Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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5.

Ich hatte wirklich unbesonnenerweise das Licht frischweg ausgeputzt, aber wie ich das die ganze Nacht habe büßen müssen! Noch nie habe ich einen solchen Trieb zum Schreiben empfunden, Ideen kamen mir auf Ideen, so daß ich mich vor meinem eigenen Gedankenreichthum nicht zu lassen wußte, und darum will ich auch jetzt am Morgen gleich weiter schreiben. –

Aber nun ist alles fort, denn so um drei Uhr schlief ich ein, und da hab' ich meine schönsten Anthitesen wieder weggeträumt. Nein! ich kann mich durchaus auf nichts besinnen! Künftig will ich mir ordentliche Fächer für meine Gedanken einrichten, wo ich gleich alles hineinwerfen kann, was mir einfällt.

Das Wichtigste war, daß ich mancherlei vernünftige Vorsätze faßte. Ich wollte mich nämlich in alles finden, in Freude und Leid; ich wollte das Nothwendige als etwas Nothwendiges betrachten lernen und so mich in allen Fällen des Lebens recht vortrefflich benehmen. – Aber, wie gesagt, das Schönste hab' ich rein vergessen, denn so wie es jetzt ist, ist es gar nichts besondres.

Ich will nur noch eine physiologische Betrachtung machen: vielleicht ist es auch eine psychologische, nachdem es nun gerathen wird.

Die allerfeinsten und geistigsten Gedanken, wo man am besten sondert und am verständigsten verknüpft, fallen einem dicht vor dem Einschlafen ein. Indem man 304 nun noch darüber her ist, sich zu ergötzen und zu belehren, ist man eingeschlafen. Ich bin nur noch ungewiß, ob man einschläft, weil die Ideen fein sind, oder ob die Ideen fein werden, weil man schon einzuschlafen anfängt. Aber die Thatsache ist unläugbar. Im Schlafe gewinnt man aber den Schlaf so lieb, daß man alles wieder verloren giebt, doch bin ich überzeugt, daß, wenn ich nur nicht jedesmal reel einschliefe, oder wenn ich nur in der folgenden Nacht da wieder fortfahren könnte, wo ich gestern aufgehört hatte, ich auf diesem Wege gewiß den Stein der Weisen entdecken müßte.

Freilich hängt meine Meinung mit dem thierischen Magnetismus, mit dem Sonnenambulismus zusammen, aber ich kann es nun nicht mehr ändern. Es ist schlimm für mich, daß ich mit meinen Behauptungen da hinein gerathen bin; so geht es mir aber sehr oft. Andere Leute sehn klugerweise erst zu, wohin es führt, ehe sie denken, und wenn das Ziel nichts taugt, so lassen sie lieber das ganze Denken und Beobachten bleiben. Das muß ich auch noch lernen.

In meinem Tagebuche ist noch zu keiner einzigen Schilderung Gelegenheit gewesen, und ich möchte mich doch auch auf's Schildern ein wenig appliciren. Ich will daher versuchen, einen Schriftsteller zu schildern, den ich gern und viel lese; wenn ich hier auch irre, so thut es nicht so viel, denn Schriftsteller müssen dergleichen leiden, und ich bekomme doch auf jeden Fall einige Uebung.

Es ist kein andrer, als Hans von Moscherosch, der unter dem angenommenen Namen Philander von Sittewalt gegen das Ende des dreißigjährigen Krieges zwei Theile Gesichte herausgab, eine 305 Nachahmung der Suennas des Spanischen Quevedo; dieser Moscherosch war zugleich ein Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft, in der er den Beinamen des Träumenden führte.

