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Siebentes Kapitel.

Die Ankündigung des Festes bei der Familie Grandfief hatte ganz Juvigny in Bewegung gesetzt; während acht Tagen wurde in der oberen und in der unteren Stadt von nichts anderem gesprochen. In Salvanches waren, wie man sagte, die Räume im ersten Stockwerke, die seit Jahren bei festlichen Gelegenheiten nicht mehr benutzt worden waren, ganz neu hergerichtet worden; man hatte von weit her Blumen kommen lassen, und der Ball sollte mit einem in Paris bestellten Abendessen beschlossen werden. Die Schneiderinnen blieben bis Mitternacht auf, um Kleiderleibchen auszuschneiden, Tüll zu kräuseln und Besätze zu sticken. Auch die Wagenvermieter rieben sich vergnügt die Hände; denn Salvanches war eine halbe Stunde von der Stadt entfernt und ihre Wagen waren alle, vom einfachen Gesellschaftswagen mit Radachse bis zur verstaubten, in hohen alten Federn hängenden, mit einem zweistockigen Tritt geschmückten Halbchaise im voraus bestellt.

Endlich war der große Tag gekommen. Von acht Uhr an stand die Familie Grandfief unter den Waffen und erwartete ihre Gäste auf der Schwelle des Empfangszimmers, denn in Juvigny geht man früh zum Balle, da die Damen in Pünktlichkeit wetteifern, um die besten Plätze zu bekommen. Herr Grandfief, ein schüchterner, friedlicher Mann, vertrieb sich, in die weiße Halsbinde eingezwängt und von seinen Lackstiefeln gedrückt, die Zeit des Wartens damit, daß er, auf den Fußspitzen gehend, die Lampen ein wenig herunterschraubte und die Kerzen in den Leuchtereinsätzen befestigte. Sein Sohn Anatolius, ein zwölfjähriger Gymnasiast, war stolz auf seinen neuen Anzug und machte unermüdlich immer neue Anstrengungen, seine Hände in strohgelbe Handschuhe hineinzuzwängen, während Georgine vor einem Spiegel stand und sich im Fächerspiele übte. Aufrecht und majestätisch, wie eine Königin, schritt in hellrotem Sammetgewand, das ihre knochigen Schultern bescheiden enthüllte, Frau Grandfief einher; sie warf bald einen letzten Blick in das Empfangszimmer, in den Billardsaal, in dem getanzt werden sollte, bald in die Garderobe, in der Regina mit Hilfe einer Kammerjungfer die Nummern und Stecknadelkissen zurecht legte. Zwischen diesem Hin- und Hergehen richtete sie an Mann und Kinder feierliche Ermahnungen. »Georgine,« sagte sie zu ihrer Tochter, »Du wirst nicht mehr als einmal mit demselben Herrn tanzen.«

»Nein, Mama ... Und mit Herrn von Seigneulles?«

»Nur zweimal ... In den Zwischenpausen soll ein wenig musiziert werden, du wirst den Gesang auf dem Klavier begleiten.«

»Ich glaube, ich höre einen Wagen,« rief der Gymnasiast, der in der Galerie auf der Lauer lag.

In der That ließ sich auf dem Sande des mit venetianischen Lampen erhellten Gartens das Rollen von Rädern hören. Die ganze Familie versammelte sich wieder auf der Schwelle des Empfangszimmers und nahm eine der Gelegenheit entsprechende Haltung an. Bald hörte man Damenkleider auf der Treppe rauschen.

»Es sind die Basen Provenchères!« flüsterte Anatolius, der einen verstohlenen Blick in die Garderobe geworfen hatte.

Die Grandfiefs nahmen sofort statt ihrer feierlichen Stellungen eine verächtlich gleichgültige Miene an. »Puh!« zürnte Herr Grandfief, »die kämen am liebsten schon ehe ein Licht angezündet ist.«

»Georgine,« sagte Frau Grandfief, »bringe du sie selbst irgendwo unter, damit sie nicht gleich die besten Plätze in Beschlag nehmen.«

Die Damen Provenchères waren arme Verwandte, die man aus Pflichtgefühl einlud und rücksichtslos behandelte. Da kamen alle drei in einer Reihe herein mit dem geschraubten Wesen, das Leuten eigen ist, die nicht viel in Gesellschaft kommen.

