Ludwig Tieck
Die Vogelscheuche
Ludwig Tieck

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Vierter Aufzug.

Erste Scene.

Anklage.

Es hatten sich indessen manche Veränderungen in Ensisheim zugetragen. Der Baron Milzwurm war verreiset, die Frau von Hegenkamp war schon etwas länger abwesend, und Beide kamen jetzt in derselben Kutsche als Neu-Verehlichte zurück. Emmeline war noch blasser und einfältiger, als gewöhnlich, und man wollte sagen, es sei Liebe zu dem neuen Vater und Eifersucht über die alte Mutter die Ursache dieses krankhaften Aussehens. Der junge Prinz war auch zurückgekommen, und bewohnte diesmal unter seinem Namen, und nicht mehr inkognito, den besten Gasthof der Stadt. Ein auffallender Mann mit einer langen rothen Nase in einem ziemlich kleinen Gesichte war in seinem Gefolge, den der Prinz als Leibarzt in seine Dienste genommen hatte. Dieser Doktor Pankratius, der die ganze Welt durchreiset hatte, und der für einen großen Gelehrten galt, hatte sich bald mit allen Honoratioren der Stadt bekannt gemacht. Wohin er kam, fand er freundliche Aufnahme, denn er verstand die Kunst, allen Leuten zu imponiren. Von den Aerzten, auch 265 von den berühmtesten, sprach er mit der größten Verachtung. Er schalt eben so alle medizinischen Systeme und machte sich anheischig, alle Krankheiten, ohne Ausnahme, durch den Magnetismus zu heilen. In der Akademie der Ledernen war schon die Rede davon gewesen, diesen ausgezeichneten Mann zum Ehren-Mitgliede aufzunehmen. Der Doktor Pankratius, der die Bestrebungen der gelehrten Gesellschaft sehr zu achten schien, hatte versprochen, der nächsten Sitzung beizuwohnen und vielleicht selbst aus dem großen Schatz seiner Manuskripte den Mitgliedern etwas mitzutheilen.

Der Legationsrath von Ledebrinna machte dem Fürsten, seinem Gönner, die Aufwartung, und dieser fragte sogleich: Was macht Ihre Gemälde-Gallerie? Keine Emplette gemacht? Haben Sie vielleicht jetzt Paysagen bekommen?

Durchlaucht, erwiederte der Rath, eine Gallerie besitzen wir leider nicht; ich war damals so glücklich, Sie durch eine kleine Kunst-Ausstellung unterhalten zu können; diese Bilder eben, welche ich von hiesigen und auswärtigen Besitzern nur für eine kurze Zeit für Dero Wohlgefallen erhielt, sind alle schon ihren Eigenthümern wieder zurück erstattet.

Schade, sagte der Prinz, hätte wohl gern noch einmal die Kunstwerke angesehen, aber lieber ohne Erklärung Ihres gelehrten Professors. Denkt zu viel der Mann: scheint ihn seine große Gelehrsamkeit zu ängstigen.

Peterling und Heinzemann hatten sich ebenfalls dem Prinzen durch den befreundeten Apotheker Dümpfellen vorstellen lassen, und der junge Offizier Wilhelm Linden, welcher wußte, daß der Prinz das Militair liebe, hatte den Muth gehabt, sich ohne Anmeldung beim Prinzen in derselben Stunde einzuführen. Diesen Rath hatte ihm heimlich sein Oheim Peterling gegeben, und da der Prinz sich gegen den jungen Mann, dessen schlichtes Wesen ihm gefiel, ungemein 266 gnädig bewies, der begleitende Kammerherr ihn auch seines vertrauten Umgangs würdigte, und der berühmte Doktor Pankratius ihn auffallend beschützte, so konnte sich jetzt kein Einwohner von Ensisheim mehr entziehn, dem aus der Verbannung Zurückgekehrten ebenfalls freundlich entgegen zu kommen. In Gegenwart des Prinzen hatte der Offizier den Legationsrath höflichst gebeten, ihm jene grobe Unart, die ihm so übereilt über die Lippen gefahren war, zu vergeben, und Ledebrinna, da der Prinz selbst sich der Sache annahm, mußte zum bösen Spiel gute Miene machen und sich mit dem Ungezogenen wieder aussöhnen.

