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Bei ihrem Besuch in der Oberförsterei, den Pucki am Mittwoch nachmittag machte, wurde sie nur von Frau Gregor begrüßt.
»Wir hatten dich längst erwartet, Pucki. Du bist am Freitag im Elternhaus angekommen, und die Waffeln, die ich am Sonntag buk, mußten wir allein aufessen, weil keine Pucki kam.«
»Mußt nicht böse sein, Tante Gregor, ich konnte wirklich nicht eher kommen. Ich wollte zweimal hierher laufen, und immer kam etwas dazwischen. Alle meine Bekannten in Rahnsburg sind gekommen, jeder begrüßte mich, und am Sonntagnachmittag kam sogar Fräulein Caspari.«
»Ach, deine alte Lehrerin aus Rahnsburg?«
»Ja, Tante Gregor. Wie oft habe ich sie geärgert, doch immer noch denke ich daran, wie sie mir einmal sagte, daß jede schlimme Tat bestraft würde. Ich wollte es lange nicht glauben, bis ich es an mir selbst erfuhr, wie recht sie hatte. – Ach, Tante Gregor, sie hat mir so viel aus meiner Schulzeit erzählt. Ich war eine rechte Range!«
»Ja, ja, Pucki, aber dein gutes Herz hast du niemals verleugnet.«
»Am Montag wollte ich bestimmt hierher kommen. Wirklich, Tante Gregor, und gestern hatte ich es mir ganz bestimmt vorgenommen. Aber gestern mußte ich einen wichtigen Gang machen.«
»Wohin denn?«
»Ich wurde zur Bürgermeisterei bestellt! Ich hatte mächtige Angst. Dann hat mich der Bürgermeister, Herr Beinlich, empfangen und furchtbar nett mit mir gesprochen. – Weißt du, was er will? Es soll in Rahnsburg ein Kindergarten eröffnet werden. Er fragte mich, ob ich den Kindergarten leiten wolle, wenn ich im Frühjahr mein Examen gemacht hätte.«
»Das ist ein schönes Anerbieten, Pucki.«
»Ja – er sagte mir, daß jetzt überall Volkskindergärten aufgemacht und Kindergärtnerinnen gebraucht würden. Es soll sogar ein eigenes Häuschen dafür gebaut werden. Ich fragte ihn, mit wieviel Kindern wir anfangen würden. Er wußte es noch nicht. – Na, dreißig werden es schon sein.«
»Ich bin überzeugt, daß dir die Eltern gern ihre Kleinen anvertrauen werden, Pucki.«
»Tante, ist der Onkel Oberförster nicht hier? Ich hätte eine dringende Frage an ihn.«
»Ich denke, er kommt bald zurück.«
»Als ich hierher kam, überlegte ich mir, daß ich für meinen Kindergarten auch eine Waldparzelle haben müßte. Ich habe mir daraufhin den Bezirk genauer angesehen und bin zu der Ansicht gekommen, daß ich das Jagen 124 gut brauchen könnte. Es ist nicht weit von Rahnsburg ab. Der Wald muß gelichtet, das Unterholz entfernt werden, und mitten drin muß außerdem noch eine Lichtung geschaffen werden. Ich habe mir alles genau überlegt und daraufhin angesehen. Der Onkel muß bald eine Eingabe an die Regierung machen, damit bis zum Frühling alles fertig ist.«
»Sieh mal an, Pucki.«
»Die Leute von Rahnsburg freuen sich auch, wenn sie die Stubben roden können. – Wenn er doch erst käme, der Onkel Oberförster. Die Sache eilt wirklich. Ich werde auch mit dem Bürgermeister darüber reden.«
Frau Gregor lächelte. »Sprich nur zuerst mit dem Onkel Oberförster, Pucki.«
»Tante, meinst du nicht auch, daß es den armen, blassen Kindern gut tut, im Walde zu spielen?«
»Rahnsburg ist ringsum von schönem Wald eingeschlossen. Die Rahnsburger haben glücklicherweise viel gute Luft.«
»Gewiß, aber die Parzelle im Jagen 124 möchte ich gern haben. Ich möchte auch etwas schaffen, das wirklich etwas Großes wird. Ich will keinen plundrigen Kindergarten, wie ihn andere Orte vielleicht auch haben. Ich will einen Musterkindergarten.«
»Du bist also fest entschlossen, den Kindergarten zu übernehmen?«
»Natürlich – felsenfest!«
»Claus wird sich im Oktober auch in Rahnsburg niederlassen.«
Pucki blickte an der Oberförsterin vorbei ins Leere. »Das ist ja sehr schön, wir können dann zusammen arbeiten. Er untersucht die Kinder von Zeit zu Zeit, denn wir müssen darauf dringen, daß wir gesunden Nachwuchs haben, Tante Gregor!«
Wieder lächelte Frau Gregor belustigt.
