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Die Dienerschaft der Frau Darlington war sehr überrascht, als es hieß, die Herrin würde abermals verreisen, und zwar diesmal für lange Zeit. Das Gerücht, das anfangs niemand recht glauben wollte, fand seine Bestätigung, als die großen Überseekoffer vom Speicher heruntergeholt wurden. Beim Packen durfte nur die alte Dienerin Sara zugegen sein, auf deren Verschwiegenheit Elisabeth sich vollkommen verlassen durfte. Das Erstaunen der alten Mulattin über die Dinge, die da eingepackt wurden, besonders über die Kleidungsstücke, die die Herrin mit auf die Reise nehmen wollte, fand keine Grenzen.
Eines Tages holte Dr. Schreyer Elisabeth im Automobil ab. Der Chauffeur, der den Wagen lenkte, stand im Dienste der Kriminalpolizei und war ein Mann, der sich über nichts wunderte und der in Dingen, die seinen Dienst betrafen, stumm war wie ein Grab.
Er war gar nicht erstaunt darüber, daß er den Rechtsanwalt, den er bereits durch die Angelegenheit Ponks kannte, und dessen elegante Begleiterin nicht zum Hafen, sondern zu einem Hause fahren mußte, das in einer stillen, abgelegenen Straße lag. Der Rechtsanwalt schloß selbst das Haus auf und verschwand mit der Dame im Innern. Der Chauffeur mußte ziemlich lange draußen warten. Endlich erschienen die beiden wieder. Der Doktor war in seinem Äußeren um ein gutes Jahrzehnt gealtert, er ging etwas gebeugter und nicht mit so sicheren, elastischen Schritten wie sonst. Merkwürdiger aber war die Tatsache, daß er jetzt nicht wieder von einer Dame, sondern von einem schlanken jungen Manne begleitet wurde, den der elegante hellgraue Reiseanzug und die fesche Reisemütze ausgezeichnet kleideten. Auch dem Doktor mußte das flotte Aussehen des jungen Herrn sehr gefallen, denn er betrachtete seinen Begleiter mit einem so unverhohlenen Entzücken, daß dieser laut auflachte. Dabei konnte man wahrnehmen, daß seine Stimme einen sonderbar jugendlichen Klang hatte.
»Das ist der Haken bei der sonst gar nicht übel ausgedachten Sache«, bemerkte der Doktor während der Fahrt mit bedenklicher Miene, ohne aber ein Schmunzeln ganz unterdrücken zu können, »du siehst aus wie ein junger Mann, redest wie eine Frau und lachst wie eine Gesangskünstlerin. Kein Mann der Welt würde es nach vieljähriger Übung fertig bringen, so süß und melodisch zu lachen wie du. Gib acht, man wird dich durchschauen.«
»Wetten wir, daß das mit nichten geschieht?« rief Elisabeth übermütig. »Kennst du den Neffen des Herrn John Brompton?«
»Den jungen Bennet? O ja. Er ist ein Dummkopf und ein Einfaltspinsel.«
»Ohne Zweifel. Doch bist du nicht der Meinung, daß seine Stimme der meinigen ähnlich klingt?«
»Nicht sehr. Was bei dir Melodie ist, das ist bei ihm ein Piepsen. Man lacht allgemein über ihn und zumal über seine absonderliche Stimme.«
»Ich weiß. Man darf auch über mich lachen. Mir ist das ganz gleich, denn niemand kennt mich. Aber du wirst sehen, daß man über deinen Neffen Charlie nicht lange lacht.«
Schreyer heftete wieder einen seiner langen, zärtlichen Blicke auf das Gesicht seines Neffen. Dann nickte er lächelnd.
»Ja, ja, mein lieber Charlie, ich glaube, wenn ich mich nur nicht vergesse und dich mit Elisabeth anrede!«
»Oh, wenn du das tust!« rief der junge Mann und ballte in komischem Zorn seine auffallend zierliche Faust. »Ich würde dich furchtbar bestrafen.«
»Oh, in der Tat? Und wie, wenn ich fragen darf?«
»Ich würde –« Charlie zog nachdenklich die Stirne kraus. Dann lachte er leise und fröhlich auf. »Ich würde für jeden solchen Fehler den Zeitpunkt unserer Hochzeit um einen Tag hinausschieben. Auch wenn unsere Aufgabe inzwischen erfüllt ist.«
Der Doktor blickte Elisabeth ernst und forschend an.
»Würdest du das wirklich tun, Elisabeth?«
»Charlie, wenn ich bitten darf!« verlangte sie und runzelte streng ihre Brauen. Nach einer Weile aber sagte sie leise und weich, indem ein stilles Lächeln ihr Gesicht erhellte:
»Nein, Hermann, ich glaube, ich würde das doch nicht tun – denn –«
»Nun – denn –?« fragte er, als sie errötend zögerte.
»Eigentlich dürfte ich dir das gar nicht sagen. Aber schau, ich würde, wenn ich meine Drohung wahrmachte, nicht nur dich, sondern auch mich selbst bestrafen. Und das wäre doch dumm, nicht?«
»Gewiß, das wäre ohne Zweifel eine gewaltige Dummheit!« bestätigte der Doktor mit größter Überzeugung. »Ich meine übrigens, wenn wir unter uns sind, können wir es ruhig bei der alten Anrede belassen.«
»Nein, das geht unter keinen Umständen!« widersprach Elisabeth. »Erstens würde das dazu führen, daß wir uns um so leichter selbst verraten. Dann aber auch –« Ein Erröten flog über ihr Gesicht und sie wandte in leichter Verwirrung den Blick von ihm ab. »Wir müssen doch für Monate vergessen, daß wir etwas anderes sind als Onkel und Neffe.«
Der Doktor nickte vor sich hin und seufzte. Beide waren während des Restes der Fahrt schweigsam.
*
Am Abend dieses Tages lichtete der Dampfer »Washington« seine Anker und trat die Reise nach Indien an. An Bord befanden sich unter anderen Fahrgästen auch der Friedensrichter Samuel Morris und sein jugendlicher Neffe Charlie Houston. Man sah die beiden fast immer beisammen. Offenbar verband ein überaus herzliches Verhältnis die beiden miteinander. Da der Friedensrichter ein älterer Herr war, der augenscheinlich unter den Beschwerden des Alters schon ein wenig zu leiden hatte, war sein junger Neffe mit wahrhafter Zärtlichkeit um ihn besorgt. Von den anderen Fahrgästen hielten die beiden sich so viel wie möglich zurück, ohne aber abstoßend oder unfreundlich zu erscheinen. Vielmehr erfreute sich das Paar schon nach wenig Tagen in hohem Maße des größten Wohlwollens der anderen Fahrgäste. Man war ein wenig erstaunt darüber, daß der alte Herr noch die beschwerliche Reise nach Indien unternahm. Als man aber vernahm, daß er zu seiner einzigen Schwester, der Mutter Charlies reiste, um sie nach Amerika zurückzuholen, gab man sich zufrieden. Auch war man ein wenig erstaunt darüber, daß der alte Herr sich seit dem Betreten des Schiffes nicht mehr rasierte, sondern einen merkwürdig üppig sprossenden Bart ruhig wachsen ließ. Dieser Bart war so weiß wie das Haupthaar des Herrn Morris, und stand in einem seltsamen Gegensatz zu seinem von Gesundheit gebräunten Gesicht. Alles in allem fand man, daß der Friedensrichter ein prächtiger Herr sei, dem der täglich länger werdende weiße Bart vortrefflich zu Gesicht stand. –
Das Schiff hatte eine sehr gute Fahrt. Eines Tages drängte sich alles an Bord, mit Ferngläsern aller Art bewaffnet. Und endlich erhob sich aus dem blauen funkelnden Meere ein heller Streifen, der an Umfang zunahm.