Indessen hatten in Geheim schon Ambrosius, der Syndikus Spener und der schadenfrohe Peterling den sonderbarsten Prozeß, von dem die Welt je gehört hat, anhängig gemacht, und Alexander, da er sah, daß der alte Syndikus aus Ursachen, die er nicht begriff, die Sache so eifrig betrieb, und der verständige Willig, so wie die andern Senatoren wie von einem Taumel ergriffen waren, so unterzog er sich mit Lust und Laune seiner Pflicht, als öffentlicher Ankläger aufzutreten. Man wollte sogar vermuthen, der Doktor Pankratius habe all diese Herren deswegen schon vorher besucht, und alle seien wie verwandelt gewesen, nachdem er sie verlassen hatte. Doch war alles dies nur noch dunkles Gerücht und unerwiesene Vermuthung.

Still und unvermerkt hatte sich Alfieri bei seinem Gebieter, dem Bürgermeister Heinzemann, am späten Abend wieder eingefunden. Meine Hand! rief der Kleine, und Heinzemann eilte nach dem Schrank, wo sie sauber zwischen weichen Sachen eingepackt lag. Es lebt sich doch besser mit zwei Händen, sagte Alfieri, ich war die ganze Zeit über genirt, nur ein Tuch aufzuheben, wurde mir beschwerlich, alle die Rund-Tänze bei den Herbstmanövers im Feenreich habe 267 ich nicht mitmachen können, und ich habe auch manchen Spott erdulden müssen, vorzüglich von dem schadenfrohen Puck. Hat sich der noch nicht gemeldet, oder durch irgend eine Tollheit spüren lassen? Er hat mir feierlich versprochen, daß er gewiß kommen und uns in allen unsren Angelegenheiten helfen wolle.

Heinzemann war hoch erfreut, seinen wundersamen Diener wieder in seinem Hause zu haben, er umarmte und herzte ihn, ließ ihm süßen Wein reichen und konnte sich an dem Anblick des schönen Knaben nicht ersättigen.

Und was ist hier geschehn? fragte Alfieri; welche kluge Intrigue, welche feine Kabale hat nun der scharfsinnige Künstler Ambrosius ersonnen, um diesen Ledebrinna zu stürzen? Hat sich von diesem Manne, der euch zur Last fällt, etwas ausmitteln lassen? Es wäre ein Glück, wenn er schon irgendwo verlobt wäre, vielleicht gar verheirathet, oder wenn er zu den berüchtigtsten Carbonari oder Demagogen gehörte. Wenn er wohl gar als Verdächtiger sein Vaterland hätte verlassen müssen und hier unter einem erborgten Namen lebte. Irgend etwas muß doch geschehen seyn. Sie scheinen mir aber, theurer Gebieter, einigermaßen verlegen.

Ich weiß nicht, fing Heinzemann an, wie ich mir die Dinge auslegen soll, die uns Alle seit einiger Zeit betreffen. Das Närrische, Albernhafte verträgt sich so hübsch mit dem Alltäglichen, das Wunderbarste begegnet uns und scheint, weil man sich schnell gewöhnt, nicht mehr seltsam, die vernünftigsten Menschen werden wie verrückt und bleiben in der Tollheit konsequent, und aus meinem intimen Freunde Ambrosius kann ich nun gar nicht mehr klug werden, ob das Ding, was er jetzt unternommen hat, Intrigue, List oder Kabale vorstellen soll, oder ob es sein ernsthafter Ernst ist.

Und was hat er begonnen? fragte Alfieri mit gespannter Neugier.

268 Du weißt ja, sagte Heinzemann, wie ihm schon vor Monaten sein Adonis oder Robin Hood aus seinem Garten gestohlen wurde, nun ist er darauf aus, vor Gericht zu beweisen, und er scheint selbst davon überzeugt, dieser Ledebrinna, der Nebenbuhler unsers Wilhelm, sei Niemand anders, als diese künstlich gearbeitete Maschine, und er verlangt ihn nun als sein Eigenthum zurück, um den Legationsrath wieder in die Erbsen hinein zu stellen.

Alfieri sprang vor Erstaunen einige Schritte zurück. Wie? rief er aus, das nennt ihr Sterblichen eine feine List, eine Intrigue ausspinnen? O weh! o weh! was wird der kluge Puck dazu sagen, wenn er kommt und von diesem Unsinn hört.

Was ist zu machen? sagte Heinzemann; auf morgen ist schon das Gericht versammelt, die Geschwornen sind berufen und ausgewählt, Ambrosius hat aus seinem Wohnort mit bedeutenden Kosten Zeugen kommen lassen, die Senatoren und der Rath haben die Klage meines Freundes angenommen, und in wenigen Tagen ist der ganze Prozeß entschieden.

