Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die sechstausend Arbeiter und Angestellten der Goldinsel waren an allen Enden der Welt angeworben worden. Der erste Helfer Garins, Ingenieur Czermak, der in den Stand eines Gouverneurs erhoben worden war, hatte sie je nach ihrer Nationalität in fünfzehn Stadtteilen untergebracht, die voneinander wieder durch Stacheldrähte abgetrennt waren.
In jedem Stacheldraht gab es Baracken, Wirtschaftsgebäude und Bethäuser, die entsprechend dem nationalen Stil gebaut waren. Die Verpflegung – Konserven, Bisquits, Marmelade, Krautköpfe, Reis, marinierte Fische, Würstchen usw. wurde in amerikanischen Fabriken, ebenfalls mit entsprechenden Etiketten in den betreffenden Sprachen, bestellt.
Zweimal monatlich wurden Arbeitskleider verteilt, den nationalen Traditionen entsprechend und zweimal jährlich streng nationale Festkleidung – an die Slawen ärmellose Unterziehröcke und Jacken, an Chinesen rohseidene Jacken, an Deutsche Gehröcke und Zylinder, an Italiener seidene Wäsche und Lackschuhe, an Neger Hüftenbinden mit Krokodilzähnen und Glasperlen geschmückt usw.
Um in den Augen der Bevölkerung diese Stacheldrähte zu rechtfertigen, hatte Ingenieur Czermak einen Status von Provokateuren organisiert. Es waren ihrer fünfzehn. Sie schürten ständig die nationale Feindschaft. An Werktagen gemäßigt, an Feiertagen bis zum Faustkampf und zu Messerstechereien.
Die Polizei der Insel bestand aus ehemaligen Offizieren der Armee Wrangel und trug die Uniform des Ordens Zoe – kurze Jacke aus weißem Tuch mit Gold gestickt und hellgelbe, ganz anliegende Hosen. Diese Leute hielten die Ordnung aufrecht und ließen es nicht zu, daß die einzelnen Nationen übereinander zur gegenseitigen Vernichtung herfielen.
Im Verhältnis zu den Löhnen auf dem Kontinent erhielten die Arbeiter ein Vielfaches. Einige sandten ihr Geld mit dem nächsten Schiff in die Heimat, andere wieder gaben es in Verwahrung. Es war keine Möglichkeit geboten, das Geld auf der Insel auszugeben, da nur Sonntags in der einsamen Schlucht einige billige Kneipen und ein ›Lunapark‹ (gratis) geöffnet waren. In einem kleinen Wäldchen wurden auch fünfzehn Freudenhäuser unterhalten. Dort war der national gesinnte Geist nicht mehr so strenge gewahrt.
Mit einem Wort: Garins Genie hatte alle unangenehmen Vorfälle, die sich ereignen konnten, vorbedacht. Und Czermaks Genie hatte das Grundproblem verwirklicht: Die Unmöglichkeit einer Atomverbindung von fünfzehn Elementen.
Es war den Arbeitern bekannt, zu welchem Zwecke man diesen gigantischen Schacht ins Erdinnere trieb. Garin erklärte allen, er werde bei Beendigung dieser Arbeiten jedem einzelnen gestatten, so viel Gold mit nach Hause zu nehmen, als er imstande sei, auf seinem Rücken fortzuschleppen. Und es gab auf der Insel keinen einzigen Menschen, der nicht voll Aufregung auf die Stahlbänder blickte, die das Gestein aus dem Erdinnern in den Ozean beförderten, der nicht von der gelben Rauchschichte über dem Schlund des Schachtes berauscht gewesen wäre.
»… Unsere Arbeit ist bei dem unruhigsten Augenblick angelangt. Ich war auf diesen Augenblick gefaßt und habe mich darauf vorbereitet, aber das vermindert die Gefahr durchaus nicht. Meine Herrschaften, wir sind blockiert. Eben wurde die Radiomeldung aufgenommen, daß zwei Schiffe, die mit Figureneisen für die Befestigung des Schachtes, Konserven und Gefrierfleisch beladen waren, von einem amerikanischen Kreuzer gekapert und als Kriegsbeute erklärt wurden. Das heißt: der Krieg hat begonnen. Man muß stündlich die offizielle Kriegserklärung erwarten. Eines meiner allernächsten Ziele ist – dieser Krieg. Aber er beginnt ein wenig zu früh, früher, als ich ihn brauchte. Man ist auf dem Kontinent zu nervös geworden. Der Sieg ist schwer, aber möglich.
»Ich durchschaue ihren Plan: sie fürchten sich vor uns, deshalb wollen sie es versuchen, uns durch Hunger niederzuringen. Die Antwort: die Verpflegung der Insel reicht für zwei Wochen, das lebende Vieh nicht miteinbegriffen. In diesen vierzehn Tagen müssen wir die Blockade durchbrechen und Konserven zuführen. Diese Aufgabe ist schwer – aber durchführbar.«
»Außerdem wurden meine Agenten, die den Scheck Rollings präsentiert haben, arretiert. In der Kasse haben wir kein verfügbares Geld. Die 350 Millionen Dollar wurden bis auf den letzten Cent verausgabt. In einer Woche müssen wir Geld auszahlen, und wenn wir mit Schecks bezahlen, werden die Arbeiter Einlösung fordern. Das heißt: innerhalb von sieben Tagen müssen wir Geld bekommen. Das ist schwer – aber auch das muß gelingen.
»Ich bin zu Ende, Sie haben das Wort, Czermak!«
Diese Sitzung fand in dem leeren, noch nicht fertiggestellten Arbeitskabinett Garins in der Dämmerung statt. Anwesend waren: Garin, Scheffer, Zoe, Schelga und Rolling. Garin sprach – wie immer in Minuten der Gefahr und höchster Geistesanspannung – mit geckenhaften Allüren, auf den Absätzen tänzelnd, lächelnd, mit den Händen in den Hosentaschen. Zoe präsidierte, in der Hand einen kleinen Hammer.
