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Jungfräuliche Königin

Der Doktor auf einem Schimmel, vor sich im Sattel den Terrier Fips, hatte die Tête. Der Hauptmann und der Leutnant von Wachowski ließen die Gäule mit lockerem Zügel laufen und wechselten zwischen mattem Trab und Schritt.

Der Doktor sah sich um, und als er wahrnahm, daß sich die Entfernung zwischen ihm und den anderen vergrößerte, hielt er.

Weites, ebenes Land breitete sich bis zu dem fernen bläulichen Waldbande aus. Regelmäßig angelegte, gut gehaltene Wege führten kreuz und quer zu den Äckern, die in gelben, taufunkelnden Stoppelbreiten ruhten, oder in frisch aufgebrochenem Erdreich mit ihrer Wintersaat kommenden Segen erwarteten. Obstbäume mit weißgestrichenen Stämmen beugten sich an den Wegrändern in gleichmäßiger Entfernung voneinander unter der Bürde ihrer goldenen und roten Früchte, Kirschalleen liefen, schmuck und schön, von trockenem Astwerk gesäubert, geradlinig wie zwei Reihen Soldaten, zu einem noch nicht abgeernteten Kohlfeld, dessen blaurote Köpfe in schier unwahrscheinlicher Größe und Üppigkeit auf dem schwarzen Boden lagen.

»Donnerwetter, ist das eine Kultur!« rief der Doktor den näherkommenden Herren zu. »Schon Terkittener Boden, nehme ich an.«

»Hören Sie, Doktorchen«, sagte der liebenswürdige Hauptmann Riesberg, »dies Terkitten ist ein Paradies, höre ich eben von dem Leutnant, – und das Merkwürdige bei der Sache – das Paradies wird von einem Teufel regiert.«

»Ich hab' auch schon so was gehört … der alte Terkittener ist wohl sein Lebelang ein berüchtigter Rauf-, Saufbold usw. gewesen?«

»Ne, ne, ne – der Teufel ist diesmal feminini generis. Neues ist aus den Ruinen erblüht, wie der Dichter sagt. Wachowski hat mir nette Chosen erzählt.«

In diesem Augenblick stieg seitwärts aus den Stoppeln ein Volk Hühner auf und schwirrte surrend über den Weg. Das war zuviel für Fipsens Terrierherz. Mit einem Satz war er unten, mit einem zweiten im Felde.

»Um Gotteswillen«, … »den Köter zurück« … »Fips«, … die hallende Stimme seines Herrn, – ein kurzer Knall, – atemloses Schweigen – fast auf den Bruchteil einer Sekunde fiel das alles zusammen. Und einen Moment später waren die Herren abgesprungen und beteiligten sich mit erleichterten Zurufen an der Abstrafung des Schuldigen, der seine Jagdhiebe an Stelle der Todesstrafe in Empfang nahm.

»Hätte sie mir meinen kleinen Kameraden beinah totgeschossen«, sagte der noch ganz blasse Doktor, der sich den Terrier selbst aufgezogen hatte und ihn wie ein menschliches Wesen liebte.

»Wissen Sie, meine Herren, das ist unerhört«, rief der Hauptmann entrüstet. »So was tut man doch nicht. Man knallt doch keinen edlen Hund einfach nieder, wenn man sieht, daß er nicht herrenlos ist … So 'n verfluchter Kerl … das soll ihm angestrichen werden … dem wollen wir's besorgen.«

Der Leutnant deutete stumm auf einen Ebereschenweg links.

»Die hohe Herrin selber!«

Zwischen den noch kleinen Bäumen, die unter der Last von glühend roten Beeren leuchteten, stand eine hochgewachsene, sehr schlanke Frau, die sich eben langsam umwandte und in entgegengesetzter Richtung weiterging.

Man sah über der graugrünen Lodenjoppe unter einem kleinen Jägerhut eine festgerollte Fülle brandroten Haares, Lenox und Jagdtasche hingen zur Seite, und der kurze Rock ließ ein Paar Stiefel frei, die nichts mit koketter Damensportbeschuhung gemein hatten. Beim Schreiten aber machte sich eine böse Störung in der sonst untadligen Harmonie dieser Erscheinung bemerkbar: Der rechte Fuß schleppte erheblich, und bei der energischen Bewegung des ganzen federnden Körpers fiel das umso mehr auf.

»Da haben wir also den berufenen Teufel wie auf Stichwort«, bemerkte der Leutnant.

»Und hinken tut er wirklich auch noch, wie alle Teufel« …

Der Doktor fing jetzt erst an, sich von dem ausgestandenen Schreck zu erholen und seiner Entrüstung freien Lauf zu lassen.

»Bei diesem Frauenzimmer muß man Gastfreundschaft genießen … den Ruhetag noch dazu!? … das ist hart …, wenn Herr Hauptmann mich noch beurlauben könnten …«

»Stopp, stopp!« rief der Hauptmann. »Ich habe mir sagen lassen, daß für jeden passionierten Jäger die Versuchung nahe liegt, ein wilderndes Tier abzuschießen, und Fräulein von Terkuhn soll ja eine sehr temperamentvolle Dame sein, wie unser Leutnant mir eben erzählt.«

»Fräulein von Terkuhn? Nicht Frau?«

»Na, Wachowski, schießen Sie mal los … und erzählen Sie, warum Sie so erpicht auf dieses Quartier waren, und woher Sie so orientiert sind.«

»Wenn Herr Hauptmann gestatten«, sagte der Sommerleutnant etwas verlegen, und sein auffallend hübsches, offnes Jünglingsgesicht nahm an der Verlegenheit der Stimme Teil. »Eine kleine entfernte Cousine von mir ist Gesellschaftsdame bei dem Fräulein von Terkuhn. Wir sind sozusagen zusammen aufgewachsen, haben uns ein Jahr lang nicht gesehen …«

»So, so – also sehr begreiflich. Und die junge Dame hat Sie auch über die Verhältnisse unterrichtet?«

»Zu Befehl, Herr Hauptmann! Ich habe das Gefühl, die Terkittener Herrschaften und den ganzen alten Kasten genau zu kennen. Ich wundere mich auch gar nicht, daß Fräulein Adalisa von Terkuhn dem Doktor seinen Fips so ohne weiteres niederknallen wollte. Wie sollte Eine tierfreundlich sein, die so menschenfeindlich ist!«

»Na unter den Verhältnissen mußte sie das vielleicht werden … denken Sie, Doktor, der Leutnant erzählt, als vierjähriges Kind hat ihr Vater sie im Suff einem Kumpan als Fangball zugeworfen … dabei ist ihr die Hüfte ausgerenkt, oder so was … Dann eine gräßliche liederliche Fräuleinwirtschaft, – die Mutter tot …«

»Und dann ist sie nach Gnadenfrei gebracht worden«, erzählte der Leutnant weiter, »aber da ist sie ausgerissen – und das hat dem Alten imponiert. Er hat sie im Hause behalten und ganz als Junge aufgezogen. Sie hat ihm mit der Zeit all seine boshaften Triks abgelernt, ihn aber bald noch überholt. Was ich darüber so von meiner Cousine höre – ich kann Ihnen sagen, meine Herren, es ist kaum zu glauben, daß in unseren Tagen so was an mittelalterlichen Verhältnissen existiert.«

»Und Ihr Fräulein Cousine ist doch schon längere Zeit dort?«

Wachowski lächelte: »Die, ja die ist ein so sanftes, liebes und tüchtiges Mädel, daß da selbst der Teufel Halt macht. Und dann sagt sie auch ganz richtig: All das ganze Wesen geht mich ja eigentlich nichts an, ich werde meine Brotherrin ja doch nicht erziehen. Ich tue meine Arbeit, eher noch etwas darüber, und damit fertig.«

»Sagen Sie mal, der alte Herr lebt doch noch?«

»Jawohl … aber wie. Rechts gelähmt, – sitzt wie ein böser alter Uhu im Krankenstuhl … und hat schlimme Tage. Wissen Sie, die liebenswürdige Tochter, die nun natürlich ganz das Regiment führt, hat einmal ganz offen gesagt, als Lena – meine Cousine – einige Anordnungen zu seinen Gunsten machen wollte: »Nein, lassen Sie, – er hat mir meine Jugend verdorben, ich will ihm dafür sein Alter verderben.«

»Na erlauben Sie mal, das ist ja einfach unglaublich … So was äußert sie zu ihrer Gesellschaftsdame?«

»Ja, sie soll alles offen sagen und tun. Sie sagt solche Dinge auch zum Diener oder zum Briefträger. Sie ist so hochmütig, daß es ihr auf niemandes Meinung ankommt.«

»Natürlich hat dieser Engel Geld«, meinte der Hauptmann.

»Viel«, sagte Wachowski. »Und die Dukaten wachsen ihr nur noch so zu, da sie geschäftsschlauer sein soll als zehn Juden, und – alles was wahr ist – auch sehr tüchtig und tätig … Und nun läuft alles, was an Männlichem hier in der Gegend in Betracht kommt, hinter ihr her, trotzdem jedermann weiß, wes Geistes Kind sie ist …«

»Ja, Geld und ein schönes Gut sind und bleiben einmal Magneten«, sagte der Hauptmann, »und weiß Gott, vielleicht denkt auch dieser oder jener, daß ein Petrucchio in ihm steckt.«

»Wie meinen Herr Hauptmann?« fragte Wachowski unbefangen.

