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13.

Am späten Abend kam Ponks von seinem Ausflug zurück und begab sich sogleich auf sein Zimmer. Eine Stunde später trabten zwei Reiter auf die Farm. Es waren Giles und der Bote, den man nach ihm ausgeschickt hatte. Giles wurde sofort in das Zimmer des Inspektors befohlen, wo die beiden Männer eine längere Unterredung hatten.

Am nächsten Morgen setzte Dr. Schreyer die alte Sara dadurch in großes Erstaunen, daß er von ihr den Schlüssel zum Zimmer Ponks verlangte und ihr selbst den Auftrag gab, von einem Seitenfenster des Herrenhauses aus Ponks zu beobachten, der auf einem freien Platze mit der Herrin des Hauses Tennis spielte. Falls Ponks Miene machte, ins Haus zu kommen, mußte Sara sofort an die Tür klopfen.

Die Tennispartie dauerte aber sehr lange. Schreyer konnte in aller Ruhe seine Aufgabe erfüllen. Und als er nach einer Stunde das Zimmer des Herrn Ponks verließ, da zeigte er eine sehr zufriedene Miene. Er begab sich auf sein Zimmer und schloß sich dort ein, woraus Frau Elisabeth mit tiefer Verstimmung den Schluß zog, daß er sich tatsächlich mit dem Packen seiner Koffer beschäftigte.

Wäre Ponks nicht so ganz vom Spiel beherrscht und durch den Anblick seiner schönen Partnerin bezaubert gewesen, so hätte er vielleicht die auffallende Wahrnehmung gemacht, daß ein Mensch rings um den Tennisplatz durch das Gebüsch schlich und bald hier, bald dort aus den Zweigen hervorlugte. Und endlich hatte dieser Mann eine Stelle erreicht, von wo aus er dem Spieler gerade mitten ins Gesicht sehen konnte. Eine Minute lang stand Giles – denn kein anderer war dieser Mann – regungslos im Gebüsch, die Augen mit der Hand beschattend, einen Zweig dicht über seinen Kopf herabgezogen, das Gesicht Ponks betrachtend. Dann drehte er sich herum, ließ den Zweig fahren und brummte vor sich hin: »Jetzt weiß ich, daß es der elende Lumpenhund von damals ist. Soll ich ihm jetzt seine zwanzig Dollar in das verdammte glatte Gesicht schlagen? Aber nein, der Inspektor hat's verboten. Aber – na warte, mein Junge!«

Er schüttelte die geballte Faust nach der Richtung hin, wo Ponks ahnungslos das Rakett schwang, und begab sich auf einem Umweg in die Wohnung Bergsons. Dort stattete er Bericht ab.

»Sind Sie Ihrer Sache unbedingt sicher, Giles?« fragte der Inspektor. Und mit einem eindringlichen Blick in das ehrliche, aber wütende Gesicht des Cowboys fuhr er fort: »So sicher, daß Sie vor Gericht einen Eid darauf ablegen können?«

»Tausend Eide«, nickte Giles. »Ich möchte den Herrn Inspektor bitten, dem Hund die Knochen entzweischlagen zu dürfen.«

»Unterstehen Sie sich nicht, Giles!« mahnte der Alte. »Machen Sie uns keine Dummheiten! Wir müssen den Schuft auf andere Art fassen. Bleiben Sie vorläufig versteckt auf der Farm, damit Ponks Sie nicht sieht.«

»Und die zwanzig Dollar?« knurrte Giles wütend.

»Nur ruhig, Sie finden schon Gelegenheit, sie ihm mit Zinsen wieder auszuzahlen.«

»Dann bin ich zufrieden«, brummte der Mann und trollte sich. Bergson begab sich zum Zimmer Schreyers.

»Wer ist denn da?« tönte von innen die barsche Stimme des Doktors, als der Inspektor klopfte.

»Ich bin's, Bergson. Ich bringe gute Nachrichten.«

Die Tür wurde geöffnet und der Alte schlüpfte herein. Mit Erstaunen sah er auf dem Tisch eine Anzahl Geräte und Apparate, die ihm unbekannt waren.

»Was machen Sie denn da?« fragte er erstaunt.

»Fußabdrücke«, lautete die Antwort.

»Fußabdrücke? Verstehe ich nicht.«

»Ich hätte auch antworten können, ich photographiere, Haben Sie noch nie gesehen, wie eine Photographie entsteht?«

Bergson schüttelte verneinend den Kopf.