Taumelt es hier so, sagte Alfieri, so kann ich mich nicht mehr über unsre Feenwelt verwundern, wo auch immer tolle Sachen vorgehn. Ich dachte aber, ihr Sterblichen wäret vernünftige Leute; so schildert man euch wenigstens bei uns da draußen, und neigtet eher zu allzu großer vernünftiger Trockenheit hin, als zu solchen aberwitzigen Phantastereien.

Kleiner, sagte Heinzemann, wir treiben's, wie es bei uns die Gelegenheit giebt: fangen die Hölzernen einmal an zu schwärmen, so machen es diese am allerschlimmsten. Der Poetisch-Phantastische kehrt meist auf halbem Wege um und wird des Dinges bald überdrüssig.

Ledebrinna war erstaunt, als er am Abend in seiner Wohnung eine Vorladung fand, morgen Vormittag um zehn 269 Uhr vor Gericht zu erscheinen, um sich dort wegen schwerer Anklagen zu entschuldigen und sich von Verbrechen zu reinigen. Ubique und seine Freunde sagten ihm, daß er sich dieser Ladung stellen und dem Aufruf Gehorsam leisten müsse.

Am Morgen war die ganze Stadt schon aufgeregt und in der lebhaftesten Bewegung. Da die Gerichte öffentlich gehalten wurden, so eilten Alle nach dem Saal, um bei Verhandlung dieser merkwürdigen Sache einen bequemen Platz zu finden. An einer ausgezeichneten Stelle saß der Prinz mit seinen Begleitern, dem Kammerherrn und dem Leibarzt Pankratius, der Baron Milzwurm war mit seiner geschminkten Gemahlin und der bleichen ungefärbten Stieftochter Emmeline zugegen. Die Fräulein Weilern erschien mit ihrer Tante, und Elisa begleitete sie: in der Nähe des Prinzen sitzend, konnte der junge Offizier, außerdem noch von Peterling und Heinzemann beschützt, es wagen, mit ihr nach langer Zeit wieder zu sprechen, wenn auch der Apotheker, welcher unter den Senatoren glänzte, verdrüßliche und drohende Blicke hinauf warf. Der Poet Ulf versäumte es auch nicht, dieser höchst merkwürdigen Verhandlung beizuwohnen.

Alles war gespannt, und der Prinz sagte zu seinem Leibarzt: Gefällt mir so was besser, als die Gemälde-Gallerie, wo sie nicht einmal Paysagen hatten. – Pankratius neigte sich, Beifall gebend, so tief, daß seine lange Nase fast sein Knie berührte.

Unter den Richtern saß der Syndikus Spener, der Senator Willig und Dümpfellen oben an. An einem andern Tisch befanden sich die Geschwornen, welche der ganzen Verhandlung beiwohnen sollten.

Jetzt trat als Kläger der Senator Ambrosius herein, und mit ihm der öffentliche Ankläger, Alexander, welcher seine Sache führen sollte. Mit diesen erschienen drei Zeugen, 270 Bürgersleute, welche Ambrosius aus seinem fernen Wohnorte hatte kommen lassen. – Als der Legationsrath von Ledebrinna erschien, ward ihm ein eigner Sessel in der Nähe der Geschwornen angewiesen. Ambrosius warf fürchterliche Blicke auf den Angeklagten, die drei Zeugen betrachteten ihn ebenfalls mit scharf prüfenden Augen.

