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III. Die Predigt der Franziskaner

»Ich han ouch ein amt: predigen ist mîn amt«, sagt Berthold von Regensburg einmal, als er von den verschiedenen Pflichten der Menschen redet. Die Predigt war der eigentliche Beruf des Franziskaners. Als Petrus Waldus die Berechtigung der freien Predigt gefordert, hatte er nur dem allgemeinen Wunsche des Volkes Ausdruck gegeben. Durch Franz war die Kirche sich bewußt geworden, was ihr selbst und was dem Volke nottat, und sie entsandte in den Bettelmönchen die volkstümlichen Verkündiger der christlichen Lehre. Solche Predigt hat es von neuem dargetan, wie einst in den apostolischen Zeiten, daß das Evangelium von Anfang an für die Armen an Geist bestimmt war, daß es unerschöpfliche Segnungen der Menschheit immer von neuem bringt, wenn es nur seinem eigensten Inhalte nach einfach und lauter verkündet wird. Sein schlichtes Ethos umfaßt in dem kurzen Satze: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« alles, was den Menschen in seinem Erdenleben glücklich, frei und groß machen kann. Alle Normen des Handelns und Denkens erstehen aus diesem einen Grundprinzipe. Jede christliche Moralpredigt ist eine Predigt von der Liebe – und hat es jemals solche lautere Predigten von der Liebe gegeben, so waren es die der Franziskaner! In Franz herrscht nur ein Gefühl: die Liebe, und dieses hat er mitgeteilt, wohin er gekommen. Dieses hat ihm im Sturm die Herzen eines ganzen Volkes erobert, weil es unwiderstehlich, weil es die besten Gefühle in jedem Einzelnen erweckte. Wie ein warmer Sonnenschein strömte es über die Welt und jeder, der Arme wie der Reiche, durfte sich ungestraft an seiner Kraft erfreuen. Die Menschheit eilte ins Freie hinaus, und da schien alles verwandelt wie nach langer, grauer Regenzeit: in leuchtendem Grün prangten die Bäume und Sträucher, in bunten Farben blühten die Blumen, über den blauen Himmel zogen die luftigen weißen Wolkengebilde und die dunklen Wälder schallten wieder vom Sange der Vögel. Wie schön war doch die Welt, wie glücklich der Mensch, sie mit allen seinen Sinnen genießen zu dürfen – wie gütig der Gott, der ihm alles zur Freude geschaffen! Da ward der Gedanke zum Jubel und der Jubel zum Gebet und das Gebet zum Vorsatz, den liebenden Schöpfer wieder zu lieben, ihm die Güte zu vergelten, die er dem Menschen angetan.

Der Gottesdienst selbst verließ die geweihten Stätten der Kirche, hinaus in die Natur zu treten – von dem frischen Atemzuge in ihr gestärkt und geläutert, kehrte er wieder zurück. So oft wir von den Predigten der Bettelmönche lesen, hören wir, daß sie im Freien gehalten wurden, daß Tausende sich auf dem Felde draußen vor der Stadt um den geliebten Prediger versammelten. Da war es ihm möglich, durch den steten Hinweis auf die Natur bei seinen Zuhörern jene innige Befriedigung hervorzurufen, die jede nahe Berührung mit derselben gewährt, es war ihm möglich, in Wort und Gebärde durch den Vergleich und den Hinweis jene Anschaulichkeit der Rede zu erreichen, die allzeit die größte Wirkung auf das Volk gehabt hat. Und dasselbe Gefühl, als befänden wir uns unter freiem Himmel, haben wir noch heute, wenn wir jene Reden des Bruder Berthold von Regensburg lesen, die uns eine so lebendige Anschauung von der Franziskanerpredigt überhaupt geben.

Die Predigt war in der vorhergehenden Zeit von den gottesdienstlichen Mysterien fast ganz in den Hintergrund gedrängt worden und hatte allmählich einen durchaus doktrinären Charakter angenommen. Schon, daß sie in Latein gehalten wurde, verhinderte ihre Popularität. Dazu aber kam, daß man sich immer mehr in einer allen Regeln des gesunden Menschenverstandes zuwiderlaufenden Weise der spitzfindigsten, gesuchtesten Worterklärungen befleißigte, die schließlich nichts als ein müßiges Spiel übergelehrter Leute wurden. Die außerordentliche Kenntnis der heiligen Schrift verleitete dazu, verborgene Beziehungen zwischen den verschiedensten Aussprüchen herauszufinden, alles und jedes, was im Alten Testament zu lesen war, mit Rücksicht auf das Neue zu deuten. Der ganze einfache Inhalt der Bibel ward zu einem unauflöslichen Knäuel von unklar symbolisch und allegorisch durcheinander gezogenen Ideen verwirrt. Man erschrickt vor der ungeheuerlichen Unnatur solchen Verfahrens, beschäftigt man sich mit den Predigten selbst so hervorragender Männer wie Innocenz' III. Die Pflichtenlehre und die gemütsvolle Betrachtung von Christi Leben verflüchtigte sich vor dieser mühseligen, undankbaren Verstandesarbeit – das Volk konnte für solcherlei unpraktische Geistesprodukte nicht das geringste Verständnis haben.