Czermak, klein, nervös, begann, an seinem tartarischen Bärtchen nagend: »Das zweite Gesetz der Goldinsel lautet: niemand darf es versuchen, in das Konstruktionsgeheimnis der Hyperboloide einzudringen. Jeder, der auch nur die Hüllen der Hyperboloide berührt, ist des Todes schuldig. Sein Leichnam wird in den Ozean geworfen.«
»Ja,« sagte Garin, »so lautet das Gesetz.«
»Zur erfolgreichen Durchführung der von Ihnen beschriebenen Unternehmungen werden gleichzeitig mindestens drei Hyperboloide arbeiten müssen. Eines zwecks Gelderwerb, das zweite zur Durchbrechung der Blockade, das dritte zur Verteidigung der Insel. Sie werden für zwei Mithelfer eine Ausnahme machen müssen!«
Es entstand ein Schweigen. Die Herren betrachteten den Rauch ihrer Zigaretten, Rolling sah aufmerksam vor sich hin, rauchte eine neue Pfeife an, Zoe wandte ihren Kopf zu Garin. Er sagte:
»Gut« (nonchalante Geste). »Veröffentlichen Sie: für das zweite Gesetz wird für folgende beide Menschen eine Ausnahme gemacht: für … Madame Lamolle und …«
Er lachte lustig, beugte sich über den Tisch und klopfte Schelga auf die Schulter:
»Nun, Genosse Schelga, jetzt wollen wir sehen, wie Sie sich dazu verhalten … Ihm, Schelga, vertraue ich als zweitem Menschen das Geheimnis meines Apparates an …«
»Ich verhalte mich gar nicht,« antwortete Schelga, indem er Garins Hand von seiner Schulter nahm, »ich verweigere die Annahme!«
»Grund?«
»Ich bin nicht verpflichtet, einen Grund anzugeben. Denken Sie ein wenig nach – sie werden selber darauf kommen!«
»Ich beauftrage Sie, die amerikanische Flotte zu vernichten!«
»Eine schöne Sache, darüber gibt's keinen Zweifel … aber … ich kann nicht!«
»Warum, zum Teufel?«
»Warum? … Weil es ein abschüssiger Weg ist … Wegen einer solchen Kleinigkeit steht es nicht dafür, sich die Hände zu beschmutzen …«
»Hören Sie mich an, Schelga …«
Garins Bärtchen richtete sich auf, seine Zähne glänzten, nur mit Mühe beherrschte er sich. Dann fragte er leise:
»Haben Sie etwas vor?«
»Meine Pläne, Pjotr Petrowitsch, sind offen. Ich habe nichts zu verheimlichen. Ich verhindere Ihre Kämpfe durchaus nicht, das wissen Sie. Aber ich lehne diesen Auftrag ab!«
Diese kurze Zwiesprache wurde in russischer Sprache geführt. Niemand außer Zoe hatte sie verstanden. Schelga begann wieder Schnörkel auf das vor ihm liegende Papier zu zeichnen. Garin sagte:
»Also – dann ernenne ich als meinen Helfer in der Bedienung der Hyperboloide nur Madame Lamolle. Wenn Sie einverstanden sind, gnädige Frau – die »Arizona« steht unter Dampf – so können Sie morgen früh in See gehen.«
»Und was soll ich tun?«
»Alle Schiffe, die Sie auf den transozeanischen Verkehrslinien antreffen, ausrauben. In einer Woche müssen wir die Arbeiter auszahlen. Wenn Sie sich ein wenig verspäten, macht es nichts, nur geben Sie per Radio bekannt, daß das Geld vorhanden ist!«
Um dreiundzwanzig Uhr wurde von dem Flaggschiff der Linienkreuzer ein Fremdkörper über dem Gestirn des »Südkreuz« bemerkt.
Die hellblauen Strahlen der Schiffsscheinwerfer suchten die ganze Umgegend ab – ihre Lichtkegel sahen wie Kometenschwänze aus. Hunderte von Fernrohren sahen von Bord der acht Kreuzer auf die Metallgondel, die durchsichtigen Luftschrauben und erkannten an der Flanke des Luftschiffs die Buchstaben P. und G.
Feuersignale flammten an Bord der Kriegsschiffe auf. Von dem Flaggschiff starteten zwei Hydroplane und stiegen in steilem Flug sternwärts hoch, mit brüllenden Motoren. Von dem Kreuzer, der in der Gefechtslinie zunächst dem Flaggschiff kreuzte, starteten zwei weitere Flugzeuge. Mit gesteigerter Geschwindigkeit dampfend, rangierte sich das Eskader in Gefechtsformation.
Das Getöse der Flugzeuge wurde immer schwächer, immer ferner. Und plötzlich – verschwand das Luftschiff aus dem Gesichtsfeld der Beobachter. Die Fernrohre wurden unwillkürlich mit Taschentüchern abgewischt, aber das Luftschiff war auf dem nächtlichen Himmel verschwunden, ohne jede Spur, so sehr auch die Scheinwerfer den Horizont absuchten.
Da ratterte plötzlich das Klopfen eines Maschinengewehrs. Man hatte das Luftschiff scheinbar von den Hydroplanen aus dennoch gesichtet. Plötzlich hörte das Geknatter auf. In dem hellblauen Lichtkegel eines Scheinwerfers sauste lotrecht eine glänzende Fliege herunter. Die durchs Fernrohr sahen, stöhnten – ein Hydroplan war es, der da irgendwo in die schwarzen Wellen des Ozeans gestürzt war. Was war geschehen?
Und wieder ging's – tacktacktacktack – im Himmel klopfte ein Maschinengewehr. Und ebenso plötzlich wie vorhin hörte es auf zu feuern und eins nach dem anderen flogen alle Hydroplane durch den Lichtkegel der Scheinwerfer, kopfüber, wie Korkzieher und stürzten in den Ozean. Rasend tanzten die feurigen Signale vom Bord des Flaggschiffes. Bis an den Rand des Horizonts leuchteten die Antwortsignale. Was war geschehen?
Dann sahen alle, ganz niedrig, eine schwarze, zerrissene Wolke, die da dem Wind entgegenlief – quer über der Kielwasserlinie. Das Luftschiff ging tiefer, umhüllte sich mit einer Rauchwolke. Auf dem Flaggschiff wurde das Lichtsignal gegeben: »Vorsicht, Gas! Vorsicht, Gas!« Und fast gleichzeitig fielen auf Deck, Kommandobrücken, Panzertürme, Gasbomben, die explodierten und nach Fäulnis riechende Giftgase verbreiteten.
Als erste Opfer waren der Admiral und ein achtundzwanzigjähriger junger Seeoffizier, der aus Stolz keine Gasmaske anziehen wollte, zu verzeichnen.
Der junge Offizier hatte kaum Zeit, sich an den Hals zu greifen und war in der nächsten Sekunde, mit aufgedunsenem, blauangelaufenem Gesicht, tot hingefallen. In wenigen Sekunden waren alle tot, die sich an Deck befanden: die Gasmasken hatten sich als zu schwach erwiesen. Das Flaggschiff war mittels eines neuen, noch unbekannten Gases angegriffen worden.
Der Vizeadmiral übernahm das Kommando. Die Kreuzer drehten nach rechts bei und eröffneten das Feuer. Drei Salven dröhnten in die Nacht. Drei Wetterleuchten lösten sich aus den Geschützrohren und beleuchteten den Ozean blutigrot. Drei Schwärme von stählernen Teufeln winselten mit ihren blinden Köpfen, sausten, weiß Gott, wohin und explodierten weit draußen, den Sternenhimmel grell beleuchtend.
Nach den Salven flogen von den Kreuzern sechs weitere Hydroplane ab – die Führer und Maschinengewehrbemannung mit Gasmasken. Es war klar, daß die ersten Hydroplane deshalb zugrunde gegangen waren, weil ihre Bemannung ohne Gasmaske durch die Giftgaswolke geflogen war, mit der sich das Luftschiff umgeben hatte. Nun berührte die ganze Sache schon die Ehre und das Ansehen der amerikanischen Flotte. Auf den Schiffen wurden sämtliche Lichter verlöscht. Es blieben nur – die Sterne und der Ozean. Man hörte bloß, wie die Wellen sich an den Stahlwänden der Kreuzer brachen und in der Höhe das Surren der Flugzeuge.
Endlich … tacktacktacktack … in der Höhe. Ein paar Lichter flammten auf. Es klang nach entkorkten Flaschen. Der Angriff mit Granaten hatte begonnen. Im Zenith loderte das graubraunschwarze Licht einer wirbelnden Wolke auf. Aus ihr löste sich, mit der stumpfen Nase vornüber, ein Schiffchen. Ueber seinem Kamm tanzten feurige Zungen. Es sauste schief nach unten, hinter sich einen leuchtenden Schweif lassend und schließlich, ganz in Flammen gehüllt, fiel es weit hinten, am Horizont, ins Meer.
Eine halbe Stunde später meldete einer der Hydroplane, er sei neben dem brennenden Luftschiff auf den Ozean niedergegangen und habe alles aus dem Maschinengewehr niedergemacht, was noch am Leben geblieben war.
