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Der Roman »René« mit vertauschten Rollen. – Monsieur Edouard de Colbert. – Monsieur de Lamothe. – Alle Welt verliebt. – Reise nach Bagnères. – Reiseabenteuer. – Ein Duell. – Theresias Glück und das des Monsieur de Lamothe. – Die Stimmung in Bordeaux im Jahre 1793. – Der »Feminismus« und die Freunde der Verfassung. – Tallien; sein Bildniß, seine bisherigen Erlebnisse. – » La Terreur« in Bordeaux. – Ereignisse, welche eine Annäherung zwischen der Bürgerin Cabarrus-Fontenay und dem Bürger-Volksvertreter Tallien herbeiführen. – Ein Gerücht. – Theresia im Gefängniß.
Wir machen uns nicht anheischig, alle die wilden Verhältnisse der schönen Madame de Fontenay, noch weniger deren lustige Streiche zu verzeichnen; es giebt aber Abschnitte in dem Leben der Dame, und zwar solche, die um so interessanter sind, je schwieriger es ist, sie zu erzählen, ohne Anstoß zu erregen, die man nicht mit Stillschweigen übergehen darf.
In Bordeaux suchte Madame de Fontenay, oder vielmehr Madame de Cabarrus, wie sie sich nach ihrer Scheidung nennen ließ, sogleich ihre beiden Brüder und ihren Onkel Galabert, die dort wohnten, auf. Für sie waren, besonders nach dem Aergerniß ihrer Scheidung, Zerstreuungen nothwendig; um ihr Kind und dessen Erziehung kümmerte sie sich wenig. Mutterliebe ist ja Etwas, was zu den Herzen coketter Frauen nicht paßt. Ihrer Vorliebe für den Müßiggang, den Anforderungen ihres feurigen Naturells, konnte bisher nicht in gewünschtem Umfange entsprochen werden: der Ehebund, mochte er noch so locker geschürzt sein, setzte doch mannigfache Schranken – jetzt war es anders! Bald war sie in eine gar böse Geschichte verwickelt.
Es möge in aller Kürze davon die Rede sein und an die Worte eines Kenners, nämlich Chateaubriand's, erinnert werden, welche lauten: »Es stecken in dem Abgrunde des menschlichen Herzens oft schmachvolle Geheimnisse.« Wir würden die Geschichte übrigens verschweigen, wenn die indiscrete Herzogin von Abrantes nicht darauf zu sprechen käme. Theresia fing also zu lieben an. Wer »René« von Chateaubriand gelesen hat, kennt die ganze Geschichte im Voraus, aber, wie die Abrantes sagt, nur mit einer vollkommenen Umwechselung der Rollen. Zur Entschuldigung Theresia's darf nicht unerwähnt bleiben, daß solche Geschmacksrichtungen zu Ende des 18. Jahrhunderts keine Seltenheiten waren. Das Verhältniß des Herzogs von Bourbon mit seiner Schwester, der Herzogin du Maine, ist nicht nur allgemein bekannt gewesen, sondern auch für zulässig gehalten worden, Nachahmer waren vorhanden: es wußte z. B. Jedermann von der Liebschaft zwischen dem Herzog von Choiseul und der Herzogin von Grammont; Niemandem fiel es ein, ein Aergerniß daran zu nehmen, und wenn in den Salons davon die Rede war, so geschah es so, als ob ein solches Verhältniß ganz natürlich wäre. Die außerordentliche Nachsicht, welche die vornehme Welt diesem moralischen Gebrechen gegenüber an den Tag legte, wirkte sehr nachtheilig. Theresia und ihr Bruder wurden einig, jener allerdings mit weniger Hingabe und in dem Glauben, die Sache werde nicht lange vorhalten. Er richtete sich so ein, daß er stets, wenn die Schwester ihn besuchte, Freunde bei sich hatte. Unter denselben befand sich auch ein neunzehnjähriger junger Mann, Commis bei einem Kriegscommissar. Dieser, Eduard de Colbert, hatte das Jahr vorher in der Nationalgarde von Bordeaux gedient; er hatte viel Geist, ein elegantes Aeußere und war im Begriff, in eine der Armeen an der Grenze einzutreten – da tauchte in Bordeaux die reizende Madame de Cabarrus auf. Sie sehen und lieben war eins! Leicht aber war es nicht, der Angebeteten die Gefühle, welche sie eingeflößt hatte, zu schildern. Die wirkliche Liebe macht ja schüchtern; namentlich junge Leute, die noch nicht zwanzig Jahre alt sind, werden unter ihrem Einfluß verlegen und furchtsam. Da sich absolut keine Gelegenheit bot, sein Herz in das der schönen Theresia auszuschütten, eröffnete Colbert sich einem Freunde, es war de Lamothe, der Sohn vom Leibarzte des hingerichteten Königs. Seine Worte trafen ein gefühlvolles Herz und Lamothe suchte nach einer Begegnung mit Madame de Cabarrus, die sich auch bald bot. Er schreibt darüber:
»Meine Begegnung mit der Dame war einigermaßen merkwürdig. Eduard de Colbert, zu dem ich freundschaftliche Beziehungen unterhielt, hatte mich, obwohl von Intimität zwischen uns keine Rede war, zu seinem Vertrauten gemacht und mir gesagt, wie unsäglich unglücklich er wäre. Oft wolle er sich abwenden, allein die Zauberin fessele ihn durch einen Blick von Neuem und raube ihm beinahe den Verstand. Ich muß gestehen, daß ich vor der Dame nach Dem, was ich hörte und wahrnahm, einige Scheu empfand, da fügte es der Zufall, daß ich von Eduard selbst vorgestellt wurde.«
Es ist stets eine Thorheit, wenn ein Verliebter einen Herrn, gleichviel, ob, alt oder jung, hübsch oder häßlich, Der vorstellt, die er liebt: es scheint, als ob die Frauen den Geist des Widerspruchs, der ihnen eigen ist, auf ihre Coketterien, auf ihre Herzensangelegenheiten übertrügen – junge Leute aber sind stets die Unerfahrenheit selbst, sie sind voller Vertrauen. Eduard de Colbert bat also den Freund, ein wenig zu seinen Gunsten auf Theresia einzuwirken.
»Da ich jetzt,« so berichtet de Lamothe weiter, »im Hause Zutritt hatte, beschwor mich Eduard, ich möchte doch ergründen, weshalb er von der Gefeierten so kalt behandelt würde: es erschiene ihm so, als ob sie ihn nicht liebe, ihn nie lieben würde.«
Es war für Herrn de Lamothe natürlich keine leichte Sache, für den Verliebten zu plaidiren. Der Onkel Theresia's, Herr Galabert, hatte im Grunde seines Herzens ein wenig von den zarten Empfindungen bewahrt, die er vor acht Jahren in Madrid der Nichte entgegengebracht hatte und war so eifersüchtig, als wäre er deren Gatte. Niemals ließ er sie allein mit Herrn de Lamothe; außer ihm aber gab es noch andere Wächter des Schatzes. Ihr älterer Bruder, Theodor Cabarrus, gehörte zu ihnen: er war eifersüchtig, wie es nur ein Spanier sein kann, mürrisch und zänkisch wie ein Greis, er war so unausstehlich, daß man die schöne Theresia so heiß lieben mußte wie die jungen Leute, um den Theodor Cabarrus überhaupt nur ertragen zu können. Duchesse d'Abrantès: »Salons de Paris«.
Herr de Lamothe fing natürlich ebenfalls Feuer, sowie er die Bekanntschaft der Madame de Cabarrus gemacht hatte: es war doch ein seltsamer, berauschender Zauber, den diese Schönheit ausübte. Obwohl er in die Stimmung des Freundes eingeweiht war, konnte er sich des tiefen Eindruckes nicht erwehren und wurde wider seinen Willen der Rival Eduard de Colbert's. Zwar gab er sich selbst anfangs das feierliche Versprechen, sie nicht wieder zu sehen, fand aber später einen Vorwand, es doch zu thun in dem Umstande, daß er für den armen Freund eine Lanze einlegen müsse, und dann – wie hypnotisirt von dem sammetweichen Blick, der bestrickenden Musik der Stimme, vergaß er Alles und liebte – auf seine eigene Rechnung.
Beiden gegenüber spielte Theresia die Liebenswürdige, verhielt sich jedoch ablehnend gegen Beide. So ging es Wochen lang und der Sommer war da. In Bordeaux ist es zu dieser Jahreszeit sehr schön, schöner aber noch in seiner nächsten Umgebung: sie ist ein Paradies für Liebende. In diesem Jahre – 1793 – war der Sommer ungewöhnlich heiß. Des Abends ging man nach den Alleen von Tourny, setzte sich unter die hohen Bäume, plauderte und verzehrte Eis. Von den schrecklichen, die Welt erschütternden politischen Ereignissen war fast keine Rede; es war jedoch eines Abends unter unseren Bekannten die Rede davon, daß man doch eigentlich zur Zeit am ruhigsten auf dem Lande lebe.
