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Es war in den hellen Frühlingstagen, als sich am Rhein zwei Schul- und Universitätsfreunde wieder fanden. – Ein großer Saal, der die Aussicht nach dem Fluß und den gegenüberliegenden Bergen hatte, nahm sie auf; saßen die Gäste dem Fenster nahe, so konnten sie auch die Landstraße, die sich diesseits um Hügel und Felsen wand, beobachten. Man erwartete den Vorüberflug des Dampfschiffes, weil der ältere Freund Lindhorst sich eine Zusammenkunft mit einem Bekannten hier gegeben hatte.
Und wie ist es mit Dir, Freund Amsel, fing der ältere jetzt an, nachdem sie sich lange umarmt und dann gegenseitig betrachtet hatten, wie ist es Dir seitdem ergangen?
»Wie mittelmäßigen Söhnen dieser Erde«, antwortete dieser, um mit Freund Güldenstern zu sprechen, mit dem ich überhaupt wohl einige Aehnlichkeit haben mag; ich möchte auch wie dieser einen Prinzen finden, der mich beschützte, einen König, der mich brauchen könnte. So ein Liebling irgend eines Mächtigen seyn, darnach sehnt sich seit lange mein jugendlich aufstrebendes Gemüth.
Lindhorst sagte lachend: Junger Amselvogel, Du hast vergessen, wie elend es diesem Güldenstern und Rosenkranz erging.
Weil sie sich, erwiederte Amsel, zwischen zwei Stühle niedersetzten. Sie dienten dem Könige zu eifrig und also 352 ungeschickt. Ihr befreundeter Prinz konnte ihnen freilich auch nur wenig nützen, doch hätten sie es durch Unhöflichkeit und Zudringen nicht ganz mit ihm verderben müssen.
Hoffegut und Treufreund, sagte Lindhorst, sind vielleicht uns ein Vorbilder, denen wir ähnlicher seyn dürften, da ich vermuthen kann, daß Deine Art und Weise noch so, wie ehemals, mit meinen Eigenschaften so ohngefähr übereinstimmt.
Sie reichten sich die Hände, und lachten so von Herzen, daß der Kellner, der ihnen Wein und Frühstück brachte, eine Weile verwundert stehen blieb und endlich wider Willen in dieses behagliche Lachen mit einstimmte.
Nun denn! rief Lindhorst, als sie wieder allein waren, da wir uns noch so albern und kindlich erfreuen können, so ist uns die Jugend wenigstens noch nicht ganz entwichen.
Braucht sie je so etwas zu unternehmen, erwiederte Amsel, wenn wir den Muth haben, sie festzuhalten?
Sie tranken und waren fröhlich, und Lindhorst erstaunte, als nach einer Weile der vergnügliche blonde Amsel schwer zu seufzen anfing. – Was ist Dir? fragte er besorgt.
Das ist eine verwünschte Einrichtung meines Temperamentes, sagte jener mit fast weinerlichem Ton, daß der gute Wein mich beinah immer so trübsinnig stimmt. Mir wird dann, je mehr ich trinke, so wehmüthig, sehnsüchtig, überaus weichlich und negativ zu Muthe, daß ich alle Kraft und Helden-Empfindung auf einige Stunden einbüße. Dann wollen mir alle meine Plane und Entwürfe nicht mehr gefallen, dann zage ich vor der Zukunft, und wie andere Menschen sich im halben Rausch erst recht in die Brust werfen und mit den Füßen stampfen und den Fäusten auf den Tisch schlagen, so stürze ich unmittelbar aus dem Otto von Wittelsbach in den Siegwart. Quo me, Bacche, rapis tui plenum?
353 Das macht, erwiederte Lindhorst, Du bist ein ächter, biederherziger Bierländer, ein Alt-Baier, dem hier in diesen Weingegenden seine nährende Muttermilch abgeht.