Der Sieg war dem amerikanischen Eskader teuer zu stehen gekommen: vier Hydroplane waren samt der Bemannung zugrunde gegangen. Mit Gas getötet: achtundzwanzig Offiziere (darunter der Admiral des Eskaders) und hundertdreißig Matrosen. Bei diesen Verlusten war es besonders kränkend, daß die prächtigen Schlachtschiffe sich mit ihrer wunderbaren Artillerie in der Lage flügelloser Pinguine befunden hatten: der Gegner hatte sie von oben mit dem teuflischen Gas angegriffen, wie es ihm beliebte. Es war unbedingt notwendig, Revanche zu geben, um die wirkliche Schlagfertigkeit der Marineartillerie zu beweisen.
In diesem Sinne sandte auch der Vizeadmiral noch in derselben Nacht einen Bericht nach Washington, mit allen Einzelheiten des Seekampfes. Er beharrte auf dem Bombardement der Insel des Nichtsnutzes.
Nach vierundzwanzig Stunden traf die Antwort des Marineministers ein: »Nach der bewußten Insel abdampfen und sie den Wellen des Ozeans gleichzumachen.«
»Nun?« fragte Garin herausfordernd, nachdem er die Täßchen des Radioempfängers auf den Schreibtisch vor sich hingelegt hatte.
Die Sitzung fand wieder in dem leeren Arbeitskabinett Garins statt, in derselben Zusammensetzung wie letzthin, nur ohne Mme. Lamolle.
»Nun, meine verehrten Herren? … Ich kann Ihnen gratulieren … Die Blockade existiert nicht mehr … Wir haben den Stier gereizt – es wurde Befehl gegeben die Insel zu bombardieren!«
Rolling zitterte am ganzen Körper, erhob sich aus seinem Lehnstuhl, die Pfeife fiel ihm aus dem Mund, seine violetten Lippen wurden schief, als wollte er sprechen, fände aber nicht das rechte Wort.
»Was haben Sie denn, Alter?« fragte ihn Garin. »Regt Sie die Annäherung Ihrer heimatlichen Flotte so sehr auf? Können Sie es denn nicht erwarten, mich rascher auf einem Schiffsmast aufhängen zu lassen? Oder fürchten Sie sich vor dem Bombardement? Für Sie wäre es allerdings sehr dumm, von einem amerikanischen Geschoß in nasse Fetzen zerrissen zu werden. Oder sollte sich, zum Teufel, Ihr Gewissen zu regen beginnen? … Wie immer es auch kommen mag – aber wir werden unter Eurer Anteilnahme in zwei Tagen damit beginnen, Ihre Landsleute gründlich zu verhauen … Nein, meine Herren …«
Garin wandte sich von Rolling ab. Dieser ließ sich, ohne ein Wort gesprochen zu haben, in seinen Lehnstuhl fallen und bedeckte sein erdfarbenes Gesicht mit der ausgetrockneten, zitternden Handfläche.
»Nein, meine Herren …, ohne Risiko kann man beim Dollar nur drei Cents verdienen. Wir gehen jetzt ein kolossales Risiko ein. Unser Kundschafterluftschiff hat seine Aufgabe glänzend gelöst. (Ich bitte Sie, das Andenken an sechs gefallene Helden durch Erheben von den Plätzen zu ehren … Sie waren tapfere Jungens … ) Also … Das Luftschiff hatte noch Zeit, mir zu telephonieren, aus was für Einheiten sich das Eskader zusammensetzt. Es sind acht Kreuzer modernsten Typs, bewaffnet mit je vier Panzertürmen à drei Geschützen. Es handelt sich scheinbar um Kanonen von siebzehn Zoll Kaliber. Nach dem Kampf mit dem Luftschiff dürften ihnen immerhin noch zirka zwölf Hydroplane übriggeblieben sein. Außerdem haben sie noch Torpedobootszerstörer und U-Boote. Rechnet man die Einschlagskraft jedes Geschosses mit 75 Millionen Kilogramm, so ergibt eine Salve des gesamten Eskaders auf der Insel eine Einschlagskraft von rund einer Milliarde Kilogramm …«
»Um so besser, um so besser …« flüsterte Rolling.
»Hören Sie auf zu schluchzen, Großväterchen, das ist doch ein Schande … Ich vergaß übrigens, meine Herren, Ihnen mitzuteilen, daß wir Mister Rolling für ein ganz neues, in seinen Fabriken hergestelltes und bisher streng geheimgehaltenes Gas – unter dem Namen »Das schwarze Kreuz« – das er uns zur Verfügung stellte, unseren Dank aussprechen müssen. Mit Hilfe dieses Gases haben unsere Piloten vier Hydroplane in den Ozean geworfen und das Flaggschiff des Eskaders kampfunfähig gemacht.«
»Nein, nein … ich habe es Ihnen nicht zur Verfügung gestellt … »Das schwarze Kreuz« … Mister Garin … Sie haben mir den Befehl unter der Mündung Ihres Revolvers abgerungen, den ich geben mußte, damit die Ballons mit dem ›schwarzen Kreuz‹ nach der Insel abgesandt würden … Das ist die Wahrheit!«
»Spucken Sie auf die Wahrheit, Onkelchen!«
»Ich protestiere …«
»Aber, die Flotte ist ja noch nicht hier …«
Rolling schnaubte, bedeckte wieder sein Gesicht mit der Handfläche. Garin begann, den Verteidigungsplan der Insel zu entwickeln. Man mußte den Angriff des Eskaders in drei Tagen bei Anbruch der Morgendämmerung erwarten.
Die »Arizona« hißte die Piratenflagge.
Das sollte durchaus nicht heißen, daß sie die schwarze Fahne mit den gekreuzten Knochen hochzog, etwa wie zu den romantischen Zeiten der Seeräuber des siebenzehnten Jahrhunderts. Jetzt sieht man so schreckliche Zeichnungen vielleicht nur mehr als Etikette auf Flaschen, in denen sich Quecksilberchlorid befindet.
Eigentlich hißte die »Arizona« überhaupt keine Flagge. Die zwei siebartig durchlöcherten Türme mit den Hyperboloiden unterschieden ihr Profil ohnedies sehr stark von den übrigen Schiffen der Erde. Jansen kommandierte, in der Machtvollkommenheit Madame Lamolle unterstellt.
Die prächtigen Räume Zoes, Schlafzimmer, Badezimmer, Ankleideraum, waren versperrt worden. Zoe logierte oben, gemeinsam mit Kapitän Jansen. Der frühere Luxus – die blauseidenen Baldachine, Teppiche, Polster und Lehnstühle – waren sämtlich weggeräumt. Die noch in Marseille angeworbene Mannschaft war mit Revolvern und Karabinern bewaffnet worden. Es wurde Kriegsrecht verkündet – für jedes Vergehen: Todesstrafe durch Erschießen! Auch der Zweck der Seefahrt wurde verkündet und Prämien für die Mannschaft in der Höhe von zehn Prozent Anteil an jedem erbeuteten Schiff festgesetzt.
Der ganze verfügbare freie Raum auf der Yacht war mit riesigen Blechbehältern, voll Benzin und Süßwasser, angefüllt. Der Wind kam von der Seite und trotz der schweren Ladung flog die »Arizona«, dank den staunenswerten Leistungen der Rolls-Royce-Motoren, wie ein Sturmvogel mit siebzig Knoten in der Stunde von Wellenkamm zu Wellenkamm über den tobenden Ozean.
