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Dritter Aufzug.

In Moskau. Großes Zimmer.

Darin eine Hobelbank, Tisch mit Papieren, Bücherschrank, Spiegel und ein durch Bretter verstelltes Bild.

Erster Auftritt.

Nikolai Iwanowitsch und ein Tischler.

Nikolai Iwanowitsch arbeitet mit vorgebundener Schürze an der Hobelbank. Der Tischler hobelt.

Nikolai. (nimmt ein Brett aus der Hobelbank). Ist es so gut? Tischler (stellt seinen Schlichthobel). Nicht besonders. Sie müssen stärker drücken; sehen Sie, so!

Nikolai. Sie haben gut reden. Es wird doch nichts.

Tischler. Wozu geben Ew. Gnaden sich auch mit der Tischlerei ab? Gibt heutzutage so viele Tischler, daß man nicht mehr sein Auskommen findet.

Nikolai (wieder bei der Arbeit). Man schämt sich, zu faulenzen.

Tischler. Sie haben es doch nicht nötig. Ihnen hat ja Gott Vermögen gegeben.

Nikolai. Ich bin eben der Meinung, Gott hat den Menschen nichts gegeben, sondern sie haben es sich genommen, ihren Brüdern abgenommen.

Tischler (verwundert). Das ist schon richtig. Aber für Sie hat es doch keinen Zweck.

Nikolai. Ich verstehe, daß Ihnen das wunderbar vorkommt. In diesen: Hause, wo so viel Überfluß herrscht, will jemand arbeiten.

Tischler (lachend). Nein, das nicht gerade. Die Herrschaften sind mal so; die machen alles. Jetzt fahren Sie mal mit dem Schrupphobel darüber hin.

Nikolai. Sie werden es nicht glauben, werden wieder lachen – und doch sage ich Ihnen, daß ich früher ebenso gelebt und mich nicht geschämt habe. Jetzt glaube ich aber Christi Lehre, daß wir alle Brüder sind, und geniere geniere mich so zu leben.

Tischler. Wenn es Sie geniert, verschenken Sie doch ihr Vermögen.

Nikolai. Das wollte ich; es ist mir aber nicht geglückt. Ich habe es meiner Frau übergeben.

Tischler. Sie können ja auch nicht; haben sich daran gewöhnt.

Ljuba. (hinter der Tür) Papa, darf ich herein?

Nikolai. Gewiß, gewiß du darfst immer.

Zweiter Auftritt.

Die Vorigen und Ljuba.

Ljuba (eintretend). Guten Tag, Jakob.

Tischler. Wünsche guten Tag, gnädiges Fräulein.

Ljuba. Boris ist zum Regiment abgereist. Ich fürchte, er richtet da etwas an oder sagt etwas Ungehöriges. Was glaubst Du?

Nikolai. Was kann ich glauben? Er wird tun, was sein Inneres ihm befielt.

Ljuba, Aber das ist schrecklich. Er hat nur so kurze Zeit zu dienen und richtet sich nun plötzlich zu Grunde.

Nikolai. Nur gut, daß er nicht zu mir gekommen ist; er weiß, daß ich ihm nichts anderes sagen kann, als was ihm bereits bekannt ist. Hat mir selbst gesagt, daß er deswegen seinen Abschied nähme, weil er einsieht, daß es keine gesetzwidrigere, tierisch grausamere Tätigkeit gibt als diese einzig auf Mord gerichtete, und daß nichts erniedrigender und gemeiner ist, als sich dem ersten besten rangälteren Beamten bedingungslos zu unterwerfen – er weiß das auch alles.

Ljuba. Das fürchte ich ja gerade, daß er es weiß und nun danach handeln will.

Nikolai. Darüber entscheidet sein Gewissen, der Gott, der in ihm ist. Wenn er zu mir käme, würde ich ihm den einen Rat geben: nie aus Berechnung handeln, sondern nur, wenn sein ganzes Wesen es fordert. Es gibt nichts Schlimmeres. So wollte ich dem Gebot Christi gemäß Weib und Kinder verlassen und Ihm nachfolgen und war schon im Begriff, das auszuführen. Aber was war das Ende? Das Ende war, daß ich zurückkehrte und mit euch in der Stadt von Luxus umgeben lebe. Weil ich etwas tun wollte, was über meine Kräfte ging, geriet ich in diese erniedrigende Lage ohne Sinn und Verstand. Ich will einfach leben und arbeiten; dabei in dieser Umgebung mit Türhütern und Bedienten – da muß ja eine Komödie herauskommen. Eben diesen Augenblick sehe ich, wie Jakob Nikanorowitsch mich auslacht ...

Tischler. Wie werde ich! Sie bezahlen mich, geben mir schönen Tee. Dafür danke ich Ihnen.

Ljuba. Ich denke, ob ich nicht zu ihm fahren soll.

Nikolai. Mein Liebling, Täubchen, ich weiß, daß dir das alles schwer, ja schrecklich vorkommt, obwohl es anders sein müßte. Ich bin jetzt so weit, daß ich das Leben verstehe. Und ich sage dir: es kann nichts Schlimmes geben. Alles was uns schlimm erscheint, ist für das Herz eine Freude und Stärkung. Du mußt aber begreifen, daß jemand, der diesen Weg geht, zunächst vor eine Wahl gestellt ist. Und es gibt Lagen, wo das Göttliche und Teuflische sich das Gleichgewicht halten, wo die Wage schwankt. Gerade dann geht Gottes Werk im Menschen vor sich und gerade dann ist jede Einmischung äußerst gefährlich und verhängnisvoll. Wie soll ich sagen, es ist, als ob jemand schreckliche Anstrengungen macht, um eine Last zu schleppen – dabei kann eine Berührung mit den Fingerspitzen ihm das Kreuz brechen.