Aus allem diesen erhellt ziemlich deutlich, daß ich ihn nicht mehr persönlich gekannt habe, sondern daß ich ihn mir nur in meinen Gedanken vorstellen muß. Nach dieser Vorstellung muß er ein ächter Stoiker gewesen sein, mehr in der Empfindung, in seiner Ansicht von sich und der Welt, als durch ein System. Sein Wesen ist mit jener alten, biedern Deutschheit versetzt, die eben so oft plump und ungeschliffen, als edel und groß ist. Er ist weit mehr Poet als Philosoph, verachtet aber deutscherweise die Poesie so wie alle Künste, und möchte sich gar zu gern das Ansehn eines Philosophen geben, und sollt' er auch darüber in die elendeste Trivialität hineingerathen. Wo er dichtet, ist er immer kühn; wo er witzig ist, ist er oft scharfsinnig, oft possirlich, zuweilen auch gemein und albern. Sein Zeitalter, der dreißigjährige Krieg, hat ihn erzogen, und alle Schriftsteller aus jener Epoche haben das Gepräge einer gewissen Derbheit, die sich besonders schön in ihrer Sprache abspiegelt. Er muß ziemlich breite Schultern haben und von untersetzter Person sein. Das ist gar keine Frage, wenn man seine Sachen gelesen hat, es ist keine einzige schlanke und graziöse Wahrheit drin, eben so wenig eine schwebende Poesie. Er hat auch wahrscheinlich von Pockennarben gelitten, doch will ich das nicht so bestimmt behaupten.

Nach dieser persönlichen Schilderung werde ich vielleicht neugierig sein, auch etwas von seinen Schriften kennen zu lernen. Zu meinem eigenen Besten will ich daher folgende kleine Geschichte zur Probe ausheben, die mir immer ganz vorzüglich gefallen hat. Sie steht im zweiten Theil, S. 155.

»Es war vor Zeiten ein reicher großmächtiger Herr, der hatte einen einzigen Sohn: da er aber jetzo sterben sollte, und sahe, daß sein Sohn noch zu jung zum Regiment wäre, ließ er einen schönen großen güldenen Apfel machen, nahm den in seine Hand, rief den jungen Herrn und Erben, und sprach zu ihm: Mein Sohn, ich weiß, daß ich jetzo sterben muß, und du mein Land und Leut, Geld und Gut erben wirst. Nun sehe ich deine Jugend an, und bedenke das alte wahre Sprichwort: Weh dem Volk, deß Herr ein Kind ist! Darumb ist mein letzter Will und Begehren an dich, du wollest diesen güldenen Apfel in deine Verwahrung nehmen, ausziehen, in fremden Landen dich erkundigen, und der Leute Sitten, Rechte, Gewohnheiten, Macht und Pracht ansehen: und wenn du den größten Narren findest, so verehre ihm diesen güldenen Apfel von meinetwegen, und zeuch heim; alsdann sollst du dieses Landes Herr, und mein gewünschter Erbe seyn. Unterdeß wird die Regierung durch meine alte getreue Räthe, wie bishero, versorgt werden, und dir nichts abgehen. – Der Sohn, als ein gehorsames Kind und junger Held, ließ ihme den Rath seines Vaters wohlgefallen, und sobald der Vater verschied, und in die Gruft versetzt ward, macht der Sohn sich auf, und durchzog Land und Leute, und fand mancherley seltzame Abentheuer und wunderliche Narren in der Welt, deren er sich nicht versehen.

»Denn es begegneten ihm unterwegs reiche Leute, die hatten Haus und Hof, Äcker und Wiesen, Geld und Gut, Kisten und Kasten voll, die rennten auf ihren Gäulen und Kutschen den Alchumistischen Schmelztiegeln zu, wollten Berge versetzen und Gold backen, scharreten und schmelzeten so lang, bis sie Söller und Keller, Thaler und Heller, Beutel und Ketten verkürzt und verpulvert hatten, und zuletzt den Ambtleuten ins Handwerk fallen, und zu Vögten sich brauchen lassen mußten, wollten sie nicht graben oder betteln. Da sagt der junge Herr, das sind zimmliche fürwitzige Narren, wären schier werth, daß ich ihnen den Apfel gebe, doch er gedacht, vielleicht wirst du andre finden.

