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6. Kapitel.
Die Schatten schwinden

Mit müden Schritten stieg Goldköpfchen die Treppe empor. Beinahe mechanisch hatte es den Heimweg zurückgelegt, mechanisch streckte sich auch die Hand nach der Klingel aus. Bärbel hörte, wie die Zwillinge den Flur entlanggelaufen kamen, öffneten, sie vernahm übersprudelnde Worte und wollte sich schweigend vorbeischleichen. Aber Frau Lindberg hatte die Rufe Kunos und Martins gehört.

»Na, du bist 'ne Nette – wo bleibst du denn? Das ist doch keine Art und Weise!«

Frau Lindberg eilte auf den Flur hinaus, sie sah nur den gesenkten Kopf ihrer Enkelin, deren müde Bewegungen. Eine furchtbare Angst erfaßte sie. Schon gestern hatte Goldköpfchen den Eindruck einer Kranken gemacht, heute erschien es, als sei es völlig zusammengebrochen.

Die Absicht, zu warten, bis Goldköpfchen von selbst käme, um alles zu sagen, wurde nicht ausgeführt. Frau Lindberg eilte auf Bärbel zu und legte ihren Arm um deren Schulter.

»Liebes, liebes Bärbel!«

»Zanke sie nur tüchtig aus, Großmama, du hast dich massenhaft geängstigt. Wenn wir so lange fortbleiben, bekommen wir eins hinter die Ohren.«

»Ihr geht hinein ins Wohnzimmer!«

»Junge Damen dürfen sich alles erlauben, junge Herren – –«

»Habt ihr nicht gehört, daß ihr ins Wohnzimmer gehen sollt?«

Ein unverständliches Gemurmel wurde hörbar, dann waren die beiden Knaben verschwunden. Noch immer stand Frau Lindberg mit Bärbel auf dem Flur.

»Bärbelchen!«

Die Angeredete hob die Augen, ein müder, fast erloschener Blick streifte die Großmama.

Da sprach Frau Lindberg nichts mehr, sondern führte die Verstörte in ihr Schlafzimmer und schloß hinter sich ab. Dann setzte sie sich auf das großgeblümte, altmodische Sofa. Sie wollte versuchen, ihre Enkelin ebenfalls zu sich niederzuziehen. Aber Bärbel machte nur eine matte Bewegung der Abwehr.

»So sprich doch endlich, mein liebes Bärbel – warum quälst du dich so sehr? – Hast du mich denn gar nicht mehr lieb?«

Goldköpfchen bewegte mehrfach die Lippen, dann schüttelte es die blonden Locken.

»Was auch geschehen sein mag, mein Kind, ich will dir beistehen, will dir raten, dir helfen. Wir sind doch zwei so treue Freunde.«

Frau Lindberg streckte beide Hände der Enkelin entgegen. Mit einem leisen Wimmern warf sich Bärbel vor der alten Dame auf die Knie und drückte das Gesicht in deren Schoß.

»Großmama!«

Frau Lindberg merkte, wie unter ihren liebkosenden Händen der schlanke Körper des jungen Mädchens bebte.

»Ich bin dein Großmütterchen und deine Freundin, mein Bärbel, alles, alles kannst du mir sagen.«

Aber der Blondkopf wühlte sich nur noch tiefer in die Falten des Gewandes, und Frau Lindberg mußte geduldig warten, ehe der erste dumpfe Seufzer von Bärbels Lippen kam.

»Es ist alles gar nicht so schlimm, Bärbel, nein, nein, es ist wirklich nicht so schlimm. Denke doch, wie traurig Harald sein würde, wenn er wüßte, daß du leidest.«

Die Hände Goldköpfchens krallten sich in die Arme der Großmama.

»Nichts von ihm! Ich will es nicht mehr hören – ich kann es nicht hören.«

»Aber, Bärbel – Harald war hier und wartete voller Angst und Sehnsucht auf dich.«

Wieder war es still im Zimmer, nur das stoßweise Atmen Bärbels war zu vernehmen.

»Hast du ihn denn nicht mehr lieb, mein Kind?«

»Großmama – Großmama – –« es war ein tränenloses Aufschluchzen.