»Der Wind wird zu stark, Kapitän!«
»Takelt die Marssegel ab!«
»Zu Befehl, Kapitän!«
»Wenn ihr Lichter bemerkt – weckt mich sofort!«
Jansen kniff die Augen zusammen und spähte in die undurchdringliche Ozeanwüste. Der Mond war noch nicht aufgegangen und vor den Sternen lag ein dichter Nebelschleier. Er war nervös. Trotzdem empfand er während dieser ganzen letzten fünf Tage der Reise gegen Nordost ein gewisses Gefühl von Leichtigkeit und Prickeln im Blut. Wie anders auch? Lebten doch seine Urahnen unter Seeräubern! Mit einem Kopfnicken verabschiedete er seinen Stellvertreter und ging in die Kajüte.
Während er eintrat, bebten die elastischen Muskeln seines Körpers. Er kannte diese bekannten Erschütterungen bereits, diese entkräftende Vergiftung. Unbeweglich stand er unter der matten Halbkugel der Deckenlampe. Sein Kopf war schwer und schwindlig. Die niedrige, komfortable Kajüte, mit Leder und lackiertem Holz ausgestattet – die strenge, ein wenig kalte Wohnung des Seemanns war geschwängert von dem Hauch der Anwesenheit eines jungen Weibes.
Zunächst roch es ganz verteufelt nach Parfüm. Donner und Doria! …
Die Anführerin der Piraten parfümierte sich derart, daß sich davon vielleicht sogar bei einem Toten die Milz noch einmal bewegt hätte. Ueber die Sessellehne war nachlässig ihre Flanelljacke geworfen, darüber ein goldfarbener Sweater. Am Fußboden, gerade vor dem Bettvorleger, lagen die Strümpfe mit den Strumpfbändern – der eine Strumpf schien sogar die Form des Beins beibehalten zu haben. Uff!! …
Madame Lamolle schlief auf seiner Koje. (Jansen hatte diese ganzen fünf Tage hindurch nicht Gelegenheit gehabt, sich auszukleiden und hatte sich nur hier und da ein wenig auf dem Lederdiwan ausgeruht.) Sie lag auf der Seite. Sie hatte sich offensichtlich angezogen hingelegt – wie es sich für eine richtige Piratin gehört – hatte aber dann, schon im Halbschlaf, doch mit Mühe und Not alles ausgezogen und war unter die Decke gekrochen.
Ihre Lippen waren halboffen. Das Gesicht von der Seeluft gebräunt, die Wangen vom Schlaf gerötet, ihr Gesicht unschuldig, ruhig. Der eine nackte Arm unter dem Kopf. Eine Piratin.
Dieser kriegsmäßige Entschluß Mme. Lamolles, mit ihm gemeinsam in der Kapitänskajüte zu logieren, war für Jansen eine schwere Prüfung. Vom Kriegsstandpunkt aus gesehen, war es ganz logisch. Sie fuhren auf Raub aus, vielleicht sogar – in den Tod. Jedenfalls, wenn man sie erwischte, hätte man sie beide nebeneinander an dem eisernen Mast erhängt. Aber so gingen nur die aus der anderen Welt mit ihnen um, die für Jansen ebenso weit entfernt waren, wie das siebzehnte Jahrhundert. Er war Untertan von Mme. Lamolle, Königin der Goldinsel – und er liebte sie.
Mögen die Physiologen noch so viel reden – die Liebe ist eine dunkle Geschichte. Jansen hatte Mädchen in Hafenkneipen gesehen, prächtige Ladies, die vor Langeweile und Neugier in ›Seestimmung‹ in seine Arme gefallen waren. Die einen vergaß er, wie leere und ausdruckslose Seiten eines uninteressanten Buches, andere wieder lebten angenehm in seiner Erinnerung während der Stunden ruhiger Wacht, wenn er unter dem warmen Licht der Sterne auf seiner Kommandobrücke auf und ab patrouillierte.
Auch in Neapel, als Jansen im Rauchzimmer des Hotels auf das Läuten von Mme. Lamolle gewartet hatte, lag noch eine ähnliche Erinnerung an erlebte Abenteuer. Bei vollem Bewußtsein hatte er sich vorbereitet, in das Bett der Geliebten seines Chefs zu springen. Aber es war nicht zu diesem Sprung gekommen.
Nach all dem, was man von Jansen weiß, mußte er beharrlich seinem Ziel zustreben. Nicht vergebens streckte er in besonders ernsten Momenten sein Kinn hervor und spannte die Muskeln an: hier bin ich – und hier das Weib, zwischen uns beiden ein Hindernis – das beseitigt werden muß! So sieht die Sache aus. Aber, wie schwer war es …
So war ein halbes Jahr vergangen und es fiel Jansen fast schwer, sich daran zu erinnern, daß er mit dieser Hand den Rücken der mit ihm tanzenden Mme. Lamolle umfangen hatte. Und als hörte er vom anderen Ende der Yacht die zarte und klangvolle Stimme von Mme. Lamolle, entlud sich in ihm ein kleines Gewitter. Wenn er an Mme. Lamolle dachte, wie sie in einem geflochtenen Lehnstuhl zu sitzen pflegte, das Kinn in die Handfläche gestützt, mit ihren Augen zwischen Himmel und Erde hin und her irrend – weinen hätte er können, aber nicht mit Tränen, sondern irgendwo in seinem tiefsten Inneren, jenseits der Grenzen seiner Vernunft, es war eine singende, weinende Zärtlichkeit voll Ergebenheit und Verliebtheit.
Vielleicht waren an all dem die Wikinger schuld, die Seeräuber, die Ahnen Jansens, die einst in roten Kähnen mit scharfem Schnabel in Form eines Hahnenkamms, mit Schilden an den Bordwänden, kerzengeraden Segeln und Eschenmasten, weit fort vom Vaterland hinausgeschwommen waren – in die Meere –. Jansen stand unter ihnen, Jansenurgroßvater und schmetterte ein Lied von blauen Wellen, von Gewitterhimmel und einer hellblonden Jungfrau, die weit, weit draußen, irgendwo am Strand des Meeres wartet und hinausspäht aufs Wasser – und Jahre waren indessen vergangen, unzählige Jahre, Augen, wie das blaue Meer, wie Gewitterwolken. Und über diese Jahre hinweg war die traumselige Verjährung auf den armen Jansen niedergesunken.
In seiner feurigen Begeisterung hatte er Madame Lamolle im Geiste mit allen herrlichen Eigenschaften ausgestattet: Unschuld, Güte, Klugheit (das letztere stimmte übrigens wirklich, sie war klüger als er). Er war in einem Zustand, der seine Phantasie völlig umgarnt hatte. Ein Lächeln ihres Mundes genügte um ihn vollends trunken zu machen. Durch die bloße Erscheinung dieser Frau waren alle seine Gefühle verwirrt und es gab weder Eifersucht, noch Nachdenken, noch Bedauern.
Während er nun in seiner Kajüte stand, wo es nach Parfüm und Leder roch, blickte er voll Verzweiflung und Entzücken auf dieses liebe Gesicht, auf seine Liebe. Er fürchtete, sie könnte aufwachen. Geräuschlos näherte er sich dem Diwan, legte sich hin und schloß die Augen. Hinter der Bordwand tobten die Wellen, tobte der Ozean. Der Urgroßvater sang dazu das Lied von der Jungfrau. Jansen warf seine Hände hinter den Kopf, so wie es Kinder zu tun pflegen. Schlaf und Glück wiegten ihn ein.