»Nun denn, meine List ist glänzend gelungen. Ponks hat mir mehrere ausgezeichnet scharfe Fußabdrücke geliefert. Da nun aber die feineren Einzelheiten eines solchen Abdrucks mit bloßen Augen am Fußboden nicht erkennbar sind, fertigt man in solchen Fällen nach einem besonderen Verfahren Photographien der Spur an. Auf diese Weise bekommt man zum Beispiel haarscharfe Bilder von Fingerabdrücken auf Tischplatten, Fensterscheiben, Türklinken usw. Es handelt sich also hier um ein Mittel, mit dem die Kriminalistik täglich arbeitet.«

»Das ist sehr interessant. Und das Ergebnis Ihrer Arbeit?«

»Kenne ich noch nicht. Es dauert aber nicht mehr lange. Erzählen Sie derweil. Was haben Sie für gute Nachrichten?«

»Wissen Sie, daß Giles spät in der Nacht gekommen ist?«

»Nein. Ausgezeichnet, daß er hier ist. Haben Sie schon mit ihm gesprochen?«

Bergson lachte leise und vergnügt vor sich hin.

»Gesprochen? Das will ich meinen. Es ist schon alles klargestellt.«

Schreyer blickte hastig von seiner Arbeit auf.

»Was wissen Sie? So reden Sie doch!« drängte er in starker Spannung.

»Giles war eben bei mir. Er hat Ponks mit aller Bestimmtheit als den Reiter wiedererkannt, der ihn über die inneren Verhältnisse des Hauses ausgeforscht hat.«

»So!« rief Schreyer mit tiefer Befriedigung. »Dann fehlt ja nur noch, daß auch mein Beweis stimmt.«

»Das wäre ausgezeichnet. Ich hoffe nämlich doch, daß solchen Beweisen gegenüber Frau Darlington anderen Sinnes wird.«

»Bah, davon bin ich durchaus nicht überzeugt. Sie ist ja eine Frau!« meinte der Doktor und schüttelte das Wasserbad über seinen Abzügen.

Bergson konnte ein Lachen nicht unterdrücken.

»Na, Doktor, Sie sind ja auf einmal ein ganz wütender Weiberfeind geworden. Ich meine, damit gehen Sie denn doch zu weit.«

»Ach was! Am besten wär's, wenn man sich überhaupt in keiner Weise um das Geschlecht mit den langen Haaren kümmerte, denn – ha, sehen Sie doch!«

Sein finsteres Gesicht leuchtete plötzlich auf. Er hatte einen der Abzüge aus dem Wasser genommen und hielt ihn gegen das Licht. Bergson blickte auf das Bild. Er sah eine dunkle Fläche mit einem Gewirr von hellen Strichen, ohne aber erkennen zu können, um was es sich handelte. Erst als Schreyer ihm erklärte, daß die dunkle Fläche der Fußboden sei, die helleren Linien aber die Umrisse des Fußes mit allen Hautlinien darstellten, daß Ponks augenscheinlich einen selten hochgewölbten Fuß habe, wodurch das Bild des Fußabdrucks in zwei scheinbar voneinander unabhängige Teile zerfiele – da verstand Bergson. Und nun sah er alles ganz deutlich. Vermittelst des mehlartig feinen Pulvers hatte der Fuß sich mit all seinen Hautlinien und feinsten Merkmalen aufs genaueste auf dem blanken Parkettboden des Zimmers abgedrückt und die Photographie hatte alle diese Merkmale getreu wiedergegeben. Mit größter Deutlichkeit erkannten die beiden Herren auf dem Bilde unter der Ferse des linken Fußes einen sich schwarz abzeichnenden Fleck in der Form einer mäßig großen Bohne – die Narbe, die auch bei der Spur auf dem glatten Steinboden des Hausflurs sichtbar gewesen war.

Die beiden Freunde starrten lange, als könnten sie ihren Augen nicht trauen, auf das Bild – dann blickten sie sich gegenseitig an. Ihre Mienen waren, trotz des Triumphes in ihren Augen, tiefernst.

»Damit ist erwiesen, daß Ponks einer der Räuber des Goldschatzes ist«, triumphierte der Inspektor.

»So ist es!« rief der Rechtsanwalt mit blitzenden Augen. »Und nun wollen wir doch sehen, ob Frau Darlington trotz dieser Beweise noch ihre Hand über den Schurken hält. Ist es Ihnen recht, wenn wir sofort mit Frau Darlington reden? Und zwar am besten hier, wo uns niemand stören kann.«

Bergson nickte, ging hinaus und schickte den ersten besten Diener, den er im Hause fand, zu Frau Darlington und ließ sie zu einer sehr wichtigen Unterredung im Zimmer des Dr. Schreyer bitten.

Elisabeth kam sofort. Sie schien bereits zu ahnen, um was es sich handelte, denn ihr Gesicht trug einen finsteren Ausdruck. Die drei setzten sich um einen runden Tisch, auf dem die Abzüge lagen, die der Doktor soeben gemacht hatte. Vorläufig waren sie noch durch einen großen Bogen Löschpapier bedeckt.