»Na, den Kerl aus der Widerspenstigen mein' ich.«

»Shakespeare«, sagte der Doktor lächelnd.

»Ach so, ach so … ja, ich erinnere mich schon … Aber, pardon, lachen Sie mich nur aus, Doktor, ich bin kein Schriftgelehrter – mehr fürs praktische Leben …«

Die beiden Herren nickten ihm wohlwollend zu. Er war ihnen in der Manöverzeit mit seiner heiteren, wasserklaren Liebenswürdigkeit ein angenehmer Kamerad gewesen. Sie kannten sein einfaches, arbeitsvolles Landwirtsleben, seine Lehr- und Wanderjahre auf mehreren großen Gütern der Provinz, seine bescheidenen Zukunftspläne bis zu dem Obstgütchen, auf das er nach der Übung die Hand legen wollte, so genau, daß sie ordentlich erstaunt über die bisher nicht erwähnte Cousine waren. Das fiel wohl beiden im Augenblick ein, aber hinter diesem freundlichkleinen Schicksal tauchte die böse, hinkende, schöne Rothaarige auf, die dem Vater das Alter verdarb und die fremde, edle Hunde gnadenlos niederknallte.

»Im Moment, in dem der Köter hinuntersprang, sah ich ja den Rotkopf, kam aber natürlich nicht dazu, sie mir näher anzuschauen«, sagte der Doktor. »Ich sah sie anlegen … Herr Hauptmann nicht?«

Der Hauptmann schüttelte den Kopf und strich seinen Schnurrbart. Er war ein bißchen Idealist und lief, wenn sich's so traf, dem Fünkchen Romantik nach, das irgendwo an seinem Weg aufleuchtete. Man sah ihm jetzt ordentlich an, daß er träumte.

»Natürlich Petrucchio« dachte der Doktor, der ihn mit einem aufmerksamen Blick streifte. Aber er sagte nichts, teils aus Gutmütigkeit und teils aus Disziplin.

Schweigend ritten sie nun eine Weile weiter …

»Das ist die große Pappelallee, die zum Hof führt«, sagte dann Wachowski lebhaft und ein wenig unruhig. »Ja, da stehen auch unsere Kerls.« …

Man nahm den Weg unter den hohen Pappeln in schlankem Trab, sprach an der Ecke mit den wartenden Burschen, die schon seit einer Stunde da waren und bog dann in den Hof.

Das Gutshaus, ein einstöckiges, weinumranktes Haus mit aufgesetztem Giebel, lag rechtwinklig

zu dem Wirtschaftshof, dessen prachtvolle Stallungen und Scheunen dem Leutnant einen Ausruf der Bewunderung entlockten, obgleich ihm doch andere Gedanken näherlagen.

Auf der einfachen, von Pfeifenkraut umwucherten Holzveranda, an der die Herren hielten, stand ein alter Diener, der sie, nachdem ihnen die Burschen ihre Pferde abgenommen hatten, in eine große, niedrige Halle führte.

Eine zierlich gewachsene junge Dame mit klarem, brünettem Jungmädchengesicht trat ihnen entgegen, – die Cousine. »Hauptmann Riesberg«, stellte dieser sich vor, und dann den Doktor, da der Leutnant sich zurückhielt und nun erst sich einen herzlichen Blick und Händedruck holte. Die erwartungsvolle Stimmung der letzten halben Stunde verschwand angesichts der anmutigen Unbefangenheit, mit der das junge Mädchen die verbindlichen Worte erwiderte, mit denen die Gäste die verwandtschaftlichen Beziehungen noch einmal feststellten.

»Ich habe als Schaffnerin des Hauses den Auftrag, für die Behaglichkeit der Herren zu sorgen«, sagte sie dann. »Das Frühstück ist auf den Zimmern bereit, der Diener wird führen. Und wenn die Herren in bezug auf die Zeit des Mittagessens einen Wunsch haben …«

Sie fügten sich gern den Gewohnheiten des Hauses und waren mit der üblichen Tischzeit um 2 Uhr sehr einverstanden. – Wann sie den Herrschaften ihre Aufwartung machen dürften?

»Das gnädige Fräulein bittet vor Tisch im Salon.«

Während der Hauptmann sich bei den Burschen nach der Unterkunft von Leuten und Pferden erkundigte, die er vor dem Frühstück noch gesehen haben wollte, verweilten die beiden anderen mit Fräulein Lena Aussig in der Halle.

Wachowski und sie reichten sich wieder die Hände und jetzt mit mühsam unterdrücktem Jubel …

»Entschuldigen Sie«, bat sie den Doktor mit feuchten Augen, »aber ich habe mich so sehr auf meinen Vetter gefreut … Dir, Hans, will ich nur noch schnell sagen, daß ich dich nach Tisch eine Stunde für mich haben darf, wenn der Dienst es dir erlaubt. Jetzt muß ich mich verabschieden. Die Wirtschaft ruft.« …

»Ein liebes Menschenkind«, sagte der Doktor. Wachowski sah ihr mit weit offenen, glücklichen Augen nach. Dann folgten beide dem Diener über eine breite, ausgetretene Treppe in ihre altväterisch behaglichen, asterngeschmückten Zimmer.

Adalisa von Terkuhn erwartete die Einquartierungsgäste in dem großen Gartensaal, der Sommer und Winter ihr Lieblingsaufenthalt war. Noch blieb eine Stunde Zeit bis zum Mittagessen, und sie hatte sich die Tageszeitungen mitgenommen, die ihre einzige Lektüre bildeten. Aber sie las nicht, sie ging in einer kleinen, ihr sonst nicht gewohnten Unruhe hin und her.

Der große, niedrige Saal mit seinen vier bogigen Glastüren nach dem verwachsenen Garten und seinem Eckfenster nach dem Wirtschaftshof hin, wirkte wie ein eigens für sie geschaffenes Umbild.

Er hatte eine altmodisch grüne Wandbekleidung, von der sich ein paar Familienporträts aus alten Zeiten lebensvoll abhoben. Keine eigentliche Ahnengalerie, dazu waren es zu wenige. Die Terkuhns, Jahrhunderte lang auf derselben Scholle ansässig, hatten nur ein paar Vertreter ihres Namens in die Welt entsandt, wo sie sich Geltung und Lorbeeren holen konnten. Es waren immer wenig Kinder in der Familie gewesen, und wer bleiben konnte, blieb in dem alten Waldwinkel, in dem er hochgewachsen war. Bis in die alten Preußenzeiten wollten die Terkuhns ihren Ursprung hinunterleiten, und wunderlich mischten sich in den Familiensagen Heidentums-, Ordensritter- und Polengeschichten durcheinander. Da es aber selten einen Schriftgelehrten im Hause gegeben hatte, beruhte fast alles, was man von den alten Zeiten erzählte, auf mündlicher Überlieferung. Nur ein paar auf dickem Pergament gemalte Urkunden mit Wachssiegeln daran gab es – die lagen als Gerippe der von einer rohen und blutdürstigen Romantik durchwehten Begebnisse der Familiengeschichte in der plumpen, uralten Eisenkiste, die unter dem Bildnis des weiland kurbrandenburgischen Fahnenjunkers ihren Platz hatte.

Dieses und ein paar andere aus den verschiedenen Jahrhunderten übrig gebliebene Terkuhnbilder sahen alle unter demselben Rothaar hervor, aus denselben hellen Raubvogelaugen um sich, und die Allen gleiche kinnvorstreckende Haltung des kleinen Kopfes war sicher nicht von dem jeweiligen Maler erfunden worden.

Auch Adalise von Terkuhn, die letzte des alten Stammes, gehörte so ganz und gar zu ihnen, als ob sie aus einem der alten, ungefügen Rahmen heruntergestiegen wäre. Und sie empfand das so stark, daß dieses Gefühl zwischen ihr und Allem was um sie lebte eine Schranke zog.

Es war ein Lieblingsträumen von ihr, sich die Jahrhunderte hinabzuschleichen bis zu dem alten Preußenführer hin, der, die Steinkeule um die rote Mähne schwingend, hinter der heiligen Eiche hervorsprang um den Fremden gnadenlos zu erschlagen, der das Heiligtum betrat.

An dieser selben Eiche zu stehen und all das Dunkle, gar nicht in Worte zu Fassende in sich aufwachen und beben zu fühlen, war ein Gottesdienst für sie.

Daß sie sich aus solchen Träumen ihren seelischen Bedarf an Steigerung holte, machte sie sich in richtig zusammengefaßten Gedanken nicht klar, aber wenn die Alltagslasten, die sie sich mit brutaler Energie aufgeladen hatte, sie zu ermüden anfingen, dann vertiefte sie sich in diese Zwiesprache mit »ihresgleichen«, den Gleichen, die sie um sich her nicht finden wollte. Was sie in ihren Tag daraus heimtrug, hieß Kampf.

