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Wenn du dich noch daran erinnerst, lieber Leser, so langweilten wir uns tüchtig zusammen, als wir uns zuletzt sahen. Ich verließ dich gähnend, du verließest mich, als ich fort ging, um auswärts zu essen.
Es war bei einem meiner Freunde. Er ist verheiratet, Familienvater und ebenso glücklich und heiter wie ich es nicht bin. Er und seine junge Gattin überhäuften sich mit Liebesbeweisen; die Blicke, die sie einander zuwarfen, strahlten von wahrer Zärtlichkeit, und an vielen kleinen Aufmerksamkeiten, an tausend scheinbar unbedeutenden Dingen konnte ich die enge Gemeinschaft ihrer Seelen erkennen. Der eine machte dasselbe Gesicht wie der andere; der eine trank nur wenn der andere auch trank; das Brotkrümel, das der eine absichtlich liegen ließ, begehrte, ergriff und verzehrte heimlich der andere, und so, ganz eingenommen von ihrer Liebe, sprachen sie mich nur der Form wegen an, und ich kam mir wie ein lästiger Dritter vor, der höchstens dazu da war, um eine reizvolle Abwechslung in ihre ständigen zarten Liebesbezeigungen zu bringen.
Ich langweilte mich ordentlich, und um so mehr, als ich mich trotz meiner selbst langweilte, gegen meine bessere Absicht, ungeachtet der Ratschläge, die ich mir innerlich selbst erteilte. Suche doch, sagte ich zu mir, suche doch diesem holden Schauspiel Geschmack abzugewinnen, ziehe eine Lehre daraus für dich selbst, lerne es, dieses ebenso glückliche wie liebenswürdige Paar zu beneiden, ja, beneide sie um ihr Glück, das du, wenn du nur willst, dir selbst bald verschaffen kannst. – Bitte, antwortete ich dieser wackeren Stimme, lerne zu schweigen. Du ähnelst meinem Paten. Mein Pate ist es, der dich so reden heißt. Laß mich dieses einfache Kotelett in Frieden essen; das ist für den Augenblick mein einziger Genuß, mein alleiniges Begehren.
Soviel ist sicher, einer der Umstände, die dem guten Einfluß unserer innerlichen Selbstvorwürfe am meisten schaden, ist der Klang der Stimme, ist die Gestalt, die wir ihnen im Geiste geben. Während sehr langer Zeit habe ich die innere Stimme meines Gewissens nicht von der Stimme meines Hauslehrers unterscheiden können. So glaubte ich, wenn mein Gewissen zu mir sprach, es in schwarzem Gewande, mit schulmeisterlicher Miene, eine Brille auf der Nase, vor mir zu sehen. Die Folge davon war, daß, sobald mein Gewissen mich abzukanzeln begann, ich mich ihm in einem zwar sehr achtungsvollen, zugleich aber denkbar unverschämten Ton widersetzte und nur aufs eifrigste bedacht war, mich seinem Einfluß zu entziehen und anders zu handeln, als es mir anriet. Ich habe daraus eine Lehre gezogen, die ich hoffentlich noch einmal praktisch verwerten kann: nämlich, meinen Kindern einen Hauslehrer zu geben, der so liebenswürdig, so nachsichtig, so voller natürlicher Herzensgüte, so frei von Pedanterie und allem gekünstelten Wesen ist, daß, wenn ihr Gewissen später die Gestalt dieses würdigen Mannes annimmt, es nur um so mehr Rechte für sich beanspruchen kann, sie zu leiten und sich ihnen vernehmlich zu machen. Ach, wie bedauerlich ist es doch, daß ich bei so weisen Plänen für die Erziehung meiner Kinder eine so unbeständige Neigung zur Heirat besitze!
Ich aß also mein Kotelett. Als ich damit fertig war und keinen Hunger mehr hatte, wartete ich ungeduldig auf das Ende der Mahlzeit, das meine glücklichen Wirte immer wieder hinauszögerten, und nicht etwa nur durch Gespräche.
Welcher Gleichklang in ihrem Appetit! dachte ich; aber vor allem, was für ein Appetit! Ist es denn möglich, daß man so viel essen kann, wenn man sich liebt? Das ist also das Ziel, zu dem einen die eheliche Liebe hinführt? O, wie verschieden ist sie von der leidenschaftlichen Liebe, deren Zauber in der Unruhe besteht, die von ihren Gedanken allein lebt und sich aus dem eigenen Feuer Nahrung holt! Und du solltest je daran denken, Eduard (das ist mein Rufname), du solltest je daran denken...
»Sie sind so nachdenklich,« sagte da plötzlich die junge Gattin meines Freundes verbindlich zu mir. »Was fehlt Ihnen?«
»Er ist traurig,« antwortete mein Freund statt meiner, »wie es alte Junggesellen sind. Übrigens, wie steht es mit deinen Liebschaften, Eduard?«
»Sie haben weit geringere Fortschritte gemacht, als die eurige,« sagte ich.