Sehr wahr! rief Amsel und stieß das Glas unwillig zurück; im Bier ist für unser eins die ächte deutsche Kraft und Fülle. Herrmann, Wittekind, Luther, Jean Paul – –
Lassen wir diese unnützen Betrachtungen! sagte der ältere Literat, dessen Gesicht mit einem dunkelen Backenbart umschattet war; mir bekommt nichts so gut als ein kräftiger Wein, und Fichte, Göthe, Cobanus Hessus, Händel, Mozart und selbst auch Jean Paul wie Luther stehen ebenfalls auf meiner Seite. – Mir ist aber viel wichtiger zu erfahren, was Deine Bestimmung, Dein Lebensplan ist.
Ich habe, seit ich die Universität verließ, und das ist nicht so gar lange, erwiederte Amsel, immer die Ueberzeugung jenes weltklugen allerliebsten Narren im Drei-Königs-Abend getheilt, daß der Mensch am weitesten komme, wenn er gar nicht wisse, wo er hin wolle. – Wenn wir uns in der dermaligen Welt umschauen. wie sind alle Stellen, Berufe, Aemter übersetzt und überfüllt! welche Unzahl von Privat-Dozenten, welches Heer von Expektanten in den juristischen, kameralistischen, Finanz-Fächern! Bei den Forstanstalten, beim Bergwesen, wie sitzt Kopf an Kopf, wie am fruchtbaren Rosenstrauch Knospe an Knospe! Vor dem Militair habe ich einen Widerwillen und auch keine Aussicht, Obrist oder General zu werden. – Von der Kaufmannschaft und den mechanischen Gewerben habe ich mich früh abgewendet, weil ich einen höheren Trieb in mir spürte: noch mehr war mir immer Landbau und Oekonomie zuwider; daß ich ein Hofmeister und Erzieher in irgend einem adligen und vornehmen Hause werden könnte, kann ich mir vollends gar nicht denken, ohne daß sich meine ganze Seele empört, 354 so ein Knecht von Junkern und verzerrten Karikaturen und egoistischen Schlemmern zu werden. – Nein ich muß mit Posa ausrufen: ich kann nicht Fürstendiener seyn! Aber eben so wenig Diener und Sklave von irgend einem verdorbenen Individuum, oder einer verrückten und schädlichen Anstalt.
Lindhorst lachte und sagte dann ganz freundlich: Nun, nicht wahr, auch darin vereinigen wir uns in Sympathie, daß wir auf der Schule und Universität wenig oder nichts gelernt haben?
Amsel wurde roth, stammelte und nahm doch die dargebotene Hand, nickte halb abgewendet mit dem Kopf, indem Lindhorst weiter redete: schäme Dich nicht, Bruderherz, da ich, der ältere, kein Hehl daraus mache, daß ich so ziemlich unwissend bin. – Wie jener Narr behauptet, man komme am weitesten, wenn man nicht wisse, wo man hin wolle, grade so ist es auch in den Kenntnissen. – Ich habe seit Jahren die Erfahrung gemacht, daß man am besten über die Gegenstände spricht und schreibt, von denen man eigentlich gar nichts weiß. – Natürlich. Denn wo ich anfange mich etwas zu orientiren, da steigen mir auch Aengstlichkeiten auf und Zweifel, da finde ich Schwierigkeiten mehr und mehr, je tiefer ich in die Materie eindringe. Da muß man wieder forschen, nachschlagen, man stößt auf immer mehr Hemmungen, die Aengstlichkeit bemächtigt sich unsers Geistes, und man faßt wohl gar den Entschluß, ein Jahr seines kurzen Lebens daran zu geben, um den Gegenstand, der uns wichtig geworden ist, genau kennen zu lernen. Aber dann, Freundchen, dieses unüberwindliche Grauen vor der Arbeit, eine Krankheit, die mir kein Doctor je vertreiben wird und an welcher Du auch ganz gewiß leidest.