»Es geschahe: er traf etliche an, so Land und Leute, Städte und Dörfer hatten, die fingen an und wollten Babylonische Thürme und Nimrodische Schlösser bauen; sie bauten auch Tag und Nacht, Winter und Sommer, bis sie Land und Leute, Städte und Dörfer versetzten, und letztlich, ehe der Bau zu Ende gebracht, mußten sie davon und der Burg der Todten zuziehen, und ihre angefangene halbvollendete Palläste also ohne Nutzen und mit Verderben ihrer Erben zu Grunde gehen. Da schüttelte der junge Held den Kopf und sagte: Diese haben fast alles verbauet, allein da sie ewig wohnen müssen, und dahin sie am Ersten denken sollen, das haben sie anstehen lassen bis auf das letzte.«

Sie bauen alle feste
Und sind doch fremde Gäste;
    Und da sie ewig sollen sein,
    Da bauen sie gar selten hin.

»Das sind ja die größesten Narren, und wollte ihnen den Apfel geben, aber sein Hofmeister blies ihme ins 308 Ohr: Herr, thut ein wenig gemach, ihr werdet noch wohl größere finden, als diese.

»Er zoge fort. Unterwegs begegnet ihm ein wohlgerüstetes Kriegsheer, das brach auf, ohn all gegebene Ursach, wollt seines Nachbarn Land überfallen: das ward verkundschaftet, und da ihnen nichts träumete, denn wie sie die Leute laden und fortschaffen möchten, da kam der Feind geraspelt, überfiel es, schlug's mit der Schärfe des Schwerdts und theilet den Raub aus, fuhre fort, nahm dessen Land ein, und machts ihm zinsbar und unterthan. Ey, sagte der junge Herr, dieser Feld-Oberster und Kriegsrath sollte den Apfel billig für andern bekommen haben, so er noch am Leben, aber weil er todt ist, muß ich fortrücken.«

»Da kam er in ein Land, dessen Herr wollte nicht auf seinem Schloß und Sitz Hofhalten, vermeynte, es möchte ihm zu viel aufgehen, zog herum von einer Wildfluhr zu der andern, beizte, hetzte und jagte Hirsch und Wildschwein, und das deuchte ihm die beste Kurzweil seyn. Unterdeß waren die Räthe, Haubtleute, Ambtleute, Rentmeistere und Schaffnere, Herren im Lande, die sollten das Gute schützen, und das Böse strafen, Gericht und Gerechtigkeit hegen, ohn alles Ansehn der Person, nach dem rechten Recht Urthel sprechen, und also des Landes Bestes suchen. Aber sie dachten bey sich selbst: Heut hie, Morgen anderswo; Herrengunst erbet nicht; wir müssen uns Pfeifflen schneiden, weil wir im Rohr sitzen: da gings an; wer sich nicht wollte bücken, der mußte den Mantel und das Bündlein ablegen und überspringen: wer nicht hatte die Hände mit güldenen Männlein zu füllen, der mußte unterliegen und seinem 309 Widersacher die Schuhe putzen: In Summa, krumb mußte gerade, gerade krumb, und der Heuchler der beste Mann zu Hofe seyn. Hiebey war mein Herr sicher, soff, fraß, spielte, faulenzte, bis Hund und Katzen das beste Vieh waren, ja bis sie alle lahm, arm und krank wurden und mit Schmerzen von hinnen fuhren. Ach, sagte der Herr, hie sollte ich viel güldene Aepfel haben, weil aber nur einer vorhanden, muß ich wandern, er möchte mir sonst auch per fas et nefas abgedrungen werden.«