Meine Herren Kollegen, so eröffnete der Syndikus Spener, als der Aelteste in der Versammlung, das Gericht: wenn wir uns heute hier zu einer hochwichtigen Sache und Rathschlagung vereinigt haben, so lassen Sie uns bedenken und ins Auge fassen, daß, falls auch die Anklage völlig erwiesen werden sollte, es ein Casus ist, oder ein Crimen, für welches, so weit ich unterrichtet bin, in allen unsern Statuten und Gesetzbüchern, indem dieser sonderbare Fall zum erstenmal vorkommt, keine Strafe, kein Abkommen, keine Regel ist festgesetzt worden. Viele waren daher auch der Meinung, den ganzen Prozeß und die Anklage als unstatthaft von uns zu weisen. Wir Väter der Stadt, ich, mein verehrter Willig und noch Einige, widersetzten uns aber dieser Ansicht, als wahre Patrioten, aus allen Kräften, so eifrig auch mein trefflicher Freund, der Senator Dümpfellen, für diese Abweisung stimmte. Denn (und dieses Bedenken ist für uns Ensisheimer das Wichtigste) da der geehrte Herr Kläger, der Senator Ambrosius aus Wegebergen, sich nicht, wenn er hier mit seinem Prozeß als einem unstatthaften, abgewiesen, dabei beruhigen würde, sondern das Gericht seines Landes, die Universitäten, vielleicht das Ministerium einer großen Monarchie angehen, oder sich an den verehrlichen Bundestag wenden würde, – so entstände uns in Ensisheim der Nachtheil, daß wir unsre Behörde, Gesetze und Republik für ungenügend und zu schwach erklärt hätten, um Landesgenossen, die bei uns Hülfe suchten, Genüge zu leisten. Für unsre 271 Unabhängigkeit, für die Rechte unsrer Stadt und unsers erlauchten Protektors, unsers verehrten Fürsten, könnte also diese Abweisung für uns und unsre Nachkommen von den allerfürchterlichsten Folgen seyn. Nein, die kleinen Staaten müssen, und je kleiner um so mehr, auf ihre alten, hergebrachten und wohlerworbenen Rechte steif und fest halten, und da unser Staat und halbschürige Republik gewiß einer der allerkleinsten Staaten ist, so müssen wir mit granithartem, mit diamantfestem Eifer und mit unerschütterlicher Beharrlichkeit in selbsteigner Sache auch selbsteigen entscheiden, und wenn die Sache noch seltsamer, kurioser und unbegreiflicher wäre. Und was ist denn so groß dabei zu verwundern? Einmal muß jeder Fehler, jede Uebertretung und jedes Verbrechen zum erstenmal erscheinen. Wir haben also auch den Vortheil, daß wir unsre Justiz-Verfassung und deren Codex mit einem neuen Gesetz bereichern können. Dieses, hier abgefaßte Gesetz können sich auch alsdann die andern germanischen Stämme aneignen, und so erscheinen wir in dieser Verhandlung als ächte Patrioten und als Wohlthäter unsrer übrigen deutschen Landesgenossen. –

Die übrigen gaben ihm Beifall, und nur Dümpfellen, indem er auf seinen Schwiegersohn Ledebrinna blickte, runzelte die Stirn, er schüttelte das Haupt nachdenklich, weil er den Eifer nicht begriff, mit welchem sich der Senator Spener, der selbst ein Mitglied der gelehrten Gesellschaft war, einer Sache annahm, die vielleicht gegen den Präsidenten derselben, Ledebrinna, ausschlagen konnte. Dieser Angeklagte saß mit unwandelbarer Miene auf dem Sessel und warf nur zuweilen, nach seiner Art, heftig den Kopf in die Höhe, oder drückte dem Magister Ubique die Hand, der sich freiwillig dazu erboten hatte, ihn und seine Sache vor Gericht zu vertheidigen.

