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Geld, Geld!

»Unser Nachbar Dreffensteg bot mir heute früh seine Wiese zum Kauf an, ich möchte aber nicht zugreifen, obwohl wir die Wiese sehr gut zur Vergrößerung des Gartens brauchen könnten. Es wäre ein Fortschritt, wenn ich für meine Patienten eine Liegewiese einrichten könnte. Der angebotene Grund eignet sich auch vortrefflich dafür.«

»Warum willst du denn nicht kaufen, Claus?«

»Der Nachbar will die Wiese bar ausgezahlt haben, ich kann aber im Augenblick eine neue Verpflichtung schlecht übernehmen. Du weißt ja, Pucki, daß ich Instrumente anschaffen mußte, und wir haben die Tausende leider nicht herumliegen. – Folglich werden wir zunächst nicht kaufen.«

»Schade, Claus! – Später ist die Wiese vielleicht nicht mehr zu haben. Es wäre schlimm, wenn ein anderer darauf ein Haus erbaute. – Ach ja, das liebe Geld ist eben knapp.«

»Pucki, ich glaube, wir können trotzdem recht zufrieden sein.«

Das Gespräch, das beim Mittagessen geführt wurde, hörten die drei Knaben mit an. Da sie aber erzogen waren, bei Unterhaltungen der Eltern zu schweigen, taten sich ihre Plaudermündchen auch diesmal nicht auf, obwohl man es dem Gesicht Karlchens deutlich ansah, daß allerlei Fragen auf seiner Seele brannten.

»Ich glaube, meine liebe Frau, wir brauchen uns nicht zu beklagen«, wiederholte Claus. »Sind wir in den letzten Jahren nicht gut vorangekommen? Welcher Arzt ist in der Lage, sich eine eigene Klinik zu erbauen?«

»Das macht die Erbschaft! – Schade, daß wir nicht noch einen Onkel haben, von dem wir nochmals einige tausend Mark erben könnten. Deinem Bruder Eberhard willst du wohl nicht schreiben? Ihm wäre es ein leichtes, uns das Geld zu leihen. Seine Frau hat ihm doch viel Geld in die Ehe mitgebracht.«

»Ich bin fest davon überzeugt, Pucki, daß mir Eberhard und Mary ohne weiteres den Betrag leihen würden. Aber das sind neue Verpflichtungen, und die möchte ich nicht auf mich nehmen.«

»Eberhard würde uns das Geld zu günstigen Bedingungen geben.«

»Ganz gewiß, Pucki! Wir haben aber viele Zinsen zu zahlen. Du darfst nicht vergessen, daß wir bereits Marys Vater verpflichtet sind, durch dessen großzügige Hilfe wir dieses Haus umbauen und als Klinik herrichten konnten. Immer langsam voran, kleine, liebe Frau!«

»Ich weiß es, Claus, du bist immer ein vorsichtiger Mann gewesen; manch einer geht ganz anders darauflos und kommt vielleicht viel schneller zu etwas. Ein Mann, der eine so reiche Schwägerin hat, wie du sie hast, und einen so vermögenden Schwippschwiegervater, sollte ohne Besinnen die Wiese und noch andere Grundstücke dazu kaufen. Du könntest die Klinik vergrößern und – es würde klappen.«

»Das kann wohl sein, kleine Frau, doch bin ich leider nicht so wagemutig. Ich gehe Schritt für Schritt vorwärts und mache keine kühnen Bocksprünge.«

»Hahaha«, lachte Peter auf.

»Was gibt es zu lachen, Peterli?«

»Du machst keine Bocksprünge, Vati. – Nur wir Kinder dürfen Bocksprünge machen!«

»Freilich, freilich!«

»Vati –«, warf Karl ein, »wenn der Peter was gesagt hat, darf ich auch was sagen.«

»Das darfst du, mein Junge.«

»Vati, ich habe doch eine Sparbüchse, in der klappert es mächtig! Kann ich dir das Geld aus meiner Sparbüchse geben, damit du die Wiese kaufen kannst? Wir dürfen dann auch auf der Wiese umherlaufen. Jetzt schimpft der alte Mann immer mächtig, wenn wir über den Zaun klettern. Der hübsche Bach durch die Wiese macht uns doch so viel Spaß. – Vati, ach, kauf doch die Wiese mit dem hübschen Bach!«

»Bist ein guter Junge, Karl, aber das Geld, das in deiner Sparbüchse klappert, reicht nicht aus. Da mußt du noch sehr fleißig sparen, ehe wir davon die Wiese kaufen können.«

»Mach' ich, Vati!«

»Ich mach' auch«, rief der kleine Rudi.