»Teufel auch! Das will ich hoffen!«
»Ich auch.«
Ich weiß nicht wie mir dies unartige Wort entschlüpfte. Mein Freund schwieg; seine Frau sprach von etwas anderem; und ich, ich schämte mich, war zornig auf mich selbst, machte stillschweigend Brotkügelchen und bedauerte bitterlich, nicht bei mir gegessen zu haben, wo ich niemanden vor den Kopf gestoßen haben würde. Sobald ich es ohne zu große Unhöflichkeit tun konnte, verabschiedete ich mich und eilte nach Hause.
Dort fand ich ein gutes Feuer. Ich zog meinen Zahnstocher hervor; mir ersetzt er die Zigarre. Indem ich mich so erholte, dachte ich an meinen Freund und Familienvater; im Geiste vergegenwärtigte ich mir wieder sein Aussehen, seinen Ton, seine Art zu sprechen, und beglückwünschte mich nun beinahe wegen der schroffen Erwiderung, die mir entwischt war. Im Grunde besteht ein geheimer Groll zwischen jungen Ehemännern und alten Junggesellen; wenigstens kann es zwischen ihnen keine vollständige und innige Seelengemeinschaft geben. Die jungen Ehemänner beklagen den alten Junggesellen; aber ihr Mitleid ähnelt zum Verwechseln dem Spott. Der alte Junggeselle bewundert den jungen Ehemann; aber seine Bewunderung ist nur um Haaresbreite vom Hohn entfernt. Ich sagte mir daher, daß ich wohl getan, ihren schlechten Scherzen die Spitze abzubrechen und daß, wenn ich bei meinem Ausfall etwas derb geworden, auch dies mein Recht war, das Recht des Schwächeren, da ich doch einer gegen zwei gewesen.
»Gnädiger Herr!«
»Was gibt's?«
»Ach, gnädiger Herr!«
»Nun?«
»Es läutet ›Feuer‹!« »Es wird nichts sein.«
»Vier Häuser, gnädiger Herr!«
»Wo denn?«
»In der Vorstadt.«
»Bring mir warmes Wasser zum rasieren.«
»Der gnädige Herr wollen...«
»Ich will mich rasieren.«
»Hören der gnädige Herr das Geschrei?«
»Ja.«
»Soll ich dem gnädigen Herrn trotzdem warmes Wasser bringen?«
»Ja doch, Dummkopf! Verlangst du etwa, daß ich mich des Feuerlärms wegen nicht rasiere...?«
Es ist doch wirklich ein schönes Ding um die Versicherungsgesellschaften, dachte ich und entfernte meine Halsbinde. Da können die Leute ruhig mit verschränkten Armen zusehen, wie ihre Häuser abbrennen. Für ihre verfallenen Baracken tauschen die Spitzbuben neue Häuser ein. Ein wenig Unannehmlichkeit mag ja damit verbunden sein, das ist wahr; aber was ist das im Vergleich zu früher? Übrigens trifft es sich heut noch glücklich für die Gesellschaften, daß der Wind nicht stärker weht... »Nun, bringst du mir warmes Wasser?«
»Hier ist es!«
»Ich glaube gar, du zitterst.«
»Ach, gnädiger Herr!... sechs Häuser!... alle in Flammen ... Man fürchtet schon für das neue Viertel ... und meine Mutter wohnt ziemlich nahe bei dem Feuer!«
»Weißt du denn nicht, daß, abgesehen von den freiwilligen Gaben, die stets reichlich fließen, diese Häuser sämtlich versichert sind?«
»Ja, gnädiger Herr, aber meine Mutter besitzt nur ihr Mobiliar. Wenn der gnädige Herr...«
»Du willst hingehen? Aber ich werde dich hier brauchen. Na, meinetwegen. Lauf, komm bald wieder, um mir zu berichten, wie es steht, und auf dem Rückwege kaufe mir Eau de Cologne.«
Nun begann ich, mich zu rasieren und zwar mit besonderem Interesse, weil ich eine neue, vervollkommnete Seife versuchte. Der Schaum erschien mir ebenso reichlich und kräftig, wie der Geruch zart und lieblich; nur kam ich nicht recht vorwärts, da das Wasser nicht warm genug war, und verfluchte die Feuersbrunst, die schuld daran hatte. Währenddessen läuteten alle Glocken der Stadt zusammen. Unheimliche Rufe ertönten aus den benachbarten Straßen, Trupps von Männern kamen und bemächtigten sich der städtischen Feuereimer, die mir gegenüber in einem Schuppen aufbewahrt werden. Bei diesem Geräusch ging ich ans Fenster, erfüllt von einer köstlichen geheimen Erregung, die uns tumultuarische Auftritte so oft verursachen. Es war dunkel draußen, so daß ich die Männer nicht sah; aber am Himmel bemerkte ich einen rötlichen Schein, gegen den sich die Dächer und Schornsteine der Häuser in undurchdringlichem Schwarz abzeichneten. Einige Reflexe reichten bis zu dem dicken Turm der Kathedrale, von deren Spitze die Glocken ihre Klangwellen entsandten, bald mit mächtigem Brausen, bald mit entferntem Murmeln, je nachdem der Schlegel von einer oder von der entgegengesetzten Seite das Erz traf. Wie herrlich! sagte ich zu mir selbst und trat wieder vor den Spiegel, um mich fertig zu rasieren.