Ljuba. Wozu muß man denn aber leiden?

Nikolai. Das ist gerade, wie wenn eine Mutter sagt: Wozu die Wehen? Es gibt keine Geburt ohne Wehen. Dasselbe ist im geistigen Leben der Fall. Eins will ich dir sagen: Boris ist ein wahrer Christ und deswegen im Innern frei. Und wenn du noch nicht so sein kannst wie er, nicht wie er von selbst an Gott glauben kannst, so glaub durch ihn an den Höchsten, an Gott.

Maria (hinter der Tür), Darf ich herein?

Nikolai. Immer herein, Das ist ja heute der reine Empfangstag.

Dritter Auftritt.

Die Vorigen und Maria Iwanowna.

Maria. Unser Priester, Wassili Nikanorowitsch, ist da. Er fährt zum Bischof, er hat sein Amt niedergelegt.

Nikolai. Nicht möglich!

Maria. Hier ist er. Ljuba, ruf ihn. Er will dich sprechen.

Ljuba (geht).

Vierter Auftritt.

Die Vorigen ohne Ljuba.

Maria. Ich möchte auch noch über Wanja mit dir sprechen. Er ist schrecklich ungezogen und lernt so schlecht, daß er sicher nicht versetzt wird. Wenn ich es ihm sage, wird er frech.

Nikolai. Mascha, du weißt doch, daß ich mit seiner Lebensweise und mit der Erziehung nicht einverstanden bin. Immer wieder quält mich die Frage: Darf ich ruhig zusehen, wie vor meinen Augen Wesen zugrunde gehen …?

Maria. Dann muß man eben andere bestimmte Maßregeln treffen. Was schlägst du vor?

Nikolai. Ich kann nicht sagen, was. Ich will nur eins sagen: erstens, man muß sich von diesem verderblichen Luxus befreien.

Maria. Damit die Kinder verbauern? Dazu kann ich meine Einwilligung nicht geben.

Nikolai. Nun, dann frag mich nicht. Dann ist dir eben nicht zu helfen.

Der Priester und Ljuba (kommen).

Fünfter Auftritt.

Die Vorigen. Der Priester und Ljuba, Der Priester und Nikolai (küssen sich).

Nikolai. Haben Sie wirklich ein Ende gemacht?

Priester. Ich konnte nicht länger.

Nikolai. So schnell hatte ich das nicht erwartet.

Priester. Es ging nicht anders. In unserem Beruf kann man nicht indifferent sein. Man soll die Beichte abnehmen, das Abendmahl reichen – und wenn man erkannt hat, daß das alles nicht die Wahrheit ist.

Nikolai. Und was wird jetzt?

Priester. Jetzt fahre ich zum Bischof, zum Examen. Ich fürchte, man schickt mich ins Kloster Solowezk. Anfangs dachte ich daran, ins Ausland zu fliehen. Wollte Sie um Ihre Unterstützung bitten. Dann kam ich zur Besinnung: es wäre Kleinmut. Das einzige ist: meine Frau.

Nikolai. Wo ist sie?

Priester. Zu ihrem Vater gereist. Ihre Mutter war bei uns und hat das Söhnchen mitgenommen. Das tat weh. Ich hätte ihn gern ... (Er stockt, drängt die Tränen zurück).

Nikolai. Helf Gott Ihnen. Werden Sie bei uns bleiben?

Die Fürstin (kommt ins Zimmer gelaufen).

Sechster Auftritt.

Die Vorigen und die Fürstin.

Fürstin. Das war zu erwarten. Er hat den Gehorsam verweigert und ist im Arrest. Ich war dort, man hat mich nicht zu ihm gelassen. Nikolai Iwanowitsch, fahren Sie hin.

Ljuba. Wieso den Gehorsam verweigert? Woher wissen Sie das?

Fürstin. Ich war selbst dort. Wassili Andrejewitsch hat mir alles erzählt, ein Mitglied der Untersuchungskommission. Er kam einfach herein und erklärte, er würde nicht dienen, den Fahneneid nicht leisten – kurz alles, was Nikolai Iwanowitsch ihm beigebracht hat.

Nikolai. Fürstin! Wie kann man das jemandem beibringen?

Fürstin. Das weiß ich nicht. Jedenfalls ist das kein Christentum. Wie wäre das möglich? Sagen Sie doch ein Wort, Batjuschka.

Priester. Ich bin kein Batjuschka mehr.

Fürstin. Ganz egal. Sie sind ja ebenso. Freilich, Sie haben es gut. Aber ich lasse die Dinge nicht so gehen. Und was ist das für ein schändliches Christentum, durch das die Menschen leiden und zugrunde gehen. Ich hasse dieses euer Christentum. Ihr habt es gut, da ihr wißt, daß es euch nicht an den Kragen geht. Ich habe aber nur diesen einen Sohn, und ihr habt ihn ins Verderben gestürzt.

Nikolai. So beruhigen Sie sich doch, Fürstin. Fürstin. Sie, Sie haben das fertig gebracht. Sie haben ihn unglücklich gemacht, Sie müssen ihn auch retten. Fahren Sie hin, reden Sie ihm zu, daß er diese Dummheiten unterläßt. Reiche Leute können sich das leisten, nicht aber wir.

Ljuba (weint). Papa, was soll nun werden?

Nikolai. Ich fahre hin. Vielleicht kann ich helfen. (Er nimmt die Schürze ab).

Fürstin (hilft ihm beim Ankleiden). Mich hat man nicht zu ihm gelassen; wir fahren zusammen, dann erreiche ich mein Ziel. (Sie geht ab).

 

Verwandlung.

Militärkanzlei.