Amsel konnte diese Unpäßlichkeit nicht verleugnen und der redselige Lindhorst fuhr in dieser Weise fort. Das ist 355 eine Erfahrung, die jeder junge Mensch gemacht haben muß (falls er nicht allzu bescheiden ist), daß uns eine unbekannte Gegend des Wissens ebenso romantisch anlacht, wie eine schöne Naturgegend. – Die Worte, Schilderungen und Betrachtungen fließen, daß es nur eine Lust ist. – Und da die Mode ganz abgekommen ist, daß dergleichen ernsthaft gerügt oder widerlegt wird, wenigstens nicht in Blättern, welche die Menge lieset, so stiehlt, raubt und schwadronirt man »schußfrei, wie in einer Festung« und macht eben so sichere Ausfälle aus seiner Verschanzung. – Und wie freut sich nun die aufstrebende junge Lesewelt, die sich an diesem frischen Brunnenquell des Negativen begeistert, und in diesem trotzenden Naturgefühl alles mühsam Errungene, alles Veraltete verachten kann.
Ja, ja, sagte Amsel seufzend, wenn es nur vorhielte, ich fürchte, eine neue Mode wird bald diese verdrängen. – So geht es immer noch mit der Frömmigkeit fort und ich sehe, wie diese Pietisten und Rigoristen, diese Verfolger und Fanatiker fast immer gedeihen, wie sie sich unter einander fort helfen, befördern und Stellen verschaffen, es ist ein weit verbreitetes Bündniß und einige sehr bedeutende Mitglieder wollten mich für dieses System anwerben. Aussicht war, aber ich konnte mich unmöglich dazu bequemen, denn ich spüre auch gar keine Anlage zum Glauben in mir. – Ich schlug alles ab, ob mir gleich einige versicherten, daß ein Theil ihrer Mitglieder auch republikanisch und weltverbessernd gesinnt wäre, daß unsre Bestrebungen den ihrigen gar nicht so entfernt ständen und daß nur ein Theil dieser Sekte fanatisch, monarchisch oder legitim gestimmt sei.
Freilich, sagte Lindhorst, das große Babel wäre kein solches, wenn nicht eine erhabne Confusion durch alle seine Zweige rauschte. Aber Du hast edel gehandelt, mein Sohn 356 und Bruder, daß Du Dich ihnen nicht anschlossest, denn wenn uns unser jetziges Treiben auch nicht ernst ist, so kann es dies doch noch werden. Aber sich mit jugendlichem Talent jenen Barbaren hingeben und sein frisches Leben opfern, ist ganz unmoralisch.
Wenn wir so über den schönen Strom und seine reizenden Ufer blicken, erwiederte Amsel, so fühle ich, so bin ich überzeugt, in dem Gedanken, was seit dreißig Jahren geschehen ist, diese Eilposten, diese Dampfschiffe, daß wir einer größeren, viel begabteren Zeit entgegen gehen.
Indem erblickte man das daher brausende Schiff, das bald deutlicher und näher seine Formen, Farben und schaulustige Menschen, die alle auf dem Verdeck wogten, entwickelte. Jetzt war es schon ganz nahe, es wendete plötzlich, stand still, und viele der Reisenden stiegen aus.
Ein ansehnlich beleibter Mann wickelte sich aus dem Haufen und eilte dem Gasthofe zu. Lindhorst begrüßte ihn schon aus dem Fenster und sagte: Freund Amsel, da kommt unser Redakteur, der Dich auch in seine Kompagnie aufnehmen soll. Er beschützt und ermuntert gern die jungen Talente, denn er ist wohlhabend, was gewiß ist, und zugleich seiner Einbildung nach sehr gebildet, was wohl einigem Zweifel unterworfen seyn dürfte.
Der rüstige Mann Wolfram trat jetzt zu den Freunden herein. Er setzte sich nach der höflichen Begrüßung und sagte: Mein guter Herr Lindhorst, hier bring' ich Ihnen Ihr letztes Manuscript wieder zurück, weil der Aufsatz diesmal in der That etwas zu stark gerathen ist. Sie wissen es, wie liberal ich gesinnt bin, aber ich darf mich nicht der Gefahr aussetzen, daß mein Blatt im Nachbarstaat verboten werde, oder daß unsre Regierung hier meinetwegen von dort aus in Anspruch genommen wird. Leben und leben lassen. 357 So wollen wir Freimüthigen und Helldenkenden den Regenten, Monarchen, Fürsten und Adel auch ihre Existenz gönnen, damit sie nicht unser Dasein beeinträchtigen.