272 Jetzt trat Alexander vor und sagte: Verehrte Versammlung, schon öfter, so jung ich auch bin, stand ich auf dieser Stelle, um hier öffentlich zu reden, aber noch nie habe ich meinem Talent so wenig vertraut, als heute. Denn es handelt sich an diesem Tage nicht um Mord, Straßenraub, Einbruch und Diebstahl, Verbrechen und Vergehen, die durch Zeugen, Umstände, Wahrscheinlichkeit und dergleichen leicht zu erörtern sind: sondern eine Sache, ein Wunder soll vor Aller Augen klar ins Licht treten, das in seiner eigentlichen innern Natur dunkel ist, und auf die gewöhnliche Weise durch Aeußerungen und Zeugen nicht zu erörtern seyn möchte, besonders da wir, wenn sich auch alle Umstände gegen ihn vereinigen sollten, auf das Selbstgeständniß des Inkulpaten wohl schwerlich rechnen können. Kann ich also hier nicht bloß mit dem corpus juris, den hiesigen Statuten und den gewöhnlichen Formeln ausreichen, so muß ich zur Tiefe der Psychologie, zu neuen Entdeckungen, kühnen Hypothesen und dergleichen meine Zuflucht nehmen, und ich muß die Herren Richter wie Geschwornen um Geduld und Erlaubniß bitten, wenn ich auf neuen Wegen versuchen werde, diesen sonderbaren und verwickelten Fall aufzuklären. Eine Figur aus gebranntem Leder, zur Vogelscheuche bestimmt, ein neu erfundenes Kunstwerk, ein großer, edler Gedanke des Senators Ambrosius, steht in einem Krautgarten; der Mann verschwindet ohne Spur, und als der Kläger und Künstler hieher kommt, findet er im Legationsrath, dem Präsidenten der gelehrten Gesellschaft, welcher sich von Ledebrinna nennt, diese seine verlorne Figur wieder, und er erkennt sie, er der Verfertiger und Künstler, an sichern, untrügenden Zeichen, als sein Machwerk. Er hat an Eidesstatt vor Gericht seine Hand gegeben, daß er nur Wahrheit aussage. Wenn dies ist, so frage ich nun, wie ist es gekommen, wodurch ist diese 273 Figur zum scheinbaren Menschen geworden? Dies ist der Hauptpunkt, und wenn es uns gelingt, diesen zu erörtern, so haben wir, ich und mein geehrter Herr Client, den Prozeß gewonnen. Ein großer Astronom will beobachtet haben, daß in derselben Nacht, in welcher das vogelscheuchende Kunstwerk verloren gegangen ist, eine ungewöhnlich große Sternschnuppe sich vom Himmel nach der Gegend niedersenkte, in welcher damals unser jetziger Legationsrath angestellt war. Der Verfertiger des Bildes hat ebenfalls diesen sich so auffallend schneuzenden Stern wahrgenommen. Wie, wenn nun diese elementarischen, elektrischen Kräfte, vereinigt mit siderischen Influenzen, gestärkt durch tellurische Wirkungen und geweiht durch kosmische Einflüsse, ein wirkliches oder ein scheinbares Leben in das künstlich ausgebildete Leder geführt hätten? Was ist Leben? Was ist Geist oder Seele? Gründliche Antworten auf diese leichten und alltäglichen Fragen zu geben, ist sehr schwer. Es lebt die Pflanze und besitzt ihren Geist, das Thier nach seiner und der Mensch auf die ihm verliehene Art. Aus Wein und starken Getränken trinken und zechen wir Geist heraus, wir nennen Aquavit, Rum, Rack und den abgezogenen Wein, Geist, Weingeist. Wer kann behaupten, es sei unmöglich, daß sich durch Sterngewalt aus einem todten Bildwerke ein lebendes gestalte? Darf ich hier nicht an Pygmalions Statue erinnern, über welche die Gelehrten noch bis dato uneins sind, ob sie aus Marmor oder Elfenbein geformt war, und die der Liebende durch seine Inbrunst (die Heiden sagen durch Hülfe der Götter) zum Leben entzündete? Betrachten wir nur den gewöhnlichen Dudelsack. Ist er nicht von ganz gemeinem Leder? Und wenn ihn ein Wilder singen hörte, der von der Kunst unserer Musik nichts wüßte, müßte ein solcher nicht schwören, er sei beseelt? Nun also, wenn denn unser dichtender und reimender 274 Legationsrath ein solcher potenzirter Dudelsack wäre? Könnte man sonderlich gegründete Einwendungen machen? Ich spreche nur von der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit, denn zu unbedingter Gewißheit können wir uns auf diesem Wege nicht erheben. Wir müssen also noch eine andre Bahn aufsuchen.

Viel Kampf ist gestritten, ob das ganze Menschengeschlecht mit allen seinen so ungleichen Formen, Physiognomieen, Anlagen, Tugenden und Lastern von einem einzigen Elternpaar abstamme, oder ob unter den verschiedenen Zonen mehrere Adams entsprungen sind, schwarze, weiße, kupferfarbene und noch andere. Daß die Menschheit Abarten habe, die sich nur schwer und durch künstliche Argumente zum Urstamme zurück führen lassen, ist wenigstens über allen Zweifel erhaben. Wie entstand der erste Mensch, oder wenn es mehrere Adams gab, die verschiedenen? Geheimniß über Geheimniß. In einem Werke meines Freundes Tieck, die Sommerreise betitelt, fand ich, neben andern tiefsinnigen Untersuchungen, eine ganz neue Entdeckung, welche mich gleich frappirte, und seitdem alle meine müßigen Stunden erfüllt hat, um auf diesem Wege weiter zu kommen und mehr Licht zu erhalten. Tieck läßt nehmlich, gleichsam im Scherz, einen Humoristen eine Vorlesung halten über die Kunst, die Scheinlebendigen zu tödten. Der Entdecker des Geheimnisses, Wachtel, ein tiefer Denker, hat nehmlich ausgefunden, daß sich unendlich viele Menschen unter den Lebenden einschleichen, die gar kein Leben, keine Seele haben, und die durch vielfache Anstalten wieder, durch Leid, Langeweile, Qual und dergleichen aus dem Leben hinaus komplimentirt werden. Hier läßt der tiefsinnige Denker seine große Entdeckung beinah wie muthwillig fallen und wendet es zum Scherz. Sehr mit Unrecht, meine verehrten Zuhörer. Denn wenn uns die Gabe des Unterscheidens würde, und uns das Auge prophetisch 275 aufginge, wahrlich, so würden wir deutlich wahrnehmen, wie so viel loses Gesindel, so viele unsrer Journalisten, Klätscher, Verleumder, Fürstenlästerer, Demagogen, Ultra-Liberalen, Absolutisten, Feudalisten, Pfaffen, Mitarbeiter an der Kirchenzeitung, Tragödien- und Lustspieldichter, Uebersetzer und Dramaturgen gar keine Seele in sich haben, und wie es ihnen gerade durch den Abgang und Mangel dieses sonst unentbehrlich gewähnten Ingredienz so leicht wird, zu leben, und so zu leben. Was hilft alle Aufmerksamkeit der Regierungen, alle Inquisition, alle Visirung der Pässe, Chikanirung der honetten Menschen und Daumschrauberei der Universitäten, wenn hinterrücks tausend und aber tausend seelenlose Menschen geboren werden, sich einregistriren, wirken, handeln und Gedanken und Gesinnungen verbreiten, welche nun sammt und sonders völlig seelenlos sind? Kann eine Zeugung nach Patent, Examen oder Controle eingeführt werden? Ich glaube nicht. Aber geschehen muß etwas, das ist eben so gewiß, und bald, wenn wir nicht unser ganzes Europa in vielleicht wenigen Jahren in einen seelenlosen Brei wollen verwandelt sehen. Ich kann aber nichts thun, sondern nur warnen.

