Ernst Toller
Hoppla, wir leben!
Ernst Toller

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Fünfter Akt

Erste Szene

Gefängnis

Einen Moment sichtbar alle Zellen
Dunkel
Dann auf leuchtet

Zelle von Albert Kroll

Albert Kroll ( klopft zur Nachbarzelle). Wer ist dort?

Auf leuchtet

Zelle von Eva Berg

Eva Berg ( klopft). Eva Berg.

Albert Kroll ( klopft). Du auch?...

Eva Berg ( klopft). Heute früh.

Albert Kroll ( klopft). Und die andern?

Eva Berg ( klopft). Alle verhaftet. Warum hat Karl es getan?

Albert Kroll ( klopft). Er sagt doch nein. Wo ist Karl?

Eva Berg ( klopft). Vielleicht weiß es Mutter Meller.

Albert Kroll ( klopft). Mutter Meller? Sitzt die auch hier?

Eva Berg ( klopft). Ja. Über mir. Wart, ich klopf'.

( Geräusch an Albert Krolls Tür.)

Albert Kroll ( klopft). Achtung! Es kommt jemand.

( Zellentür Albert Krolls kreischt auf. Herein Aufseher Rand.)

Rand. Die Suppe... Machen Sie rasch. Heute ist Sonntag.

Albert Kroll. Ach, das sind Sie.

Rand. Ja, ich bin wieder Gefängnisbeamter. Man hat was Kompaktes unter den Füßen... Na, nun habe ich euch alle wieder beisammen. Bis auf Kilman. Von dem weihen sie heute das Denkmal ein.

Albert Kroll. So?

Rand. Kilman war der einzige unter Ihnen, der was taugte, das werden Sie doch zugeben. Das hab' ich ja immer gesagt.

Albert Kroll ( ißt). Fraß.

Rand. Schmeckt Ihnen die Suppe nicht? Schweinebraten gibt's zu Weihnachten. Gedulden Sie sich bis dahin.

Albert Kroll. Sagen Sie, ist Karl Thomas auch hier?

Rand. Seit gestern abend... Was der für ein Leben hinter sich hat...

( Aufseher Rand hinaus.)

Albert Kroll ( klopft). Jetzt, Eva.

Eva Berg ( klopft). Wo ist Karl?

Überall Klopfen. Wo ist Karl?

( Die Zellen dunkel.)
Auf leuchtet

Zelle von Karl Thomas

Karl Thomas. Wieder warten... warten... warten...

Auf leuchtet

Zelle von Frau Meller

Frau Meller ( klopft). Wo ist Karl?

Karl Thomas ( klopft). Hier... Wer bist du?

Frau Meller ( klopft). Mutter Meller.

Karl Thomas. Was? Die alte Mutter Meller. ( Klopft.) Wer ist noch hier?

Frau Meller ( klopft). Wir alle... Eva... Albert... Und die andern... Wegen des Attentats... Wir sind bei dir, lieber Junge...

Karl Thomas ( klopft). Weißt du noch, vor acht Jahren?

Frau Meller ( klopft). Ich versteh' ja nicht, was du getan hast... Aber ich halt' zu dir...

( Zelle von Frau Meller dunkel.)

Karl Thomas ( klopft). Hör doch!...

Auf leuchtet

Zelle des Gefangenen N.

Gefangener N. ( klopft). Nicht so laut... Denk an die Hausordnung... Du schadest uns...

Karl Thomas ( klopft). Wer bist du?

Gefangener N. ( klopft). Wenn du so weitermachst, bleibt keine Hoffnung für uns... Ich antworte nicht mehr...

( Zelle des Gefangenen N. dunkel.)

Karl Thomas. Ach du bist's... Du bist auch wieder hier?... Ich dachte, du bist tot?... Alle seid ihr wieder hier?... Alle wieder hier... Ist es so?... Der Tanz beginnt von neuem?... Wieder warten, warten, warten... Ich kann nicht... Seht ihr denn nicht?... Was treibt ihr?... Wehrt euch doch!... Keiner hört, keiner hört, keiner... Wir sprechen und hören uns nicht... Wir hassen und sehen uns nicht... Wir lieben und kennen uns nicht... Wir morden und fühlen uns nicht... Muß es immer, immer so sein?... Du, werde ich dich nie verstehen?... Du, wirst du mich nie begreifen?... Nein! Nein! Nein!... Warum zertrümmert, verbrennt, vergast ihr die Erde?... Alles vergessen?... Alles umsonst?... So dreht euch weiter im Karussell, tanzt', lacht, weint, begattet euch – viel Glück! Ich springe ab... – O Irrsinn der Welt... – Wohin? Wohin?... Näher und näher rücken die steinernen Wände... Ich friere... und es ist dunkel... und das Treibeis der Finsternis klammert mich gnadenlos... Wohin? Wohin?... Auf den höchsten Berg... Auf den höchsten Baum... Die Sintflut...

( Karl Thomas dreht aus dem Bettlaken einen Strick, steigt auf den Schemel, befestigt den Strick am Türhaken. – Dunkel.)

Zweite Szene

Gruppe vor einem verhüllten Denkmal

Graf Lande. ... und so übergebe ich dem Volke... das Denkmal dieses verdienten Mannes... der in schwerer Zeit...

( Dunkel.)

Dritte Szene

Gefängnis

Auf leuchtet

Zelle von Albert Kroll

Geräusch. Tür kreischt auf. Aufseher Rand herein

Rand. Weil Sie mal nett waren, erzähl' ich Ihnen was.

Albert Kroll. Sie brauchen nicht.

Rand. Wir sind gar nicht so. Eben ist vom Justizministerium telephoniert worden, Thomas ist nicht der Mörder. Den wirklichen haben sie in der Schweiz geschnappt. Ein Student. Wie er verhaftet werden sollte, hat er sich erschossen.

Albert Kroll. Wir werden gleich entlassen?

Rand. Heute nicht. Heute ist Sonntag... Da gratulier' ich Ihnen, Herr Kroll.

( Rand hinaus.)

Albert Kroll ( klopft). Eva! Eva!

Auf leuchtet

Zelle von Eva Berg

Eva Berg ( klopft). Ja.

Albert Kroll ( klopft). Wir werden frei! Rand hat's erzählt. Der wirkliche Mörder ist entdeckt.

Eva Berg. Kinder!... ( Klopft an der anderen Zellenwand.) Mutter Meller!

Auf leuchtet

Zelle von Frau Meller

Frau Meller ( klopft). Ja.

Eva Berg ( klopft). Wir werden alle frei. Karl hat gar nicht geschossen. Sie haben den Mörder.

Frau Meller ( klopft an der anderen Wand). Du, Karl!... Du!... Du!... Du!... ( Klopft auf den Fußboden.) Eva, Karl meldet sich nicht.

Eva Berg ( klopft). Klopf lauter.

Frau Meller ( klopft). Karl! Karl! Karl!

Eva Berg ( klopft). Albert, Karl gibt keine Antwort.

Albert Kroll ( klopft). Klopfen wir alle. Jetzt ist's so egal.

( Klopfen. Auch die anderen Gefangenen klopfen. – Stille. – Klopfen im ganzen Gefängnis. – Stille.)

Eva Berg. Er meldet sich nicht...

( In den Gängen rennen Aufseher. – Die Zellen dunkeln. – Dunkel das Gefängnis. – Die Bühne schließt sich.)


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