Daneben hat es gewiß allezeit eine volkstümlichere Predigt gegeben, aber diese war, wie uns der Beschluß des Lateranensischen Konzils von 1215 deutlich zeigt, immer mehr abhanden gekommen und sehr wahrscheinlicherweise von der herrschenden dogmatischen Denkweise des Klerus gleichfalls angekränkelt. Nur außerordentliche Vorkommnisse, bei denen es sich um eine wahrhafte Aufregung des Volkes handelte, zeitigten auch eigentliche Volkspredigten. Bei ungewöhnlichen Naturereignissen mochte die Mahnung zur Buße lauter und eindringlicher erschallen, die Aufforderung zu den von Gott selbst gewollten Kreuzzügen wußte in zündenden Worten den heiligen Mut zu entflammen. Aber das alles genügte nicht – das Volk verlangte, wie es von jeher getan, die tägliche Aufmunterung, es wollte in dem sinnlichen Drange seines Gefühles dessen Befriedigung in einer faßbaren Darstellung aller seiner Pflichten, in einer bilderreichen Veranschaulichung der christlichen Legenden finden, es wollte seine eigenen Prediger haben, die seine Sprache redeten, die an seinen Schmerzen und Freuden teilnähmen, es wollte strenge und doch milde Sittenmahner – die Franziskaner haben dies alles, was das Volk ersehnte, erfüllt. Daher ihr beispielloser Einfluß!

Von Franz selbst sind leider, aber sehr erklärlicherweise, ebensowenig wie von seinen vielen ausgezeichneten Schülern Predigten erhalten. Wer in den Werken des Antonius von Padua und Bonaventura auf die ›sermones‹ stößt, voll freudiger Erwartung an ihr Studium geht, wird sich bitter enttäuscht finden, da diese Predigten sich so gut wie gar nicht von jenen oben besprochenen geklügelten Verstandeserzeugnissen unterscheiden. Unmöglich können das jene Volksreden gewesen sein, die der nach Franz von allen am meisten bewunderte und geliebte Antonius vor den Toren der Stadt Padua gehalten. Obgleich ein Spanier von Geburt, so erzählt die alte vita In den Opera S. Francisci und S. Antonii. Hsg. v. J. de la Haye. Regensburg. 1739. Cap. XIII, auch Cap. XII., sprach er doch das Italienische so fließend, als wäre er nie außerhalb Italiens gewesen. Seine gelehrte Bildung befähigte ihn, den Dominikanern gleich, sich in siegreiche Disputationen mit den Ketzern einzulassen, zugleich aber wußte er das ungebildete Volk bis ins tiefste Innere zu erschüttern. Erfuhr es davon, daß er predigen würde, so brach es schon in der Nacht vorher in entfernten Städten und Flecken auf und eilte beim Licht der Fackeln nach dem Felde dicht bei Padua, wo er zu reden pflegte. An dreißigtausend Menschen konnte man da versammelt sehen, die Kaufleute schlossen ihre Läden, solange er sprach, vergaßen Gewinn und Handel und liefen mit den Frauen und Kindern hinaus. Hatte er dann geendigt, so war er in Gefahr, von allen den Leuten erdrückt zu werden, die sich glücklich schätzten, konnten sie nur sein Gewand berühren, und starke Männer mußten dem Andrang wehren. Ergriffen von den mahnenden Worten eilte man in die Kirchen, die Sünden zu beichten, so daß der Beichtstühle und der Priester nicht genug waren.

Und er war nur einer, freilich der größte, unter den gottesbegeisterten Männern, denen das Volk zuströmte. Salimbene hat uns die Namen von einzelnen erhalten, von einem Girardus de Modena Chronik S. 35., einem Fr. Hugo de Bareola, der von den Lombarden Hugo de Montepesulano genannt wurde und »Wunderdinge zu sagen wußte von dem Himmelshofe, nämlich der Glorie des Paradieses, und Schreckliches von den höllischen Strafen«, von dem Dominikaner Johannes von Vicenza; mit besonderer Bewunderung aber spricht er vom Bruder Berthold von Regensburg, dessen Ruhm über die Alpen gedrungen war. Es ist ein glückliches Geschick, daß Sammlungen von Bertholds Reden, deutschen und lateinischen, sich erhalten haben. Diese herrlichen Werke, die für immer eine Zierde der deutschen Literatur bleiben, haben neben der sprachlichen und literarischen Bedeutung den größten Wert für den Kulturhistoriker, der nur aus ihnen einen Begriff sich bilden kann, welcher Art die Volkspredigt der großen Franziskaner gewesen sei. Und, läßt sich hinzufügen, sie können noch jetzt als Muster wirksamer Volkspredigten gelten und verdienten noch heute von den Kanzeln unserer Dorfkirchen gelesen zu werden. Sie würden von neuem mit ihrer keine Mühe scheuenden echten und allgemeinen christlichen Liebe, ihrer praktischen Moral Gutes wirken wie vor sechshundert Jahren, da sie ihrem Geiste nach jung geblieben sind, wie das Evangelium, das sie verkünden. Sie haben dieselbe Eindringlichkeit wie Luthers Predigten, aber vor diesen objektiv betrachtet noch dies eine voraus, daß sie eine gültige und anerkannte allgemeine Glaubensanschauung, die schließlich trotz der Verehrung der Heiligen, trotz Fegefeuer und trotz der sieben Sakramente ebensogut protestantisch als katholisch ist, verkündigen. Die Polemik richtet sich gegen die Sünden allein, nicht gegen irrige Auffassungen der Lehre, und ist nicht gerade solche Polemik vom echt christlichen Standpunkte aus, dem die guten Werke nur als Ausfluß der guten Gesinnung schätzenswert erscheinen, allein von praktischem Nutzen für die weniger gebildeten Klassen, heute so gut wie ehemals? – Berthold hat in Regensburg seine Erziehung bei dem edlen David genossen, ist schon vor 1246 Mönch geworden, hat dann seit 1250 in Alemannien, im Elsaß, der Schweiz, in Österreich, Schlesien, Mähren, Böhmen gewirkt und ist 1272 gestorben.