»Warum,« rief Colbert, »gehen wir eigentlich nicht aufs Land, nach Bagnères z. B. Die Luft soll dort wunderbar erfrischend sein.«
Theresia, die nie Nein sagte, sobald es sich um ein Vergnügen handelte, rief lachend: »Gehen wir nach Bagnères!«
»Nach Bagnères! Nach Bagnères!« riefen im Chorus die versammelten jungen Herren!
Ein Jeder dachte bei sich, daß die hunderterlei Zufälligkeiten einer Reise, der Aufenthalt in den Wirthshäusern u. s. w. seine Chancen wesentlich fördern müßten. Es wurde sogleich der Beschluß gefaßt: Alle, wie sie da waren, sollten nach Bagnères reisen. Der folgende Tag sollte zu den Vorbereitungen verwandt werden, der darauffolgende der Tag der Abreise sein.
Die fünf Theilnehmer an dem kleinen Roman stiegen also bei Tagesanbruch in einen gemeinschaftlichen Reisewagen und fort ging es nach Bagnères. Der jüngere Cabarrus hatte unter irgend einem Vorwande abgesagt. Theodor aber, als Wächter der Tugend seiner Schwester, war mit von der Parthie, ebenso Onkel Galabert.
Die vier Herren, gegenseitig eifersüchtig aufeinander, zu beobachten, wie sie, Trabanten gleich, um ihre Sonne kreisten, hätte für einen aufmerksamen Beobachter ein Gaudium ohne Gleichen sein müssen. Theresia mit der reinen Stirn und dem olympischen Wesen war für Jeden gleich liebenswürdig, sie mochte wohl etwas begreifen von Dem, was in den Herzen ihrer Anbeter vor sich ging, mit feinem Takt beherrschte sie die immerhin etwas peinliche Situation.
Man legte den Weg in kurzen Tagereisen zurück, frühstückte in einem Wirthshause, dinirte in einem andern, ging im dritten zur Ruhe: es schien eine auf der Wanderung begriffene Idylle – ganz Bouilly, ganz Florian! Es fehlte sogar die anmuthige Hirtin nicht, die sich mit rosafarbenen und hellblauen Schleifen Locken und Gewand geschmückt hatte – in Kürze aber sollte die rosa Couleur sich in eine scharlachrothe, die Idylle sich in ein Drama wandeln.
Auf die Dauer hielt bei den Reisenden der Friede nicht vor, es war ja auch nur eine Art bewaffneter Friede gewesen, die Hypokrisie spielte eine große Rolle: auch dieser Friede konnte durch das geringfügigste Ereigniß gestört werden.
Man war in einem kleinen Städtchen angelangt: Jedermann hatte Hunger und war ermüdet. Man hatte ein leidliches Souper gehabt, bestehend aus Hühnern und Eiern. Ungünstiger waren die Verhältnisse in Bezug auf das Unterkommen: es gab in dem kleinen Hotel nur drei Stuben. Onkel Galabert und sein Neffe Theodor, die zu ihrem Leidwesen bemerkt hatten, daß die beiden jungen Wölfe gar blutgierige Blicke auf das in ihre Obhut genommene Lamm richteten, hatten ein sehr pfiffiges Auskunftsmittel erdacht.
»Im Kriege,« rief Galabert, »geht es zu wie im Kriege. Meine Nichte wird das hintere Zimmer nehmen. Was mich betrifft, da ich Vaterstelle bei ihr vertrete, ich darf mich nicht von ihrer Seite trennen, ich werde also das zweite Zimmer nehmen, welches mit dem hinteren Zimmer in Verbindung steht. Das dritte wird, wie sich von selbst versteht, mein Neffe belegen: die Familienangehörigen sollen sich nicht trennen.«
»Und wir?« riefen einstimmig die Herren de Colbert und de Lamothe.
Der Onkel wollte ihnen begreiflich machen, sie wären als junge Leute überall gut aufgehoben; es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie nicht in dem Städtchen eine Scheune und einige Bündel Heu oder Stroh als Nachtlager fänden.
Theresia aber mischte sich voller Empörung in ein solches Geschwätz: auf Stroh sollen die Herren schlafen? Nein! Das ginge denn doch nicht, der Onkel mache nur einen Scherz. Die beiden Herren richteten dankerfüllte Blicke auf ihre Fürsprecherin. Theresia wollte es durchaus nicht zugeben, daß die Herren irgend wo anders schliefen: sie sollten unter dem gemeinschaftlichen Dach bleiben.
Nun blieb also dem Onkel Galabert nichts übrig, als nachzugeben. Es wurde denn auch folgendes Uebereinkommen getroffen. Theresia behielt das Zimmer, welches nach hinten, das heißt nach dem Garten zu, lag. In der zweiten Stube wurden Matratzen auf die Erde gelegt, auf denen die vier Herren der Nachtruhe pflegen konnten. Das dritte Zimmer sollte für Kutscher und Bediente sein.
Wir geben des Weiteren dem General de Lamothe das Wort:
»Ich bemerkte etwas,« sagt er, »was einem Geheimbunde zwischen Colbert, Cabarrus und Galabert ähnlich sah. An diesem Abend wurde ich so logirt, daß ich von den drei Uebrigen umgeben, um nicht zu sagen, bewacht wurde. Mit dem Beginn der Reise war es Madame de Fontenay und mir möglich geworden, uns einander zu nähern, ich hatte die Erlaubniß erhalten, ihr sagen zu dürfen, wie sehr ich sie liebte. Sie war nicht in Zorn gerathen. Gerade an diesem Abend wollten wir einander angehören, ich sah, ich fühlte ja, daß ich wiedergeliebt wurde – bis jetzt hatte sie weiter Nichts gethan, als mich ruhig reden lassen. Als ich mich so eng umzingelt sah, gerieth ich derart außer mir, daß ich den Entschluß faßte, mich Theresia gegenüber auszusprechen, oder Alle zu tödten, die mich daran hindern würden. Ich war im Besitz guter Pistolen, geladen waren dieselben auch – allein sie hätten beim Gebrauch zuviel Lärm gemacht, ich steckte deshalb ein scharfes Messer, welches auf dem Tische lag, an welchem wir zu Abend gespeist hatten, zu mir. Wir gingen zu Bett. Ehe ich mich erhob, um zwischen den am Boden Liegenden, die mir den Weg zu verlegen schienen, hindurch zu kommen, wollte ich mich überzeugen, ob Alle eingeschlafen wären. Ein fester Entschluß hat stets eine nachdrückliche Kraft: ich glaube, da giebt es kein Hinderniß, und wenn es noch so bedeutend wäre! Nach etwa einer Stunde waren die Wächter eingeschlafen; ich stand auf; als ich mir die Stiefel anziehen wollte, bemerkte ich, daß sie entfernt waren. Cabarrus hatte sie im Einvernehmen mit Colbert fortschaffen lassen. Ich gerieth in einen so gewaltigen Zorn, daß, wenn in diesem Augenblick Einer von ihnen aufgewacht wäre, ich ihn niedergestochen oder ihm den Schädel eingeschlagen hätte – Keiner aber rührte sich.
Ich wartete jedoch noch, um sicher zu sein, daß ein tiefer Schlaf die vielleicht nur leicht Entschlummerten umfing, dann schlüpfte ich lautlos zwischen ihnen hindurch und befand mich bei Der, die mich erwartete.
Wir sprachen über die sklavische Abhängigkeit, in welcher sie gehalten würde, und ich machte sie aufmerksam darauf, daß sie sich freiwillig einer solchen Plackerei unterzöge. Sie hörte mich ruhig an und hätte mir ihr Vertrauen in Bezug auf meine Rathschläge geschenkt, auch wenn Colbert das nicht gethan hätte, was er that.
Bei meiner Rückkehr in unser gemeinschaftliches Zimmer erhob sich nämlich Colbert und sprach in einer Weise zu mir, die mir derart mißfiel, daß wir sofort zum Zweikampf schritten. Ich hatte das Glück, einen Degenstoß davon zutragen.« –
Braucht man es noch besonders zu betonen, daß dieser Degenstoß in der That ein Glück für Lamothe war? Von wem sollte denn der Verwundete gepflegt werden? Lamothe benützte die Umstände in gar geschickter Weise, zerriß das Netz der Intriguen und führte die Lösung herbei.
Jede kokette Frau fühlt sich nicht nur geschmeichelt, sie ist außer sich vor Freude, wenn sich ihre Verehrer um ihretwillen duelliren. In Bezug auf Frau Theresia aber stellte sich eine kleine Verlegenheit ein: wen sollte sie mit ihrer Liebe belohnen, den Verwundeten oder den Sieger? Der Sieger ist doch offenbar dem Besiegten überlegen, einmal durch körperliche Kraft, dann durch Geschick und Kaltblütigkeit, endlich durch seine enthusiastische Stimmung, natürlich auch durch die Liebe, welche im gegebenen Augenblick solche Tugenden alle auf einmal wachruft. Aber der arme Verwundete verdient doch auch, daß man sich um ihn kümmere, es ist in den Gefühlen für ihn freilich mehr Mitleid als Bewunderung. Ist sein Blut nicht für sie geflossen? Um sie leidet er: es wäre nicht Recht, ihm gar keine Erkenntlichkeit an den Tag zu legen.