»Ach was, du hast noch kein Geld«, tadelte Karl.

»Mutti, hab' ich Geld?«

»Ja, Rudi, du hast auch schon Geld.«

Peter, der gerade eine Kartoffel in den Mund geschoben hatte, rief laut: »Ich hab' auch Geld, und wenn wir alles zusammentun, kaufen wir den Bach! Dann geht es mit nackten Füßen ins Wasser!«

»Peter, wie oft habe ich dir schon gesagt, daß ein Kind mit vollem Munde nicht sprechen soll. Man kann kaum verstehen, was du sagst. Es ist ungezogen, mit vollem Munde zu reden. Merke dir das endlich!«

»Und die großen Frösche in dem Bach kaufen wir auch«, rief Karlchen jauchzend. »Vati, komm nachher gleich mal mit! Ich zeig' dir, wo du durch den Zaun kriechen kannst. Wir haben ein Holz abgemacht. – Vati, kommst du?«

»Kinder, ihr sollt nicht auf die Wiese des Nachbarn gehen!«

»Doch, Vati«, rief Peter geheimnisvoll, »die Frösche rufen immerzu nach uns, und wenn einer ruft – muß man kommen.«

Nach dem Essen gab es noch Obst für die Kinder. Als man Peter zum zweiten Male die Kirschen reichte, hob Pucki warnend den Finger: »Wie sagt man, Peter, wenn man etwas bekommt?«

Keine Antwort erfolgte.

»Peter –«

Der kaute mit vollen Backen und sandte der Mutter einen hilfesuchenden Blick zu.

»Wenn du nicht danke sagen kannst, mein Junge, bekommst du keine Kirschen mehr.«

Sofort schossen aus seinen Augen die Tränen, und noch immer kauend rief er zornig: »Du hast doch gesagt, ich soll nicht mit vollem Mund reden, und jetzt willst du, daß ich danke sage. – Ja, was soll denn ein kleiner Junge machen?«

Pucki wandte sich ab, um das Lachen vor den Kindern zu verbergen. Es dauerte längere Zeit, ehe sie dem erzürnten Knaben antworten konnte.

»Das kommt davon, Peter, wenn du so große Bissen nimmst. Du stopfst dir beide Backentaschen voll, anstatt kleine Bissen zu nehmen, wie das brave Kinder machen. Da kannst du natürlich nicht schnell herunterschlucken und danke sagen. – Und nun weine nicht mehr! Ein so großer Junge, wie du einer bist, darf nicht bei jeder Kleinigkeit weinen.«

Damit war der Frieden wieder geschlossen. – Nach dem Essen benutzte Karl die Gelegenheit, seinem jüngeren Bruder zu sagen, daß er eigentlich der Ungezogenste der ganzen Familie sei.

»Wenn du so weiter machst, Peter, hat dich die Mutti nicht mehr lieb!«

»Doch, sie hat mich lieb! Sie hat mich mehr lieb als dich!«

»Quatsch! – Ich war viel eher da als du. Mich hat sie schon liebgehabt, als sie dich noch gar nicht kannte.«

»Nein, mich hat die Mutti am liebsten. Ich bin immer krank gewesen. Der alte Vater Plaschke in der Klinik hat gesagt, seit er krank ist, haben ihn alle wieder sehr lieb. Und weil ich auch immerzu krank war, deswegen hat man mich am liebsten.«

In diesem Augenblick kam die Mutter zu den beiden Kindern. Karl stürzte von rechts, Peter von links auf sie zu, und aus beider Munde klang die gleiche Frage:

»Mutti, wen hast du am liebsten von uns?«

»Alle beide ganz gleich lieb!«

»Und den Rudi hast du nicht lieb, Mutti?«

»Natürlich, ich habe euch alle drei ganz gleich lieb.«

»Mutti, das geht doch gar nicht! Einen mußt du doch lieber haben?«

»Mutti«, flüsterte Peter schmeichelnd, »weil ich immer ein kranker Junge war und weil man Kranke besonders liebhaben muß, das sagt der Vati, hast du mich doch am liebsten? Sag es mir ganz leise ins Ohr.«

»Mutti, ich bin aber viel länger bei dir als der Peter! Mutti, ein Junge, der immerzu solch ein Miesepeter ist wie der Peter, den kannst du gar nicht so liebhaben. Der Lehrer in der Schule hat zu mir gesagt: ›Du bist ein strammer Bengel! Stramme Bengel hat jede Mutter lieb.‹«

»Ich habe euch wirklich ganz gleich lieb, Kinder.«

»Mutti, das kann ich mir nicht denken. – Ich habe ein Schaukelpferd und ein Steckenpferd und die kleine Schecke aus dem Pferdestall. Das sind drei Pferde. So wie wir drei. Aber das Steckenpferd kann ich nicht leiden. Das Steckenpferd hat einen zerbrochenen Kopf, das ist wie der Peter, der auch immerzu krank ist. Ich bin das schöne Schaukelpferd, das habe ich am liebsten. – Mutti, wenn wir nachher allein sind, sagst du es mir. Der Peter braucht das nicht zu wissen.«

Mit den Fäusten ging Peter auf den älteren Bruder los. »Ich bin kein Steckenpferd mit 'nem kaputten Kopf! Ich bin auch ein strammer Bengel!«

Pucki mußte die beiden Kampfhähne trennen. »Wer mich liebhat, der ist jetzt artig und macht der Mutti keinen Kummer.«

»Mutti, ich mach' dir doch Freude!«

»Das will ich hoffen, Karlchen. Aber mit Worten ist das nicht getan, ihr müßt es durch die Tat beweisen.«

»Das tu ich auch!« schrie Peter aus Leibeskräften.

»Ich auch! – Und ich bin doch das Schaukelpferd!«

»Mutti, wenn die Frösche so schön rufen, kauft dann der Vati die Wiese nicht doch?«

»Nein, mein lieber Junge, der Vati hat für die Wiese kein Geld.«

»Warum hat denn der Onkel Eberhard so viel Geld?«

»Das verstehst du noch nicht, mein Junge, und das brauchst du auch noch nicht zu wissen.«

Eine halbe Stunde später wurde Emilie in der Küche von den Kindern gefragt, warum der Vati nicht so viel Geld hätte wie Onkel Eberhard. Emilie meinte, Onkel Eberhard hätte eben nicht so viele Ausgaben wie der Vater. »Er hat keine Klinik, er arbeitet in einem Büro und bekommt jeden Monat ein großes Gehalt.«

»Wenn man in einem Büro arbeitet und ein Gehalt bekommt, hat man dann immer viel Geld?«

»Ja, dann hat man immer Geld.«

»Du kriegst doch auch immer Geld, Emilie?«

»Ja, Karlchen – –«

»Sag mal – kannst du nicht die Wiese mit den Fröschen kaufen?«

»Soviel Geld habe ich nicht.«

»Schade! – Sag mal, wo gibt es denn so viel Geld?«

»Ach, Karlchen, manche Menschen haben sehr viel Geld.«

»Vielleicht Tante Waltraut? Oder Fräulein Melchert?«

»Nein, nein, die nicht. – Es gibt aber sehr reiche Leute. Mitunter werden ganz arme Leute plötzlich reich. In unserem Dorfe ist das einmal so gewesen. Dort hatte einer eine Kiesgrube, die hat er jetzt gut ausnutzen können. – Aber das verstehst du noch nicht. Das Geld liegt eben mitunter auf der Straße.«

»Auf der Straße?«

»Ja, ja, manch einer braucht es nur aufzuheben.«

»Die Mutti hat auch mal auf der Straße Geld gefunden«, mischte sich Peter ein. »Sag mal, liegt Geld immer auf der Straße?«

»Ich habe zu tun, Kinder, laßt mich in Ruhe!«

Nachdenklich entfernten sich die beiden Knaben. Emiliens Worte wollten ihnen nicht aus dem Sinn gehen. Peter erinnerte sich ganz genau daran, daß die Mutti einmal fünf Pfennige auf der Straße gefunden hatte. Wenn das Geld wirklich auf der Straße lag, konnte er vielleicht so viel finden, daß Vater wenigstens den Bach mit den lieben Fröschen kaufen konnte.