Bombay war in Sicht gekommen.
Am Abend dieses Tages setzten der Friedensrichter Morris und sein Neffe Charlie Houston ihren Fuß auf indischen Boden. Sie ließen sich in leichten Rikschas, jenen zweirädrigen Wägelchen, die durch indische Läufer gezogen werden, zum Taj Mahal Palace-Hotel fahren und nahmen dort Wohnung.
*
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte in reinstem Englisch ein hochgewachsener schlanker Inder, der, in schnellem Gang von draußen kommend, im Eingang des Taj Mahal Palace-Hotels gegen einen weißhaarigen alten Herrn stieß, der eben im Begriffe war, auszugehen.
Der alte Herr, der offenbar sehr in Gedanken versunken war, blickte hastig auf und heftete seine Augen, die von einer gelben Sonnenschutzbrille bedeckt waren, auf das Gesicht des anderen. Dann zog er seinen Hut und entschuldigte sich ebenfalls, doch war der Inder schon weitergeeilt, so daß der alte Herr seine Züge nur flüchtig erkennen konnte.
»Hm – sonderbar«, brummte er und setzte langsam seinen Weg fort. Doch schon nach wenigen Schritten blieb er stehen und blickte dem Inder nach, der aber inzwischen bereits im Innern des Hotels verschwunden war.
»Zum Donnerwetter, wo habe ich denn diese Stimme schon gehört«, murmelte er in reinstem Deutsch vor sich hin. »Auch das Gesicht erinnert mich an – ja, an wen? Diese harten raubtierhaften Augen – ha, sollte es möglich sein –«
Er wandte sich um und stieg die Stufen zum Hoteleingang wieder empor. In der Vorhalle blickte er suchend umher, doch der Inder war verschwunden. Da trat er in die Loge des Pförtners.
»Haben Sie den Inder gesehen, der soeben das Hotel betrat?«
»Aber gewiß, Mister Morris. Wünschen Sie ihn zu sprechen?«
»Das kommt darauf an. Kennen Sie ihn?«
»Dem Namen nach nicht. Doch ich weiß, daß er zur Gesellschaft des Prinzen Rami Kalisadu von Dharpur gehört. Seine Hoheit hat einige Persönlichkeiten zu einer Besprechung eingeladen, die diesen Nachmittag hier im Hotel stattfindet. Der Herr, den Sie sahen, wird daran teilnehmen.«
»Was ist das für eine Konferenz?«
»Das kann ich Ihnen nicht genau sagen«, versetzte der Pförtner. »Aber ich weiß, daß Seine Hoheit der Prinz Rami, der Sohn des Radschahs von Dharpur, einer der eifrigsten Verfechter der Loslösungsidee ist.«
»Ich verstehe. Man beabsichtigt die Abschüttelung des englischen Jochs.«
»So ist es. Augenblicklich spukt dieser Gedanke wieder in vielen Köpfen.«
»Ich verstehe nur nicht – wenn Sie das wissen, dann müssen es doch noch mehr Leute wissen. Auch die englische Regierung. Läßt diese denn Sitzungen und Besprechungen zu, die derartige Zwecke verfolgen?«
Der Pförtner, selbst ein Vollblutengländer, zuckte die Achseln und lachte.
»Die englische Regierung hält jedenfalls Worte nicht für staatsgefährlich. Solange die Reden nicht zu Handlungen ausarten, läßt sie den Schwärmern freie Hand, beobachtet aber ihre Schritte.«
»Hm. Halten Sie den Mann, der eben hier vorüberkam, für einen Inder?«
»Ich habe ihn nicht genau genug betrachtet, um darüber eine bestimmte Meinung äußern zu können. Dort kommt übrigens Prinz Rami mit seinem Gefolge.«
Dr. Schreyer wandte sich lebhaft um und heftete seinen forschenden Blick auf das Gesicht des Prinzen, der soeben mit langsamem, würdevollem Gang die Halle des Hotels durchschritt. Er trug halb indische, halb europäische Kleidung. Schreyer fühlte sich von dem ernsten bronzebraunen Gesicht des Inders aufs angenehmste berührt und war sofort überzeugt, daß dieser Mann sich nicht mit Dingen abgab, die irgendwie unsauber waren. In einem kleinen Abstand folgten ihm drei Inder, die sich lebhaft, aber leise miteinander unterhielten.
»Wohnt der Prinz hier im Hotel?« fragte der Doktor.
»O nein. Der Prinz besitzt am Elphinstoncircle, dem schönsten Stadtteil von Bombay, eine eigene Villa, die ganz märchenhaft ausgestattet sein soll. Dort wohnt er allerdings selten, denn er ist meist auf Reisen. Übrigens ist er erst vor wenigen Wochen von einer langen Reise zurückgekehrt.«
»Sie wissen wohl nicht, wo er war?«
»Doch, in Amerika, in Neuyork. Und denken Sie, er hat die ganze Fahrt um das Kap herum auf seiner eigenen Hunderttonnenjacht zurückgelegt.«
Der Doktor konnte kaum seine Erregung bei dieser Mitteilung unterdrücken.
»Wissen Sie zufällig, ob er allein auf seinem Schiff war?«
»Zwei Amerikaner und eine Dame haben ihn begleitet.«
»Kennen Sie die Namen der Amerikaner?«
»Nur den einen von ihnen – doch still, dort kommt er gerade, und zugleich auch die Dame, die in Gesellschaft des Prinzen reist.«
Ein feingekleideter Herr und eine einfach, doch sehr geschmackvoll angezogene Dame betraten die Halle und verschwanden wie die anderen auf der Treppe, die in den ersten Stock des Hauses führte. Schreyer betrachtete scharf, doch unauffällig die Gesichtszüge der beiden. Dann, als diese verschwunden waren, wandte er sich wieder an den Pförtner.
»Ist es dieser, dessen Namen Sie kennen?«
»Ja, er heißt Sanders und gehört, wie auch die Dame, zum Stabe des Prinzen. Der andere Amerikaner scheint mehr ein Vertrauter und Freund des Prinzen zu sein.«
»Sein Name ist Ihnen also nicht bekannt?« fragte Schreyer noch einmal.
Der Pförtner schüttelte verneinend den Kopf.
»Ich erinnere mich nicht, ihn je gehört zu haben – vielleicht, wenn –«
»Ist Ihnen der Name Ponks bekannt?«
»Wahrhaftig, ja, das wird der Name des Herrn sein! Herr Sanders war vor einigen Tagen mit der Dame hier und hat das Zimmer für die heutige Besprechung gemietet. Dabei hörte ich in einem halblauten Gespräch zwischen den beiden Herrschaften den Namen Ponks.«
»Herrn Ponks haben Sie selbst noch nicht gesehen?«
»Mit meinem Wissen nicht. Aber es kommt schon vor, daß Europäer hier in Indien die Tracht des Landes annehmen. Der Bequemlichkeit halber – und hin und wieder auch aus anderen Gründen.«
Der Mann wäre bestimmt nicht so mitteilsam und vertrauensselig gewesen, wenn nicht im Laufe dieses Gesprächs ein Geldschein mit ziemlich hohem Wert aus der Hand des Doktors in die des Pförtners gewandert wäre.
»Hören Sie mal, guter Freund –« der alte Herr rückte vertraulich näher an den Pförtner heran, »wäre es wohl möglich, daß ich ein bißchen zuhören könnte, was die Leute da oben zu verhandeln haben?«
Der Mann machte eine Gebärde gewaltigen Erschreckens.