Theresia folgte ihrem guten Herzen und setzte sich als Pflegerin neben das Schmerzenslager des Verwundeten – wer weiß, ob trotz alledem ihre Gedanken nicht bei dem Sieger weilten!
Es ist erklärlich, daß die Geschichte etwas Staub aufwirbelte. Ein weiteres Duelliren aber war ausgeschlossen. Theresia, durch den blutigen Zusammenstoß in hohem Grade aufgeregt, hatte mit Onkel und Bruder eine ziemlich heftige Auseinandersetzung, an deren Schluß sie rundweg erklärte, sie wäre von nun an ihre eigene Herrin und lehne den ihr aufgedrängten Schutz ab – eine Frau, die eine fünfjährige Ehe, sogar eine Scheidung hinter sich habe, würde doch wohl wissen, wie sie sich zu benehmen habe.
Die Verabschiedeten, das heißt Onkel, Bruder und Herr de Colbert berathschlagten, während das Frühstück aufgetragen wurde. Man entschied sich dahin, daß unmöglich die Reise fortgesetzt werden könne, daß Onkel Galabert, der Geschäfte in Bayonne hatte, sich nach Bayonne verfüge, daß Herr de Colbert nach Bordeaux zurückkehre und Herr de Cabarrus ihn dorthin begleiten, die eigensinnige Theresia in dem kleinen Ort verbleiben und Herrn von Lamothe pflegen solle. So trennte man sich denn in einer ganz anderen Stimmung als die war, in der man die Reise nach Bagnères angetreten hatte.
»Theresia und ich«, so berichtet der General Lamothe, »brachten die Zeit meiner Reconvalescenz in einem an Seligkeit grenzenden Zustande hin, wie ihn nur Die kennen, die wissen, was lieben heißt, wie er im Leben nicht wiederkehrt!«
Eduard de Colbert, dem die Geschichte doch etwas nah gegangen war, ging bald darauf nach Paris und trat als gemeiner Soldat in das 8. Bataillon der »Freiwilligen von der Seine«, genannt »Bataillon Wilhelm Tell«. Er machte eine glänzende Carriere, wurde Divisionsgeneral und hinterließ Memoiren, betitelt » Souvenirs«, die jedoch lediglich für seine Familie bestimmt waren. In diese hat man die Güte gehabt, uns Einsicht zu gestatten. Sie erwähnen Nichts von der »Reise nach Bagnerès«, weil der General eigentlich nur von Dingen spricht, welche sich auf den Krieg beziehen und weil diese Souvenirs erst mit dem Jahre 1793, d. h. nach seiner Abreise anfangen. »Ich sage«, so schreibt er »Nichts von Dem, was sich auf mein Privatleben oder meine erste Jugend bezieht; nur soviel, daß ich als junger Mann sehr für das schöne Geschlecht eingenommen war und zum Theil belohnt wurde. Ich muß dabei dankbar anerkennen, daß die kluge Erziehung, welche ich genossen, und die guten Beispiele, welche ich früh schon vor Augen hatte, mir in Gefahren eine starke Stütze waren. Diese kurze Abhandlung über mein bescheidenes Dasein wird nur von meinem Wirken im öffentlichen Leben als Soldat und Politiker handeln und erst mit dem August 1793 anheben.« Es bleibt also Nichts übrig, als sich an den Bericht des Herrn de Lamothe zu halten, welcher ebenfalls General wurde. Zu erwähnen ist auch, daß der jüngere Bruder Theresia's sich eng an Colbert anschloß und mit ihm in die Armee trat. Seit lange schon hatte es den Anschein, als wolle der junge Mann sich tödten lassen. Er wurde in der That bei einem kleinen Gefecht tödtlich verwundet und beauftragte Eduard de Colbert mit seinen letzten Wünschen für Die, welche er, nicht wieder zu sehen vielleicht zufrieden war. Duchesse d'Abrantès: »Mémoires«. II. 50.
Diese verschiedenen Ereignisse, welche, sollte man glauben, doch Denksteine im Leben einer Frau darstellen müßten, gingen ziemlich spurlos an Theresia vorüber. Dabei aber muß man wiederum der Zeiten gedenken. Die Revolution ging im Sturmschritt vor; die seltsamsten Vorgänge folgten einander mit außerordentlicher Geschwindigkeit; jeder Tag sah Neues; über dem Heute vergaß man das Gestern; die Furcht vor dem Morgen verschlang alle Einkehr in sich selbst.
Als Herr und Frau de Fontenay in Bordeaux ankamen – es war im März 1793 – war die Bevölkerung in unruhiger Bewegung, das Gedeihen der Stadt schien in Frage gestellt.
Seit einem Jahre schon lag die Herrschaft in Händen der Clubs, was soviel sagen will, als: es herrschte Anarchie. In den Versammlungen fielen nicht Worte der Beruhigung, sondern des Aufruhrs und der Hetzerei. Zur Sicherung der »Ordnung« gab es auch in Bordeaux eine Nationalgarde. Zunächst bestand dieselbe aus tüchtigen Leuten, allein die den besseren Bürgerklassen Angehörigen traten Einer nach dem Andern aus – das war sehr unrecht von ihnen, denn sie machten den Männern des Umsturzes oder Solchen den Platz frei, die nur zu gewinnen hatten, wenn Alles drunter und drüber ging.
Es fehlte an Arbeit, Noth gab es überall. Der Convent hatte zwei seiner Mitglieder, die Herren Paganel und Garrau, in die Gironde entsandt, um über den Bestimmungen, betreffend die Recrutirung, zu wachen. Diese Herren hatten den Umständen gegenüber eine schwierige Stellung.
Nicht nur in der Verwaltung, auch in den Köpfen der Menschen herrschte ein heilloser Wirrwarr – eine merkwürdige Erscheinung ist es, daß die Frauen in Bordeaux noch mehr aus dem Gleichgewicht gebracht waren, als die Männer. Herr Aurélien de Vivie, der Verfasser der »Geschichte der Schreckenszeit zu Bordeaux«, schreibt:
»Es ist ein Zeichen der Zeit und der moralischen Entgleisung der Gesellschaft, daß die Frauen sich in die öffentlichen Angelegenheiten mischten. Die Manie der Politik hatte sie aus den Frauengemächern vertrieben und richtete, namentlich in den Mittelklassen, förmliche Verheerungen an: Paris gab das Beispiel, Bordeaux machte es nach. Es gab Frauen, die ihren Haushalt, die Pflege ihrer Kinder im Stich ließen, um auf den öffentlichen Plätzen Zusammenkünfte zu halten, bei denen die Kecksten die erstaunte Menge aufzuhetzen suchten, indem sie mit unglaublicher Zungenfertigkeit die Tagesfragen behandelten – es war lächerlich und tiefbetrübend zugleich!«
Die Frauen, die am meisten voran waren, waren mit ihren Erfolgen auf dem Forum und den Märkten noch nicht zufrieden, sie strebten auch nach dem Ruhm der Tribüne. Aber wie sollten sie dahin gelangen? Würde man sie in den Clubs, zu denen die Männer, ihre Tyrannen, Zutritt hatten, zu Worten kommen lassen? Sehr, sehr zweifelhaft! Man hatte zwar die Tyrannei beseitigt, aber was »die Tyrannen« betrifft, bis jetzt nur den Tyrannen in den Tuilerien abgeschafft … Wann, wann endlich sollten die Capets der bürgerlichen Haushaltungen an die Reihe kommen. Um das zu erreichen, mußten sich nothwendiger Weise die Frauen in die Verhandlungen einmischen … ach die Männer! die Männer!
Die Frauen verlangten also die Erlaubniß zur Gründung eines Clubs. Lächerlich, daß man erst noch um Erlaubniß bitten mußte! Kannte man denn das Redebedürfniß, dieses natürliche Bedürfniß der Frauen nicht?
Es erfolgte die Bewilligung des Gesuches und der Club der »Freundinnen der Verfassung« trat ins Leben; Versammlungsort: Augustiner-Kirche.
Eine Mad. F. Gentil war die gewählte Präsidentin. Es wurden Vicepräsidentinnen, Secretärinnen, eine Schatzmeisterin u. A. erwählt; nicht lange währte es und der Club zählte 2000 Mitglieder. Die Furcht, als schlechte Patriotinnen ausgegeben zu werden, mehr noch als das Bedürfniß zu sprechen und von sich sprechen zu machen, veranlaßte die weibliche Bevölkerung Bordeaux, sich in die Listen des Clubs eintragen zu lassen.
Der erste Schritt dieser »Freundinnen der Verfassung« war der, daß sie eine Adresse an den verfassungsgemäß erwählten ehrwürdigen und hochbetagten Bischof richteten, dessen Sinnen und Trachten dahin ging, die geistliche Disciplin mit den revolutionären Lehren und mit der Popularität, deren er sich erfreute, in Einklang zu bringen. Der Club hatte auch eine Deputation ernannt, welche die nämliche Adresse den Stadtbehörden vorzulegen beauftragt war. Der Maire hatte die Deputation auch empfangen, sie angehört und ihres Bürgersinnes wegen belobt – zu seinen überschwänglichen Worten waren Thränen der Rührung geflossen.