Ein Schreiber sitzt am Tisch; vor der Tür gegenüber geht ein Posten auf und ab. Ein General mit seinem Adjutanten tritt ein. Der Schreiber springt auf, der Posten präsentiert.

Erster Auftritt.

General. Adjutant, Schreiber.

General. Wo ist der Herr Oberst?

Schreiber. Bei dem Rekruten, Ew. Exzellenz.

General. Schön. Ich lasse ihn hierher bitten.

Schreiber. Zu Befehl, Ew. Exzellenz.

General. Was schreiben Sie da ab? Wohl die Aussagen des Rekruten?

Schreiber. Zu Befehl, jawohl, Ew. Exzellenz.

General. Geben Sie doch mal her.

Schreiber (übergibt das Schriftstück und geht ab).

Zweiter Auftritt.

Die Vorigen ohne Schreiber.

General (gibt das Schriftstück dem Adjutanten). Lesen Sie Bitte vor.

Adjutant (liest). »Auf die mir vorgelegten Fragen? 1) Warum ich den Fahneneid nicht leiste, 2) warum ich mich weigere, die Befehle der Vorgesetzten zu erfüllen, und 3) was mich dazu veranlaßt hat, nicht nur gegen das Militär, sondern auch gegen die höchste Macht im Staate kränkende Äußerungen zu tun – erwidere ich zu 1) ich leiste den Eid deswegen nicht, weil ich mich zum Christentum bekenne, Das Christentum aber verbietet klar und deutlich den Eid, sowohl im Evangelium Matthäi V, 33-37 wie auch in der Epistel des Jakobus V, 12.

General. Schwadroneur. Der legt die Bibel auf seine Weise aus.

Adjutant (fortfahrend): »Im Evangelium heißt es: »Ihr sollt überhaupt nicht schwören. Eure Rede sei: Ja, ja, oder nein, nein; was darüber hinausgeht, ist vom Bösen.« In der Epistel des Jakobus: »Vor allem, meine Brüder, schwört nicht; weder beim Himmel, noch bei der Erde, noch sonst einen Schwur. Euer Ja sei Ja, euer Nein = Nein, damit ihr nicht unter das Gericht fallt.« Aber ich will von dieser ganz klaren Vorschrift im Evangelium, daß man nicht schwören darf, ganz absehen; selbst. wenn diese Vorschrift nicht existierte, könnte ich nicht schwören, die Befehle von Menschen auszuführen, da ich nach christlichem Gebot stets den Willen Gottes tun muß, der dem der Menschen widersprechen kann.«

General. Schwadroneur. Wenn es nach mir ginge, gäbe es das nicht.

Adjutant (liest). »Ich weigere mich aber, die Befehle von Leuten auszuführen, die sich Vorgesetzte nennen, weil ...«

General. Diese Frechheit!

Adjutant ... »weil diese Befehle verbrecherisch, schlecht sind. Man verlangt von mir, ich soll in die Armee treten, mich zum Morde vorbereiten und ihn erlernen. Das ist im Alten wie im Neuen Testament verboten, und hauptsächlich verbietet es mir mein Gewissen. Auf die dritte Frage ...«

Der Oberst. (kommt mit dem Schreiber).

Der General. (gibt ihm die Hand).

Dritter Auftritt.

Die Vorigen und der Oberst mit dem Schreiber.

Oberst. Sie lesen das Protokoll?

General. Ja. Unverzeihliche Frechheiten. Nun, fahren Sie fort.

Adjutant (liest). »Auf die dritte Frage: was mich veranlaßt hat, in der Verhandlung beleidigende Worte zu gebrauchen, erwidere ich, daß mich dazu der Wunsch veranlaßt hat, Gott zu dienen und den Betrug aufzudecken, der in Seinem Namen geschieht. Diesem Wunsch hoffe ich bis zu meinem Tode zu willfahren. Und deshalb ...«

General. Nun, genug davon. Das Geschwätz nimmt ja gar kein Ende. Es handelt sich darum, hier gründlich Remedur zu schaffen, damit die Mannschaften nicht angesteckt werden. (Zum Oberst). Haben Sie mit ihm gesprochen?

Oberst. Jawohl, die ganze Zeit. Habe mich bemüht, ihm ins Gewissen zu reden, ihn zu überzeugen, daß er damit gar nichts ausrichtet, daß es das schlimmste ist, was er tun kann. Habe seine Familie erwähnt. Das regte ihn sehr auf; trotzdem blieb er bei seinem Standpunkt. General. Das viele Reden hat gar keinen Zweck. Wir sind Soldaten, nicht um zu reden, sondern um zu handeln. Lassen Sie ihn mal vorführen.

Adjutant und Schreiber (gehen ab).

Vierter Auftritt.

General und Oberst.

General (setzt sich). Nein, Herr Oberst, das ist nicht das richtige. Mit solchen Burschen muß man anders umspringen. Da heißt es energisch eingreifen, das kranke Glied schleunigst entfernen. Ein räudiges Schaf steckt die ganze Herde an. Zarte Rücksichten sind hier nicht angebracht; daß er Fürst ist, und eine Mutter und Braut hat, geht uns gar nichts an. Für uns ist er Soldat, und wir haben den Willen unseres allerhöchsten Vorgesetzten zu erfüllen.

Oberst. Ich bin der Meinung, daß man ihn durch Zureden leichter schwankend macht.

General. Ganz und gar nicht. Bestimmtheit, nur Bestimmtheit. Habe mit solchen Burschen schon zu tun gehabt. Der Mann muß fühlen, daß er ein Nichts, ein Sandkorn unter einem Wagen ist, der dadurch nicht aufgehalten wird.

Oberst. Ja, man muß die Sache untersuchen.