Es war das ein sehr langsames und sehr peinliches Geschäft, da eine kleine, erst halb vernarbte Schnittwunde am Rande des Kinns die größte Behutsamkeit erforderte. Zudem eilte ich immer wieder ans Fenster, um die Größe des roten Lichtscheins zu beobachten, der ständig zunahm. Schon hoben sich Garben glühender Asche hoch in die Lüfte, um darauf anmutig mit all dem Glanz eines Riesenfeuerwerks zur Erde zu sinken. In der Tat, dachte ich, das muß ein schöner Anblick sein. Ich habe nicht übel Lust, dort vorbeizugehen, bevor ich mich ins Kasino begebe. Ich beendete deshalb eilig meinen Anzug, hing meinen Mantel um, zog weiße Handschuhe an und lenkte meine Schritte nach der Vorstadt. In den Straßen zeigte sich niemand, die Läden waren geschlossen; ich begegnete nur zwei oder drei Fuhrwerken, die einige meiner Bekannten in das Kasino brachten.
Ich kam bald in der Vorstadt an. Das Unglück war schrecklich, der Eindruck erhaben. Vier oder fünf Dachstühle, die Feuer gefangen hatten, schleuderten wahre Wirbelwinde von Flammen und Rauch zum Himmel empor, und inmitten dieses unheimlichen Anblicks beleuchtete eine festliche Helle die Uferdämme, die Brücken und die Tausende von Menschen, die in dem Gewühl und Geschrei ihre Tätigkeit entwickelten. Die Einwohner der bedrohten Häuser warfen ihre Möbel aus den Fenstern heraus oder trugen ihre kostbarsten Habseligkeiten durch die Menge in ein nahe gelegenes Gotteshaus, das man zu diesem Zweck geöffnet hatte. Lange Reihen von Männern, Frauen und Kindern stellten die Verbindung mit dem Fluß her und ließen so die gefüllten Eimer zu den Spritzen gelangen, deren gleichmäßiges Geräusch die Rufe der Menge übertönte. Mitten auf der Brandstätte schlugen Männer mit ihren Beilen brennende Balken zusammen. während andere von der Höhe benachbarter Häuser den zischenden Strahl der Spritzen in die Mitte der unermeßlichen Glut richteten.
»Weiß man,« fragte ich einen sehr geschäftigen Biedermann, »weiß man, wie das Feuer entstanden ist?«
»Gehen Sie an die Kette,« sagte er mir.
»Sehr schön, aber antworten Sie mir, weiß man...«
»Ihr Diener von ganzem Herzen.«
Der Mann erschien mir von einer eigenartigen Grobheit, und ich begann den schlechten Ton der unteren Klassen zu beklagen, der heute so gewöhnlich ist, daß ein wohlerzogener Mensch es kaum wagen kann, selbst in der höflichsten Weise einen Vorübergehenden anzureden. Aber schon unterbrach eine andere Stimme meine Überlegungen.
»He! der Liebhaber mit den weißen Handschuhen, hier brauchen wir etwas Hilfe; man wird Ihnen Platz machen.«
Lebhaft verletzt über diese unverschämt vertrauliche Anrede, ging ich auf die andere Seite der Straße.
»Hierher, hierher! Posten, bringen Sie uns doch mal den hübschen Burschen her.«
Entrüstet schwenkte ich nach links herüber.
»Hallo, hierher der Marquis!«
Aufgebracht wandte ich mich nach rechts.
»Lump, wenn du nicht gleich kommst, um hier zu arbeiten, so werd' ich dir was zu saufen geben.«
Aufs tiefste in meinen ehrbarsten Gefühlen verletzt, beschloß ich, diese abscheuliche Gesellschaft zu verlassen und stehenden Fußes ins Kasino zu gehen. »Hier ist kein Durchgang,« sagte da eine Schildwache und verlegte mir den Weg mit ihrem Gewehr.