Die Töchter, schon sehr gereifte junge Mädchen, trugen zu enge Kleider, kleine Schuhe, deren schadhaft gewordenes Oberleder sie selbst mit neuem Atlas überzogen hatten, und weiße Handschuhe, deren zahlreiche Schrammen für die emsige Thätigkeit des Radiergummis zeugten. Die Mutter hatte eine Art Ueberwurf aus kastanienbrauner Levantine an und eine mit künstlichen Trauben geschmückte Haube auf dem Kopf.

»Wie schön es hier ist, Cousine,« sagte sie mit einem neidvollen Blick auf die kerzenschimmernden Kronleuchter, »und überall Blumen! ... Allein im Treppenhause müßt ihr für über hundert Franken haben ...«

Nun langten die Gäste einer um den anderen an. Feierliche Stadträte, ihre mageren Gattinnen am Arm, die in ihren Moirékleidern erstarrt zu sein schienen; reiche Fabrikanten mit heiterem Antlitz und lärmendem Wesen; junge Mädchen in Wolken von weißem Tüll; dann die jungen Leute: angehende Advokaten, Professoren, sorgfältig rasierte, frisch behandschuhte Supernumerare, und die Söhne einiger Spinnerei- und Hüttenbesitzer aus der Nachbarschaft, die an ihrer eleganteren Kleidung und ihrer größeren Sicherheit, die ihnen ihre Stellung als reiche, in der Gegend einflußreiche Leute verlieh, zu erkennen waren. Gérard von Seigneulles war einer der letzten Ankömmlinge; er war allein, da der Baron den Grundsatz hatte, nie später als neun Uhr zu Bett zu gehen. Er warf einen raschen Blick auf die Reihe der Tänzerinnen; Helene befand sich nicht unter ihnen, und unwillkürlich zeigte Gérards Gesicht seine Enttäuschung. Das Orchester gab das Zeichen zu einem Kontertanz und der junge Mann forderte, nach dem ausdrücklichen Befehl seines Vaters, Georgine dazu auf. Sie hatte dies übrigens auch erwartet und ihm diesen Tanz aufgehoben; wenn sie aber gehofft hatte, die Musik und die Belebung des Balles würden ihren Tänzer aus seiner gewöhnlichen Zurückhaltung heraustreiben, so hatte sie sich getäuscht. In den Pausen zwischen den verschiedenen Touren des Tanzes schleppte sich die Unterhaltung so träge wie möglich hin. Gérards Blicke wandten sich keinen Augenblick von der Thüre ab, und die Lippen öffnete er nur, um unbedeutende, einsilbige Antworten zu geben, Fräulein Georgine kehrte sehr enttäuscht auf ihren Platz zurück.

Die Menge begann wieder in den Billardsaal zurückzuströmen. Die ersten Präsentierbretter mit Punsch hatten die Herzen gelöst und das Eis gebrochen. Die Männer bewegten sich heiter zwischen den Sesseln der Damen, die, sich zierend, den Duft ihrer Blumensträuße einatmeten. Die jungen Mädchen hatten unter sich Gruppen gebildet und flüsterten hinter ihren Fächern.

Die Tänzer gingen von einer Gruppe zur anderen, murmelten eine Aufforderung zum Tanz und gingen dann an die Thürpfosten zurück, wo sie sich die getroffenen Verabredungen aufschrieben. Das fröhliche Summen lustiger Stimmen, vermischt mit dem Rauschen der Stoffe, erfüllte den Raum. Der Gymnasiast Anatolius Grandfief saß auf einer gepolsterten Bank und dachte bei sich, daß ein Ball, im Vergleich zum Soldatenspielen, doch eigentlich ein sehr untergeordnetes Vergnügen sei; um sich zu zerstreuen, steckte er sich die Finger in die Ohren, die er auf diese Art abwechslungsweise auf- und zumachte, so daß er den eigentümlichen Gegensatz, der entstand, wenn all dieses Geräusch, durch eine künstliche Stille unterbrochen, plötzlich wieder in undeutlichen Tönen, ähnlich dem Rauschen des Meeres, zum Ausbruch kam, recht gründlich genoß. Plötzlich folgte dem Gesumme der Unterhaltung eine wirkliche Stille und alle Augen richteten sich auf die Thüre des Empfangszimmers, in der soeben Frau Laheyrard, von Marius und Helene begleitet, erschienen war.