General (gerät allmählich in Wallung). Ach was, untersuchen. Ich habe nichts zu untersuchen. Ich diene meinen Kaiser seit vierundzwanzig Jahren, bin diesem Dienst mit Leib und Seele ergeben, und nun kommt plötzlich so ein Bürschchen und will mich belehren und mir den Bibeltext lesen. Mag es sich mit Pfaffen darüber zanken, für mich ist er Soldat oder Arrestant. Damit basta.

Boris (erscheint, von zwei Soldaten eskortiert).

Adjutant und Schreiber (hinter ihm)

Fünfter Auftritt.

Die Vorigen, Boris mit zwei Eskortesoldaten, Adjutant und Schreiber.

General (mit dem Finger zeigend). Da stellt ihn hin.

Boris. Mich braucht man nicht hinzustellen. Ich stehe oder sitze, wo ich will; Ihre Macht über mich kann ich nicht ...

General. Maul halten! Du erkennst keine Macht an? Ich werd dich schon lehren!

Boris. (setzt sich auf einen Stuhl). Wie unvernünftig, so zu schreien.

General. Aufrichten, hinstellen den Mann. Die Soldaten (ziehen Boris in die Höhe).

Boris. Das können Sie, Sie können mich sogar töten, aber mich nicht zwingen, Ihnen zu gehorchen ...

General. Maul halten, hab' ich befohlen. Hör' zu, was ich dir sage.

Boris. Ich will gar nicht hören, was du, du sagst.

General. Der Mann ist übergeschnappt. Muß ins Lazarett, auf seinen Geisteszustand untersucht werden. Weiter ist da nichts zu machen.

Oberst. Wir haben Befehl, ihn auch von der Gendarmerie vernehmen zu lassen.

General. Na also, schaffen Sie ihn hin. Aber vorher: einkleiden.

Oberst. Er weigert sich.

General. Dann wird er gefesselt. (Zu Boris). Hören Sie also, was ich Ihnen sage. Mir ist es egal, was aus Ihnen wird. In Ihrem eigenen Interesse aber rate ich Ihnen: kommen Sie zur Vernunft. Sie werden in der Festung ja verfaulen. Und richten nicht das mindeste aus. Also lassen Sie das. Haben sich ereifert und ich ebenfalls. (Klopft ihn auf die Schulter). Gehen Sie hin, leisten den Eid und unterlassen in Zukunft solche Sachen. (Zum Adjutanten). Ist der Priester da? (Zu Boris). Na, wie ist's? (Boris schweigt). Weshalb antworten Sie nicht? Es ist wirklich besser so. Man kann doch nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen! Ihre Gedanken behalten Sie hübsch für sich. Dienen Ihr Jahr ab – wir werden Sie nicht zwiebeln. Na, wie ist's?

Boris. Ich habe nichts weiter zu sagen.

General. Sie erwähnen da in Ihrer Aussage einen Bibelvers. Darüber wissen die Popen besser Bescheid. Sprechen Sie mit Batjuschka und überlegen sich die Sache. Es ist wirklich besser so. Also leben Sie wohl; ich hoffe auf Wiedersehen, wenn Sie des Kaisers Rock tragen. Schicken Sie den Geistlichen her. (Er geht ab).

Oberst und Adjutant (folgen ihm).

Sechster Auftritt.

Boris. Der Schreiber und die Soldaten.

Boris (zum Schreiber und den Soldaten). Da seht ihr, wie die Leute reden. Sie wissen selbst, daß sie euch betrügen. Gehorcht ihnen nicht! Legt die Waffen nieder! Geht auf und davon! Selbst wenn sie euch ins Strafbataillon stecken und halbtot prügeln – ist immer noch leichter als diesen Betrügern gehorchen.

Schreiber. Wie kann man ohne Militär leben? Nein, das geht nicht.

Boris. Das ist nicht unsere Sache. Wir haben nur daran zu denken, was Gott von uns will. Gott aber will, daß wir ...

Soldat. Es heißt doch aber immer: das christliche Heer?

Boris. Das steht nirgends. Das haben die Betrüger sich ausgedacht.

Soldat. Wie ist das möglich? Die Bischöfe müssen das doch wissen.

Gendarmerieoffizier mit Schreiber (tritt ein).

Siebenter Auftritt.

Die Vorigen. Gendarmerieoffizier und Schreiber.

Gendarmerieoffizier (zum Schreiber). Ist hier der Rekrut Fürst Tscheremschanow?

Schreiber. Zu Befehl. Da ist er.

Gendarmerieoffizier. Bitte sich hierher zu verfügen. Sind Sie Fürst Boris Semjonowitsch Tscheremschanow, der den Fahneneid nicht leisten will?

Boris. Ja.

Gendarmerieoffizier. (setzt sich und deutet auf einen Platz gegenüber). Bitte, sehe Sie sich.

Boris. Ich glaube, unsere Unterhaltung ist vollkommen überflüssig.

Gendarmerieoffizier. Das glaube ich nicht. Für Sie wenigstens durchaus nicht, wie Sie sich sofort überzeugen werden. Mir ist mitgeteilt, Sie weigern sich, zu dienen und den Eid zu leisten; es besteht daher Verdacht, daß Sie zur revolutionären Partei gehören. Das habe ich zu untersuchen. Wenn es richtig ist, müssen wir Sie vom Militär fortnehmen und einsperren oder verbannen, je nach dem Grade Ihrer Beteiligung an der Revolution. Anderenfalls überlassen wir Sie der Militärbehörde. Sie sehen, daß ich offen mit Ihnen spreche und hoffe, daß Sie uns ebensolches Vertrauen entgegenbringen.