»Brach eilends auf, machte sich davon, und kam in ein schönes volkreiches Land. Er zog an einen derselben Fürstenhof, zu sehen, was er da für Anstalt finden möchte. Als er etliche Monate den ganzen Staat erkundiget: befande er, daß es ein rechtes Elend zu Hof seyn müßte; allwo der Herr selbsten es nicht besser hatte, als die Diener. Ja daß er noch viel übeler versehen war, und in der größesten Gefahr seines Lebens und seiner Wohlfarth täglich stehen thäte. Denn wie zu Hof der Brauch ist, daß, der am besten aufschneiden kann, derselbe das beste Gehör, Glauben und Vortheil hatte: also hie auch. Der Herr hatte einen alten getreuen Diener, der manche Jahr sein Leib und Gut, Ehr und Blut, Tag und Nacht mit emsiger Sorg, Angst und Noth in seinen Diensten zugebracht: die Bösen mit Ernst und Eifer gestrafet, und die Unterdrückten wider den Gewaltigen mit allen Kräften geschützet hatte: also daß Gericht und Gerechtigkeit im Schwang ginge. Der Herr aber hatte auch einen kurzweiligen Rath, einen hochtragenden Esel, der dem Herrn redete, was er gern hörete, und sich in allem nach seinem Willen also zu stellen wußte, daß es die andern verwunderte: der redete 310 einem jeden große aufgeblasene Wort, sprach von der Sachen zierlich, als ob er allein der Atlas wäre, der die Berge tragen und des Herrn Autorität und Wohlstand befördern müßte; im Werk aber anderst nicht dachte, als auf sein Eigennutzen, Vortheil und Ansehen, und selbst lieber Herr als Diener gewesen wäre. Dieser, damit seine Person und Rath gelten möchte, gab den alten Rath bey dem Herren an, seines Unverstands, seines Unfleißes, seines Unansehens, als der sich nicht nach des Herrn Stande stellen und gravitätisch genug halten könnte. Ja auch, daß er dem Herrn untreu wäre: so fern, bis der gute Rath mit Ungenaden abgeschaffet werden. Als aber bald nach dem wichtige Sachen und Staatsgeschäfte vorfielen, welche der hochtragende Sennor Mutio nicht nur nicht verstunde, sondern auch niemalen dergleichen gehört hatte: da wollt der Herr nach seinem alten Diener sehen; aber er war davon, und mußte der Herr in Unrichtigkeit seiner Händel vor Leid vergehen, sterben und verderben. Diesem, sprach der junge Herr, gebe ich wahrhaftig den Apfel, wann er noch lebete: weil er dem aufgeblasenen Tropfen wider den aufrichtigen Mann, ohngeachtet aller vorigen getreuen Dienste, geglaubet hatte.«

»An eben demselbigen Hof fand er andere, die sich neideten und keibeten, da der Eine auf den Andern erdachte und loge, was ihm in Sinn und ins Maul kam: also, daß der Unschuldige sich eine Zeitlang leiden und weichen mußte; endlich aber die Wahrheit hervorbrach, daß der Verläumder in seiner Unwahrheit öffentlich erwischet, mit Spott und Schanden davon ziehen mußte. Das ist wohl ein Narr, sprach der junge Herr, der einem andern eine Grube gräbet und muß 311 selbst darein fallen. Wollte ihm auch den Apfel geben haben.«

»Aber er ward zu Gast gerufen bey einem Amtmann, dessen Wesen ihm nicht übel gefiele anfangs: allein nachher befand er, daß er etlichemal von den Reichen Geschenke nahm. Ho ho, sprach der junge Herr, das ist nicht gut: wenn es zum Treffen kommt, so wird er die Reichen nicht wohl sauer ansehn dürfen. Er sahe auch, daß er, der Amtmann, etliche böse Buben nur schlecht mit Worten abstrafete, damit er also der Pöffels Gunst und guten Willen bey männiglichen erhalten, geliebet und gelabet werden möchte. Aber das Widerspiel geschahe; denn er ward letzlich verachtet und verspottet, und von dem nothleidenden Mann, den der reiche Schacher unterdrücket hatte, angeklagt seiner untreuen Handlungen. Da sprach der junge Herr zu seinem Hofmeister: Da laß ich den Apfel; denn wie könnte ein größerer Narr seyn, als der sich in seinem Ambt das Unrecht zu strafen, und das rechte Recht zu befördern, will fürchten.«