»Kommt der Onkel Oberförster bald heim?«
»Es ist wohl am richtigsten, kleine Ungeduld, wenn wir uns hinaus auf die Terrasse setzen. Von dort aus haben wir den Blick in den Garten, durch den der Onkel heimkommt. Du kannst ihm dann sogleich mit deinem Anliegen entgegenstürzen, da die Sache scheinbar so sehr eilt. – Vielleicht kommt auch Claus zurück.«
»Claus?!« Pucki zog die Stirn in Falten. »Er wollte doch erst in acht Tagen heimkommen?«
»Du weißt wohl noch nicht, daß Claus schon gestern ankam?«
»Nein – –«
»Er wollte von Breslau aus noch für einige Tage ins Schlesische Gebirge fahren. Dann zog es ihn jedoch mit Gewalt hierher. So hat er diese Reise aufgegeben.«
»Es zog ihn mit aller Gewalt hierher?« – Puckis Stimme ließ den sonstigen Klang vermissen.
»Er ist mit Bianka in den Wald gegangen und muß jeden Augenblick zurückkommen. Vielleicht sitzt er schon mit ihr in der Laube.«
Puckis Augen gingen durch den Garten. In der rechten Ecke, ganz dicht an der Hecke, stand die dicht berankte Laube. Wie oft hatte sie darin gesessen, wie oft diente diese Laube als Versteck, wenn sie sich beim Spielen suchen ließ. Immer herrschte in dieser Laube ein grünliches Dämmerlicht. Auf der kleinen Bank aus knorrigen Ästen konnten gerade zwei Personen sitzen. Dort saß wohl in diesem Augenblick Claus und neben ihm die andere, für die er die Reise ins Gebirge aufgegeben hatte.
»Lauf mal durch den Garten, Pucki, und sieh nach, ob dein Freund schon zurück ist.«
Pucki schüttelte den Kopf. »Nein, Tante, ich möchte nicht stören.«
»Warum solltest du stören?«
»Ich weiß doch nicht, ob ich genehm käme.«
»Freilich, Claus wird sich sicher sehr freuen, dich wiederzusehen. Bianka haben wir schon viel von dir erzählt.«
Puckis Gesicht nahm einen herben Ausdruck an. »Wenn sie in der Laube zusammensitzen, wollen wir sie dort ruhig lassen, Tante. Ich wünschte nur, der Onkel Oberförster käme zurück. Mir liegt die Sache mit der Waldparzelle sehr am Herzen.«
Frau Gregor und Pucki hatten auf der Terrasse Platz genommen, von der aus sie einen weiten Blick über den gepflegten Garten hin zum Walde hatten. Puckis Augen gingen unentwegt hin zu der umrankten Laube. Was mochten die beiden dort treiben? Sicherlich hielt er Biankas Hand in der seinen und sprach liebe Worte zu ihr.
»Gefällt dir das Fräulein Bianka, Tante?«
»Ein sehr liebes Mädchen.«
»So – das freut mich. Du würdest sie am liebsten für immer bei dir haben?«
»Vorläufig bleibt sie hier. Sie ist noch nicht so weit gesund, daß wir sie heimschicken können.«
»Ja – ich hörte, sie sei sehr krank gewesen. Claus hat sie wohl im Krankenhaus kennengelernt?«
»Bianka hatte einen schweren Nervenzusammenbruch. Sie hat schon recht viele Enttäuschungen im Leben durchmachen müssen. Erst jetzt beginnt sie, ein wenig aufzuleben. Sei glücklich, mein Kind, daß dir das Leben bisher große Enttäuschungen erspart hat.«
»Mir? Aber Tante, muß nicht jeder Mensch seine Enttäuschungen erleben.«
»Was hast du an deinem Leben auszusetzen?«
»Du hast recht, Tante Gregor. – Aber sage mir, was für Schicksalsschläge waren es, die Bianka trafen?«
»Bianka will daran nicht erinnert sein. Laß dir genügen, wenn ich dir sage, daß sie furchtbare Enttäuschungen durchmachen mußte.«
»Und nun ist Claus beständig an ihrer Seite, um sie zu trösten.«
»Schau, dort kommen die beiden!« Durch die Gartentür schritt der junge Arzt. Er führte ein sehr zierliches Mädchen. Der Arm des jungen Mädchens lag in dem des Arztes. Bianka schien sich fest auf ihn zu stützen. Beide gingen sehr langsam. Immer wieder neigte sich Claus zu seiner Begleiterin; es hatte den Anschein, als spräche das Mädchen so leise, daß er Mühe hatte, es zu verstehen.