»Um des Himmels willen! Verehrtester Herr! Nein, das geht nicht! Das ist ganz unmöglich. So gerne ich Ihnen gefällig wäre«, setzte er leise hinzu, als er sah, daß der freigebige Gast abermals eine bezeichnende Bewegung nach der Brusttasche hin machte. »Denken Sie nur, welch ein Skandal! Welch eine Gefahr für das Hotel, wenn's herauskäme!«
»Es wird nicht herauskommen«, lächelte Schreyer ihm aufmunternd zu.
»Es wird, mein Herr, glauben Sie es mir! Ja, wenn ich das vorher gewußt hätte! Ich hätte dann einen anderen Raum für die Besprechung freigehalten, wo sich so was machen läßt. Aber so – nein, nein –«
»Hören Sie mal«, begann Schreyer nach einer Pause von neuem, »die Herrschaften werden ohne Zweifel Wünsche haben – ich meine, sie bedürfen eines Kellners –«
»Ja, das kann wohl sein«, gab der Pförtner mit Vorbehalt zu.
»Wie nun, wenn ein geschickter Mensch das Amt eines Kellners übernähme?«
Der Pförtner schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Das hört sich leichter an, als es ist. Der Beruf eines Kellners, der einen Prinzen bedienen darf, erfordert viel Geschicklichkeit und Gewandtheit.«
»Sie kennen doch meinen Neffen?«
»Den jungen Master Charlie Houston?« schmunzelte der Portier im Andenken an die vielfachen Trinkgelder, mit denen auch Elisabeth hier bereits vorgearbeitet hatte. »Das will ich meinen. Ein ganz ausgezeichneter, liebenswürdiger junger Herr.«
»Nicht wahr, der denkbar geeignetste Kellner für einen Prinzen.«
Der andere aber kratzte sich anhaltend den Kopf.
»Ich wag's nicht – wenn es herauskäme – ich wäre glatt erledigt.«
»Wer viel Geld verdienen will, der muß eben etwas wagen«, bemerkte Schreyer vielversprechend. »Wenn dieser Streich gelänge, dann bekämen Sie von mir ein Geldgeschenk, das man schon gar nicht mehr mit dem Wort Trinkgeld bezeichnen kann.«
»Man müßte mit Mister Sharp, dem Oberkellner, sprechen.«
»Sehr wohl, sprechen wir mit ihm.«
Mr. Sharp war liebenswürdig genug, auf den telefonischen Anruf des Kollegen sich herbeizubemühen. Auch er hatte von dem Trinkgeldsegen, den das freigebige Paar ausgestreut hatte, seinen gerechten Teil mitbekommen. Als er hörte, um was es sich handelte, erwies er sich weit entgegenkommender und weniger bedenklich als der gewissenhafte Behüter der Haustüre.
Elisabeth saß am Fenster und blätterte gelangweilt in einem Buche. Als Schreyer zu ihr ins Zimmer trat, sprang sie ungeduldig auf und warf das Buch in einen Winkel.
»Es ist zum Rasendwerden!« rief sie, mit dem Fuß aufstampfend. »Nun sitzen wir schon drei Wochen hier im Hotel und finden keine Spur von dem, was wir suchen.«
»Ponks ist hier im Hotel«, sagte Schreyer mit scheinbarer Gelassenheit.
Elisabeth starrte ihn ein paar Sekunden lang verblüfft und sprachlos an.
»Würdest du Ponks in jeder Verkleidung wiedererkennen?«
»Wenn ich ihm gegenüberstände und seine Stimme hörte – ja, in jeder.«
»Nun gut, du wirst einen Kellneranzug bekommen und Ponks unter Anleitung eines geübten Kellners bedienen.«
Schreyer berichtete in kurzen Worten, um was es sich handelte. Gerade war er mit seiner Erzählung fertig, da klopfte es. Der Oberkellner erschien mit einem Kellneranzug. Elisabeth betrachtete die Kleidungsstücke, die einem anderen gehörten, mit einem sonderbaren Gefühl – dann aber nickte sie entschlossen.
»Gut, ich werde mich sofort umkleiden.«
»Wenn Sie dann die Güte haben wollten, Master Houston, sich zu mir zu bemühen, damit ich Sie dem betreffenden Zimmerkellner zuteilen kann«, sprach der Oberkellner mit einer tiefen Verbeugung. Dann verließ er, gefolgt von Schreyer, das Zimmer.
Es war für Elisabeth nicht leicht, Kleider anzuziehen, die einem fremden Menschen gehörten. Dennoch dachte sie keinen Augenblick daran, vor dieser unangenehmen Aufgabe zurückzuschrecken. Als sie sich dann im Spiegel betrachtete, mußte sie über sich selbst lächeln, trotz der fieberhaften Erregung, die seit der Mitteilung Schreyers über sie gekommen war. Auch der Doktor lächelte, als sie sich ihm in dem Kellnergewand zeigte. Elisabeth aber huschte zum Zimmer hinaus, suchte den Oberkellner auf und fand ihn in seinem Zimmer neben dem Frühstückssaale. Der Zimmerkellner, ein geschmeidiger Marseiller mit pfiffigem, verschmitztem Gesicht, war bereits von allem unterrichtet und freute sich diebisch über den Streich. Offenbar aber noch mehr auf das Trinkgeld, das seiner wartete. Während er noch dem jungen, abenteuerlustigen Mann – für einen solchen hielt er Charlie Houston – Ratschläge gab, wie er sich verhalten sollte, ertönte die Klingel.
»Das war auf Zimmer 27!« rief der Oberkellner. »Vorwärts, Gaston!«
Gaston winkte Charlie mit den Augen und hüpfte eilfertig die Treppe hinauf. Charlie warf die Serviette über den Arm, wie es ihm gezeigt worden war, und folgte seinem Führer auf dem Fuße.
Zimmer 27 war ein schöner, großer Raum, ganz besonders für Konferenzzwecke eingerichtet. In der Mitte stand ein großer Tisch, von zwölf bequemen Armsesseln umgeben. Zwischen dem Zimmer und dem Flur lag ein kleiner Vorraum, der Fernsprecher, Schreibtisch, Kredenz und einen Schrank mit Nachschlagewerken und Zeitungen enthielt. Beide Zimmer waren mit dicken Teppichen belegt, die das Geräusch eines jeden Schrittes verschlangen.
Gaston trat, gefolgt von Charlie, in das Zimmer, wo der Prinz mit seinen Gästen weilte. Am oberen Ende der Tafel saß Prinz Rami, blätterte in einem Aktenstück und sprach mit langsamer, nachdenklicher Stimme. Zu seiner Rechten saß ein Mann in indischer Kleidung, dessen Gesicht aber für einen Eingeborenen des Landes zu hellfarbig war. Ihm gegenüber, zur Linken des Prinzen, saß ein uralter Inder, regungslos, wie in tiefen Schlaf versunken. Seine Augenlider bedeckten bis zur Hälfte die Augäpfel, seine mageren, bronzefarbenen Hände ruhten bewegungslos im Schoße. Nur hin und wieder lief es wie ein leises Schüttern durch den langen, weißen, bis auf die Brust herabfließenden Bart. Und nur hin und wieder hoben sich die Lider von den Augen – und dann erkannte man, daß dieser alte Inder weit entfernt war, zu schlafen. Aus seinen nachtdunklen Augen loderten Flammen der Leidenschaft, und wenn er, aus seiner Versunkenheit erwachend, die Augen öffnete und seinen Blick im Kreise umhergehen ließ, dann bekam man den Eindruck, daß dieser Mann von einem Feuer des Fanatismus erfüllt sein müsse, das imstande war, eine ganze Welt in Flammen zu setzen. Er trug das Abzeichen eines brahmanischen Priesters von sehr hohem Rang.