»Da gedachte er aber bey sich selbst, vielleicht hats jenseits des Wassers auch Leute, zog über Meer und kam in eine Insel, da fand er ein reiches, schönes, lustiges Volk, das hatte einen König, derselbe thäte was ihm gelüstete: es war gleich wider Gott, sein Wort, Natürliche und Weltliche Gesetze, alle Zucht und Erbarkeit, so heißt es doch: Si lubet, licet: ainsi nous plait. Dies sahe der junge fremde Herr mit Verwunderung an, trat zu dieses Königs Kämmerling einem, fragte ihn und sprach: Mein Freund, was hats für eine Gelegenheit mit Eurem König? Ist keine Gottesfurcht, kein Gericht noch Gerechtigkeit, Zucht noch 312 Erbarkeit in diesen Landen? Nein, antwortete der Kämmerling: Zucht, Ehre, Gottesfurcht, Redlichkeit, das sind bürgerliche Tugenden, gehn unsern Fürsten und Herren allhie nicht an; der thut, was er will: und was er will, das ist, ob es schon nicht wäre. Es geht mit uns wie mit dem Wolf und dem Karpfen. Die Wölfin war einmals großtragend, und bekam Gelüst nach einem Karpfen: deswegen den Wolf ausschickte, ihr dergleichen Fleisch zu bringen. Der Wolf hätte gern Karpfen gehabt, aber zu fangen? das war seines Thuns nicht. Derowegen bey einem Weyer traf er eine Heerde Schweine an, nahm eines, und mit davon. Unterwegs, als er ruhete, und das Schwein die Ursach dieser That fragte, erzählete der Wolf, wie er nach Karpfen geschickt wäre. Das Schwein entschuldigte sich, es wäre eine Sau, ein Schwein, und kein Karpfe; der Wolf aber verlachte das Wort und sprach: Mein, du sollst mich nicht lehren, Karpfen kennen, du bist mir ein Karpf, und wenn deiner noch hundert wären, ihr solltet mir alle für Karpfen gut seyn. Also was unser Herr, weil er der Gewalt hat, will, das muß seyn, wann es schon nicht wäre. Ist ihm also? spricht der junge Held, so kann's auch die Länge mit ihm nicht währen. Ja freylich, sagte der Kämmerling, währte es nicht lange, sondern ein einiges Jahr. Denn wir haben in diesem Lande eine solche Gewohnheit, daß wir in Erwählung eines Königs nicht sehn nach großem Geschlecht, Ehre, Kunst oder Weisheit; sondern nehmen einen aus den geringsten Halunken, doch mit dem Bescheid, daß er nur ein einiges Jahr regiere, und bei dieser seiner Herrschaft Macht habe zu thun und zu schaffen alles, was sein Herz gelüstet. Wenn aber das Jahr um ist, so wird er seines 313 Amts entsetzt, in ein Gefängniß geworfen, darinn muß er die Zeit seines Lebens verbleiben, Hunger und Durst und Frost, und den elendesten Jammer ausstehen, sterben und verderben. Ey, sagte der fremde Herr, der ist ein Narr und bleibt ein Narr, der um eines einzigen Jahres Wollust, nichtige, flüchtige Freude willen, ihme die Zeit seines ganzen Lebens, wissentlich und willig, herb, bitter und verdammlich machet! Ja, antwortete der Kämmerling, da man nur Einen sucht, findet man ihr wohl noch Tausend, die um eines solchen Jahres willen, nicht nur die zeitliche, sondern auch die ewige Wohlfarth gern in den Wind schlagen und verscherzen. Der ist des Apfels wohl werth, sprach er: aber der Hofmeister hieß ihn noch Geduld tragen.«

»Der junge Herr zoge weiters. In einem anderen Land begegnete ihm ein großer Herr, der war hetzen geritten auf einem Klepper, hatte zween Leithunde, zween Strick Winde, so der Knecht neben seinem Klepper angefahren führete, einen vorstehende Hund, und einen Falken bey sich. Der Herr sang von heller Stimme.

Wohl uff, wohl uff Ritter und Knecht, und alle gute Gesellen,
Die mit mir gen Holz wöllen.
Woll uff, wol uff, die Faulen und die Trägen,
Die noch gern länger schliefen und lägen.
Wol uff, wol uff, in des Nahmen,
Der da schuf den Wilden und den Zahmen.
Wol uff, wol uff, rösch und auch trat,
Daß uns heut der berath,
Der uns Leibe und Seele beschaffen hat.
Hinfür, trutter Hund, hinfür, und auch daß dir 314
Gott heute gebe und auch mir;
Hinfür trutter Hund, hinfür zu der Fert,
Die der Edele Hirsch heut selber thät.