Der Schulrat hatte Marius beauftragt, seine Stelle zu vertreten. Frau Laheyrard, in einem sehr tief ausgeschnittenen rosa Kleid, stützte sich stolz auf den Arm ihres Sohnes und bahnte sich einen Weg zur Frau des Hauses. Der Dichter war herrlich; sein üppiger blonder Bart ruhte auf einer weißen Halsbinde mit breiten, flatternden Enden, und er hatte bei dieser Gelegenheit eine himmelblaue Atlasweste eingeweiht, die gerechtes Aufsehen erregen mußte. Er wollte, wie er sagte, nicht für einen Notar gehalten werden, und diese blaue Weste war dazu bestimmt, die durchaus spießbürgerliche Einförmigkeit des Frackes und der schwarzen Beinkleider zu beleben. Helenens Anzug dagegen rief bei den Männern ein Murmeln der Bewunderung und bei den Frauen eifersüchtiges Stirnrunzeln hervor. Ein langes Gewand von weißer Gaze hob das Ebenmaß des Wuchses prächtig hervor; auf diesem duftigen, seidigen Gewebe schlang sich ein biegsamer Brombeerzweig mit Blüten und Früchten, von der Schulter ausgehend, schräg über die Brust bis auf den Rock, dessen Falten leicht mit ihm aufgenommen waren. Auf der Schulter, am Ausgangspunkt dieses Gewindes, entfaltete ein Schmetterling seine himmelblauen Flügel. Ein ähnlicher Zweig, wie der am Kleide, hielt die prächtigen blonden Locken, die halb herabfielen, nachlässig zusammen. Des Eindrucks sicher, den diese einfache und doch ausgesucht feine Toilette machen mußte, blickten die braunen Augen ohne falsche Bescheidenheit und doch auch ohne gemachte Sicherheit nach rechts und nach links, und mit einer Ungezwungenheit und einer eleganten Schmiegsamkeit, welche die Eifersucht der Umgebung aufs Aeußerste steigerte, setzte sich das anmutige Mädchen neben seine Mutter. Im Handumdrehen und wie auf stillschweigende Übereinkunft machte sich eine Rückzugsbewegung in den benachbarten Gruppen bemerklich, so daß die neuen Ankömmlinge allein saßen.

Die Mutter des Gymnasiasten Anatolius, die mit der Schulbehörde auf gutem Fuß bleiben und die Frau des Schulrates schonen wollte, bemerkte diese Umtriebe rasch und flüsterte Georginen etwas ins Ohr, worauf diese sich zu Helenen setzte. »Meine Mutter möchte gerne,« sagte Georgine, »daß ein wenig Musik gemacht würde ... Haben Sie eines der alten Lieder mitgebracht, die Sie so schön singen?«

»Ich kann sie auswendig,« antwortete Helene, »und stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«

Sie ging durch das Zimmer, setzte sich ans Klavier und zog mit ungeduldigen und raschen, aber anmutigen Bewegungen die Handschuhe ab; dann begann sie bei tiefster Stille zu ihrer eigenen Begleitung nach der Melodie eines alten Tanzes das Minnelied zu singen:

Im Walde tief versteckt
Der Taube Sang dich neckt,
Wo alles grünt und blüht,
Hörst du, mein Lieb, ihr Lied?

Im Waldgrund tönt ihr Sang,
Als wie der tiefe Klang,
Wenn Liebeslenz erwacht
Nach langer Winternacht.

Jetzt schwebt er hoch oben,
Jetzt senkt er sich nieder,
Nun hebt er sich wieder –
So schweben die Lieder,
Ein lieblicher Traum des Waldes dahin.

Zärtliches Sehnen,
Verschleiert in Tönen,
Bezaubert den Sinn!

Hörst du sie schlagen,
Die Herzen, die zagen,
In fühlender Brust

Laß von der Liebe
Still heimlichem Triebe
Uns flüstern im Grünen, in kosender Lust.

Jetzt ist die Stunde der Liebe gekommen,
Beim Sange der Turteltauben, der frommen,
Komm und verträume am liebenden Herz
Sorgen des Lebens und bitteren Schmerz
Lieblicher blühet im Mai keine Rose,
Als wie die Liebe, die heimliche, lose!