Puckis Herz machte ein paar schnelle Schläge. – Was hatte Rose, die herzliebe Freundin, gesagt? Das wäre keine Frau für Doktor Gregor, er brauche eine gesunde, frohgemute Lebensgefährtin, hatte sie gemeint.
Pucki wußte selbst nicht, welches Gefühl sie im tiefsten Herzen bestürmte. Jetzt, als sie die beiden kommen sah, stieg heißes Mitleid in ihr auf. Dieses geisterhaft blasse Gesicht mit den durchschimmernden blauen Äderchen, der tiefe Leidenszug um den jungen Mund wirkten geradezu erschütternd auf Pucki. Doch schon im nächsten Augenblick kamen ihr neue Zweifel. Claus war Arzt, ein tüchtiger Arzt, der schon manchen Kranken wieder auf die Beine gestellt hatte. Vielleicht schmeichelte sich Bianka gerade durch ihre Krankheit in sein Herz hinein. Für Claus war das vielleicht ein sogenannter interessanter Fall – hier durfte er auch Seelenarzt sein.
»Aber Pucki, willst du Claus nicht entgegenlaufen?«
Doch Pucki tat es nicht. Sie verfolgte ängstlich die Schritte der beiden und wartete darauf, ob sie nicht doch nach rechts hinüber, in die Laube, abbiegen würden. – Aber es geschah nicht. Sie kamen näher – und plötzlich blieb Claus stehen und beschattete für Sekunden die Augen mit der Hand. Dann klang es dem Försterkinde entgegen:
»Pucki! – Das ist doch unsere Pucki!«
So mußte es sein, wenn einem Menschenkinde die Sonne mitten ins Herz fällt und weiter darin glüht. Pucki saß unbeweglich auf dem Stuhl, nur die Blauaugen strahlten dem Paar entgegen. Weiter geleitete Claus behutsam seine Begleiterin, und dann standen sie unten an der Terrasse. Frau Gregor ging beiden entgegen. – Da erhob sich auch Pucki. Sie hatte keinen Blick für Bianka, sie sah nur Claus, den stattlichen, schönen Claus, sah in seine strahlenden Augen und sagte ganz leise:
»Claus, lieber Claus – –«
Über alles andere konnte sich Pucki keine Rechenschaft geben. Sie wußte später nur, daß sie beide Hände des jungen Arztes fest gedrückt hatte. Dann machte man die beiden jungen Mädchen miteinander bekannt. Pucki vernahm die müde Stimme Biankas. Sie hörte, wie Claus fragte, ob sie hinauf in ihr Zimmer gehen oder unten im Garten im Liegestuhl bleiben wolle. Als Bianka das letztere erbat, als Claus den Liegestuhl zurechtstellte und Frau Gregor Decken und Kissen holte, stand Pucki noch immer mit herabhängenden Armen auf der Terrasse und schaute Claus zu.
Wie er die andere umsorgte! Dazwischen erhielt sie immer wieder einen Blick von Claus, und das machte sie froh.
Endlich hatte sich Pucki ein wenig gefaßt. Jetzt trat auch sie an den Liegestuhl heran und sprach herzliche Worte zu Bianka. Doch Claus winkte bald ab. Er merkte, daß die Leidende den Anblick des urgesunden, rotwangigen Mädchens, das im gleichen Alter mit ihr stand, heute nicht ertragen konnte.
Pucki trat leise zur Seite. Frau Gregor schob einen Gartenstuhl in die Nähe der Liegenden und nahm eine Handarbeit vor. Da entfernte sich auch Claus. An der Hausecke schaute er zurück und rief nochmals verhalten: »Pucki, liebe kleine Pucki!«
Mit wenigen raschen Schritten war sie an seiner Seite.
»Ich wußte nicht, daß du schon hier bist, Claus, sonst – wäre ich – wäre ich – –«
»Schon gestern gekommen«, ergänzte er lachend.