Und als indessen der junge Herr an ihn kam, und ihn fragte, was er mit solchem Viehe alle machte, sprach er: Ich brauche es zu Hetzen und Beitzen. Und als er forschete, wie viel er des Tages fange? antwortete der Herr: Ja nach der Zeit, und wie das Glück will, dann viel, dann wenig, dann nichts: aber einen Tag in den andern zu rechnen, so habe ich wöchentlich meine zween Hasen und mein paar Feldhüner auf der Tafel, ohne der größten Lust, so ich dabey finde. Der junge Herr fragte weiters, was dieses Vieh alles zu unterhalten koste? Diese beyden Klepper, welche hierauf allein bestellet, haben Tags jeder Ein halben Sester Haber, ein jeder Hund des Tags 4 Mitschen, und der Falk des Tags ein Pfund Fleisch, das ist ja ein geringes, sprach er. Der junge Herr, nachdem er sich ein wenig bedacht, die Ausgab und Innahm gegen einander gehalten: Alle Woche zween Hasen? sind 104 Hasen, jeden zu einem halben Gulden, sind 52 Gulden, die Feldhüner auch so viel: Also ist Innahme dieser Rechnung, 104 Gulden. Nun die Ausgabe. Die Elf Hunde, jeder 4 Mitschen, ist des Tags 44 Mitschen, deren 80 für einen Sester, thut Jahrs 16060 Mitschen, zu 36 Viertel, das Viertel à 3 Gulden, ist 108 Gulden. Auf die zwey Pferde des Tags ein Sester Haber, thut 61 Viertel, zu 15 Schilling, thut 91 und einen halben Gulden: 365 Pfund Fleisch, 24 Gulden, der Falkener aber hat 150 Gulden &c.«

315 »Herr Hofmeister, sprach er, nun langet mir den Apfel her, denn es ist Zeit: dieser hat ihn am besten verdienet, auf daß wir nach Hause kommen.«

»Nein, sprach der Hofmeister, es wird noch andre geben: zogen derowegen weiter, und kamen bey eine vornehme Stadt, unterwegs aber trafen sie in Gesellschaft an einen großen Herren, (dem Ansehn nach) welcher viel Diener, Hofmeister, Stallmeister, Falkener, Kammerdiener, Edelknaben, Kutscher, Reitknechte, Jungen, und viel Mägde, viel Vieh, Kutschen, Roß und Wagen, und etliche Beypferde mit sich hatte, der zog der Stadt auch zu. und als der junge Herr erforschet von einem der nachritte, wer er wäre? und wo er hinziehn wollte? war ihm im Vertrauen gesagt, daß der Herr dieser Völker und Reichthums allen, seines Herkommens zwar nur eines Weingärtners Sohn gewesen, sich aber in Kriegen, Schlachten, Treffen, Stürmen, Plünderungen, Uebersteigungen, Einnehmungen, mit dem Maul so ritterlich gehalten, und durch seinen Fleiß und Vorsichtigkeit seiner Sachen so klüglich angegriffen, daß er nicht allein eine hohen Geschlechts Wälsche Tochter zur Ehe erworben; sondern auch an Barschaft, Gold, Silber, Kleinodien, Kleidungen, Vieh und andern einen solchen Vorrath erschwitzet, daß es unmöglich wäre, selbigen allen zu verthun. Darum er in der Nähe eine Herrschaft erhandeln, lauterhin sich des Pfaffenwesens abthun, und die übrige Zeit seines Lebens mit seinem adlichen Weib in Frieden, Freuden und Lust vollenden wollte: also daß seiner Meynung nach nicht wohl ein seligerer Mann zu finden sey. Der junge Herr sprach zu seinem Hofmeister, diesem großen Sprecher zieh ich so lange nach, bis ich sehe, was es für ein Ende mit ihm nehmen werde.«

