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(Leipzig 1862.)
In rascher Folge haben sich in den jüngsten Jahren die Feste gedrängt, welche das Andenken der großen Männer unseres Volkes feierten. Aber laut und schneidend klingen in den Jubel der Menge die fragenden Stimmen der Mahnung und des Spottes: ob wir denn gar nicht müde werden, uns behaglich die Hände zu wärmen an dem Feuer vergangener Größe? ob uns denn gar zu wohl sei in dem Bewußtsein einer epigonenhaften Zeit? ob wir denn ganz vergessen, daß alle Straßen und Plätze von Athen prunkvoll geschmückt waren mit den Standbildern seiner großen Männer, zur Zeit da Griechenland des Eroberers Beute ward? – Nicht ein Wort mag ich erwidern auf den Vorwurf, daß wir in einem Zeitalter der Epigonen lebten. Denn mit solchem Willen soll eine jede Zeit sich rüsten, als ob sie die erste sei, als ob das Höchste und Herrlichste gerade ihr zu erreichen bestimmt sei; und ruhig mögen wir einem späteren Jahrhundert überlassen zu entscheiden, ob unser Streben ein ursprüngliches gewesen – wie ich denn sicher hoffe, es werde unsern Tagen dies Lob dereinst nicht fehlen. Aber wohl gebührt sich eine Antwort auf den anderen Vorwurf der Selbstbespiegelung, Nein, nicht die Eitelkeit, nicht einmal jene ehrenwerte Pietät, die andere Völker treibt, ihre großen Toten zu ehren – ein tieferes Bedürfnis der Seelen ist es, was gerade jetzt gerade unser Volk bewegt, seiner Helden zu gedenken mit einer Innigkeit, die von den Fremden vielleicht nur der Italiener versteht.
Auf uns lastet das Verhängnis, daß wir staatlosen Deutschen die Idee des Vaterlandes nicht mit Händen greifen an den Farben des Heeres, an der Flagge jedes Schiffes im Hafen, an den tausend sichtbaren Zeichen, womit der Staat den Bürger überzeugt, daß er ein Vaterland hat. Nur im Gedanken lebt dies Land; erarbeiten, erleben muß der Deutsche die Idee des Vaterlandes. Jeder edlere Deutsche hat entscheidungsvolle Jahre durchlebt, da ihm im Verkehre mit Deutschen aus aller Herren Ländern die Erkenntnis anbrach, was deutsches Wesen sei, bis endlich der Gedanke, daß es ein Deutschland gebe, vor seiner Seele stand mit einer unmittelbaren Gewißheit, die jedes Beweises und jedes Streites spottet. Wachsen wir so erst im Verkehre mit den Lebendigen zu Deutschen heran, so begreift sich das Volk als ein Ganzes in seiner Geschichte. Und das ist der Sinn jener Feste, deren die politisch tiefbewegte Gegenwart nicht müde wird, daß wir, rückschauend auf die starken Männer, die unseres Geistes Züge tragen, erfrischen das Bewußtsein unseres Volkstums und stärken den Entschluß, daß aus dieser idealen Gemeinschaft die Gemeinschaft der Wirklichkeit, der deutsche Staat erwachse. Darum fällt die Feier solcher Tage vornehmlich jenen als ein unbestrittenes schönes Vorrecht zu, die sich nicht genügen lassen an dem leeren Worte von der Einigkeit der Deutschen, sondern Kopf und Hände regen zum Aufbau des deutschen Staates. – Und das auch ist ein rühmliches Zeichen für das lebende Geschlecht, daß aus der langen Reihe von Jahrhunderten, welche dies alte Volk hinter sich liegen sieht und in der Gegenwart gleichsam neu durchlebt, keine Epoche uns so traulich zum Herzen redet, uns so das Innerste bewegt, wie jene siebenzig Jahre seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, da unser Volk sich losrang zuerst von der Geistesherrschaft, dann von dem politischen Joche unheimischer Gewalten, Erst heute werden die Helden jener Zeit von ihrem Volke verstanden, besser oft verstanden als von den Zeitgenossen; und wenn es ein Herrliches war, eine Zeit zu schauen, die einen Stein und Goethe gebar, so mögen wir auch als ein Glück preisen, in Tagen zu leben, die diesen Männern zuerst ganz gerecht geworden.
Ein gesegneter Winkel des obersächsischen Landes fürwahr, der in kaum hundert Jahren den Deutschen Lessing, Fichte, Rietschel schenkte – drei Geister im Innersten verwandt, wie fremd sie sich scheinen, der kühne Zertrümmerer der französischen Regeln unserer Dichtung, der tapfere Redner und der weiche sinnige Bildhauer – jeder in seiner Weise ein Träger der besten deutschen Tugend, der Wahrhaftigkeit. Ein Dorfwebersohn, wuchs Fichte auf in dürftiger Umgebung, in der altfränkischen Sitte der Lausitzer Bauern. Frühzeitig und stark arbeitet er im Innern mit dem Verstande und mehr noch mit dem Gewissen. Der so begierig lernt, daß er eine Predigt nach dem Hören wiederholen kann, wie rüstig kämpft er doch gegen die Dinge, die so lebendig auf ihn eindringen! Das schöne Volksbuch vom hörnernen Siegfried wirft er in den Bach als einen Versucher, der ihm den Geist ablenkt von der Arbeit. Als ihm dann durch die Gunst eines Edelmannes eine gelehrte Erziehung auf der Fürstenschule zu Pforta zuteil wird, stemmt sich der eigenwillige Knabe wider jene Verkümmerung des Gemüts, welche der familienlosen Erziehung anhaftet, sein waches Gewissen empört sich gegen die erzwungene Unwahrhaftigkeit der Gedrückten. Er gesteht seinen herrischen Oberen den Entschluß der Flucht; er flieht wirklich; auf dem Wege, im Gebete und im Andenken an die Heimat kommt das Gefühl der Sünde über ihn; er kehrt zurück zu offenem Bekenntnis. So früh sind die Grundzüge seines Wesens gereift, wie zumeist bei jenen Menschen, deren Größe im Charakter liegt, Der Knabe schon bezeichnet seine Bücher mit dem Sinnspruch, den der Mann bewährte: Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae .
Schwerer, langsamer entscheidet sich die Richtung seiner Bildung. Kümmerlich schlägt er sich durch die freudlose Jugend eines armen Theologen, und sein Stolz – »die verwahrlosteste Seite meines Herzens« – schämt sich bitterlich der Armut. Erst in seinem siebenundzwanzigsten Jahre wird ihm das Schicksal gütiger. Er sammelt auf der weiten Fußwanderung nach einer Hauslehrerstelle in Zürich eine für jene Zeit ziemlich ausgedehnte Erfahrung von dem Elend des armen leidenden Volkes, er wird in der Schweiz mit der großen Arbeit der deutschen Literatur vertraut, er lernt in Zürich das schmucklose Wesen eines ehrenhaften Freistaates verstehen, das seinem schlichten Stolze zusagt, und findet dort endlich in Johanna Rahn, einer Nichte Klopstocks, das herrliche Weib seiner Liebe. Eine verwandte Natur, sehr ernsthaft, wirtschaftlich nach Schweizer Weise, nicht gar jung mehr und längst schon gewohnt, ihr warmes Blut in strenger Selbstprüfung zu beherrschen, tritt sie ihm fertig und ruhig entgegen, und oftmals mochten ihre Augen strenge unter dem Schweizerhäubchen hervorblicken: »Höre, Fichte, stolz bist du. Ich muß dir's sagen, da dir's kein anderer sagen kann.« Auch in der abhängigen Stellung des Hauslehrers weiß er sich seine feste Selbstbestimmung zu wahren; er zwingt die Eltern, die Erziehung bei sich selber anzufangen, führt ein gewissenhaftes Tagebuch über ihre wichtigsten Erziehungsfehler. Nach zwei Jahren sieht er sich wieder in die Welt getrieben; eine Fülle schriftstellerischer Pläne wird entworfen und geht zu Grunde.
