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Das Directorium kommt ans Ruder. – Der Director Barras. – Tallien voller Sorgen. – Glanz und Elend. – Der Salon der Mad. Tallien. – Neue royalistische Intriguen. – Die öffentlichen Bälle zur Zeit des Directoriums. – Mad. de Beauharnais und Mad. Tallien im Luxembourg. – Der Salon des Director Barras. – Bonaparte und Mad. Tallien. – Fest zu Ehren der italienischen Armee. – Toiletten, Perrücken. – Die »Hemdlosen.« – Allerhand Klatsch. – Allgemeine Sittenverderbniß. – Die Damen »zur Begleitung« der Mad. Tallien. – Barras und seine Familie im Luxembourg. – Hatte Mad. Tallien die Hand im Spiel bei dem Staatsstreich vom 18. Fructidor?
Das Directorium war unzweifelhaft die schlechteste Regierung, die Frankreich je gehabt hat. Es war die Herrschaft der Thermidoristen, der »in Verwesung Uebergegangenen«, und die Verwesung griff um sich, sodaß auch die ehrbaren Schichten der Bevölkerung ihr zuletzt anheim fielen.
Diese Verderbniß, diese Fäulniß, das gefährlichste aller Uebel für einen Staat, namentlich für eine Demokratie, bereitete die tiefe Erniedrigung Frankreichs vor. Ohne diese Excesse der Directorialregierung wäre nie und nimmer Bonaparte im Stande gewesen, den Staatsstreich vom Brumaire durchzuführen.
Man stellt sich gewöhnlich die Directorialzeit als eine fortlaufende Kette von Festen und Zerstreuungen vor – das wäre jedoch nur für einen sehr kleinen Theil Frankreichs der Fall gewesen, vielleicht für Paris allein. Die lärmende Schaar der Armeelieferanten, der Bankiers, der Wucherer, der Emporkömmlinge hätte durch ihren Luxus, ihre Verschwendung den Glauben erwecken können, Frankreich befände sich in einem Zustande des Gedeihens und Wohlergehens, allein um sie her war die ungeheuere Masse der Darbenden, der an Noth Sterbenden gelagert. Die durch Raub, Diebstahl, durch den Schacher mit Leben und Freiheit erworbenen Reichthümer machten sich schamlos breit mitten im allgemeinen Elend. Die große Masse des Volkes war in einem Zustande von physischer Erschöpfung, von moralischer Versunkenheit, sodaß sie dem empörenden Schauspiel mit einer an Blödsinn grenzenden Gleichgültigkeit zusah. Der Verfall der Charaktereigenschaften war das Resultat der provisorischen, seit sechs Jahren bereits herrschenden Zustände, der schlechten, die Oberhand gewinnenden Leidenschaften, der falschen Ideen u. s. w. Hierzu kam das schlechte Beispiel, das Diejenigen gaben, welche das Heft in der Hand hielten.
Die neuen Regierer Frankreichs, die fünf Directoren, so verschieden in ihren Charakteren, ihren Anschauungen, ihren Zielen, schienen unfähig, mit der nöthigen Einigkeit an ihre schwierige Aufgabe zu gehen. Und Einigkeit vor allen Dingen war nöthig, um Alles in einen gleichmäßigen Fluß zu bringen, um blutende Wunden zu heilen, um den Frieden allmälig wieder herzustellen, um die Arbeit aufzumuntern, um den Leuten Brod zu geben. Die Regierung zerrte Alles hin und her und die Geister folgten der Bewegung.