Und sie kämpfte mit dem vernachlässigten Boden, mit der Trägheit und Dummheit ihrer Leute, mit den Getreide- und Viehhändlern, die in früheren Zeiten jahraus, jahrein aus der lässigen Arbeit ihres Vaters den Vorteil gezogen hatten – und endlich gegen die Freier, die das schöne Terkitten mitsamt ihrer streitbaren Person als ehehörig an sich reißen wollten …

Aber es war kein frischer und fröhlicher Kampf. Ein verbissener Groll wohnte auf seinem Grunde, und die Waffen, mit denen sie ihn führte, waren durch Hohn und Bitterkeit vergiftet. Sie empfand ihren körperlichen Schaden, obgleich sie ihn mit eiserner Willenskraft ihrer Beweglichkeit untertan gemacht hatte, als eine Schmach für die Terkuhns, und aus dem Hass gegen ihren Vater, der sie zu einer Gezeichneten herabgewürdigt und zugleich die Schönheit des ganzen Geschlechts geschändet hatte, wuchs mit der Zeit noch allerlei Hartes und Zersetzendes heraus, das sie mit einer gewissen Freude pflegte.

So war sie trotz ihres Reichtums und ihrer Schönheit keine begehrenswerte Freundin oder Frau. Das wußte sie sehr wohl! Aber sie wollte es auch nicht sein. Und daß man sich ihr trotzdem immer wieder näherte, erfüllte sie mit einer grenzenlosen Nichtachtung und einem unbesiegbaren Mißtrauen gegen alles und alles, vornehmlich aber gegen den Mann.

Dabei sagte sie sich täglich und stündlich, daß sie zu der engsten Lebensgemeinschaft, der Ehe, verurteilt sei.

Der Gatte, den sie wählen würde, sollte nach Königsbestimmung den Namen Terkuhn tragen – auf ihr lag die Verpflichtung, das alte, heilige Geschlecht zu erhalten.

Wo aber war der, den sie als würdig betrachten konnte, ihren Namen zu führen und Vater ihrer Kinder zu werden? So eifrig sie auch im Geheimen mit ihren hellen Augen Umschau gehalten hatte, bisher war es unmöglich gewesen, einen Mann zu finden, den sie in eine Reihe mit »ihresgleichen« hätte stellen können.

Ihr Herz hatte nie, ihre Sinne ein paarmal gesprochen.

Einmal, vor mehreren Jahren, war es ein hübscher, rotköpfiger Stallknecht gewesen, zu dem eine unerklärlich heiße Wallung sie gezogen hatte. Als sie merkte, daß dieses Fremde in ihr sie überwältigen wollte, hatte sie dem ahnungslosen Burschen bei einem geringfügigen Versehen, das er begangen, die Reitpeitsche um die Ohren geschlagen und ihn davongejagt.

Das andere Mal kam eine standesgemäße Verirrung. Der bekannte Don Juan, Graf Revetzow, der als Reichstagskandidat des Bundes der Landwirte seine Besuche in dem Kreise machte und mit seiner glänzenden, draufgängerischen Persönlichkeit auch trotz höherer Semester eine ständige Gefahr für das ewig Weibliche geblieben war.

Seine festen Händedrücke, seine heißen Blicke und gewagten Worte, bei ihm Klischee, für Adalisa von Terkuhn eine neue, seltsame Erfahrung, verursachten ihr noch längere Zeit in der Erinnerung eine schwindelnde, wonnige Sehnsucht.

Aber der Graf war Familienvater, wohnte weit ab und kam nie wieder. Da erlosch das Feuer, das er angezündet hatte, allmählich, und die kühle, verständige Gattensuche der letzten Jahre begann von neuem.

Und immer und immer vergeblich. Und es wurde Zeit, Ernst zu machen. Sie hatte ihren 30. Geburtstag gefeiert, und es verging kein Tag, an dem ihr Vater von seinem Rollstuhl aus ihr nicht ein paar rohe, wie Peitschenhiebe treffende Worte über ihr vergebliches Bemühen und ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit ins Gesicht geworfen hätte.

Da sah sie sich denn auch in weiteren Kreisen um, wo sie es konnte, ohne ihrem Hochmut allzu große Opfer aufzuerlegen. Auf Pferdemärkten, auf den Rennen in Königsberg. Sie hatte sich bei einem Besuch des Kaisers in der Provinz vorstellen lassen; und überall, schön, scheu und abstoßend wie sie war, hatte sich dasselbe Spiel wiederholt, das sie nun seit Jahren kannte. An den Tagen nach solchen Festlichkeiten, denen sie, stilgerecht und kostbar gekleidet, beigewohnt hatte, häuften sich Blumen und Briefe, von fremden Namen unterzeichnet, in denen man ihr Herz und Hand zu Füßen legte. Zähneknirschend buchte sie es dann jedesmal, daß nur die Minderwertigen sich ihr näherten und suchte und suchte weiter.

Sie fing an, auf den Zufall zu rechnen, und seit vor acht Tagen die Meldung der Einquartierung gekommen war – in dem abgelegenen Winkel eine Seltenheit – beschäftigten sich ihre Gedanken auch mit diesen in ihren Gesichtskreis tretenden Männern, die als Offiziere und adlig, wie sie annahm, immerhin in Betracht kommen konnten.

Sie war ihnen am Morgen mit Absicht entgegengegangen, um sie, selbst ungesehen, zu beobachten, und in der Wut über diesen unwürdigen Entschluß, vielleicht auch darüber, daß sie von keinem der drei den gewünschten Eindruck empfangen, hatte sie auf den wildernden Hund gezielt.

Jetzt war es ihr übrigens doch lieber, daß sie ihn nicht getroffen hatte. Es wäre ein peinliches Zusammenkommen gewesen, die Entschuldigung schon jetzt nicht angenehm, solchen gleichgültigen und ungeladenen Gästen gegenüber. Dem, der den Terrier mit sich schleppte, grollte sie geradezu. »Warum kommt keiner wie du?« dachte sie, voll von der neuen Enttäuschung vor dem Bilde des Fahnenjunkers stehen bleibend. »Und warum muß ich wie eine Hündin hinter den Männern herlaufen, die ich verachte?«

Es klopfte. Fräulein Lena trat ein.

»Was wünschen Sie?«

»Ich wollte fragen, ob das gnädige Fräulein noch einen Blick auf die Tafel werfen möchte … und dann wegen der Plätze …«

»Der Tisch interessiert mich nicht – und die Ordnung? Mich führt natürlich der Hauptmann und rechts der Nächstälteste …«

»Das wäre der Stabsarzt …«

»Warten Sie mal … wer ist denn mit einer Töle angekommen? Den möchte ich nicht an meiner Seite haben. Den können Sie sich nach unten nehmen.«

»Der Stabsarzt hatte, so viel ich sah, einen Hund bei sich, den er dem Burschen übergab«, sagte Fräulein Lena ein klein wenig enttäuscht. »Dann käme also der Leutnant von Wachowski rechts vom gnädigen Fräulein.«

»Wer von den Herren war doch Ihr Verwandter, Fräulein?«

»Leutnant von Wachowski« sagte Fräulein Lena mit einem kleinen Hoffnungsschimmer in den Augen, der ihrer Herrin nicht entging.

»Also den Leutnant rechts, und den Hauptmann – wissen Sie, wie er heißt? …«

»Riesberg …«

»Gut« nickte Fräulein von Terkuhn und machte eine entlassende Bewegung. Dann besann sie sich noch einmal. »Fräulein!«

»Gnädiges Fräulein befehlen?«

»Wie kommen Sie zu einem Vetter, der adliger Leutnant ist? Und wird es ihm nicht unangenehm sein, Sie hier in dienender Stellung zu finden?«

»Ach nein« sagte Fräulein Lena mit einem halb stolzen Lächeln. »Meine Mutter war eine Wachowski. Unsere Güter lagen im Posenschen nebeneinander. Wir sind fast zusammen aufgewachsen, und wir haben uns sehr gefreut auf dieses Zusammentreffen … Ja und dann ist er ja auch nur Reserveleutnant …«

»So, – was treibt er denn sonst?« …

»Er ist Landwirt, gnädiges Fräulein, und er wird sich nach der Übung ein kleines Gut in der Mark kaufen. Er hat eins in Aussicht …«

»Hat er Ihnen das in aller Eile beim Empfang erzählt? Ich hoffe, Sie haben die Verwandtschaft bei den anderen Herren nicht betont. Sie müssen sich selbst sagen, daß das in Ihrer Stellung sehr wenig passend gewesen wäre …«

»Es ist auch nicht geschehen, gnädiges Fräulein. Die Herren sind gleich auf ihre Zimmer gegangen, – ich habe meinem Vetter nur gesagt, daß ich Erlaubnis hätte, nach Tisch eine Stunde mit ihm zusammen zu sein …«

»Wenn nichts Besonderes dazwischenkommt«, sagte Fräulein von Terkuhn. »Sagen Sie also dem Ferdinand Bescheid, daß er die Herren hier hereinführt, und lassen Sie dann sofort anrichten …«

* * *

Und nun traten die Herren ein und standen alle drei in leiser Befangenheit der königlich schönen Hausherrin gegenüber, die doch selbst immer ihren ganzen Hochmut zu Hilfe nehmen mußte, um ihre Weltungewandtheit zu verbergen. Wenn sie mit niedergeschlagenen Augen dastand, wie eben jetzt, war sie neben all ihrer stolzen und regelmäßigen Schönheit auch noch lieblich. Nur wenn sie sie aufhob, diese graugelben Terkuhnaugen hinter den starken roten Wimpern, dann huschte ein böser Zug über ihr Gesicht, der seinen Reiz verminderte und ihm Schärfe und Charakter gab.