Da endlich erschien seines inneren Lebens entscheidende Wendung, als er, bereits achtundzwanzigjährig, in Leipzig durch einen Zufall Kants »Kritik der reinen Vernunft« kennen lernte. »Der Hauptendzweck meines Lebens ist der,« hatte er früher seiner Braut geschrieben, »mir jede Art von (nicht wissenschaftlicher, ich merke darin viel Eitles, sondern) Charakterbildung zu geben. Ich habe zu einem Gelehrten von Metier so wenig Geschick als möglich. Ich will nicht bloß denken, ich will handeln, ich mag am wenigsten denken über des Kaisers Bart.« Und mit der gleichen Verachtung wie auf die Gelehrten von Metier schaute er hinab auf die »Denkerei und Wisserei« der Zeit, auf jene Nützlichkeitslehre, welche nur darum nach Erkenntnis strebte, um durch einzelne hastig und zusammenhanglos aufgegriffene Erfahrungssätze die Mühsal des Lebens bequemer, behaglicher zu gestalten. Der rechte Gelehrte sollte gar nicht ahnen, daß das Wissen im Leben zu etwas helfen könne. Sein Trachten stand nach einer Erkenntnis, die ihn befähige, »ein rechtlicher Mann zu sein, nach einem festen Gesetze und unwandelbaren Grundsätzen einherzugehen.« Aber woher diese Sicherheit des Charakters, solange sein Gemüt verzweifelte über der Frage, die vor allen Problemen der Philosophie ihn von früh auf quälend beschäftigte, über der Frage von der Freiheit des Willens? Sein logischer Kopf hatte sich endlich beruhigt bei der folgerichtigen Lehre Spinozas, wie Goethes Künstlersinn von der grandiosen Geschlossenheit dieses Systems gefesselt ward. Sein Gewissen aber verweilt zwar gern bei dem Gedanken, daß das einzelne selbstlos untergehe in dem Allgemeinen, doch immer wieder verwirft es die Idee einer unbedingten Notwendigkeit, denn »ohne Freiheit keine Sittlichkeit«. Welch ein Jubel daher, als er endlich durch Kant die Autonomie des Willens bewiesen fand, als er jenes große Wort las, das nur ein Deutscher schreiben konnte: »es ist überall nichts in der Welt, überhaupt auch außerhalb derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.« Über Kants Werken verlebt er jetzt seine seligsten Tage; all sein vergangenes Leben erscheint ihm ein gedankenloses Treiben in den Tag hinein, der Weisheit Kants verdankt er »seinen Charakter bis auf das Streben, einen haben zu wollen.« Wer Verkündigung dieser Lehre soll nun sein Leben geweiht sein; »ihre Folgen sind äußerst wichtig für ein Zeitalter, dessen Moral bis in seine Quellen verderbt ist.« Und zum sichersten Zeichen, daß er hier einen Schatz von Gedanken gefunden, der seinem eigensten Wesen entsprach, entfaltete sich jetzt seine Bildung ebenso rasch und sicher, als sie schwer und tastend begonnen hatte. Eine Reise nach Polen und Preußen führt ihn zu dem Weisen von Königsberg, dem er ehrfürchtig naht, »wie der reinen Vernunft selbst in einem Menschenkörper.« Bei ihm führt er sich ein durch die rasch entworfene Schrift »Kritik aller Offenbarung, 1791.«
Damit beginnt sein philosophisches Wirken, das näher zu betrachten nicht dieses Orts noch meines Amtes ist, so reizvoll auch die Aufgabe, zu verfolgen, wie die Denker, nach dem Worte des alten Dichters, die Leuchte des Lebens gleich den Tänzern im Fackelreigen von Hand zu Hand geben. Es genüge zu sagen, daß Fichte die Lehre von der Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Willens mit verwegenster Kühnheit bis in ihre äußersten Folgesätze hindurchfühlte. Weil die Bestimmung unseres Geistes sich nur verwirklichen läßt im praktischen Handeln, das praktische Handeln aber eine Bühne fordert, deshalb und nur deshalb ist der Geist gezwungen, eine Außenwelt aus sich herauszuschauen und als eine wirkliche Welt anzunehmen. »Ich bin ja wohl transzendentaler Idealist,« gesteht Fichte, »härter als Kant, denn bei ihm ist noch ein Mannigfaltiges der Erfahrung; ich aber behaupte mit dürren Worten, daß selbst dieses von uns durch ein schöpferisches Vermögen reproduziert wird.« Hatte Kant die große Wahrheit gefunden, daß die Dinge sich richten nach der Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens: sein Nachfolger schreitet weiter und behauptet getrost: »die Dinge werden erst durch unser Ich geschaffen; es gibt kein Sein, sondern nur Handeln; der sittliche Wille ist die einzige Realität.« Allein an der Kühnheit dieser Abstraktionen, der verwegensten, die deutscher Denkermut zu fassen wagte, können wir den aufrechten Trotz des Mannes ermessen. Zuversichtlich glauben wir ihm, daß »seine wissenschaftliche Ansicht nur die zur Anschauung gewordene innere Wurzel seines Lebens« selber war; denn »was für eine Philosophie man wählt, richtet sich danach, was für ein Mensch man ist.« In sicherem Selbstgefühle faßt der Mann sich jetzt zusammen, als die namenlose Schrift des Anfängers für ein Werk des Meisters Kant gehalten wird, und der triviale Lärm seichter Lobreden ihn rasch die Nichtigkeit der literarischen Handwerker durchschauen läßt.
So steht sein Charakter vollendet, mannhaft, fast männisch, des Willens, die ganze Welt unter die Herrschaft des Sittengesetzes zu beugen, gänzlich frei von Schwächen, jenen kleinen Widersprüchen wider die bessere Erkenntnis – und eben darum zu einem tragischen Geschicke bestimmt, zu einer Schuld, die mit seinem Wesen zusammenfiel, die er selber unwissend bekannte, indem er sich also verteidigte: »Man paßt bei einer solchen Denkart schlecht in die Welt, macht sich allenthalben Verdruß. Ihr Verächtlichen! Warum sorgt ihr mehr dafür, daß ihr euch den andern anpaßt, als diese euch und sie für euch zurecht legt?« – Andere für sich zurecht legen – das ist die herrische Sünde der idealistischen Kühnheit. Als in der Not des Krieges von 1806 sein Weib, einsam zurückgeblieben in dem vom Feinde besetzten Berlin, voll schwerer Sorge um den fernen Gatten, in Krankheit fällt, da schreibt ihr der gewaltige Mann: »ich hoffte, daß du unsere kurze Trennung, gerade um der bedeutenden Geschäfte willen, die dir auf das Herz gelegt waren, ertragen würdest. Ich habe diesen Gedanken bei meiner Abreise dir empfohlen und habe ihn in Briefen wieder eingeschärft. Starke Seelen, und du bist keine schwache, macht so etwas stärker – und doch!« So hart kann er reden zu ihr, die ihm die Liebste ist; denn er glaubt an die Allmacht der Wahrheit. Ihm ist kein Zweifel, wo die rechte Erkenntnis sei, da könne das rechte Handeln, ja das rechte Schicksal nicht fehlen, und jeden Einwand menschlicher Gebrechlichkeit weist er schroff zurück. Warum keine Spur von Humor, von liebenswürdigem Leichtsinn, nichts von Anmut und Nachgiebigkeit in ihm, der das derbe Wort gesprochen: »eine Liebenswürdigkeitslehre ist vom Teufel.« Nichts von jener Sehnsucht nach der schönheitssatten Welt des Südens, die Deutschlands reiche Geister in jenen Tagen beherrschte. Unfähig, ungeneigt sich liebevoll zu versenken in eine fremde Seele, verkündet er kurzab, er lehre alle Dinge nur von einer Seite zu betrachten, »nämlich von der rechten.«
Entfremdet der Natur, die ihm nur besteht, um unterjocht zu werden von dem Geiste, mahnt er zur Hingebung, zur Selbstvergessenheit eine sinnliche, selbstsüchtige Zeit: auch essen und trinken sollen wir nur um Gottes willen. Nicht die leiseste sinnliche Vorstellung soll uns den erhabenen Gottesgedanken trüben: »ein Gott, der der Begierde dient, ist ein Abgott. Gott will nicht, Gott kann nicht das Gute, das wir gern möchten, uns geben außer durch unsere Freiheit; Gott ist überhaupt nicht eine Naturgewalt, wie die blinde Einfalt wähnt, sondern ein Gott der Freiheit.« Die Freuden des Himmels, die bequeme Tröstung schwacher Gemüter, müssen schwinden vor einer geistigeren Auffassung: »die Ewigkeit kommt der neuen Zeit mitten in ihre Gegenwart hinein;« die vollendete Freiheit, die Einheit mit Gott ist schon im Diesseits möglich.
Beseelt von solchen Gedanken der Ertötung alles Fleisches, der asketischen Sittenstrenge, ist Fichte ein unästhetischer Held geblieben, wie groß er auch dachte von der Kunst, die der Natur den majestätischen Stempel der Idee aufdrücke. Auch in ihm, wie in allen edleren Söhnen jener an den Helden Plutarchs gebildeten Tage, wogte und drängte ein großer Ehrgeiz; er gedachte an seine Existenz für die Ewigkeit hinaus für die Menschheit und die ganze Geisterwelt Folgen zu knüpfen; aber, fährt er fort, »ob ich's tat braucht keiner zu wissen, wenn es nur geschieht!« Jene hohe Leidenschaft, die dem strengsten aller Dichter, Milton, nur als die letzte Schwäche edlerer Naturen erscheint, der Durst nach Ruhm, wird scharf und schonungslos, als eine verächtliche Eitelkeit verworfen von dieser selbstgewissen Tugend, welche leben will aus dem erkannten rein Geistigen heraus. In Augenblicken des Zweifels – als gälte es Schillers witziges Epigramm zu bewähren – prüft der gestrenge Mann, auf welcher Seite seine Neigung stehe, um dann mit freudiger Sicherheit des anderen Weges zu gehen. Selber folgerichtig im Kleinsten wie im Größten, sagt er den Zeitgenossen erbarmungslos auf den Kopf zu, welches die notwendigen Folgen ihrer weichlichen Grundsätze seien. Trocken spricht er: »dies weiß man gewöhnlich nicht, gibt es nicht zu, ärgert sich daran, glaubt es nicht; aber es kann alles dieses nichts helfen, so ist's.« Er findet unter den Menschen nur wenige bösartig und gewalttätig – »denn hierzu gebricht es bei der Mehrzahl an Kraft: – sondern sie sind in der Regel bloß dumm und unwissend, feige, faul und niederträchtig.« In diese Welt tritt er ein mit dem stolzen Bewußtsein eines apostolischen Berufs: »so bin ich drum wahrhaft Stifter einer neuen Zeit – der Zeit der Klarheit – bestimmt angebend den Zweck alles menschlichen Handelns, mit Klarheit Klarheit wollend. Alles andere will mechanisieren, ich will befreien.« – Wenn Goethe fürchtete, der eigenrichtige Mann sei für sich und die Welt verloren: für den Philosophen war das Widerstreben der Welt gar nicht vorhanden. »Wenn ich im Dienste der Wahrheit stürbe,« sagt er einfach, »was täte ich dann weiter als das, was ich schlechthin tun müßte?« –