Wir sind also jetzt auf einen Standpunkt gerathen, von wo wir übersehen können, wie sehr der Menschheit gefährlich jene Conspiration zu werden bedroht, die sich täglich mehr auszubreiten scheint, und also immer sichtbarer wird, jene Conspiration der Nicht-Geister, die sich in das Leben und Dasein als Schein-Menschen einschwärzen. Es könnte dahin kommen, daß Geister und Seelen am Ende zu den Raritäten gerechnet würden. Und hier hat sich nun (o beglückte Vaterstadt) in unserer Heimath eine der Hinterthüren unvermuthet entdeckt, durch welche diese Scheinlebendigen einschleichen. Ein mechanisches Kunststück benutzt einen sonderbaren Einfluß der Gestirne und der Nacht, vielleicht, wie man nicht ganz ohne 276 Wahrscheinlichkeit vermuthet, eine Sternschnuppe, welche nieder fällt, kömmt lebendig zu uns, und unternimmt es, unser Städtchen zu bilden und auf einen höheren Cultur-Punkt zu heben. Ich mache nur darauf aufmerksam, wie der Fremde plötzlich unter uns steht und wandelt, ohne daß man weiß und erfährt, wo seine Heimath sei, wer seine Eltern gewesen, wo er getauft und erzogen worden, welches frühere Geschäft er getrieben, wie hoch sich die Anzahl seiner Jahre belaufe. Freilich kann von allen diesen Sachen keine Rechenschaft gegeben werden, wenn sich die furchtbare Anklage, unter welcher gegenwärtiger Legationsrath sich befindet, als wahr erzeigen sollte. Der geheimnißvolle Fremde, der Kosmopolit ohne Vaterland, Eltern und Geschichte, nennt sich Herr von Ledebrinna. O meine Werthen, hier muß ich schon auf diesen sehr beachtenswerthen Umstand aufmerksam machen. Wie das Gewissen des Mörders auch niemals schweigt, wie der abgehärtetste Bösewicht Stunden hat, in denen sich sein Gemüth erweicht, wie Richard der dritte im Schlafe wenigstens beunruhigt wird, – so unser Angeklagter. Ledebrinna nennt er sich, weil er es doch nicht vergessen kann, daß er gebranntes Leder sei. Ja, es waltet eine unerbittliche Nemesis, und so giebt unser Verbrecher sich selbst in seinem erkünstelten Namen kund. Viele der Honoratioren, und ich selbst unter diesen, waren zugegen, als bei unserm hochgebildeten Herrn Senator Dümpfellen, diesem Liebling der Musen, eine musikalische Gesellschaft versammelt war, Virtuosen, Dilettanten und begeisterte Zuhörer. Es ward das Lied unsers Göthe gesungen:

Wenn die Reben wieder blühen,
Rühret sich der Wein im Fasse,
Wenn die Rosen wieder glühen,
Weiß ich nicht, wie mir geschieht.