Ein trügerischer Schein aber von Leben und Glanz ging vom Palais Luxembourg, dem Sitz der Regierung, aus. Soldaten, stolz in ihrer Haltung, prächtig in ihrer Equipirung, standen auf Wache vor allen Eingängen. Es gab eine Nationalgarde, bestehend aus 140 Mann zu Fuß und 140 Mann zu Pferde. Elegante Equipagen, voll von coketten Modedamen, » Merveilleuses«, genannt, hochrädrige Tilburys, gefahren von » Muscadins«, d. h. von geckenhaft angezogenen Herren, fuhren Tag und Nacht ein und aus, die unglücklichen Hungerleider gefährdend, die im Wege standen. Barras, einer der fünf war es, der besonders aufgesucht wurde. Frauen von sehr gesuchter, man möchte sagen herausfordernder Eleganz, wie Madame de Forbin, Madame de Châteaurenault, Madame de Beauharnais, waren seine ständigen Gäste, vor Allen aber – Madame Tallien.
Die Letztere verfügte sich jeden Morgen in das Palais Luxembourg, um gemeinschaftlich mit dem jungen Director ihr Frühstück einzunehmen.
Der Vicomte de Barras war damals erst vierzig Jahre alt. Er war groß, gut gewachsen, kräftig und ein gewandter Poseur. Er gehörte zu den wichtig thuenden Mittelmäßigkeiten, zu den Leuten, die zu imponiren verstehen, besaß jene unverschämte Fadheit, welche verführerisch auf die Frauen wirkt und jene vornehmen Laster, die sie hochschätzen. In Wahrheit war Barras nichts als ein Narr.
Zu seiner Narrheit aber gehörte eine hervorragende Eigenschaft, die auch Theresia besaß: er haßte alles Kleinliche. Wie jene ist er liebenswürdig im Umgange, auch entgegenkommend, wo es sich darum handelt, ihm empfohlene, dunkle Existenzen mit Aemtern zu versorgen und zwar – weil es ihm etwas einbringt. Namentlich läßt er sich für die Streichung von Namen auf der Emigrantenliste erkleckliche Trinkgelder zahlen – er ist dabei so liebenswürdig! Wem stünde das Staatsgewand mit der scharlachrothen goldgestickten langen Pellerine, der weißen gestickten Weste, der blauen Schärpe mit den goldenen Fransen, der spitzenbesetzte Kragen besser als ihm? Man könnte ihn beinahe von Weitem für eine Frau halten, in seinem runden mit Federn geschmückten Hut; sein Gesicht ist glatt rasirt, er hat weißseidene Strümpfe an und Schnallenschuhe: an der Seite aber hängt ihm ein Schwert von antiker Form – das Symbol des Gesetzes.
Barras ist doch ein ganz Anderer als dieser La Reveillière, der wie ein Affe aussieht, buckelig ist und ebenfalls die neue Regierung repräsentirt. Man erzählt sich – sotto voce allerdings – Barras habe im Süden allerhand Abscheulichkeiten begangen, habe in Marseille die Kirchen geplündert, wobei ihm sein Freund Fréron behilflich gewesen sei. Diese beiden Herren hätten den Staatsschatz um 800 000 Frs. beraubt, aber …
Aber – der 9. Thermidor hat über das Alles quittirt, die Decharge ertheilt.
Und nun der Dritte der fünf, Cambon, der so dumm ist, ein rechtschaffener Mann zu sein. Schämt er sich denn gar nicht an jenen Vorgängern Aergerniß genommen zu haben, einen so schönen Mann wie Barras nicht leiden zu können?
Barras bewohnt wie die anderen Directoren das Luxembourg, und die meisten Leute, die dort eintreten, kommen zu ihm. Er hat ja unzählige Geschäfte an der Hand und empfängt unzählige Herren, die im Trüben fischen, namentlich auch Damen, die dasselbe thun. So kommt es denn auch, daß Barras mehr als ein zartes Verhältniß hat. Der politische Gaukler hat zu viel Verstand, als daß sein Herz dabei betheiligt wäre. Er gießt sich gern für den eigentlichen Gebieter Frankreichs aus und behandelt seine Kollegen mit einer Miene, die halb verächtlich, halb mitleidig ist. Oft wird er allerdings von ihnen auf seinen Platz zurückverwiesen, allein das macht ihm nichts. Würde besitzt er ebenso wenig wie Rechtschaffenheit. Er giebt nur darauf Etwas, daß das Publikum glaubt, beim Directorium ginge Alles durch seine Hände. Seine Stellung bringt ihm 150 000 Frcs. ein, die Spesen, die er sich selbst macht, sind nicht mit eingerechnet. Er ist eitel, vorlaut, ist ein Streber, liebt den derben frivolen Witz, ist faul, lügnerisch, käuflich – Barras ist ein Libertin im schlimmsten Sinne des Wortes; dabei aber – der beste Kerl der Welt!