Ein Eloge zu halten ist nicht deutsche Weise, und in Fichtes Geiste am wenigsten würde ich handeln, wenn ich nicht trotzig sagte, wie gar fremd unserer Zeit, die an sich selber glaubt und glauben soll, dieser Idealismus geworden ist, der so nur einmal möglich war und keinen Schüler fand. Seit jenen Tagen ist das Leben unseres Volkes ein großer Werkeltag gewesen. Wir haben begonnen in harter Arbeit den Gedanken der Welt einzubilden und sind darüber der Natur freundlich näher getreten. Sehr vieles nehmen wir bescheiden hin als Ergebnis der Natur und Geschichte, was Fichte dem Sittengesetze zu unterwerfen sich vermaß. Mit dem steigenden Wohlstande ist ein hellerer Weltsinn in die Geister eingezogen; ein schönes Gleichmaß von Genuß und Tat soll uns das Leben sein. Wer unter uns bezweifelt, daß die Sittlichkeit der Athener eine reinere war als die Tugend der Spartaner und dem Genius unseres Volkes vertrauter ist? Seitdem ist auch die gute Laune wieder zu ihrem Rechte gelangt, wir heißen sie willkommen selbst mitten in der Spannung des Pathos; die kecke Vermischung von Scherz und Ernst in Shakespeares Gedichten ist erst dem realistischen Sinne der Gegenwart wieder erträglich geworden. Doch eben weil jener Idealismus Fichtes unserem Sinne so fern liegt, weil längst der Zeit verfiel, was daran vergänglich war, weil Lust und Not des rastlosen modernen Lebens uns von selber ablenken und jeder Überspannung des Gedankens – ebendeshalb gereicht es unseren fröhlicheren Tagen zum Segen, sich in diese weltverachtenden Ideen weltverachtender Sittlichkeit zu versenken wie in ein stählendes Bad der Seele, Selbstbeherrschung daran zu lernen und zu gedenken, daß ein tatloses Wesen dem Humor anhaftet und der Dichter sicher wußte, warum er seinem Hamlet die Fülle sprudelnden Witzes lieh. Wie beschämt muß all unsere heitere Klugheit verstummen vor dem einen Worte: »nur über den Tod hinweg, mit einem Willen, den nichts, auch nicht der Tod, beugt und abschreckt, taugt der Mensch etwas.«
Noch immer, leider, werden übergeistreiche Beurteiler nicht müde, das Bild des Denkers in eine falsche Beleuchtung zu rücken. Man nennt ihn einen Gesinnungsgenossen der Romantiker – ihn, dessen spartanische Strenge so recht den Gegensatz bildet zu der vornehm spielenden Ironie der Romantiker – ihn, der, obwohl nicht frei von mystischen Stimmungen, dennoch als ein herber Protestant, für alle katholisierenden Richtungen nur Worte schärfster Verachtung hatte. Auch Fichte genoß ein wenig von dem Segen jener schönen, reizvollen Geselligkeit, welche die Gegenwart nicht mehr kennt; geistreiche Frauen saßen zu seinen Füßen und stritten sich um die Ehre, ihm Famulusdienste zu leisten, wenn er über die höchsten Gegenstände der Erkenntnis sprach. Und doch ist nie ein Mann freier gewesen von jeder romantischen Vergötterung der Frauen. Abhängigkeit, Bedürftigkeit war ihm das Wesen des Weibes. Leidenschaftslos, voll warmer, treuer Zuneigung steht er ehrenfest neben seinem Weibe, gleich einem jener derben Bürger auf alten deutschen Holzschnitten; kein schöneres Lob weiß er ihr zu sagen als »männlichere Seele, Johanna!« – Das Ärgste aber in der Umkehrung der Wissenschaft hat Stahl geleistet; er nennt Napoleon das verkörperte weltschaffende Ich Fichtes. Also, in dem Helden der souveränen Selbstsucht wäre Fleisch geworden das System des deutschen Denkers, der unermüdlich eifert, es sei die Seligkeit des Ich, sich der Gattung zu opfern?! – Auch das ist vielen ein Rätsel gewesen, wie dieser schroffe, schneidige Charakter gerade aus dem obersächsischen Stamme hervorgehen konnte. Er selber sagt von seiner Heimat, sie berge »einen Grad von Aufklärung und vernünftiger Religionskenntnis, wie ihn in dieser Ausdehnung gegenwärtig kein Land in Europa besitzt.« Doch das alles sei »durch eine mehr als spanische Inquisition eingezwängt. Daraus entsteht denn eine knechtische, lichtscheue, heuchlerische Denkungsart.« In der Tat, alle Voraussetzungen echter Geistesfreiheit, eine Fülle von Bildungsmitteln, eine weit verbreitete Volkskultur waren vorhanden in dem Mutterlande der Reformation. Aber Druck von oben und das Übermaß geistigen Schaffens, dem kein großes politisches Wirken das Gegengewicht hielt, hatten in dem ohnedies mehr elastischen als massiven Stamme endlich jene Schmiegsamkeit und Höflichkeit erzeugt, welche schroffe, reformatorische Naturen nur schwer erträgt. Nächst dem schwäbischen hat das obersächsische Land die größte Zahl von Helden des deutschen Geistes geboren; aber Obersachsen verstieß die Mehrzahl seiner freieren Söhne. In allen diesen Heimatlosen, in Pufendorf und Thomasius, in Lessing und Fichte, erhebt sich der freie Geist, der so lange mit der zahmen Sitte seiner Umgebung gerungen, zu schroffem Stolze; rücksichtsloser Freimut wird ihnen allen zur Leidenschaft. –
Dem Vielgewanderten kamen endlich frohere Tage, als eine Änderung seiner äußeren Lage ihm erlaubte, seine treue Johanna heimzuführen, und der Ruf ihn traf zu der Stelle, die ihm gebührte, zum akademischen Lehramte in Jena. Schon der erste Plan des jungen Mannes war der kecke Gedanke gewesen, eine Rednerschule zu gründen in einem Volke ohne Rednerbühne. Nach seiner Auffassung der Geschichte wurden alle großen Weltangelegenheiten dadurch entschieden, daß ein freiwilliger Redner sie dem Volke darlegte, und er selber war zum Redner geboren. Zur Tat berufen sind jene feurigen Naturen, denen Charakter und Bildung zusammenfallen, jede Erkenntnis als ein lebendiger Entschluß in der Seele glüht; doch nicht das unmittelbare Eingreifen in die Welt konnte den weltverachtenden Denker reizen. Von ihm vor allen gilt das Stichwort des philosophischen Idealismus jener Tage, daß es für den wahrhaft sittlichen Willen keine Zeit gibt, daß es genügt, der Welt den Anstoß zum Guten zu geben. Auf den Willen der Menschen zu wirken, des Glaubens, daß daraus irgendwo und irgendwann die rechte Tat entstehen werde, das war der Beruf dieses eifernden geselligen Geistes. Daher jener Brustton tiefster Überzeugung, der, wie alles Köstlichste des Menschen, ich nicht erklären noch erkünsteln läßt. Daher auch der Erfolg – in diesem seltenen Falle ein sehr gerechter Richter – denn was der große Haufe sagt: »ihm ist es Ernst,« das bezeichnet mit plumpem Wort und seinem Sinn den geheimsten Zauber menschlicher Rede. Vergeblich suchen wir bei Fichte jene Vermischung von Poesie und Prosa, womit romanische Redner die Phantasie der Hörer zu blenden lieben. Sogar die Neigung fehlt ihm, freie Worte als ein Kunstwerk abzuschließen; der Adel der Form soll sich ihm gleich der guten Sitte ungesucht ergeben aus der vollendeten Bildung. Nur aus der vollkommenen Klarheit erwächst ihm jede Bewegung des Herzens; die Macht seiner Rede liegt allein begründet in dem Ernste tiefen gewissenhaften Denkens, eines Denkens freilich, das sichtbar vor unseren Augen entsteht.
Er strebt nach der innigsten Gemeinschaft mit seinen Hörern; an der Energie seines eigenen Denkens soll ihre Selbsttätigkeit sich entzünden; er liebt es, »eine Anschauung im Diskurs aus den Menschen zu entwickeln.« »Ich würde,« sagt er schon in einer Jugendschrift, »die Handschrift ins Feuer werfen, auch wenn ich sicher wüßte, daß sie die reinste Wahrheit, auf das bestimmteste dargestellt, enthielte, und zugleich wüßte, daß kein einziger Leser sich durch eigenes Nachdenken davon überzeugen würde.« Diese Selbstbesinnung des Hörers zu erwecken, ihn hindurchzupeitschen durch alle Mühsal des Zweifels, angestrengter geistiger Arbeit – dies ist der höchste Triumph seiner Beredsamkeit, und es ist da kein Unterschied zwischen den »Reden« und den Druckschriften; alle seine Werke sind Reden, das Denken selber wird ihm alsbald zur erregten Mitteilung. Ein Meister ist er darum in der schweren Kunst des Wiederholens; denn wessen Geist fortwährend und mit schrankenloser Offenheit arbeitet, der darf das hundertmal Gesagte noch einmal sagen, weil es ein Neues ist in jedem Augenblicke, wie jeder Augenblick ein neuer ist. Doch vor allem, er denkt groß von seinen Hörern, edel und klug zugleich hebt er sie zu sich empor, statt sich zu ihnen herabzulassen. Die Jugend vornehmlich hat dies dankend empfunden; denn der die Menschheit so hoch, das gegenwärtige Zeitalter so niedrig achtete, wie sollte er nicht das werdende Geschlecht lieben, das noch rein geblieben war von der Seuche der Zeit? Der stets nur den ganzen Menschen zu ergreifen trachtete, er war der geborene Lehrer jenes Alters, das der allseitigen Ausbildung der Persönlichkeit lebt, bevor noch die Schranken des Berufs den Reichtum der Entwicklung beengen. Endlich – fassen wir die Größe des Redners in dem einen von tausend Hörern wiederholten Lobe zusammen – was er sprach, das war er. Wenn er die Hörenden beschwor, eine Entschließung zu fassen, nicht ein schwächliches Wollen irgend einmal zu wollen, wenn er die Macht des Willens mit Worten verherrlichte, die selbst einem Niebuhr wie Raserei erschienen: da stand er selber, die gedrungene überkräftige Gestalt mit dem aufgeworfenen Nacken, den streng geschlossenen Lippen, strafenden Auges, nicht gar so mild und ruhig, wie Wichmanns Büste ihn zeigt, welche die Verklärung des Toten verkörpert, voll trotzigen Selbstgefühles und doch hoch erhaben über der Schwäche beliebter Redner, der persönlichen Eitelkeit – in jedem Zuge der Mann der durchdachten Entschließung, die des Gedankens Blässe nicht berührte. Darum hat sich von allen Lehrern, die neuerdings an deutschen Hochschulen wirkten, sein Bild den jungen Gemütern am tiefsten eingegraben; sein Schatten ist geschritten durch die Reihen jener streitbaren Jugend, die für uns blutete und in seinem Sinne ein Leben ohne Wissenschaft höher achtete denn eine Wissenschaft ohne Leben.
Jene »mehr als spanische Inquisition« seiner Heimat sollte endlich auch ihn ereilen. Eine pöbelhafte Anklage bezichtigte Fichte bei dem kursächsischen Konsistorium des Atheismus und vertrieb ihn aus Jena, weil er nicht imstande war, den Schein des Unrechts auf sich zu nehmen, wo sein Gewissen ihm recht gab. Da wollte eine glückliche Fügung, daß der Rat des Ministers Dohm ihn nach Preußen führte, in den Staat, der gerade diesem Manne eine Heimat werden mußte. Der Staat Preußen hat den Lehrer und Philosophen zum Patrioten gebildet.