»O nein«, klang es zurück. »So schnell wäre ich bestimmt nicht gekommen.«
»Warum denn nicht?«
»Weil ich wahrscheinlich gestört hätte. Du hast doch deinen Eltern gewiß viel zu erzählen.«
»Dazu habe ich noch lange Zeit, Pucki, denn zunächst bleibe ich hier.«
»Während meiner Ferien?« Verschwunden war die spröde Zurückhaltung, lachender Jubel klang aus den Worten.
»Ja.«
»Das ist wunderschön!«
»Freut es dich wirklich sehr, Pucki?«
Sie wollte zustimmen – da fielen ihr ihre Vorsätze ein. Nur einem Manne nicht zeigen, daß man ihm gut ist.
»Wir haben uns seit einem halben Jahr nicht gesehen«, sagte Pucki schlicht.
»Nun erzähle mir doch ein wenig, wie es dir geht, Pucki. Wird das Examen zu Ostern gemacht?«
»Ja – und dann übernehme ich den Kindergarten in Rahnsburg.«
»Du? – Den Kindergarten in Rahnsburg?«
»Ich habe gestern mit dem Bürgermeister gesprochen. Ich habe ihm fest zugesagt, diese Stelle anzunehmen. Es wird eine herrliche Aufgabe für mich sein.«
»Aber ein Vertrag ist noch nicht gemacht worden?«
»Nein, Claus, vorläufig ist doch noch gar nichts abgemacht. Ich muß erst mein Examen machen.«
Claus blickte sie gar so sonderbar an, daß Pucki bis an die Haarwurzeln rot wurde. »Glaubst du vielleicht, ich kann das nicht?« sagte sie mit tiefem Ernst. »Ich stehe bestimmt meinen Mann. Ich habe mir gelobt, aus kleinen Anfängen einmal etwas Großes zu machen.«
»So, so! – Jedenfalls ein guter Vorsatz.«
»Ich will doch auch eine Zukunft haben.«
»Ich auch, Pucki. – Darum lasse ich mich am ersten Oktober in Rahnsburg als Arzt nieder. Es könnte doch recht nett werden, wenn wir dann zusammen arbeiteten. Vielleicht überlegt sich Pucki die Sache noch anders. – Weißt du, du warst immer schnell dabei, deine Pläne über den Haufen zu werfen. Das war schon als Kind der Fall.«
»Du traust mir nicht zu, daß ich in Rahnsburg einen Kindergarten errichten und leiten kann?«
»O gewiß!«
»Da ist Hans Rogaten anders, Claus. Er traut mir schon zu, daß ich etwas leisten kann. Er ist überhaupt ein prächtiger Mensch.«
»Recht erfreulich«, gab Claus trocken zurück.
»Ein Apotheker hat ein sicheres Brot. Er weiß natürlich heute noch nicht, wo er mal eine Apotheke bekommen wird. Ich riet ihm, er möge in eine kleine Stadt gehen –«
»Weil du die Kleinstadt liebst?«
Pucki schwieg einige Sekunden. Durch diese Frage klang ein eigenartiger Ton, der sie stutzig machte.
»Da hat Hans Rogaten zu entscheiden.«
»Du sagtest, du kämst oft mit ihm zusammen.«
»Ja – –«
»Ich glaube, Hans ist nur deinetwegen nach Leipzig gegangen.«
»Kann schon sein.«
Im nächsten Augenblick tat Pucki diese Äußerung sehr leid. Sie hatte keinen Blick vom Gesicht ihres geliebten Claus gelassen und bemerkte sofort den Schatten, der bei ihrer Antwort über seine Züge lief. Wie sollte sie das deuten? Wollte er sie ausforschen oder wollte er wissen, wie sie, Pucki, zu Hans Rogaten stand?
»Unsere Bianka ist ein bemitleidenswertes Geschöpf.«
Warum brach Claus das Gespräch so plötzlich ab? War er verstimmt? Pucki überlegte, wie es möglich sei, ihren vielleicht begangenen Fehler wieder gutzumachen. Doch schon sprach Claus wieder von Bianka, die sehr leidend sei, die hier in der Oberförsterei ihren Lebensmut wieder erlangen sollte.