Der Doktor beobachtete das kritisierend, der Hauptmann und der Leutnant aber waren wie geblendet, der eine von gesteigertem Lebensgefühl, der andere von einer fast ängstlichen Scheu ganz erfüllt.

Fräulein von Terkuhn entschuldigte mit ein paar Worten ihren Vater, der die Herren bei Tisch begrüßen würde, gewann es auch über sich, für die geplante Entschuldigung die passenden Worte zu suchen. Nur wandte sie sich damit nicht an den Doktor, sondern an den Hauptmann, und sah, während sie sprach, mit großen Blicken nach dem armen Wachowski, dem dabei heiß und kalt wurde.

Und dann meldete der Diener, daß serviert wäre, und Fräulein von Terkuhn ging an dem Arm des Hauptmanns in den nebenan gelegenen düsteren Eßsaal.

An einer Schmalseite der Tafel saß im Rollstuhl der alte Herr, der die Tischgäste mit lauter, heiserer Stimme willkommen hieß und einige bittere, humoristisch sein sollende Bemerkungen über seine Hilflosigkeit machte. Neben ihm stand vor der Suppenterrine Fräulein Lena. Ihr anmutiger Gruß nahm den Fremden das Gefühl der Unbehaglichkeit und gab vor allem dem Leutnant seine verschwundene Fassung wieder.

Es wurde aber doch ein merkwürdiges Mittagessen. Äußerlich sah alles üblich und anmutend aus. Der blumen- und weinlaub-geschmückte Tisch in der Mitte des langen, mit schwerem Urväterhausrat ausgestatteten Zimmers trug plumpe Silberschaustücke und uralte dickfüßige Gläser mit eingeschnittenen Wappen. Ihre Anzahl ließ übrigens auf eine sehr ausgiebige Mahlzeit schließen – eine sonst im Manöver mit angenehmen Empfindungen begrüßte Aussicht. Aber heute nahm außer dem alten Herrn, der mit gierigen Blicken die üppige Anordnung streifte, kaum jemand Notiz davon. Schon daß Fräulein von Terkuhn den Leutnant, der sich seiner Cousine genähert hatte, zu sich herüberwinkte, gab Veranlassung zu einer gewissen nachdenklichen Stimmung – bei ihm mit Enttäuschung und dem bangen Gefühl gemischt, das ihn neben der rothaarigen Gutsherrin wieder ganz gefangen nahm.

Nur mit Anstrengung des Hauptmanns kam das Tischgespräch anscheinend in heiteren Fluß. Allerlei Worte flogen hin und her, über Krieg und Frieden, über ehemalige Kameraden des Hausherrn, Pferdemärkte und Geselligkeit in Königsberg, über Manöver und Dienst, über Jagd und Ernte.

Aber hinter all diesen gesprochenen Worten vereinten sich die gedachten zu einem Strom, der Herz und Sinne mit Spannung und Unruhe überflutete und in jedem einzelnen Empfindungen wach rief, die mit dem, was man sagte, in geringem Zusammenhang standen.

In dem alten Terkuhn kämpfte der Groll, von den Lebensfreuden vorzeitig ausgeschlossen zu sein, mit dem Verlangen danach – der Hauptmann, benommen von seiner Nachbarin, zitterte innerlich, wenn ihr Kleid ihn streifte –, der Doktor beobachtete nach seiner Art und machte sich Bilder von dem persönlichen dieser schwatzenden Menschen zurecht; zwischen Wachowski und Fräulein Lena flogen sehnsüchtige Blicke hin und her, und das Merkwürdigste erlebte Adalisa von Terkuhn ansich, obgleich gerade sie scharfe und treffende Bemerkungen in die allgemeine Unterhaltung warf und auch hier und da ihren begeisterten Verehrer, den Hauptmann, mit einem vollen Augenaufschlag beglückte und erschreckte.

Sie hatte zuerst angefangen, sich mit dem stillen, fast abweisenden Gesicht des Doktors zu beschäftigen, der, wie sie mit Unbehagen merkte, nur gerade aus Höflichkeit Notiz von ihr nahm, aber dann hatte sie einen Blick Lena Aussigs nach Wachowski hin aufgefangen. Ganz flüchtig, aber so voller Innigkeit und Bangen, daß Adalisa von Terkuhn erschrocken und empört darüber war.

Es fiel ihr zum erstenmal ein, ihre Gesellschafterin, die ihr bisher nur wie eine gutgehende, leistungsfähige Maschine erschienen war, als Persönlichkeit zu betrachten. Und da fand sie, daß da ihr gegenüber ein sehr anmutiges, junges Mädchen saß, das in dem anspruchslosen Sommerkleide, mit den glatten, tiefschwarzen Scheiteln, den blühenden Farben und den dunkeln, vielsagenden Augen Reize entwickelte, die ihr selbst ganz und gar fehlten. Jetzt erinnerte sie sich, daß jedermann von dem »Fräulein« eingenommen zu sein schien, nicht nur ihr Vater, dessen ausgesprochene Vorliebe sie wohl der senilen Neigung für alles Jungweibliche überhaupt zugeschrieben hatte.

Auch die Herren heute, wie verhielten sie sich diesem dienenden Geschöpf, diesem Nichts gegenüber? Den Hauptmann hielt sie selbst in ihrem Bann, das fühlte sie, aber dieser Doktor, der ihr mit gleichgültigem Respekt begegnete, hatte einen zutraulichen Ton in der Stimme, wenn er mit seiner Nachbarin sprach. Und der Leutnant, der sogenannte Vetter? Sie beobachtete ihn von der Seite, und nun nahm sie auch in seinen Augen jenes zärtliche Blicken wahr, das auf Einverständnis und Zusammengehörigkeit schließen ließ.

In heißem Groll zog sich ihr Herz zusammen. Warum hatte sie noch nie in ihrem Leben ein solches Spiel zartsinniger Hingabe über sich erstehen gefühlt? Sie sah, wie ihre Dienerin sich ordentlich verschönte dabei, wie ein träumerischer Glanz die braunen Augen vertiefte und das junge Gesicht von innen heraus zu leuchten begann.

Freilich, der sogenannte Vetter rechtfertigte wohl diese auffällige und beinahe anstößige Verliebtheit.

Welch ein schöner Bursch' war das mit der schlanken, sehnigen Gestalt, dem offenen, braunen Gesicht, in dem die graublauen Augen wie zwei Lichter brannten, in dem der vollflippige, rote Mund unter dem braunen Bärtchen lockte.

Wenigstens leicht entzündbare Personen, wie diese Lena, die augenscheinlich ganz vergaß, daß sie an dem herrschaftlichen Tisch ihre Privatangelegenheiten denn doch in anständiger Verborgenheit zu halten hatte.

Ob's nicht an der Zeit war, ihr und ihrem vis-à-vis das deutlich zu machen? Ein dunkler Instinkt warte sie, und sie schwieg, während heiße Wellen von Groll und Neid in ihr auf und ab fluteten.

Sie hatte, in ihre Gedanken vertieft, den jungen Leutnant so scharf ins Auge gefaßt, daß der Hauptmann in Verlegenheit geriet und sprach, ohne zu wissen was, und daß Wachowski selbst, als er es endlich merken mußte, einen halb unbehaglichen Schauer in sich aufsteigen fühlte. Der alte Herr brach den Bann, den außer Adalisa die ganze Gesellschaft zu spüren anfing.

»Ja, warum nimmst du denn den Leutnant so aufs Korn, Adalisa?« rief er mit seiner heiseren, gebrochenen Stimme, »der bekommt ja ordentlich das Graulen.«

Nun fuhr sie zusammen und schlug die Augen nieder wie ein verlegenes, junges Mädel. Das halbe geheimnisvolle Lächeln um den großen, weichen Mund gab ihr einen plötzlichen Liebreiz, der nicht Einem ging. Dem jungen Leutnant, der eben noch voller Sehnsucht und Zärtlichkeit nach seiner Cousine geblickt hatte, begann das Herz zu schlagen, und er wartete in Unruhe auf das Wort, das kommen mußte.

»Ich suchte etwas in dem Gesicht des Herrn von Wachowski«, sagte Fräulein von Terkuhn und lächelte weiter.

