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»Wen die Götter lieben, dem geben sie einen frühen Tod«. Ich möchte den alten Spruch dahin abändern, daß den Lieblingen der Götter ein rechtzeitiger Tod beschert wird. Ein gütiges Geschick waltete über Bertha von Suttner, als sie, 71 Jahre alt, im Juni 1914 entschlief, inmitten der Vorbereitungen, die sie in Wien für den im September 1914 geplanten Internationalen Friedenskongreß traf. Sie durfte sterben, im Glauben an die Verwirklichung des Ideals, dem sie ein Leben lang treu gedient, das ihre Religion geworden war: Friede auf Erden! Ein versöhnlicher Tod nach einer Laufbahn, reich an Kämpfen, reicher noch an Erfolg und Anerkennung, ein Tod, der sie bewahrte vor dem bittersten Erwachen aus ihrem herrlichen Friedenstraum.
Die Lehre von der handelnden Tugend findet in Bertha von Suttner eine Bestätigung, ihre Stärke war allezeit eine durch selbständiges Denken geweckte Opposition gegen jedwedes Vorurteil. Als geborene Gräfin Kinsky den Kreisen des österreichischen Hochadels entstammend, schloß sie, 33 Jahre alt, mit dem um 7 Jahre jüngeren Baron Arthur Gudakkar von Suttner, die beste aller Ehen, eine Ehe gegen den Willen der beiderseitigen Familien, die das junge Paar dem harten Lebenskampf preisgaben. Der wirtschaftliche Druck ward zum Segen, er veranlaßte Bertha von Suttner, als Schriftstellerin hervorzutreten. Nach mehreren, von der Kritik gut aufgenommenen Büchern, kam der große Wurf ihres Lebens, das Werk »Die Waffen nieder!« Der Roman entfesselte einen Sturm, er wurde angegriffen und gepriesen, zerfetzt und in den Himmel gehoben, war ein Ereignis nicht nur in Oesterreich und Deutschland, sondern im gesamten Ausland. In hunderttausenden von Exemplaren fand er, in zahlreiche Sprachen übersetzt, den Weg über die kultivierte Erde, er ward das volkstümliche Werbebuch für die Friedensidee, bestimmend für die ganze Laufbahn seiner Verfasserin. Bertha von Suttner lebte fortab der Friedenspropaganda, sie ward die Begründerin der österreichischen Friedensgesellschaft, ihrem Einfluß ist die Stiftung des Nobelpreises für den Frieden zu danken, auf der Haager Konferenz im Jahre 1902 war die österreichische Baronin, die im Verkehr mit Politikern der ganzen Welt stand, ein geistiger Mittelpunkt der Tagung. In allen Ländern gekannt und selbst mit dem Nobelpreise ausgezeichnet, machte sie noch als 70jährige eine Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten, allenthalben freudig bewillkommnet.
»Die Waffen nieder«, der Ruf einer Frau, die mit erschütternder Gewalt den Völkerfrieden predigte, ward im Laufe der Jahre ein geflügeltes Wort, die Erfüllung schien nahe. Der Gedanke der Schiedsgerichte und internationalen friedlichen Vereinbarungen breitete sich allenthalben aus, führende Politiker aller Länder erkannten ihn an, Konferenzen für Völkerverständigung fanden noch bis in die jüngste Zeit hinein statt, internationale Kongresse für die gemeinsamen Interessen der Arbeiter, der Frauen, der Wissenschaft, der Kunst blühten, der Friedenspalast im Haag erhob sich als sichtbares Zeichen dieser Fortschritte.
Auch in Deutschland wuchs die Gemeinde, wir durften an den dauernden Völkerfrieden glauben. In 44 Jahren hat das aufblühende Groß-Deutschland, das wir miterlebten, trotz seiner Militärmacht, nie eine andere Eroberung versucht als die durch ehrliche, unermüdliche Arbeit errungenen Fortschritte von Handel und Technik, von sozialer Gesetzgebung und Wissenschaft, von Volksbildung und Kunst. Sein Kaiser, der jung und voll Bewunderung soldatischer Tugenden den Thron bestiegen hatte, konnte zu 25jährigen Wiederkehr dieses Tages als schönsten Ehrentitel den des Friedenskaisers beanspruchen.So hat z. B. der überzeugte amerikanische Friedensapostel Andrew Carnegie anläßlich des Regierungsjubiläums 1913 geschrieben: »Der Mann, auf den sich im Augenblick die Aufmerksamkeit der Welt konzentriert, ist der Kaiser von Deutschland, dessen segensreiche 25jährige Regierungszeit ununterbrochenen Friedens ihresgleichen sucht.« Als Haupt der größten Militärmacht verkündet er: »Der Friede meines Landes ist eine mir heilige Sache« ... Nie hat der Deutsche Kaiser das Schwert gegen einen Feind gezogen, und darum verbeugen wir Pazifisten uns vor dem Kaiser.«
Noch fassen wir das Entsetzliche kaum! Trotz aller hoffnungsfrohen Anzeichen ballten sich immer drohender die politischen Gewitterwolken, immer enger zogen sie von allen Seiten ihren Kreis, plötzlich zuckten die ersten Blitze, lohten die ersten Flammen, der Feuerruf erscholl: »Zu den Waffen!« – der Weltbrand war da.