Daß Sie ein Mann der Rücksichten sind, antwortete Lindhorst mit Empfindlichkeit, ist mir schon seit lange bekannt. Er nahm das Manuscript, blätterte und steckte es dann in seine Tasche. Anderswo, sagte er dann, ist man vielleicht weniger skrupulös. Kennen Sie meinen Freund Amsel schon? Einen berühmten Gelehrten und ausgezeichneten Autor, auf welchen unser Vaterland Ursach hat stolz zu seyn. In ihm schläft und dehnt sich im Schlummer einer der allergrößten Dichter, und wenn die Knospe zum Ausbruch kommt, so wird es wie bei der Aloe laut und mit donnerndem Getön seyn; – wie ein plötzlicher Pistolenschuß in nächtlicher Stille.
Mir ist der Name, erwiederte der Redakteur, noch gar nicht vorgekommen, freut mich aber, eine so ehrenvolle Bekanntschaft zu machen.
Amsel verbeugte sich etwas verlegen, und Wolfram fragte: In welcher Gattung, Form, Genre arbeiten Sie?
Es sind bis jetzt, stotterte der Jüngling, so Freiheitslieder von mir ausgegangen, aber ohne Bitterkeit oder blutige Atrocität; ich habe einige Dramen liegen, die aber die Theater-Direktionen noch nicht haben berücksichtigen wollen; dann habe ich einen Roman in der Arbeit, in welchem ich das Musterbild einer vollkommenen Regierung aufstellen will, damit der Hader und Streit, ob ein großer Staat als Republik bestehen könne oder nicht, endlich zum Schweigen gebracht werde, auch habe ich den Plan, einen neuen, viel ausgedehnteren Orden der Freimaurerei zu stiften, indem ich die Mittel gefunden zu haben glaube, die Menschheit wirklich auf immerdar zu beglücken.
358 Lindhorst lächelte und Wolfram stand auf und verbeugte sich tief vor dem jungen blond gelockten Manne. Hüten wir uns, sagte er dann, wieder Verbindungen, geheime Gesellschaften, Verbrüderungen zu wohlthätigen Zwecken oder dergleichen einzuleiten, denn die Regierungen sind so mißtrauisch geworden, daß man nicht Vorsicht genug anwenden kann, um nicht in Untersuchung zu gerathen.
Das weiß der Himmel! rief Lindhorst aus, ich muß immerdar zittern, wenn mir einfällt, daß ich wohl irgend einmal einen ganz unschuldigen Brief an Hans Michel geschrieben habe, daß dieser ebenfalls unschuldige Hans Michel einem gewissen Stoffel vielleicht zum Neujahr gratulirt hat, und daß bemeldeter Stoffel den Caspar um eine kleine Summe mahnt, die dieser jenem noch von den Studentenjahren her schuldig ist: nun ist aber dieser Caspar befreundet gewesen mit einem Peter Andres, der wegen der Burschenschaft in Untersuchung ist, und so kann ich, Lindhorst, durch diese Linie jener Peter Andres, Caspar, Stoffel und Hans Michel noch heute Nacht in den Arrest zu einer kriminalen Untersuchung abgeführt werden.
Drum! sagte der Redakteur, alles mit der gehörigen Vorsicht betrieben, meine Herren, damit wir nicht buchstäblich in die Dinte gerathen, das heißt in jene ungeheuren Aktenstöße, in denen so mancher kluge und dumme Teufel verzaubert liegt, wie damals jener hinkende in der bezauberten Flasche seines Beschwörers. – Uebrigens, Herr Lindhorst, fordere ich Ihnen den Vorschuß nicht zurück, den ich Ihnen auf jenes Manuscript leistete, es bleibt uns immer noch Zeit genug, uns zu berechnen. Ich bringe Ihnen vielmehr noch jene Summe, welche Sie wünschten, damit wir Freunde bleiben.
