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Paula nahm an der Unterhaltung nicht teil; sie hörte kaum, was die Leute am Tische redeten.
Wenn Benno oder der Geschäftsfreund ein lautes Gelächter aufschlug, wurde sie nervös.
Über was freuten sich die? Was redeten sie? Sie dachte an die Zeit zurück, wo sie Interesse an ihnen gehabt hatte. Das war noch vor kurzem gewesen, und ihr kam es vor, als müsse es viele Jahre zurückliegen.
Ein Hausierer kam an den Tisch, der Merkzeichen für Bierkrüge verkaufte.
Sie hatte ihn auch damals gesehen, als sie mit Franz hier gewesen war, und ganz plötzlich überfiel sie eine quälende Sehnsucht nach ihm.
Wäre sie nur auch so klug gewesen wie Resi und hätte ihn herbestellt. Dann würde er drüben am Tische neben seinem Vetter sitzen, sie könnte ihn sehen und ihn mit Blicken liebkosen.
Sie winkte dem Hausierer und kaufte ihm ein Zeichen in den Farben des Korps ab, dem Franz angehörte.
Benno achtete nicht darauf, aber als sie es an ihrem Kruge befestigte, sah Otto herüber und nickte ihr lächelnd zu. Sie vergaß sich und dankte ihm deutlich für den Gruß.
»Wer is denn dös?« fragte Benno und sah nach dem Tische hinüber.
Paula wurde verlegen.
»Ich weiß sein Namen net... ich glaub... ich hab ihn in Schliersee kennen glernt oder in der Bahn.«
»So?«
Resi trat ihr auf den Fuß und blickte sie warnend an.
So was Ungeschicktes! Die Aufmerksamkeit auf Ottibubi lenken!
Der Zwischenfall ging unbemerkt vorüber, und als die Musik einen schmetternden Marsch blies, schmiegte sich Resi zärtlich an Paula.
Dabei sagte sie halblaut:
»Du bist gut! Sei do vorsichtig, die müssen ja was spannen!«
»Ach was!«
»Was glaubst d' denn? Und den ganz'n Abend redt'st und deut'st nix...«
»Ich kann einfach net...«
»Ja, und Knopfstieferl kannst beim Mandelbaum seh'n«, sagte Resi laut, da es ihr schien, als horche Benno zu ihnen herüber... »weißt... so was Elegants... mei Eisbär muß mir ein Paar zum Geburtstag schenken... gel, Manni?«
Schegerer brummte etwas Unverständliches in den Maßkrug hinein.
»Huh... sin die Ehemänner schwerhörig... Sind Sie auch so, Herr Beni-Beni?«
»In was für einer Beziehung?«
»Wenn man sich schön machen will für sein Mann?«
»No ja... mit Maß und Ziel...«
»Jessas, Sie Eiszapfen! Ma tut 'a doch nur alles für euch...«
»Wegen meiner brauchst di net so anstrenga«, sagte Schegerer. »Da fallt mir allaweil da Ding ei, der Karpfhammer Schorschi... Dem sei Alte hat si a Biß ei'setz'n lass'n wolln... ›Zu was denn?‹ sagt da Schorschl... ›du brauchst de Leut net z' g'falln... mir g'fallst aa net...‹«
»Übrigens...« sagte Herr Leistl ganz unvermittelt... »übrigens, hamm de Herrschaften scho g'les'n von unserm regensburger Ehedrama?«
»Nein... was hat's da geb'n?« fragte Benno.
Herr Schegerer verdaute noch an seiner humorvollen Geschichte.
»›Du brauchst de Leut net g'fall'n‹, sagt da Schorschi, ›mir g'fallst aa net‹.«
Resi beugte sich zu Paula hinüber.
»Du... wirkli... nimm di a bissel z'samm...«
»Hamm de Herrschaft'n dös net g'les'n, von unserm regensburger Ehedrama?« wiederholte Leistl.
»Was war denn?« fragte nun auch Resi.
»Der Goldarbeiter Flunger, der im Gemeindekollegium drinna war, a sehr a angesehener Mann, hat si daschoss'n. In der Zeitung is bloß g'stand'n, zwegn ehelichen Dissidien, aber i kenn die Verhältnisse sehr genau, dös hoaßt, wenn's Ihna intressiert...«
»Bitte, erzählen S'!«
Frau Resi rückte wieder näher; für solche Geschichten, und gar wenn sie gruselig ausgingen, war sie Feuer und Flamme.