»Gestatten Sie, mein Herr, Sie müssen doch an meinem Anzug sehen, daß Ihre Weisung sich nicht auf mich beziehen kann. Ich will ins Kasino.«
»Ins Kasino! Himmeldonnerwetter, sehen Sie denn nicht, daß es hier an Armen fehlt? Marsch an die Kette!«
»Wissen Sie auch, mein Freund, daß Sie Ihre ungeschliffene Grobheit zu bereuen haben könnten? Ich will davon absehen, nach Ihrem Namen zu fragen, aber geben Sie mir jetzt augenblicklich den Weg frei.«
»Ich heiße Louis Marchand und fürchte Sie nicht. Ich bin Jäger im fünften Bataillon, Hauptmann Ledru. An die Kette, Canaille, glauben Sie denn, daß die braven Leute dort im Wasser zu ihrem Vergnügen arbeiten? Sie Kasino, Sie! Tanzen gehn wollen, nicht wahr? Während die Frauen hier vor Kälte schauern.«
Während dieser Erörterung stürzten die vom Feuer erfaßten Dachstühle mit schrecklichem Krachen zusammen, dem ein Augenblick allgemeinen Stillschweigens folgte. Die ganze Menge hatte die Arbeit eingestellt und blickte gespannten Auges auf dieses Schauspiel. Man vernahm deutlich das Knistern der Flammen, mit dem sich das dumpfe Rollen einer Spritze vermengte, die soeben aus einer entfernten Gemeinde herankam. Ein Mann zu Pferde sprengte herbei und rief: »Mut! Mut, meine Freunde, man wird des Feuers bald Herr sein.« Mehrere Leute umringten ihn sofort und ich hörte, wie er zu ihnen sagte: »Das Feuer breitet sich auch im ›Neuen Viertel‹ aus; eben ist der große Heuspeicher ergriffen worden. Es fehlt an Arbeitskräften. Drei Leute sind umgekommen...« Dann galoppierte er weiter und verschwand. »An die Arbeit!« rief man von allen Seiten, »an die Arbeit! Das Feuer ist im ›Neuen Viertel‹«. Ich wurde von der Menge mitgerissen und bildete bald ein Glied der unabsehbaren Kette.
Zuerst hatte ich gar keine Zeit, zur Besinnung zu kommen. Die Eimer folgten einander mit ununterbrochener Schnelligkeit, und aus Mangel an Gewöhnung oder Geschick gab ich jedem einen Stoß, der das Wasser gegen mich spritzen ließ, zum Schaden meines Anzugs.
Ich war darüber sehr ärgerlich, denn ich hatte noch keineswegs dem Plan entsagt, ins Kasino zu gehen. Ich wollte meine Handschuhe ausziehen, aber sie klebten so fest an meinen Händen, daß ich auf diese Verrichtung, zu der ich mehr Zeit gebraucht hätte, als man mir dazu ließ, verzichten mußte. Mein Platz war auf dem Uferweg ganz nahe an der Stelle, wo die Kette bei dem Fluß endete, an einer Treppe, die zum Wasser hinabreichte. Dort standen Männer in Blusen trotz der heftigen Kälte bis zu den Knien im Wasser und füllten beim Scheine einer Fackel ohne Unterlaß die Eimer. Und wenn die Kette auf dem steilen Abhang vom Ufer bis zu ihnen sich staute, so ergoß sich ein Teil des Wassers, das sie den über ihnen Stehenden reichten, auf ihre Schultern zurück. Um mich herum befanden sich zumeist Frauen jeden Alters, aber nicht jeden Berufs; Handlanger, Arbeiter, einige Herren vervollständigten den Rest der Kettenglieder. Obgleich wir ziemlich weit von der Brandstätte entfernt waren, trug der Wind, der nach unserer Seite stand, einen Funkenregen herbei, der den Eindruck der traurigen Szenerie noch erhöhte.
Einige Augenblicke lang fühlte ich mich noch verletzt und beschimpft und dachte nur daran, in den Sälen des Kasinos die meiner Würde zugefügten Beleidigungen zu vergessen. Aber nachdem ich einmal, fast gewaltsam in den Mittelpunkt dieses für mich neuen Schauspiels versetzt war, nahmen meine Gedanken ganz allmählich eine andere Richtung; und trotz Kälte, Wasser und Widerwillen unterwarf ich mich schließlich dem Gebot der lebhaften Empfindungen, die mich mit sich fortrissen, und deren kräftiger Zauber mir bisher unbekannt gewesen war. Ein Gefühl brüderlicher Zusammengehörigkeit, der muntere Eifer der Arbeit, das Bewußtsein, nützlich zu sein, bewirkten, daß um mich eine von Herzen kommende Fröhlichkeit herrschte, die sich in harmlosen Scherzen und kleinen Zügen selbstloser Aufopferung äußerte.
»Na, gute Frau, geben Sie mir Ihren Platz, gehen Sie zu den leeren Eimern.«
»Lassen Sie nur, Freund, ich bin Wäscherin: die Arme im Wasser, das ist mein Gewerbe ...«
»Na, die weißen Handschuhe da! So sieht der Ball nicht aus, zu dem Sie gehen wollten. Möchten Sie Ihren Platz nicht wechseln?«
»Sehr freundlich, lieber Mann! Ich fange eben erst an.«
»Mut, meine Freunde! Das macht die Arme geschmeidig. Potz Blitz, ihr Wäscherinnen, unsere Hemden werden ohne euch gewaschen: mein Hemd ist aufgeweicht. Ist aber gleichgültig. Vorwärts! eins, zwei, drei, links!«
Ein Mann tritt auf mich zu. »Willst du trinken, du?« sagt er zu mir.
»Ich will schon, mein Freund, aber erst nach denen hier, nach dieser guten Frau, die sehr viel länger arbeitet als ich.«
»Nein, nein, trinkt nur, trinkt, ohne Umstände.«
Und ich trinke das beste Glas Wein, das ich in meinem Leben getrunken habe.