Die Verladung des Radiumerzes war beendet. Vier Luftschiffe nahmen je hundert Säcke Erz, die mit Bleipapier umwickelt waren, an Bord. Von früh an waren schon die Luftschiffe gestartet und im Schnee- und Wolkentreiben den Blicken entschwunden.
Die Gegend rings um den Schajtanstein war nicht mehr zu erkennen. Auf der Richtung, die von Baumstrünken und Steinen vollständig gesäubert war, standen Bretterhangars und Radiomaste. Am Bach keuchte die elektrische Station. Material und Arbeiter wurden per Luft hergebracht. Die Arbeiten zur Ausbeutung und Bereicherung des Erzes waren in vollem Gange. Sowohl nach Paris wie auch nach Blagowjeschtschensk sandte Artur Lewy Rechenschaftsberichte über erfolgreiche Schürfungen nach Molybden. Davon, was tatsächlich bei dem Schajtanstein vor sich ging, ahnte niemand etwas.
Es war gegen zehn Uhr vormittags. Der Schneesturm wurde stärker. Das vierte Luftschiff hing noch über der Lichtung. Das Schneegestöber schaukelte seinen zigarrenförmigen Körper hin und her. Von unten sah es aus, als wäre in der Luft der Boden einer riesigen, eisernen Barke hängen geblieben. Die Mechaniker kamen kaum nach, ununterbrochen den Schnee von den Beschlägen fortzuputzen.
»Hören Sie, Lewy,« schrie jemand von der Gondel, »man muß abfliegen, zum Teufel! Oder das Schiff wieder in den Hangar führen!«
Arthur Lewy, der unter dem Schiff stand, neben der Aluminiumleiter, die zur Gondel emporführte, zuckte mit den Achseln:
»Es wurde befohlen, den Jungen um jeden Preis mitzubringen. Man ist im Begriffe, ihn zu suchen …«
Iwan Gußjew war diese Nacht plötzlich verschwunden. Man hatte die ganze Siedlung abgesucht, eine Verfolgungsexpedition wurde ausgerüstet. Garin hatte per Radio zu wiederholten Malen den strengen Befehl ausgegeben, den Jungen unbedingt lebend nach der Goldinsel zu bringen. Auf die Anfrage, ob man Manzew auch mitbringen sollte, hatte Garin geantwortet: »Bin auf ihn nicht neugierig.« Aber Manzew hätte ohnedies nie im Leben wieder ein Bad, reine Wäsche, teueren Tabak und alles übrige wiedergesehen … Auf der Ofenbank in irgendeiner der Baracken lag er im Sterben. Iwan Gußjew pflegte ihn und Wolschin vermutete, daß Manzew dem Jungen im Delirium die Wahrheit über die Machinationen Garins geschwatzt hatte. Zweifellos war der Junge aus der Siedlung geflohen, um die Sache den Behörden anzuzeigen.
»Er wird nicht weit kommen!« sagten die Arbeiter, die bei den Tauen des Luftschiffes standen.
»Es ist ja stockfinster.«
»Selbst ein Hirsch kommt bei so einem Schneegestöber nicht vorwärts – geschweige denn ein Mensch!«
Aus dem Heulen des Schneegestöbers tönten die Stimmen. Jemand lief schreiend zu dem Luftschiff. Seine trübe Silhouette tauchte hinter den Schneewolken auf. Es war Manzew, ohne Hut, den Pelz nach verschiedenen Seiten flatternd, der auf dem nackten, zerfressenen Körper angezogen war.
»Ich fliege!« brüllte er, versuchte noch etwas hinzuzusetzen wie ein Taubstummer, mit einer fast versteinerten Zunge. Sein löwenähnliches Gesicht mit den entzündeten, eingefallenen Augen war so schrecklich, daß Wolschin von der Treppe herabsprang. Die Arbeiter sagten:
»Was für ein zähes Leben der hat!«
»Er sprach schon auf der Ofenbank immer davon, daß man ihn ja nicht vergessen dürfe …«
»Wie kann man ihn denn mitnehmen – er ist ja ganz verfault! …«
Manzew streckte Lewy seine nur mehr aus bloßgelegten Knochen und in Fetzen weghängendem verfaultem Fleisch bestehenden Hände entgegen und wiederholte etwas, das aber nichts anderes war, als ein Stammeln »ba–ba–ba–ba …«
»Unmöglich. Jetzt kann ich Sie nicht mitnehmen. Sie werden ein anderes Mal mitfliegen.« Wolschin drehte ihm den Rücken zu. Wieder forderte der Kommandant des Luftschiffes raschesten Abflug … Wolschin beharrte. Da erschien von der Seite des Schajtansteins her ein hochgewachsener Mensch, über und über mit Schnee bedeckt. Auf den Händen trug er einen Pelzklumpen. Als er neben Wolschin angekommen war, lächelte er, die Zähne zeigend, strich seinen Bart auseinander und sagte:
»Soll man ihn nach oben tragen?«
»Wo hast du ihn gefunden?«
»Nicht weit, im Wald. Zwischen den Felsen.«
Wolschin bog den Pelz auseinander und blickte hinein – auf den Händen des Riesen lag, wie ein Klümpchen, Iwan Gußjew – sein Gesicht schien aus Wachs zu sein, die Lippen waren fest aufeinandergepreßt, die Augenlider geschlossen.
»Lebt er?«
»Er atmet. Wird schon auftauen … Als er zwischen die Felsen kam, begann das Gestöber ihn hin und her zu drehen. Ich dachte zuerst, ein kleiner Bär, der sich hinter der Tanne versteckt hatte …«
Wolschin nahm den Knaben auf die Arme, stieg in die Gondel hinauf und schlug kräftig hinter sich die Tür ins Schloß. Manzew bebte, faßte die Leiter an, lehnte seinen zerzausten Kopf an sie und schrie:
»Ich auch – ich auch –«
Ein paar Hände rissen ihn los. Er setzte sich in den Schnee. Mit den Aermeln des Pelzes fuchtelte er in der Luft herum.
»Start! – alles fertig!« schrie von oben der Kommandant. »Taue los!«
Der Metallboden wankte. Die Motoren schossen und begannen zu rattern, die Schrauben begannen sich zu drehen, die Leute sprangen zur Seite. Das Schiff stieg gegen die Wolken hoch, in rasendem Schneegestöber. Jemand aus dem Haufen von Arbeitern schrie: »Glückliche Rei…«
Manzew sprang auf. Niemand hatte von ihm solche Behändigkeit erwartet. Er klammerte sich an die letzten Stufen der Aluminiumleiter. Es riß ihn mit nach oben. Seine gespreizten Beine, der auseinanderflatternde Pelz, sausten himmelwärts.
Es ist unbekannt, ob er weit gekommen ist, in welcher Höhe er abgestürzt, wohin er gefallen ist. Er hatte einen leichten Tod – sein Herz blieb zwischen Himmel und Erde stehen.
»Kapitän!« (Ein Klopfen an der Tür.) »Kapitän!«
»Jansen!« Die aufgeregte Stimme Mme. Lamolles stach wie eine Nadel in das Gehirn des Kapitäns. Jansen sprang auf, tauchte mit wilden Augen aus seinen Träumen auf. Eilends zog Mme. Lamolle ihre Strümpfe an. Ihr Hemd glitt über die nackte Schulter herab.