359 Sie sind ein großmüthiger Mann, sagte Lindhorst beschämt, und als solchen habe ich Sie immer gekannt. – Ich hoffe daher, Sie werden auch künftig die Beiträge meines Freundes Amsel für unser Wochenblatt nicht verschmähen.
Was geschehen kann, antwortete der Geschäftsmann, soll gern geschehen, nur müssen wir, meine junge Herren, einige Knöpfe zurückstecken. – Alles, alles beruht auf dem Geiste der Zeit. Habe ich irgend ein Verdienst, so ist es dasjenige, daß ich dessen Strömung observire und richtig erkenne. – Glauben Sie mir auf mein Wort, der Ueberschwang jener hohen Gefühle und begeisterten Redensarten legt sich schon wieder: man fängt schon an, sich für die Nüchternheit und die ehemalige Vernunft zu interessiren. – Es war wie ein Rausch von jungem Weine, und dieser fängt schon jetzt an, sich zu verziehn. – Und was nun gar jenes Lästern, Schimpfen, einander todt schlagen betrifft, so haben die jungen Herren sich selbst am meisten dadurch geschadet, daß zu viele aufgetreten sind und daß einer den andern immer hat überbieten wollen. Nun desertirt hier und dort einer im Stillen und stellt sich, wenn es auch nicht ganz sein Ernst ist, mäßig und vernünftig, wie er sich vorhin begeistert anstellte. Einer von diesen hatte neulich den Muth, mir ins Gesicht zu sagen: Frühling und Jugend sind freilich etwas Schönes, die Natur wird es nicht müde, immer wieder aus diesem Jungbrunnen das Herrlichste und Kräftigste hervorquellen zu lassen: wenn wir uns aber umsehen, so kommen dann auch die Tagesfliegen, Insekten, Maikäfer, Raupen, Schmetterlinge, allerhand Geschmeiß und Ungeziefer: und so gemahnen mir die vielen Wochenblätter, Tageszeitungen, Libelle, Journale, Correspondenz-Berichte: wohin uns retten vor dieser bösen Zugabe? Aber nur Geduld, eines frißt das andere. – So sprach dieser vormalige 360 liberalste Liberale, der selbst als Raupe viele Eier gelegt und manche Blume besudelt hatte.
Ungeziefer? rief Lindhorst lachend, ei! so ist er wohl im Gegensatz, sammt seines Gleichen, das Geziefer, und ob er dabei sonderlich gewinnt, will mir noch nicht einleuchten.
Eine Equipage fuhr jetzt auf der Chaussee unter dem Fenster rasselnd vorüber. Wer ist das? fragte Lindhorst.
Ein noch junger, aber schon ziemlich beleibter Mann saß im Wagen und lächelte behaglich vor sich hin, indem ein Vorbeigehender ihn sehr höflich grüßte.
Der Dickling da, sagte Wolfram, ist seit einem Monat einer der allerglückseligsten Menschen. Dieser Herr Wallroß hat neulich das große Loos gewonnen, indem er zugleich eine sehr ansehnliche Erbschaft that, wodurch er jetzt, da er schon vorher nicht arm war, einer der reichsten Leute in hiesiger Gegend ist. Nun ist das feiste Wesen immerdar in Verlegenheit, wie er sein Geld anwenden oder sein Leben genießen soll. Er freut sich so simpel hin, daß er nur überall in der Welt ist und Luft, Licht und Dasein behaglich verbraucht. Ob ihm die Zeit lange währt, weiß er selber nicht, und so guckt er beruhigt in den Himmel hinein, ob ihm nicht ein interessanteres Schicksal in seinen geräumigen Leib fahren möchte. Ich habe ihn bereden wollen, mir ein Kapital anzuvertrauen, oder mit mir in Kompagnie zu treten; aber von dergleichen vernünftigen Spekulationen will er nichts wissen und hören. Er hat den Wunsch, ein schönes Landgut zu besitzen, und lebt nun unterdessen in der nächsten Stadt, unter ältlichen Bürgern und kleinen Kaufleuten und Krämern, die ihn veneriren und sich von ihm, der selber nichts gelernt hat, unterrichten lassen.