»Was ist denn geschehen, mein Kleines?«

Frau Lindberg wartete. Ihre Enkelin mußte erst ruhiger werden; immer wieder strich sie der Erregten liebkosend über das wirre Lockenhaar. Aber Bärbel schwieg. Vielleicht war in diesem Augenblick jedes Wort verkehrt, denn noch verstand sie nicht, was ihre Enkelin so niedergeworfen hatte.

Endlich hob Goldköpfchen das verstörte Gesicht und schaute mit großen, unendlich traurigen Augen Frau Lindberg an.

»Es geht schon vorüber, Großmama, man soll nicht schwach sein, hat der Vati stets gesagt. Aber laß mich noch für ein Weilchen hier liegen, es tut mir wohl.«

»Sollst du auch, mein Bärbelchen, und sollst mir dabei alles erzählen.«

»Er war hier, Großmama? Was will er denn noch hier?«

»Dich sehen.«

»Großmama, er hat mich verraten, er liebt mich nicht – er liebt eine andere.«

»Aber, mein Kind, wie kommst du auf solch eine Idee? Meine beiden Hände lege ich dafür ins Feuer, daß Harald Wendelin nur dich liebt. Das kannst du mir alten, erfahrenen Frau glauben.«

»Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen – ich war heute draußen in Heidenau, Großmama – ich habe dem Brief nicht geglaubt, ich war da, ich – – ich – –« Wieder wühlte sich der Blondkopf in der Großmutter Schoß.

»Du fieberst, Bärbel! Harald ist in größter Sorge um dich, er hat heute auf dich gewartet, du kamst nicht, da kam er hierher, weil ihn seine große Sehnsucht zu dir trieb, und da willst du sagen, er liebt dich nicht?«

»Warum wollt ihr durchaus, daß wir beide uns heiraten? Warum redet ihr alle zu? Auch Joachim. Er liebt doch eine andere. – Ich bin ihm vielleicht nur eine Freundin. – Großmama, ich hätte mein Leben für ihn lassen können. Ich weiß noch gar nicht, wie ich es tragen soll, daß er nicht mehr zu mir gehört.«

»Das ist ja alles Unsinn, mein Bärbel! Ist diese Wahnidee der Grund deiner Verstörtheit? Seit wann weißt du, daß Harald dich nicht mehr lieben soll?«

Bärbel strich sich mehrfach mit der Hand über die heiße Stirn.

»Es ist so wirr in meinem Kopf, Großmama, aber das weiß ich doch, daß eine andere da ist, die heute draußen vor der Fabrik auf ihn wartete, die ihn zärtlich empfing. Inge heißt sie, und ich habe einen Brief von ihr.«

»Was ist das für ein Brief?«

»Er steckt in meiner Handtasche, Großmama. Ein schrecklicher Brief, der mir alles Glück, alle Lebensfreude raubte.«

»Gib mir den Brief, mein Kind.«

Müde erhob sich Bärbel und entnahm der Handtasche das anonyme Schreiben. Frau Lindberg zog Bärbel neben sich auf das Sofa nieder, las den Brief und lauschte den weiteren Berichten des jungen Mädchens.

»Hast du denn so wenig Vertrauen zu deinem Verlobten, Bärbel, daß du auf solch eine Verleumdung hin glauben kannst, er sei dir nicht treu?«

»Ich habe ihm vertraut, deshalb wollte ich hinaus nach Heidenau, ich wollte ihn sprechen, wollte ihm den Brief zeigen. – Da habe ich beide gesehen.«

»Was hast du denn gesehen, Bärbel? Jenes junge Mädchen kann eine Kollegin, eine Jugendfreundin, eine liebe Bekannte von ihm sein. Warum hast du Harald denn nicht angesprochen?«

»Großmama, es ist ja doch alles aus!«

»Harald muß jeden Augenblick wieder hier sein, du wirst ihn fragen, Bärbel, und wirst beschämt zugeben müssen, daß – –«

Goldköpfchen war aufgesprungen. »Ich kann ihn nicht sehen, Großmama, ich will fort. Bitte, laß mich in mein Zimmer gehen – ich kann es nicht ertragen.«

Voller Trauer schaute Frau Lindberg ihre Enkelin an.