Ein strenger Geist harter Pflichterfüllung war diesem Volke eingeprägt durch das Wirken willensstarker Fürsten, fast unmenschlich schwer die Lasten, die auf Gut und Blut der Bürger drückten. Was andere schreckte, Fichte zog es an. Nur das eine mochte ihn abstoßen, daß jener Sinn der Strenge schon zu weichen begann, daß zu Berlin bereits ein Schwelgen in weichlichen unpoetischen Empfindungen, eine seichte, selbstzufriedene Aufklärung sich brüstete, deren Haupt Nicolai unser Held bereits in einer seiner totschlagenden humorlosen Streitschriften gezüchtigt hatte. Ein rührender Anblick, wie nun der Kühnste der deutschen Idealisten den schweren Weg sich bahnt, den alle Deutschen jener Tage zu durchschreiten hatten, den Weg von der Erkenntnis der menschlichen Freiheit zu der Idee des Staates: wie ihn, dem die Außenwelt gar nicht bestand, die Erfahrung belehrt und verwandelt. Noch zur Zeit der Austerlitzer Schlacht konnte er schreiben: »welches ist denn das Vaterland des wahrhaft ausgebildeten christlichen Europäers? Im allgemeinen ist es Europa, insbesondere ist es in jedem Zeitalter derjenige Staat in Europa, der auf der Höhe der Kultur steht. Mögen doch die Erdgeborenen, welche in der Erdscholle, dem Flusse, dem Berge ihr Vaterland erkennen, Bürger des gesunkenen Staates bleiben; sie behalten, was sie wollten und was sie beglückt. Der sonnenverwandte Geist wird unwiderstehlich angezogen werden und hin sich wenden, wo Licht ist und Recht. Und in diesem Weltbürgersinne können wir über die Handlungen und Schicksale der Staaten uns beruhigen, für uns selbst und für unsere Nachkommen bis an das Ende der Tage.« Dann ward durch den Wandel der Weltgeschicke auch der Sinn des weltverachtenden Philosophen nicht verwandelt, aber vertieft und zu hellerem Verständnis seiner selbst geführt. Kein Widerspruch allerdings, aber eine höchst verwegene Weiterentwicklung, wenn Fichte jetzt erkennt, daß der Deutsche Licht und Recht nur in Deutschland finden könne. Er begreift endlich, daß der Kosmopolitismus in Wirklichkeit als Patriotismus erscheine, und verweist den einzelnen auf sein Volk, das »unter einem besonderen Gesetze der Entwicklung des Göttlichen aus ihm« stehe. –
Längst schon war der Philosoph der freien Tat durch das Wesen seines Denkens auf jene Wissenschaft geführt worden, welche den nach außen gerichteten Willen in seiner großartigsten Entfaltung betrachtet. Aber sehr langsam nur lernte er die Würde, den sittlichen Beruf des Staates verstehen. Auch er sah – gleich der gesamten deutschen Staatswissenschaft, die ihre Heimat noch allein auf dem Katheder fand – im Staate zuerst nur ein notwendiges Übel, eine Anstalt des Zwanges, gegründet durch freiwilligen Vertrag, um das Eigentum der Bürger zu schützen. Unversöhnlichen Krieg kündete er dem Gedanken an, daß der Fürst für unsere Glückseligkeit sorge: »Nein, Fürst, du bist nicht unser Gott; gütig sollst du nicht gegen uns sein, du sollst gerecht sein.« Diese Rechtsanstalt des Staates aber soll sich entwickeln zur Freiheit, also daß jeder das Recht habe, »kein Gesetz anzuerkennen, als welches er sich selbst gab;« der Staat muß das Prinzip der Veränderung in sich selber tragen. – Der also dachte, war längst gewohnt, von dem vornehmen und geringen Pöbel sich einen Demokraten schelten zu lassen. Und radikal genug, mit dem harten rhetorischen Pathos eines Jakobiners, hatte er einst die Revolution begrüßt als den Anbruch einer neuen Zeit, und die staatsmännische Kälte, womit Rehberg die große Umwälzung betrachtete, gröblich angegriffen. Mit grimmiger Bitterkeit hatte er dann die Denkfreiheit zurückgefordert von den Fürsten; denn die einzigen Majestätsverbrecher sind jene, »die euch anraten, eure Völker in der Blindheit und Unwissenheit zu lassen und freie Untersuchungen allerart zu hindern und zu verbieten.«
Doch im Grunde ward sein Geist nur von einer Erscheinung der Revolution mächtig angezogen: von dem Grundsatze der Gleichheit des Rechts für alle Stände. Privilegien fanden keine Gnade vor diesem konsequenten Kopfe: aus seinen heftigen Ausfällen wider den Adel redet der Zorn des sächsischen Bauernsohns, der eben jetzt seine mißhandelten Standesgenossen sich erheben sah gegen ihre adligen Bedrücker. Sehr fern dagegen stand er den Ideen der modernen Demokratie, welche die freieste Bewegung des einzelnen im Staate verlangen; eine harte Rechtsordnung sollte jede Willkür des Bürgers bändigen. Dieser despotische Radikalismus trat in seiner ganzen Starrheit hervor, als er jetzt das Gebiet des »Naturrechts« verließ und das wirtschaftliche Leben der Völker betrachtete. In sozialistischen Ideen ist jederzeit der verwegenste Idealismus mit dem begehrlichsten Materialismus zusammengetroffen. Durch die Mißachtung des banausischen Getriebes der Volkswirtschaft wurde Platon auf das Idealbild seiner kommunistischen Republik und die Alten alle zu dem Glaubenssätze geführt, daß der gute Staat des Notwendigen die Fülle besitzen müsse; durch die Überschätzung der materiellen Güter gelangten die modernen Kommunisten zu ihren luftigen Lehren. Und wieder die Verachtung alles weltlichen Genusses verleitete den deutschen Philosophen zu dem vermessenen Gedanken: der Staat, als eine lediglich für die niederen Bedürfnisse des Menschen bestimmte Zwangsanstalt, müsse sorgen für die gleichmäßige Verteilung des Eigentums. Solchem Sinne entsprang die despotische Lehre von dem »geschlossenen Handelsstaate,« der in spartanischer Strenge sich absperren sollte von den Schätzen des Auslandes und das Schaffen der Bürger also regeln sollte, daß ein jeder leben könne von seiner Arbeit.
Aus dem Gebiete des Rechtes und der Wirtschaft gelang es dem Idealisten wenig, die Welt für sich zurecht zu legen. Indessen sank der Staat der Deutschen tief und tiefer. »Deutsche Fürsten,« ruft Fichte zornig, »würden vor dem Dei von Algier gekrochen sein und den Staub seiner Füße geküßt haben, wenn sie nur dadurch zum Königstitel hätten kommen können.« In diesen Tagen der Schmach brach ihm endlich die Erkenntnis an von dem Tiefsinn und der Größe des Staatslebens. Er sah vor Augen, wie mit dem Staate auch die Sittlichkeit der Deutschen verkümmerte, er begriff jetzt, daß dem Staate eine hohe sittliche Pflicht auferlegt sei, die Volkserziehung. Auf diesem idealsten Gebiete der Staatswissenschaft hat Fichte seine tiefsten politischen Gedanken gedacht. Wir fragen erstaunt: wie nur war es möglich? Ist doch dem Politiker die Erfahrung nicht eine Schranke, sondern der Inhalt seines Denkens. Hier gilt es nach Aristoteles' Vorbild, mit zur Erde gewandtem Blicke eine ungeheuere Fülle von Tatsachen zu beherrschen, Ort und Zeit abwägend zu schätzen, die Gewalten der Gewohnheit, der Trägheit, der Dummheit zu berechnen, den Begriff der Macht zu erkennen, jenes geheimnisvolle allmähliche Wachsen der geschichtlichen Dinge zu verstehen, das die moderne Wissenschaft mit dem viel mißbrauchten Worte »organische Entwicklung« bezeichnet. Wie sollte er dies alles erkennen? Er, dessen Bildung in die Tiefe mehr als in die Breite ging, der die Menschheit zur Pflanze herabgewürdigt sah, wenn man redete von dem langsamen natürlichen Reifen des Staates? Er hat es auch nicht erkannt; nicht einen Schritt weit kam sein Idealismus der Wirklichkeit entgegen. Aber er lebte in Zeiten, da allein der Idealismus uns retten konnte, in einem Volke, das, gleich ihm selber, von den Ideen der Humanität erst herabstieg zur Arbeit des Bürgertums, in einer Zeit, die nichts dringender bedurfte als jenen »starken und gewissen Geist«, den er ihr zu erwecken dachte. Mit der Schlacht von Jena schien unsere letzte Hoffnung gebrochen; »der Kampf – so schildert Fichte das Unheil und den Weg des Heils – der Kampf mit den Waffen ist beschlossen; es erhebt sich, so wir es wollen, der neue Kampf der Grundsätze, der Sitten, des Charakters.« Wohl mögen wir erstaunen, wie klar der Sinn des nahenden Kampfes in diesen Tagen der Ermannung von allen verstanden ward, wie diese Worte Fichtes überall ein Echo fanden. Die Regierung selber erkannte, daß allein ein Volkskrieg retten könne, allein die Entfesselung aller Kräfte der Nation, der sittlichen Mächte mehr noch als der physischen – »einer der seltenen, nicht oft erlebten Fälle,« sagt Fichte rühmend, »wo Regierung und Wissenschaft übereinkommen.« So, gerade so, auf dieser steilen Spitze mußten die Geschicke unseres Volkes stehen, einen Krieg der Verzweiflung mußte es gelten um alle höchsten Güter des Lebens, eine Zeit mußte kommen von jenen, die wir die großen Epochen der Geschichte nennen, da alle schlummernden Gegensätze des Völkerlebens zum offenen Durchbruch gelangen, die Stunde mußte schlagen für eine Staatskunst der Ideen, wenn gerade dieser Denker unmittelbar eingreifen sollte in das staatliche Leben.
Nicht leicht ward ihm seine Stelle zu finden unter den Männern, die dieser Staatskunst der Ideen dienten. Denn was den Nachlebenden als das einfache Werk einer allgemeinen fraglosen Volksstimmung erscheint, das ist in Wahrheit erwachsen aus harten Kämpfen starker eigenwilliger Köpfe. Wie fremd stehen sie doch nebeneinander: unter den Staatsmännern Stein, der Gläubige, der schroffe Aristokrat, und Hardenberg, der Jünger französischer Aufklärung, und Humboldt, der moderne Hellene, und Schön, der trotzige Kantianer; unter den Soldaten die denkenden Militärs, die Scharnhorst und Clausewitz, denen die Kriegskunst als ein Teil der Staatswissenschaft erschien, und Blücher, dem der Schreibtisch Gift war, der eines nur verstand – den Feind zu schlagen, und York, der Mann der alten militärischen Schule, der Eiferer wider das Nattergezücht der Reformer; unter den Denkern und Künstlern neben Fichte Schleiermacher, dessen Milde jener als leichtsinnig und unsittlich verwarf, und Heinrich v. Kleist, der als ein Dichter mit unmittelbarer Leidenschaft empfand, was Fichte als Denker erkannte. Ihm zitterte die Feder in der Hand, wenn er in stürmischen Versen die Enkel der Kohortenstürmer, die Römerüberwinderbrut zum Kampfe rief. Einen Schüler Fichtes meinen wir zu hören, wenn Kleist seinem Könige die Türme der Hauptstadt mit den stolzen Worten zeigt: »sie sind gebaut, o Herr, wie hell sie blinken, für beßre Güter in den Staub zu sinken.« Und er selber war es, der Fichte die höhnenden Verse ins Gesicht warf:
setzet, ihr träft's mit euerer Kunst und zögt uns die Jugend
nun zu Männern wie ihr: liebe Freunde, was wär's?