Nun frißt er schon seit Monden, – eine furchtbare unerbittliche Sense mäht blühende zukunftsreiche Jugend, mäht die Väter von Kindern, mäht Liebe und Hoffnung der Völker, den Glauben an aneinander, geistige Kräfte, Kulturgüter, Gemütswerte. Der Brand frißt weiter, über See und Land, von einem Kontinent zum andern, verwüstet, zerstört, zerstampft – das ist der Weltkrieg! Und wir, mitten darin, wissen doch, daß kein einziger Deutscher, weder Herrscher noch Volk, weder Hohe noch Geringe, diesen Krieg gewollt.
Wie eine Groteske der edelsten Bestrebungen, wie eine Verzerrung unseres höchsten Ideals, wurde dieser Krieg gegen Deutschland gepredigt, seit langem vorbereitet, um den »Militarismus« zu vernichten. Und nun, nach den unsäglichen Blutopfern, die er allen kriegführenden Völkern auferlegt, wird er Europa waffenstarrend zurücklassen, die Länder, die bisher vorgaben, Heeresrüstungen zu verabscheuen, zu Militärstaaten gewandelt haben, das ist seine Rache an seinen Urhebern – der blutigste Treppenwitz der Weltgeschichte. In dem Nachwort zu diesem Buch, dem Vermächtnis einer der vornehmsten, geistigen Führerinnen, sei es gesagt, daß es Frevel an der Friedensidee selbst bedeutet, den »Militarismus« durch Anrufung der Kriegsfurien töten zu wollen.
Nur ungestörte Entwicklung, neidloses Zusammenarbeiten, wirtschaftlicher und geistiger Austausch zwischen den Ländern, wachsende Volksbildung und, damit im Zusammenhang, Volksfreiheit, konnten langsam den Boden bereiten, in dem sich bewaffnetes Mißtrauen allmählich zu unbewaffnetem Vertrauen wandelt. Nach der gewaltsamen Störung dieses organischen Lebensvorgangs werden Jahrzehnte kaum heilen, was dies eine bluttriefende Jahr zerriß.
»Die Waffen nieder« – so erschütternd der Inhalt des Suttner'schen Romans an Einzelschicksalen ist, als Spiegelung von Weltenschicksalen erscheint er ein kleiner Ausschnitt, gemessen an den gigantischen Kämpfen, deren Zeugen wir sind. Fast verschwindend sind in diesem Krieg Aller gegen Alle die Oasen in der Höllenglut.
Und doch wissen wir, heute schon, inmitten des brodelnden Hexenkessels, daß Frieden kommen muß, daß die Völker, die sich heute vernichten, sich einmal wieder die versöhnende Hand reichen werden, weil sie nicht leben können ohne einander – ,und eben darum erscheint dies Ringen um so tragischer. Wir wissen auch, daß der Tag kommen wird, wo der grundlose Haß gegen alle Erfolge des Deutschtums, der eigentliche, wenn auch natürlich nicht der politisch-offizielle Anlaß dieses Krieges, einmal schweigen wird – vor der unerschütterlichen Pflichterfüllung, dem Fleiß, der Redlichkeit und Tüchtigkeit deutscher Arbeit, die man nicht hindern wird, sich auf der Welt auszubreiten, trotz alledem. Dann wird der Tag gekommen sein, die Fäden des Gespinstes der Völkerverbrüderung, das sich noch als zu fein und schwach erwies, um diesmal stand zu halten, wieder anzuknüpfen und zu festigen. Die unsäglichen Opfer dieses Krieges werden der Kulturwelt aufs Neue die Worte auf die Lippen legen: »Die Waffen nieder!«– und vielleicht werden sie das Ohr einer durch Leiden und Entbehrungen reifer gewordenen Menschheit finden!
Berlin-Westend, November 1914.
Adele Schreiber.