Boris. Vertrauen kann ich zu Leuten, die das da tragen, (er deutet auf die Uniform) nicht haben. Außerdem ist Ihre Tätigkeit derart, daß ich sie durchaus nicht respektiere, sondern auf das gründlichste verabscheue. Ihre Fragen aber werde ich beantworten. Was wünschen Sie zu wissen?

Gendarmerieoffizier. Gestatten Sie zunächst: Ihr Name, Beruf, Konfession?

Boris. Das wissen Sie alles; darauf antworte ich nicht. Für mich ist nur eins wichtig: ich gehöre nicht zur griechischkatholischen Kirche, bin kein sogenannter Rechtgläubiger.

Gendarmerieoffizier. Welchen Glauben haben Sie denn?

Boris. Das läßt sich nicht so schnell sagen.

Gendarmerieoffizier. Nun, Sie werden doch irgendeine Antwort geben?

Boris. Also ich bin Christ, nach der Lehre der Bergpredigt.

Gendarmerieoffizier. Schreiben Sie.

Schreiber (tut es).

Gendarmerieoffizier (zu Boris). Sie betrachten sich doch aber als Angehörigen eines bestimmten Staates und Standes?

Boris. Nein. Ich bezeichne mich als Mensch, Diener Gottes.

Gendarmerieoffizier. Warum bezeichnen Sie sich nicht als russischen Staatsanghörigen?

Boris. Weil ich keinen Staat anerkenne.

Gendarmerieoffizier. Was heißt das? Wünschen Sie sein Aufhören?

Boris. Ohne Frage. Darauf arbeite ich ja hin.

Gendarmerieoffizier (zum Schreiber). Schreiben Sie. (Zu Boris). Mit welchen Mitteln arbeiten Sie darauf hin?

Boris. Indem ich den Betrug, die Lüge aufdecke und die Wahrheit verbreite. Gerade als Sie eintraten, sagte ich zu diesen Soldaten, sie sollten nicht an den Betrug glauben, den man an ihnen verübt.

Gendarmerieoffizier. Außer diesen Mitteln der Überredung gebrauchen sie doch noch andere?

Boris. Nein. Jede Gewalttat halte ich für die größte Sünde. Nicht nur jede Gewalt, sondern sogar jede Heimlichkeit, jede List ...

Gendarmerieoffizier. Schreiben Sie. Es ist gut. Jetzt gestatten Sie, daß ich mich nach Ihrem Umgang erkundige.

Boris. Nein.

Gendarmerieoffizier. Klein?

Boris. Ich habe von ihm gehört, ihn aber nie gesehen.

Ein bejahrter Geistlicher (mit Kreuz und Bibel tritt ein).

Schreiber (läßt sich von ihm segnen).

Achter Auftritt.

Die Vorigen und der Geistliche.

Gendarmerieoffizier. Ich denke, ich kann hier Schluß machen. Ich halte Sie nicht für gefährlich und nicht zu unserem Ressort gehörig. Wünsche Ihnen, daß Sie bald freikommen. Grüße Sie. (Gibt ihm die Hand).

Boris. Ich möchte Ihnen noch eins sagen. Verzeihen Sie mir, aber ich kann nicht anders. Warum haben Sie diese schlimme, böse Tätigkeit gewählt? Ich möchte Ihnen raten, sie aufzugeben.

Gendarmerieoffizier (lächelnd). Ich danke Ihnen für Ihren Rat. Das hat seine Gründe. Also, ich empfehle mich. Batjuschka, ich trete Ihnen meinen Platz ab.

(Er geht mit dem Schreiber ab).

Neunter Auftritt.

Die Vorigen ohne Gendarmerieoffizier und Schreiber.

Priester. Wie können Sie nur der Obrigkeit solchen Kummer machen? Ihre Christenpflicht nicht erfüllen, dem Zaren und Vaterlande nicht dienen?

Boris (lächelnd). Gerade weil ich meine Christenpflicht erfüllen will, kann ich nicht Soldat sein.

Priester. Warum nicht? Es heißt doch: »Wer sein Leben hingibt für seine Freunde, der ist ein: wahrer Christ ...«

Boris. Jawohl, sein Leben hingibt ... aber nicht fremde vernichtet. – Mein Leben hingeben, das will ich ja gerade.

Priester. Sie urteilen nicht richtig, junger Mann. Johannes der Täufer sagte zu den Kriegsknechten? »... Lasset euch genügen an eurem Solde ...«

Boris (lächelnd). Das beweist nur, daß schon damals die Soldaten plünderten, was er ihnen verbot.

Priester. Aber warum wollen Sie nicht schwören?

Boris. Sie wissen, daß das im Evangelium verboten ist.

Priester. Ganz und gar nicht. Als Pilatus sagte: »Ich beschwöre dich beim lebendigen Gotte, bist du Christus?« antwortete Herr Jesus Christus: »Du sagst es.« Das heißt, der Eid ist nicht verboten.

Boris. Schämen Sie sich wirklich nicht? Sie alter Mann ...

Priester. Legen Sie Ihren Trotz ab, rate ich Ihnen! Wir können die Welt nicht ändern. Leisten Sie den Eid und alles geht gut. Was Sünde ist und was nicht, das zu entscheiden überlassen Sie der Kirche.

Boris. Ihnen? Haben Sie denn keine Angst, so viel Sünde auf sich zu nehmen?

Priester. Welche Sünde? Wer wie ich fest im Glauben erzogen ist und Dreißig Jahre lang das Priesteramt versehen hat, der ist nicht voll Sünde.

Boris. Auf wen fällt denn die Sünde, daß ihr so viele Menschen betrügt? Was steckt denn in all den Köpfen? (Er deutet auf den Posten).

Priester. Das wollen wir lieber nicht untersuchen, junger Mann. Dagegen würde uns Respekt vor dem Alter nicht übel anstehen.