»Wollen wir mal gehen?« fragte Peter plötzlich.

»Zu den Fröschen?«

»Nein, auf die Straße – wo das viele Geld liegt.«

»Ich habe noch kein Geld liegen sehen.«

»Man muß es suchen«, beharrte Peter.

»Quatsch, es liegt ganz bestimmt kein Geld da.«

»Wollen mal sehen!« Schon wanderte Peter aus dem Hause hinaus, ging durch das geöffnete Tor und ließ seine Blicke auf der Straße umherstreifen. Weit und breit war kein Geldstück zu sehen. Er begann den Rinnstein genauer zu untersuchen und stöberte mit den Fingerchen zwischen dem Straßenschmutz umher.

»Was machst du da, kleiner Junge?«

Peter blickte den Herrn an, der die Frage stellte. Er kannte ihn nicht. »Ich suche Geld.«

»Hast du welches verloren?«

»Vielleicht liegt es in dem Schmutz.«

»Wieviel hast du verloren, Kleiner?«

»Verloren? – Ich suche Geld.«

»Na, mein Junge, laß das sein. Hier hast du zehn Pfennige.«

»Schenkst du mir das Geld?«

»Ja, Kleiner.«

»Danke!«

Der Herr ging weiter. Strahlend blickte Peter auf das Geldstück. Das hatte zwar nicht auf der Straße gelegen, aber wenn er noch mehr dazu fand, jeden Tag etwas, würde der Bach mit den Fröschen bald gekauft werden können. Der große Kehrichthaufen an der Straßenecke hatte die besondere Aufmerksamkeit Peters. Er suchte nach einem Stöckchen und begann emsig damit in dem Haufen zu stochern.

»Peterchen, was machst du denn da?« Das war die Kaufmannsfrau, bei der Emilie alles einholte.

»Ich suche Geld!«

»Hast du nicht aufgepaßt? Wieviel hast du verloren?«

»Schenkst du mir auch zehn Pfennige?«

»Was solltest du einkaufen, Peterchen?«

»Wir wollten gern die kleinen Frösche und den Bach haben.«

»Frösche? – Komm mit, Peterle, ich gebe dir etwas.«

Die Augen des Knaben leuchteten auf. »Schenk mir wieder eine kleine Tüte mit – mit – den Bonbons, die so schön kalt im Mund schmecken.«

»Was soll ich dir schenken?«

»Wo's plötzlich ganz kalt im Halse ist. – Die kleinen weißen Dinger! Komm, ich werde sie dir zeigen!«

Sie betraten den Laden. Mit dem schwarzen Finger zeigte Peter auf eine Büchse mit Pfefferminzplätzchen. »Die da möchte ich haben!«

Die gutherzige Kaufmannsfrau füllte ein Tütchen mit Plätzchen und reichte es dem Knaben. Der stürmte davon, kam aber sofort zurück, schrie ein lautes »Danke« in den Laden und eilte fort. Waltraut sah ihn durch das Tor kommen.

»Peter, bist du schon wieder ausgekratzt?«

»Laß nur, Tante Waltraut, wir kaufen jetzt die Wiese mit den Fröschen. Dann spielen wir Liegewiese und schreien wie die Frösche. Dann freuen sich alle Kranken und werden schnell gesund.«

Karlchen wurde sehr nachdenklich, als er von dem jüngeren Bruder erfuhr, daß das Geld doch auf der Straße läge. Als Peter ihm die zehn Pfennige zeigte, schüttelte er den Kopf.

»Das ist gar nichts! Eine Wiese kostet hundert Mark. Wir müssen hundert Mark haben, die liegen nicht auf der Straße. – Ich weiß was Besseres!«

Trotz allen Fragens verriet Karl nicht, was er sich ausgedacht hatte. »Ich weiß was viel Besseres als du. Sollst mal sehen!« sagte er wichtig.