»Eine Ähnlichkeit natürlich«, half ihr der Hauptmann. »Es ist sonderbar, Wachowski, erinnern Sie sich nur, wer hat nicht alles schon Ähnlichkeit zwischen Ihnen und Bekannten oder Verwandten zu finden gemeint? Ich nicht. Ich habe kein Talent dazu.«

Der Leutnant konnte sich durchaus nicht erinnern und sah sich mit fragenden Blicken um. Ihm war gar nicht behaglich zu Mute, er hatte das Gefühl, daß die hellen Falkenaugen seiner schönen Nachbarin durch die Lider hindurch in ihn hineindrangen.

Was in aller Welt konnte sie in seinem Gesicht zu suchen haben?

Ja, was suchte Adalisa von Terkuhn in diesem klaren, glattwangigen Jünglingsgesicht? –

Sie suchte nicht mehr, sie hatte schon gefunden. In dem Moment der Frage ihres Vaters war der Gedanke wie ein Blitz in ihr aufgesprungen. Nun nahm er, getränkt von Herrschfreude, Begehren und einer Spur vorschauender Überlegung ganz und gar von ihr Besitz: diesen Mann wollte sie zu einem Herrn von Terkuhn, ihrem Gatten und Sklaven machen.

Von diesem Augenblick an gab sie sich keine Mühe mehr, die Wirtin auch nur zu markieren. Sie wendete sich von dem Hauptmann ab und ganz dem jungen Wachowski zu, während ihr Vater die Unterhaltung mit den anderen nach seinem Belieben, immer lauter im Ton und kräftiger im Stoffe, führen durfte. Die arme kleine Lena hätte wohl rot werden können bei all den derben agrarischen Späßen des losgelassenen alten Junkers, aber sie hörte nicht hin. Sie antwortete auch nur mechanisch auf die Fragen des Doktors, der, ohne viel Erfolg den Hausherrn zu unterbrechen versuchte – sie mußte voll Staunen und Bangen immer wieder nach dem Paar ihr gegenüber sehen.

Was bedeutete das nur? Was wollte das Fräulein von Terkuhn, die Hochmütige, die Männerfeindin, gerade von ihrem Vetter? Und was wußte sie von ihm? Jedenfalls würde nur Schlimmes für den armen Hans dabei herauskommen, denn Fräulein Adalisa war gefährlicher in ihrer festlichen Freundlichkeit als in der grollenden Alltagsstimmung, das hatte sie an sich erfahren. Wenn nur erst der Kaffee serviert würde, dann konnte sie ihm ein Wort der Warnung zuflüstern und dann kam ja auch die heißersehnte Freistunde, die sie mit ihm zusammenführen sollte. Wie hatte auch er sich vorher darauf gefreut!

Plötzlich war es ihr, als ob zwischen den liebevollen Blicken, die sie noch vor kaum einer halben Stunde gewechselt hatten und seinem jetzigen An-ihr-vorübersehen Ewigkeiten lägen. Was war das nur? Was ging in ihm vor? …

Ja, was ging in ihm vor?

Als sich die wunderschöne Frau – »Mädchen« wagte er sie kaum vor sich zu nennen – mit einem Ruck ihm zugewendet hatte, als dann ihre scharfen Augen sich mit großen Blicken in die seinen tauchten, um ihn nicht mehr loszulassen, da war mit einem elektrischen Schlage zugleich eine heiße Angst in ihm hochgestiegen.

Dann fing sie an zu fragen, so geradezu, wie sonst fremde Damen in Gesellschaft nicht zu fragen pflegen, nach Familien- und Vermögensverhältnissen, nach Alter, Gesundheit und Neigungen. Darüber war er halb erstaunt und halb empört, aber er antwortete doch wie unter einem Zwange. Einmal überflog ihn die Idee, daß sie ihn Lenas wegen so ausfrage, aber dann kam eine eigentümliche Bemerkung von ihr, die ihn von diesem Wege wieder abbrachte.

Sie erkundigte sich, ob es eine Geschichte seiner Familie gäbe, und ob sein Adel Sobieski-Adel wäre.

Das war nun seine schwache Seite, da man seinen polnischen Namen oft nicht für vollgültig ansah.

Nein, sie waren zwar verarmt, aber ein altes Starostengeschlecht. In der Polengeschichte wimmelte es von stolzen und tapferen Wachowskis. Bei Rednitzko lagen die Trümmer ihrer alten Raubburg. Da hatte z. B. vor drei Jahrhunderten ein Bogis Wachowski gehaust, dessen Schandtaten, wie er leider bekennen mußte, heute noch in den Liedern des Volkes lebten.

Da rief das Fräulein von Terkuhn ganz laut und triumphierend: »Wie mich das freut! Wie mich das freut!«

»Warum nur?«

Er erhielt keine Antwort. Und nun schoss es ihm durch den Kopf: »Sie braucht einen Güterdirektor und will mich engagieren – und hochmütig wie sie ist, freut sie sich, daß ich von Adel bin – aber daraus wird nichts« – und mit einem lächelnden Blick sah er endlich wieder zu Lena herüber.

Da aber lehnte Fräulein von Terkuhn sich fest an seinen Stuhl, ihre Schulter streifte ihn, und ihre Augen blickten in die seinen so herausfordernd, so heiß und weich zugleich, daß er mit einemmal wußte, was sie von ihm erwartete. Er gefiel ihr als Mann, er dieser unnahbar Stolzen, vor deren Falkenauge sonst keiner Gnade fand – er, der kleine Sommerleutnant dieser wunderschönen Herrin – seine Jugend – seine Person rissen dieses Weib zu ihm. – Das Weib. – Nur das Weib.

Wie ein heißer Traum sank es über ihn, und von nun an sah er alles um sich her durch einen rotgoldenen Schleier. Die arme Lena stand dahinter wie eine liebe, aber halb vergessene Bekannte aus fernen Zeiten, zu der man im Vorübergehen freundlich hinüberwinkt …

Als endlich die Tafel aufgehoben wurde, trat sie zu ihm und sagte, daß sie ihn nach dem Kaffee zu einem Spaziergang erwarte.

Er sah sie verträumt und lächelnd an und nickte ein »Ja«, aber dann stand er schon wieder neben Fräulein von Terkuhn und fand es ganz selbstverständlich, daß sie den Arm in den seinen legte.

»Sorgen Sie für Kaffee und Likör, Fräulein Aussig« sagte sie über die Schulter weg, »und leisten Sie den Herren, so lange es gewünscht wird, Gesellschaft. Sehen Sie auch nach meinem Vater. Ich gehe mit dem Herrn von Wachowski nach den neuen Obstpflanzungen.«

Den Herren kurz und mit lässiger Handbewegung zuwinkend, stieg sie die breite Treppe zum Garten hinab, – Hans von Wachowski schweigend und glühend neben ihr. Der rote Kopf überragte seinen dunkeln um ein Weniges, und wie der leichte Gang ihres Begleiters sich dem wiegenden, schleppenden unterordnete, den sie sich für ihre Person zurechtgestimmt hatte, schien er der Unsichere, während sie den Schritt angab.

»Jungfräuliche Königin«, entfuhr es dem Hauptmann, der den so ohne Umstände sich Absondernden verblüfft nachblickte.

»Ich möchte sagen: der Teufel mit der armen Seele« erwiderte der Doktor achselzuckend und sah sich nach Fräulein Lena um.

Die unterdrückte mit der Selbstzucht, die ihre Stellung sie gelehrt hatte, die Tränen, die aus bangem Herzen aufquellen wollten. Sie bot den Gästen den Kaffee an, überredete Herrn von Terkuhn sein Zimmer aufzusuchen, und verabschiedete sich dann, dem Wunsch ihrer Herrin entgegen, von den

Beiden, die voll mitleidiger Rücksichtnahme keinen Widerspruch wagten. – – Das Fräulein von Terkuhn und ihr Begleiter gingen inzwischen durch den alten Lindengang, und ihre Füße wühlten in gelben, raschelnden Blättern.

Es war ein goldner Septembertag, die Laubbäume standen in ihren herbstlichen Prunkkleidern bunt und leuchtend umher, und die mächtigen Weymouthskiefern zeichneten ihr tiefdunkles Grün doppelt düster dagegen. Der Himmel spannte sich so hoch und klarblau wie im Süden, aber die Sonne mit all ihrem Goldgefunkel wärmte nicht mehr. Große Blumenbüsche sahen hinter Hecken und Sträuchern hervor – gelbe Sonnenblumen, rote Malven, alles leuchtend, aber ohne den süßen Sommerduft. Dafür atmete der Herbst kräftig und herb durch Baum und Strauch über die glattgemähten Wiesen und von den jungen Schonungen her, die sich jenseits des alten Staketenzauns aufreckten. Es war so still, daß das liebliche Zirpen des Zaunkönigs schon wie ein helles Stimmchen aus dieser Stille aufsprang – und das Schweigen der beiden Menschen darin war eine Selbstverständlichkeit.

Übrigens gingen beide so tief in Gedanken, daß es ihnen gar nicht auffiel.

Adalisa von Terkuhn fühlte eine trunkene Freude. Eine Art von Jägerinstinkt sagte ihr, daß sie eine gute Wahl träfe, wenn sie diesen Mann an sich zog.