»Sie können sich denken, gnädige Frau, daß sich wichtige Dinge zugetragen haben müssen, da wir Sie zu dieser Unterredung bitten ließen. Wir mußten diesen Ort wählen, um vor Störungen sicher zu sein.«

»Ich verstehe schon«, winkte Elisabeth ab. »Kommen Sie bitte zur Sache.«

»Sie haben heute vormittag mit Herrn Ponks eine Partie Tennis gespielt. Ohne daß einer von Ihnen beiden es ahnte, sind Sie während des Spieles von einem Mann umschlichen worden, der aufs genaueste die Züge von Ponks beobachtete. Dieser Mann war der Cowboy Giles. Der Mann ist nun bereit, vor jedem Gericht der Vereinigten Staaten zu beschwören, daß Ponks einer jener beiden Reiter ist, die ihm am Abend vor dem Einbruch in der Nähe der Farm begegnet sind.«

»So!« sprach Elisabeth und ein harter Ausdruck grub sich in ihr Gesicht. »Ist Giles noch auf der Farm?«

»Ja, und zu Ihrer Verfügung. Wünschen Sie, daß ich ihn holen lasse?«

»Nachher. Haben Sie sonst noch etwas?«

»Auch ich habe mich, wie Sie wissen, mit dem Fall Ponks beschäftigt«, nahm nun Schreyer das Wort. »Sie werden sich erinnern, gnädige Frau« – schon seit Tagen benutzte er diese förmliche Anrede statt der vertrauten ›Frau Elisabeth‹ –, »Sie werden sich erinnern, daß wir am Tage nach dem Einbruch auf den Steinplatten des Hausflurs Spuren nackter Füße gefunden haben. An einer dieser Spuren, die sich mit besonderer Schärfe abgezeichnet hatte, konnten wir feststellen, daß einer der Räuber in seiner linken Ferse eine tiefe Narbe haben müsse, da die dunkle Fußspur an dieser Stelle einen hellen Fleck aufwies. Gestern ist es mir gelungen, in Abwesenheit von Ponks ein Pulver, das zu ähnlichen Zwecken von der Kriminalistik verwendet wird, auf dem Fußteppich vor dem Bett von Ponks auszustreuen. Das Ergebnis war ganz den Hoffnungen entsprechend, die ich an diesen Versuch geknüpft hatte. Ponks hat, nachdem das Pulver an seinen Füßen haftete, einige Schritte auf dem glatten Parkettboden des Zimmers getan und dabei scharfe Abdrücke seines Fußes hinterlassen. Diese Abdrücke habe ich heute vormittag während der Tennispartie photographiert, soeben entwickelt – und hier haben Sie das Ergebnis.«

Damit legte er den schärfsten der Abzüge vor Elisabeth hin. Gleich Bergson erkannte sie zuerst nicht, was das Blatt darstellte. Nach wenigen Worten der Erklärung aber war sie sich über alles im klaren. Lange blickte sie auf die Photographie – dann legte sie das Blatt mit einer harten Bewegung auf den Tisch. Ihre Augen, mit denen sie von einem zum anderen blickte, funkelten.

»Und nun, meine Herren, was weiter?«

»Die Beantwortung dieser Frage steht bei Ihnen«, sprach Schreyer nach einer Weile des Schweigens steif. »Wir haben unsere Pflicht getan. Wir haben Ihnen gewichtige Beweise geliefert, daß Sie einen Einbrecher, einen Dieb und Räuber im Hause beherbergen. Einen Verbrecher, der ins Zuchthaus gehört.«

Elisabeth ließ den Kopf sinken. Sie wußte nicht, was sie auf diese Worte schwerer Anklage erwidern sollte. Mit finster umwölkter Stirne blickte sie auf ihre Hände, die fest ineinander verkrampft in ihrem Schoße ruhten. Das wußte sie: Keinesfalls durfte sie diesen beiden treuen Männern, die so auf ihr Wohl bedacht waren, zürnen. Das wäre ein Vergehen an ihrer Ehrlichkeit gewesen. Und hatte sie nicht selbst in ihrem Inneren eine unüberwindliche Abneigung gegen diesen Menschen, der – sie fühlte es deutlich – nur den geeigneten Augenblick abwarten würde, um zu ihr abermals von Liebe zu sprechen?

Und dennoch – stark wie nie zuvor war in ihrer Seele jenes geheimnisvolle, ihr selbst unerklärliche Gefühl, als müsse sie diesen Menschen schützen und schirmen, ihre Hand über ihn halten, seinen Weg bewachen, ihn stützen, wenn er in Gefahr war, zu straucheln. –

Und sie wollte es tun. Aber dort saßen zwei Männer, die mit eiserner Stirn Gerechtigkeit forderten.

