu haben, ganz glaubwürdig, und in Ermanglung von Tatzeugen war wie oben zu erkennen.

Jetzt fluchte Doktor Kammerer nicht mehr; er ließ sich den Fürstenhofer vorführen, verkündete ihm den Freispruch und schloß eine mehr verärgert als dringlich klingende Ermahnung zu besserem Lebenswandel daran.

»Also, Sie sind frei und können jetzt gehen,« sagte er kühl und hoheitsvoll; aber der Fürstenhofer ging nicht, drehte seinen schmierigen Filz in den roten Händen und blinzelte aus den durch die unfreiwillige Alkoholentwöhnung trübe gewordenen Aeuglein den Richter tückisch von der Seite an.

Der wurde grob: »Sie können geh'n, hab ich gesagt, was wollen Sie denn noch?«

»Mein Schirm, Herr kaiserlicher Rat, der Schirm g'hört ja mir, 's hohe Gericht sagt 's selber . . .«

Doktor Kammerer hätte jetzt am liebsten laut geflucht, aber er mußte nun unterhandeln.

»Ja, Ihr Schirm, der ist jetzt momentan nicht da, der ist verlegt worden, ich werde Ihnen einen andern geben. . . .«

»A na, i will mein' schön' Schirm hab'n, i nimm kan andern, der Schirm g'hört mir, 's G'richt hat 's selber . . .«

»Aber ja, ich weiß schon, aber der Schirm ist jetzt nicht da, ich muß ihn erst suchen lassen, ich sag' Ihnen was, Fürstenhofer, ich kauf' Ihnen einen andern, und dann schau'n S', daß weiter kommen. . . .!«

Der Stromer schwankte, aber schließlich dachte er sich doch, es sei besser, die Sache nicht aufs Aeußerste zu treiben; man kann ja nicht wissen, zu was man einen Menschen noch brauchen kann, vielleicht für ein nächstes Mal, wenn nur der Schirm neu ist, etliche Stamperln Rostopschin trägt er doch, und auf das Feuerwasser freute sich der Fürstenhofer schon recht sehr.

»Also gut, Herr kaiserlicher Rat, i werd' da wart'n,« sagte der Mann leutselig, und Doktor Kammerer kaufte einen Schirm, nicht aus Seide und mit keinem Goldgriff, aber immerhin einen recht netten, den der Fürstenhofer eingehend, aber freudlos prüfte und nach raschem Ueberschlag der darauf herausschauenden Stamperl Rostopschin mit Gönnermine in sein Eigentum übernahm. Dann sagte er noch recht treuherzig: 16 »Net wahr, Herr kaiserlicher Rat, wann mi der Schandarm wieder bringt, dann werd'n S' 's beeiden, daß S' mir den Schirm g'schenkt hab'n?«

»Ja, ja, aber jetzt geh'n Sie endlich!«

Mit dem Schirm nahm der Fürstenhofer auch eine Zentnerlast aus Doktor Kammerers Hand. »Gott sei Dank, das ist ja noch gut ausgegangen. . . .!« Aber noch schlief der Teufel nicht. Wenn er Unheil stiften will, bedient er sich des Weibes. Die Amtsdienersgattin Aloisia Schiegl wurde sein unschuldiges Werkzeug. Sie ging in die Häuser waschen und wusch auch bei Frau Fanta. Dort redete sie von einem ganzseidenen Regenschirm mit Goldgriff, den ein Stromer aufs Gericht gebracht und der dann verschwunden war.

Die runden Wangen röschenrot, die volle Büste verführerisch wogend, so stand eines Tages plötzlich Frau Fanta vor Doktor Kammerer, und ihre Blauaugen blitzten vor Verlangen.

»Ach, Herr Doktor, ich habe gehört, ein Schirm, ein Herrenschirm mit Goldgriff, ist von einem Gauner gefunden worden. Er war da auf dem Gerichte – ich bitte, könnte ich ihn sehen, den Schirm; mir ist nämlich ein ganz genau solcher Schirm gestohlen worden. . . .«

Doktor Kammerer überlief es heiß und kalt. Erstens schon wegen der Wangen, Büste und Augen, dann aber auch wegen des Regenschirms.

»Gnädige Frau, ich bedauere unendlich, aber ein solcher Schirm war es nicht, es war ein ganz gewöhnlicher; das ist nur ein müßiger Klatsch.«

»Nein, Herr Doktor, das kann kein Tratsch sein. Die Frau Schiegl. . . .«

»Ach, die Schiegl! Was weiß denn die. Aber wenn gnädige Frau wirklich so großen Wert auf den Schirm legen, so werde ich natürlich mein möglichstes tun. . . .«

»Oh, Sie wissen gar nicht, welchen Wert der Schirm für mich hat. Sie würden mich wirklich zum größten Dank verpflichten!« Und ein strahlender Blick senkte sich in Doktor Kammerers hoffnungsfrohes Herz.

So ging er in das erste Schirmgeschäft des Städtchens, fand dort sogar einen noch schöneren, dem andern ziemlich ähnlichen Schirm, zahlte einen halben Monatsgehalt dafür und brachte ihn, Seligkeit im Herzen, zu ganz ungewohnter Stunde der Stillverehrten.

Frau Fanta war hochentzückt. »Ja, ja, das wird er schon sein, Ganzseide, Goldgriff, so habe ich ihn bestellt; wissen Sie, gesehen habe ich ihn noch nicht, denn ich ließ ihn gleich zum Graveur schicken, aber er war krank und da stellte ihn die Fanni 17 ins Vorzimmer, wie er da weg kam, weiß niemand, aber das ist er schon! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich Ihnen zu Dank verpflichtet bin, Herr Doktor! Ich muß Ihnen da ein Geheimnis anvertrauen, ich kann es ja tun, Sie sind ja ein so guter Bekannter, und schließlich wird es ja auch bald öffentlich werden, nur noch ein paar Tage bitte ich um Diskretion, ja? Ich habe mich nämlich in aller Stille mit Doktor Wiesinger verlobt und der Schirm ist das Hochzeitsgeschenk. . . .«

Es ist gar nicht notwendig, daß man einen Schauspieler so bewundert, wenn er eine Rolle gut spielt, das bringt jeder zusammen, wenn es sein muß. Doktor Kammerer lächelte verbindlich, wünschte herzlich Glück und ging mit dem liebenswürdigsten Lächeln auf den Lippen aus dem Hause der Braut des Feindes. Er lächelte noch ein paar Gassen weit, dann blieb er plötzlich stehen und sagte ganz laut: »Doppelte Schadensgutmachung – ohne Dolus – – der Teufel hole den Wiesinger! Fürstenhofer, gnad' dir Gott, wenn ich dich wieder einmal. . . .« 18

 


 


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