Boris. Lassen Sie mich. Sie tun mir leid und sind mir gleichzeitig widerwärtig. Wenn Sie noch wie jener General wären – so aber kommen Sie mit Kreuz und Bibel und wollen mich im Namen Christi bereden, von Christus abzufallen. Gehen Sie fort. (Erregt). Gehen Sie, lassen Sie mich! Führt mich fort, daß ich niemand mehr sehe. Ich bin müde, schrecklich müde.

Priester. Also dann leben Sie wohl.

Adjutant (tritt ein).

Zehnter Auftritt.

Die Vorigen und der Adjudant. Boris sitzt im Hintergrund.

Adjutant. Nun, wie ist's?

Priester. Schrecklicher Trotz und Eigensinn.

Adjutant. Er will also weder den Eid leisten noch dienen?

Priester. Unter keinen Umständen.

Adjutant. Dann muß er ins Lazarett.

Priester. Ach so, Sie wollen ihn für krank erklären? Das ist allerdings bequemer. Solches Beispiel wirkt leicht ansteckend.

Adjutant. Er soll auf seinen Geisteszustand untersucht werden. Das ist befohlen.

Priester. Gewiß, gewiß. Ich habe die Ehre. (Er geht ab).

Elfter Auftritt.

Die Vorigen ohne Priester.

Adjutant (auf Boris zutretend). Bitte. Ich habe Befehl, Sie

fortzuführen.

Boris. Wohin?

Adjutant. Zunächst ins Hospital, wo Sie mehr Ruhe haben und Zeit zum Nachdenken ...

Boris. Ich habe längst alles überlegt. Also fahren wir.

(Er geht ab).

 

Verwandlung.

Empfangszimmer im Lazarett.

Ober- und Unterarzt, ein kranker Offizier im Kittel, Wärter in Blusen.

Erster Auftritt.

Ein kranker Offizier. Oberarzt. Unterarzt. Wärter.

Kranker. Ich sage Ihnen, Sie machen mich hier krank. Habe mich mehrfach schon ganz gesund gefühlt. |

Oberarzt. Regen Sie sich nur nicht auf. Ich bin durch aus einverstanden, Sie zu entlassen; aber Sie wissen selbst, daß die Freiheit für Sie gefährlich ist. Wenn ich wüßte, daß Sie gute Pflege haben ...

Kranker. Sie denken, ich würde wieder trinken? Nein, ich hab' meinen Denkzettel weg. Dagegen wirkt jeder Tag, den ich hier noch verbringe, höchst schädlich auf mich. Sie tun das gerade Gegenteil von dem – (erregt) was Sie müßten. Sie sind grausam. Sie haben es freilich gut ...

Oberarzt. Beruhigen Sie sich. (Er gibt den Wärtern ein Zeichen).

Wärter (treten von hinten heran).

Kranker. Sie haben gut von Freiheit reden; was wird aber aus unsereins zwischen all den Verrückten? (Zu den Wärtern). Was schleichst du da heran, Kerl! Scher dich fort!

Oberarzt. Ich bitte Sie, beruhigen Sie sich.

Kranker. Und ich bitte Sie und fordere Sie auf, mich, zu entlassen. (Er kreischt laut auf und stürzt vorwärts).

Wärter (packen ihn).

(Kampf; der Kranke wird abgeführt).

Zweiter Auftritt.

Oberarzt. Unterarzt.

Unterarzt. Geht die Sache wieder los? Beinah' hätte er Sie gepackt.

Oberarzt. Säufer und ... nichts zu machen. Kleine Besserung ist allerdings zu konstatieren.

Adjutant (tritt ein).

Dritter Auftritt.

Die Vorigen und der Adjutant.

Adjutant. Guten Tag.

Oberarzt. Guten Morgen.

Adjutant. Ich bringe Ihnen einen interessanten Fall. Fürst Tscheremschanow, der seiner Militärpflicht genügen soll, weigert sich auf Grund der Bibel. Zunächst wurde er zur Gendarmerie geschafft; die erklärt sich: für inkompetent und findet ihn nicht verdächtig. Dann hat der Pope ihn ins Gebet genommen – ebenfalls umsonst.

Oberarzt (lacht). Und nun kommen Sie, wie stets, zu uns als letzter Instanz. Na, schaffen Sie den Herrn mal her.

Unterarzt (geht hinaus).

Vierter Auftritt.

Die Vorigen ohne Unterarzt.

Adjutant. Soll ein sehr gebildeter junger Mensch sein. Dabei eine reiche Braut. Höchst merkwürdig. Ich glaube wirklich, daß er hier am besten aufgehoben ist.

Oberarzt. Na ja, mania simplex ...

Boris (wird hereingeführt).

Fünfter Auftritt.

Die Vorigen und Boris.

Oberarzt. Treten Sie näher. Setzen Sie sich, bitte. Wir wollen uns etwas unterhalten. (Zum Adjutanten). Lassen Sie uns allein.

Adjutant (geht ab).

Sechster Auftritt.

Die Vorigen ohne Adjutant.

Boris. Wenn es sich einrichten läßt, möchte ich Sie bitten, falls Sie mich einsperren wollen, dieses recht bald zu tun, damit ich zur Ruhe komme.

Oberarzt. Entschuldigen Sie, wir müssen unbedingt die bestehenden Vorschriften befolgen. Nur ein paar Fragen. Was empfinden Sie? Welches Leiden haben Sie?

Boris. Gar keins. Ich bin vollkommen gesund.

Oberarzt. Gewiß; Sie handeln aber nicht so wie alle anderen Menschen.

Boris. Ich handle so, wie mein Gewissen mir befiehlt.

Oberarzt. Sie haben sich geweigert, Ihrer Militärpflicht zu genügen. Wie motivieren Sie das?