Eine christlich humane Gesinnung – darin liegt der Zauber und die Bedeutung seiner Predigten! Als wichtige erhaltene Beispiele volkstümlichen Wirkens verlangen sie hier nähere Beachtung, da dieselbe Gesinnung der Kunst der Worte, wie der bildenden Kunst ihr eigenstes Gepräge gibt, da solche Predigt nicht nur ein Analogon der Malerei Giottos ist, sondern lebendig fördernden Anteil an deren Entstehung genommen hat. Sie vor allem hat im Volke die kindliche Freude an der Natur und die herzlich einfältige Liebe zu dem Bruder Christus genährt und gesteigert, die der Ausgangspunkt der neueren christlichen Kunst wurde. Betrachten wir daher zunächst den Gehalt, später die künstlerische Form der Franziskanerpredigt Bertholds Nach der Ausgabe von Pfeiffer und Strobl: B. v. R. Vollst. Ausgabe seiner Predigten. Wien 1862. 80. Braumüller. – Vgl. Scherer: Literaturgeschichte III. Aufl. S. 234 ff., wo weitere Literaturangaben. Unkels B. v. R. konnte ich leider nicht benutzen.. Zweierlei scheint mir besonders charakteristisch für sein Christentum zu sein: die natürlich sinnliche Auffassung der Glaubenslehre einerseits und andrerseits die vergeistigte Auffassung der praktischen Äußerungen wahren Christentums. Mit Hilfe der ersteren, in der er sich dem geistigen Vermögen seiner Hörer akkommodierte, hob er die zweite.

So mußte denn das Volk, sollten die guten Ermahnungen nicht fruchtlos bleiben, zunächst eine klare Anschauung von dem Verhältnis des Menschen zu Gott gewinnen. Der Schöpfer in seiner höchsten Majestät ist ein König, der über alle Könige auf Erden an Macht und Reichtum erhaben ist. Sein Himmelreich ist so weit und so schön, daß »alliu disiu werlt ist eine kleine dinc wider dem himelrîche«. Da regiert er nun mit großen Freuden und Wonnen und Ehren. Um aber sich selbst recht voll zu genießen, schuf er in seiner ewigen Liebe die Engel und die Menschen. Von den Engeln jedoch fiel ein Teil in Hochmut und ward von ihm verstoßen aus dem Palast. Der suchte ihm nun Feindschaft zu erregen und verführte auch die Menschen zum Ungehorsam. Deswegen aber liebt der mächtige Herrscher diese noch immer und sucht sie wieder in sein Reich und an seinen Hof zu ziehen, denn »ein künic hat gar gerne vil Volkes und ist des fro daz er vil gesindes hât« I, S. 124.. Und dem Menschen ist das wohl möglich, da er »freie Willkür« hat, das Gute oder das Böse zu tun, und Gott selbst in seiner grenzenlosen Güte Mensch geworden ist, die Sünde Adams zu sühnen und den Weg zum Himmelreiche im heiligen Christenglauben zu weisen. Wer nun die Gebote befolgt, sich vor Sünden hütet und solche, wenn er sie getan, bereut und büßt, der wird zur Seligkeit aufgenommen, wer es nicht tut, der fährt in die Hölle. Wie es aber dreierlei Volk am Hofe des irdischen Königs gibt, »povelvolk, groze herren und fürsten« II, S. 212., so auch am Himmelshofe. Je nach den Verdiensten richtet sich dort das Ansehen. Die Apostel sind die großen Fürsten, die Heiligen die vornehmen Herren und die Mehrzahl der Frommen bildet das niedere Volk. Aber selbst ein kleines Winkelchen »hinter der Türe« droben im Palast zu erringen, bedarf es großer Treue im Dienste hier auf Erden I, S. 274.. Von der Herrlichkeit der Stadt verkündete Johannes in der Apokalypse: »die mûre was gar hoch und alliu von edelem golde, und die in der stat waren, daz waren allez künige und heten alle kleider an als die sunne, und was allez von übergrozem richtuom, ir kleider und ir spîse der engele mâz. Die mûre diu was zwelf tusent raste hôch und als dicke und als lanc und was von smaragden und karfunkeln. Als grôze freude und gezierde, des waz alles wunder dâ von übergrôzer und von als edeler wirtschaft: unser koche kunnen rehte nihts nit dar wider« II, S. 243.. Die Freuden, welche der Himmel hat, sind wie die herrlichsten, wohlschmeckenden Speisen: ewige Jugend, Erfüllung jedes Wunsches, Freude ohne Trauer, Reichtum ohne Armut, Leben ohne Tod, Gesundheit ohne Krankheit, Liebe ohne Haß, Schönheit ohne Makel I, 220 ff. II, 244..