»Alarm!« sagte sie, »und Sie schlafen!«
Wieder klopfte es an die Tür. Die Stimme des Vizekapitäns:
»Kapitän – an der linken Bordseite: Lichter!«
Jansen öffnete die Tür. Der feuchte Wind fuhr ihm in die Lungen, er hustete und eilte auf die Kommandobrücke. Die Nacht war pechfinster. Von der linken Bordseite aus sah man in der Ferne über den Ozean zwei Lichter schaukeln. Ohne die Lichter aus dem Auge zu lassen, tastete Jansen nach seiner Pfeife, die er umgehängt hatte und gab ein Signal. Die Bootsmänner antworteten. Jansen sagte:
»Alle Mann nach oben pfeifen! Die Segel abtakeln!«
Pfiffe. Schreien der Mannschaft. Von Back und Jut strömten die Matrosen heraus. Wie Katzen krochen sie auf die Masten, schaukelten in den Rahen. Unter ungeheuren Flüchen flogen binnen kurzem alle Segel herab. Jansen kommandierte:
»Steuer rechts! Volldampf vorwärts! Alle Lichter löschen!«
Die Arizona drehte bei. An der rechten Bordwand stieg eine Welle hoch und ergoß sich über das Deck. Die Lichter wurden gelöscht. In tiefster Finsternis bebte der Körper der Yacht und fuhr mit höchster Geschwindigkeit los.
Die beiden Lichter wuchsen rasch aus den Wellen. Bald erschien der ganze Dampfer wie eine trübe Silhouette, die stark rauchte. Es war ein riesiger gemischter Waren- und Passagierdampfer. Mme. Lamolle stieg auf die Kommandobrücke. Sie setzte sich eine gestrickte Mütze mit einer Quaste auf den Kopf, wickelte sich einen rauhen Schal um den Hals, den sie hinter dem Rücken band. Sie sah in ihrem anliegenden Sweater wie ein Backfisch aus. Jansen reichte ihr das Fernglas. Sie führte es an die Augen, aber da die Yacht zu stark schaukelte, mußte sie die Hand mit dem Fernglas auf Jansens Schulter stützen. Er hörte, wie ihr Herz unter dem warmen Sweater schlug.
»Wir werden angreifen!« sagte sie, und ganz nahe an ihn herangekommen, blickte sie ihm in die Augen.
Auf fünfhundert Meter Entfernung wurde die »Arizona« von Bord des Dampfers aus bemerkt. Man schwenkte Laternen, dann heulten dumpf die Sirenen. Die »Arizona« aber sauste ungeachtet der Signale in gerader Linie mit Volldampf auf das beleuchtete Schiff los. Das Schiff mäßigte seine Geschwindigkeit und begann, eine Wendung zu vollführen, um den Zusammenstoß zu vermeiden …
*
Es folgt ein Bericht des Korrespondenten des »New York Herald«, eine Woche nach diesem Vorfall veröffentlicht:
»… es war dreiviertel fünf Uhr früh, als uns das alarmierende Heulen der Sirene aus dem Schlaf weckte. Die Passagiere strömten auf das Deck. Nach den erleuchteten Kajüten schien die Nacht tintenfinster. Wir bemerkten einige Unruhe auf der Kommandobrücke unseres Dampfers und suchten mit unseren Ferngläsern den Ozean ab. Der Dampfer verminderte seine Geschwindigkeit. Plötzlich sahen wir folgendes: Die grauen Konturen eines noch nie gesehenen Schiffes sausten mit Volldampf direkt auf uns los. Schmal und lang, mit drei zurückgebogenen Masten, auf Heck und Steven sonderbare Türme, die aussahen wie Hebekräne alten Systems. Jemand meinte noch scherzend, es sei der ›fliegende Holländer‹ … In einer Minute ergriff alle Passagiere eine Panik. Hundert Meter vor uns blieb die geheimnisvolle Yacht stehen und eine dumpfe Stimme schrie in englischer Sprache durchs Sprachrohr:
›Legt euch auf Drift! Heizung löschen!‹
Unser Kapitän antwortete:
›Ehe man einen Befehl durchführt, muß man wissen, wer befiehlt!‹
›Es befiehlt die Königin der Goldinsel.‹
Wir waren verblüfft. Was war das? Ein Spaß? Eine neue Frechheit Pierre Carrys? Unser Kapitän antwortete:
›Ich schlage der ›Königin‹ eine Freikajüte zweiter Klasse und ein ausgiebiges Frühstück vor, falls sie hungrig ist!‹
Diese Worte hatte er aus dem Foxtrott ›der arme Garry‹ zitiert. Beide Decks dröhnten vor Lachen. In demselben Augenblick kam von dem Turm am Schiffsschnabel der Yacht ein dünner Strahl. Er war dünn, wie eine Stricknadel, blendend weiß und kam, ohne sich zu zerstreuen, aus der Kuppel des Turmes. Niemand von uns dachte daran, daß wir die furchtbarste Waffe vor uns hatten, die je von einem Menschen erfunden werden konnte. Wir waren alle bei bester Stimmung.
Der Strahl beschrieb in der Luft eine Schlinge und fiel lotrecht auf den Schnabel unseres Dampfers. Ein furchtbares Zischen wurde hörbar, die grüne Flamme durchschnittenen Stahls war zu sehen. Ein Matrose, der dort stand, schrie auf (er wurde später verkohlt aufgefunden). Schiffsschnabel und Bugspriet fielen gemeinsam über Bord ins Wasser. Der Strahl stieg wieder hoch und senkte sich, indem er parallel zur Decklinie längs des Schiffes tanzte. Mit Getöse stürzten die beiden Maste auf das Deck. In heller Panik warfen sich die Passagiere auf die Traps. Der Kapitän war durch einen Splitter der stürzenden Maste verwundet worden.
Alles weitere ist bekannt. Die Piraten näherten sich auf einer Schaluppe. Mit kurzen Karabinern bewaffnet, stiegen sie zu uns an Bord und verlangten Geld. Sie nahmen 10 Millionen Dollar mit sich – alles, was an Postanweisungen und Bargeld in den Taschen der Passagiere vorhanden war.
Als die Schaluppe mit ihrer Beute auf die Piratenyacht zurückgekommen war, wurde dort das Deck hell erleuchtet. Wir sahen, wie aus dem siebartig durchlöcherten Turm auf dem Schiffsschnabel eine schlanke Frau in gestrickter Kappe eilig auf die Kommandobrücke lief und den Mund an das Sprachrohr legte. Mit zurückgeworfenem Kopf rief sie uns zu:
›Ihr könnt frei eure Fahrt fortsetzen!‹
Der Piratenkapitän, der uns das Geld abgenommen hatte, küßte ihr die Hand. Auf der Yacht hörte man applaudieren.
Die Yacht vollführte noch eine Wendung und verschwand mit außerordentlicher Geschwindigkeit am Horizont.«
Die Ereignisse der letzten Tage – der Ueberfall des Luftschiffes »P. G. 5« auf das amerikanische Eskader, der Befehl an die amerikanische Flotte, die Goldinsel zu bombardieren – hatten die gesamte Bevölkerung der Insel in Aufregung versetzt.
In die Büros flatterten die ersten Anmeldungen für die Lohnabrechnungen. Man nahm seine Einlagen aus den Sparkassen, hinter den Stacheldrähten berieten sich die Arbeiter, ohne auf weißgelbe Polizisten zu achten, die mit finsteren Mienen und entschlossenen Schritten längs der polizeilich festgelegten Grenzen patrouillierten. Die Ansiedlung glich einem erregten Bienenstock. Vergebens heulten die Kupfertrompeten und brummten die türkischen Trommeln in der Schlucht mit den Freudenhäusern. Lunapark und Bars lagen leer da. Vergebens bemühten sich die fünfzehn Provokateure krampfhaft, um die schlechte Stimmung in einer nationalen, allgemeinen Rauferei zu entladen. An diesem Tage fiel es niemand ein, sich nur deshalb die Gedärme aus dem Leib reißen zu lassen, weil er zufälligerweise hinter einem Stacheldraht leben mußte, der ihn von den anderen Nationen trennte.