Von diesem Tage an gab es täglich Versammlungen, Beschlüsse, Adressen, auch kleine Feste, lauter Gelegenheiten, durch, welche die Damen ihre Redegaben vervollkommnen konnten.
Bei diesen Narrenspossen war auch viel von »der Religion« und einem »höchsten Wesen« die Rede, Die Bezeichnung »höchstes Wesen« ( Etre suprême) soll eine Erfindung der Frauen von Bordeaux sein wie mehrfach behauptet wird. diese erhabenen Dinge aber wurden, da sie mit der Politik doch nichts zu schaffen haben, gänzlich verworfen. Wichtigeres nahm die Aufmerksamkeit in Anspruch: es hatte nämlich der »National-Club« von Bordeaux den Bürger Galard, Präsidenten des »Clubs der Ueberwacher der Verfassung« auf den Gedanken gebracht, die »Freundinnen der Constitution« militärisch zu organisiren, d. h. in Compagnien und Bataillone einzutheilen – das war ein Gedanke!
Er fand großen Beifall und wurde durch beifällige Zurufe sofort zum Beschluß erhoben. Was für eine Uniform getragen wurde, ist leider heute unbekannt, nur weiß man, daß die Frauen Pieken, Lanzen und Gewehre führten und sich auf Plätzen und Promenaden im Gebrauch dieser Waffen unter Anleitung von Soldaten übten; sie waren so wohl disciplinirt, daß sie in Reih und Glied sogar zu schweigen gelernt hatten.
Alles ging vortrefflich von statten; es befindet sich in den Archiven der Gironde ein Brief, welchen die Bürgerin Lée an den Bürger Galard richtete, um ihm für seine capitale Idee zu danken. Leider sind die Ausdrücke so, daß wir Anstand nehmen, den Brief wiederzugeben. Bürgerinnen, welche sich als Militärpersonen nicht gut ausnahmen, suchten sich auf andere Weise hervorzuthun. Die Bürgerin Dorbe z. B. sang gelegentlich eines bei dem Restaurateur Baltut gegebenen Banketts – es war im Januar 1793 – einige patriotische Couplets eigener Composition im Styl der »Hymne der Marseiller« – dies der ursprüngliche Name der »Marseillaise« – die Dorbe wurde mit enthusiastischen Zurufen belohnt und auf der Stelle mit dem Amte einer Archwarin der »Gesellschaft der Freundinnen der französischen Republik« betraut.
Die Frauen, welche militärischen Exercitien oblagen, wurden mittler Weile neidisch auf Die, welche Gesänge machten; auch das Publikum zeigte wenig Geschmack mehr für die weiblichen Soldaten, so mußte man also durch Neues etc. zu reizen versuchen: was nützt es, rechts und links um zu machen, was nützt es, eine hinter der anderen im Gleichschritt zu marschieren, wenn die Männer nicht zusehen? Wozu Waffen tragen, wenn man sich ihrer nicht bedienen will? Da wäre der Besen ja ebenso gut.
Die Zeit schafft bekanntlich Rath! Der Preis des Brodes stieg; die »Freundinnen der Verfassung« machten mobil. Am 8. März rückte eine Colonne von 2 bis 300 bewaffneten Frauen vor das Rathhaus, ihnen entgegen eine Abtheilung Grenadiere, welche in aller Eile die Eingänge besetzte. Man parlamentirt: leider vergeblich. Die Frauen gehen zum Sturm vor, eine Salve der Grenadiere empfängt sie: eine Frau fällt todt zu Boden.
Auf alle Fälle hat das Frauenbataillon die Feuertaufe empfangen und die Flintenläufe haben einen höheren Glanz bekommen. Man redet in der guten Stadt Bordeaux von 3, 4, 500 im Kampf gefallenen heldischen Frauen: der »Heroismus« der Frauen von Bordeaux wird laut gefeiert, »in Strömen«, heißt es, »wäre ihr Blut geflossen, sie hätten das Vaterland gerettet!«
»Wir gehören,« schreibt Herr de Vivie, »zu Denen, welche der Meinung sind, die Frauen gehören in's Frauengemach, sind für das Familienleben bestimmt, nicht für die Verhandlungen auf öffentlichen Plätzen; wir bedauern daher aufrichtig die Einmischung der Frauen in die Ereignisse des Jahres 93. Sie verlieren die delikate Tönung, die uns zu ihnen hinführt, sie werden zu Megären, zu Furien wie die Strickerinnen im Convent und vor dem Schaffot, oder zu monströsen Abarten, wie Charlotte Corday, welche Lamartine in seiner blumenreichen, poetischen Sprache auch nicht anders als den »Engel des Mordes« zu nennen wußte. Histoire de la Terreur à Bordeaux. I. 148.
Die schöne Theresia, eben erst geschieden, stand, getragen vom Beifall ihrer Geschlechtsgenossinnen, ganz auf Seite der Frauenbewegung; was ihr noch an »Ideen von 1788,« – da sie über ihr Pseudo-Marquisat so überglücklich schien – zurückgeblieben war, warf sie über Bord. Auch die Ideen von 1789 und 1791, welche sie mit ihren Freunden Felix Le Pelletier de Saint-Fargeau und den beiden Lameth getheilt hatte, hielten nicht mehr vor. Sie beschränkte sich jetzt darauf, den Ereignissen zuzusehen, da sie anderweitig, wie man hörte, von starken Neigungen in Anspruch genommen war. Sie hätte vielleicht, bei ihrem stets wachen Ehrgeiz, gern von sich reden machen – aber wie sollte sie es anfangen? Sollte sie in den »Club der Verfassungsfreundinnen« gehen und vom Rednerpult aus sich vernehmen lassen? Es leuchtete ihr nicht recht ein, der Club war, was seine Mitglieder betraf, doch ein sehr zusammengewürfelter, und man gewöhnt sich nicht so schnell, wenn man eine Marquise gewesen und in den feinsten Pariser Salons gefeiert worden ist, an einen schäbigen Ruhm wie den eines Mitgliedes vom »Club der Verfassungsfreundinnen«. Dazu kam Theresias sceptische Auffassung von politischen Materien; auch hätte ihre Schönheit Eifersüchtige gefunden, ihre feineren Instinkte wären jeden Augenblick verletzt worden durch das unfeine Benehmen und die groben Redensarten der Clubdamen. Nein, dort war sicherlich ihr Platz nicht.
Während politischer Krisen finden Ehrgeizige doch stets irgend eine Gelegenheit, sich hervorzuthun, kritisch aber waren die Zustände in Bordeaux und wurden es von Tag zu Tag mehr. Das Elend breitete sich weiter und weiter aus, ebenso die Proclamationen, die Adressen, die Brochüren, die aber leider zu Nichts halfen. Klagen hörte man eigentlich nicht, der revolutionäre Zugwind kühlte die Wunden, so daß sie weniger schmerzten; wenn man davon sprach, so geschah es weniger um zu lamentiren, als um nach einem Heilmittel zu suchen. Ein Jeder wußte ein solches und meinte, es wäre weit wirksamer, als das des Anderen. Daher kamen die unglaublichen Superlative in den Redewendungen der Adressen der Revolutionszeit. Bordeaux blieb hinter den anderen Städten nicht zurück: nach dem 21. Januar schickten die »Freundinnen der Verfassung« Beglückwünschungsadressen an den Convent.
Die Deputirten der Gironde freuten sich dessen, mußten diese Adressen doch ihr Ansehen im Convent der Bergpartei gegenüber stärken – diese, »die Montagne«, fing ja damals gerade an, die Girondisten scheelen Auges zu betrachten.
Da plötzlich unterdrückte der Convent eine seit zwei Jahren für Bordeaux gezahlte staatliche Subvention. Diese Summe pflegte in Bons für Brod angelegt zu werden. Die Bäcker erklärten nunmehr, sie könnten kein Brod backen, wenn man ihnen nicht die bisher gezahlten Indemnitäten weiter bewillige – die Stadt aber hat kein Geld und nun steigen die Brodpreise zu einer enormen Höhe, noch dazu, da sich das Gerücht verbreitet, die Engländer hätten 23 Getreideschiffe weggenommen.
Es wurde Brod aus Reis, Bohnen oder Erbsen gebacken, hinzugefügt wurde Kleie, auch der Kehricht der Getreidespeicher und auch dieses Nahrungsmittel war nur zu überaus hohen Preisen zu haben. Ach, wie lebte man vordem so billig in Bordeaux! Endlich gab es auch dieses elende Zeug, das den Namen Brod führte, nicht mehr.