Während ich mich solchen Empfindungen überließ, fühlte ich mich gleichzeitig mehr und mehr von Hochachtung für diese Blusenmänner durchdrungen, deren Fackel mir gestattete, ihre unermüdliche und harte Arbeit zu beobachten. Bei ihnen waren nur der Eifer, die Selbstverleugnung, die einfache und doch so große Hingebung des Arbeiters, der seine unentbehrlichen Dienste selbst zu niedrigem Preise einschätzt, der Antrieb zu ihrer uneigennützigen Tätigkeit. Sie konnten nicht miteinander plaudern, nicht teilnehmen an der Fröhlichkeit, die in unseren Reihen herrschte; sie konnten die grausige Schönheit der Feuersbrunst nicht bewundern, keine Belohnung in den Blicken der Menge finden. Heute, dachte ich, im Schatten der Nacht, verrichten diese Wackeren den schwersten Teil der Arbeit; morgen, in der Helle des Tages, werden sie unerkannt in die unscheinbaren Reihen ihrer Genossen zurückkehren ... Und hohe Achtung, begeisterte Bewunderung, dankbare Verehrung ergriffen mein Herz mit Macht; ich hätte vor ihnen in die Knie sinken können: ich fühlte mich mehr geehrt, daß ich ihnen helfen durfte, als jemals durch das Lächeln der Großen, die schmeichelhafte Aufnahme bei den Mächtigen. In diesem Augenblick sah ich die Wagen, die ich an diesem Abend auf der Fahrt nach dem Kasino getroffen, vor meinem geistigen Auge; stolzeste Verachtung traf die Insassen und ich empfand mit Entzücken die Genugtuung, daß mein Egoismus mich nicht wie jene in die fade Gesellschaft von Müßiggängern getrieben hatte, sondern daß ich die Gemeinschaft mit Wäscherinnen und Arbeiterinnen vorgezogen hatte.
Du siehst, lieber Leser, ich hatte die Rollen völlig vertauscht. Ich war nicht mehr der abgestumpfte, gelangweilte Mensch, den du kennst; ich war nicht mehr der »Herr«, der einer Feuersbrunst wie einem merkwürdigen Schaustück zusehen wollte; ich war nicht mehr der Müßiggänger, der von den Arbeitern beschimpft wurde; im Gegenteil, ich war infolge einer Verwandlung, die für dich, der du meine Geschichte liest, ziemlich spaßhaft sein muß, jetzt am erbittertsten gegen die Vorübergehenden, die ich von meinem Platze aus umherirren sah, ohne sich an der Arbeit zu beteiligen. »He, der Liebhaber,« rief ich ihnen zu, »hierher, hier ist Platz; treten Sie in die Reihe ein, meine Herren. Unwürdiges Pack! Sehen diese Männer seit sechs Stunden im Wasser und können mit untergeschlagenen Armen dabeistehen. Hallo, Posten, den Kolben gegen diese Nichtstuer! Gute Frau, ist es nicht eine Schmach? Aber Sie, mein Fräulein, ich beschwöre Sie, ziehen Sie sich zurück, die Kälte ist streng. Sie sind zu jung für diese Arbeit.«
Das junge Geschöpf, an das ich mich wandte, stand mir gegenüber. Ich hatte sie zuerst inmitten der Unordnung und Finsternis nicht bemerkt. Aber seit der zunehmende Feuerschein gestattete, die Gesichter zu unterscheiden, hatten ihre Gesichtszüge, ihre Jugend und das zarte Weiß ihrer Hände meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, ebenso auch das sanfte Mitgefühl, das ich in ihren Augen schimmern sah, so oft sie diese den Flammen zuwandte. Unmerklich hatten sich alle Eindrücke, die ich soeben beschrieben habe, mit dem Gefühl verschmolzen, das ich beim Anblick dieses schönen, jungen Mädchens empfand, das herbeigeeilt war, um ihre schwachen Arme in den Dienst der arbeitenden Menge zu stellen. Ein zärtliches Mitleid für sie durchdrang mich, und wiewohl diese Empfindung mich dazu trieb, ihr zu raten, daß sie sich entferne, so fühlte ich doch, wie ihre Abwesenheit mir einen süßen Rausch nehmen und den ganzen Schauplatz entzaubern würde, auf dem ich unerwartet so lebhafte Gemütsbewegungen empfunden hatte.