Neben ihm an der Langseite des Tisches saßen noch drei Inder, die aufmerksam und mit den Zeichen tiefster Unterwürfigkeit den Worten des Prinzen lauschten. Ihnen gegenüber, neben dem Vertrauten des Prinzen, hatten die Dame und der Amerikaner, die vorhin der Pförtner als die Reisebegleiter des Prinzen bezeichnet hatte, ihre Plätze. Die Dame hatte ein Schreibheft vor sich liegen, in das sie mit flinkem Stift jedes Wort, das gesprochen wurde, stenographisch niederschrieb.
Als die beiden Kellner geräuschlos das Zimmer betraten, blickte der Prinz flüchtig auf und hielt in seiner Rede inne. Sofort wandte sich der zu seiner Rechten sitzende indisch gekleidete Europäer an die Kellner, die, eines Befehles gewärtig, bei dem Vorhang stehen geblieben waren, der die beiden Zimmer voneinander trennte.
»Bringen Sie Kaffee, aber schnell. Und dann warten Sie draußen, bis wir klingeln. Sorgen Sie dafür, daß niemand das Zimmer betritt – verstehen Sie wohl, niemand!«
Gaston nahm den Befehl mit einer tiefen Verbeugung entgegen, während sein jugendlicher Gehilfe starr und wie gebannt auf den Mann blickte, der den Befehl gegeben hatte. Er war aus seiner Erstarrung noch nicht erwacht, als er sich plötzlich beim Rockärmel ergriffen fühlte und in den Vorraum gezogen wurde.
»Um Gottes willen Vorsicht!« zischelte Gaston, als beide wieder draußen waren. »Da hätten Sie bald alles verdorben.«
Charlie antwortete gar nicht. Sein Atem flog. Am Ende des Flurs saß der alte Herr Morris in einem bequemen Korbsessel, rauchte eine Zigarre und las seine Zeitung. Als er seinen Neffen erblickte, sprang er mit einer Hast auf, die in seltsamem Gegensatz zu seinem weißen Haar stand und eilte dem jungen Mann entgegen.
»Er ist es – Ponks – der in dem indischen Gewand – mit dem roten Turban. Ich erkannte ihn zuerst an der Stimme – dann auch an seinen Zügen.«
»Gut, also muß gehandelt werden«, sagte der Doktor ernst. »Komm mit zum Oberkellner!«
Während die beiden den Korridor durchschritten, teilte Elisabeth ihrem Verlobten mit fliegenden Worten ihre Beobachtungen mit. Nach einigem Suchen und Fragen fanden sie den Oberkellner in der Kaffeeküche, wo er selbst die Zubereitung des Kaffees für den Prinzen und seine Gesellschaft überwachte. Bereitwillig trat er mit den beiden angesehenen Gästen zur Seite und lauschte auf die Vorschläge des Friedensrichters. Doch er schüttelte dazu anhaltend und durchaus ablehnend den Kopf.
»Das ist leider gänzlich ausgeschlossen, mein Herr. Wie Gaston mir sagte, ist ausdrücklich der Befehl erteilt worden, daß niemand sich im Vorzimmer aufhalten darf. Es geht wirklich beim besten Willen nicht. Und wenn Sie mir eine Million böten. Denken Sie, wenn es herauskäme!«
Schreyer hatte schon eine ungeduldige Bemerkung auf den Lippen. Da fiel sein Blick auf Gaston, der seine Augen starr auf ihn gerichtet hatte. Als nun die Augen beider sich begegneten, ging ein blitzschnelles Zucken um seine Augenlider. Da wandte sich Schreyer mit einem Achselzucken von dem Oberkellner ab und tat, als wolle er verzichten. Von Elisabeth gefolgt, verließ er den Raum. Als sie draußen waren, ergriff er hastig ihren Arm.
»Nun überlaß mir hier das Weitere. Du aber kleide dich um, nimm ein Auto und fahre zu Doktor Froberger, dem deutschen Konsul. Beziehe dich auf meine frühere, allerdings nur flüchtige Bekanntschaft mit ihm und verpflichte ihn zu strengstem Stillschweigen. Teile ihm mit, um was es sich handelt. Vergiß nicht, daß ich gegen Ponks einen Haftbefehl in der Tasche habe. Und da man nicht weiß, was sich hier ereignet, bitte ihn, dich zum Hotel zu begleiten.«
Gleich darauf erschien Gaston mit dem Kaffeegeschirr. Im Nu war Schreyer an seiner Seite.
»Sie wollten mir etwas sagen, wenn ich Sie richtig verstanden habe.«
»Wieviel wäre es Ihnen wert, den Verhandlungen auf Nummer 27 beizuwohnen?«
»Sagen Sie, was Sie verlangen.«
»Zwanzig Pfund. Dafür weise ich Ihnen ein Versteck an, wo niemand Sie sieht.«
»Einverstanden.«
»Können Sie so lange, wie die Verhandlungen dauern, unbeweglich stehen, ohne zu husten, zu niesen oder sonst ein Geräusch zu machen?«
»Wenn es weiter nichts ist –«
»Gut, kommen Sie mit. Bleiben Sie aber auf dem Flur, bis ich winke.«
Sie durchschritten den Korridor bis zum Zimmer 27. Gaston trat herein, ließ die Tür um einen handbreiten Spalt offen und setzte das Kaffeegeschirr auf die Kredenz. Dort ordnete er mit leisem Klirren die Tassen, während im Verhandlungszimmer eine klare, etwas scharfe Stimme sprach. Schreyer bog lauschend den Kopf vor. Die Stimme kannte er, es war Ponks, der dort sprach. Im Gegensatz zum Prinzen, der beim Eintritt des Kellners sofort geschwiegen hatte, sprach Ponks unbekümmert weiter.
»– und nur die grenzenlose Zersplitterung des indischen Volkes, richtiger der indischen Völker, ist schuld daran, daß bis jetzt ein Zusammenhang der Interessen nicht möglich war. Kein Volk der Welt hat so viel Ursache zur Sammlung, zur Vereinheitlichung, zum Niederreißen aller trennenden Schranken, wie die Inder – doch kein Volk der Welt teilt sich so vielfach ab in Kasten, in Religionen, in Sprachgruppen, wie das indische. England hat es leicht, Indien zu beherrschen, weil es ein Volk gegen das andere, den einen Fürsten gegen den anderen ausspielen kann –«
»Bitte, einen Augenblick, bis wir wieder unter uns sind«, tönte die leise, sanfte Stimme des Prinzen. Schreyer, der angestrengt den Worten Ponks gelauscht hatte, dabei aber immer achtgeben mußte, ob niemand über den Korridor kam, wollte sich ein wenig zurückziehen. Da wurde die Türe von innen geöffnet, Gaston winkte hastig und deutete mit den Augen auf eine Stelle der Wand. Die Wände in den beiden Zimmern waren nach indischer Sitte ganz mit großen, kostbaren Teppichen verhangen. Schreyer verstand nicht sofort. Da hob Gaston blitzschnell einen der Teppiche an einem Ende auf, und Schreger sah, daß sich hinter dem Teppich in der Mauer eine Nische befand, in der ein Mann aufrecht stehen konnte. Schnell trat er in das Versteck, der Teppich fiel wieder in seine alte Lage zurück – und kaum war dies geschehen, da wurde der Vorhang geöffnet und Ponks trat mit einem schnellen Schritt in das Vorzimmer. Gaston erschrak so sehr, daß zwei Kaffeetassen heftig gegeneinanderklirrten.