316 »Sie zogen in die Stadt, der Sennor ordnete sein Hauswesen an, erhandelte eine gelegene Herrschaft, einen schönen Pallast und Garten, ordnete sein Hauswesen dergestalt, daß er wußte, wie viel die Hüner alle Tage Eyer legen könnten, damit er nicht irgend durch Unachtsamkeit an etwas Schaden leiden möchte. Er ließ sich sehen und hören: alle Tage veränderte er alle seine Kleidungen; aber dabey war er fast hochmüthig. Wann ihn jemands grüßete, er dankte ihm nicht: wo man aber den Hut nicht abzoge, so wollte er gleich um sich schmeißen und schlagen. Er thate, als ob er Niemands sahe oder kannte. Wenn ihn ein Armer um einen Pfennig bat, ließ er in mit Stößen fortweisen. Er brauchte sich wunderlicher Gebehrden und Sitten, trug einen hohen, breiten fliegenden Hut, ein Igelköpfiges falschgemachtes Haar, alles war mit Armbanden und mit Ketten, köstlichen Ringen und Kleinodien versetzet. Zu keinem Menschen gesellte er sich, aus Furcht, daß ihn jemand kennen, oder sich zu viel gemein mit ihm machen möchte; seine Blutsfreunde, die in solchem seinem Ueberfluß eine Steuer von ihm baten, ließ er mit Prügeln forttreiben als falsche Leute, die ihn für einen andern halten und ansehn wollten. In Summa, seine Sachen waren so geordnet, daß er scheinet unsterblich zu seyn bey den einfältigen Menschen. Soll das gut thun, sprach der junge Herr, so nimmt michs Wunder; denn wenn ich betrachte, wie dieser große Sprecher alle seine Gelder und Mittel mit Staatsbetteley und Hilpersgriffen, nicht aber mit redlicher Soldaten-Faust noch mit ehrlichen Lehnungen erworben hat, so ist unmöglich, daß es lang kann Bestand haben: sintemal die Wahrheit Gottes an ihm nicht wird zur Lügnerinn werden: als welche 317 allem solchen ungerechten Gut den Fluch dergestalt angebunden, daß, ob es in eiserne Berge vergraben, das Feuer und der Blitz es doch daselbsten rühren und zertrümmern würde. Ist also dieser Kerl, meines Achtens, der größte Narr, den ich noch gesehn habe, und ich bin Willens, daß ich ihm den Apfel geben wolle: Als er aber in den Gedanken stunde, wird in der Nacht ein Geschrey und Ruf eines Feuers: und als man hörete, so war aus Verwahrlosung, aber Schickung Gottes, der herrliche Pallast angegangen, und darin verbrunnen aller Raub und Vorrath, den der Hudler je gehabt hatte, in welchem Feuer auch sein Weib und etliche Diener das Leben lassen: Er aber, der Noth zu entkommen, zum Fenster hinaus springen und also den Hals brechen müssen; welches die Ursach ist, daß ihm der wohlverdiente Apfel nicht zu Theil worden.«

– u. s. w. u. s. w. –

Bis hieher will ich diese Geschichte nur abschreiben, sie nimmt in meinem Tagebuche zu vielen Platz weg. Der Prinz findet endlich jemand, dem er den Apfel zuerkannt; er kehrt zurück und regiert sein Land.

Mir ist bei dieser Geschichte immer beigefallen, daß der junge Held nur einfältig ist; wie er es nämlich gar nicht merkt, daß er zu weiter nichts dient, als eine Fabel mit ihrer Lehre einzukleiden. Ich wäre wenigstens nicht so weit gereist, ohne darauf zu kommen, daß alles bloß veranstaltet sei, um mich reisen zu lassen.

Es können aber nicht alle Menschen gleich klug sein, und das ist eine heilsame Einrichtung. Aber ausgemacht ist, daß sehr viele Personen nur dazu dienen, um den andern abstrakte Begriffe zu personificiren; sie können 318 nicht dafür, diese Unschuldigen, das ist wohl wahr, und sie glauben ein ganz ordentliches, für sich bestehendes Leben zu führen. Ich würde mich nie zu dergleichen gebrauchen lassen. Wenn es einmal so weit kommt, daß ich mich dem Schicksal widersetze, so ist es nur in solchen Umständen.

Nahrung, Medicin, Weisheit, alles wird uns auf eine wunderliche Weise verkleidet zugeführt, wir werden von allen Elementen zum Besten gehabt, die sich anstellen, als wenn sie ganz etwas anders wären, als sie wirklich sind, und wir halten uns selbst für die Besten, und das ist der schlimmste Umstand von allem.



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