Sie antwortete mir nur mit einigen Worten, aus denen ich entnahm, daß sie auf ihre Mutter wartete, um sich zu entfernen, und daß eine sehr natürliche Verlegenheit sie veranlaßte, lieber zu bleiben, als allein oder unter dem Schutze eines der Männer aus ihrer Umgebung nach Hause zu gehen. Indessen schien sie mehr und mehr unter der Kälte zu leiden; auch ihre Nachbarn merkten, daß ihre schwachen Kräfte für die Tätigkeit in der Kette nicht mehr ausreichten. Einer von ihnen, der mich die »weißen Handschuhe« genannt hatte, sagte zu ihr: »Arme Kleine, lassen Sie uns nur machen, gehen Sie nach Hause und wärmen Sie sich. Wollen Sie, daß ich Sie begleite? Wer nimmt meinen Platz?«
»Nehmen Sie den meinigen,« rief ich, »ich werde sie nach Hause bringen.«
»Mit Vergnügen, mein Herr mit den weißen Handschuhen. Gute Reise; und wir, an die Arbeit! Aufgepaßt ihr Leute! Erste Bewegung! Zweite Bewegung! Der Schurke dürfte eigentlich keinen Durst mehr haben. Bravo, Mutter Babi, für Sie das Ehrenkreuz! Wenn der Teufel birst, sind Sie es, die ihn zum Platzen gebracht hat. Nun eine Prise, und dann vorwärts!«
Während Lachsalven die fröhlichen Scherze dieses wackeren Mannes begleiteten, hatte ich die eisige Hand des jungen Mädchens gefaßt und entfernte mich mit ihr von der Kette nach den dunkleren Straßen, in die der Feuerschein nicht mehr drang. Ich befand mich in einer so lieblichen Verwirrung in dem Bewußtsein, der einzige Beschützer dieses liebenswürdigen Mädchens zu sein, daß ich ganz vergaß, mich bei ihr nach ihrer Wohnung zu erkundigen, zu der ich sie doch bringen wollte. Sie ging zunächst sehr eilig vorwärts, dann mäßigte sie allmählich ihre Schritte und blieb nach einer Weile, wie benommen, stehen. Ich konnte nicht unterscheiden, ob innere Bewegung oder ein durch die Anstrengung hervorgerufenes Übelbefinden die Ursache war. Jedenfalls unterstützte ich sie mit der einen Hand, hakte mit der andern meinen Mantel los und legte ihn ihr um, hocherfreut, ihn in so angenehmer Weise verwenden zu können. Einige Augenblicke darauf sagte sie mit sichtlicher Anstrengung und einer kindlich furchtsamen Stimme, deren Klang mein Ohr bezauberte: »Mein Herr, da ich meine Mutter nicht treffe, so gestatten Sie, daß ich allein nach Hause zurückkehre.«
»Diese Bitte kann ich nicht erfüllen,« erwiderte ich, »wie sehr ich auch wünsche, Ihnen nicht zu mißfallen. Sie sind leidend; ich werde Sie nicht eher verlassen, als bis Sie zu Hause sind und dort alle die Sorgfalt finden, die Sie brauchen. Bis dahin, bitte, vertrauen Sie sich mir an; Ihre Jugend flößt mir ebenso große Hochachtung wie warmes Interesse ein.«
Sie antwortete nichts, und wir setzten unseren Weg fort. Ich fühlte, wie ihr Arm auf dem meinen zitterte und wie eine schamhafte Verwirrung ihre Schritte beschleunigte. Vor einem Hausflur ließ sie mich los und sagte: »Hier ist es; es bleibt mir nur übrig, Ihnen zu danken, mein Herr...«
»Werden Sie Ihre Mutter oder jemand anderen antreffen?«
»Meine Mutter muß gleich kommen; ich danke Ihnen, mein Herr.«
»Dann erlauben Sie, daß ich mich davon überzeuge. Im Augenblick, glaube ich, ist niemand in Ihrer Wohnung, und in der Nachbarschaft bemerke ich nicht ein einziges Licht. Bitte, gehen Sie voran. Es erscheint mir angemessener, daß ich Sie selbst Ihrer Frau Mutter übergebe, als wenn sie erfährt, daß ein Unbekannter Sie zurückgebracht hat.«
Während ich so sprach, war das furchtsame Kind beim Anblick eines Vorübergehenden in den Hausflur hereingetreten, wohin ich ihr folgte. An diesem dunklen Orte wagte ich es nun nicht mehr, ihr meinen Arm anzubieten oder sie durch meine Annäherung einzuschüchtern. Als ich aber bei einer Biegung der Treppe eine Stufe verfehlte, reichte sie mir unwillkürlich ihre Hand, und als ich sie ergriff, durchzuckte es mich wie ein süßer Rausch, der uns wie der Vorgeschmack der wahren Liebe erscheint, und den ich inmitten der gekünstelten Gefühle und Anschauungen der großen Welt noch nicht empfunden hatte.
Als wir bis zur dritten Etage gekommen waren, öffnete das junge Mädchen eine Tür. Ich glaubte zu bemerken, daß sie einige Tränen vergoß. »Haben Sie Kummer?« fragte ich.
»Nein, mein Herr ... aber ... ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll. Sie zu bitten, mich jetzt allein zu lassen... Es scheint mir, als dürften Sie zu dieser Stunde hier nicht eintreten.«
»Ich werde auch nicht eintreten,« antwortete ich, »wenn es Ihnen so sehr peinlich ist; aber ich werde hier warten, bis Ihre Mutter zurück ist. Treten Sie ein, machen Sie Licht, ruhen Sie sich aus und gönnen Sie mir, wenn ich auf der Schwelle bleibe, das beglückende Bewußtsein, Sie zu bewachen, bis ein anderer mich ablöst.«
Sie legte meinen Mantel neben mir nieder, trat ein, und bald darauf erhellte ein Licht einen bescheidenen Raum, eine reinliche, gut aufgeräumte Küche, in der einige elegante Möbel von den Küchengeräten abstachen, die auf den Simsen glänzten.