»Was also würden Sie an meiner Stelle tun, Herr Doktor?« fragte sie mit einem tiefen Seufzer.

»Ich würde zu Ponks sprechen: ›Sie sind überführt, vor kurzem mit einem Spießgesellen in mein Haus eingebrochen und einen Goldschatz von hohem Werte geraubt zu haben. Sie haben mir kürzlich das Leben gerettet, das hält mich davon ab, Sie dem Gericht zu überliefern. Geben Sie das geraubte Gold heraus und verlassen Sie die Farm binnen einer Stunde. Ich gebe Ihnen einen Tag Vorsprung – dann erst werde ich Sie verfolgen lassen.‹ – So spräche ich, wenn ich Frau Elisabeth Darlington wäre.«

»Und Sie, Herr Bergson?«

»Ich bin nicht so weichherzig wie Ihr deutscher Landsmann, Mistreß Darlington«, antwortete der biedere Alte mit fester Stimme. »Ich bin ein Mann, der in der Wildnis alt und hart geworden ist. Ich würde an Ihrer Stelle den Schurken zwingen, das Gold herauszugeben. Dann würde ich ihn zwischen zwei handfesten Cowboys auf ein Pferd binden und nach dem nächsten Fort bringen lassen. Ich habe nämlich schon seit Tagen einen Gedanken, der nicht zum Schweigen kommen will – den Gedanken, daß dieser Verbrecher seinen Komplizen ums Leben gebracht hat, um in den alleinigen Besitz der Millionen zu kommen.«

»Aber Bergson, wie können Sie einen so schrecklichen Verdacht aussprechen!« fuhr Elisabeth auf.

»Dann fragen Sie bitte Herrn Ponks, wo der andere Räuber zur Zeit steckt«, forderte der Inspektor.

Elisabeth erhob sich mit einem Ruck.

»Meine Herren, obwohl Sie mich in eine meinem Lebensretter gegenüber peinliche Lage gebracht haben, bin ich doch ehrlich genug, anzuerkennen, daß Sie recht und klug und – in meinem Interesse auch freundschaftlich gehandelt haben. Ich bin verpflichtet, Ihnen dafür zu danken und tue das hiermit. Sie sollen mir nicht den Vorwurf machen dürfen, daß ich einen offenkundigen Verbrecher in meiner Nähe dulde und – werde deshalb mit Ponks reden.«

»Aber in unserer Gegenwart, wenn ich bitten darf«, sprach Schreyer.

»Gewiß, Sie sollen beide bei dieser Unterredung zugegen sein. Was ich aber gegen Ponks unternehmen werde, das kann ich jetzt noch nicht sagen. Vielleicht finde ich einen Ausweg, der noch etwas milder ist, als der, den Sie, Herr Doktor, mir angeraten haben. Auf Wiedersehen, meine Herren!«

Eben läutete die Glocke, die zum Mittagessen rief.

»Und noch eins, meine Herren. Bevor mein Entschluß gefaßt ist, bitte ich Sie dringend, Herrn Ponks gegenüber nichts von dem, was gegen ihn im Werke ist, merken zu lassen.«

Die beiden Herren verbeugten sich und Elisabeth ging.

»Die Genugtuung darüber, daß dieser Bursche nun nicht mehr lange hier die reine Luft verpestet, wird es mir möglich machen, ihm mit Gelassenheit entgegenzutreten«, murmelte Bergson mit einem grimmigen Lächeln.

*

Sonderbarerweise herrschte heute an der Mittagstafel, die nach der Gewohnheit auf der Terrasse abgehalten wurde, eine weit bessere Stimmung, als es je der Fall gewesen, seit Ponks in den kleinen Kreis getreten war. Der gerissene Abenteurer wurde dadurch stutzig. Was hatte dieser plötzliche Stimmungswechsel zu bedeuten? War es vernünftig, anzunehmen, Dr. Schreyer – ihn hielt er nämlich auch für die kalte Behandlung seitens des Inspektors für verantwortlich – habe verzichtet und versuche sich nun freundschaftlich an ihn heranzupirschen? Nein, sagte sich Ponks, ein solcher Gedanke wäre nicht vernünftig. Was aber hatte so plötzlich die Stimmung der beiden sichtlich verärgerten und übellaunigen Herren verändert? Welche Art von Gefühlen oder Ereignissen war imstande, eine solche Wandlung zu vollziehen? Verzichtleistung? Entsagung? O nein! Aber Triumph! Erfolg!

Und Ponks begann die Ohren zu spitzen und die Augen zu schärfen.