Es war nicht Zärtlichkeit, die sie empfand, wenn sie seine sanften, dunkelbewimperten Augen an sich hängen sah, auch nicht eine der Aufwallungen, die sie als »Niedrigkeiten« in sich hier und da zu bekämpfen hatte, – es war mehr eine aufquellende Dankbarkeit, weil sie sich ihrem Ziel endlich nahe fühlte. Und dann tauchte auch noch etwas anderes dahinter auf, etwas Schlimmes, was doch zu den seltenen Freuden gehörte, die das Leben ihrem Wesen bot – das Bewußtsein, einem anderen Menschen wehe zu tun, darben zu machen, während sie genoß. Ohne daß sie das alles in Worte fasste, kochte es in ihrem Hirn durcheinander – praktische Fragen quirlten mit auf – Bedenken, ob dieser junge Mann Kenntnisse und Überblick genug für eine so große Herrschaft besitzen werde, – denn der Oberinspektor mußte natürlich fort – der rote Kopf des Fahnenjunkers tauchte dazwischen auf – auch eine flüchtige Vorstellung von rothaarigen Buben, die auf wilden, kleinen Pferden über die Felder jagten. In all dieses phantasierende Denken und Bedenken hinein rief eine Stimme immer ganz laut: »Greif zu, greif zu.« …

Durch die Obstkulturen waren sie nun schon gegangen und kamen an den weißgestrichenen, stachelbewehrten Zaun, der den Obstgarten von einem Wiesengelände schied. Da blieb sie stehen und legte den Arm um einen glatten Stamm. Ihre Augen suchten mit forderndem Blicke die seinen. Er strich mit der feinen, braunen Hand darüber, als ob er den Schlaf daraus wegwischten wollte und betrachtete aufmerksam den Baum.

»Es ist eine Grumbkow mit einer Muntos okuliert«, sagte er verwirrt … »merkwürdig, daß das Experiment gelungen ist.« …

Sie sah ihn unverwandt und lächelnd an.

»Wir wollen über die Wiese in den Eichenkamp«, sagte sie dann mit emporgehobener weisender Hand. Und dort gingen sie auf schmalem Pfad dicht nebeneinander zu den Eichen, unter denen auf einer kleinen Bodenerhöhung jene sagengeweihte mit ihrem mächtigen, knorrigen Stamm und dem harten, kleinblätterigen Geäste stand.

»Sie wissen doch von dem heiligen Hain Romove und seiner Eiche?« fragte sie.

Er schüttelte den Kopf, sagte dann doch »ja, ja« und sah ganz abwesend um sich.

»So eine ist dies auch«, sagte das Fräulein von Terkuhn und lehnte sich an den Stamm.

Und plötzlich fasste sie den Träumenden an beiden Schultern und drehte ihn sich zu.

»Was denken Sie von alledem, junger Wachowski?« flüsterte sie.

Er stand blaß und mit wildschlagendem Pulse da. »Ich wag' es kaum – ich wag' es kaum« … und doch wagte es sein verlangender Mund, den ihren zu suchen. Aber da traf ihn das helle Funkeln der Raubtieraugen, und es war, als ob die beiden Hände auf seinen Schultern ihn mit schwerem Gewicht zu Boden drückten. Er fiel vor ihr nieder, seine gleitenden Arme umfaßten sie, und er preßte den Kopf in ihren Schoß …

Nach einem Augenblick, in Flammen verlebt, machte sie sich los und kniete neben ihm nieder.

Ihr Kopf mit den leuchtenden Haaren lag nun an der alten Terkuhneiche, und die breiten Lider deckten die gefährlichen Augen. Da war sie ein Weib wie andere, und der junge, heiß Betörte fühlte mit einer Wonne ohnegleichen, wie Scheu und Traumbefangenheit von ihm abfielen und daß er als Mann und Herrscher dieses königliche Geschöpf in seine Arme zwingen konnte.

Er tat es, ohne daß sie ihm wehrte, und küßte sie stürmend und fordernd …

– – In die außerweltliche Stille dieser Augenblicke tönte scharf und mahnend die Vesperglocke vom Hof her.

»Steh auf«, sagte da Adalisa von Terkuhn. »Weißt du, daß du jetzt ein Terkuhn werden wirst, – einer von uns – ein Terkuhn?« …

Er folgte ihr benommen und mit schwerem Kopf. »Ich kann das alles noch gar nicht glauben«, sagte er und fuhr in ihr schweres, an der rechten Seite halb gelöstes Haar, wie um sich zu überzeugen, daß er nicht träume.

Sie schüttelte seine Hand ab, nahm sie aber wieder und hielt sie fest während des ganzen Weges.

Er stammelte hier und da ein zärtliches Wort, aber er konnte das rechte, das er suchte nicht finden. Sie achtete auch nicht darauf, aber von Zeit zu Zeit blieb sie stehen und sah ihn mit großen, forschenden Blicken an. So gingen sie zuletzt ganz schweigend denselben Weg zurück, den sie gekommen waren.

Als sie den langen Lindengang mit den raschelnden Blättern wieder betraten, sahen sie am Ende auf der Terrasse die Uniformen der beiden Herren und das helle Kleid Fräulein Lenas.

Hans Wachowski zuckte zusammen und wollte unwillkürlich seine Hand lösen, aber Adalisa von Terkuhn hielt sie fest.

Sie kamen näher und näher. Nun hatte man sie bemerkt.

»Ich glaube, Sie müssen Ihr Haar in Ordnung bringen«, sagte er, nach der herabhängenden Strähne blickend, in der sich ein paar rote Herbstblättchen verfangen hatten.

Sie lächelte hochmütig und ließ seine Hand endlich los.

»Ich zeige mich jedermann, wie ich bin – du mußt's auch lernen«, sagte sie.

Und dann zog sie ihn zu der kleinen Gruppe, die ihnen in schweigendem Staunen entgegensah.

Nicht sie, aber die beiden Männer, von Wachowski mechanisch nach der Vorschrift begrüßt, sahen verlegen zur Seite. Fräulein Lena trat sehr ernst und blaß zu ihr und dem Vetter.

Das Fräulein von Terkuhn nahm keine Notiz davon. »Haben Sie sich Garten und Hof angesehen, meine Herren?« fragte sie ein wenig von oben herab: »Ich kann mich Ihnen leider heute nicht widmen. Ich bitte, Leutnant von Wachowski …«

Der blickte wie gebannt nach der Jugendfreundin.

»Gnädiges Fräulein, ich habe mit meinem Vetter noch zu sprechen, und bitte, ihn mir für eine halbe Stunde zu überlassen … Hans!« wandte sich Fräulein Lena mit dringendem Ton an ihn.

»Später, Fräulein, später«, lächelte Adalisa von Terkuhn, das ganze Gesicht in Schadenfreude getaucht. »Auf Wiedersehn!«

Und sie deutete Hans von Wachowski den Weg, den er zu nehmen hatte, und ging hinter ihm langsam und großartig in ihrem zerdrückten Kleid und dem hängenden Haar an den drei stumm Dastehenden vorbei. Durch den Festsaal und über den Korridor zu einer niedrigen, breiten Tür, hinter der laute Scheltworte hallten.

»Wohin führen Sie mich? – Und meine Cousine Lena muß ich in der Tat dringend sprechen«, sagte Wachowski endlich beklommen.

»Zu meinem Vater. Es ist eine leere Form, aber sie muß gewahrt werden.«

Sie klopfte. Der alte Diener öffnete, von einem Donnerwetter aus dem Rollstuhl begleitet, und verschwand auf einen Wink seiner Herrin.

Die Luft war von Tabaksqualm so dick, daß man das Schimpfen hörte, dessen Urheber aber nicht sah. Hans von Wachowski konnte in dem beizenden Rauch die Augen kaum offen behalten. Seine Führerin schien daran gewöhnt. Sie zog ihn zu dem Fensterplatz, an dem der alte Herr seine Kutscherpfeife rauchte.

»Vater, ich habe mich mit dem Herrn von Wachowski verlobt. Ich bringe dir deinen Schwiegersohn, den zukünftigen Herrn von Terkuhn-Terkitten.«

Der Alte stieß ein grelles, dröhnendes Lachen aus.