Wenn er seine Adler geschändet sah von den Fremden, wie mochte der stolze Offizier ertragen, daß dieser Schulmeister herantrat, die Nöte des Augenblicks durch die Erziehung des werdenden Geschlechts zu heilen? Und dennoch haben sie zusammengewirkt, die Männer, die sich befehdeten und schalten, einträchtig in dem Kampfe der Idee gegen das Interesse, der Idee des Volkstums wider das Interesse der nackten Gewalt.
Schon vor der Schlacht von Jena hatte sich Fichte erboten, mit dem ausrückenden Heere als weltlicher Prediger und Redner, »als Gesandter der Wissenschaft und des Talents,« zu marschieren, denn was – ruft er in seiner kecken, die Weihe des Gedankens mitten in die matte Wirklichkeit hineintragenden Weise – »was ist der Charakter des Kriegers? Opfern muß er sich können; bei ihm kann die wahre Gesinnung, die rechte Ehrliebe gar nicht ausgehen, die Erhebung zu etwas, das über dies Leben hinaus liegt.« Doch das letzte Heer des alten Regimes hatte solchen Geist nicht ertragen. Die Stunden der Schande waren gekommen. Fichte floh aus Berlin und sprach: »ich freue mich, daß ich frei geatmet, geredet, gedacht habe und meinen Nacken nie unter das Joch des Treibers gebogen.« Auch ihn überwältigte jetzt auf Augenblicke die Verzweiflung, da er zufrieden sein wollte ein ruhiges Plätzchen zu finden, und es den Enkeln überlassen wollte zu reden – »wenn bis dahin Ohren wachsen zu hören!« Nicht die Zuversicht fand er wieder, aber die Stärke des Pflichtgefühls, als er nach dem Frieden dennoch redete zu den Lebendigen ohne Hoffnung für sie, »damit vielleicht unsere Nachkommen tun, was wir einsehen, weil wir leiden, weil unsere Vater träumten.« In Stunden einsamer Sammlung war nun sein ganzes Wesen »geweiht, geheiligt«; der alte Grundgedanke seines Lebens, in eigener Person das Absolute zu sein und zu leben, findet in dieser weihevollen Stimmung eine neue religiöse Form, erscheint ihm als die Pflicht »des Lebens in Gott«. Rettung um jeden Preis – dieser ungeheueren Notwendigkeit, die leuchtend vor seiner Seele stand, hatte er manches geopfert von der Starrheit des Theoretikers. Er pries jetzt sogar Machiavellis Weisheit der Verzweiflung; denn von der entgegengesetzten, der niedrigsten Schätzung des Menschenwertes gelangte dieser Verächter aller hergebrachten Sittlichkeit doch zu dem gleichen Endziele, der Rettung des großen Ganzen auf Kosten jeder Neigung des einzelnen. Gereift und gefestigt ward dieser Ideengang, als Fichte jetzt sich schulte an den großartig einfachen Mitteln uralter Menschenbildung, an Luthers Bibel und an der knappen Form, der herben Sittenstrenge des Tacitus.
Also vorbereitet hielt er im Winter 1807/8, belauscht von fremden Horchern, oft unterbrochen von den Trommeln der französischen Besatzung, zu Berlin die »Reden an die deutsche Nation«. Sie sind das edelste seiner Werke, denn hier war ihm vergönnt, unmittelbar zu wirken auf das eigentlichste Objekt des Redners, den Willen der Hörer; ihnen eigen ist im vollen Maße jener Vorzug, den Schiller mit Recht als das Unterpfand der Unsterblichkeit menschlicher Geisteswerke pries, doch mit Unrecht den Schriften Fichtes absprach, daß in ihnen ein Mensch, ein einziger und unschätzbarer, sein innerstes Wesen abgebildet habe. Doch auch der Stadt sollen wir gedenken, die, wie eine Sandbank in dem Meere der Fremdherrschaft, dem kühnen Redner eine letzte Freistatt bot; die hocherregte Zeit und die hingebend andächtigen Männer und Frauen sollen wir preisen, welche des Redners schwerem Tiefsinn folgten, den selbst der Leser heute nur mit Anstrengung versteht. Riesenschritte – hebt Fichte an – ist die Zeit mit uns gegangen; durch ihr Übermaß hat die Selbstsucht sich selbst vernichtet. Doch aus der Vernichtung selber erwächst uns die Pflicht und die Sicherheit der Erhebung. Damit die Bildung der Menschheit erhalten werde, muß diese Nation sich retten, die das Urvolk unter den Menschen ist durch die Ursprünglichkeit ihres Charakters, ihrer Sprache. – Unterdrücken wir strenge das wohlweise Lächeln des Besserwissens. Denn fürwahr ohne solche Überhebung hätte unser Volk den Mut der Erhebung nie gefunden wider die ungeheuere Übermacht. Freuen wir uns vielmehr an der seinen Menschenkenntnis des Mannes, der sich gerechtfertigt hat mit dem guten Worte: »ein Volk kann den Hochmut gar nicht lassen, außerdem bleibt die Einheit des Begriffs in ihm gar nicht rege.« – Diesem Urvolke hält der Redner den Spiegel seiner Taten vor. Er weist unter den Werken des Geistes auf die Größe von Luther und Kant, unter den Werken des Staates – er, der in Preußen wirkte und Preußen liebte – auf die alte Macht der Hansa und preist also die streitbaren, die modernen Kräfte unseres Volkstums – im scharfen und bezeichnenden Gegensatze zu Fr. Schlegel, der in Wien zu ähnlichem Zwecke an die romantische Herrlichkeit der Kaiserzeit erinnerte.
In diesem hochbegnadeten Volke soll erweckt werden »der Geist der höheren Vaterlandsliebe, der die Nation als die Hülle des Ewigen umfaßt, für welche der Edle mit Freuden sich opfert, und der Unedle, der nur um des ersteren willen da ist, sich eben opfern soll.« Und weiter – nach einem wundervollen Rückblick auf die Fürsten der Reformation, die das Banner des Aufstandes erhoben nicht um ihrer Seligkeit willen, deren sie versichert waren, sondern um ihrer ungeborenen Enkel willen – »die Verheißung eines Lebens auch hienieden, über die Dauer des Lebens hinaus, allein diese ist es, die bis zum Tode fürs Vaterland begeistern kann.« Nicht Siegen oder Sterben soll unsere Losung sein, da der Tod uns allen gemein und der Krieger ihn nicht wollen darf, sondern Siegen schlechtweg. Solchen Geist zu erwecken, verweist Fichte auf das letzte Rettungsmittel, die Bildung der Nation »zu einem durchaus neuen Selbst« – und fordert damit, was in anderer Weise E. M. Arndt verlangte, als er der übergeistigen Zeit eine Kräftigung des Charakters gebot. Noch war die Nation in zwei Lager gespalten. Die einen lebten dahin in mattherziger Trägheit, in der lauwarmen Gemütlichkeit der alten Zeit; ihnen galt es eine große Leidenschaft in die Seele zu hauchen: »wer nicht sich als ewig erklärt, der hat überhaupt nicht die Liebe und kann nicht lieben sein Volk.« Das sind dieselben Töne, die später Arndt anschlug, wenn er dem Wehrmann zurief: »der Mensch soll lieben bis in den Tod und von seiner Liebe nimmer lassen noch scheiden; das kann kein Tier, weil es leicht vergisset.« Den anderen schwoll das Herz von heißem Zorne; schon war unter der gebildeten Jugend die Frage, wie man Napoleon ermorden könne, ein gewöhnlicher Gegenstand des Gesprächs. Diese wilde Leidenschaft galt es zu läutern und zu adeln: »nicht die Gewalt der Arme, noch die Tüchtigkeit der Waffen, sondern die Kraft des Gemütes ist es, welche Siege erkämpft.« Ein neues Geschlecht soll erzogen werden fern von der Gemeinheit der Epoche, entrissen dem verderbten Familienleben, erstarkend zu völliger Verleugnung der Selbstsucht durch eine Bildung, die nicht ein Besitztum, sondern ein Bestandteil der Personen selber sei. In Pestalozzis Erziehungsplänen meint Fichte das Geheimnis dieser Wiedergeburt gefunden. War doch in ihnen der Lieblingsgedanke des Philosophen verkörpert, daß der Wille, »die eigentliche Grundwurzel des Menschen,« die geistige Bildung nur ein Mittel für die sittliche sei; gingen sie doch darauf aus, die Selbsttätigkeit des Schülers fort und fort zu erwecken. Wenn die Stein und Humboldt unbefangen den gesunden Kern dieser Pläne würdigten: dem Philosophen war kein Zweifel, der Charakter der Pestolozzischen Erziehungsweise sei – »ihre Unfehlbarkeit«; fortan sei nicht mehr möglich, daß der schwache Kopf zurückbleibe hinter dem starken.