Ingenieur Czermak ließ auf der ganzen Insel einen Regierungsbericht anschlagen. Es wurde der Belagerungszustand verkündet, Versammlungen und Meetings waren bis auf weiteres verboten, ebenso hatte niemand das Recht, Abrechnung zu verlangen. Man warnte die Bevölkerung davor, die Regierung zu kritisieren. »Wer an der Regierung etwas auszusetzen hat, bekommt einen Stein um den Hals und dann – Ozean …« Die Arbeiten im Schacht müssen ohne Unterlaß, wie bisher, Tag und Nacht fortgesetzt werden. Wer durch mannhaftes, zuversichtliches Auftreten in diesen Tagen die Regierung unterstützt, den erwartet märchenhafter Reichtum als Belohnung. Die Kleinmütigen werden wir aber selbst zu eliminieren wissen. Bedenkt, daß wir gegen jene kämpfen, die verhindern wollen, daß wir reich werden!«
Trotz dem entschlossenen Geist dieser Erklärung verkündeten die Arbeiter am Morgen des Tages, an welchem der Flottenangriff zu erwarten war, sie würden die Maschinen mit flüssiger Luft zum Stillstand bringen, wenn ihnen nicht bis heute Mittag der Lohn ausbezahlt würde (es war Lohnauszahlungstag!) und wenn nicht bis Mittag noch an die amerikanische Regierung eine Erklärung gesandt würde, welche die Friedfertigkeit der Bevölkerung betone und die Einstellung aller kriegerischen Operationen verspräche.
Die Flüssige-Luft-Maschinen zum Stillstand bringen hätte bedeutet, den Schacht zu sprengen, vielleicht sogar die Ausscheidung des geschmolzenen Magna hervorzurufen. Die Drohung war arg. Im Jähzorn drohte Ingenieur Czermak mit Erschießungen. Die Weiß-Gelben begannen, sich vor dem Schacht zu konzentrieren. Da stiegen hundert Arbeiter in den Schacht ein, gingen in eine der Seitenhöhlen und benachrichtigten von dort aus telephonisch das Büro: »Man läßt uns außer dem Tod keinen anderen Ausweg. Um vier Uhr sprengen wir uns gemeinsam mit der Insel in die Luft.«
Jedenfalls war dies ein Aufschub um weitere vier Stunden. Ingenieur Czermak zog die Garde aus dem Rayon des Schachtes wieder ab und sauste mit seinem Motorrad zum Palast. Er traf Garin im Gespräch mit Schelga – beide mit roten Köpfen und in heller Aufregung. Als Garin seiner ansichtig wurde, sprang er wütend auf:
»Wer hat Sie solche Administrationsdummheiten gelehrt?«
»Aber …«
»Schweigen Sie! … Sie sind entlassen! Gehen Sie ins Laboratorium, dort können sie sich weiterhin mit Ihren verrückten Mikroskopen beschäftigen … Sie sind ein Esel!«
Garin riß die Tür weit auf und stieß Czermak hinaus. Dann kehrte er zu seinem Arbeitstisch zurück, auf welchem Schelga saß, eine Zigarre rauchend.
»Genosse Schelga. Die Stunde, die ich vorausgesehen habe – ist gekommen. Nur Sie allein werden diese Bewegung aufhalten können. Retten Sie die Situation! Das, was jetzt auf der Insel begonnen hat, ist ärger als zehn amerikanische Flotten!«
»Ja, ja,« antwortete Schelga, »es ist höchste Zeit, die wahre Lage der Dinge zu erfassen!«
»Halten Sie mir keine Moralpauken! … Ich ernenne Sie zum Gouverneur dieser Insel – mit außerordentlichen Vollmachten … Weigern Sie sich« – und Garin schrie, immer lauter werdend, warf sich über den Tisch, zog einen Revolver hervor – »dann mache ich kurzen Prozeß – und schieße Sie über den Haufen! Also: ja – oder nein!?«
»Nein!« sagte Schelga und schielte nach dem Revolver. Garin drückte ab.
»Verteufelter Schweinehund! …«
»Das heißt also: Sie sind einverstanden?!«
»Legen Sie das Zeugs da fort!«
»Gut.« Garin warf den Revolver in die Lade.
»Was wollen Sie? Die Arbeiter sollen den Schacht nicht sprengen? Gut. Sie werden ihn nicht sprengen. Aber – unter einer Bedingung!«
»Im vorhinein: einverstanden!«
»Ich bleibe auf der Insel ebenso Privatperson, wie bisher. Ich bin weder Ihr Diener noch ihr Söldling. Das ist das erste. Ferner: die fünfzehn nationalen Grenzen werden noch heute vernichtet, so daß kein Drahtverhau mehr stehen bleibt! Das wäre das zweite …«
»Einverstanden.«
»Die Bande ihrer Provokateure …«
»Ich habe keine Provokateure …« antwortete Garin eilig.
»Sie lügen …«
»Gut – ich habe gelogen. Was soll mit ihnen geschehen? Ertränken?«
»Jawohl – und zwar noch im Laufe der heutigen Nacht!«
»Wird gemacht. Betrachten Sie diese Parasiten als ertrunken.« (Garin notierte rasch einige Worte mit Bleistift in seinem Notizblock.)
»Das letzte ist: Garantie voller Unabhängigkeit meiner Beziehungen zu den Arbeitern – es gibt keine Einmengung von dritter Seite …«
»So?!« (Schelga kroch langsam vom Tisch herunter. Garin packte ihn bei der Hand) »Auch damit bin ich einverstanden – es wird schon noch einmal die Zeit kommen, wo ich mit Ihnen abrechnen werde … Was noch?«
Schelga zog mit zusammengekniffenen Augen so stark an seiner Zigarre, daß hinter der Rauchwand sein tückisches, abgewandtes Gesicht mit dem kurzen, hellen Schnurrbart und der aufwärts gerichteten Nase nicht zu sehen war. In diesem Augenblick läutete das Telephon. Garin nahm die Hörmuschel.
»Ich. – Wie? – Radio?«
Er legte die Muschel hin und setzte die Radiohörer auf den Kopf. Während er lauschte, biß er an seinen Nägeln. Sein Mund verzog sich allmählich zu einem Lächeln:
»Sie können die Arbeiter beruhigen. Morgen werden wir die Löhne auszahlen. Mme. Lamolle hat zehn Millionen Dollar verschafft. Ich sende das eben auf einer Spazierfahrt befindliche Luftschiff um das Geld der ›Arizona‹ entgegen. Sie ist ohnedies nur in einer Entfernung von vierhundert Meilen, nordöstlich!«
»Gut so,« sagte Schelga, »auf Wiedersehen!«
Ohne noch ein Wort zu verlieren, ging er hinaus.
Sich an die Plafondriemen hängend, ohne mit den Füßen den Boden zu berühren, mit zusammengekniffenen Augen und für eine Sekunde den Atem anhaltend, stürzte Schelga in die stählerne Liftschachtel, die mit einer Geschwindigkeit von 18 Kilometern pro Minute in den Schacht sauste.