Die Stadt machte eine Anleihe und reichte ein Bittgesuch an den Convent ein: als augenblickliches Auskunftsmittel bewährte sich der Eintritt von einer Menge junger Leute in die Armee. Gerade zu dieser Zeit, als der Patriotismus der Stadt sich in so glänzender Weise hervorthat, wurden die Deputirten Gensonné, Guadet, Vergniaud von dem Convent sinnlos angegriffen; sie rechtfertigten sich zwar auf's Glänzendste, allein es wurden zwei Commissare nach Bordeaux geschickt mit der Aufgabe, der Bevölkerung den Kopf zu recht zu setzen. Es waren die Herren Garrau und Paganel; sie erließen zuerst eine Proklamation, deren Resultat das war, daß die revolutionären Leidenschaften in Bordeaux den Siedepunkt erreichten und eine große Anzahl von Bürgern durch Verfolgungen belästigt wurden; während derselben vergaß das Volk wohl momentan seine Leiden – allein das traurige Mittel konnte nicht vorhalten und es sahen die Commissare selbst die Nothwendigkeit einer Unterstützung der Stadt seitens des Convents ein. Dieser bewilligte denn auch zwei Millionen, mit der gleichzeitigen Verfügung, daß an jedem Hause ein Zettel mit dem Verzeichniß seiner sämmtlichen Bewohner angebracht werden solle, unter Angabe des Alters, der Vornamen, des Berufes, des Geburtsortes jedes Einzelnen. Damit verbunden war die Durchsuchung der Häuser, die zu zahlreichen Verhaftungen führte.
Nach vollbrachtem Werk und nachdem sie auch für die Vertheidigung Bordeaux' von der Seeseite Vorsorge getroffen hatten, reisten die Commissare wieder ab.
Daß alle diese Mittel sich in Bezug auf eine Wiederherstellung der Ruhe nicht bewährten, liegt auf der Hand und die Befürchtungen erreichten bald dieselbe Höhe, wie die Noth. Da kam der 31. Mai, der Tag der öffentlichen Anklage der Girondisten vor dem Convent, Als die Nachricht in Bordeaux eintraf, waren die Einen vor Schreck, die Anderen vor Empörung außer sich. Fieberhafte Aufregung im Monat Juni! Gensonns hatte in einem Brief, welcher die Geister noch mehr in Bewegung setzte, zu Gunsten der unantastbaren Freiheit der nationalen Vertretung, die in dem Verfahren wider die Deputirten der Gironde verletzt erschien, geeifert. Der Generalrath des Departements trat darauf in Unterhandlung mit mehreren größeren Städten, um einen Bund wider die Allmacht der Pariser Commune zustande zu bringen. Man dachte sogar daran, Bataillone nach Paris zu entsenden, um den Convent von der terroristischen Beeinflussung und den Drohungen der Anarchisten zu befreien. Endlich wurde die Verhaftung der Repräsentanten Dartigoeyte und Ichon, die sich in Bordeaux als Convents – Commissare eingefunden hatten, verfügt – jedoch alsbald wieder zurückgenommen.
Der Generalrath des Departements trat zusammen, vom Wunsche beseelt, die Republik vor der Anarchie zu retten; diese hatte 22 Deputirte der Gironde festsetzen lassen; der Generalrath constituirte sich als »Volkscommission für das öffentliche Wohl im Departement der Gironde« und erklärte sich in Permanenz.
Dies hieß nichts Anderes, als den Bürgerkrieg heraufbeschwören: keine Regierung aber durfte ein solches Attentat auf die nationale Einheit dulden.
Die Volks-Commission entsandte Delegirte nach allen Richtungen hin und beinahe 60 Departements schlossen sich der Aufstandsbewegung an. Man schickte zunächst eine Adresse an den Convent und reichte gleichzeitig dem Ministerium des Innern einen Bericht über die Vorgänge in Bordeaux ein.
Die Bergpartei beantwortete die Herausforderung, indem sie die gefangenen Deputirten in eine sogenannte maison nationale überführen ließ.
In Bordeaux aber war die »Volks-Commission« darauf bedacht, eine starke Armee aufzustellen, stieß jedoch auf die Lauheit der Bevölkerung; es war inzwischen Jeder, der nur irgend Energie und patriotische Gesinnungen hatte, in die Armeen an den Grenzen eingetreten.
Nun schickte der Convent laut Erlaß vom 17. Juni 1793 Treilhard und Mathieu als Commissare nach der Gironde und den angrenzenden Departements. Am 24. Juni trafen die Herren in Bordeaux ein; sie verfügten sich in die Sitzung der Volks-Commission und thaten ihr Bestes, eine Versöhnung herbei zu führen. Ihre Bemühungen waren erfolglos; die Commission forderte sie sogar auf, Bordeaux zu verlassen, wo sie nur in militärischer Begleitung sich hatten öffentlich zeigen dürfen; am 27. Juni verließen sie also unverrichteter Sache Bordeaux und erstatteten in Paris dem Convent Bericht: sie wären aus Bordeaux durch Föderalisten vertrieben worden, die Stadt wäre in vollem Aufruhr. Die Folge davon war, daß der Convent am 10. Juli 1793 vier Commissare, mit Vollmachten ausgestattet, nach Bordeaux schickte, um die Autorität des Convents wiederherzustellen, es waren die Herren Chaudron-Rousseau, Tallien, Ysabeau und Garrau.
Inzwischen aber hatte man sich nach Abweisung der Herren Treilhard und Mathieu doch die Sache noch einmal überlegt und es überkam eine große Unentschlossenheit die Commissionsmitglieder, sodaß sie am 2. August ohne Sang und Klang auseinandergingen.
Der Convent hatte eine Art von Excommunicationsbulle gegen Bordeaux geschleudert. Die Commissare Ysabeau und Baudot, welche am 19. August eintrafen, wurden von der durch lästige Verfügungen vielfach erbitterten Bevölkerung übel empfangen; beleidigt und angerannt von den » Habits quarrés« – so nannte man in Bordeaux die Elegants – waren sie oft in schlimmer Lage, allein ihre Ruhe und Sicherheit, ihr Muth imponirten. Da sie die ganze Nacht über in ihrem Hause von einer heulenden, fluchenden Volksmasse umgeben waren, erklärten sie, sie müßten Bordeaux verlassen, weil sie daselbst nicht in Freiheit wären.
Einige Bürger, die kaltblütig genug waren, die Folgen zu bedenken, welche der schlechte Empfang der Repräsentanten und deren gezwungene Abreise haben könnten, beschworen Ysabeau und Baudot, sie möchten ihren Entschluß ändern, allein die Herren waren nicht zu überreden, ihre Abreise erfolgte unter tumultuarischen Demonstrationen der Bevölkerung.
Sie waren kaum fort, als die öffentliche Meinung umschlug: man sandte ihnen Adressen nach, darunter ist die der »Freundinnen von Freiheit und Gleichheit« bemerkenswerth, weil sie die versöhnlichen und edelmüthigen Empfindungen der Herren anruft. Es ist nicht zu ermitteln, ob Theresia Cabarrus Mitglied dieses Frauenclubs war; die Adresse aber läßt auf ein gutes Herz, wie das ihrige war, schließen.
Ysabeau und Baudot hatten sich nach La Réole zurückgezogen. Dort traf Tallien, der von Tours kam, mit ihnen zusammen. Da Adressen und gute Wünsche fortwährend aus Bordeaux eintrafen, so fühlten sich die Repräsentanten stark genug, die Auflösung der Gesellschaft »Bordeläsische Jugend« zu verlangen – was auch geschah. Sie fordern alsdann die Auflösung des Stadtrathes, auch hierin wurde ihnen gewillfahrtet und es fand eine Neuwahl statt. Diese Revolution, welche der Jakobiner-Club von Bordeaux, der den Titel »Franklin-Gesellschaft« führte, bewerkstelligte, sicherte der Bergpartei die erste Rolle in der Stadt.
Ysabeau und Tallien machten sich daran, ein »revolutionäres Comité der Ueberwachung« einzusetzen, welches den Auftrag hatte, die neue städtische Behörde zu controlliren. Das Comité trat sogleich mit den willkürlichsten Maßregeln auf, Denunciationen, Haussuchungen, Verhaftungen standen auf der Tagesordnung.
Als die Repräsentanten den Augenblick für gekommen hielten, nach Bordeaux zu übersiedeln, ließen sie große Transporte von Lebensmitteln, die sie von der Charente hatten kommen lassen, vor sich herfahren. Der 16. October war der Tag ihres Einzuges, er erfolgte durch eine Bresche, welche in die Stadtmauer dicht an dem Berry- oder St. Eulalia-Thor gelegt war, hinter ihnen her kamen 3000 Mann von der Revolutionsarmee unter Befehl der Generäle Brune und Janet, der Erstere ein Freund, der Andere ein Neffe Danton's; die Herren, ihrem Aeußeren nach würdevoll und voller Ruhe, saßen in offenen Wagen. Sie hatten dazu das traditionelle Costüm an. A. de Vivie: »Histoire de la Terreur à Bordeaux«, I 409-410.