»So … so … so … Also gelungen … also endlich. Na, mir soll's recht sein. Ich liebe zwar die edlen Pollen nicht –«

»Bitte, ich mache dir die Mitteilung, Vater – eine Kritik wird nicht verlangt.«

»Also meine untertänigste Gratulation zum Prinz-Gemahl. Seid fruchtbar und mehret euch, meine Kinder, – aber bringt mir keine Pollacken in die Familie – wie gesagt die edlen Pollen …«

»Wir werden von der bevorstehenden Heirat noch heute Mitteilung machen …«

»Nee, das werden wir nich«, grinste der Alte. »Das schickt sich nich – meine vieledle Tochter. Wir sind die Terkuhns auf Terkitten, und wir greifen uns keinen Sommerleutnant zwischen Diner und Tee – oder vielmehr, wir tun's schon – aber wir zeigen's nicht – verstanden?«

Hans von Wachowski fuhr nun endlich aus seiner

Benommenheit auf. »Fräulein von Terkuhn, ich bin in einer unwürdigen Situation. Ich liebe Sie heiß, aber von allem, was Sie sagen, von Heirat und Verlobung ist doch kein Wort zwischen uns gefallen. Ich würde ja gar nicht wagen – wie sollte ich? – ich denke nicht …«

»Das Jungchen will nicht«, höhnte der Alte. »Nutzt Ihnen nichts, mein Sohnchen, wenn die Adalisa einmal zugreift, hält sie fest, da hilft kein Wehren. Was wollen Sie auch? Erbarmen! Terkitten ist ein schönes Stück Erde, und die Freier haben sich Dackelbeine danach gelaufen.«

»Ich muß bitten, mich zu entlassen«, sagte Hans Wachowski, zitternd vor Scham und Ingrimm. »Ich habe keine Veranlassung zu dieser peinlichen Szene gegeben. Ich kann nicht fassen, daß mir derartiges begegnen soll.«

Da langte, von blauem Rauch umflossen, die große, weiße Hand Adalisa Terkuhns zu ihm herüber. Die eben noch scharfe Stimme sänftigte sich zu einem Anflug von Zärtlichkeit.

»Was haben wir zwei mit Brutalitäten zu schaffen, die uns beschimpfen sollen? Ich hab' dich als den besten, den lange Gesuchten, erkannt, gleich, als du in den Saal tratst. Und an unserer Eiche haben wir uns verstanden … Daß ich dich nicht aus Leichtsinn oder zum Zeitvertreib küßte – das wußtest du doch.«

Er schwieg.

Da neigte sich das zarte Gesicht mit dem leuchtenden Rothaar darüber zu ihm. Ernst und feierlich küßte sie ihn auf den Mund und sagte:

»Hans Terkuhn, du sollst gesegnet sein und Segen bringen.«

Er fühlte die weichen Arme um sich, und die heiße Seligkeit von vorhin stieg wieder in ihm hoch. Aber das Wort, das sich ihm entringen wollte, blieb ungesprochen – und was er mit Mühe unterdrückte, war – ach wie er sich schämte! – ein bitterliches Schluchzen, wie manchmal in längst vergangenen Schülerzeiten, wenn er im Ringkampf besiegt worden war und Haltung hatte bewahren müssen.

»Donnerwetter!« sagte der Alte, »also es wird Ernst. Da will ich also meinen Rat wiederholen, mit der Veröffentlichung bis nach dem Manöver zu warten. Gründe sind klar.«

»Ja!« sagte Adalisa nach kurzem Bedenken. »In allseitigem Interesse ist es vielleicht richtiger. Obgleich die Herren natürlich gemerkt haben, was vorgegangen ist.«

»Und Lena?« brach nun Hans Wachowski los. »Was soll die denken? Ich weiß nicht, wie ich der unter die Augen treten soll. Wir sind doch so gut wie …«

»Still!« unterbrach Adalisa gebieterisch. »Das werden wir in Ruhe besprechen und drüben bei mir. Guten Abend, Vater« …

»Sie scheinen ein anständiger Junge zu sein« – knurrte der alte Terkuhn, Wachowskis Hand pressend und ihn einen Augenblick zurückhaltend. »Wie wär's, wenn Sie ausrissen? – Ne – ne – ich meine man so – ich bin grundsätzlich gegen die Ehe – gegen die Ehe.«

Die Tür schloß sich, und Hans Wachowski sah wirr und mit innerlichem Zittern den nächsten Augenblicken entgegen. Wie ein Zuschauer und mit gebundenen Händen stand er jetzt in demselben Gartensaal, in dem vor wenigen Stunden dieses rothaarige Schicksal in sein friedliches Leben gebrochen war – und wußte nicht aus noch ein.

»Du mußt dich nicht fürchten, mein Freund«, sagte Adalisa von Terkuhn, »weil das alles so schnell kommt. Ich kann keine schönen Worte finden, aber ich möchte es dir gern erklären. Ich sehe doch, es ist immer nur der eine Augenblick der Entscheidung, der wichtig ist. Alles vorher – die Vorbereitungen – sieh mal, das hält doch alles auf, und ist eigentlich überflüssig, nicht? Komm, wir wollen uns hier zu meinen toten Vorfahren setzen, das sind die wahren Verwandten, bald auch die deinen, da wollen wir ordentlich besprechen, wie wir alles einrichten müssen.«

Und sie erzählte, – und der übermäßige Eifer, mit dem sie sprach, belebte wie ein feuriger Strom die stockenden und ungewandten Worte, – daß nach dem unheilbaren Erkranken ihres Vaters, als sie notgedrungen die Generalvollmacht für die Verwaltung hatte bekommen müssen, der Rechtsanwalt des Hauses das vielbesprochene Immediatgesuch an den Kaiser aufgesetzt hatte, nach dem der Mann, den sie heiratete, den Namen Terkuhn führen und das stolze Geschlecht vertreten sollte. Es war zustimmend beantwortet worden. Sie sprach dann von geschäftlichen Dingen, von der Lebensarbeit, die in ihrer Hand nun vor ihm lag, von dem erhöhten Ansehen, das sie Beide dem alten Namen schaffen würden, von dem Glück, diesem und diesem, – sie deutete auf die rothaarigen Zuschauer an der Wand – zu beweisen, daß die Gegenwart doch auch wieder etwas wert sei, nachdem manch ein Terkuhn um die Ecke gegangen wäre.

Sie sprach und sprach, und ihre leise, harte Stimme rüttelte an dem jungen Zuhörer, der in bebender Haltlosigkeit dasaß.

»Nun sprich du, sag mir etwas Gutes, sag, wie du dich freust«, schloß endlich das Fräulein von Terkuhn, und sah ihn mit einem ermunternden Blicke an.

Er wollte auch etwas Kluges und Warmes sagen, aber es fiel ihm nichts ein. So sah er bange vor sich hin und versuchte dann nach ihrer Hand zu fassen.

Sie gab sie ihm mit kräftigem Druck. »Also gute Gemeinschaft, Hans von Wachowski.«

Da stammelte er endlich: »Ach von dem allen versteh ich nichts.« Und dann brachen die angesammelten Worte sich Bahn, und er fuhr hastig fort: »Es ist mir über den Kopf gekommen, ich weiß nicht, wie. Ich habe nicht einmal geahnt, daß ich mich getrauen könnte, eine Frau wie Sie nur leise zu berühren, und nun …«

»Du mußt »du« sagen.« –

»Du, also du«, rief er nun aufspringend. »Dann laß uns nicht von allem sprechen, was noch in weiter Ferne liegt, laß mich in deinem schönen Haar wühlen, laß mich mich satt küssen, damit ich etwas Wirkliches habe. Ich bin ja wild vor Verlangen nach dir, du Schöne, du – du – du –!! Dein Sklave will ich …«

»Sklave – – Sklave«, wiederholte sie mit ihrem geheimnisvollen Lächeln und legte seine beiden heißen Hände an ihre Schläfen. »Also unbedingte Ergebenheit – ja, die erwarte ich.«

Ihn an den Handgelenken haltend, fühlte sie das Schlagen seiner Pulse, und seine Jugend zitterte in ihr nach. Aber alles, was sie empfand, steigerte sich zu einer heißen Gier, die Beute nun auch so in Sicherheit zu bringen, daß nichts sie ihr mehr streitig machen konnte, und in diesem Gedanken ließ sie die zuckenden Hände fallen und sagte in ihrem harten Alltagston:

»Wir wollen zunächst also Fräulein Aussig rufen und ihr mitteilen, was wir beschlossen haben. Natürlich darf sie aber dem anderen Personal nichts sagen.«

Das war nicht klug. Die Gluten erloschen bei dem kühlen Wort. Die eben niedergerissenen Schranken richteten sich wieder auf, und hüben und drüben standen nicht mehr der Liebe heischende Mann und das sich neigende Weib, sondern die Gutsherrin und der an Gehorsam gewöhnte Inspektor, in dem sich jetzt ein entschiedener Widerspruch regte.

»Ich muß meine Cousine allein sprechen!« sagte er. »Es geht auch nicht, daß sie zum Personal gerechnet werden soll, – nein, das geht ja alles nicht!« rief er laut, »Fräulein von Terkuhn, das geht ja alles nicht.«

Ein heißer Wutschauer, mit brennender Scham gemischt, überflog Adalisa von Terkuhn, aber noch hielt sie an sich. Der Jägerinstinkt gebot: »Selbstbeherrschung und Ruhe.«

»Du hast mich wohl nicht ganz verstanden«, sagte sie leise. »Ich will doch gerade deine Cousine als Verwandte begrüßen. Ich rufe sie jetzt.«

»Nein, nein«, bat Hans voll Pein und Ratlosigkeit. »Ich will das nicht.«

Aber da war es schon zu spät. Auf das zweimalige Glockenzeichen trat nach leisem Klopfen Lena Aussig in den Saal.

Wie blaß und ernst sie in dem dämmerigen Herbstabendlicht dastand! Kein Wort auf den weißen Lippen, die Augen gesenkt – denn wie sollten sie das Bild ertragen, das sich ihnen bot!