Ist Gott aber ein König, so ist der »juncherre« Christus sein königlicher Sohn und Maria eine »küniginne«. »Die woneten alsô ûf dem Ertrîche mit sô gar vollebrâhten tugenden, daz ir fueze ân allen stoup bliben frî vor allen tegelichen sünden an gedenken, an worten und an werken« I, 429..

Findet alles, was schön und herrlich zu denken ist, seine Verwirklichung im Himmel, so ist das höllische Reich, das vom Teufel und seinen Heerscharen bewohnt wird, so voller Qualen und Jammer, daß kein Mensch es sich ausdenken mag. Aber mit so erschütternden Worten Berthold das ausgemalt hat, so allgemein bleibt er doch in der Schilderung. Von den verschiedenartigen Martern des Inferno weiß er nichts, immer ist es nur die unsagbare Glut des Feuers, die den Verdammten droht, sind es glühende Spieße, mit denen sie durchbohrt werden II, 5.. Aber er hat auch damit die erwünschte Wirkung des größten Entsetzens hervorgerufen. Er sagt dann wohl: »als der dise stat anzunte unde diu alle samt ein hus waere, sô waerez doch niht danne ein fiwer. Also ist ez ouch umbe dich, mensche. Ob dîn hût unde dîn hâr, dîniu ougen unde dîn munt unde houbet und aller dîn lîp, bein und fleisch und alliu dîniu gelider und alle dîne âdern, daz daz allez samt ein durchsihtic fiwer waere, als ein îsen daz durchsmolzen unde durchgluewet ist; ich spriche noch mêr: als ob alliu disiu werlt niht mêr waere dan ein einigez fiwer von ertrîche unz an den himmel unde der mitten in dem fiure waere: also wol dem waere, sô ist dem wol hundertstund wirs, der in der helle ist« I, 127.. Ein anderes Mal spricht er von dem Fluchen und Zanken, das ein Verdammter gegen den anderen anheben wird. Der Vater wird sein Kind und das Kind den Vater verfluchen I, 193. Das erinnert an die ähnlich ausgeführte Szene in dem Gedichte Giacominos da Verona. Vgl. unten.. Vergeblich werden sie den Tod anrufen, sie zu erlösen. – Die Entscheidung, wohin die Seele kommt, fällt gleich nach dem Tode, da werden die guten und bösen Taten abgewogen, und müht sich der Teufel seine Seele herabzudrücken, so ist der Engel auch nicht müßig. Das endgültige Gericht aber hält der ewige König erst am feierlichen jüngsten Gerichtstage.

Gott hat dies alles nun in zweierlei Weise offenbart: den Geistlichen hat er das Alte und Neue Testament, den Laien aber zwei andere »grôziu buoch« gegeben, nämlich den Himmel und die Erde, aus denen sie alle Weisheit lesen sollen: »an der erden bî dem tage, an dem himel bî der naht.« Mit dieser Anschauung hängt es dann auch zusammen, daß Berthold die Bibel selbst mit Hilfe sehr schlichter Naturvergleiche einfach erklärt, die Natur aber immer in innige Beziehung zur christlichen Lehre bringt. So erzählt er denn auf der einen Seite die Geschichten des Alten Testaments recht dramatisch, frei und ganz so, als wären sie unter den Verhältnissen und Sitten seiner Zeit vor sich gegangen, auf Christi Leben selbst kommt er verhältnismäßig selten und immer nur kurz zu sprechen, dann aber mit besonderer Rührung I, S. 428. Vgl. z. B. Gideon: I, 37. Josua: I, 183. Herrlichkeit Salomonis höfisch geschildert: I, 174.. So, wenn er von dem Schmerze der Mutter Gottes spricht: »unde wie möhte unser frouwe genesen sîn, dôr ir ein als edel kint starp, der keiser aller künige was und an dem sie al vil übergrozer tugend erkannte, alse billich was? Und alse vil er geedelt unde gehoehet uber alle menschen was, als vil gienc ir sîn manicvaltiu martel naeher an daz herze danne einer andern muoter.« Oder an anderer Stelle: »Sô leget er dîr sinen morgen für, daz in die jüden vîntlichen viengen, und ungetriuwelichen verrâten wart und ûf sinen nacken geslagen wart und an manigen enden gewizet wart unde mit eime rore ein durnîu krône ûf sîn houbet gedrücket wart und under sîn ougen gespîet wart. Nû sich sünder, daz leget dir der almehtige got allez für, daz er daz allez durch dînen willen erliten habe des morgens an dem heiligen karfrîtage, dar umbe daz dû der êwigen martel über wurdest, ob dû selbe woltest. Gewinnet hiute wâren riuwen unde weinet von herzen juwer sünde. Jâ hât er vil manigen zaher durch juch gelâzen ûz sînem heiligen lîbe sînes vil reinen bluotes, des ein tropfe tiurre ist danne himelrîche und ertrîche. Die mit den ougen niht geweinen mügen die weinen mit dem herzen. Des dritten males leit er dir für sînen mittentag, dô man in an die spange nagelte des hêren kriuzes; dô man im swêne nagele sluoc durch sîne hende unde durch bêde sîne füeze einen etc. Dâ mant er sie nû sinderlîchen bî allen den noeten unde bî den hamerslegen unde bî sînen heiligen fünf wunden, bî sînen ruofen, die er ruofte gein dem sünder unde bî dem jâmer unde bî der klage, die unser frouwe hâte. Jr junge werlt, hüetet juch durch den almehtigen got vor sünden!« I, 370.