»Ich weiß auch was!«

»Nein, ich weiß mehr!«

»Ach du! – Du bist ein Miesepeter!« Schon saßen die Finger Peters in den Haaren des Bruders. Lautes Geschrei ertönte, so daß Pucki gelaufen kam und den Knaben heftige Vorwürfe machte.

»Rudi ist der artigste von euch dreien. Er sitzt brav bei mir, und ihr zankt euch ständig. Geschwister sollen sich liebhaben und nicht immer streiten.«

Die strengen Worte der Mutter verstärkten nur den Vorsatz der Knaben, ihr zu beweisen, daß man ihr etwas besonders Liebes antun wolle.

Karlchen hatte einen Plan, doch war er nicht leicht auszuführen. Er wollte heimlich an Onkel Eberhard schreiben, der so viel Geld hatte, daß er dem Vati die Wiese mit den Fröschen kaufen sollte. Da Karlchen aber erst seit zwei Monaten die Schule in Rahnsburg besuchte, ging es mit dem Schreiben noch nicht recht. Er wollte seinen schönen Plan aber keinem verraten, und so durften weder Emilie noch Tante Waltraut den Brief schreiben. Es war wohl am richtigsten, wenn er den großen Bruder seines Schulfreundes Anton bat, Onkel Eberhard um Geld zu bitten. So wandte sich Karlchen am nächsten Tage vertrauensvoll an Anton, der sofort seinen großen Bruder herbeirief, damit der Brief geschrieben würde.

»Wenn du mich auf deinem Schaukelpferd reiten läßt, wenn du mir deinen Pferdestall zum Spielen borgst, schreibt er den Brief«, sagte Anton.

»Ja, Anton, ich borge dir den Pferdestall, und auf meinem Schaukelpferd kannst du reiten.«

Max, Antons Bruder, erklärte sich sofort zum Schreiben bereit. Noch in der Pause wurde mit Bleistift auf eine ausgerissene Heftseite der Brief geschrieben, den Karlchen dem großen Jungen vorsagte:

»Lieber Onkel Eberhard! Der Vati möchte gerne die Wiese mit dem Bach und den Fröschen kaufen, um darauf die Kranken hinzulegen. Aber er hat kein Geld und muß anderes bezahlen. Nun will er keine Bocksprünge machen, er hat nämlich keinen Mut. Wir Kinder aber dürfen Bocksprünge machen, so hat er gesagt, und ich habe auch Mut. Die Wiese kostet viel Geld, ich glaube hundert Mark. Bitte, kaufe uns die Wiese mit den Fröschen. Du darfst dann auch mit uns ins Wasser gehen. Wir quaken alle zusammen mit den Fröschen. Du kannst dann mitquaken. Durch den Zaun, wo ein Stück los ist, kannst du auch kriechen. Wir ärgern so gerne den ollen Mann! Wenn uns die Wiese aber gehört, wo der Bach fließt und die Frösche quaken, dann können wir dem Mann eine lange Nase ziehen und jagen ihn aus dem Grase 'raus, wie er das macht mit uns kleinen Jungen.«

»Mach endlich Schluß«, sagte Max unwillig, »mehr schreibe ich nicht.«

»Bin schon fertig. – Es küßt dich und deine Frau mit dem vielen Geld Karlchen.«

»Hast du auch einen Umschlag?« fragte Max.

Ein Umschlag war natürlich nicht aufzutreiben.

»Dann bringe morgen einen mit, denn so kannst du den Brief nicht abschicken.«

Das versprach Karlchen auch.

»Mußt auch die Straße und die Hausnummer wissen, sonst kommt es nicht an. Bremen ist eine große Stadt.«

»Ich frage schon.«

Vom Schreibtisch der Mutti wurde ein Briefumschlag genommen. Die Anschrift des Onkels erfuhr Karlchen durch Tante Waltraut.