Der alte Bergson befand sich in einer entschieden humoristischen Stimmung und erzählte eine Schnurre nach der anderen aus seinem reichen Wildwestleben. Aber seltsam, diese Geschichten hatten immer den gleichen Inhalt. Immer handelte es sich darum, wie man in den unruhigen Zeiten des Wilden Westens den Herren Spitzbuben zu Leibe gerückt war, wie man sie mit den verschiedensten Hilfsmitteln und Schlichen und Pfiffen entlarvte und durch einen schnellen Spruch des höchst unbarmherzigen Richters Lynch am nächsten Baum aufgeknüpft hatte. Angeregt durch Bergsons Erzählerlaune gab auch Dr. Schreyer eine Anzahl Fälle aus seiner kriminalistischen Tätigkeit zum besten. Ponks lauschte auf diese Geschichten nur mit halbem Ohr, da er es nicht für möglich hielt, daß sie in irgendwelchen Beziehungen zu seiner Person stehen könnten. Er beschäftigte sich innerlich nun mit anderen Dingen. Er witterte Gefahr und sagte sich, daß der entscheidende Schritt noch heute getan werden müsse. Als erklärter Bräutigam der Frau Darlington würde niemand mehr wagen, etwas gegen ihn zu unternehmen – so machte er sich selbst begreiflich.

»Wenn ich nur bestimmt wüßte, ob Sanders von seinem Ausflug, das Geld zu holen, schon zurück ist!« dachte er im stillen, während er mit scheinbar größter Spannung einem Abenteuer Schreyers lauschte. »Aber er muß bestimmt gestern abend zurückgekommen sein. Es bleibt mir nichts anderes zu tun übrig, als einen Boten mit ein paar Zeilen zu Sanders zu schicken. – Gern tue ich's ja nicht, denn auf dieser verdammten Musterfarm scheint Treu und Redlichkeit so üppig zu gedeihen wie das Unkraut. – Wen könnte ich schicken? Der einzige, der überhaupt in Betracht kommt, scheint der Kreole John zu sein.«

Der Zufall wollte es, daß dieser junge Mann ihm gerade die Puddingschüssel reichte. Ponks nahm die Schüssel und heftete dabei seine Augen prüfend, schon mehr durchbohrend, auf das Gesicht Johns. Da sah er es in den braunen, weichen, etwas spitzbübischen Augen des jungen Menschen seltsam aufleuchten. Was konnte das anders sein als eine Art geheimen Einverständnisses – als eine stille Aufforderung, sich an ihn zu wenden, wenn er einen verschwiegenen Gesellen brauchte. Sofort stand es für Ponks fest, diesen jungen Kreolen zu seinem Werk zu benutzen. »Wenn doch nur endlich das verdammte Geschwätz dieser beiden Pinsel zu Ende wäre!« setzte er liebenswürdig seinem Entschluß hinzu – natürlich nur in der Stille seiner Gedanken.

Plötzlich aber stutzte er und war in einem Nu mit Anteilnahme bis zur Überspannung erfüllt für eine Geschichte, die Schreyer soeben zu erzählen begonnen hatte. Es handelte sich um die Entlarvung eines ganz besonders gerissenen Halunken, den man schließlich dadurch gefaßt hatte, daß man vermittelst eines klebrigen Pulvers, das man vor seinem Bette ausgestreut hatte, seine Fußspur photographierte.

»Ein reizendes Anekdötchen!« rief Ponks mit einem klirrenden Lachen. »Ich sehe, daß auch die Kriminalisten ihr Latein haben, genau so wie die Jäger.«

»Sie irren, mein Herr«, versicherte Schreyer ernsthaft. »Es handelt sich hier durchaus nicht um Kriminalistenlatein, sondern um eine durchaus wahre Tatsache.«

Ponks wechselte die Farbe.

»Aber ich bitte Sie, mit einem solchen Mittel kann man doch keine Verbrecher entlarven!« rief er. »Ich kann mir sehr wohl denken, daß es zahlreiche Füße gibt, die sich so ähnlich sehen wie ein Ei dem andern, so daß man das eine Bild nur schwer von dem anderen unterscheiden kann.«

»Sie befinden sich in einem Irrtum. Wenn die Füße der Menschen auch in der Regel nicht in demselben Maße wie die Fingerkuppen ihre feinen Merkmale haben, so sind doch die Unterschiede unter den Füßen, besonders auf der photographischen Platte, so groß, daß nicht leicht Verwechselungen vorkommen können. In meinem Falle aber handelt es sich um einen besonderen Fuß. Der Spitzbube, von dem ich eben erzähle, hat nämlich in der Ferse des linken Fußes eine Vertiefung in Form einer Bohne, vielleicht eine Narbe. Jeder Fußabdruck dieses Mannes weist nun natürlich an der Stelle, wo sich die Narbe befindet, einen Fleck auf. Sie verstehen, nicht wahr?«