»Du armes, armes Kind! Wohl liebst du deinen Verlobten innig und tief, aber dir fehlt das Wichtigste, das Vertrauen. Wie soll eure Ehe glücklich ausgehen, wenn du ihm nicht vertraust? – Das Leben schafft so viele Situationen, so viele Mißverständnisse, und wehe dem, der sofort Mißtrauen in den anderen setzt. Ich hatte gedacht, mein Bärbel, daß auch bei dir Liebe und Vertrauen Hand in Hand gehen. Ist das nicht der Fall, so bist du, mein Kind, noch nicht reif für den heiligsten Beruf, für die Ehe. Du bist jung und noch unerfahren, du bist vielleicht unreifer als andere junge Mädchen in deinem Alter. Lachend bist du bisher durchs Leben gegangen, und heute ist vielleicht der erste tiefe Schmerz an dich herangetreten. Lerne daraus, mein liebes Bärbel, und wenn du meinst, Harald nicht gegenübertreten zu können, wenn du auch jetzt noch an diesem prächtigen Menschen zweifelst, dann ist es vielleicht besser, ihr haltet euer Verlöbnis noch lange, lange geheim, bis du ihn voll und ganz erkannt hast.«

»Großmama, warum quälst du mich so sehr?«

»Ich quäle dich nicht, mein Kind, ich will dir nur einige Lehren fürs Leben mitgeben. In dieser Stunde möchte ich dich an ein Wort unseres großen Goethe erinnern, und dieses Wort sollst du dir in dein Lebensbuch schreiben: Wo das Vertrauen fehlt, da fehlt dem Kranz der Liebe seine schönste Blüte. Das merke dir, Bärbel. Was nützt dir deine große, reine Liebe? Sie würde dir nur beständig neue Schmerzen schaffen.«

»Ich habe ihn doch gesehen. Großmama – und dann – – der Brief.«

»Harald war hier, mein Kind – weißt du, was man ihm sagte? Er erfuhr, daß du heute mit deinem Kollegen, Herrn Münzinger, eine Zusammenkunft hättest. Fräulein Pertis sagte deinem Verlobten, daß du auch gestern mit einem Herrn zusammengewesen wärest, und Harald hat sie zurechtgewiesen. Mir hat er erst vor kurzem folgendes gesagt: Tausend Lästerzungen könnten sich an mein Bärbel wagen, ich weiß, daß ich ihr vertrauen darf. Und wenn sie zehnmal mit dem Kollegen fortginge, so habe ich keinen Grund, an ihr irre zu werden.«

»Großmama!« Wie ein dumpfes Stöhnen kam es aus Bärbels Munde.

»Und er hat weiter gesagt, mein Bärbel, daß sein Vertrauen unerschütterlich sei. Und du, mein Kind?«

Bärbel drückte das heiße Gesicht in die Hände.

Tröstend strich ihr Frau Lindberg über die Wangen. »Ich weiß, daß dir Harald nicht einmal wegen deines Mißtrauens zürnen wird, nur traurig wird er sein, sehr traurig. Aber er sagt sich, gleich mir, daß du noch ein ganz unerfahrenes Menschenkind bist, und daß dich jeder Sturm umzublasen vermag. Lerne daraus, mein Kind, und danke dem Himmel, daß er dir einen Mann in den Weg führte, der treu, rein und edel ist. In dessen Hände du dich beruhigt geben darfst, der dich hüten und pflegen wird wie sein höchstes Kleinod. Harald Wendelin gehört zu den heute so seltenen Männern, die noch zu der reinen Frau aufblicken und in ihr die Krone der Schöpfung sehen. Du wirst ihm sehr wehe tun, Bärbel.«

»Großmama, ich schäme mich so sehr. – Aber warum ist er dann mit jener anderen fortgegangen?«

»So frage ihn, mein Bärbel, und er wird dir, Auge in Auge, die Antwort darauf geben, Harald hat vor dir nichts zu verheimlichen.«

»Und doch, Großmama, quält es mich so furchtbar, daß er mir gegenüber Verpflichtungen hat. Schon als Junge wird er sich eingeredet haben: Du mußt Bärbel Wagner einmal heiraten, laß also keine andere Liebe erst in deinem Herzen aufkommen. Du hast es ja selbst gelesen. Joachim schreibt es auch. Schon als Studenten waren sie einig. Ich will aber nicht aus Gnade genommen werden.«

»Bärbel,« sagte Frau Lindberg streng, »wie kannst du so etwas denken? Sagt dir denn dein eigenes Herz nicht, daß du wahrhaft geliebt wirst?«

»Ich war ja auch so glücklich – ach, Großmama, ich kenne das Leben noch nicht, ich würde sterben, wenn mich Harald verließe, und doch – – und doch – – ach, sprich weiter, Großmama, schilt mich tüchtig aus.« – –

Draußen schlug die Flurglocke an.

