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»Es wird Herbst!« sagte Major Burkhardt und blickte den Studienlehrer fest an mit seinen furchtlosen Soldatenaugen.
Er sagte es mit Betonung, als suchte er in seinem Begleiter bestimmte Vorstellungen zu erwecken.
»Ja ja«, seufzte Professor Hasleitner, »es wird allmählich kalt.«
»Und ungemütlich. Kalt und ungemütlich.«
Der Major wies auf die Kastanien vor dem Dornsteiner Bahnhofe, deren gelbe Blätter sich fröstelnd zusammenkrümmten.
»Um fünf Uhr wird es Nacht. Ein schlecht geheiztes Zimmer. Eine qualmende Lampe. Die Zugeherin bringt lauwarmes Essen aus dem Gasthof. Stellt es unfreundlich auf den Tisch. Das ist Ihr Leben.«
Hasleitner hatte ins Weite geblickt, zu dem Walde hinüber, an dessen Fichten der Nebel lange Fetzen zurückließ.
Der soldatisch bestimmte Ton des pensionierten Majors weckte ihn auf.
»Wie?« fragte er.
»Ich sage, Sie müssen heiraten.«
Der alte Soldat deutete auf die tiefer gelegene Stadt, deren Häuser behaglich aneinandergedrückt waren.
»Das ist das Glück!« sagte er. »Eine Frau am Herde, fleißig, um unser Wohl besorgt und stattlich.«
Er beschrieb mit der Rechten eine nach rückwärts ausbauchende runde Linie.
»Und stattlich!« wiederholte er.
Hasleitner sah, wie es weiß und grau und dick und dünn aus vielen Kaminen rauchte, und er schien die Gemütlichkeit des Anblickes zu verstehen.
In seine Augen trat ein freundlicher Schimmer, und man konnte glauben, daß er an Herdfeuer dachte, oder an die runde, sich nach rückwärts ausbauchende Linie.
Überhaupt, er war ein träumerischer Mensch.
Sorglos im Äußeren, den Hemdkragen nicht immer blendend weiß, die Krawatte verschoben, den Bart naß von der letzten Suppe, aber in den Augen Herzensgüte, im ganzen Wesen eine Verträumtheit, die immer wieder zum Nasenbohren führte.
Kein Mann, der Backfische begeistern konnte, aber einer, der älteren Töchtern hundert Dinge zeigte, die man in lieber Häuslichkeit flicken, stopfen und bürsten mochte.
Und doch – dieser Mann, geschaffen, von den Ärmeln einer bürgerlichen Schlafjacke umfangen zu werden, war durch eine seltsame Laune des Schicksals mit einer verdorbenen Phantasie belastet, also daß seine Gedanken an das weibliche Geschlecht sich stets mit Vorstellungen von Eisbärenfellen verbanden, von Eisbärenfellen, auf denen dünne, lasterhafte Beine in schwarzen Seidenstrümpfen ruhten. Noch dazu lehrte er die Wissenschaft der Geographie und stieß auf Orte, wo seine Sinne knisternde Seide und herrlich verstöpselte Parfüms vermuten durften.
Paris – Wien – Budapest –
Ein Gefühl, das mit seiner heimlichen Sehnsucht zusammenhing, trieb ihn täglich zum Bahnhofe, wo Punkt fünf Uhr der große Schnellzug hielt, der glücklichere Menschen von einer Großstadt in die andere führte.
Hier hatte nun der quieszierte Major den Träumer angesprochen, und ein freundlicher Zufall fügte es, daß beide, als sie auf dem Bahnsteige kehrtmachten, der Gattin des Offiziers gegenüberstanden, wie auch der Tochter Elise.
In merkwürdig schnellem Gedankengange brachte der Professor das vorausgegangene Gespräch von Stattlichkeit in Zusammenhang mit der Erscheinung Elisens, und vielleicht ohne daß er es wollte, drang seine unlautere Phantasie dem älteren Mädchen durch Mantel und Rock und begann, sich Dinge auszumalen.