»Ich finde, Kellner, daß Sie auffällig langsam sind!« rief Ponks mit scharfer Stimme. »Wie kommt das?«
»Verzeihung, Sir, ich komme schon!« murmelte der Kellner und trug, seinen Schreck gewaltsam bezwingend, die Tassen ins Zimmer. Zwei Minuten später hörte Schreyer in seinem Versteck, daß Gaston den Raum verließ und daß jemand von der Gesellschaft ihm folgte und hinter ihm den Schlüssel im Schlosse herumdrehte. Nun hieß es Nerven bewahren, denn jetzt befand er sich in einem Gefängnis und niemand wußte, wann er aus diesem erstickend engen Raum wieder befreit wurde.
»So, Herr Ponks, nun sprechen Sie bitte weiter!« ertönte nach einer Weile die Stimme des Prinzen von neuem.
»Mit Vergnügen, Hoheit«, antwortete Ponks. »Ich brauche mich über die Zersplitterung des indischen Volkes nicht weiter zu verbreiten. Sie ist kein Geheimnis. Alle Welt weiß darum. Die Engländer erkennen in diesem Zustand den Grund ihrer Macht und Erfolge. Sie tun alles, um jeden Wandel in diesen Dingen unmöglich zu machen. Die englische Regierung gibt den unterworfenen und tributpflichtigen indischen Staaten eine scheinbare Freiheit und Unabhängigkeit, die aber in Wirklichkeit nichts anderes ist als vermummte Sklaverei. Und die Würde, die England euren Fürsten noch läßt, ist nichts anderes als eine Theaterwürde, die eure Könige zu Operettenkönigen macht.«
Ein leises Hüsteln des Prinzen veranlaßte den Redner, seinen Blick auf seinen hohen Freund zu richten. Da sah er, daß dessen Gesicht einen finsteren Ausdruck trug und alle Farbe verloren hatte.
»Ich bitte Eure Hoheit um Verzeihung, wenn ich harte Worte sprechen muß«, fuhr er gelassen fort. »Doch mich dünkt, wir sind zusammengekommen, um auf der Grundlage klarer Erkenntnisse neue Wege einzuschlagen. Zu diesem Zweck handle ich wie ein Arzt, der ein gefährliches Geschwür aufschneidet. Ich muß harte Worte sprechen und wünsche nur, ich könnte sie an alle indischen Völker richten, um ihren Stolz und ihre Leidenschaften zu entflammen.«
In diesem Augenblick öffnete der Greis, der Ponks gegenübersaß, seine Augen und richtete sich ein wenig aus seiner zusammengesunkenen Haltung empor.
»Es wäre ein erhebendes Ereignis, wenn das ganze indische Volk die Stimme unseres Freundes aus dem Abendlande vernehmen könnte«, sprach er langsam, doch jedes Wort seltsam schwer betonend. »Doch wenn es geschähe, wäre ich mit Sorge erfüllt um das Wohl unseres hochgeschätzten Freundes. Denn wenn es ihm gelänge, so sehr unsere Leidenschaften aufzustacheln und unseren Stolz zum Aufflammen zu bringen, so würde die Flamme, die dann aufloderte, am Ende alles Fremde verzehren – auch die, die wir lieben.«
Ponks hatte, während der Alte sprach, ruhig den auf ihm haftenden Blick ausgehalten. Nun kräuselten sich seine Lippen ein wenig.
»Chander Mahore, der Oberste der Brahmanen, hat Worte gesprochen, die in meiner Seele zweierlei Gefühle hervorgerufen haben. Würde Chander Mahore wohl die Güte haben, mir zu sagen, ob seine Worte nur die Sorge um mein Wohl oder auch – eine Drohung zum Ausdruck bringen sollten?«
Sekunden der Stille folgten der Frage. Der Prinz blickte langsam und ruhig von einem der beiden Männer zum anderen und schien der Sache nur wenig Bedeutung beizumessen. Chander Mahore, der Brahmane, war in seine nachlässige Stellung zurückgesunken und saß mit halbgeschlossenen Augen. Seine Lippen zitterten ein wenig, als unterdrückten sie ein spöttisches Lächeln. Auch die drei Inder am unteren Ende des Tisches saßen regungslos. Nur ihre Augen sprachen. Doch die Augen redeten in sehr verschiedenen Sprachen. Der erste von ihnen, ein riesiger Radschputane mit tiefbraunen Gesichtszügen und kohlschwarzem Backenbart, an seiner Uniform als Offizier der Khaiberrifles erkennbar, verschlang Ponks fast mit Blicken, in denen eine wilde Kampflust loderte. Seine Hände tasteten unwillkürlich nach dem kurzen Krummschwert, das in einem breiten seidenen Gürtel steckte. Der Nachbar dieses offenbar sehr kampflustigen Mannes war das gerade Gegenteil. Er war ein noch junger Mann. Sein bronzefarbenes Gesicht trug den Ausdruck hoher Intelligenz und starker Selbstbeherrschung. Seine Kleidung war sehr einfach, doch gewählt. Ein Landkundiger konnte ihn leicht als den Sohn eines hochgestellten Mannes aus dem Innern des Landes erkennen, der die Universität zu Bombay besuchte. Der dritte war ein Kaufmann aus dem Stamme der Parsen (Feueranbeter), die in Bombay zahlreich sind; millionenschwere Leute, die weniger wegen ihrer Anzahl als vielmehr durch ihren Reichtum und ihre soziale Stellung einen gewichtigen Bestandteil in der indischen Bevölkerung ausmachen.
Dieser Mann lächelte nachsichtig. Als er sah, daß der ihm gegenübersitzende Amerikaner erstaunt und ein wenig erschrocken auf den alten Brahmanen blickte, beugte er sich über den Tisch zu ihm hinüber.
»Das hat gar nichts zu bedeuten, Mister Sanders«, tuschelte er leise in tadellosem Englisch. »Ich kenne Chander Mahore. Er hat nichts weniger als einen Angriff gegen Ihren Freund im Sinne.«
»Ich will es hoffen, mein lieber Herr Karaka«, versetzte Sanders und versuchte, seiner Miene einen möglichst unbekümmerten Ausdruck zu geben. Dann aber beugte er sich zu seiner Nachbarin hinüber und flüsterte ihr zu: »Was meinen Sie, Miß Pombal, wird unser Freund Ponks unvorsichtig genug sein, diesen alten Brahmanen für seinen Freund zu halten?«
Ria Pombal antwortete nur durch ein leises Heben ihrer Schultern. Ihre Mienen waren kühl und gleichgültig. Sie schien nur Interesse für den Fortgang der Verhandlungen zu haben, auf den sie mit frisch gespitztem Bleistift wartete.
»Unser Freund aus dem Abendlande«, nahm Chander Mahore wieder das Wort, »hat eine Frage an mich gerichtet, die mich in Erstaunen setzt. Wie könnte ich Drohungen an einen Mann richten, der aus weiter Ferne zu uns kommt, nur um den unterdrückten Kindern dieses Landes zu helfen?«
Er machte eine kleine Pause, um den leisen Spott, der in den letzten Worten enthalten war, um so deutlicher klingen zu lassen. Dann aber hob er seine Augenlider empor und blickte Ponks fest ins Gesicht.
»Wir kennen unsere Freunde, die Amerikaner, und wissen, daß sie ein edles, mächtiges und freies Volk sind. Wohl das freieste Volk der Welt. Sie haben selbst lange Zeit unter der Herrschaft Englands gestanden und wissen, wie es ist, in Sklaverei zu leben. Mister Ponks hat, losgelöst von allem Eigennutz, seine Lebensaufgabe auf den Willen gestellt, uns behilflich zu sein, das harte Joch Englands von uns abzuschütteln. Er will eine Brücke sein zwischen seinem und meinem Volk. Wir sind ihm dafür großen Dank schuldig, und ich glaube sicher zu sein, daß wir alle diese Pflicht tief empfinden.«
Der Kriegsmann am unteren Ende des Tisches machte ein Gesicht, als sei er von diesem Ausgang des Zwischenfalles sehr enttäuscht. Der parsische Kaufmann warf Sanders einen Blick zu, als wollte er sagen: »Sehen Sie, was habe ich Ihnen gesagt!« Der junge Student blickte vor sich nieder und ließ durch keine Veränderung in seinem Gesicht erkennen, wie er über die Sache dachte.