Dann wieder, wo es sich um biblische Gleichnisse handelt, weiß er sie in der einfachsten, verständlichsten Weise darzulegen, wie in jener herrlichen Predigt von den fünf Pfunden Nr. 2. I, S. 11 ff., die der Herr von seinem getreuen Knechte zurückerhält (Matth. 25, 14-30). Da prägt er dieselben seinen Hörern an den fünf Fingern ein und ermahnt sie, bei diesen allzeit an die fünf Pfunde zu denken. Diese aber sind ihm: der Leib, das Amt, die Zeit, das irdische Gut, die Liebe zum Nächsten. Immer stehen die anschaulichsten Vergleiche zu Gebote: die Sünden sind bald die Mordäxte, mit denen der Teufel uns bedroht, bald die Schlingen, die er als Jäger uns legt, bald Ankläger vor Gott, bald Wolken, die die Sonne verhüllen, bald Ritter des Satans. Die Sünde an sich ist die Krankheit, die der Genuß des Apfels dem Adam und seinen Nachfolgern verschafft hat. Die Seele ist die Wirtin des Leibes II, 128., das Leben des Menschen wird einer Wanderung durch einen Wald verglichen I, 37.. Der Mensch trägt als Abbild Gottes auf seinem Antlitz die Bezeichnung ›homo dei‹: die zwei Augen sind die zwei o, die Nase ist das m »schône mit driu stebelînen«, das Ohr ist das d, die Nasenlöcher bilden »ein kriechsch« ε, der Mund ist i I, 404.. Auf der andern Seite wiederum geht er von der Natur aus und kommt durch sie auf die christlichen Anschauungen. Er prägt den Hörern ein, daß sie beim Anblick der vier Sterne des großen Wagens an die vier Tugenden: den Glauben, die Liebe, die Hoffnung, die Stetigkeit denken sollen, welche die Räder des Wagens sind, auf dem die Seele gen Himmel gelangt. Die sieben Planeten gemahnen an die sieben Tugenden. Und Ähnliches ließe sich in Fülle beibringen. Das sind symbolische und allegorische Vorstellungen, wie sie jedermann verständlich und schließlich eine Notwendigkeit für den christlichen Glauben sind. Solche Vergleiche wird auch Franz in seiner Predigt angewandt haben.

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52. Grabmal des Johann von Brienne.
Assisi, Unterkirche S. Francesco.

Wie Franz aber hat auch Berthold eine durchaus poetische Naturauffassung, die sich nicht mehr wie die alte Troubadourpoesie auf ein kraftloses, eintöniges Erwähnen vom nahenden Frühling, singenden Vögeln und grünen Bäumen beschränkt, sondern in feiner Beobachtung und warmer Empfindung mit derjenigen Walters von der Vogelweide wetteifert. Man höre ihn davon sprechen, daß der Mensch so wenig einen Begriff von der Schönheit Gottes habe, als das Kind im Mutterleibe von der Herrlichkeit der Welt: »als wênic als daz kind empfinden mac der gezierde aller, dâ der almehtige got die werlt mite gezieret hât, mit dem firmamente, unde wie er daz gezieret hât mit der sunnen unde mit dem edeln sternen schîne, mit edelheit der steine unde mit maniger hande varwe unde mit ir kraft unde maniger hande rîchen waete unde mit maniger hande wurze unde mit maniger hande liehten blüetevarwe unde gesmac der wurze unde der blüete unde der bluomen, und alle die genaemeheit und alle die lustlîche freude, die diu werlt hât von der sumerwunne unde von vogelsange und von seitenklange unde von andern süezen stimmen, unde die freude, die menschen anblic gît!« I, S. 223. Vgl. I, 389. Ferner besonders I, 49. 157. 374. 506. Vgl. namentlich die schöne Stelle über den Nutzen der Pflanzen: I, 49.