Zu solchem Zwecke redet er »für Deutsche schlechtweg, von Deutschen schlechtweg, nicht anerkennend, sondern durchaus beiseite setzend und wegwerfend alle die trennenden Unterscheidungen, welche unselige Ereignisse seit Jahrhunderten in der einen Nation gemacht haben.« »Bedenket – beschwört er die Hörer –, daß ihr die letzten seid, in deren Gewalt diese große Veränderung steht. Ihr habt doch noch die Deutschen als Eines nennen hören, ihr habt ein sichtbares Zeichen ihrer Einheit, ein Reich und einen Reichsverband, gesehen oder davon vernommen, unter euch haben noch von Zeit zu Zeit Stimmen sich hören lassen, die von dieser höheren Vaterlandsliebe begeistert waren. Was nach euch kommt, wird sich an andere Vorstellungen gewöhnen, es wird fremde Formen und einen anderen Geschäfts- und Lebensgang annehmen, und wie lange wird es noch dauern, daß keiner mehr lebe, der Deutsche gesehen oder von ihnen gehört habe?« – Auch den letzten kümmerlichen Trost raubt er den Verzagten, die Hoffnung, daß unser Volk in seiner Sprache und Kunst fortdauern werde. Da spricht er das furchtbare Wort: »ein Volk, das sich nicht selbst mehr regieren kann, ist schuldig, seine Sprache aufzugeben.« So geschieht ihm selber, was er seinem Luther nachrühmte, daß deutsche Denker, ernstlich suchend, mehr finden als sie suchen, weil der Strom des Lebens sie mit fortreißt. In diesem radikalen Satze schlummert der Keim der Wahrheit, welche erst die Gegenwart verstanden hat, daß ein Volk ohne Staat nicht existiert. – »Es ist daher kein Ausweg,« schließen die Reden – »wenn ihr versinkt, so versinkt die ganze Menschheit mit ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung.«
Wir Nachgeborenen haben den bewegenden Klang jener Stimme nicht gehört, welche die andachtsvollen Zuhörer zu Berlin ergriff, – und jeder rechte Redner wirkt sein Größtes durch einen höchstpersönlichen Zauber, den die Nachwelt nicht mehr begreift – aber noch vor den toten Lettern zittert uns das Herz, wenn der strenge Züchtiger unseres Volkes »Freude verkündigt in die tiefe Trauer« und an die mißhandelten Deutschen den stolzen Ruf ertönen läßt: »Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend.« – Und welchen Widerhall erweckten diese Reden in der Welt? Achselzuckend ließ der Franzose den törichten Ideologen gewähren, gleichgültig erzählte der Moniteur von einigen Vorlesungen über Erziehung, die in Berlin einigen Beifall gefunden. Die Fremden wußten nicht, aus wie tiefem Borne dem deutschen Volke der Quell der Verjüngung strömt, und kein Verräter erstand, ihnen den politischen Sinn der Reden zu deuten. Mit wieviel schärferem politischen Blicke hatte einst Machiavelli seinem Volke den allerbestimmtesten Plan der Rettung mit den bestdurchdachten Mitteln vorgezeichnet! Aber sein Principe blieb ein verwegenes Traumbild, die Reden des deutschen Philosophen wurden einer der Funken, daran sich die Glut der Befreiungskriege entzündete. Fichte freilich meinte, sein Wort sei verhallt in den »tiefverderbten« Tagen, sein ganzes System sei nur ein Vorgriff der Zeit. Denn es ist das tragische Geschick großer Männer, daß sie ihren eigenen Geist nicht wieder erkennen, wenn er von den Zeitgenossen empfangen und umgeformt wird zu anderen Gestalten, als sie meinten. Und dennoch war der Redner an die deutsche Nation nur der Mund des Volkes gewesen, er hatte nur dem, was jedes Herz bewegte, einen kühnen, hochgebildeten Ausdruck geliehen. Denn was war es anders, als jene höhere Vaterlandsliebe, die der noch ungeborenen Enkel denkt – was anders war es, das den Landwehrmann von Haus und Hof und Weib und Kindern trieb, das unsere Mütter bewog, alles köstliche Gut der Erde bis zu dem Ringe des Geliebten für ihr Land dahinzugeben? Was anderes war es, als daß sie unser gedachten? In diesem Sinne – denn wer ermißt die tausend geheimnisvollen Kanäle, welche das durchdachte Wort des Philosophen fortleiteten in die Hütte des Bauern? – in diesem Sinne hat Fichtes Wort gezündet, und die Kundigen stimmten ein, wenn Friedrich Gentz, diesmal wahrhaft ergriffen, sagte: »so groß, tief und stolz hat fast noch niemand von der deutschen Nation gesprochen.«
Wieder kamen Jahre stiller Arbeit. Unter den ersten wirkte Fichte bei der Gründung der Berliner Hochschule, die dem erwachenden neuen Geiste ein Herd sein sollte. Ein Glück, daß Wilhelm Humboldt, als ein besonnener Staatsmann, an die altbewährten Überlieferungen deutscher Hochschulen anknüpfte und die verwegenen Gedanken des Philosophen verwarf; denn mit der ganzen Strenge seiner herrischen Natur hatte Fichte einen Plan mönchischer Erziehung entworfen, der die Jugend absperren sollte von jeder Berührung mit den Ideenlosen, doch in Wahrheit jede echte akademische Freiheit vernichtet hätte. Um so unerschütterlicher bekämpfte er auf der neuen Hochschule die falsche akademische Freiheit; er fand es verwerflich, grundverderblich, Nachsicht zu üben mit alten unseligen Unsitten der Jugend. Das wüste Burschenleben war ihm eine bewußte, mit Freiheit und nach Gesetzen hergebrachte Verwilderung. In diesen Jahren weihte er seine ganze Kraft dem Lehramte. Die gewohnte Macht über die jugendlichen Gemüter blieb ihm nach wie vor. Er nutzte sie, den Keim zu legen zu der deutschen Burschenschaft. Er förderte, wie schon früher in Jena, unter den Studierenden den Widerstand gegen den Unfug der alten Landsmannschaften und warnte die Gesellschaft der »Deutsch-Jünger« vor jenen beiden Irrtümern, welche später die Burschenschaften lähmten: sie sollten sich hüten, mittelalterlich und deutsch zu verwechseln, und sorgen, daß das Mittel – die Verbindung – ihnen nicht wichtiger werde als der Zweck – die Belebung deutschen Sinnes. –
Endlich erfüllten sich die Zeiten; dies Geschlecht, das er verloren gab, fand sich wieder; denn so tief war es nie gesunken, als der Idealist meinte. Die Trümmer der großen Armee kehrten aus Rußland heim, die Provinz Preußen stand in Waffen, der ostpreußische Landtag harrte auf das Wort des Königs. Der König erließ von Breslau den Aufruf zur Bildung von Freiwilligenkorps; aber noch war der Krieg an Frankreich nicht erklärt. Auf der Straße begegneten den französischen Gendarmen dichte Haufen still drohender Bauern, die zu den Fahnen zogen; und Fichtes Schüler zitterten vor Ungeduld, dem Rufe des Königs zu folgen, doch sie warteten des Lehrers. Wer meinte nicht, daß in diesen schwülen Tagen der Erwartung ein glühender Aufruf aus Fichtes Munde wie ein Blitzstrahl hätte einschlagen sollen? – Schlicht und ernst, wie nach einem großen Entschlusse, tritt er endlich am 19. Februar 1813 vor seine Studenten. Nur selten berichten die lauten Annalen der Geschichte von dem Edelsten und Eigentümlichsten der großen historischen Wandlungen. So ist auch das Herrlichste der reinsten politischen Bewegung, die je unser Volk erhob, noch nicht nach Gebühr gewürdigt – jener Geist schlichter, gefaßter Manneszucht, der das Ungeheuere vollzog so ruhig, so frei von jedem falschen Pathos, wie die Erfüllung alltäglicher Bürgerpflichten. Nichts staunenswürdiger an diesen einzigen Tagen, als jener ernste, unverbrüchliche Gehorsam, der unser Volk selbst dann noch beherrschte, da die hochgehenden Wogen volkstümlicher Entrüstung die Decke sprengten, die sie lange gehemmt. Ein Heldenmut ist es, natürlich, selbstverständlich in den Tagen tiefer Bewegung, dem Rohre der feindlichen Kanone freudig ins Gesicht zu blicken, aber jedes Wort des Preises verstummt vor der mannhaften Selbstbeherrschung, die unsere Väter beseelte. Als ein Heißsporn des ostpreußischen Landtags die Genossen fragte: »wie nun, meine Herren, wenn der König den Krieg nicht erklärt?« – da erwiderte ihm Heinrich Theodor von Schön: »dann gehen wir ruhig nach Hause.« Durchaus getränkt von diesem Geiste ernster Bürgerpflicht war auch die Rede, die Fichte jetzt an seine Hörer richtete. Er habe, gesteht er, lange geschwankt, ehe er mit solchem Worte vor seine Schüler getreten sei. Die Wissenschaft allerdings sei die stärkste Waffe gegen das Böse, und in diesem Kampfe würden Siege erfochten, dauernd für alle Zeit. Aber zu dem geistigen Streite bedürfe es des äußern und des innern Friedens: und nur darum, weil diese Ruhe des Gemütes ihn selber, trotz vielfacher Übung in der Selbstbesinnung, zu verlassen beginne, schließe er jetzt seine Vorlesungen. – Das einfache Wort genügte, die Jünglinge in die Reihen der Freiwilligen zu führen. Noch einmal ist ihm dann der Gedanke gekommen, als ein Redner in das Lager zu gehen – noch einmal vergeblich. Dann ist Fichte krank und halb gelähmt mit den gelehrten Genossen und dem kaum mannbaren Sohne in den Landsturm getreten; Lanze und Säbel lehnten nun an der Tür des Philosophen.
Als die Kunde erscholl von den herrlichsten deutschen Siegen, von den Tagen von Hagelberg und Dennewitz, selbst dann hat er nicht gelassen von der alten tüchtigen Weise, den Dingen nachzudenken bis zum Ende. Im Sommer 1813 hielt er vor den wenigen Studierenden, die dem Kampfe fern blieben, Vorlesungen über die Staatslehre. Auch jetzt noch bewegt er sich ausschließlich im Gebiete der Ideen; seinen kühnsten Sätzen fügt er stolz abweisend hinzu: »es gilt vom Reiche (der Vernunft), nicht von ihren Lumpenstaaten.« Noch immer geht er dem Staate der Wirklichkeit mit radikaler Härte zu Leibe; Erblichkeit der Repräsentation ist ihm ein absolut vernunftwidriges Prinzip, »die erste Pflicht der Fürsten wäre, in dieser Form nicht da zu sein,« der Wahn der Ungleichheit ist bereits durch das Christentum praktisch vernichtet. Aber wie viel reicher und tiefsinniger erscheint ihm jetzt der Staat! Mit scharfen Worten sagt er sich los von der naturrechtlichen Lehre, die er bereits in den Reden an die deutsche Nation verlassen hatte. Er verwirft die »schlechte Ansicht«, welche im Staate nur den Schützer des Eigentums erblickt und darum Kirche, Schule, Handel und Gewerbe allein den Privatleuten zuweist und im Falle des Krieges die Ruhe für die erste Bürgerpflicht erklärt. Der Staat ist berufen, die sittliche Aufgabe auf Erden zu verwirklichen. In den beiden schönen Vorlesungen, die »von dem Begriffe des wahrhaften Krieges« handeln, stellt er scharf und schroff die sinnliche und die sittliche Ansicht vom Staate einander gegenüber. Nach jener gilt »zuerst das Leben, sodann das Gut, endlich der Staat, der es schützt.« Nach dieser steht obenan »die sittliche Aufgabe, das göttliche Bild; sodann das Leben in seiner Ewigkeit, das Mittel dazu, ohne allen Wert, außer inwiefern es ist dieses Mittel; endlich die Freiheit, als die einzige und ausschließende Bedingung, daß das Leben sei solches Mittel, drum – als das einzige, was dem Leben selbst Wert gibt.« – Der einst mit dem Mißtrauen des deutschen Gelehrten die Zwangsanstalt des Staates betrachtet, er sieht jetzt mit der Begeisterung eines antiken Bürgers in dem Staate den Erzieher des Volkes zur Freiheit, alle Zweige des Volkslebens weist er der Leitung des Staates zu. Nur in einem solchen Staate ist »ein eigentlicher Krieg« möglich, denn hier wird durch feindlichen Einfall die allgemeine Freiheit und eines jeden besondere bedroht; es ist darum jedem für die Person und ohne Stellvertretung aufgegeben der Kampf auf Leben und Tod.