»Das ist dein Verlobter, Bärbel.«

Ein leises Zittern durchlief den Körper des jungen Mädchens.

»Was soll ich ihm sagen, Großmama?«

»Alles, mein Kind, denn er hat ein Recht auf dein Vertrauen.«

Frau Lindberg war aufgestanden, hatte die Tür aufgeschlossen und wandte sich dann nochmals zu Bärbel.

»Ich werde Herrn Wendelin empfangen, dann lasse ich euch im Wohnzimmer allein.«

Angstvoll legte Bärbel beide Hände auf den Arm der alte Dame.

»Es wird sehr traurig sein, Großmama – ach, frage ihn doch, ob er mich wirklich lieb hat.«

»Was bist du doch für ein großes Kind, Bärbel! Die heilige Offenbarung, was Liebe bedeutet, was Liebe in sich schließt, ist noch nicht über dich gekommen. Aber ich hoffe, daß auch für dich die Stunde schlägt, in der du dieses große Geheimnis begreifen wirst.«

Haralds erste Frage war nach Bärbel, die Zwillinge schrien es ihm entgegen, daß die Herumtreiberin endlich gekommen sei.

»Die Großmama hat sie in die Schlafstube gesperrt. Die Großmama duldet nämlich nicht, daß man ohne Erlaubnis ausgeht.«

»Aber Bärbelchen ist gesund?«

»Nehmen wir an. Sie sieht zwar schlecht aus. Aber das gibt sich wohl bald.«

Frau Lindberg betrat den Korridor. Voller Besorgnis fragte Harald erneut nach seiner Braut.

»Sie wird gleich kommen, Herr Wendelin. Vorher möchte ich allerdings noch einige Worte mit Ihnen sprechen.«

Frau Lindberg führte den Besucher ins Wohnzimmer, die Knaben, die ebenfalls eintreten wollten, wurden in ihr Zimmer verwiesen.

»Unser kleines, unverständiges und weltfremdes Bärbel hat gar großen Kummer. Endlich hat sie wieder Vertrauen zu mir gefaßt, endlich hat sie mir alles erzählt. Sie glaubt sich von Ihnen verraten.«

Wendelin war aufgesprungen. »Was ist geschehen, gnädige Frau?«

»Bärbel war heute in Heidenau und wollte Sie abholen. Ihnen wollte sie ihr Herz ausschütten. Da sah sie, daß Sie von einem anderen jungen Mädchen erwartet wurden. Und da man ihr längst gesagt hatte, daß Sie eine heimliche Braut haben, so ist im Augenblick alles in meiner Enkelin zusammengebrochen.«

»Gnädige Frau, ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich niemals – –«

»Ich setze kein Mißtrauen in Sie, Herr Wendelin. Wenn Sie wirklich von einer Dame erwartet wurden, so wird das eine ganz harmlose Aufklärung haben.«

»Wenn es sich um die junge Dame handelt, die heute an der Fabrik stand, die mich empfing, so liegt hier allerdings ein Irrtum von seiten Bärbels vor.«

»Das sagte ich mir ja auch. Aber der anonyme Brief, den Bärbel erhielt, hatte sie nun einmal ganz verstört. Sie zeigte mir einen Brief, in dem sich eine Verlassene an sie wendet und ihr mitteilt, daß Sie, mein lieber Herr Wendelin, untreu wären. Bärbel kennt die Tücken der Menschen und die Schlechtigkeiten der Welt zu wenig. Obwohl sie mit offenen Augen durchs Leben geht, hat sie keinen Blick für das Häßliche und Gemeine. Und das ist gut so. Ich bitte daher auch für mein Enkelkind bei Ihnen: Zürnen Sie dem dummen Mädchen nicht allzu sehr. Bärbel hat ihr Verhalten schon bitter bereut.«

»Wie könnte ich meiner Braut zürnen! Nur traurig macht es mich, daß Bärbel so wenig Vertrauen zu mir hat.«

»Auch das wird sie noch lernen, Herr Wendelin. Dieser dumme Brief war an allem schuld.«