Ponks nickte nur. Er hätte keinen Laut hervorbringen können: denn der Hals war ihm wie zugeschnürt. Die Frage lag ihm auf den Lippen, woher man gewußt hatte, daß jener – jener Mann – den Ausdruck Spitzbube legte er sich nicht einmal in Gedanken zu – die Narbe im Fuß hatte. Aber er würgte die Frage unausgesprochen hinab. Wozu sie stellen! Jetzt wußte er ja, was los war. Und mit einem innerlichen Zähneknirschen belegte er sich selbst mit einer Auswahl der zugkräftigsten Schimpfworte und übelsten Ehrentitel. Wie konnte er auch im Bewußtsein seiner ungewöhnlichen Ferse jene Fußspuren hinterlassen, die nun zum Verräter an ihm geworden waren!

Aber schon blitzte durch den Wirrwarr von Wut und Verzweiflung in seinem Hirn ein neuer Gedanke. Ein absonderlicher, höchst frecher und waghalsiger Gedanke. Der Raub der Nuggetsammlung war nicht mehr abzuleugnen – nun blieb nichts anderes übrig, als ihn als einen Scherz, einen übermütigen Streich hinzustellen. Er redete sich selbst ein, daß man einem Mann von seinem Reichtum und Ansehen einen solchen Scherz wohl zutrauen könne, so abenteuerlich und verschroben dieser Streich auch sein mochte.

Ein Beweis, daß der ruhige und leidenschaftslose Ponks in diesem kritischen Augenblick in nicht unerheblichem Maße den Kopf verloren hatte.

Jetzt erst fiel ihm so recht auf: waren nicht alle Erzählungen, die heute mittag aufs Tapet gekommen waren, auf den gleichen Ton gestimmt gewesen? Entlarvung von Gaunern, Spitzbuben und Hochstaplern, die sich in äußerlich glänzender Aufmachung in die anständigen Kreise eingeschlichen hatten? Oh, es unterlag nicht dem geringsten Zweifel, daß sich ein schweres Gewitter über seinem Haupt zusammengezogen hatte.

Das war die Erkenntnis, mit der er aufstand, als nun die Dame des Hauses zu seiner unaussprechlichen Erleichterung endlich die Tafel aufhob. Als Elisabeth dem Hause zuschritt, holte er sie unter der Türe ein.

»Frau Elisabeth«, bat er in dem teils vertraulichen, teils heißen Werbeton, den er seit der Stunde im Urwald ihr gegenüber beibehalten hatte, »dürfte ich Sie noch im Laufe des Mittags um eine sehr dringende Unterredung unter vier Augen bitten?«

»Gewiß, ich stehe zu Ihrer Verfügung«, antwortete sie, an seinen unruhig flackernden Augen vorüber ins Leere blickend. Sie hatte wohl bemerkt, daß er beim Mittagessen dem Wein mehr als gewöhnlich zugesprochen hatte. Dieser Umstand mochte wohl seinen Wagemut in besonderem Maße angespornt haben, so daß jetzt der Augenblick gekommen schien, den Elisabeth schon seit Tagen erwartet hatte.

»Kommen Sie in einer halben Stunde in den Wintergarten.«

Er dankte durch eine tiefe Verbeugung und sie ging an ihm vorüber ins Haus.

Ponks suchte John, den Kreolen, fand ihn und winkte ihm, er solle ihm auf sein Zimmer folgen.

»Hör mal, mein Sohn, du scheinst ein ziemlich schlauer Bursche zu sein«, begann Ponks mit leutseliger Miene. Bis jetzt hatte er gerade diesen jungen Mann mit jener Nichtachtung und Geringschätzung behandelt, mit denen man einen Dienstboten, und sei er einer der geringsten, in tödlichster Weise beleidigen kann. John gab auf die Frage von Ponks die einzige Antwort, die er geben konnte: er zuckte die Achseln, grinste und schwieg.

»Und wenn ich mich nicht sehr irre, so besitzest du auch die seltene Tugend der Verschwiegenheit«, fuhr Ponks in wohlwollendem Tone fort.

»Was ich nicht sagen will, das sage ich nicht.«

»Das ist ein sehr weiser Grundsatz«, lobte Ponks. »Ein gescheiter Mensch schweigt immer dann, wenn es zu seinem Vorteil ist, nicht wahr?«

John gab durch ein Zeichen zu verstehen, daß er imstande sei, das zu begreifen.

Nun wurde Ponks väterlich. Er legte dem jungen Menschen seine Hand auf die Schulter und blickte ihn mit freundlichem Augenzwinkern an.