Schon längst waren seine radikalen Theorien dann und wann erhellt worden durch ein Aufblitzen historischer Erkenntnis; bereits in seiner Jugendschrift über die französische Revolution hatte er Friedrich den Großen gepriesen als einen Erzieher zur Freiheit. Noch jetzt erst beginnt er die historische Welt recht zu verstehen. Er erkennt, daß ein Volk gebildet werde durch gemeinsame Geschichte, und berufen sei, »in dem angehobenen Gange aus sich selber sich fortzuentwickeln zu einem Reiche der Vernunft.« Alle Staaten der Geschichte erscheinen ihm jetzt als Glieder in der großen Kette dieser Erziehung des Menschengeschlechts zur Freiheit. Ist diese Erziehung dereinst vollendet, dann wird »irgendeinmal irgendwo die hergebrachte Zwangsregierung einschlafen, weil sie durchaus nichts mehr zu tun findet,« dann wird das Christentum nicht bloß Lehre, nein, die Verfassung des Reiches selber sein. In diesem Reiche werden die »Wissenschaftlichen« regieren über dem Volke, denn »alle Wissenschaft ist tatbegründend«. So gelangt auch Fichte zu dem platonischen Idealbilde eines Staates, welchen die Philosophen beherrschen. Und wenn der nüchterne Politiker betroffen zurückweicht vor diesem letzten Fluge des Fichteschen Geistes, so bleibt doch erstaunlich, wie rasch die große Zeit sich ihren Mann erzogen hat: der Held des reinen Denkens wird durch den Zusammenbruch seines Vaterlandes zu der Erkenntnis geführt, daß der Staat die vornehmste Anstalt im Menschenleben, die Verkörperung des Volkstums selber ist. Näher eingehend auf die Bewegung des Augenblicks schildert er das Wesen des gewaltigen Feindes, der unter den Ideenlosen der Klügste, der Kühnste, der Unermüdlichste, begeistert für sich selber, nur zu besiegen ist durch die Begeisterung für die Freiheit. So stimmt auch Fichte mit ein in die Meinung unserer großen Staatsmänner, welche erkannten, daß die Revolution in ihrem furchtbarsten Vertreter bekämpft werden müsse mit ihren eigenen Waffen. Fast gewaltsam unterdrückt er den unabweislichen Argwohn, daß nach dem Frieden alles beim alten bleibe. Nicht ungerügt freilich läßt er es hingehen, daß man in solchem Kampfe noch gotteslästerlich von Untertanen rede, daß die Formel »mit Gott für König und Vaterland« den Fürsten gleichsam des Vaterlandes beraube. Aber alle solche Makel der großen Erhebung gilt es als schlimme alte Gewohnheiten zu übersehen; »dem Gebildeten soll sich das Herz erheben beim Anbruche seines Vaterlandes.« Beim Anbruche seines Vaterlandes – die aus der Ferne leidenschaftlos zurückblickende Gegenwart mag diese schöne Bezeichnung der Freiheitskriege bestätigen, welche die hart enttäuschten Zeitgenossen kummervoll zurücknahmen.
Auch zu einer rein publizistischen Arbeit ward der Denker durch die Sorge um den Neubau des Vaterlandes veranlaßt. Alsbald nach dem Aufrufe des Königs an sein Volk schreibt er den vielgenannten »Entwurf einer politischen Schrift«. Die wenigen Blätter sind unschätzbar nicht bloß als ein getreues Bild seiner Weise zu arbeiten – denn hier, in der Tat, sehen wir ihn pochen und graben nach der Wahrheit, den Verlauf des angestrengten Schaffens unterbrechen mit einem nachdenklichem »Halt, dies schärfer!« und die Schlacken der ergründeten Wahrheit emporwerfen aus der Grube – sondern mehr noch, weil uns hier Fichte entgegentritt als der erste namhafte Verkündiger jener Ideen, welche heute Deutschlands nationale Partei bewegen. Schon oft war, bis hinauf in die Kreise der Mächtigsten, der Gedanke eines preußischen Kaisertums über Norddeutschland angeregt worden. Hier zuerst verkündet ein bedeutender Mann mit einiger Bestimmtheit den Plan, den König von Preußen als einen »Zwingherrn zur Deutschheit« an die Spitze des gesamten Vaterlandes zu stellen. Parteien freilich im heutigen Sinne kannte jene Zeit noch nicht, und Fichte am wenigsten hätte sich der Mannszucht einer Partei gefügt; er schreibt seine Blätter nur nieder, damit »diese Gedanken nicht untergehen in der Welt.« Aber kein Parteimann unserer Tage mag das tödliche Leiden unseres Volkes, daß es mediatisiert ist, klarer bezeichnen als er mit den Worten, das deutsche Volk habe bisher an Deutschland Anteil genommen allein durch seine Fürsten. Noch immer schwebt ihm als höchstes Ziel vor Augen eine »Republik der Deutschen ohne Fürsten und Erbadel«, doch er begreift, daß dieses Ziel in weiter Ferne liege. Für jetzt gilt es, daß »die Deutschen sich selbst mit Bewußtsein machen«.
– »Alle großen deutschen Literaturen sind gewandert,« ruft er stolz; und jenes freie Nationalgefühl, das diese glänzenden Geister trieb, die Enge ihres Heimatlandes zu verlassen, muß ein Gemeingut des Volkes werden, damit zuletzt der Einzelstaat als überflüssig hinwegfalle. Ein haltbarer Nationalcharakter wird gebildet zunächst durch die Freiheit, denn »ein Volk ist nicht mehr umzubilden, wenn es in einen regelmäßigen Fortschritt der freien Verfassung hineingekommen.« Aber auch im Kriege wird ein Volk zum Volke, und hier spricht er ein Wort, dessen tiefster Sinn sich namentlich in Fichtes Heimatlande als prophetisch bewährt hat: »wer den gegenwärtigen Krieg nicht mitführen wird, wird durch kein Dekret dem deutschen Volke einverleibt werden können.« Als einen Erzieher zur Freiheit, zur Deutschheit brauchen wir einen Kaiser. Österreich kann die Hand nie erheben zu dieser Würde, weil es unfrei und in fremde undeutsche Händel verwickelt ist; sein Kaiser ist durch sein Hausinteresse gezwungen, »deutsche Kraft zu brauchen für seine persönlichen Zwecke.« Preußen aber »ist ein eigentlich deutscher Staat, hat als Kaiser durchaus kein Interesse zu unterjochen, ungerecht zu sein. Der Geist seiner bisherigen Geschichte zwingt es fortzuschreiten in der Freiheit,, in den Schritten zum Reich (das will sagen: zum Vernunftreiche); nur so kann es fortexistieren, sonst geht es zu Grunde.«
So – nicht eingewiegt, nach der gemeinen Weise der Idealisten, in leere Illusionen, aber auch nicht ohne frohe Hoffnung ist Fichte in den Tod gegangen für sein Land. Welch ein Wandel seit den Tagen der Revolutionskriege, da er der Geliebten noch vorhielt, daß sie gleichgültig sei gegen die Welthändel! Der Schwung der großen Zeit, die opferbereite Empfindung weiblichen Mitgefühls führt jetzt Johanna Fichte unter die wunden Krieger der Berliner Hospitäler. Alle guten und großen Worte des Gatten von der Macht der göttlichen Gnade werden ihr lebendig und strömen von ihrem Munde, da sie die unbärtigen Jünglinge der Landwehr mit dem hitzigen Fieber ringen, in letzter Schwäche, in unbezwinglichem Heimweh die Heilung von sich weisen sieht. In den ersten Tagen des Jahres 1814 bringt sie das Fieber in ihr Haus. Einen Tag lang verweilt der Gatte an ihrem Lager, eröffnet dann gefaßt seine Vorlesungen und findet, zurückgekehrt, die Totgeglaubte gerettet. In diesen Stunden des Wiedersehens, meint der Sohn, mag den starken Mann der Tod beschlichen haben. In seine letzten Fieberträume fiel noch die Kunde von der Neujahrsnacht 1814, da Blücher bei der Pfalz im Rheine den Grenzstrom überschritt und das feindliche Ufer widerhallte von den Hurrarufen der preußischen Landwehr. Unter solchen Träumen von kriegerischer Größe ist der streitbare Denker verschieden am 27. Januar 1814. Sein Lob mag er selber sagen: »Unser Maßstab der Größe bleibe der alte: daß groß sei nur dasjenige, was der Ideen, die immer nur Heil über die Völker bringen, fähig sei und von ihnen begeistert.«
Seitdem ist eine lange Zeit vergangen, Fichtes Name ist im Wechsel gepriesen worden und geschmäht, ist aufgetaucht und wieder verschwunden. Als die kriegerische Jugend, heimkehrend von den Schlachtfeldern, in die Hörsäle der Hochschulen zurückströmte, da erst ward offenbar, wie tief das Vorbild des »Vaters Fichte« in den jungen Seelen haftete. »Die Jugend soll nicht lachen und scherzen, sie soll ernsthaft und erhaben sein,« war seine Mahnung, und wirklich, wie Fichtes Söhne erschienen diese spartanischen Jünglinge, wie sie einherschritten in trutziger Haltung, abgehärteten Leibes, in altdeutscher Tracht, hochpathetische Worte voll sittlichen Zornes und vaterländischer Begeisterung redend. Die Ideen, welche diese jungen Köpfe entzückten, lagen zwar tief begründet in der ganzen Richtung der Zeit, aber unzweifelhaft gebührt den Lehren Fichtes daran ein starker Anteil. Vor seinem Bilde, dessen lautere Hoheit uns kein Schopenhauer hinwegschmähen wird, erfüllte sich das junge Geschlecht mit jenen Grundsätzen herber Sittenstrenge, die unseren Hochschulen eine heilsame Verjüngung brachten. Und welch ein Vorbild der »Deutschheit« besaß die Jugend in ihm, der aus der dumpfen Gemütlichkeit des kursächsischen Lebens sich emporrang zu jenem vornehmen Patriotismus, welcher nur noch »Deutsche schlechtweg« kennen wollte und den Kern unserer Nation in der norddeutsch-protestantischen Welt erblickte. Mochte er immerhin seinen politischen Ideen die abwehrende Weisung hinzufügen: »auf Geheiß der Wissenschaft soll die Regierung jene bändigen und strafen, welche diese Lehren auf die Gegenwart anwenden«: – die Jugend wußte nichts von solcher Unterscheidung. Die Hoheit seiner Ideen und der Radikalismus seiner Methode wirkten berauschend auf die deutschen Burschen. »Der deutsche Staat ist in der Tat einer; ob er nun als einer oder mehrere erscheine, tut nichts zur Sache« – solcher Worte diktatorischer Klang drang tief in die jungen Seelen. Die Vorstellung, daß das Bestehende schlechthin unberechtigt sei und einem deutschen Reiche weichen müsse, ward durch Fichtes Lehren mächtig gefördert.