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53. Grabmal des Gian Gaëtano Orsini.
Assisi, Unterkirche S. Francesco.

Da fangen wohl die Geschöpfe selbst an zu sprechen: »So möhte aller vogelîne sanc unde harpfen klanc wol sprechen, ob sie kunden sprechen: ›unser manicvalte wünneclîche stimme und unser süezen stimme die haben wir von uns selber niht: wir haben sie von dem, des dîu sêle begernde ist: ich suoche den gehimen an allen krêatiuren, an aller bluomen varwe und an aller wurze krefte« I, 157..

Dieses warme Gemütsleben, das ein so inniges, persönliches Verhältnis zu Gott hervorruft, brachte zugleich eine Verinnerlichung der christlichen Anschauungen mit sich, die als eine direkte Vorbereitung auf die Reformation betrachtet werden muß. Der Geist von Bertholds Moral ist ebenso lauter und frei, als ihre Anwendung auf das Leben praktisch ist. Die christliche Gesinnung, die Liebe oder wie er sie nennt: die Minne ist das Wesentliche, die guten Werke sind ihr Ausfluß. Die Reaktion gegen jene Überschätzung der äußeren Verdienste, die mit den Kreuzzügen und mannigfachen Pilgerfahrten herrschend geworden war, äußert sich nirgends treffender als in diesen Predigten. Ein gottgefälliges Leben, aufrichtiger Glaube, Liebeswerke taugen mehr, als alle Fahrten nach Rom oder zum h. Jakob nach Compostella oder zu den Preußen. Berthold wird nicht müde gegen die Scheingerechtigkeit und falsche Befriedigung, die solch äußerliches Gebaren mit sich bringt, zu kämpfen. Wer nicht von den Sünden läßt, dem ist es nichts nütze, mag er auch noch so viele Klöster oder Spitäler bauen, noch so oft fasten und Almosen geben. Ein einziges Paternoster, das ein Tugendhafter in Andacht betet, ist mehr wert, als viele Fahrten übers Meer, die ein Liebloser macht. Das gesunde, kräftige Gefühl des Franziskaners empört sich über die nutzlose Zeitverschwendung mit solchen angeblich Gott gefälligen Pilgerschaften. Die Messe daheim trägt denselben Segen für den Gläubigen in sich: »Maniger loufet hinnen gein Compustellâ ze Sant Jâcobe unde loufet dar unde dannen daz er niemer messe gehoeret, unde gent danne mit gamel unde mit gelehter unde sprechent halt etelîche selten iemer deheim pater noster. Daz rede ich dar umbe niht daz ich sante Jâcobe sîne bilgerîne enpfüeren welle: dâ waer ich ze kranc zuo. Jedoch möhtest dû in einiger messe mêr gnâden erwerben, danne daz dû ze Compustelle loufest unde her wider: Nû waz vindest dû ze Compustelle? daz tuost dû sant Jâcobes houbet. Daz ist vil guot: ez ist ein tôter schedel, daz bezzer teil ist da ze himele« I, S. 493. Vgl. auch I, S. 52. 137. 138. 384. 445. 455. 459. 460. II, 20. 112. 153. 177. 248 u. a. m..

Einer derartigen klar verständlichen Anschauung mußte es ferner weniger um die Hervorhebung der Wundertaten der Heiligen als um deren guten Lebenswandel zu tun sein. So finden wir auch nirgends eine Bezugnahme auf die übernatürlichen Zeichen, welche der »guote sant Alexius oder der guote sant Bernhart oder der guote sant Uolrich« getan, sondern die Heiligen werden nur als Muster und Vorbilder edler Tugenden hingestellt. Ja Berthold geht so weit zu sagen, daß die Menschen auf Erden, wenn sie nur gottgefällig leben, etwas selbst vor den Heiligen im Himmel voraus haben, nämlich, daß sie noch in der Lage sind, ihre christlichen Verdienste zu mehren, was jenen versagt bleibt Vgl. I, S. 22. 23. 97.. Damit hängt dann auch zusammen, daß er nichts von der Prädestination hält. Gott weiß wohl, was aus dem Menschen wird, aber er hat ihm die freie Willkür zu tun und zu lassen, was er will, gegeben. »Got wais wol wer verlorn sol werden oder wehalden. Darumb wizt aber nieman verloren, das es got wol wais. Zu gleicher weis, man furt ainen hyn und wil jn hahen, das sich ich wol, das man jn hachen wil, darumb hachet man jn nicht, das ich wais, man hachet jn darumb das er es verdient hat Vgl. II Anhang. II, S. 688. Vgl. I, 50. 492. II, 17..« Durchgeistigt ist endlich auch seine Auffassung der kirchlichen Mysterien. Was er über die Beichte gesagt hat, gehört zum Herrlichsten, was zu ihrer Verteidigung vorgebracht werden kann. Die Reue und Buße bedingen einander. Aus dem Formelwesen der Messe und der anderer Sakramente aber zieht er den lebendigen Geist hervor, indem er dem Laien die Bedeutung aller einzelnen Handlungen in schlichten Worten erklärt Vgl. die diesem Zwecke gewidmeten Predigten I, XX. S. 289. I, XXXI. S. 488. I, XXXVI. S. 566. II, XLV. S. 81.. Die sieben Heiligkeiten sind ihm die sieben Arzeneien, die Christus als gütiger Arzt während seiner Lebenszeit auf Erden bereitet hat. Sie retten von den Krankheiten der Sünden. Den Priestern, die sie erteilen, gebührt die größte Ehrerbietung, wie er denn überhaupt den Klerus als Ganzes immer verherrlicht, mag er sich auch gerade wegen dessen geweihten Amtes mit besonderer Schärfe gegen die sündigen Priester wenden.