»Sag, mein Freund, möchtest du dir nicht eine Handvoll Dollar verdienen?«

»Wenn ich kann – warum nicht!«

»Du kannst. Wäre es dir nicht möglich, für ein paar Stunden von der Farm zu verschwinden, ohne daß es auffällt?«

»Vormittags nicht, aber nachmittags.«

»Sehr vortrefflich! Es handelt sich um heute nachmittag. Kennst du den Rancho des Mestizen Tom Gally droben am Arkansas?«

John kannte ihn natürlich.

»Schön. Im Rancho des Mestizen wirst du einen Mann finden mit Namen Bob Sanders. Dem überbringst du einen Brief, den ich schreiben werde, kehrst zurück – und hast zwanzig Dollar verdient. Kein schlechtes Geschäft, wie? Kannst du diesen Auftrag übernehmen?«

»Nichts leichter als das. Wo ist der Brief?«

»Ich sagte dir ja, ich muß ihn noch schreiben. Das ist aber in zehn Minuten geschehen. Mach dich derweil für den Ritt fertig. Aber, wie gesagt – Schweigen gegen jedermann! Reitest du schon hin und wieder mal fort?«

»Oh, sehr häufig«, versicherte der Kreole, der sichtlich bei der Sache war.

»Es fällt also nicht auf, wenn du ein Pferd forderst?«

»Ich habe ein eigenes Pferd.«

»Famos! Ausgezeichnet! Also los, los! Beeile dich!«

Er schob John zur Türe hinaus und setzte sich an den Schreibtisch. Als er das Papier schon vor sich liegen hatte, zupfte ihn sein guter Geist noch einmal am Ärmel und warnte ihn, einen solch unverzeihlich dummen Streich zu begehen. Ponks aber hatte keine glückliche Stunde. Er wollte von der inneren Stimme, die ihn warnte, nichts wissen. Er tunkte die Feder ein und schrieb mit fliegender Hand einen Brief an Sanders, in dem er dem Freunde mitteilte, wie faul die Aussichten auf der Farm standen. »Das Wohlwollen der Herrin von Golden Hill ist das einzig Gute, was mir noch geblieben ist. Im übrigen ist mir der Weizen vollkommen verhagelt. Jetzt werde ich handeln. Vor Abend werde ich mit der schönen Frau Elisabeth verlobt und Herr ihrer Schätze sein – oder wir befinden uns auf verzweifelter Flucht. Halte für den letzteren Fall alles bereit. Teile das Gold in Pakete ein, damit jedes Pferd einen Teil tragen kann. Besorge auch Mundvorrat für zwei Tage, damit unsere Flucht durch nichts aufgehalten wird. Die Pferde versorge mit doppelter Futterration, damit sie so frisch und ausdauernd sind wie möglich. Geht die Sache schief, dann hängt alles von der Schnelligkeit ab, mit der wir aus dieser Gegend verschwinden können. Ich habe mich schon ganz auf diesen Fall eingestellt und mir einen Weg ausgedacht, an den niemand denkt, falls man uns verfolgen sollte. Der verdammte Doktor Schreyer, der hier auf der Farm herumfaulenzt, hat herausgeschnüffelt, daß ich mit einem Genossen den Goldschatz von Golden Hill gestohlen habe. Leugnen ist angesichts der erdrückenden Beweise zwecklos. Ich habe mir nun einen Plan ausgedacht, der nur im ersten Augenblick verrückt klingt. Gib acht: Wenn hier die Sache schief geht, bin ich im Laufe des Nachmittags bei dir. Hast du bis Sonnenuntergang nichts von mir gehört, dann komm hierher und bringe das Gold mit. Wie du weißt, habe ich in Neuyork schon von diesem Goldschatz gehört. Während du das Gold hier auf den Tisch des Hauses niederlegst, werde ich eine Geschichte erzählen, über die man sich ohne Zweifel wundern wird. Ich werde die Kunde von dem Goldschatz als Tagesgespräch von Neuyork hinstellen – und um zu beweisen, wie leicht es sei, trotz der kindischen Vorsicht des alten Trottels Bergson, den ganzen Krempel zu stehlen, haben wir ihn eben gestohlen. Natürlich nicht, um uns daran zu bereichern, sondern nur, um der Besitzerin eine nachdrückliche Warnung zu geben – was dadurch bewiesen wird, daß wir das Gold ohne Aufforderung und ohne daß man uns den Diebstahl nachgewiesen hat, zurückbringen. Die ganze Sache erscheint alsdann als ein übermütiger, gewagter Streich, aber es wird schwer sein, uns Ehrlosigkeit vorzuwerfen. Ich wiederhole also: war ich bis Sonnenuntergang nicht dort, dann steht hier alles gut, dann kommst du mit dem Golde und ich mit der eben geschilderten großen Gebärde. Wenn ich dann nicht wenigstens bei der schönen Hausfrau als schneeweißer Engel dastehe, dann soll mich Dieser und Jener holen. Aber ich darf meiner schauspielerischen Begabung ziemlich vertrauen.