Der Prinz aber, der seit Minuten regungslos wie eine bronzene Statue vor sich auf die Tischplatte geblickt hatte, hob mit einer plötzlichen Bewegung den Kopf.
»Es ist so, wie der weise Chander Mahore sagt. Ich war, wie Sie alle wissen, zwei Jahre lang drüben in Amerika. Dort lernte ich Herrn Ponks kennen und war erstaunt und erfreut über die Wärme, mit der er mir seine Ansicht über das Schicksal der indischen Völker auseinandersetzte. Unsere Gespräche über diesen Gegenstand haben zur Gründung des Unternehmens geführt, das heute eine gewaltige Erweiterung erfahren soll. Ich habe über die Persönlichkeit des Herrn Ponks die vollkommenste Sicherheit und kann Sie alle nur aufs dringendste bitten, jede Abneigung, die wir sonst Fremden entgegenbringen, ihm gegenüber zu unterdrücken und in Freundschaft und Vertrauen zu verwandeln.«
Er machte eine Pause, als müsse er seine Gedanken sammeln. Die tiefe Stille ward nur von einem beifälligen Murmeln Karakas unterbrochen. Chander Mahore schien sich in einem tiefen Schlaf zu befinden, aus dem er anscheinend nie wieder erwachen wollte. Der Kriegsmann blickte mit rollenden Augen an den Wänden entlang. Es schien, als lächelte er. Sanders aber, der bei der ganzen Verhandlung den stummen, aufmerksamen Beobachter machte, merkte deutlich, daß jener keineswegs lachte, sondern nur grinste, und zwar mit einem ganz merkwürdigen Ausdruck, und bezeichnenderweise dabei mit den Zähnen knirschte.
»Ich habe Sie zu dieser Besprechung eingeladen, weil Sie alle berufen sind, in den Kämpfen um unsere Freiheit eine große Rolle zu spielen«, fuhr der Prinz fort und ließ seinen Blick langsam an der Gesichterreihe vorübergleiten. »Sie, Chander Mahore, mein alter, vertrauter Freund, der weiseste Mann Indiens, der größte aller lebenden Brahmanen, werden unter den Priestern wirken. Und Sie, Goro Sing, der tapferste Mann Indiens« – bei den Worten nickte der Prinz dem zähneknirschenden und augenrollenden Kriegsmann lächelnd zu –, »Sie haben einen gewaltigen Einfluß unter den Kriegern unserer Länder. Und Sie, Freund Karaka, als Führer der Kaufleute Bombays – und Sie, Sutra Maru, der Führer aller indischen Studentenschaften – Sie alle haben die Aufgabe, in den kommenden Kämpfen heilige Fahnen vorauszutragen. Darum ist es nötig, daß Sie wissen, was vorgeht und was geplant ist.«
Er machte eine kleine Pause und wandte sich dann zu Ponks.
»Sie haben von der verhängnisvollen Zersplitterung unseres Volkes gesprochen, Mr. Ponks. Wir wissen, wie recht Sie haben. Wir wissen auch, daß unsere Volksbildung gegenüber der des Abendlandes sehr rückständig ist. Viele unserer Gebildeten sehen das nicht, wollen es nicht sehen. Sie verschließen ihre Augen gegen ihre eigenen Mängel und kehren sich in Haß gegen die Ausländer, denen sie den Vorwurf machen, alte geheiligte Kultur zu zerstören. Ich weiß, verehrter Chander Mahore, daß Sie und sehr viele Priester des heiligen Brahma in dieser Frage nicht mit mir übereinstimmen.«
Der alte Inder schüttelte kurz und heftig den Kopf, sagte aber nichts.
»Ich weiß es«, nickte der Prinz und unterdrückte einen Seufzer. »Es tut mir leid, daß Sie nicht selbst in jenen Ländern waren, wo geistige Freiheit herrscht. Ich habe in der Fremde gelernt, daß wir nur im Austausch mit anderen Völkern gewinnen können. Schließen wir uns aber ab, so verkommen unsere Völker noch mehr, als sie es schon sind. Ich bin fest entschlossen, meinen Weg der Aufklärung zu gehen. Und nun, Herr Ponks, darf ich Sie bitten, uns Ihren Plan vorzulegen.«
Ponks öffnete ein Aktenstück und begann in ruhigem, gleichmäßig-geschäftlichem Tone zu sprechen.
»Als ich vor zwei Jahren mit Seiner Hoheit dem Prinzen Rami die Anglo-Indische Bankgenossenschaft gründete, da geschah es, um für die Zwecke, die wir verfolgen, in unauffälliger Weise die nötigen Mittel zu sammeln. Eine Anzahl der in unseren Plan eingeweihten indischen Kaufleute haben dank den Bemühungen unseres vortrefflichen Herrn Rai Karaka ihre Geldgeschäfte mit Amerika durch unsere Bank vorgenommen. Wie Herr Karaka mir bestätigen wird, sind sie nicht schlecht dabei gefahren. Durch einige glückliche Unternehmungen ist es mir gelungen, das Vermögen der Bank auf eine Höhe von über zwei Millionen Dollar zu bringen. Hier ist meine Bilanz. Ich bitte, daß sie noch heute geprüft wird.«
»Dazu werden wir heute kaum Zeit haben«, wehrte der Prinz mit einem Lächeln ab. »Wenn Sie durchaus auf einer Prüfung Ihres Werkes bestehen, werden wir gelegentlich eine solche vornehmen. Vorläufig reicht unser Vertrauen zu Ihnen noch aus.«
Ein triumphierendes Lächeln umzuckte die Lippen von Ponks. Doch nur einen Augenblick, dann zeigte er wieder seine frühere kühl-geschäftsmäßige Miene.
»Ich danke Euer Hoheit für diesen Beweis von Vertrauen. Doch muß ich darauf aufmerksam machen, daß man in der Sprache des Geschäftsverkehrs das Wort Vertrauen nicht kennt. Da gibt es nur nüchterne Sicherheit. Und wenn Sie eine Prüfung meiner Bilanz nicht verlangen, so muß ich darauf bestehen. Darum möchte ich Euer Hoheit um Erlaubnis bitten, meine Belege Herrn Karaka übergeben zu dürfen.«
Der Prinz nickte lächelnd, und Ponks reichte eines seiner Aktenstücke mit einer Verbeugung und einem verbindlichen Lächeln dem parsischen Kaufmann über den Tisch hinüber.
»Der Abschluß nennt eine Summe von 2 127 354 Dollar 86 Cents. Da wir bis jetzt leider noch kein eigenes Bankgebäude hatten, liegt dieses Geld gegenwärtig in Form eines Depots in der Neuyorker Zentralbank. Und hier gebe ich Ihnen die Bescheinigung der Bank.«
In dem Augenblick, da Ponks das Papier dem Kaufmann herüberreichen wollte, erwachte plötzlich Chander Mahore aus seiner Versunkenheit. Er blickte Ponks starr an und streckte die Hand nach dem Papier aus.
»Darf ich das Papier sehen?«
»Bitte sehr.«
Der alte Brahmane prüfte den Schein mit einer Gründlichkeit, als handle es sich darum, unsichtbare Fingerabdrücke daran festzustellen. Nach einer Weile reichte er das Papier an Ponks zurück. Er lächelte.