»Willst du an Onkel Eberhard schreiben?« fragte sie. »Du kannst ja noch nicht schreiben.«

»Will nur wissen, wo er wohnt!«

Waltraut gab die gewünschte Auskunft, und Karl brachte am nächsten Tage Briefumschlag und Anschrift dem großen Max mit. Noch zur selben Stunde wurde der Brief, natürlich ohne Marke, in den am Schulhause befindlichen Briefkasten geworfen.

Karl fühlte sich froh und leicht. Er würde es sein, der dem Vati das Geld für die Wiese mit dem Bach und den Fröschen geben konnte. – Dann war er bestimmt der Beste! Er hatte hundert Mark, und Peter mußte mit seinen zehn Pfennigen beschämt zurückstehen. Der große Max hatte freilich neue Zweifel in sein Herz gegossen und nach Absendung des Briefes gemeint, eine Wiese koste mehr als hundert Mark. Aber Karlchen ließ sich dadurch nicht einschüchtern.

»Wenn sie mehr kostet, schreiben wir eben noch an den reichen Vater von Tante Mary. Der hat furchtbar viel Geld, der kauft dann die Wiese.«

Nach Schluß der Schule, als die Knaben lärmend heimeilten, blieben sie plötzlich wie festgewurzelt stehen. Etwas ganz Neues bot sich ihren Blicken. An einer Straßenkreuzung stand ein alter Mann. Er lehnte sich an die Hauswand und hielt in den Händen eine kleine Ziehharmonika, der er leise Töne entlockte. Neben diesem Mann, dessen graues, strähniges Haar im Winde flatterte, saß ein schwarzer Hund, der den alten, schäbigen Hut des Mannes im Maule hielt und die Vorübergehenden aus seinen blanken Hundeaugen bittend anschaute. In dem Hut lagen einige wenige Münzen.

Die fünf Knaben blieben wie gebannt stehen. Der alte Mann kümmerte sie wenig, aber der Hund mit dem Hut im Maule erregte ihre größte Aufmerksamkeit. Und als nun ein Mann vorüberging, der dem Hunde eine Münze in den Hut warf, und der Hund den Hut für einen Augenblick niederstellte und Männchen machte, gerieten die Knaben in hellstes Entzücken.

»Gib ihm auch was in den Hut«, rief einer dem anderen zu. Aber in allen Hosentaschen war keine Münze zu finden.

»Ich reiße mir einen Knopf ab«, flüsterte einer der Knaben, »dann macht der Hund wieder Männchen.«

»Das ist Schwindel«, tadelte Karl, »für einen Knopf kann sich der Mann keine Semmel kaufen.«

Wieder wurde beraten, woher man etwas Geld nehmen sollte. Und als ein Mann, den einer der Knaben kannte, um die Straßenecke kam, eilte die kleine Schar auf ihn zu und bat, dem Hund etwas in den Hut zu werfen. Das geschah. Wieder setzte der Hund den Hut zu Boden und dankte durch Aufheben der beiden Vorderpfoten.

»Sind Sie morgen wieder hier?« fragten die Kinder.

Der Alte nickte.

»Wir bringen Ihnen morgen alle was mit!«

Obgleich jeder der Knaben wußte, daß er daheim zum Mittagessen erwartet wurde, rührte sich keiner von der Stelle. Es war gar zu nett anzusehen, wie der Hund mit dem Hut umging. Bald gesellten sich größere Kinder hinzu, und plötzlich sah ein zwölfjähriges Mädchen, wie der Alte langsam zusammenfiel und mit geschlossenen Augen an der Hauswand herunterrutschte.

»Er ist krank«, rief Karlchen, »das habe ich gleich gesehen. Er muß zum Arzt!«

Ein herbeieilender Mann stützte den Alten. Ein zweiter kam zur Hilfe.