Boris. Ich bin Christ und kann deswegen nicht töten.

Oberarzt. Man muß doch aber sein Vaterland gegen äußere Feinde verteidigen, muß den Feind im Innern, den Feind der öffentlichen Ordnung im Zaum halten.

Boris. Das Vaterland greift niemand an; Feinde der öffentlichen Ordnung sind in den Kreisen der Regierenden weit häufiger als unter denen, die von der Regierung vergewaltigt werden.

Oberarzt. Das heißt – wie meinen Sie das?

Boris. Eine der Hauptursachen alles Elends bei uns in Russland ist der Branntwein. Er wird von der Regierung verkauft. Falsche Religionen, die zu Lug und Trug verleiten, werden von der Regierung verbreitet. Der Militärdienst, dessen Ableistung man von mir verlangt und der die Sittlichkeit am meisten untergräbt – wird von der Regierung verlangt.

Oberarzt. Ihrer Ansicht nach sind also Regierung und Staat überflüssig?

Boris. Das weiß ich nicht. Dagegen weiß ich bestimmt, daß ich an dem Bösen nicht teilnehmen darf.

Oberarzt. Was wird dann aber aus der Welt? Wir haben doch unsere Vernunft bekommen, um sie auch für Zukünftiges zu gebrauchen.

Boris. Und ebenso, um einzusehen, daß die soziale Ordnung nicht mittels Gewalt, sondern auf gütlichem Wege aufrechterhalten wird, und daß die Weigerung eines einzelnen, am Bösen teilzunehmen, keine Gefahr bedeutet.

Oberarzt. Jetzt möchte ich Sie ein wenig untersuchen. Bitte, legen Sie sich hin. (Er beginnt, ihn zu betasten). Fühlen Sie hier Schmerz?

Boris. Nein.

Oberarzt. Und hier?

Boris. Nein.

Oberarzt. Holen Sie tief Atem. Halten Sie den Atem an. Ich danke. Jetzt gestatten Sie. (Er holt ein Maß hervor und mißt Boris' Stirn und Nase). Jetzt seien Sie so gut, schließen Sie die Augen und gehen ein paar Schritte.

Boris. Schämen Sie sich nicht, solche Sachen zu machen?

Oberarzt. Was heißt, wie meinen Sie das?

Boris. All diese Dummheiten? Sie wissen doch, daß ich gesund bin; daß man mich hierher geschickt hat, weil ich mich weigere, an den Verbrechen der anderen teilzunehmen; daß man auf die Wahrheit nichts zu erwidern weiß und daß man – sich deswegen stellt, als hielte man mich für anormal! Und dazu leisten Sie Beistand! Das ist häßlich, schändlich. Lassen Sie das.

Oberarzt. Also, Sie wollen die paar Schritte nicht gehen?

Boris. Nein, ich will nicht. Sie können mich quälen, wie Sie wollen – aber ich werde Ihnen dabei nicht behilflich sein. (Erregt). Lassen Sie das!

Der Oberarzt (drückt auf die Klingel).

Zwei Wärter (treten ein).

Siebenter Auftritt.

Die Vorigen und die Wärter.

Oberarzt. Beruhigen Sie sich. Ich begreife vollkommen, daß Ihre Nerven aufgeregt sind. Wollen Sie nicht in Ihr Zimmer gehen?

Unterarzt (tritt ein).

Achter Auftritt.

Die Vorigen und der Unterarzt.

Unterarzt. Da ist Besuch für Tscheremschanow.

Boris. Wer denn?

Unterarzt. Sarynzew nebst Tochter.

Boris. Ich möchte sie gern sehen.

Oberarzt. Lassen Sie sie nur kommen. Sie können sie hier empfangen. (Er geht ab). Unterarzt und die Wärter (folgen ihm).

Nikolai Iwanowitsch und Ljuba (treten ein).

Die Fürstin (Blickt zur Tür hinein). Geht vorauf, ich komme später.

Neunter Auftritt.

Boris, Nikolai Iwanowitsch und Ljuba.. Dann Kranker und Wärter.

Ljuba (eilt auf Boris zu, faßt ihn am Kopf und küßt ihn) – Armer Boris.

Boris. Nein, bedaure mich nicht. Mir ist so gut, so froh, so leicht. Ich grüße Sie herzlich! (Er küßt Nikolai Iwanowitsch).

Nikolai. Ich bin gekommen, um dir vor allen Dingen eins zu sagen: in solcher Lage, wie du dich jetzt befindest, ist es weit schlimmer, sein Vorhaben zu ändern, als es nicht vollständig auszuführen. Zweitens muß man in solchen Fällen handeln, wie es im Evangelium heißt, nicht fortwährend daran denken, was man tun und was man Jagen wird: »Wenn man euch vor die Obrigkeit und vor die Gewaltigen führt, so macht euch keine Sorge, was ihr jagen werdet, denn der Geist Gottes wird aus euch sprechen.« Das heißt, man muß nicht dann handeln, wenn die Überlegung es einem befiehlt, sondern wenn man mit seinem ganzen Wesen fühlt, daß man nicht anders kann.

Boris. Das habe ich auch getan. Ich habe nicht die Absicht gehabt, den Dienst zu verweigern. Als ich aber diese

ganze Verlogenheit sah, diese dicken Folianten, Russisch: Serzalo, etwa: Gerichtsspiegel. Es ist ein dreiteiliges, mit dem Adler geschmücktes Gestell mit drei Dukaten Peters I., das in keinem Amtslokal fehlen darf. d.Ü. die Akten, Polizisten, Kommissionsmitglieder mit der Zigarette im Munde – konnte ich nicht anders: ich mußte das sagen, was ich sagte. Es war schrecklich, aber nur so lange, bis ich begonnen hatte. Dann war alles einfach, froh und leicht.