Wie war es nur möglich, daß auf einen solchen Menschen die Wahl für den hohen Posten fiel? Es kam daher, weil Barras am 13. Vendémiaire und am 9. Thermidor bei dem Niederwerfen des Aufstandes zufällig in Thätigkeit gewesen ist und weil man dachte, der abtrünnige Aristokrat werde den Royalisten sehr zuwider sein.
Ehe er im Luxembourg seine Residenz aufschlug, spielte Barras schon eine hervorragende Rolle in den Gesellschaften bei seinem Freunde Tallien.
Die beiden Männer hatten sich schnell an einander angeschlossen, was ja erklärlich ist aus dem Interesse, welches sie hatten, sich gegenseitig als Thermidoristen zu stützen, und die Spuren einer ärgerlichen Vergangenheit zu verwischen, welche wahrscheinlich bis in die Bureaux des Wohlfahrts- und Sicherheits-Ausschusses führten. Tallien und Barras hatten dadurch, daß sie alle Diejenigen auf die Guillotine gebracht hatten, welche um ihre Diebstähle, ihre Gewaltthaten wußten, sich eine gewisse persönliche Sicherheit geschaffen. Tallien aber konnte Dank der Freundschaft Barras' einige recht einträgliche Speculationen wagen.
Für Tallien war es ein herber Schlag, daß er nicht Director geworden war. Schon eine Enttäuschung hatte ihm der Jahrestag des 9. Thermidor gebracht, indem La Reveillière-Lépaux statt seiner Conventspräsident wurde; das Härteste für ihn aber war doch das, daß Freund Barras über ein jährliches Fixum von 150 000 Frcs. verfügte, während er weiter nichts hatte, als täglich 28 Frcs., die er an Diäten als Mitglied des Rathes der Fünfhundert bezog. Seine Frau fing auch noch an, sehr launisch gegen ihn zu werden: für sein Mißgeschick hatte sie keine Trostworte; wenn alle Welt sie für liebenswürdig und entzückend ausgab, Tallien war jetzt anderer Meinung. Der Ehrgeiz Theresias war enttäuscht, hierzu kamen die geringfügigen Einnahmen des Gatten: das war genug, um sich von ihm zurückzuziehen. Kann man sich denn für die Dauer an einen Mann anschmiegen, dem Nichts gelingt der mit fast allen seinen Unternehmungen scheitert, der seine Frau im Elend sitzen läßt? Ist es doch eine feststehende Thatsache, daß dieser Simpel, genannt Tallien, nicht einmal die wenigen hunderttausend Frcs. erwerben kann, die die liebe Frau für ihren kleinen Haushalt braucht. Und dann – ach, über die Logik der Frauen – kann Theresia denn von jetzt ab irgend welche Achtung vor ihrem Mann haben? Dem Manne, den sie betrügt? Es unterliegt jetzt keinem Zweifel mehr, es ist ein öffentliches Geheimniß, daß Barras an Stelle von Tallien getreten ist.
Ein trauriger Tag ist der, an dem der Schleier der Illusionen zerreißt und der Mann hinabblickt in die Abgründe der Seele des von ihm geliebten Weibes. Tallien, so wenig Rühmens wir von seiner Moralität machen können, hatte sich durch alle Qualen eines betrogenen Gatten hindurchzuringen; deutliche Spuren zeigen sich in seinen Gesichtszügen. Vielleicht macht er einen Versuch mit zürnenden Worten, mit häuslichen Auftritten, vielleicht droht er mit öffentlichem Skandal, allein, man hat Mittel genug, ihm den Mund zu stopfen und ihm zu beweisen, daß er Unrecht hat.