Die Abkühlung des Parallelschachtes war noch keine gleichmäßige, man mußte von einer Höhle zur anderen so rasch als möglich durch die heißen Gürtel sausen, was nur durch die Geschwindigkeit dieses Sturzes ermöglicht wurde.
In der Tiefe von zwanzig Kilometern schaltete Schelga, nachdem er den roten Registrierpfeil geprüft hatte, den Rheostat ein und ließ den Lift halten. Es war vor Höhle 37. Dreihundert Meter tiefer summten wie Voltbogen auf dem Boden des Schachtes die Hyperboloide und kurze, unaufhörliche Explosionen des erhitzten Bodens ertönten, den man mit Preßluftmaschinen abkühlte. Die Baggerkellen der Elevatoren, die das Gestein an die Oberfläche beförderten, klirrten und rauschten.
Die Höhle 37 stellte, wie alle übrigen des Hauptschachtes, das Innere eines eisernen, vernieteten Würfels vor. Hinter ihren Wänden verdampfte die flüssige Luft, die Granitdichte abkühlend. Der Gürtel der glühenden Magna war scheinbar nicht tief, scheinbar näher, als man es auf Grund der elektromagnetischen und seismographischen Forschungen vermutet hatte. Der Granit hatte eine Temperatur von fünfhundert Grad. Hätten die Kühlvorrichtungen auch nur für eine halbe Stunde ihre Tätigkeit eingestellt, wäre alles Lebende in den Höhlen zu Asche geworden.
Im Innern des eisernen Würfels standen Kojen, Bänke und Wasserkübel. Während der vierstündigen Arbeitsschicht gerieten die Arbeiter in einen derartigen Zustand, daß sie sich halbtot auf die Kojen, Bänke und Wasserkübel stürzten, ehe sie an die Erdoberfläche gebracht werden konnten. Ventilatoren und Luftzufuhrröhren arbeiteten. Die Lämpchen unter dem vernieteten Plafond beleuchteten scharf die düsteren, ungesunden, verschwollenen Gesichter der fünfundzwanzig Arbeiter. Fünfundsiebzig andere Arbeiter befanden sich in den höher gelegenen Höhlen, mit diesen durch Telephone verbunden.
Schelga trat aus dem Lift. Man wandte sich ihm zu, aber begrüßte ihn nicht. Alle schwiegen. Der Entschluß, den Schacht zu sprengen, stand scheinbar felsenfest.
»Einen Dolmetsch! Ich werde russisch sprechen«, sagte Schelga und setzte sich an den Tisch, rückte mit den Ellbogen die Dosen mit Marmelade, englischem Salz und halbgeleerte Wein- und Biergläser zur Seite. (Die Regierung der Insel war mit all dem sehr freigebig gegen die Arbeiter.)
Ein bläulich-blasser, gebeugter, knochiger Jude mit Bartstoppeln näherte sich dem Tische. Mit seinem dünnen Hals und den herabfallenden Augenlidern glich er einem verletzten Vogel:
»Ich bin der Dolmetsch!«
Schelga begann zu sprechen …
»… Garin und alle seine Unternehmungen bedeuten nichts anderes als die äußerste Auswirkung der kapitalistischen Ideen. Weiter als Garin kann man nicht mehr gehen. Die gewaltsame Umwandlung des arbeitenden Teiles der Bevölkerung in Vieh – durch eine Gehirnoperation, Berufung von ›Auserwählten‹ – ›Herrschern‹ des Lebens, Patriziern, Geburteneinschränkung, Aufhalten der Zivilisationsentwicklung bei dem ›goldenen Punkt‹. Die Bourgeois verstehen Garin noch nicht – und er bemüht sich auch gar nicht, daß sie ihn verstehen. Man hält ihn für einen Banditen und Dieb. Es wird alle Mühe aufgewandt um Garin zu vernichten und sich seiner Unternehmungen zu bemächtigen. Wird er getötet, so wird man ihn hundert Jahre später vielleicht für einen Propheten erklären, seine Ideen – für Gebote.«
»Aber es liegt viel daran, daß er siegen wird: er hat Hyperboloide und er hat – Gold! Er hat Ideen und einen verteufelten Willen. Die Bourgeois haben statt der einstigen Fahnen – verschmierte Fetzen und zittern um ihre Goldbeute. Er wird sie schon belehren. Es ist nur das Eine zu befürchten: daß Garin mit den amerikanischen Kapitalisten einig wird. Dann, Genossen, wird es Euch arg ergehen. Dann kann ich Euch nicht dafür bürgen, daß nicht am Ende doch ein Gesetz durchgeführt wird, das an Euch Gehirnoperationen vornehmen läßt. Und Ihr habt hier, in dieser Schachtel, zwanzig Werst tief unter der Erde, beschlossen zu sterben – nur, weil Garin mit der amerikanischen Regierung in Konflikt geraten ist. Das kommt alles vom Klassen-Unbewußtsein! Aber er wird mit den Amerikanern um nichts in der Welt Frieden schließen – und das ist Euer Glück! Garin ist lebenshungrig, machtgierig. Ein selbstsüchtiger Mensch, vor allem unanständig, ränkesüchtig! Er hat slawisches Blut. Was tun – denkt Ihr? Siegt Garin – ist es schlecht, werden sie untereinander einig – noch schlechter. Ihr kennt nicht euren Preis, Genossen! Vor einer Stunde hat mir Garin unumschränkte Macht auf der Insel eingeräumt. Ich habe mich geweigert. Aus billigen Gründen. Garin hat auf den Türmen Hyperboloide, eine Garde von 500 Leuten, Verpflegungsgeräte. Aber die Macht – ist in Euren Händen! Und in einem Monat werden Baggerkellen Gold fördern – nicht für Garin, sondern für Euch! Für jene Sache, die wir auf der Erde zu vollführen haben. Wenn Ihr mir vertraut, Genossen, aber aus tiefster Seele vertraut! – dann will ich – Euer Führer sein! Wenn Ihr mich einstimmig auserwählt, dann werde ich Euch schon zeigen, wo die Sache anzufassen ist … Wenn Ihr mir aber nicht vertraut …«
Schelga hielt ein, betrachtete die düsteren Gesichter der Arbeiter, die ihm offen zugewandt waren und kratzte sich im Nacken.
»Wenn Ihr mir nicht vertraut – dann will ich noch weiter zu Euch sprechen.«
Ein bis an die Hüften nackter, rußgeschwärzter, breitschultriger junger Arbeiter trat auf ihn zu, sah Schelga mit blauen Dohlenaugen an. Dann zog er seine Hosen mit einem Ruck nach oben, wandte sich an seine Genossen:
»Ich vertraue!«
»Wir vertrauen …« sagten die Anderen. Und über die Werste weit von einander entfernten Räume flog, im Telephon die Granitmassen durchquerend, der Ruf: »Wir vertrauen, wir vertrauen …«
»Nun, wenn Ihr mir vertraut, dann ist es gut,« sagte Schelga, »jetzt hört noch folgende Punkte: die nationalen Grenzen werden noch bis heute abends fortgeräumt. Eure Löhnung bekommt Ihr morgen ausbezahlt. Die Garde kann den Palast ruhig weiter bewachen – wir werden ohne sie fertig. Die fünfzehn Kerle von Provokateuren hat man ertränkt – das war meine erste Bedingung an Garin. Jetzt besteht die Hauptaufgabe darin: so rasch als möglich zu dem Golde vordringen. Stimmt das, Genossen?«
»Du hast recht – wir folgen dir. Sei unser Führer!« sagten die Arbeiter.
* * *