Es ist nicht anzunehmen, daß der militärische Aufzug und der Aufputz der Herren selbst auf Theresia Cabarrus einen angenehmen Eindruck gemacht hätten, auch nicht anzunehmen, daß sie durch den etwas burlesken Aufzug für die Revolution gewonnen worden wäre. Ihre politische Richtung war zwar eine liberale, neigte sich aber doch zu der ihrer Freunde und ihrer Verwandten in Bordeaux. Der vornehmere Kaufmannsstand, dem die Familie Cabarrus angehörte, durch die Revolution zu Grunde gerichtet, konnte unmöglich an Neuerungen und Zuständen Wohlgefallen finden, welche die Geschäfte vernichtet hatten. Die revolutionären Maßnahmen, welche von den Commissaren des Convents ausgingen, konnten ebenso wenig beifällig von der jungen Frau aufgenommen werden. Die Stadt wurde zunächst für außer Recht stehend erklärt, die Willkür der Commissare zum Gesetz. Diese Willkür war zunächst versteckt hinter einem Schein von Gesetzlichkeit. Eine »Militär-Commission«, ausschließlich von Civilpersonen gebildet, denen man den Generals-, den Obersten-, den Capitänstitel verlieh, hatten neben den Proconsuln von Bordeaux dieselben Funktionen, welche in Paris das Revolutionstribunal neben den Comités des öffentliches Wohles und der öffentlichen Sicherheit innehatte. Lacombe wurde der Präsident. Dieser Lacombe (Johann Baptist), ein früherer Lehrer, war im Jahre 1787 wegen Schwindeleien mit einer Gefängnißstrafe belegt worden; er war klug, aber ohne Prinzip und hatte gleich beim Beginn der Revolution vorausgesehen, daß die Ereignisse seinem Rachedurst an der Gesellschaft und seinen ehrgeizigen Bestrebungen förderlich sein würden. Neben großer Keckheit hatte er jene, den Südländern eigene Swarte, welche eingebildete Leute für Beredtsamkeit halten. Eines Tages, im Jahre 1791, hatte er einem Priester, der auf der Kanzel stand, vorgeworfen: derselbe predige nicht »constitutionell« – ein Mittel, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, weiter Nichts. Er wollte ein populärer Mann werden; durch Popularität hoffte er zu Reichthum zu gelangen. Gefügig Denen gegenüber, die ihm nützen konnten, unverschämt gegen alle Anderen, hatte er sich bei Tallien beliebt gemacht, als derselbe im Jahre 1793 eine Tournee durch Liburnien machte. Im darauffolgenden Monat machte ihn Tallien, der versprochen hatte, ihn zu befördern, zum Präsidenten der »Militär-Commission.« In dieser Stellung verlangte Lacombe blinden Gehorsam von seinen Amtsbrüdern, und ging soweit, daß zuletzt von einer »Commission« keine Rede mehr war. Nachdem er der Guillotine unzählige Opfer zugeführt hatte, gerieth sein eigenes Haupt unter das Fallbeil.
Die Commissare des Convents trafen auch Maßregeln, daß der zarte Einfluß der Frauen, der oft zur Allmacht wird, dieses Militär-Tribunal aus dem Spiele ließ, und Tallien, der wohl nicht voraussah, daß er selbst diesem Einfluß anheimfallen würde, unterzeichnete einen Erlaß, in welchem sich folgende, wenig galante Worte finden:
»In Anbetracht, daß strengste Gerechtigkeit allen Verfügungen der Repräsentanten eines großen Volkes innewohnen soll, in Anbetracht auch, daß dieselben ihr Ohr allen Bittgesuchen, welcher Art sie auch sein mögen, namentlich aber solchen Gesuchen, welche von einem Geschlechte (einst Damen genannt) ausgehen, dessen hauptsächliche Beigabe, dessen oft einziges Verdienst die Verführung ist, verschließen sollen, in Anbetracht, daß die Armen und Unterdrückten einen leichten Zutritt zu den mit den Angelegenheiten des Volkes betrauten Männern haben müssen, sollen von denselben sorgfältig fern gehalten werden: alle Zudringlichen, alle Müßigen, alle Muscadins und die Damen.« Archives de la Gironde. – A. D. de Vivie: »La Terreur à Bordeaux«.
Es ist Zeit, das Porträt Tallien's, des »Bürgers« Tallien, der eine Revolution in der Revolution machte, dieses Helden der Revolution, zu entwerfen, der nach dem 9. Thermidor zu den höchsten Aemtern berufen schien, und, nachdem er dies auch angestrebt hatte, leer und werthlos in der Finsterniß verschwand, aus der er nie hätte auftauchen sollen. Tallien (Johann Lambertus) war zu Paris am 23. Januar 1767 als Sohn eines Dienstboten – Portiers oder Kammerdieners beim Marquis Bercy – geboren. Man hat behaupten wollen, der Marquis sei nicht ganz unbetheiligt an dem Dasein des jungen Tallien, den er wie seinen eigenen Sohn erziehen ließ, und dem er eine Theilnahme zeigte, die des Knaben schlechte Aufführung und seine Faulheit nicht verdienten. Es ist ja möglich, daß das Gerücht die Wahrheit sagt, allein in dieser besten der Welten werden gute Handlungen im Gerede der Menschen so oft durch schlechte motivirt.
Was die Studien des jungen Tallien betrifft, so schienen sich dieselben darauf beschränkt zu haben, daß er erlernte, Diejenigen, die durch Talente oder klingendes Gut über ihm standen, zu beneiden, wie überhaupt Alles anzufeinden, das über die Masse, in deren Gedränge er selber seinen Platz hatte, emporragte – Tallien war als Knabe ein ganzer Taugenichts!
Er gehörte zu Denen, die glauben, die assa columba, die gebratene Taube, müsse ihm ins M – fliegen; er blieb nie lange in den Stellungen, die man ihm verschaffte; zunächst fand er in den Geschäftsangelegenheiten de Bercy's Verwendung. Da er jedoch wenig Geschmack an seinem Posten fand, trat er als Commis, erst bei einem Kaufmann, sodann bei einem Bankier ein.
Dann nahm ihn der Deputirte Brostaret von der constituirenden Versammlung als Schreiber an, Pankoucke placirte ihn hernach beim Unterpersonal des »Moniteur«.
Da man in einer Lage, wie die Tallien's, arbeiten muß, um sich emporzubringen, Tallien aber das Nichtsthun über Alles liebte, so war auch in diesen Stellungen seines Bleibens nicht: außerdem war der junge Mann von einer krassen Unwissenheit. So mußte ihn z. B. Alexander de Lameth, der ihn als Sekretär engagirt hatte, wegen Untauglichkeit entlassen.
Tallien war ein Liebhaber von wüsten, unklaren Ideen, die er irgendwo in der Oeffentlichkeit aufgeschnappt, oder in irgend einer Zeitung gelesen haben mochte. Er hielt sich selber leider für einen sehr aufgeklärten jungen Mann, weil er gewisse Dinge anzweifelte und in sich den Philosophen à la Voltaire oder Rousseau entdeckt zu haben vermeinte. Er hatte Alles in sich aufgenommen, womit geniale Autoren seinen Leidenschaften, seinen Schwächen schmeichelten. Er citirte gern Stellen aus Büchern, er wetterte gegen den Reichthum, weil derselbe ihm versagt war, gegen das Talent, weil er dasselbe zu besitzen sich anmaßte und Alles neben sich für eine untergeordnete Species von Talent hielt. Kurzum, wie Alle, die Nichts gelernt haben, wie alle eingebildeten und zurückgebliebenen Schuljungen, hielt er sich für geeignet, Anleitungen zu geben – ohne im geringsten die Fähigkeit zu besitzen, sich selbst zu leiten.
Als die Revolution ausbrach, war er der Mann auf der Höhe der Zeit. Aus den seine Person angehenden, von ihm als drückend empfundenen gesellschaftlichen Zuständen destillirte und filtrirte er sich Principien heraus, um sich Hals über Kopf in den Strudel zu stürzen. Die vollkommene Umwälzung des Bestehenden, welche sich zu vollziehen schien, war für ihn die Gelegenheit, seinen Appetit zu stillen, er sah in ihr eine seinen Ehrgeiz befriedigende Zukunft. Mit seinen dürftigen litterarischen Kenntnissen, seinen kaum verstandenen, unverdauten philosophischen Lehrsätzen, hielt er für Kenntnißreichthum, für Talent, was doch Nichts als revolutionäre, als jugendliche Ueberstürzung war: er wollte ein Pamphletist, ein Journalist, ein Aufwiegler werden wie … wie z. B. Camille Desmoulins, es wurde höchstens ein Desmoulins zweiter Klasse aus ihm! Er gründete zunächst ein Blatt und nannte es den » Ami des Citoyens«, d. h. »Bürgerfreund«. Im Herbste, als die Blätter fielen, fiel auch dies vertrocknete Blättchen. Nur nicht verzagen, dachte der neugebackene Journalist. Nach dem 9. Thermidor desselben Jahres feierte der »Ami« bereits seine Wiederauferstehung und Tallien zählte sich nunmehr zu den der Oeffentlichkeit angehörenden Männern. Sein Haß wider das ancien régime, meinte er, befähige ihn, an der Verfassung des Staates mitzuarbeiten, einer Verfassung, in der die Mißbräuche der Regierungszeit Ludwig XVI nicht möglich sein dürften. Tallien besaß ja, das muß man ihm lassen, eine gewisse Redefertigkeit, hatte auch ein leichtes Gewissen, viel Unverfrorenheit, stets tönende Phrasen bei der Hand, hatte viel Applomb, vermochte seinen Bewegungen etwas Feierliches zu geben – darin muß man auch die Erklärung finden, daß Bürger Tallien als ein sehr fähiger Mann galt. Diesen Ruf benutzte er so geschickt, daß man ihn unter dem 10. August 1792 zum Secrétaire-greffier, d. h. Actuar der Pariser Stadtbehörde, der »Commune« machte.