»Wenn mich nicht alles täuscht, so kenne ich die Briefschreiberin.«

»Lassen Sie sich nachher den Brief zeigen – –«

»Ich glaube kaum, daß es nötig ist, gnädige Frau. Ich möchte Ihnen in dieser Stunde einen kleinen Zwischenfall erzählen, der sich zwischen mir und der Empfangsdame im Atelier Brausewetter ereignete. Ich hätte für alle Zeiten davon geschwiegen, und ich werde Bärbel auch nichts davon sagen; aber zu Ihnen, gnädige Frau, möchte ich sprechen, damit Sie selbst erkennen, wer jenen anonymen Brief geschrieben hat.«

»Sie können mir alles sagen, Herr Wendelin. Ich werde selbstverständlich Ihr Vertrauen zu würdigen wissen.«

»Bärbel wird Ihnen vielleicht gesagt haben, daß ich eines Abends Gelegenheit hatte, Fräulein Pertis kennenzulernen. Diese Dame hat mehrfach versucht, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie ist sogar so weit gegangen, hinaus nach Heidenau zu kommen, hat mich eines Abends vor der Fabrik erwartet und eine ganz nichtige Frage an mich gestellt. Ich merkte sofort, daß das alles nur ein Vorwand war, um näher mit mir bekanntzuwerden. Sie forderte mich auch ziemlich deutlich auf, sie in ein Lokal einzuladen, aber ich lehnte ziemlich kurz ab. Jede andere Dame, die etwas auf sich hält, hätte nach solcher Abfuhr alle weiteren Versuche einer Annäherung aufgegeben, Fräulein Pertis dagegen belegte mich immer aufs neue mit Beschlag.«

»Unglaublich, wie sich eine junge Dame so viel vergeben kann!«

»Ich begriff es auch nicht. Im Interesse meines Bärbels unterließ ich die Grobheiten, die am Platze gewesen wären. Aber ich fürchtete, daß Bärbel im Atelier schikaniert werden würde, und so konnte ich nur meine kühle Reserve beibehalten. Als aber Fräulein Pertis anfing, über Bärbel zu schmähen, als sie versuchte, Bärbel in meinen Augen herabzusetzen, da sagte ich ihr doch meine Meinung. Seit diesem Tage haßt sie mich.«

»So meinen Sie, dieser anonyme Brief stammt von ihr? Das wäre doch eine unerhörte Schlechtigkeit!«

»Ich bin keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß sie den Brief geschrieben hat. Es lag ihr vielleicht daran, Mißtrauen zwischen uns zu säen. Leider, leider scheint ihr das auch gelungen zu sein.«

»Vielleicht ist das eine gute Lehre für meine Enkelin.«

»Armes, liebes Bärbelchen, was mag sie gelitten haben.«

»Soll ich sie jetzt rufen?«

»Ich bitte darum, gnädige Frau.«

Frau Lindberg erhob sich, um Bärbel zu holen. Wie töricht hatte sich ihre Enkelin benommen! Aber Harald Wendelin würde die kleine Sünderin verzeihend an sein Herz nehmen.

Bärbel saß zusammengesunken auf dem Sofa, ein Bild des Jammers. Mit verweinten Augen blickte sie der Großmutter entgegen. Eine bange Frage lag in ihren Augen.

»Du törichtes, liebes Kind. Laß dir erzählen, wie sehr du ihm Unrecht tatest. Es wird dir eine Lehre sein, denn Vertrauen, felsenfestes Vertrauen, das ist das erste, was man zu einer Ehe braucht, sonst hat sie keinen Bestand.«

»Großmama, er liebt mich noch immer? Mich ganz allein?«

»Er wird nie eine andere lieben. Aber es schmerzt ihn bitter, daß du ihm mißtraust.«

Das Mißtrauen wurde aufgeklärt. Bärbel sagte keinen Ton, aber sie barg das Gesicht an der Schulter von Frau Lindberg.

»Last gut sein, mein Kind. Harald wartet auf dich. Komm mit mir hinüber. Aber du wirst nun eingesehen haben, daß es unrecht war, an deinem Verlobten zu zweifeln.«

Mit niedergeschlagenen Augen betrat Bärbel das Wohnzimmer.

Harald eilte ihr entgegen.

»Bärbelchen, mein geliebtes Bärbelchen!«

Nun löste sich die furchtbare Erregung Goldköpfchens in einen Tränenstrom auf.