Der Kampf gegen die Sünde aber füllt sein ganzes Leben aus. Es ist ergreifend zu lesen, wie unermüdlich, mit welcher Liebe und Eindringlichkeit er das Volk zu bessern sucht. Er wählt den dazu einzig förderlichen Weg rastloser, liebevoller, praktischer Ermahnung und furchtbarer Drohung mit den Strafen des Jenseits. Er kennt der Sünde gegenüber keine Schonung, unterläßt es aber nie, dem Sünder helle Worte des Trostes in dem Hinweis auf die himmlische Barmherzigkeit zu geben. Man muß es lesen, wie er sich mit seinem ganzen Herzen empört gegen den Neid und Haß, die Unkeuschheit, die Hochfahrt, die Trägheit, den Lug und Betrug, die böse Nachrede, den Zorn, die Gefräßigkeit und wie die Laster alle heißen. Überall greift er direkt ins Menschenleben hinein. Die jungen Leute warnt er vor der Wollust, die Frauen vor der Eitelkeit, die Alten vor der Habsucht. An deutlichen Beispielen zeigt er es dem Kaufmann, dem Schneider, dem Schuhmacher, dem Gastwirt, wodurch sie täglich sündigen. Jeder einzelne mußte sich davon getroffen fühlen, weil er seine Leute und alle ihre Fehler so genau kannte. Da war nicht von der Sünde im allgemeinen die Rede, sondern von den Vergehen jedes einzelnen in Worten und Gedanken. Und keiner konnte sich beklagen, daß dem einen zu viel, dem andern zu wenig geschähe. Denn wie er den Bauer und kleinen Handwerksmann mit Donnerworten anließ, so warf er auch dem Kaiser die Ungerechtigkeit seiner Urteile, dem Ritter die Schändlichkeit seiner Gewalttaten, dem Geistlichen seine Habsucht und Hochfahrt vor. Die Sünde aber, die ihm von allen die schlimmste dünkt, gegen die er fast in jeder Predigt die Schalen seines Zornes ausgießt, ist die Habsucht, die zu hinterlistigem Betrug führt. Alle andern lassen Gott wohl dann und wann »geruowen«, die »gîtekeit« nimmer. »Pfî, gîtiger, wie gar dich got verteilet hât vor allen den sündern, die diu werlt je gewan oder jemer mêr gewinnen mac. Dû bist alsô schedelich, daz manic tûsent sêle verlorn werdent von dînen schulden.« Denn das unrecht erworbene Gut, das dem Betrogenen nicht voll wiedererstattet wird, wird auch denen, die es erben, bis ins vierzigste Glied zur Sünde – und alle müssen zur Hölle fahren, wenn sie nicht Buße tun. Dafür gibt es aber keine andere Buße, als alles wiederzugeben und zu erstatten, sonst können selbst alle Heiligen, selbst Maria den Sünder nicht erretten. Offenbar ist die Habsucht in der empörendsten Form ein ganz besonderes hervorragendes Laster der Zeit gewesen, das mit dem sich Vermehren des Wohlstandes, mit der Ausbreitung des Handels zugleich sich eingestellt hatte. Auch Walther von der Vogelweide redet in seinem Spruche:

Die wisen râtent, swer ze himelrîche welle

von der »verschampte unmâze gîtekeit« Deutsche Klassiker des Mittelalters. I, Bd. W. v. d. V. Nr. 138, S. 247..