»Es ist natürlich kein Mißtrauen. Nur Neugierde. Ich habe noch nie ein Stück Papier gesehen, das einen so gewaltigen Wert hat.«
»Wir sehen, meine Herren«, sprach der Prinz, »daß wir keinem Würdigeren unser Vertrauen schenken konnten als Herrn Ponks. Dieses Bewußtsein wird uns bei den Entscheidungen leiten, vor denen wir jetzt stehen und die für unser Werk von allergrößter Tragweite sind – die aber andererseits auch eine gewisse Kühnheit und einen großen Weitblick beanspruchen. Das Wort hat Herr Ponks.«
»Ich sagte schon eben«, begann der Abenteurer, »daß wir noch keine eigene Bank besitzen, sondern nur bankmäßig arbeiten, unsere flüssigen Mittel aber einer anderen Bank anvertrauen müssen. Daß hierin eine starke Behinderung unserer Entwicklung liegt, weiß jeder von uns.«
»Verzeihung, ich nicht«, bemerkte Chander Mahore, ohne seine Augen zu öffnen. »Würden Sie die Güte haben, mir anzudeuten, worin das Hindernis liegt?«
»Mit Vergnügen. Eine Bank, die das Bestreben hat, in kurzer Zeit möglichst bedeutende Mittel zusammenzuziehen, muß sich auf große Spekulationen einlassen. Natürlich läßt man niemals ein Konkurrenzunternehmen – und eine Bank ist der anderen gegenüber immer eine Konkurrenz – in seine Geschäfte hineinblicken. Wer aber in einer so sonderbaren und außergewöhnlichen Lage ist wie wir, die wir mit Mitteln arbeiten müssen, die in fremden Häusern liegen und deren Wege fremde Augen verfolgen können, der kann seine Bewegungen nie so verschleiern, daß ein Einblick von der anderen Seite ausgeschlossen ist.«
»Das leuchtet mir ein. Ich danke Ihnen«, sagte der Brahmane.
»Mein Plan ist nun, eine eigene Bank ins Leben zu rufen. Und zwar eine solche allergrößten Stils. Nach eingehenden Rücksprachen mit Seiner Hoheit dem Prinzen Rami und in der sicheren Erwartung, daß unser wohldurchdachter Plan Ihrerseits keinen Widerspruch finden wird, habe ich ein geeignetes Grundstück in der besten Lage Neuyorks für unser zukünftiges Bankhaus bereits für uns gesichert. Natürlich ist der Kauf noch nicht bindend, doch soweit vorbereitet, daß ich im Besitze Ihrer Zustimmung noch heute den unterfertigten Kaufvertrag abschicken kann – und das Grundstück ist unser. Natürlich kostet der Platz viel Geld. Der Preis beträgt dreieinhalb Millionen Dollar. Das Haus selbst wird mit der gesamten Einrichtung etwa fünf Millionen Dollar kosten, so daß es sich heute darum handelt, eine Summe von etwa zehn Millionen Dollars aufzubringen. Da es sich hier ausschließlich um eine geschäftliche Angelegenheit handelt, möchte ich zuvörderst Herrn Karaka bitten, uns zu sagen, ob er die Aufbringung eines solchen Betrags für möglich hält.«
»Drei Millionen Dollar zeichne ich persönlich«, bemerkte der Prinz.
Ponks hob überrascht den Kopf. Ein flüchtiges Rot stieg in sein Gesicht.
»Oh, das ist eine große und freudige Überraschung für mich. Nun zweifle ich nicht mehr an dem Gelingen.«
Der Parse hatte sein Taschenbuch hervorgezogen, schrieb ein paar Worte und Ziffern, wiegte den Kopf, nickte – und endlich erhob er sich und verkündete:
»Nach einem flüchtigen Überschlag glaube ich sieben Millionen zusichern zu können. Es dürfte aber leicht sein, den fehlenden Betrag und noch weit mehr aus dem Inneren des Landes herauszuholen. Unsere Fürsten –«
Da erhob der Prinz lächelnd die Hand.
»Halt, Herr Karaka! Lassen Sie die Fürsten vorläufig ganz aus dem Spiel. Für sie haben wir nämlich eine besondere Aufgabe. Bitte, Herr Ponks, entwickeln Sie nun auch Ihren zweiten Plan.«
»Nach zweijähriger Vorarbeit glaube ich heute sagen zu können, die Stimmung in Amerika und Europa genügend zu kennen. Ich darf Ihnen heute die Versicherung geben, daß eine allgemeine starke Bewegung zugunsten der Inder in der halben Welt auf stärksten Widerhall stoßen würde. Alle Völker, die nicht englisch beeinflußt oder von England abhängig sind, werden auf Seiten der Inder stehen. Natürlich muß eine solche Bewegung gelenkt werden. Es sind Posaunenstöße nötig, um die Völker zu sammeln. Diese Posaunenstöße sollen von Zeitungen und Büchern ausgestoßen werden, die im Sinn unseres Werkes gehalten sind.«
»Ich bitte, diesem Punkt besondere Aufmerksamkeit zu schenken!« rief der Prinz mit leuchtenden Augen.
»Auf diesem Gebiet habe ich bereits mit bedeutendem Erfolg vorgearbeitet«, fuhr Ponks fort. »Eine große amerikanische Zeitung, die täglich von Millionen gelesen wird, steht mir zum Kauf zur Verfügung. Desgleichen ein bekannter Buchverlag, der jährlich an die zwanzig Millionen Bücher und Broschüren in die Welt gehen läßt. Wie denken Sie sich die Folgen, meine Herren, wenn diese Millionenzahl von Zeitungen und Büchern unsere Gedanken in die Welt werfen?!«
Chander Mahore hatte bei den ersten Worten von Ponks ein wenig seine Augen geöffnet. Verwundert und voll Unglauben blickte er auf den Redner. Allmählich wurden dann aber seine Augen immer größer. Er richtete sich langsam auf – und als Ponks endigte, da stand der alte Inder ihm Auge in Auge gegenüber.
»Wollen Sie sagen, daß Sie Leute finden, Schriftsteller und Journalisten, die Tag für Tag, immer wieder, diese Bücher und Blätter mit unseren Gedanken füllen?«
Ponks lächelte, siegesbewußt und zugleich ein wenig spöttisch.
»Von dem Idealismus der Dichter brauche ich nicht viel zu sagen. Er ist überall dort zur Stelle, wo es Leidende, Unterdrückte, Entrechtete, Kreuzträger gibt, an deren Not der Dichter seine Phantasie entzünden kann. An Tagesschriftstellern und Politikern finden wir ein ganzes Heer, das für diese Frage gewonnen werden kann und bereit sein wird, dafür zu wirken. Natürlich ist zu all diesen Plänen Geld nötig. Viel Geld, wie Ihnen klar sein wird. Geben Sie es mir, und über ein Jahr geht eine Flut von Druckschriften über die Welt, an der Sie Ihre helle Freude haben werden.«
»Wieviel Geld brauchen Sie für diesen Zweck?« fragte Chander Mahore.
»Sehr viel – zwanzig Millionen«, platzte Ponks heraus. »Für den Ankauf der Zeitung nebst Verlag, einschließlich der Häuser, Druckerei und Einrichtung.«
Chander Mahore ließ sich langsam wieder auf seinen Stuhl nieder.
»Oh – das ist sehr viel Geld«, murmelte er.
»Wann brauchen Sie das Geld?« tönte plötzlich eine jugendliche heiße Stimme in die Stille hinein.
Alle richteten ihren Blick auf Sutra Maru, den jungen Studenten. Er hatte sich erhoben und blickte mit flammenden Augen auf Ponks. Dieser nickte ihm lächelnd zu.