»Nicht weinen, mein Liebling,« sagte er innig, »du hast ohnehin schon so viel gelitten. Ganz elend sieht mein Bärbel aus.«

»Ich bin deiner nicht wert, Harald – –«

»Sprich nicht solche Worte, du bist mir das Liebste und Teuerste, was ich besitze. Nur traurig hat es mich gemacht, daß du an mir zweifeln konntest.«

»Ich tu's bestimmt nicht mehr, niemals mehr,« schluchzte sie, »ich bin ja so dumm, so furchtbar dumm!«

»Du bist unerfahren, mein Liebling, aber nun hast du wieder einmal gesehen, daß der Schein sehr leicht gegen mich sein kann. So wird es vielleicht noch manches Mal ergehen. Wirst du dir auch wieder so trübe und traurige Stunden bereiten, mein Lieb?«

»Nein, Harald, nie und nimmermehr, ich werde nicht mehr an dir irre werden, und wenn du dich mit der Inge alle Tage triffst, wenn ich täglich ein ganzes Pfund solcher häßlichen Briefe bekomme, ich will fest an dich glauben.«

»Das darfst du, mein Bärbel, denn dir allein gehöre ich, dich will ich besitzen, nach nichts anderem steht mein Sinn. Du bist für mich Leben und Sonnenschein, etwas anderes brauche ich nicht.«

»Ich verstehe es ja selbst nicht, daß ich so verzweifelt sein konnte. Aber vielleicht ist es ganz gut so, Harald. Ich weiß nun, daß wir ganz fest aneinander gebunden sind, nicht äußerlich, und, nicht wahr, auch nicht von früher her? Du wähltest mich nicht, weil du die Verpflichtung hattest –«

Er schlang seine Arme in herzlicher Zärtlichkeit um sie.

»Seit ich dich sah, mein Bärbel, wußte ich es, daß du für mich mein Lebensinhalt bist, und wenn ich mit deinem Bruder darüber sprach, geschah es nur aus dem Verlangen heraus, dich einstmals zu besitzen. Du sahst in mir immer nur den Freund, als ich mich schon längst mit dem Gedanken trug, um dich zu werben. – Sind nun alle Schatten, die zwischen uns standen, beseitigt, mein Liebling?«

»Ich bin so glücklich, Harald – noch vor einer Stunde wäre es mir am liebsten gewesen, ich wäre gestorben – aber jetzt ist es doppelt schön, denn ich weiß heute, daß uns nichts, gar nichts mehr voneinander trennen kann. Aber vielleicht hättest du auch an mir gezweifelt, wenn du mich mit einem anderen Manne gesehen hättest?«

»Nein, Bärbel, niemals!«

»Ja, du bist eben viel besser als ich, Harald. Aber an dir will ich mir nun ein Vorbild nehmen. Weißt du, ich male mir nächstens einen Wandspruch. Fürs erste aber schreibe ich mir über mein Bett, gleich auf die Tapete, die Worte, die mir vorhin die Großmama gesagt hat: Wo das Vertrauen fehlt, da fehlt dem Kranz der Liebe seine schönste Blüte.«

»So ist es, mein Bärbel, und unser Liebeskranz soll die schönsten Blüten haben, die zwei Seelen hervorbringen können. Liebe, Achtung, Vertrauen, Treue und Dankbarkeit.«

Hand in Hand saßen sie zusammen, bis endlich Frau Lindberg kam. Bärbel fiel ihr stürmisch um den Hals.

»Großmama, als ich mich verlobte, da war es so wunderschön in mir, alles nur eine jubelnde Melodie; aber heute, Großmama, heute ist es viel stiller, viel heiliger in mir geworden. Kannst du das verstehen?«

»Jawohl, mein Mädelchen, und ich hoffe, daß diese Saat in dir noch weiter aufgeht. Es ist nicht gut, wenn man sich nur stolz fühlt in dem Bewußtsein, eine Braut zu sein, dieses Wort schließt viel mehr in sich ein. Ich weiß, daß mein Bärbel, als es den Ring am Finger hatte, die Augen nach rechts und links schweifen ließ, die ganze Welt sollte sehen: Ich bin verlobt. Dies Gefühl mußte erst schwinden, mein Kind. Du bist nicht Braut für die Welt, du bist die Braut deines Harald, du mußt die Blicke nach innen lenken und auf ihn. Dann wird dein Brautstand zum Segen und die echte, rechte Vorbereitung für die Ehe.«


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