Als eine edle Barbarei hat man treffend die Stimmung der Burschenschaft bezeichnet, und auch an den Sünden dieser edlen Barbaren ist Fichte nicht schuldlos. Seine mönchische Strenge spiegelt sich wider in dem altklugen, unjugendlichen Wesen, das uns so oft zurückstößt von der wackeren teutonischen Jugend. Wenn er immer wieder die Bildung des Charakters betonte, war es da zu verwundern, daß schließlich die Jugend, die den Wert eines gereiften Charakters noch nicht zu beurteilen vermag, mit Vorliebe den polternden Moralpredigern folgte und an alle glänzenden Geister unseres Volkes den Maßstab der »Gesinnungstüchtigkeit« legte? Wenn er unermüdlich die Jugend darstellte als den noch reinen Teil der Nation und die »Wissenschaftlichen« als die natürlichen Lenker des Volkes: – mußte da nicht endlich die Anmaßung aufwuchern in der wissenschaftlichen Jugend? – »Unser Urteil hat das Gewicht der Geschichte selbst, es ist vernichtend!« – in solchen Reden, die im Burschenhause zu Jena, als Arnold Ruge jung war, widerhallten, offenbart sich die Kehrseite des Fichteschen Geistes. Fichte starb zu früh; bei längerem Leben wäre all seine wache Sorge dahin gegangen, die edle Barbarei der Jugend maßvoll und bescheiden zu erhalten. Weder Luden noch Oken oder Fries, und am allerwenigsten der alte Jahn stand hoch genug, um die spartanische Rauheit des jungen Geschlechts zu mäßigen. – Vornehmlich in dieser sittlichen Einwirkung auf die Gesinnung des werdenden Geschlechts liegt Fichtes Bedeutung für die Geschichte unserer nationalen Politik – und wer darf leugnen, daß der Fluch dieses Wirkens tausendmal überboten ward von dem Segen? Nimmermehr wird diesem Denker gerecht, wer ihn lediglich beurteilt als einen politischen Schriftsteller. Der Publizist mag lächeln über Fichtes ungeübten politischen Scharfblick, der »Gelehrte von Metier« mag erschrecken vor seiner mangelhaften Kenntnis der politischen Tatsachen; aber hoch über die Fachgelehrten und die Publizisten hinaus erhebt sich der Redner an die deutsche Nation, wenn er mit der Kühnheit des Propheten das Ethos unserer nationalen Politik verkündet, wenn er den zersplitterten Deutschen den Geist der echten Vaterlandsliebe predigt, der über den Tod hinaus zu hassen und zu lieben vermag.
Das war mithin kein Zufall, daß der Name dieses Denkers durch den deutschen Bundestag in den Kot getreten ward. Viel zu milde, leider, lautet das landläufige Urteil, daß unser Volk mit Undank belohnt worden für die Errettung der Throne, die sein Blut erkauft. Als ein Verbrechen vielmehr galt zu Wien und Frankfurt der Geist des Freiheitskrieges. Und wer hatte den »militärischen Jakobinismus« des preußischen Heeres schroffer, schonungsloser ausgesprochen als Fichte in den Worten: »kein Friede, kein Vergleich! Auch nicht falls der zeitige Herrscher sich unterwürfe und den Frieden schlösse! Ich wenigstens habe den Krieg erklärt und bei mir beschlossen, nicht für seine Angelegenheit, sondern für die meinige, meine Freiheit.« Wie sehr mußte die Woge demokratischen Zornes und Stolzes, welche in diesen Worten brandet, jene Schmalz und Kamptz erschrecken, die den Freiheitskrieg für eine Tat gewöhnlichen Gehorsams erklärten, vergleichbar dem Wirken der Spritzenmannschaft, die zum Löschen befehligt wird! Darum, als die Zentral-Untersuchungskommission zu Mainz den unbeschämten Augen des Bundestages die demagogischen Umtriebe darlegte, standen obenan unter den verbrecherischen Geheimbünden,– die Vereine, welche in den Jahren 1807–13 sich gebildet zum Zwecke der Vertreibung der Franzosen, und die Liste der Verdächtigen ward eröffnet mit den erlauchten Namen von – Fichte und Schleiermacher. Nur mit Erröten denken wir der Tage, da man in Berlin verbot, die Reden an die deutsche Nation aufs neue zu drucken.
Mag es sein, daß Fichtes nervige Faust den Bogen zu heftig spannte und über das Ziel hinausschoß; in der Richtung nach dem Ziel ist sicherlich sein Pfeil geflogen. Die Zeit wird kommen, die Sehergabe des Denkers zu preisen, der Preußen die Wahl stellte, unterzugehen oder fortzuschreiten zum Reiche. Mag es sein, daß der verwegene Idealist oftmals abirrte in der nüchternen Welt der Erfahrung: – ein Vorbild des Bürgermutes ist er uns geworden, der lieber gar nicht sein wollte, als der Laune unterworfen und nicht dem Gesetz. Und auch das praktisch mögliche hat der Theoretiker dann immer getroffen, wenn er handelte von den sittlichen Grundlagen des staatlichen Lebens. Alle Vorwände der Zagheit, all das träge Harren auf ein unvorhergesehenes glückliches Ereignis – wie schneidend weist er sie zurück, wenn er versichert, keiner der bestehenden Landesherren »könne Deutsche machen«, nur aus der Bildung des deutschen Volksgeistes werde das Reich erwachsen. Wenn wir willig diesem Worte glauben, so hoffen wir dagegen – der vielmehr wir müssen es wollen, daß ein anderer Zukunftsspruch des Denkers nicht in Erfüllung gehe. Schon einmal sahen wir ihn, nach der Weise der Propheten, sich täuschen in der Zeit: sechs Jahre schon nach den Reden an die deutsche Nation erhebt sich das Geschlecht, das er gänzlich aufgegeben. Sorgen wir, daß dies Volk nochmals rascher lebe, als Fichte meinte, daß wir mit eigenen Augen das einige deutsche Reich erblicken, welches er im Jahre 1807 bescheiden bis in das 22. Jahrhundert verschob. – Wieder ist den Deutschen die Zeit des Kampfes erschienen; wieder steht nicht der Gedanke gerüstet gegen den Gedanken, nicht die Begeisterung wider die Begeisterung, Die Idee streitet gegen das Interesse, die Idee, daß dieses Volk zum Volke werde, wider das Sonderinteresse von wenigen, die an das nicht glauben, was sie verteidigen. Wenn die Langsamkeit dieses Streites, der uns aus sittlichen noch mehr denn aus politischen Beweggründen zu den Fahnen ruft, uns oft lähmend auf die Seele fällt, dann mögen wir uns aufrichten an dem Fichteschen Worte der Verheißung, daß in Deutschland das Reich ausgehen werde von der ausgebildeten persönlichen Freiheit und in ihm erstehen werde ein wahrhaftes Reich des Rechts, gegründet auf die Gleichheit alles dessen, was Menschenangesicht trägt. Damit, fürwahr, sind bezeichnet die bescheidensten, die gerechtesten Erwartungen der Deutschen. Was die Deutschen, wenn sie den Einmut finden, ihren Staat zu gründen, bei mäßiger Macht dennoch hoch stellen wird in der Reihe der Nationen, ist allein dieses: kein Volk hat je größer gedacht als das unsere von der Würde des Menschen, keines die demokratische Tugend der Menschenliebe werktätiger geübt.
Mit schönen Worten pries Fichte das Schicksal des großen Schriftstellers: »unabhängig von der Wandelbarkeit spricht sein Buchstabe in allen Zeitaltern an alle Menschen, welche diesen Buchstaben zu beleben vermögen, und begeistert, erhebt und veredelt bis an das Ende der Tage.« Nicht ganz so glücklich ist das Los, das den Werken Fichtes selber fiel; denn nur wenige scheuen nicht die Mühe, den echten Kern seiner Gedanken loszuschälen aus der Hülle philosophischer Formeln, welchen die Gegenwart mehr und mehr entwächst. Doch daß der Geist des Redners an die deutsche Nation nicht gänzlich verflogen ist in seinem Volke, davon gab die Feier seines hundertjährigen Geburtstages ein Zeugnis. Wohl mancher Nicolai verherrlichte an jenem Tage den lauteren Namen des Denkers und ahnte nicht, daß er seinen Todfeind pries. Aber nimmermehr konnte ein ganzes, ehrliches Volk einen Helden des Gedankens als einen Helden der Nation feiern, wenn nicht in diesem Volke noch der Glaube lebte an die weltbewegende Macht der Idee. Und er wird dauern, dieser vielgeschmähte Idealismus der Deutschen. Und dereinst wird diesem Volke des Idealismus eine schönere Zukunft tagen, da eine reifere Philosophie die Ergebnisse unseres politischen Schaffens, unseres reichen empirischen Wissens in einem großen Gedankensysteme zusammenfaßt. Wir Lebenden werden Fichtes Geist dann am treuesten bewahren, wenn alle edleren Köpfe unter uns wirken, daß in unsern Bürgern wachse und reife der »Charakter des Kriegers«, der sich zu opfern weiß für den Staat. Die Gegenwart denkt, wenn Fichtes Name genannt wird, mit Recht zuerst an den Redner, welcher diesem unterjochten Volke die heldenhaften Worte zurief: »Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend.« –