Mallet du Pan schreibt: »Ich habe ihn gekannt und bin nie einem subalternen Revolutionär begegnet, der so wenig unterrichtet, so aller Principien bar, so durch und durch falsch gewesen wäre, wie dieser Tallien. Derselbe gehörte in die allerletzten Reihen der großen Revolutionsarmee.«
Trotzdem spielte der Bürger Tallien, noch ehe er 25 Jahre alt war, eine der ersten Rollen. Sein Actuarposten war für ihn der Steigbügel, um sich in den Sattel zu schwingen. Er mischte sich zunächst viel in die Gesellschaft von Mitgliedern der Commune, und fand seine Freude an den Intriguen, die auf Corridoren und Treppen angezettelt wurden: er wurde »Politiker« – die Politik war damals die Zuflucht der Unfähigen, der Ränkesüchtigen, der Declassirten aller Schichten der Gesellschaft, die Politiker waren die socialen Parasiten!
In seiner Eigenschaft als Communebeamter wurde er neben Andern mit der obrigkeitlichen Leitung der Septembermorde, d. h. jener unbeschreiblichen Frevelthaten vom 2., 3., 4. und 5. September 1792 betraut. Thiers sagt: Es ist unzweifelhaft festgestellt, daß unbestimmte, sich einander widersprechende Befehle vorlagen und daß Anzeichen einer geheimen Autorität, die der Volksautorität entgegen waren, auftraten. ( Rév. franç. III, 73.) Tallien war einer der Agenten, welche im Namen der Commune diese unbestimmten, d. h. unbekannt woher kommenden Befehle austheilte. Man lese hierüber und über die Niedermetzlungen in Versailles nach: »Enthüllungen aus den Acten des Wohlfahrts- und des Sicherheits-Ausschusses oder Memoiren Sénart's.« – Dieser Sénart – er schrieb sich übrigens ohne t – ist seinerseits kein ganz einwandsfreier Character. Als Spion beider Ausschüsse hatte er die Hände bei vielen Vorkommnissen im Spiel, kannte auch allerhand Leute. Was er von Tallien sagt, trägt durchaus den Stempel der Wahrheit. Uebrigens stimmen die Mittheilungen Sénar's mit sehr Vielem, was Mallet du Pan und unzählige Memoirenschriftsteller sagen, überein. Die vortrefflichen Dienste, welche er leistete, veranlaßten seine Verwendung auch bei den Vorgängen in Versailles, dort kam es darauf an, die von Orleans eingelieferten Staatsgefangenen bei Seite zu schaffen. Am 11. September entledigte er sich bestens des ihm ertheilten Auftrages und der armen Gefangenen.
Was man den unglücklichen Opfern in Paris abgenommen hatte, fiel als » bénéfice« zum Theil den Beauftragten der Commune zu. Alles Eigenthum der in den Gefängnissen von Paris und auf dem Transporte nach Versailles massacrirten Personen wurde in den geräumigen Sälen des Ueberwachungs-Ausschusses deponirt und dann vertheilt. Vergeblich erwiesen sich alle von der oberen Verwaltung kommenden Verbote, es wurden die Mobilien der gerichtlich versiegelten Häuser der Aristokratie »annectirt«! Jedenfalls war Tallien jetzt im Stande, für die Unkosten, die die ersehnte Wahl in den Convent erforderte, aufzukommen, und in der That wurde er im Seine-et-Oise-Departement in den Convent gewählt. Seine Mundfertigkeit, sein keckes Wesen, wenn er auf der Tribüne stand, die revolutionären Posaunenstöße, mit denen er seine oratorischen Kunststücke würzte, dies Alles machte ihn in den Augen Vieler zu einem großen Redner. Tallien ergriff sehr oft das Wort, von seinen Reden aber glich eine der andern, sie waren so declamatorisch, wie man es zu der Zeit nur wünschen konnte: er hatte instinctiv entdeckt, daß die Zukunft den Gewaltthätigen, den Exaltirten gehört, so war er es vor Allen, der den 31. Mai und den 2. Juni zu Stande brachte; seine Erfolge aber veranlaßten, daß er als Commissar des Convents nach Tours ging. Dort ließ er all' seinen bösen Neigungen die Zügel schießen, trieb mit Pässen einen verbrecherischen Schacher, unterhandelte heimlich – allerdings ohne Erfolg – mit royalistischen Agenten und setzte die gute Stadt durch seine Ausschweifungen in ein empörtes Erstaunen. Nähere Auskunft ertheilen die » Mémoires de Sénar«, auch äußert sich Mallet du Pan zur Sache und schreibt: Dieser elende Wicht vollführte die empörendsten Dinge, verfolgte, wo er nur konnte, Edelleute, Priester, Kaufleute, Geldbesitzer u. s. w. – ( François Descostes: »Die Revolution vom fremden Lande aus angesehen«, p. 309.) Von Tours aus kam er, wie man schon hörte, nach Bordeaux, dort hatte er für seine »Geschäfte« ein größeres Feld. Der Lebensmittelschacher erwies sich recht einträglich, auch der Handel mit Luxuswaffen, die er bei Privatleuten zuvor confiscirt hatte. Mit dem Wechseln von Assignaten, mit der Befreiung Eingekerkerter, mit dem Leben derselben machte er Geschäfte. »Tallien, der eigentlich noch geldgieriger war als blutdürstig, hatte doch herausgefunden, daß Blut zuweilen den Werth des Geldes übertreffe und eröffnete einen förmlichen Handel mit Leben und Tod.« Aus einem Brief von Mallet du Pan. Aehnliche Bemerkungen findet man bei Descostes und Sénar. Er hatte sich in Bordeaux an dem Platz, auf welchem die Hinrichtungen stattfanden, seine Wohnung genommen. Die Guillotine stand gerade vor seinen Fenstern. »O, über diese Jupiters zweiter Klasse!« ruft Shakespeare. »Man überlasse ihnen den Blitz nur für einen Augenblick, und man wird sehen, wie sie sich desselben ohne alles Mitleid bedienen.«
» La Terreur« also herrschte in Bordeaux. Die Guillotine war in Permanenz und die sogenannten Patrioten schwelgten in Missethaten. Die Hausdurchsuchungen wurden immer häufiger und mancher Diebstahl ist unter dem Deckmantel der Gesetzlichkeit verübt worden. Gelegentlich eines solchen Diebstahls scheint Tallien die Bekanntschaft mit der Bürgerin Cabarrus gemacht oder erneuert zu haben. Uebrigens hatte er sie wohl schon gelegentlich einmal wiedergesehen, als er Secretär bei Alexander Lameth war. Mémorial de Wasselin. III., 129.
»Es war am 25. November 1793,« sagt M. de Vivie, »als Beamte des ›Ueberwachungs-Comités‹ bei dem Bürger Cabarrus, dem Bruder Theresias, einiges Geld aus einem Schrank und anderes aus dem Koffer seines Dieners, ferner das ganze Silbergeräth unter dem Vorwande ›an sich nahmen‹, es wäre ein Wappen eingravirt. Die Herren ließen freundlichst ein Löffelchen zurück für das Baby des Bürgers Cabarrus!«
»Wahrscheinlich in Folge dieser Aneignungen,« so fährt Herr de Vivie fort, »sah Tallien Frau Theresia Cabarrus, die später als die »schöne Frau Tallien« bekannt wurde, wieder und knüpfte mit ihr Beziehungen an, welche die Moral verdammt und deren Intimität bald ein öffentliches Geheimniß wurde.« De Vivie: la Terreur à Bordeaux. II, 104.
Die Legende erzählt allerdings etwas Andres, allein es steckte hinter derselben Madame Tallien selber, und Schriftsteller, welche die Wahrheit weniger liebten als Mad. Tallien, erzählten ihr nach.
Als die Würde des Alters und die Hoheit einer Prinzessin eine andere Frau aus Theresia gemacht hatten, erzählte sie, wie Alles zugegangen war oder vielmehr hätte zugehen können.
Sie passirte mit ihrem Gemahl, Herrn de Fontenay, Bordeaux – hier liegt bereits eine verwegene Abänderung der Daten vor, denn die Begegnung war im Monat November, und im April – am 5. April – war doch die Scheidung perfect geworden. Also Theresia passirte nach ihrer Lesart an der Seite ihres Herrn Gemahls Bordeaux, als ihr zu Ohren kam, daß ein englisches Schiff mit 300 Bewohnern an Bord, welche dem Revolutions-Tribunal entrinnen wollten, soeben absegeln solle. Sie hörte auch, daß der Capitän des Schiffes erklärt habe, er werde nicht eher in See gehen, als bis man ihm 3000 Frcs., die an dem Ueberfahrtspreise fehlten, ausgezahlt hätte.
