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Durch die Berliner Bierpaläste, deren Glanz und Pracht mit jedem Jahr märchenhafter wird, sind wir Residenzler so verwöhnt worden, dass es uns eigenthümlich berührt, wenn wir es einmal irgendwo ganz anders finden.
Da kam ich im letzten Sommer auf dem Gebirge vor ein Dorfwirthshaus, auf dessen Schilde stand: »Zur groben Sau«. Darunter war ein hauendes Wildschwein gemalt. Das gefiel mir, und ich kehrte ein. Als ich in die Gaststube trat, fuhr mich, ehe ich noch guten Tag sagen 189 konnte, ein dicker Mann in Hemdsärmeln mit den Worten an: »Endlich also! Wo hat Er denn wieder so lange herumgelottert?« Das ist eine nette Begrüssung, dachte ich bei mir – und dabei sieht dich der Mensch heute zum ersten Mal! Etwas verschüchtert liess ich mich auf eine rauhe Bank nieder, vor der ein grob gearbeiteter Tisch stand. Kaum hatte ich das gethan, als ich auf's Neue von dem Grobian angeschnoben wurde. »Was will Er nun eigentlich?« schrie er, indem er mich mit durchbohrenden Blicken ansah. – »Ich dachte« – sagte ich kleinlaut – »dass ich hier ein Glas Bier trinken wollte«. – »Dachte!« rief der Wirth im Ton grenzenloser Verachtung. »Nette Leute, die immer denken und denken und dabei nichts thun! Natürlich will Er saufen! Man sieht es ihm ja an, dass Er an nichts anderes denkt. Aber warum sagt Er das nicht gleich? Wozu hat er 190 denn sein Maul?« Darauf rief er nach dem Hintergrunde zu: »Hannesle! Da ist wieder einer, der saufen will. Bring ihm was!« Gleich darauf erschien Hannesle, der Kellner, ein furchtbarer Kerl, wüst und struppig wie ein Räuberhauptmann, und setzte einen mächtigen Krug voll Bieres mit einer solchen Gewalt vor mich hin, dass der Tisch wackelte und ich unwillkührlich zurückfuhr. »Wirds bald?« schrie der Wirth, als ich nicht sogleich zugriff. Ich erhob den Krug und trank. Schon wollte ich absetzen, da hörte ich den Wirth im Ton des Befehles sagen: »Weiter! Weiter! Soll ich bis Ostern warten, ehe ich ein Achtel ausgeschenkt habe?« – Also trank ich weiter und setzte nicht eher ab, als bis der Krug leer war. Ich muss gestehen, dass mir dieses nicht sehr schwer wurde, denn das Bier war über alles Lob erhaben. Darauf entriss Hannesle mir den Krug, füllte 191 ihn aufs Neue mit dem wundervollen Stoff und setzte ihn auf den Tisch wie den ersten. Nun trank ich einen Krug nach dem andern, und jeder folgende schmeckte mir besser als sein Vorgänger. Während des Trinkens musterte ich das Lokal. Es war sehr einfach eingerichtet. Weder von Majolica noch von Butzenscheiben war irgend etwas zu entdecken, und kein einziger geschmackloser Spruch verunzierte die Wände. Das gefiel mir. Indessen bekam ich auch Hunger. »Könnte ich wohl einmal« – fragte ich – »die Speisek . . . . .« Ich vollendete nicht, denn ich bemerkte, dass der Wirth von einem Wuthanfall ergriffen wurde. »Was?« schrie er – die »Speisek . . . .« Aber er konnte auch nicht vollenden, denn ihn überfiel ein Frostschauer und schüttelte ihn dermassen, dass ich für sein Leben fürchtete. Als endlich der Anfall aufgehört hatte, sagte er – und seine Stimme 192 klang vor Erschöpfung beinahe sanft: »Hannesle, der Kerl will auch fressen. Bring ihm was!« Eine kurze Weile darauf setzte mir Hannesle auf seine rauhe Weise einen Braten vor, der mich wunderbar anduftete und mir herrlich mundete. Nachdem ich gegessen hatte, zog ich meine Cigarrentasche hervor. Als das der Wirth bemerkte, gerieth er noch einmal in Wuth. »Zum Dank dafür« – schrie er – »dass es mir mein Bier wegtrinkt, will das Scheusal mir auch noch mit seinen Stinkadores die Luft verpesten! – Da!« Mit diesem Ausruf griff er in eine Kiste, die auf dem Schenktisch stand, und warf eine Hand voll der feinsten Importirten auf den Tisch vor mich hin, leider mit so grosser Heftigkeit, dass dabei ein Theil von ihnen zu Schaden kam.
Während dessen waren auch andere Gäste gekommen und von dem Wirth 193 auch nicht gerade höflich behandelt worden. Diese andern hatten nach und nach sich verabschiedet und zuletzt – längst waren die Talglichter angesteckt – sass ich ganz allein da und trank immer noch einen nach dem andern. Plötzlich stand vor mir der Wirth mit der Uhr in der Hand und rief: »Jetzt aber raus!« – »Gut, gut!« sagte ich – »ich gehe ja schon, ich will nur noch bezahlen.« – »Was? bezahlen?« –schrie der Grobian, und seine Augen funkelten fürchterlich. – »Wirklich bezahlen? Das sind mir saubere Gewohnheiten! Mit der Lumperei wird es doch wohl ein paar Tage Zeit haben. Soll ich nichts thun, als fortwährend meinen Gästen zu Diensten stehn?« – Während er so sprach hatte mir Hannesle auf etwas stürmische Manier den Hut über den Kopf gestülpt. Der gute Mensch, dachte ich, verdient ein Trinkgeld. Also griff ich in die Tasche 194 und sagte: »So will ich doch wenigstens . . . .« In diesem Augenblick erhielt Hannesle, der bis dahin noch kein Wort gesagt hatte, Sprache. »Willst du wohl gleich!« schrie er und erhob eine kolossale Faust, um mich zu Boden zu schlagen, falls ich bei meinem Vorsatz heharrte. Natürlich gab ich nach. Da hatten mich auch schon der Wirth und Hannesle gepackt und – eins, zwei, drei! – war ich draussen.
Es ist wahr: dem Wirthshausschild entsprach durchaus der Charakter des Wirthes und seines Personals. Aber das Bier war so köstlich gewesen, dass ich am andern Tage schon ziemlich früh wieder meine Schritte der »groben Sau« zuwandte. 195