»Ja... also de Frau Flunger... sie war von Straubing... net?... eine Getreidehändlerstochter... a saubere Person, sehr stattlich... de war bedeutend jünger wia er und hat gern Staat gmacht. Er... der Flunger war a kloans Manndl... unscheinbar und koana von Gebenhaus'n... a Notniggl, um mich also richtig auszudrück'n... No, die Ehe hat net lang dauert, a Jahr vielleicht, da hat ma scho allerhand gmunkelt. Es soll da ein Kammerherr eine Rolle gspielt hamm... de Sach hat aber zu keinen Konsequenzen nicht geführt... Derweil is vor ungefähr zwoa Jahr ein ungarischer Musiklehrer in Regensburg aufgetaucht... net?... no, und daß i 's kurz sag, die Flungerin is auf oamal musikalisch worn. Sie hat Stundn g'numma bei dem Schlawina, d' Hausleut hamm da allerhand pikante Vorkommnisse beobacht'... aber, net gnua, mit da Zeit hat sie den schwarzhaaret'n Donauratz'n auch ins Haus zog'n. D' Leut hamm g'red't, aber der Flunger hat nix g'spannt. Mit da Zeit is er do mißtrauisch worn, und es soll'n sehr heftige Szena sich abgspielt hamm. Amal soll er'n mit'n Revolver in der Hand ausgschafft hamm, aber sie hat's do wieder durchgsetzt, daß er blieb'n is... kurz und guat... was sag i?... eines Tags is der Schlawiner fort, aber d' Flungerin aa, und dem Vernehmen nach a großer Teil Diamantn und anderne Edelstein. Da Flunger hat koa Anzeig gmacht... laßt si ja denk'n... überhaupt hat a von der Gschicht koa Wort verlautn lass'n. Sei Schwager, da Hofrat Singer, ein bedeitender Arzt, hat 'n tröst'n woll'n... net... reschpektive er hat si über de Sach informieren wolln, aber der Flunger hat si umdraht, und hat'n ohne Antwort steh lass'n. Dös dauert a Monat a zwoa... im Gemeindekollegium laßt er si nimmer sehgn, in koa Gsellschaft geht er... und am Johannitag hamm zwoa Schifferknecht an Mensch'n beobacht, der am Ufer naufgloffen is und mit die Arm g'fuchelt hat... sie kümmern si weiter net drum, und bald drauf hörn s' an Schuß... net? wia s' hilaff'n, finden s' eine Leiche... an Herrn Flunger.«
Leistl schwieg und sah mit Befriedigung, daß seine Erzählung Eindruck gemacht hatte.
Frau Resi zog die Luft hörbar ein.
»Der arme Mensch!« sagte sie.
»Das Bedauernis war auch allgemein, und ein Leichenbegängnis hat er ghabt, geradezu pompös...«
»Da hat er was davo...« sagte Schegerer.
»Es war halt der Ausdruck der Teilnahme... net?«
»I will Eahna was sag'n... wenn i der g'wen waar... i lebet no... vielleicht fressat'n d' Fisch den sell'n Donauratzen... aber i lebat... dös woaß i g'wiß...«
»Es san net alle Menschen gleich«, erwiderte Resi. »Der Mann hat halt den Schmerz net überwinden können.«
»Das is auch bei uns die allgemeine Ansicht«, bestätigte Leistl. »Ma glaubt sogar Anhaltspunkte zu hamm, daß er a Zeitlang g'hofft hat, sie kommt wieder.«
»Jetz is recht... so a Schmieselmadam... wieder kemma? Wieder Klavier spiel'n mit 'n Schlawina? Jetzt is sei Grabschrift firti... für mi scho...«
»In gewisser Beziehung haben Sie recht.«
»In jeder Beziehung hab i recht. Mir... ah was... Da mag ma ja gar net red'n... mir sollt a so a Schlawina ins Haus eina schmeck'n... Du z'sammklaubter Rastelbinder... saget i... Du! saget i... Mir?... saget i... Und er scho drauß'd lieg'n auf der Straß'n... So a Zigeuna, aus sei'n Wanz'nsanatorium kaam er in a Bürgerhaus... Raus! saget i...«
»Aber Klasi, schrei do net so! D' Leut schaug'n scho...«
»Weil 's wahr is! A Hack'n nehmet i, a buach'ns Scheitl nehmet i... hi'müaßt er sei... so a Krattlermusikant...«
»Es ist net jeder so energisch«, sagte Frau Resi beschwichtigend.