Sein schönes Costüm als Mitglied des Rathes der Fünfhundert schafft ihm keinen Trost – auch ist es nicht so schön wie das des Director Barras – am Ende liegt darin der Grund. Beurtheilen die Frauen nicht oft die Talente eines Mannes nach dem Schnitt, nach der Farbe seines Anzuges? Ein langes weißes Gewand wie das des Papstes, ein scharlachrother Mantel wie der Richelieu's, ein Barett von blauem Sammet wie das Cherubini's, ein Gürtel wie der der Venus – so sieht das Costüm des Gesetzgebers Tallien aus! Theresia findet es eher lächerlich als geziemend, und zieht das des Director Barras vor …, wie nett, wie liebenswürdig ist nicht dieser Barras! Neulich erst sagte Carnot, Barras habe »alle Laster des Regenten, ohne eine einzige gute Eigenschaft desselben.« Es giebt gewiß viele Frauen, die darin ebenfalls ein Lob finden, welches sie hoch zu schätzen wissen.
Ob bei der Entscheidung Theresias für Barras die Liebe ein Wort mitredete? Es ist nicht wahrscheinlich – die rechte, wahre Liebe ist ihr wohl unbekannt geblieben. Eine Cokette ist stets die Selbstsucht in Person, sie liebt eigentlich Nichts außer sich selbst. Aus Laune, aus Langerweile, aus Neugier lieben – ja das ginge schon eher. Jean Jacques Rousseau, der feine Beobachter der Menschen, behauptet, es habe Jeder im Grunde seiner Seele einen Fonds von Lastern, welcher in Gährung geräth, je nach den Temperamenten, je nach den Gelegenheiten, und je nach der Gefälligkeit, mit der man die Gährung zuläßt: Theresia war stets gefällig.
Das Directorium hätte zwar gern, wie es die Kaiser des alten Rom thaten, dem Volk » Panem et Circenses« geboten: da es ihm Brod nicht bieten konnte, bot es ihm nur Feste. Ein Fest am 21. Januar, ein anderes am 14. Juli, wiederum eins am 9. Thermidor, dann eins am 1. Vendémiaire, dem Neujahrstage des republikanischen Kalenders. Es fand an dem Tage eine officielle Feier statt: Die Directoren, die Mitglieder des »Rathes der Alten«, des »Rathes der Fünfhundert«, die Minister und hohen Beamten begaben sich in choro nach dem Marsfelde. Der Präsident des Directoriums stieg zum »Altar des Vaterlandes« empor, hielt eine Ansprache und das Publikum, welches sich zahlreich eingefunden hatte, weil das Wetter schön war, verlief sich wieder, voll Freude darüber, das Schicksal des Landes in den Händen von Männern zu wissen, die so pompöse Costüme trugen. Außerdem wurde aber noch jeder Sieg festlich gefeiert, und der Siege gab es damals viele, dank der Tapferkeit unserer Heere. Das Volk zeigte gegen die vielen Feste bald große Gleichgültigkeit. Die armen Familien – arm waren sie ja fast alle – hatten für Lustbarkeiten nichts übrig; statt zu Abend zu essen mußten sie sich mit einem Stück trocknen schwarzen Brodes behelfen und auch dies fehlte nicht selten. Waren harte Entbehrungen das Loos des Volkes, die Bürgerin Tallien wußte von Entbehrungen Nichts! Wäre es nicht eine Schande gewesen, einen so hübschen Mund fasten zu lassen? Sollte diese reizende Gestalt unter dem Mangel an genügender Nahrung dahinsiechen und vergehen? Für sie ist es schon des Elendes genug, daß sie von ihrem Wagen aus das Elend sehen muß. Es ist abscheulich, wenn man von einem guten Diner kommend, ins Theater fährt und hört diese Unzahl von rauhen, dumpfen Stimmen, die »Brod, Brod, ein Stück Brod« rufen. In Klein-Coblenz ist es noch schlimmer, dort kamen die schönen Damen der großen Welt und die der Halbwelt zusammen mit den Modeherren: Leute, welchen es allein zusteht, sich zu zeigen. Aber kaum sind sie den Wagen entstiegen, kaum haben sie sich in scherzenden, plaudernden Gruppen zusammen gefunden, da sind auch schon die Lumpengestalten wieder mitten unter ihnen; heisere Stimmen rufen in heitere Unterhaltungen über Bälle und Soupers ihr: Brod! Brod! In der That unerträglich! Es sollte nicht erlaubt sein, daß auf diese Weise empfindsame Seelen belästigt würden, zarte Saiten so grob berührt würden. Wo ist denn die Polizei? –
Gottlob! Die widrigen Eindrücke verwischen sich, so wie man in seine Loge im Theater, in den Ballsaal bei Thélusson oder in den Salon des Director Barras tritt – in die »Chaumière« an Empfangsabenden kommt das Elend nicht! Welches Talent entwickelt Madame Tallien in Bezug auf die Auswahl ihrer Gäste! Welchen Flor hübscher Frauen hat sie um sich. Da ist die Bürgerin Hainguerlot, groß, hübsch, elegant, lebhaft, pikant in Allem, was sie sagt, umschwärmt von Schriftstellern und Künstlern, beneidet von den Frauen, die ihr Alles absprechen, selbst Das, was sie hat. Hier ist die Bürgerin Hamelin, sie giebt sich für eine Kreolin aus, ist aber wohl eine Mulattin, sie spricht ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, hat etwas Aufgeblasenes und ist sehr frei in ihren Bewegungen, sie ist die Erfinderin der durchsichtigen Gazekleider – die Damen, welche dieselben trugen, wurden als nudités gazées bezeichnet – kaum hat sie den Salon betreten, so ist sie auch von einem Schwarm » Muscadins« umschwärmt, welche durch die großen Gläser ihrer plumpen Lorgnetten ihre Reize prüfen und dieselben für »impertinent« erklären. Und hier ist auch die Bürgerin Mailly de Châteaurenault; ihr Teint ist rosenfrisch, ihr Auge so treu, sie spricht viel und lächelt viel. Die Bürgerin Krüdner – de Krüdner – darf auch nicht übersehen werden; die hübsche blonde Livländerin, die erst später zu einer Priesterin der Mystik wurde. Die Bürgerinnen Navailles, Saint-Fargeau, die letzte mit dem Beinamen »die Tochter der Nation«, die Bürgerin de Beauharnais und die de Forbin müssen auch genannt werden. Von den Herren aber: Lenoir, Digeon, Hoffmann, Méhnl, Arnauld, de Châteaurenault, der in einem Durcheinander von Unmoralitäten Moral predigte, indem er sich an Madame de Chastenay wendete, Herr Récamier, welcher verspricht, er werde zum nächsten Fest seine schöne Frau mitbringen, die Bürger Séguin, Perregaux, Hottinguer, Fréron. Diese Politiker nehmen sich neben Künstlern und Schriftstellern, neben den heimgekehrten Emigrirten, die mit feinem weltmännischen Gebühren und höflichem Wesen, wie ehedem in den Sälen von Versailles, in der Chaumière auftreten, meist recht linkisch aus. Giebt es Jemand, der sich in dieser Gesellschaft nicht wohlfühlt, so ist es der Hausherr: nicht weil ihn ein » Incroyable«, einer jener »unglaublich« modernen jungen Gecken mit seinem blauen Frack und seinen gelben Hosen, die beinahe bis an die Achseln reichen, langweilt, nicht weil ihn ein Emigrant zornig stimmt mit seiner gepuderten Perrücke, dem grünen Rock und dem gewaltigen grünen