Ganz plötzlich vernahm sie die Stimme des Oberförsters. Wie von schwerer Last befreit, atmete Pucki auf. »Da ist der Onkel Oberförster. Claus, du mußt mich entschuldigen, ich will ihn etwas fragen.«
»Bitte, Pucki, ich halte dich nicht.«
Im ersten Augenblick wollte ihr ein herzliches Wort über die Lippen kommen, aber der Ausdruck seines Gesichtes verschloß ihr den Mund. So wandte sie sich rasch um, eilte nach rückwärts und rief übermäßig laut:
»Onkel Oberförster, ich warte sehnsüchtig auf dich!«
Der Oberförster begrüßte das junge Mädchen in seiner herzlichen Weise.
»Was? Wichtige Dinge hast du mit mir zu besprechen? Dann komm nur gleich mit in mein Arbeitszimmer.«
»So wichtig ist es nun gerade nicht.«
»Komm nur«, sagte er und stieß die Verandatür auf. »Du bist ja mächtig aufgeregt, Pucki. Wenn du in Fahrt kommst, wird deine Stimme immer ein wenig laut. Das möchte ich unserer leidenden Bianka ersparen.«
Pucki warf einen schuldbeladenen Blick auf den Liegestuhl, der im Garten stand. »Ich kann auch leise sein«, flüsterte sie.
»Nein, nein, komm nur mit.«
Im Arbeitszimmer setzte sich der Oberförster in seinen großen Stuhl, verschränkte die Hände, putzte sorgfältig die Brille und schaute erwartungsvoll auf Pucki.
Und nun begann sie zu erzählen von ihrem Besuch beim Bürgermeister, von der Absicht, einen Kindergarten aufzumachen, den sie leiten sollte. Sie schilderte in glühenden Worten die Notwendigkeit, daß eine Waldparzelle gebraucht würde, sie sprach davon, daß einige Bäume im Jagen 124 geschlagen werden müßten und verlangte das Auslichten und vielleicht auch einen kleinen mit Rohr gedeckten Pavillon, der gegen Regen Schutz bieten sollte. »Du mußt daher bald an die Regierung schreiben, damit uns im Jagen 124 eine Parzelle zugebilligt wird«, schloß sie ihren Bericht.
»So – – muß ich?«
»Ich denke, du wirst es tun. Es handelt sich um das Wohl vieler Kinder.«
Pucki blickte in das Gesicht des alten Herrn. Wenn sie das Zucken um seinen Mund sah, wußte sie, daß er sie nicht ernst nahm.
»Onkel Oberförster, es handelt sich hier um eine wirklich ernsthafte Sache, die zum Wohle des Volkes eingerichtet werden soll.«
Gregor kraute sich den grauen Kopf. »Wenn ich daran denke, daß mir die kleine Pucki einmal, als ich das Holzlesen verbot, eine stürmische Strafpredigt hielt, müßte ich natürlich sofort deinen Wunsch erfüllen, schon weil ich Angst haben könnte, daß du mir heute ganz was anderes sagst als damals. Aber bis zum Frühling ist noch eine lange Zeit, Pucki – –«
»Freilich, aber man soll nicht alles auf die lange Bank schieben!«
»Weißt du es so bestimmt, daß du den Kindergarten bekommst?«
»Der Herr Bürgermeister hat ziemlich klar durchblicken lassen, daß er es gern sehen würde. Mein Examen werde ich bestehen, ich wüßte also nicht, was dazwischenkommen sollte.«
»Wenn du dich nun inzwischen verloben würdest?«
»Ich? – – Ach, Onkel Oberförster, ich verlobe mich nicht.«
»Wenn man zwanzig Jahre alt ist und so prächtige Anlagen zur Hausfrau hat wie du, Pucki – –«
Das junge Mädchen bohrte verlegen mit dem Finger in der roten Plüschdecke.
»Ich denke«, fuhr der Oberförster fort, »wir warten mit der Parzelle im Jagen 124 und dem Kindergarten noch ein Weilchen. Das braucht ja nicht gleich in den ersten Tagen deines Hierseins erledigt zu werden. Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt erst einmal frohe Ferienwochen verlebst. Du wirst deine Freunde und Bekannten wiedersehen, wirst wahrscheinlich auch öfters hierherkommen, das erwarte ich sogar von dir – und alles andere findet sich dann von selbst.«
Auch jetzt sah sich Pucki wieder auf der Schmanz, auch jetzt tönten Roses Worte wieder in ihren Ohren. Konnte sie nicht fast glauben, daß Claus seinem Vater bereits eine Andeutung gemacht hätte? Doch dieser Gedanke machte Pucki so unruhig und verlegen, daß sie sich hastig erhob.