»Je eher, um so besser. Bei Anzahlung der Hälfte geht der Besitz in unsere Hände über.«
»Ich werde den gelben Mantel des Yogi anlegen und von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort wandern, predigen von der Freiheit unseres Landes und Gelder sammeln«, erklärte Sutra Maru mit fester Stimme.
»Ein großer, schöner Gedanke«, lobte Ponks. »Zünden Sie mit Ihrem heiligen Jugendfeuer die Begeisterung Ihrer Studiengenossen und der gesamten Jugend Indiens an, und das Ergebnis wird ein glänzendes sein.«
»Ich kann Ihnen binnen drei Tagen die Hälfte der Summe zur Verfügung stellen«, erklärte Chander Mahore.
»Ist das sicher?« stieß Ponks hastig hervor.
»So sicher wie mein Wort.«
»Gut. Dann gehört die Zeitung und der Verlag uns. Noch heute schreibe ich den Vertrag. Da wir das Geld für die Errichtung der Bank nur ratenweise brauchen, schlage ich vor, die Kaufsumme für Druckerei und Verlag möglichst ganz in bar zu bezahlen, weil wir dadurch die unumschränkten Herren im Hause werden. Ich hoffe, daß es uns bei einiger Mühewaltung gelingen wird, die ganze Summe innerhalb eines Monats zusammenzubringen.«
»Dafür lassen Sie nur mich sorgen«, sprach der Prinz. »Tun Sie Ihre Schritte, ich tue derweil die meinigen.«
»Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch bemerken«, sagte Ponks, »daß die Gelder, die zu den genannten Zwecken bewilligt werden, durchaus nicht als Stiftungen zu betrachten und für den Geber verloren sind. Im Gegenteil, wir haben das ernsthafte Bestreben, unsere Unternehmungen so lohnend wie nur möglich zu machen und unseren Geldgebern angemessene Gewinnanteile auszuzahlen.«
Wenn er geglaubt hatte, daß diese Eröffnung mit besonderem Beifall aufgenommen würde, dann irrte er sich. Der Prinz lächelte nur, und wie es schien, ein wenig verächtlich. Chander Mahore war eine leblose Mumie in seinem Lehnstuhl. Sutra Maru sprach leise und leidenschaftlich auf Goro Sing ein, der eine finstere Miene zur Schau trug. Beide hatten die Worte Ponks' offenbar nicht beachtet. Nur Rai Karaka nickte Ponks lächelnd und zuversichtlich zu, als wolle er sagen: »Nur Mut, die Sache wird schon gut gehen!«
»Nach den Ausführungen unseres Freundes«, sagte der Prinz, »werden Sie alle sich vollkommen überzeugt haben, daß die Ihnen unterbreiteten Pläne zur Rettung und Befreiung Indiens kraftvoller und aussichtsreicher sind als alles, was bisher in gleicher Absicht geschehen ist. Unsere Aufgabe ist es nun, rastlos zu arbeiten, um alle unsere Volksgenossen zum gleichen Werke zu sammeln. Tue jeder in seinem Kreise das, was zu tun ist. Wünscht einer der Herren sich noch einmal zu dieser Sache zu äußern?«
Alle blickten schweigend vor sich nieder. Schon wollte der Prinz sich erheben, da machte der Brahmane Chander Mahore eine schwache Bewegung mit der Hand und öffnete langsam seine Augen.
»Ich wünsche unserem Freunde Herrn Ponks zu sagen, daß ich kein Vertrauen zu ihm hatte, als ich dieses Zimmer betrat – daß ich ihm aber dieses Vertrauen jetzt in sehr hohem Maße entgegenbringe. Ich wünsche, daß Herr Ponks mich als seinen Freund betrachtet.«
»Ich danke Ihnen für diese Erklärung«, sprach Ponks höflich und doch kühl. »Es wird mir eine Freude sein, Ihnen den Beweis zu liefern, daß Ihr anfängliches Mißtrauen gegen mich unbegründet war.«
Die Gesellschaft erhob sich.
»Halt, da fällt mir noch etwas ein«, bemerkte der Prinz. »Sie, Herr Ponks und Ihre Begleiter Miß Pombal und Herr Sanders haben sicher schon eine seltsame Erscheinung gesehen, wenn Sie durch die Straßen der Stadt streiften. Ihnen wird die große Zahl der Toten aufgefallen sein, die in den letzten Tagen nach Malabar Hill hinausgetragen wurden. Wenn Sie wüßten, wieviel Tote man nachts fortschafft, würden Sie entsetzt sein. Wenn Sie an manchen Häusern rotaufgemalte Kreise neben den Türen sehen, dann wissen Sie, daß ein finsterer, grausamer Geist, der wieder im Lande umhergeht, durch diese Türen gegangen ist – die Pest. Mit furchtbarer Heftigkeit ist sie dieses Jahr aufgetreten. Gehen Sie nie und unter keinen Umständen in ein Haus, das neben der Türe einen roten Ring trägt. Ich möchte Sie aber jeder Gefahr entziehen und lade Sie ein, mit mir auf mein Gut droben in den Westghats, bei dem Dorfe Bharadpur, zu ziehen. Dort, wo reine Wald- und Bergluft herrscht, wagt sich die furchtbare Krankheit nur selten hin. Außerdem ist es dort sehr schön. Mehrere bequeme Bungalows stehen meinen Gästen zur Verfügung. Eine Stunde entfernt beginnt Urwald mit Dschungel, wo der Tiger kein seltener Gast ist. Auch sonst ist die Jagd in jenem Gebiet überaus lohnend. Wir können binnen drei Tagen reisen.«
Ponks überlegte eine Weile.
»Für meinen Freund Sanders und mich nehme ich die Einladung mit bestem Dank an. Miß Pombal wird uns leider nicht begleiten können, da einer von uns hier bleiben muß, um die Post von Amerika zu erwarten – überhaupt um eine Verbindung zwischen uns und der Welt aufrecht zu erhalten.«
Ria Pombal kräuselte mit bitterem Spott ihre Lippen. Ein ganz kleines verächtliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie richtete einen kühl erstaunten Blick auf Ponks und fragte:
»Post aus Amerika? Wir haben bis jetzt nicht die geringste Korrespondenz von dort erhalten. Ich habe beinahe den Eindruck, als wüßte man in Amerika gar nicht, wo wir uns befinden.«
Ponks warf seiner Sekretärin einen finsteren Blick zu. Seine Stimme klang scharf und drohend, als er erwiderte:
»Wenn wir bis jetzt keine Briefe aus Amerika erhielten, so hat das seine ganz besonderen Gründe – ebenso, wenn ich den bestimmten Wunsch habe, daß Sie nicht mit ins Gebirge gehen, sondern hier bleiben.«
»Oh, daran zweifle ich nicht!« sprach Ria Pombal anzüglich und mit deutlich zur Schau getragener Geringschätzung. »Übrigens haben Sie zu befehlen.«
»Sie werden in ständiger Verbindung mit Herrn Karaka bleiben und mir alle zwei Tage einen Boten hinaussenden, der mich über den Fortgang der Finanzgeschäfte unterrichtet.«
»Und wenn die Arbeit erledigt ist«, wandte sich der Prinz mit einem gütigen Lächeln an Ria Pombal, »werde ich persönlich meinen Dank Ihnen für Ihre opfervolle Tätigkeit abstatten. Sie werden mit mir zufrieden sein.«
Ria verbeugte sich dankend und klappte ihr Buch zu. Der Prinz erhob sich. Wenige Minuten später hatte die Gesellschaft den Raum verlassen.
Als die Stimmen und Schritte verhallt waren, schob Dr. Schreyer vorsichtig die Falten der Teppiche auseinander, lauschte noch einmal an der Türe, schlüpfte hinaus und eilte auf sein Zimmer.