Ljuba (sitzt da und weint).

Nikolai. Die Hauptsache ist: tu nichts um Menschenruhm, um den Beifall derer zu erringen, auf deren Meinung du Wert legst. Von mir kann ich sagen, daß wenn du jetzt den Eid leistest und dienst, daß ich dich dann nicht weniger liebe und verehre, ja noch mehr als früher, weil nicht das Wert hat, was in der äußeren Welt, sondern was in der Seele geschieht.

Boris. Gewiß, denn was im Inneren geschehen ist, bewirkt auch in der äußeren Welt Veränderungen.

Nikolai. Ja, das möchte ich dir ans Herz legen. Deine Mutter ist hier. Sie ist schrecklich niedergeschlagen. Was du der tun kannst, um was sie dich bittet, tu es. Das wollte ich dir sagen. (Im Korridor ertönt wahnsinniges Geheul). Ein Kranker (kommt hereingestürzt). Wärter (hinter ihm, die ihn fortschleppen).

Ljuba. Das ist fürchterlich. Und in solcher Umgebung sollst du bleiben? (Sie weint)

Boris. Es schreckt mich nicht. Mir ist jetzt nichts mehr schrecklich. Mir ist so gut. Nur eins macht mir Sorge: wie du das alles aufnimmst. Du mußt mir helfen. Ich bin überzeugt, du wirst mir helfen.

Ljuba. Soll ich etwa.vergnügt sein?

Nikolai. Nicht vergnügt. Das kann man nicht, das bin ich auch nicht. Ich leide um ihn und würde von Herzen gern an seine Stelle treten; trotzdem leide ich und weiß, daß das gut ist.

Ljuba. Schön. Wann wird er aber entlassen?

Boris. Das weiß niemand. Ich denke nicht an die Zukunft. Die Gegenwart ist so schön: Und du kannst sie mir noch schöner machen.

Die Fürstin (tritt ein).

Zehnter Auftritt.

Die Vorigen und die Fürstin.

Fürstin. Nein, ich kann nicht länger warten. (Zu Nikolai Jwanowitsch). Nun, haben Sie ihm zugeredet? Gibt er nach? Boris, mein Liebling, begreif doch, was ich ausstehe. Fast dreißig Jahre habe ich nur für dich gelebt, dich aufgezogen, meine Freude an dir gehabt. Und jetzt, wo alles fertig, wo das Werk vollendet ist, soll ich plötzlich allem entsagen! Ins Gefängnis – diese Schande ...

Nein, das ertrage ich nicht. Boris ...

Boris, Mama, so hör doch.

Fürstin. Weshalb reden Sie denn keinen Ton? Sie haben ihn ins Verderben gestürzt, Sie müssen ihn zur Vernunft bringen. Ljuba, sprich du' doch mit ihm.

Ljuba. Was kann ich ausrichten!

Boris. Mama, begreif doch endlich, daß es Dinge gibt, die man nicht fertig bringt, ebensowenig fertig bringt wie das Fliegen. Dazu gehört für mich das Dienen.

Fürstin. Ach, das bildest du dir ein. Unsinn, alle haben gedient und dienen noch. Du und Nikolai Iwanowitsch, ihr habt euch da ein Christentum ausgedacht, das gar keins ist. Eine Satanslehre, die nichts als Leiden schafft.

Boris. Es steht so im Evangelium.

Fürstin. Gar nichts steht da, und wenn es so dasteht, ist das sehr dumm ausgedrückt. Boris, mein Herzensjunge, hab doch Mitleid. (Sie fällt ihm um den Hals und weint). Mein ganzes Leben war nichts als Kummer. Der einzige Sonnenstrahl warst du, und nun machst auch du mir diese Schmerzen. Boris, hab doch Erbarmen.

Boris, Mama, es wird mir schrecklich schwer, aber ich kann dir nichts sagen.

Fürstin. Schlag es mir nicht ab, versprich, daß du dienen wirst.

Nikolai. Sag, du würdest es dir überlegen, und tu das.

Boris. Also schön. Aber hab auch du mit mir Mitleid, Mama. Ich hab es auch nicht leicht. (Man hört wieder Geschrei im Korridor). Ich bin hier im Irrenhause und kann leicht selbst den Verstand verlieren.

Elfter Auftritt.

Die Vorigen und der Oberarzt.

Oberarzt (eintretend). Durchlaucht, Ihr Besuch kann schädliche Folgen haben. Ihr Sohn ist sehr aufgeregt. Ich glaube, es ist angebracht, den Besuch zu beenden. Donnerstags und Sonntags ist Empfang, da kommen Sie bitte um zwölf Uhr:

Fürstin. Schön, schön; also ich gehe. Leb wohl, Boris. Überleg es dir, -hab Mitleid mit deiner Mutter, die sich freut, dich Donnerstag wiederzusehen. (Sie küßt ihn).

Nikolai. (reicht ihm die Hand). Überleg mit Gott, als ob du morgen sterben müßtest. Nur dann triffst du das Richtige. Leb wohl.

Boris (tritt zu Ljuba). Und was wirst du mir sagen?

Ljuba. Ich kann nicht lügen. Ich verstehe nicht, warum du dich und andere quälst. Ich verstehe es nicht und kann dir nichts sagen.

(Sie geht weinend ab. Hinter ihr alle übrigen, außer Boris).

Zwölfter Auftritt.

Boris allein.

Boris. Ach, wie ist das schwer. Ach, wie schwer! Herrgott, hilf mir.

Wärter (treten mit dem Anstaltskittel ein).

Dreizehnter Auftritt.

Boris und die Wärter.

Ein Wärter. Kleiden Sie sich gefälligst um.

Boris (gehorcht).


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