In einem der großen Fensterbogen standen die beiden eng aneinander geschmiegten Gestalten. Das Fräulein von Terkuhn hatte den Kopf an die Schulter von Hans Wachowski gelehnt.

Blutrote Weinranken schwankten hinter ihnen, und der rötliche Dunst der vergehenden Herbstsonne war um sie wie ein Schimmer, der aus ihnen selbst herausstrahlte. Zwei Glückliche, von roter Lebensglut umflossen. Das wollte die arme Lena länger nicht sehen, und darum ging sie zur Tür zurück.

»Fräulein Lena, Sie sollen uns gratulieren. Ihr Vetter, Hans Wachowski, und ich haben uns eben verlobt«, sagte das Fräulein von Terkuhn und trat mit dem Mann an der Hand aus dem roten Licht.

Nun fand Lena Aussig ihre Haltung wieder. »Ach nein«, sagte sie. »Den Glückwunsch wird mir Hans wohl ersparen. Er kann ihn auch nicht erwartet haben. Guten Abend, gnädiges Fräulein …«

Da riß Hans Wachowski sich von den Fingern los, die ihn umklammert hielten und trat dicht zu dem jungen Mädchen hin. Ihm war in diesem Augenblick, als müßte sie ihm zusprechen, ihn trösten, als wäre er ganz allein mit ihr, und könnte ihr klagen und mit ihr beraten.

»Lena, Lena«, sagte er. »Ich hätte dich vorher sprechen müssen, vergib. Ich bin ja selbst ganz wirr, sie hat mir alles über den Kopf weggenommen.«

Das Fräulein von Terkuhn richtete sich kampfbereit auf. Ihre Augen begannen zu funkeln.

»Schweig«, rief sie heiser.

Aber in seiner großen Erregung sah und hörte Hans von Wachowski sie nicht.

»Lena, Lena«, sagte er mit einer Zärtlichkeit in der Stimme, von der Fräulein von Terkuhn trotz des heißen Küssens nichts vernommen hatte, »sieh mich nicht so an; es wird alles wieder gut.«

Nun geriet auch Lena außer sich.

»Was soll gut werden, nachdem du dich von dem Fräulein da hast fangen lassen, wie?«

»Sie Unverschämte«, zischte das Fräulein von Terkuhn und sprang, von den fliegenden Haaren umflattert, auf das hochaufgerichtete Mädchen zu. In diesem Augenblick trafen sich ihre gelben, funkelnden Augen mit denen des Junkers an der Wand, der seine kurbrandenburgische Fahne in steifer Hand vorstreckte und starr und feierlich wie immer zusah, was die Terkuhns von heute taten und trieben. Aus dem dunkeln Zugehörigkeitsgefühl zu diesem toten Bundesgenossen schäumte eine rasende, besinnungslose Wut in Adalisa von Terkuhn auf. – Beutegier, Berechnung, Sinnesrausch – alles ertrank darin. Wie mit tausend Händen aller vergangenen Terkuhns regte es sich in ihr, um die Plebejer da niederzureißen und zu vernichten. Rote Ströme rauschten, wie aus Blut und Glut gemischt, und das Weib, das daraus auftauchte, Spitzenfetzen in den ausgespreizten Armen, die Raubtieraugen in übermenschlichem Glanz sprühend, fremde, unverständliche Töne schreiend, war in seiner furchtbaren Schönheit etwas so entsetzliches, daß die beiden vor ihr in Grauen und Furcht erstarrten.

Mechanisch trat Hans Wachowski vor seine Cousine, um sie vor dem zu schützen, was kommen konnte, aber das Fräulein von Terkuhn rührte sich nicht, nur ein fauchendes Hohnlachen löste den furchtbaren Krampf in ihr und zwischen zusammenschlagenden Zähnen stieß sie ein »Hinaus« hervor.

»Geh«, sagte auch Hans Wachowski und schob die zitternde Lena durch die Tür nach dem Korridor.

Er hatte sich auf sich selbst besonnen. Die fremde schöne Bestie, die da noch zuckend und keuchend an ihrem Platz stand, hatte keine Gewalt mehr über ihn. Zwar, der innerste kleine, feige Mensch in ihm zitterte, aber er mußte tapfer sein und dann kam die Manneszucht ihm zu Hilfe. Er durfte sich von diesem Weib nicht hinausweisen lassen.

Und so trat er dicht an sie heran.

»Verzeihung, gnädiges Fräulein« sagte er leise und heiser, »ich bitte um die Erlaubnis, mich zu verabschieden.«

Es klang ihm selbst dünn und ärmlich, was er da sagte, – so als ob er gegen einen tosenden Wasserfall spräche. – Das verächtliche Lachen, das wie mit Peitschenhieben über ihn herfiel, befreite dann die unterdrückte Empörung in ihm. »Sie …, was denken Sie sich eigentlich? …, Sie …«

Er kam zu keinem weiteren Wort. Das Weib sah mit wilden Augen und fletschenden Zähnen um sich und duckte sich wie zu einem Sprunge.

Unwillkürlich hielt er die Hand schützend vor sich. Da riß sie sie hinunter und mit einem rauhen, stöhnenden Schrei schlug sie die spitzen Zähne in das Handgelenk.

Und dann eine Sekunde tiefes Schweigen. Blaß und schlotternd richtete sie sich auf und sah wie ein klagendes Tier nach dem Fahnenjunker an der Wand.

Der andere war nicht mehr da für sie. Sie bemerkte es nicht, daß er in dumpfem Erstaunen die hervorquellenden Blutstropfen betrachtete, noch einen scheuen Blick voller Grauen und Widerwillen auf sie warf und dann hinausging.

Vor der Tür stand der alte Diener. Mit gesenktem Kopf auf den Zehenspitzen ging er führend vor dem Leutnant her und geleitete ihn zu der Zimmertür des Hauptmanns.

»Der Herr Hauptmann wünschen den Herrn Leutnant dringend zu sprechen.«

* * *

Um 6½ Uhr war zum Aufbruch geblasen. Man hatte von den Herrschaften nichts mehr gesehen und schon gestern Abend sich in formellster Weise von dem alten Herrn verabschiedet – mit Ausnahme des Leutnants von Wachowski, der wegen starken Kopfwehs sein Zimmer nicht verlassen hatte. Die Damen waren nicht mehr zum Vorschein gekommen. Fräulein Aussig war sogar plötzlich in das nahe Städtchen gefahren und hatte ihren Vetter durch einen Brief über diese schnelle Abreise verständigt.

Jetzt ritt man zu dreien, wie gestern morgen, aber in entgegengesetzter Richtung davon. Leute und Pferde waren über die Chaussee gegangen, die drei Herren nahmen den kürzeren Waldweg durch den Eichenkamp.

Wieder wie gestern, der Doktor mit Fips, dem Terrier, voran, die beiden anderen schweigend hinterher.

Über Nacht hatte es einen Sturm gegeben. Die bunten und gelben Blätter lagen über abgeschlagenen, dürren Ästen in Haufen auf dem Wege und raschelten. Die Sonne war noch nicht durch, und der graue, tropfende Herbstnebel verschleierte die Ferne und zog in Ballen und Streifen über die rostroten Gebüsche und die kahlen Stämme. Hier und da hob er sich, und dann sah man in einem Ausschnitt über Wiesen und Lichtungen weit in den Wald hinein.

So geschah es jetzt eben. Und da stand mitten auf einem kahlen, nur von kleinem Eichengestrüpp überwucherten Platz eine uralte Eiche mit weit ausgreifendem, verknorrtem Geäst. Unten an dem mächtigen Stamme bewegte sich etwas Graugrünes. Der Weg nahm die Richtung auf den Baum zu und führte in etwa 20 Schritte Entfernung daran vorbei.

Der Leutnant sah auf und fuhr zusammen.

Auch der Doktor hielt und wartete.

»Vorsicht!« sagte er, »ich schlage vor, wir nehmen den Leutnant in die Mitte und reiten da Schritt vorüber. Ich kann an der Spitze bleiben.«

Der Hauptmann hatte sich auch orientiert.

»Nein, Sie mit Fips dürfen nicht voran. Ich nehme die Tête.«

Und so geschah es. Ohne weitere Worte über die Gründe dieser Vorsicht, in gespannter Aufmerksamkeit, mit weit geöffneten Augen zogen die Reiter hintereinander langsam und lautlos den Weg hinunter, auf dem noch die Schatten der Wünsche von gestern kauerten.

Einen Augenblick hob sich an dem zerklüfteten Stamm ein leuchtend roter Fleck aus den grauen Nebelschleiern. Aber gerade als die drei an der Wegbiegung anlangten, von der aus man den ganzen Platz hätte übersehen können, jagte ein leiser Wind flatternde Nebelwolken aus dem Linksgebüsch auf und verhüllte die alte Terkuhneiche und was darunter stand.

Es war nun nichts mehr zu sehen als ein paar kahle Arme des mächtigen Baumes, und nichts zu hören, als der krächzende Schrei von streifenden Krähen …

Von dem Fräulein von Terkuhn war nichts mehr zu spüren …


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