So übereifrig und maßlos sich aber des Berthold Zorn über die Sünde äußert, so kommt er doch aus einer edlen humanen Gesinnung, die uns den Prediger persönlich ebenso liebgewinnen macht, wie sein Volk ihn geliebt hat. Den Klagen des Armen und Unterdrückten machte er ein Ende, wenn er ihm tröstend sagte, daß vor Gott alle Menschen gleich sind, daß die Freuden des Himmels nicht nach den irdischen Rangstufen gegliedert sind. Er schützte das niedere Volk vor den Gewalttaten der Großen, indem er diese zur Verantwortung vor Gottes Stuhl zog. Wer viel auf dieser Welt empfangen hat, hat auch die größere Verpflichtung, sein Pfund so zu verwalten, daß er es dem Herrn wiedererstatten könne. Nur schwer vermögen wir in unserer Zeit die Bedeutung, die solche tröstenden Hinweise für jene Tage hatte, in denen Gewalt vor Recht ging, zu erkennen. Es lag aber eine große Kraft in Vergleichen wie diesem: wie die verschiedenen Engelchöre im Himmelreiche einander verpflichtet sind, die niederen den höheren und umgekehrt, so auch die Stände auf Erden; die Pfaffen, Mönche und weltlichen Herren sollen Sorge tragen für die Handwerksleute, Kaufleute, Bauern und Ärzte, wie diese wiederum jenen Dienste schulden I, 141 ff.. In solcher gegenseitiger Verpflichtung findet jeder sein Recht und seine Genugtuung. Wer sich aber über sein Amt und seinen Stand hinaus erhebt, stört die Ordnung, in der allein wahres Christentum heimisch sein kann. Dem Volk widerfährt sein Recht so gut, wie den vornehmen Ständen. So rät er den Reichen Gerechtigkeit und Milde gegen die Untergebenen, gegen die Dienstboten, verpflichtet aber diese wiederum zu treuem, redlichen Dienste. Sein Ideal ist, den Frieden Gottes schon auf dieser Erde in Liebe und Gerechtigkeit herrschen zu sehen. Der Krieg und das Turnier sind ihm ein Greuel I, 91. 176 und öfters.. Durch Predigten wie die des Berthold mußte ein neues Christentum, eine Religion des Volkes, wenn nicht geschaffen, so doch in wunderbarer Weise bestärkt, gekräftigt werden.

Wenden wir uns nun noch zu einer kurzen Betrachtung der Form und des Vortrages seiner Reden, so drängt sich uns unwillkürlich ein Vergleich mit der italienischen Kunst des Trecento auf. Wie in den Bildern Giottos erleichtert eine klare, scharfe Einteilung, die in höchst verständiger Weise aus dem Stoffe selbst gewonnen wird, das Verständnis. Durch Wiederholungen, kurzes Zusammenfassen der Resultate erhält Berthold das Gefühl für die Gliederung stets wach. Seine Sprache ist einfach, die Sätze sind eher kurz als lang, die Redeweise ist bilderreich. Wie aber in den Gemälden des Trecento, so liegt auch hier die eigentliche Kunst in dem dramatischen Element. Will Berthold auf einen bestimmten Begriff besonderen Nachdruck verlegen, so weiß er durch vorbereitende, umschreibende Sätze die Spannung der Zuhörer immer mehr zu erhöhen, bis er endlich das Ding mit dem Namen nennt. Oder er wendet fast als rhythmisch zu bezeichnende Wiederholungen einzelner Sätze an. Hat er den Höhepunkt erreicht, so breitet er sich aus, zieht naheliegende Vergleiche aus der Natur und dem Leben herbei, worauf er dann meist in direkter Weise auf die Hörer selbst übergeht und diese zu einer Betätigung der geschilderten Tugenden oder zum Vermeiden der Sünde auffordert. Oder er läßt sich selbst scheinbar Einwürfe von den Anwesenden machen, die er dann widerlegt. Spricht er von dem Verbote, am Sonntag zu tanzen, so fällt ihm einer in die Rede: »Bruoder Berhtold, rede waz dû wellest! wir mügen ungetanzet niht sîn.« Oder einer rechtfertigt sich vor ihm: »Owê, bruoder Berhtold! jâ züge ich mîn kint vil gerne, sô wil ez mir niht volgen. Ich hân allez daz versuochet daz ich kunde oder mohte, unde kundez nie geziehen.« Durch solche Mittel macht er die Sache recht anschaulich, wie er andrerseits bemüht ist, durch das Zitieren historisch berühmter Persönlichkeiten, wie Cäsar, Cato, Alexander, besonderes Interesse zu erregen. Zugleich vermittelt er den Ungebildedeten die wissenschaftlichen Anschauungen der Zeit; besonders was Naturerscheinungen betrifft. In drastischer Weise weiß er alle Vorgänge des täglichen Lebens zu schildern, wie auch alle seine Vergleiche wirksam und allgemein verständlich sind.

Daß zu dem allen noch eine ungewöhnliche Gabe der Rede, ein durch Gebärden und Mienenspiel unterstützter, höchst lebhafter Vortrag kommt, ergibt sich aus der Form der Predigten und dem gewaltigen Aufsehen, das sie machten, von selbst.

Nach dem einen Berthold von Regensburg aber dürfen wir die Franziskaner, was die Predigt, ihre Form und ihren Gehalt betrifft, überhaupt beurteilen, mag es auch so reich begabte Männer, wie ihn, nicht viele gegeben haben. Franziskus selbst wird ähnlich zum Volke gesprochen haben, nur noch dichterischer, noch liebeglühender. Die sinnliche, anschauliche Auffassung der Religion und des Lebens, verbunden mit einer tief innerlichen Glaubensüberzeugung und -begeisterung hat eben diesseits und jenseits der Alpen die Bettelmönche zu wahren Freunden des Volkes gemacht, durch ihre Predigt auf Humanität und Kunst gewirkt.


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