277 Wie überrascht waren wir alle, als dieser Herr von Ledebrinna mit lauter Stimme sang: Wenn die Erbsen wieder blühen! – Er vertheidigte aber diese Variante mit festem Sinne und allen Künsten der Sophistik. Es war aber nur die überwältigende Erinnerung seiner so willkürlich und gewaltthätig aufgegebenen Bestimmung. Er schreitet aber weiter und macht sich immer mehr und mehr kenntlich. Er stiftet eine gelehrte Gesellschaft. An sich ein löbliches Unternehmen, aber wie nennt er als Präsident und Director diese? Die lederne, und jeder muß sich bequemen, von dem Leder ein Beiwort, eine Eigenschaft sich anzueignen. O ihr Väter des Vaterlandes! Hier kann ich mich einer tiefen Rührung nicht erwehren, sie beherrscht mich so stark, daß ich Thränen vergießen muß, wenn ich mich nicht als Mann bezwinge. Die angesehensten, ältesten, edelsten Männer, die Stützen unsers Staates und Glaubens, sie, die ehrwürdigen, die das Ministerium und den geheimen Rath eines jeden Monarchen zieren würden, unser Syndikus Spener, der Senator Dümpfellen, sie müssen sich als ledern charakterisiren, so verlangt es dieser moderne Catilina, dieser Feind der Menschheit und Menschlichkeit, damit er sich Genossen seiner unglücklichen Bestimmung wenigstens im Bilde erwerbe. Damit er in Zukunft sagen kann und eingestehen: Ja, ledern bin ich, – ach! es war nicht meine Wahl, – aufgedrungen ward mir diese Natur, – aber seht hier um mich her die Würdigsten, Ehrbarsten, die Musterbilder ächter Menschheit, Staatsmänner, Edelleute, tiefsinnige Gelehrte und geniale Dichter, sie alle, alle haben sich freiwillig in meinen Orden begeben, sie haben es vorgezogen, ledern zu seyn und so von aller Welt genannt zu werden, ja es war ihr Stolz, mir ähnlich zu seyn. Mich dünkt, wegen dieses Frevels allein hätte der fremde Mann, der unsre Stadt so beschimpft, die 278 härteste Strafe verdient. In derselben Gesellschaft dekretirt er auch als Despot, daß sie insgesammt im Felde der Gelehrsamkeit als Vogelscheuchen wirken wollen, um alles, was in Geist und Aufschwung nur einem Geflügel ähnlich sieht, von ihren fruchttragenden Feldern zu verscheuchen. Braucht es für den Verständigen, für den Denker mehr, als alle diese Anzeigen? Ich denke, sie seien hinreichend, um die Stelle von überzeugenden Beweisen zu vertreten. Muß ich Sie noch aufmerksam machen auf die Art, wie Angeklagter den Kopf in die Höhe wirft, wie er mit den Armen schlenkert und die Schultern rasch bewegt, welches ihm alles, noch in seinem gegenwärtigen Zustand die größte Aehnlichkeit mit einer Vogelscheuche giebt? – Soll man noch irgend an Physiognomik glauben, an Ausdruck des Antlitzes und des Auges, so werden mir Richter und Geschworne beistimmen, daß in diesem Wesen keine Seele und kein Geist wohne.

Kaum erscheint der Senator Ambrosius in jener musikalischen Gesellschaft, so erkennt er auch sogleich sein entlaufenes Kunstwerk wieder, er erstaunt, eine Ohnmacht befällt ihn, aber er erholt und sammelt sich augenblicks. Keinen, selbst den vertrautesten Freunden nicht, sein Geheimniß verrathend, schließt er sich ein und geht in stiller Mitternacht mit seinem Geist und Herzen zu Rathe. Am Morgen sucht er ihn auf, den undankbaren Flüchtling, er erinnert ihn an die Wohlthat, ihn auf Kosten seines Geldes und seiner Zeit erschaffen zu haben, er will ihn in seine Arme schließen, an sein Herz drücken, und da er nun doch einmal lebt, will er ihn selbst an Kindesstatt annehmen und ihm vielleicht mit seiner kunstliebenden Tochter sein ganzes Vermögen übergeben, – schrecklich genug, und in einer unerhörten Großmuth und Aufopferung eine furchtbare Aussicht für die Menschheit, – aber trotz dem, daß ihm das zu weiche 279 Vaterherz seines Verfertigers so überwallend entgegen schlägt, – aller Liebe zum Trotz, dem Wohlwollen zum Hohn schlägt der Gefühllose alles aus, und weiset mit Spott diese Ergießungen eines schönen Gemüthes zurück. Wahrlich, nur ein Mensch von Leder ist fähig, sich so ganz gefühllos zu betragen, und wären alle vorigen Argumente noch nicht schlagend und überzeugend gewesen, so müßte dieser letzte Zug auch den hartnäckigsten Zweifler überzeugen.