Sie schickte zuvor ein Lächeln zu Herrn Jüngst hinüber, der einen fragenden Blick auf sie gerichtet hatte.
Denn das Geschrei Schegerers, der im Geiste den ungarischen Musiklehrer mißhandelte, war weithin vernehmlich gewesen.
»Reg di do net auf, Manni! Es is net jeder wie du...«
»Jetzt, ich«, sagte Benno, »ich muß schon auch sag'n, dieser Selbstmord kommt mir äußerst unmotiviert vor. Ich würde das System der Rache vorziehen...«
»Is auch meine Ansicht«, pflichtete Leistl bei.
»Zum Beispiel, wenn Sie sag'n, daß der Mann gewarnt war und schon einmal dem Betreffenden mit der Waffe entgeg'ntret'n is, z'weg'n was schießt er ihn net nieder? Wie einen Hund? Z'weg'n was richtet er die Waffe gegen sich selbst?«
»Weil er... ah was!...«
»Laß mi amal red'n, Schegerer! Gesetzt den Fall, es kommet ein solchener Eingriff in meine Ehre, na machet ich doch dem Betreffenden net Platz dadurch, daß ich aus der Welt scheide. Sondern im Gegenteil, ich muß doch trachten, daß ich den andern hinausbeförder. Ich schießet ihn nieder wie einen Hund«
»Schiaß'n?« lärmte Schegerer. »Na, mei Liaba dös gang z' schnell, dös waar koa Straf... De Händ tat i so an Kerl auf 'n Buckel z'sammbind'n und ziahgat'n langsam in d' Höh, an Kupferdraht, daß 's eahm d' Arm auskegeln müaßt, und nacha... vastehst... rennat i eahm 's Messa in d' Wampn... so machet 's i...«
»Auf jed'n Fall tat i 'n aus der Welt befördern«, sagte Benno. »Oder i passet eahm auf, wenn er grad über d' Stiag'n naufschliafat zu der Madam...«
»Jetz hör do amal auf!« sagte Resi.
»G'setzt den Fall, sag i«, fuhr Schegerer fort, der in grausamen Vorstellungen schwelgte... »bis zu der Tür lasset i 'n schleicha... und da stand i da mit a'r a viereckat'n Eisenstang... wünsch viel Vergnüg'n, saget i, er si umdrahn... wumms schlagen eahm an Schädel ei... so machet's i...«
Herr Leistl gab auch noch einige Methoden an; er glaubte, daß man mit einer langen, leicht gekrümmten Schusterahle gute Erfolge erzielen würde, oder mit einem Bleiknopfe, oder mit einem japanischen Krummsäbel.
Aber Schegerer war der grausamste.
Er wollte nicht bloß töten, sondern langsam töten, Qualen verursachen. Er sprach von Widerhaken, glühend gemachten Eisenspitzen, Sägen und anderen Marterwerkzeugen.
Benno blieb bei der Schußwaffe.
Die Kapelle hatte schon längst zu spielen aufgehört, fast alle Gäste hatten den Garten verlassen, als die Ehemänner und der Geschäftsfreund aus Regensburg noch immer die furchtbaren Folgen einer Verletzung ihres Hausfriedens besprachen.
Immer leerer wurde es.
Nur Herr Jüngst blieb an seinem Tische sitzen und verwandte kein Auge mehr von Resi, die bei dem Eifer ihrer Tischgenossen Gelegenheit fand, mit ihm die zärtlichsten Blicke zu wechseln.
Paula sah es und dachte an einen andern, den sie herbei wünschte, obwohl sein Leben durch spitzige Eisen, Bleiknöpfe, Schusterahlen und Revolverkugeln theoretisch bedroht war.
Es gab kein Bier mehr.
Da erhoben sich die grimmigen Rächer ihrer Ehre und gingen mit ihren Frauen heimwärts.
Am Bahnhofplatze nahm man Abschied. Herr Leistl wohnte dort in einem Hotel.
Schegerer sagte noch beim letzten Händedrucke, er würde dem Betreffenden eine dreizinkige Mistgabel in den Leib rennen oder ihn an einem Kupferdraht aufhängen. Dann ging er mit Frau Resi der Schillerstraße zu.
Paula schritt schweigend neben Benno her. Sie waren schon fast bei ihrem Hause angelangt, als er fragte:
»Was hast denn du eigentlich g'habt? Den ganz'n Abend hast du koa Wort g'red't...«
»Vielleicht hab ich Kopfweh«, antwortete sie müde. »Und so viel Phantasie haben mir ja auch net wie ihr.«