Helenens Stimme war so innig und hinreißend und hatte so weiche und doch durchdringende Töne, daß trotz der Voreingenommenheit der Gesellschaft gegen sie ein Beifallssturm losbrach, als sie zu Ende war.

Nur allein die Base Provenchères flüsterte ihrer ältesten Tochter ins Ohr: »Sie mögen in die Hände klatschen, so stark sie wollen, ich finde doch diese Lieder, in denen nur von Liebe die Rede ist, höchst unschicklich für ein junges Mädchen.«

Gérard war herbeigeeilt, um Helene zu begrüßen. Sie reichte ihm freudestrahlend die Hand. – »Wie finden Sie meinen Anzug?« sagte sie und drehte sich lustig um, damit er sie besser bewundern konnte. »Gefalle ich Ihnen?«

»Sie sind wunderschön,« antwortete Gérard entzückt, »diese Brombeerenranke scheint eben im Walde gepflückt worden zu sein ... Sie verleiht Ihnen einen ganz unbeschreiblichen frischen Reiz, und neben Ihnen sehen die anderen Tänzerinnen aus wie Treibhauspflanzen.«

»Reden Sie aufrichtig?«

»Oh, vom Grund meiner Seele!«

Diese aufrichtige Bewunderung spiegelte sich in den Blicken des jungen Mannes so deutlich wider, daß Helene kaum an ihr zweifeln konnte. Sie war entzückt davon, um so mehr, als Gérard, ehe er sie verließ, sie noch zur ersten Mazurka aufforderte.

»Sie kennen also Herrn von Seigneulles?« fragte Georgine, die herbeigekommen war.«

»Gewiß, wir sind Nachbarn, und Herr Gérard ist ein Freund meines Bruders.«

»Wirklich!« sagte Fräulein Georgine, »davon hat er mir nichts gesagt ... Nun, meine Liebe,« fuhr sie fort und zog Helene beiseite, »ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen.«

»Ein Geheimnis?«

»Ja, und dafür sollen Sie mir einen Gefallen thun!. Es ist nämlich die Rede davon, mich mit Herrn von Seigneulles zu verheiraten. Wissen Sie?«

Helene machte eine Kopfbewegung und blieb stumm. Ihre ganze Freude war plötzlich dahin und eiskalt legte es sich ihr aufs Herz. Und doch waren ihr diese Heiratsgerüchte nicht neu; allein, ohne sich zu fragen, warum, hatte sie bisher geglaubt, sie seien aus der Luft gegriffen. Die Worte Georginens enthüllten ihr nun die nackte Wirklichkeit.

»Man will uns also verheiraten,« fuhr diese fort, »meine Mutter meint, es sei alles in Ordnung, weil sie mit dem Baron einig ist, aber ich bin nicht ihrer Ansicht; ich finde, daß mein Zukünftiger recht kalt ist und möchte wissen, was er im Grunde seines Herzens denkt ... Denn,« sagte Georgine, sich in die Brust werfend, »ich bin nicht in Verlegenheit, wo ich meine Person lassen soll, und es ist schon der Mühe wert, mich um meiner selbst willen zu lieben!«

Helene war sehr blaß geworden und biß verlegen in ihren Fächer; aber Georgine war so mit sich selbst beschäftigt, daß sie es nicht beachtete, sondern fortfuhr: »Sie werden gewiß mit ihm tanzen, versuchen Sie doch, die Unterhaltung auf mich zu lenken und horchen Sie Herrn Gérard ein wenig aus. Sie allein können mir diesen Dienst erweisen, in erster Linie, weil Sie Geist haben und zu reden wagen, und in zweiter, weil mich meine Freundinnen beneiden und mir ganz gerne meinen Bewerber wegschnappen würden, während Sie ...«

»Natürlich, ich zähle gar nicht mit!« sagte Helene und suchte ihre Verwirrung hinter einem Lächeln zu verbergen.

»Das will ich nicht sagen, aber Sie denken nicht daran, sich hier zu verheiraten, und dies ist die Hauptsache ... Nun, meine Liebe, thun Sie dies für mich, und wenn Sie bei dieser Unterhaltung Gelegenheit finden, mein Lob mit einfließen zu lassen, so thun Sie sich keinen Zwang an.«

Das Orchester begann wieder zu spielen und die beiden Mädchen trennten sich.


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