Vergiß nicht, diesen Brief sofort nach Empfang zu vernichten.«

Man sieht, daß trotz der bedenklichen Lage Ponks sich in seinen Brief an den Freund einige Geisterchen des Humors und des Übermuts eingeschlichen hatten, woraus der Schluß gezogen werden darf, daß sich während des Schreibens die Stimmung des Abenteurers augenscheinlich wesentlich gebessert haben mußte. Er las alles noch einmal durch, wobei ihm seine Zuversicht auf die Leichtgläubigkeit seines Publikums immer weniger phantastisch vorkam, so daß er sich schließlich ganz leidlich vergnügt die Hände rieb und der Überzeugung war, einen recht geschickten Schachzug unternommen zu haben.

Mit diesem Schreiben in der Rocktasche ritt John, der Kreole, eine Weile später aus einem Seitenpförtchen der Fenz hinaus. Ponks, der diesem Vorgang aus der Ferne zuschaute, hatte sich überzeugt, daß der Ausritt seines Boten völlig unbemerkt vonstatten gegangen war. Tief befriedigt atmete er auf. So, nun sollte ihm mal einer kommen! Nun war er sogar bereit, falls am Nachmittag schon die Bombe platzen sollte, bis zur Ankunft Sanders' den Märtyrer zu spielen, der unschuldig unter einem falschen Verdachte leidet.

Pfeifend und hin und wieder voll Triumph vor sich hinlächelnd, begab er sich auf sein Zimmer, rauchte mit Behagen und überlegte, mit welchen Mitteln er am besten und aussichtsreichsten das nicht allzuleicht zu erobernde Herz seiner Angebeteten bestürmen solle.

Dieweil war John, der Kreole, ebenso unbemerkt durch ein anderes Pförtchen wieder in die Umzäunung hereingeschlüpft und stand nun mit einem breiten behaglichen Lächeln vor seinem Vorgesetzten, dem Inspektor Bergson.

»Herrlich! Großartig!« jubelte der Alte plötzlich mit einem für sein Alter ganz erstaunlichen Jugendfeuer. »So geht jeder Schuft, wenn seine Stunde gekommen ist, in die Falle, die er sich selber stellt. Dieser Brief ist so viel wert, wie der ganze Haufen Gold, den die Lümmel geraubt haben!«

»Also habe ich meine Sache recht gemacht?« wagte John zu fragen.

»Recht, sagst du? Großartig, ausgezeichnet hast du das gemacht, mein Junge! Du, das werde ich dir nicht vergessen, solange ich lebe! Hier, statt der zwanzig Dollar, die der Halunke Ponks dir versprochen hat, gebe ich dir – zum Donnerwetter, jetzt habe ich wieder nicht einen einzigen Cent in der Tasche. Aber sei zufrieden, ich sorge dafür, daß du noch heute den dreifachen Betrag ausbezahlt bekommst. Wenn ich bis zum Abend nicht daran gedacht habe, befehle ich dir, mich daran zu erinnern – hast du verstanden?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schob er den überglücklichen jungen Mann zur Türe hinaus und eilte mit Sturmesschritten zum Zimmer des Doktors. Schweigend, doch mit einer Miene, in der Genugtuung und Schadenfreude sichtbar waren, reichte er dem Doktor den Brief. Dieser begann zu lesen, mit einem ziemlich matten Interesse zuerst. Dann richtete er sich aus seiner halb liegenden Stellung plötzlich mit einem scharfen Ruck auf – dann sprang er auf – und nun verschlang er das Blatt fast mit den Augen.

»Bergson – Freund – woher haben Sie dieses Papier?«

Nun erst setzte sich der Alte und erzählte ihm, was er von John erfahren hatte. Schreyer hörte mit äußerster Spannung zu, dann nickte er schwer vor sich hin.

»Der Wolf sitzt im Eisen und beißt um sich. Aber jetzt werden wir ihm die Zähne schon ausreißen. Dieser Brief zieht die letzte Hülle von einer solch abgrundtiefen Schlechtigkeit und Niedrigkeit der Gesinnung, daß es keinem Zweifel unterliegt, daß Ponks hier erledigt ist.«

»Was raten Sie, was wir nun tun wollen?«

»Natürlich gehen wir mit diesem Schriftstück sofort zu Frau Darlington.«

»Gut, gehen wir.«

Elisabeth aber hatte gerade eine sehr wichtige Unterredung unter vier Augen mit Herrn Ponks und hatte den bestimmten Befehl gegeben, sie in keinem Falle zu stören.


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