»›Wie,‹« so geht es im Texte der Legende weiter, »›wie,‹ rief Mad. de Fontenay, ›nur 3000 Francs sind erforderlich, um diese unglücklichen Emigranten vor dem Tode zu retten? Ich werde sie zahlen!‹«
Sie selbst überbrachte die Summe dem Capitän. Anstatt einer Quittung habe sie von demselben das Namensverzeichniß der Emigranten verlangt. Der englische Capitän, voller Bewunderung dieser mit einer so großen äußeren Schönheit verbundenen inneren Güte, erzählte in einem Café die ganze Geschichte. Terroristen hörten dieselbe und fielen über den Capitän her; der Engländer aber zog vom Leder und wich, gegen die Uebermacht kämpfend, ruhmreich zurück.
Es hatte dabei einige Verwundete gegeben und diese das Publikum aufgehetzt, indem sie die schöne Bürgerin als Royalistin bezeichneten und schworen, dieselbe solle die Liste herausgeben. Die Volksmasse wälzte sich nun auf den Theaterplatz, auf welchem, wie es hieß, Theresia Cabarrus promenire.
»Die Liste, die Liste,« brüllten die Leute, indem sie die Nichts Ahnende umringten.
Mad. de Fontenay aber war kaltblütig genug, den Leuten zu sagen, daß Diejenigen, welche sich eingeschifft hätten, keine Feinde der Revolution wären.
»Nun, so gieb uns die Liste,« schrie man, »die Du vorn in Deinem Kleide versteckt hast.«
Ein Kerl hatte die Vermessenheit, ihr die Hand in's Corsett zu stecken.
Theresia aber kommt ihm zuvor, greift selbst nach der Liste, schwingt sie über ihrem Haupte und ruft:
»Wenn Ihr sie durchaus haben wollt, so nehmt sie.«
Sie zerreißt die Liste in kleine Stücke und steckt diese in den Mund, um sie zu verschlingen. Man weicht erstaunt zurück. In diesem Augenblick erscheint Tallien mit dem Befehl zu ihrer Verhaftung – – Diese Verhaftung aber sollte sie ja nur aus den Händen der wüthenden Menge retten, denn Tallien hatte in ihr die Dame erkannt, deren Porträt er einst so kunstsinnig kritisirt hatte.
Sie sitzt indeß trostlos hinter Schloß und Riegel; da klirren mit einem Mal schwere eiserne Schlüssel, die rostigen Angeln kreischen, die Thür wird aufgerissen – Tallien steht vor ihr in der ganzen Glorie eines rettenden Engels, übrigens auch ganz bewältigt von ihrer Schönheit, um ihr zu sagen, daß sie frei wäre:
»Du bist frei, Bürgerin« – geduzt wurde damals hin und her – »ich verfüge mich sofort in die Sitzung des Comités, um zu erklären, daß ein Irrthum vorliegt.« –
Soweit die Legende! Die Wahrheit aber hat eine andere Lesart: Theresia erneuerte die Bekanntschaft mit Tallien oder sah ihn vielleicht zum ersten Mal, gelegentlich der Reclamation Theodor Cabarrus' wegen des ihm entwendeten Silbergeschirrs. Es kam zu einem Austausch von Höflichkeiten und sehr erklärlich ist es in dieser schweren Zeit der Bedrängniß, daß es einer jungen Frau nicht gleichgültig sein konnte, einen Mann kennen zu lernen, durch dessen Einfluß sie und die Ihrigen von Verfolgungen geschützt werden konnten. Der Commissar des Convents aber fühlte sich geschmeichelt einmal als Plebejer, der den Beschützer einer çi-devant-Marquise spielen durfte, sodann als junger Mann, auf dem so himmlisch schöne Augen ruhten.
Später erfolgte doch eine Einkerkerung: wahrscheinlich hatte Theresia irgend eine Unvorsichtigkeit begangen, einige »aristokratische Sprünge« gemacht, wie Nauroy meint oder ihre Papiere waren nicht ganz in Ordnung, wie Villeneuve vermuthet. » Biographie Michaud« (Supplement I. 61.) Papiere waren damals etwas überaus Wichtiges, wenn man auf Reisen war. Man bedurfte im Jahre 1793, um auf Reisen gehen zu können, einer Bescheinigung bürgerlicher Gesinnung, eines Aufenthaltsscheines, auch eines Attestes darüber, daß eine Auswanderung nicht beabsichtigt wurde. In den Städten war noch eine Sicherheitskarte nöthig. Es wurden damals während der Nacht in den Straßen von Bordeaux alle Diejenigen arretirt, welche keine solche Karte besaßen; sie wurden erst auf Wachstuben, sodann in die Gefängnisse geführt; die Gensdarmen entwickelten dabei großen Eifer, weil ein Lösegeld zu zahlen war, bestehend in 12 Francs; wer diese Summe nicht zur Verfügung hatte, mußte ein Kleidungsstück in Pfand geben. Die Gensdarmen der Gironde hatten diese hübsche Einrichtung selbst getroffen und die Behörden drückten ein Auge zu. Theresia rief aus ihrem Gefängniß den Schutz Talliens an, und Tallien lief auch sofort herbei, hocherfreut, daß ihm die Gelegenheit geboten war, die bezaubernde Theresia wiederzusehen, und ihr, in der Erwartung, sie werde sich revanchiren, einen Dienst zu erweisen. Wer würde denn die Gelegenheit, die Geliebte einer Gefahr entreißen zu können, ungenutzt vorübergehen lassen?
Diesmal aber sollte doch die Haftentlassung Theresia's an Bedingungen geknüpft werden – leider verliert der Roman, der so hübsch begonnen hatte, dadurch an Poesie; die schöne Gefangene konnte nur unter der Bedingung von ihrer Zelle Abschied nehmen, daß sie sich verpflichtete die Wohnung mit dem Herrn Conventscommissar zu theilen.
Theresia selbst faßte die Sache als einen Handel, ein Geschäft auf, denn unter der Restauration schrieb sie folgende Zeilen nieder: »Im Sturm greift man nicht immer nach der rettenden Planke.« Es steht außer allem Zweifel fest, daß Tallien es war, der Theresia aus dem Gefängniß befreite. »Ich habe sie,« sagte er selber in der Conventssitzung vom 2. Januar, »in Bordeaux gerettet.« Sehr schmeichelhaft für Tallien sind diese Worte ja nicht, sie beweisen aber eins: Tallien war der Aufgedrungene. Theresia aber mag ihn noch so laut einer Planke vergleichen, von Holz war er darum doch nicht. Er hätte jedoch, wäre er ein rechtlicher Mann gewesen, Theresias Freiheit nicht an eine Bedingung knüpfen dürfen. Es war eine niedrige, grausame That, ihr auf diese Weise die Wahl zwischen Henker und Tod aufzudrängen. Andere Frauen entschieden sich in solchen Fällen allerdings für den Tod. Tallien, der wohl nichts von den schönen Beispielen Alexanders, Scipio's oder Turenne's wußte, war nicht der Einzige, der in dieser wüsten Zeit seine Rechte und gefangene Frauen mißbrauchte: es erzählt die Geschichte jener Zeit von mehr als einer Theresia. Der Repräsentant Dumont in Amiens, der zu gleicher Zeit der Schöpfer, der Deuter und der Ausführer des Gesetzes ist, hatte eine sehr hübsche junge Frau von der allgemeinen Proskription ausgenommen; er erschien täglich mit ihr in der Oeffentlichkeit. ( H. Taine: »Un séjour en France de 1792 à 1795.«
Mad. Cabarrus gehörte, wir können es nicht oft genug wiederholen, in den Rahmen ihrer Zeit, sie nahm also keinerlei Anstand, Tallien zu bewilligen, was dieser einer freien Entschließung hätte anheimgeben sollen – sehr widerspenstig war ja übrigens Theresie in solchen Fällen überhaupt nicht, man denke nur an Lameth! Daß Tallien an ihre Freilassung eine Bedingung knüpfte – ganz abgesehen von seiner amtlichen Pflicht, jeden unschuldig Verhafteten zu entlassen – ist empörend, und ein Zeichen der Niedrigkeit seiner Seele! Welche Achtung kann eine Frau vor einem solchen Wicht haben? Es war denn auch zwischen diesen beiden Menschen von einer gegenseitigen Achtung keine Rede. Der Handel war abgeschlossen, das Geschäft perfect: für das gebe ich das, ein Tausch-Geschäft! Tallien aber verliebte sich mehr und mehr in Die, welche ihn dem Gefängniß vorgezogen hatte und da Tallien ganz hübsch war – von seinen Manieren konnte man dies nicht behaupten – sie selbst nicht vor einem ersten Waffengange stand und Herr de Lamothe in der Ferne weilte, so begnügte Theresia sich in Ermangelung von etwas Besserem mit dem Bürger Tallien.
Wir dürfen, um Beide gerecht zu beurtheilen, nicht vergessen, daß es Zeiten giebt, in denen moralische Epidemien herrschen: in Frankreich trat eine solche zugleich mit den Umwälzungen der Revolution auf. Beinah Jeder hatte einen mehr oder weniger starken Anfall. Daß das Gehirn inmitten dieser Fieberanfälle, in diesen Zuständen von Aufregung und Abspannung in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist klar: die Menschen waren wie unsinnig!