Auf einen Wink des lächelnden Lindhorst ging der Redakteur mit diesem in ein Nebenzimmer, wo sich beide 361 Männer mit einander berechneten und Lindhorst die Summe empfing, die ihm war versprochen worden. Amsel, den der Genuß des Weines wieder melancholisch gemacht hatte, versenkte sich indessen in Betrachtungen und überlegte seine weltverbessernden Plane. Er war gar nicht mehr so mit sich selber zufrieden, wie noch vor wenigen Tagen, der Gedanke wurde ihm fast deutlich, wie es doch gut sei, ein wahres Geschäft zu treiben, einen wirklichen Beruf zu haben. Ja, ja, sprach er zu sich selber, wenn ich meinem Leben und meinen Erfahrungen nachdenke, – was habe ich denn eigentlich gelernt, womit habe ich meine Zeit hingebracht? Schon auf der Schule las ich mit Eifer Journale und Tageblätter, nur diese Dinge interessirten mich. Ich übte mich früh, ebenso zu schreiben, alles im Sinn dieser neusten Schriften zu denken. Wen kenne ich wohl von den Griechen, oder was weiß ich von den Römern? Ich spreche mit, ja, aber ebenso wie jeder andere auch, doch Homer, Herodot, die Tragiker, auch Tacitus, Livius, – alles, alles kenne ich ja nur von Hörensagen, aus diesen oberflächlichen Berichten, kurzen Andeutungen und dergleichen, von Leuten ausgesprochen, die ihre Kenntnisse gewiß auch nur von Tagesschriftstellern haben, welche wahrscheinlich auch schon die Alten nicht im Original gelesen haben. Und auf der Universität – ein paar Buchhändler mietheten mir ja gleich die geringe Gabe, mich auszudrücken, wohlfeil ab. Wir verlachten unsre Lehrer, verhöhnten Obrigkeit und Regierende, als wären sie Sklaven und Knechte, und nun empfingen wir, wir die freiesten Männer der Welt, Ordre und Bestellung vom Verleger: »Heut müssen Sie eine Räubergeschichte machen, lange ist dergleichen nicht in unserm Blatt gewesen. Nun einen heftigen Aufsatz über Caspar Hauser, wenn Sie auch nichts von ihm wissen. Jetzt müssen Sie die Homöopathie loben, und den 362 neuen Doktor, der sich hier niedergelassen hat. Freund, einmal eine Billigung des Katholischen, der Prälat hat abonnirt. Nun ein Schelten auf alle Priester ohne Unterschied, im Clubb haben diese neulich auf mich gelästert.« – Ach, und so alle Tage! Welch Schwatzen scheinbarer Begeisterung über Shakspeare und Calderon und Dante – und auch diese zu begreifen, keine Zeit, Kenntniß und Lust!
Die beiden Männer kamen zurück und Wolfram nahm Abschied von den beiden Gelehrten. Welch kahlmäuserisch Gesicht machst Du da! rief Lindhorst lachend.
Mein ganzes Leben, antwortete Jener kläglich, erschien mir eben leer und ohne Inhalt. »Journale, nichts als Journale, Wochenschriften und nichts als Wochenschriften« – dafür, mit ihnen sollen wir leben und sterben. Wer weiß nach einem Monate, ja nach acht Tagen, was sie enthielten? wer mag nur gestehen, daß er sie gelesen hat, wenn nicht wir und unseres Gleichen?
Recht! rief Lindhorst – was wollen wir auch mehr? Wir leben der Gegenwart. Alles, was über unsere Geburt hinausreicht, ist nur Legende und Fabel, an die wir ebensoviel glauben, als es uns bequem ist. Diese Tageblätter, aufgestapelt, verstäubt und geräuchert, als Makulatur geboren, von der Ohnmacht mit Galle gesäugt, ja, Freund, – »das heißt eine Welt« – (er klapperte in der Tasche mit den eben errungenen Thalern) – »das ist unsre Welt«.