Hier steht der Kläger und dort sind seine Zeugen, die er, die Kosten nicht scheuend, aus seinem fernen Wohnort verschrieben hat. Der würdige Klagende verlangt, daß ihm, zum schreckenden Beispiel für alle Vagabonden dieser Art, sein ehemaliger Adonis, Apollo, Amor, Cupido, Robin Hood, oder bairischer Hiesel (weil man ihn nicht unpassend mit allen diesen Namen nennen könne) wieder von hiesiger Stadt ausgeliefert und dieser Angeklagte ihm, dem rechtmäßigen Herrn und Verfertiger desselben, als rechtmäßiges Eigenthum zuerkannt werde. Er verlangt ferner, daß Angeklagter nachweise, wo er den schönen grünen Rock nebst dem vergoldeten Hirschfänger gelassen, daß er eben so einen köstlichen Hut sammt einem merkwürdigen Schießbogen wieder herbei schaffe, welcher ihm damals ist anvertraut worden. Kläger behauptet, daß er sich nicht unterstehe, eine Figur, wie diese gewesen, unter zweihundert Thalern wieder herzustellen. Sei ihm also Angeklagter erst ausgeliefert worden, wie er von dem hochweisen Rath und den gewissenhaften Geschwornen mit fester Sicherheit erwarte, so würde sich dann finden, wie er sich mit seinem rebellischen Kunststück vertragen könne, und welch' ein billiger Vergleich zwischen beiden statt finden möge. Und mit diesem Worte beschließe ich als Ankläger meine Rede. –

Eine Pause. Von den Tribünen sahen Alle mit gespannter Erwartung auf Ledebrinna hinab. Pankratius, der 280 Leibarzt, hielt ein ellenlanges Fernrohr vor sein Auge, um den Angeklagten noch schärfer beobachten zu können.

Ambrosius näherte sich auf einen Wink des Syndikus dem Legationsrathe und sagte: Ich betheure noch einmal, daß dieser Mann mir eigenthümlich zugehört. – Ein kleiner, stammelnder Mann trat näher und besichtigte den Angeklagten, er war derjenige, der das gebrannte Leder geliefert und beim Lackiren und Firnissen geholfen hatte. An dieser Narbe im Ohrläppchen, sagte er stammelnd, erkenne ich den Kauz wieder, denn wir wollten ihm erst Ohrringe einhängen, und ich hatte schon das Loch gebohrt, aber der Herr Senator meinte dann, das würde ihm ein zu weibisches Ansehn geben. So strichen wir's denn mit dem Lack zu. Aber die Narbe ist hier noch zu sehn.

Ein Zweiter kam und sagte: Ich habe als Drechsler einige künstliche Räder gemacht, damit er die Arme hübsch leicht bewegen und wie lebendig aussehn kann, die sitzen ihm aber in Schulter und Brust; wir können ihn nur nicht aufmachen und nachsehn.

So ist es, sagte der Schlossermeister. Ich habe die elastischen Schienen und feinen Springfedern inwendig verfertigt, aber wie soll man sie jetzt herausnehmen, ohne dem Herrn Legationsrath Schaden zu thun?

Wäre nur meine Tochter hier, sagte Ambrosius: sie liebte ihn so und trug sein Bild so treu im Herzen und Gemüth, daß sie das beste Zeugniß ablegen könnte. Ich hoffe, sie kommt in diesen Tagen.

Meine Herren Richter und Geschwornen, sagte der Syndikus, in drei Tagen versammeln wir uns wieder, dann wird der gelehrte Herr Ubique die Vertheidigung des Angeklagten übernehmen, und zugleich wird an dem Tage, so hoffe ich, dieser höchst merkwürdige Prozeß geschlossen werden können.

281 Alles erhob sich. Vor der Thür begegnete Ubique, welcher den Legationsrath führte, dem Prinzen, und Beide machten ihm eine tiefe Verbeugung. Der Prinz sagte kurz: Sehr angenehm, ein andermal. Er wendete sich dann zum Kammerherrn und flüsterte: Schlimm Umgehn mit solchen Gelehrten, man weiß nie ihre Herkunft, – der soll nun gar – Pankratius verbeugte sich und sprach: Es scheint viel Leder und dabei noch einige Dunkelheit in der Geschichte zu herrschen.

Auf der Straße betrachtete Alt und Jung den wohlbekannten Ledebrinna so genau, als wenn sie ihn noch niemals gesehn hätten.



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