Freilich nicht langgestreckte, seidenumhüllte Beine, aber Rundlichkeiten, mit denen sich die Vorstellung von Wärme und Innigkeit verbindet.
Die Tochter des Majors fühlte den sengenden Blick des Philologen, und als eine reife Blume, die sie war, öffnete sie willig ihre Blätter den wärmenden Strahlen. Dieses heimliche, unbewußte Suchen und dieses bewußte Entgegenkommen spann Fäden zwischen den beiden, welche das erfahrene Mädchen bald genug aufzuspulen beschloß, und es schickte sich alsbald mit einem lieblichen Lächeln dazu an.
Freilich war dieser Professor kein Gegenstand für brennende Wünsche und verzehrende Glut, indessen wohl ein Objekt, das sich mit baumwollenen Ärmeln sanft umfangen ließ, nachdem es vorher sorgfältig gereinigt war.
Keine berauschend süße Frucht, sondern ein säuerlicher, deutscher Hausapfel, der aber, im Kachelofen gebraten, einigen Wohlgeschmack bieten konnte.
Und das Mädchen schickte sich alsbald an, den heimlichen Faden zu ergreifen, als mit dumpfem Brausen der Schnellzug in die Station einfuhr.
Die riesige Lokomotive schnaufte, als wäre sie in der langen, stürmischen Fahrt außer Atem gekommen, und die langen, schönen Wagen standen da, als ruhten sie kurze Augenblicke, um weiterzujagen in die weite Welt.
Mit einem Male hatte Hasleitner alle Gedanken an runde Mädchenreize vergessen; sie versanken vor ihm, er sah sie nicht mehr.
Dort im ersten Coupé schob eine schmale Hand den Vorhang zurück, und ein Paar müde Augen blickten entsetzt auf die Philister, hier prallte ein entzückender Kopf entrüstet zurück.
Es war die große Welt, die eine Minute lang Dornsteiner Luft einzog und Pariser Odeurs zurückgab.
Und da stand es auf weißen Tafeln und war darum kein phantastisches Märchen: Paris – Avricourt – Wien –
Ja... ja ... diese nämlichen Wagen waren gestern noch in Paris gewesen!
Jene fabelhaften Damen, von denen man sich erzählt, daß sie gierig und unerbittlich Jagd machen auf gutgebaute Männer, waren an ihnen vorbeigewandelt, hatten süßeBlicke in sie hineingeworfen, und von ihrem Dufte hing etwas an Türen und Fenstern und verwirrte den Sinn eines deutschen Jugendbildners.
Wußte man, ob nicht eine solche Tigerin da drinnen auf schwellenden Polstern saß und einen breitbrüstigen Germanen mit ihren Blicken verschlang?
Odette, Suzette – Germaine – ah!
Hier steht ein Gymnasiallehrer von gänzlich unverdorbener Jugend, und der für schlanke Waden und schwarze Strümpfe die heftigsten Empfindungen angestaut hat.
Warum seufzt ihr erleichtert auf, da sich nun der Zug in Bewegung setzt?
Ihr saht erstaunt auf die Kostüme, die im Dornsteiner Atelier für modes und confection kreiert waren, ihr saht Spitzbäuche und gepreßte Busen, faltenreiche Hosen und geschmierte Stiefel, aber ihr saht nicht in das Herz des blonden Professors und wißt nicht, wie er so ganz der eure ist!
Fort!
Die Lokomotive pfeift jubelnd aus der Station hinaus, als freute auch sie sich, diesem Neste entronnen zu sein...
Diesem Himmelherrgott ...
»Warum so träumerisch?« lispelte Elise und blickte schelmisch auf den Professor, der dem Zuge nachstarrte und in der Nase bohrte.
Da traf sie ein Blick, so leer, so fremd und so feindselig ..., daß sie unter dem flanellenen Höschen eine Gänsehaut überlief.
– – Der Faden war zerrissen – –