»Nun gut, Onkel Oberförster, ich halte zwar die Parzelle für sehr wichtig, aber – wir können ja noch – vierzehn Tage warten.«
Dann eilte sie aus dem Zimmer. Schmunzelnd schaute ihr Gregor nach. »Sie ist doch verliebt, die Kleine«, dachte er. »Was werde ich für ein reizendes Töchterchen bekommen.« –
An diesem Abend saßen die beiden Brüder Claus und Eberhard noch lange beisammen.
»Du schreibst doch oft mit Rogaten, Eberhard. Kannst du nicht einmal geschickt anfragen, wie er zu Pucki steht?« fragte Claus.
»Er schwärmt in jedem Briefe von ihr.«
»Und was noch?«
»Nun, es hat den Anschein, als wäre er ihr sehr gut.«
»Und Pucki?«
»Sage mal, Claus, fehlt dir vielleicht in deinem neuen Doktorhaushalt eine Doktorsfrau?«
»Wenn Pucki mit Hans Rogaten einig ist, wird sie niemals etwas davon erfahren, daß ich sie von Herzen liebhabe.«
»Aber Claus, warum fragst du sie nicht selber?«
»Ich möchte erst wissen, wie sie zu Hans Rogaten steht. Es ist immerhin möglich, daß sich die beiden in Leipzig nähergekommen sind. Vielleicht haben sie sich bereits heimlich versprochen. Dann würde es auf Puckis Leben einen Schatten werfen, wenn ich um sie anhielte.«
»Soll ich mal die kleine Pucki aushorchen?«
»Ich weiß nicht, ob das ratsam ist.«
»Aber Claus, da gibt es doch einen furchtbar einfachen Weg. Wir fordern ihre Eifersucht heraus.«
»Nein, Eberhard, ich liebe krumme Wege nicht. Ich denke, es wird dir möglich sein, von Rogaten Klarheit zu erhalten. Ich bitte dich, frage geschickt bei ihm an. Ich werde mich, bis seine Antwort angekommen ist, ein wenig von Pucki zurückhalten, um sie nicht in einen inneren Konflikt zu bringen.«
»Es ist eine alte Geschichte, Claus, daß Verliebte am wenigsten wissen, ob sie wiedergeliebt werden. Wenn ich dir offen meine Meinung sagen soll: Ich glaube, sie ist in dich verliebt. An deiner Stelle nähme ich ganz plötzlich ihren Wuschelkopf zwischen beide Hände und drückte ihr einen Kuß auf!«
»Nein, Eberhard! Ich habe mir bisher eingebildet, Pucki bis ins tiefste Herz hinein zu kennen. Heute bin ich zum ersten Male ein wenig irre geworden. Möglich aber, daß sie mir nur so viel von Rogaten erzählt hat, um ihre Gefühle zu verbergen.«
»Der Dichter hat schon recht, wenn er von Verliebten sagt: ›Hangen und Bangen in schwebender Pein.‹ Sei versichert, Claus, mir würde es nicht so gehen. Ich fragte das Mädel, das ich einmal haben will, und sagt sie ja, dann ist alles gut. – Will sie mich aber nicht – nun, dann werde ich mich auch nicht aufhängen.«
»Pucki spricht auffallend viel von dem Kindergarten, den sie in Rahnsburg übernehmen will. Sie hat darüber sogar schon mit dem Bürgermeister eine Unterredung gehabt.«
»Bürgermeister und der Kindergarten sind vergessen in dem Augenblick, wenn der Richtige fragt: Willst du mich? – Aber ich werde gleich morgen an Hans schreiben. Der gute Junge wird mir ehrlich antworten.« – –
Pucki hatte den Heimweg mit schwerem Herzen zurückgelegt. Immer wieder bereute sie die Antworten, die sie Claus gegeben hatte. Warum nur konnte sie nicht nett und freundlich zu ihm sein? Sein Begrüßungsruf war voller Jubel gewesen. Es bestand kein Zweifel: er freute sich, sie nach Monaten wiederzusehen. Beim Abschied konnte sie ihn nicht einmal ansehen, auch keinen Händedruck hatte sie ihm geschenkt. Es war das erstemal gewesen.
»Ich bin und bleibe ein großes Schaf«, sagte Pucki zu sich selber. »Zwanzig Jahre bin ich schon alt und benehme mich noch so töricht. – Schrecklich!«