In diesem Augenblick konnte ich die Züge des jungen Mädchens nicht erkennen; aber ihr Schatten, der sich von den Vorhängen abhob, die im Hintergrunde des Zimmers einen Alkoven verbargen, ließ mich eine allerliebste Gestalt und die Anmut einer edlen, durch die Jugend noch verschönten Haltung erraten. Aus der Bewegung des Schattens hinter dem Vorhang entnahm ich, daß sie damit beschäftigt war, ihr Haar in Ordnung zu bringen. Locken fielen auf einen Hals, dessen zierliche Schönheit mir schon beim Schein des Feuers aufgefallen war. Wie unvollständig dieser Anblick auch war, mir erschien er bezaubernd, und von Sekunde zu Sekunde überließ sich mein Herz mit wachsender Hingebung der Süßigkeit eines Gefühls, das mich mit Entzücken erfüllte.
Inzwischen verrannen die Minuten in vollständigem Stillschweigen. Der Schatten allein verriet mir etwas von derjenigen, deren Anblick meinen ungeduldigen Augen versagt blieb. Ich sah, daß sie sich hingesetzt hatte und den Kopf auf die Hand stützte. Aber ein Zittern, das ich zuerst der zuckenden Flamme des Lichts zuschrieb, erweckte beunruhigende Vorstellungen in mir. Angstvoll betrachtete ich ihre Gestalt. Es schien mir, als neige sie sich vornüber und richte sich nur mit Anstrengung wieder empor, auch glaubte ich einige unterdrückte Seufzer zu hören. Schließlich konnte ich meine Angst nicht mehr bemeistern, ich trat schnell ein und sah, wie das junge Mädchen, blaß, mit erloschenen Augen der Ermüdung, dem Übelbefinden und der Verwirrung zu erliegen drohte. In einem Nu hatte ich sie in meine Arme genommen und trug sie auf das Bett, das durch die Vorhänge des Alkovens verdeckt wurde. Ich breitete eilig meinen Mantel über sie und suchte unter den in der Küche befindlichen Gegenständen etwas Essig, mit dem ich ihre Stirn und Schläfen sanft befeuchtete.
Der Zustand des jungen Mädchens beunruhigte mich, und meine eigene Lage brachte mich in Verlegenheit: nicht, daß sie mir nicht reizvoller erschienen wäre als irgendein früheres Erlebnis, sondern weil sie dazu angetan war, gerade diejenige bloßzustellen und zu betrüben, die mir schon so teuer geworden war. Als meine fürsorglichen Bemühungen ihr einige Erleichterung verschafften, machte sie mit ihrer hübschen Hand Zeichen, die mir die rührende Angst ihrer mädchenhaften Scham verrieten. Darauf entfernte ich mich von dem Bett und sehnte mit allen meinen Gedanken die Rückkehr der Mutter herbei, die allein den angstvollen Beklemmungen der jungen Kranken wirksam hätte steuern können. Mehrmals glaubte ich auf der Schwelle des Hauses ein Geräusch zu hören, das ihr Kommen ankündigte, aber meine Erwartung wurde jedesmal getäuscht und ich fiel bald in meine Bestürzung zurück.
Nach einigen Augenblicken des Stillschweigens zog ich leise den Vorhang beiseite und sah, daß das junge Mädchen friedlich eingeschlafen war. Getrieben von einem Bedenken, das ich begriff, hatte sie meinen Mantel entfernt und sich in die Bettdecke eingehüllt. Ich konnte dem Wunsch nicht widerstehen, ihre Züge zu betrachten; ich holte daher das Licht, und nun konnten meine Augen sich an dem Anblick ihrer Schönheit weiden, die durch einen Ausdruck lässiger Anmut und den sanften Schimmer rührender Blässe noch erhöht wurde. Einige lose Haare verdeckten zur Hälfte ihre jungfräuliche Stirn, während ihr zarter Hals auf den in Unordnung geratenen Flechten ihres langen Haares ruhte. Noch nie hatten so holde Reize in einer so berückenden Lage mein Auge berauscht oder je mein Herz in die Trunkenheit leidenschaftlichsten Entzückens versetzt. Gleichwohl hätte ich mir eher einen Dolch in den Busen gebohrt, als es gewagt, dieses unberührte rosige Antlitz durch einen Kuß zu beschimpfen. Nur niedergebeugt hatte ich mich, um ihren Atem in mich aufzunehmen, dessen sanfter Hauch genügte, mein Herz mit Balsam, meine Einbildungskraft mit dem Duft reinster Liebe zu durchdringen ...