»Was machen wir mit dem Manne? Bringen wir ihn zu Doktor Gregor? Der wohnt am nächsten.«

»Freilich, bringt ihn zum Vati, der macht ihn wieder gesund!«

Der Alte, der rechts und links von den hilfsbereiten Männern gestützt wurde, schien kaum noch die Kraft zu haben, weitergehen zu können. Der Hund, der den Hut im Maule hielt, trottete ängstlich hinter den dreien her. Ihm folgten die Kinder. Plötzlich setzte sich Karlchen in Laufschritt, eilte voraus und erreichte als erster das Doktorhaus. Laut rief er:

»Vati, es kommt wieder einer, der operiert werden will! – Vati, Tante Waltraut!«

Der Hausdiener hörte den Ruf, auch Schwester Lotte kam herbei. Langsam näherte sich der traurige Zug, und schon öffneten sich die Türen der Klinik, um den Halbohnmächtigen aufzunehmen. Da wurde nicht erst gefragt, ob er auch zahlen könne. Man wußte, daß Doktor Gregor für jeden Kranken zu sprechen war, daß er keinen fortschickte, der seine Hilfe brauchte.

Man brachte den alten Mann in ein Zimmer, aber ehe sich der Hund durchdrängen konnte, war die Tür geschlossen. Er ließ ein lautes Jaulen hören. Karl streichelte das unsaubere Fell des Tieres und sagte: »Sei nicht traurig, dein Herrchen bekommt jetzt Medizin, dann wird er wieder gesund.«

Fast schien es, als wirke der Trost des Kindes beruhigend auf das Tier. Und als Karlchen den Hund lockte, folgte er ihm bis in die Küche. Den Hut ließ er nicht los. Karlchen versuchte einmal, danach zu greifen, aber da knurrte ihn der schwarze Bursche unwillig an. Er ließ auch den Hut nicht los, als ihm Emilie einen Knochen reichte. Erst als sie sich mit Karl etwas entfernte, stellte er den Hut nieder, setzte sich dicht daneben und begann dann den Knochen mit Behagen zu verspeisen. Kaum war das geschehen, da nahm er den Hut wieder ins Maul und strebte damit dem Ausgang der Küche zu.

Karlchen eilte erregt zur Mutti. »Mutti, jetzt haben wir's! Draußen ist einer, der sammelt für uns das Geld für die Wiese mit den Fröschen. Sollst mal sehen, wieviel Geld wir jetzt bekommen! Vati macht den alten Mann gesund, währenddessen sammelt uns der niedliche Hund Geld.«

Pucki war es längst gewöhnt, von ihren Kindern unzusammenhängende Erzählungen zu hören, doch heute wurde sie aus den Worten nicht klug. Karlchen war schon wieder davongelaufen und suchte nach dem Hund. Der saß am Eingang zur Klinik, traurig und leise jaulend, und hielt den Hut mit den wenigen Münzen im Maul.

Doktor Eck, der Arzt, der in der Gregorschen Klinik tätig war, sah als erster den bettelnden Hund.

»Nanu, was ist denn das für ein neuer Gast? Das ist doch ein Blindenhund.«

Da kam Karlchen angesprungen. »Onkel Doktor, schmeiß ihm Geld in den Hut, er sammelt jetzt für den Vati. Wir wollen doch die Wiese mit den Fröschen kaufen, der Vati hat aber kein Geld. Nu bleibt der Hund so lange hier sitzen, bis wir die Wiese kaufen können. Bitte, gib ihm was!«

»Wem gehört denn der Hund?«

»Das ist jetzt mein Hund!«

»Aber Karlchen, du hast doch keinen solchen Hund.«

»Gib was in den Hut, Onkel Doktor. Wir brauchen Geld. Sage auch allen anderen in der Klinik, sie sollen 'rauskommen und dem Hunde was in den Hut schmeißen.«

»Wenn dein Vater kommt, kleiner Mann, wird er böse werden.«

»Der freut sich mächtig, wenn der Hund hier sitzt.«

Doktor Eck zog die Börse und warf zehn Pfennige in den Hut. Doch der Hund ließ traurig die Ohren hängen, und machte kein Männchen. Er schaute nur mit trübem Blick den freundlichen Geber an.

»Bringe den Hund zu dem Manne zurück, dem er gehört«, gebot der Arzt.

Karlchen schüttelte den Kopf: »Erst müssen wir das Geld für die Wiese haben.«

Doktor Eck sagte nichts mehr. Er beschloß, genauere Erkundigungen einzuziehen. Es war anzunehmen, daß der Besitzer des Hundes in die Klinik eingeliefert worden war.

Karlchen aber setzte sich neben dem Hund auf die Stufen und wartete auf milde Gaben.


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