»Das ist schändlich! Was machen Sie da? Wer sind Sie?«
Ich drehte mich um, rot und zitternd, wie im Schuldbewußtsein. »Gnädige Frau,« stotterte ich, »ich tue nichts Böses... Sie werden es selbst aus dem Munde Ihres Kindes hören, sobald der Schlaf, der ihrer Unpäßlichkeit folgte, sie erquickt hat.«
»Welche Unpäßlichkeit?« fragte sie, indem sie ihre Stimme dämpfte. »Was haben Sie hier zu tun? Ich bin nicht ihre Mutter...«
»Wenn Sie nicht ihre Mutter sind, mit welchem Recht schelten Sie, daß ich meine Sorge einem Kinde zuwende, das der Zufall meiner Hut anvertraut hat...?«
»Ihrer Hut! Schön behütet meiner Treu!!! Unwürdiger, der Sie sind ...! Führt man sich so in ein anständiges Haus ein...? Gehen Sie hinaus...!«
»Liebe Frau, es scheint mir, daß Sie sich von einem sehr häßlichen Verdacht hinreißen lassen, und statt mich zurückzuziehen, wie es meine Absicht war, sobald ich dieses kostbare Gut sicheren Händen überliefert habe, sollten Ihre Äußerungen und Ihre Blicke mich eigentlich veranlassen, noch hier zu bleiben...«
»Es ist unsere Nachbarin, mein Herr,« sagte da das junge Mädchen mit zitternder Stimme, »sie weiß nicht, wie gut Sie zu mir waren. Bitte, lassen Sie sie bei mir und empfangen Sie nochmals den Dank, den ich Ihnen schulde...«
»Ich werde es tun, da Sie mich darum bitten. Aber kann ich Ihnen noch dienlich sein, indem ich Ihre Frau Mutter suche und ihr Nachricht von Ihnen bringe?«
»Man wird sie auch ohne Sie finden,« versetzte die Nachbarin, »machen Sie nur, daß Sie fortkommen.«
Ohne dieser Frau zu antworten, nahm ich Abschied von dem liebenswürdigen Kinde; ich wünschte ihr, sie möge recht schnell wiederhergestellt sein und drückte ihr meine Absicht aus, mich persönlich bei ihrer Mutter danach erkundigen zu wollen. Dann ging ich und dachte nicht an meinen Mantel, der am Fußende des Bettes liegen geblieben war.
Ich war empört über diese Nachbarin und es kränkte mich besonders, daß ich gerade in dem einen Augenblick überrascht worden war, wo eine recht begreifliche Neugierde mich dazu getrieben hatte, mich dem Bett zu nähern. An dem Bedauern, mit dem ich mich von dieser Stätte entfernte, merkte ich, daß ich mein Herz dort gelassen hatte. Je weiter ich schritt, desto mehr erschien mir diese doch so nahe Vergangenheit wie ein entfernter Traum, den ich festzuhalten suchte; und indem ich ihn der Herrschaft neuer Eindrücke streitig machte, verirrte ich mich in den Straßen, ohne an meine Wohnung, die Feuersbrunst oder die vorgerückte Stunde zu denken. Nur der Anblick eines Vorübergehenden verursachte mir Herzklopfen. In jeder Gestalt glaubte ich die Mutter meines Schützlings zu erkennen, und ich umgab dieses unbekannte Wesen, das meiner Freundin das Leben gegeben hatte, bereits mit Achtung und Liebe. Meiner Freundin! So nannte ich sie schon in meinem Herzen, diesem heimlichen Heiligtum, wo keine Fessel die Zärtlichkeit der Sprache einengt, wo die Liebe allein die Worte vorschreibt und jedem einzelnen seine Anmut, seinen Zauber, seinen Reiz leiht.
Nachdem ich lange umhergeirrt war, befand ich mich in der Nähe der Vorstadt. Dort erst dachte ich wieder an die Feuersbrunst, und die Ereignisse des Abends traten mir im Geiste wieder vor Augen, aber nur als verwischte Eindrücke, in deren Mittelpunkt ich immer wieder das Bild des jungen Mädchens sah, mit ihren weißen Händen auf den Eimern, die schönen Augen nachdenklich auf den Glanz des Feuers gerichtet. Ich nahm meine Erinnerungen wieder vor, eine nach der andern: ich begleitete das junge Mädchen von neuem, ich hing ihr meinen Mantel um, ich ergriff in der Dunkelheit ihre Hand; aber vor allem fühlte ich mit einem Schauer den Druck ihres jungen Körpers auf meinem Arm, und dachte mit Entzücken an den Augenblick, wo ich die süße Last, in der einsamen Wohnung auf ihr Lager gebettet hatte. Während mich diese Gedanken entzückten, ging ich fast ohne Neugierde an den Stätten vorbei, die unlängst die Flamme verheert hatte. Endlich hauchte das durch die Anstrengungen der Menge gebändigte Feuer in einem Wirbelwind von schwarzem Rauch seine letzte Wut aus. Verkohlte Balken, Haufen von Trümmern und Schutt lagen durcheinander auf dem weiten Raum, auf dem noch vor wenigen Stunden Häuser standen, in denen friedliche Familien wohnten, die jetzt verzweifelt umherirrten. Einige Posten standen noch als Wache da, und eine Spritze sandte ihren einsamen Strahl auf die Stellen, wo eisige Windstöße das verlöschende Feuer wieder anfachten. Ich verließ diesen Schauplatz der Trostlosigkeit, verlor mich in der Stille und im Dunkel der Straßen und war einige Augenblicke später in meiner Wohnung.