Halstuch, wie die Chouans es trugen, der ihm eintretend mit einem sonderbaren Ruck zunickt, als fiele sein Kopf eben unter dem Hackemesser – Tallien fühlt sich unheimlich im eignen Hause, weil er so oft die Worte hört »wenn der König zurückkehrt,« weil er hört, wie die Leute sich erzählen, daß er, Tallien, der eigentliche Macher des Friedensschlusses mit Spanien wäre, daß er, Tallien, in lebhafter Correspondenz mit dem Herzog von Alcudia stünde, und daß es ihm, Tallien, dadurch gelingen würde, seinem Schwiegervater Alles wieder zu verschaffen, was derselbe verloren hätte, daß er die Feinde des Grafen Cabarrus habe aus dem Wege schaffen lassen, daß er, Tallien, erst kürzlich einen Brief vom Herzog von Alcudia bekommen habe, voll von Freundschaftsbetheuerungen. Mallet du Pan: »Correspondance avec la cour de Vienne« II, 10. »Wie, mein Herr,« fragt einer der Gäste den andern laut: »Sie wissen nicht, daß Tallien der erste Royalist der französischen Republik ist, daß seine Frau auf freundschaftlichem Fuß mit dem Marquis del Campo, dem spanischen Gesandten, steht? Daß Tallien dem Herzog von Alcudia die Krone Frankreichs angeboten hat? Cabarrus in Spanien ist eifrig dabei, diesen Plan durchzuführen u. s. w.« – »Wenn er aber scheiterte, wie dann?« fragt ein Anderer. – »Nun, Tallien unterstützt auch Ludwig XVIII.« – »Ah! Aber Ludwig XVIII ist nicht populär.« – »Nun gut! So ist es der Herzog von Orleans; hat er doch im Jahre 1792 mit dem Vater desselben die Organisation der …« – »Still, um Gottes willen still!« Ein kleiner Officier, sehr mager, mit gelblichem Teint, mit struppig herabhängenden Haaren geht vorüber. Es ist Bonaparte in seiner neuen Uniform! Die Herren mit den grünen Halstüchern sehen ihn mit etwas verächtlicher Miene an; hat er doch die Ihrigen auf den Stufen von Saint-Roche niederkartätschen lassen; sie plaudern mit der Wittwe Beauharnais, denn sie wissen, sie steht sich gut mit dem Kleinen, der so plötzlich wie ein Pilz im Sumpfe emporschoß.
Für die Lockerung der Sitten, die allgemeine Verderbtheit begann man mehr und mehr in den ehrenhaft gebliebenen Kreisen der Gesellschaft die schöne Bürgerin Tallien verantwortlich zu machen. Vielleicht hatte man Recht. Sie hatte an öffentlichen Orten manchen unangenehmen Auftritt.
Da nur wenige Salons sich bisher aufgethan hatten, die große Masse des Volkes während der Schreckenszeit alle Zerstreuungen entbehrt hatte, so machte sich nach dem 9. Thermidor ein unbändiges Verlangen nach Vergnügungen geltend. Besonders viel wurde getanzt. Es gab Bälle, deren Entree sich ganz nach dem Zahlungsvermögen ihrer Besucher richtete: zu diesen Bällen drängte sich die denkbar bunteste Gesellschaft. Auf einem – ich glaube bei Thélusson – stellte sich auch Madame de Damas mit einem zurückgekehrten Emigrirten, Herrn d'Hautefort, den sie früher gekannt hatte, ein. Sie frug ihn, wer denn die Schöne wäre, welche soeben eingetroffen wäre.
Diese Frau hatte eine übermittelgroße Gestalt von wunderbarem Ebenmaß, es lag in dem Bau der Glieder eine entzückende Harmonie; es war die capitolinische Venus, nur schöner noch als das Meisterwerk des Phidias; es war dieselbe Reinheit der Züge, dieselbe Vollendung der Arme, der Hände, der Füße – die ganze Erscheinung aber verklärt durch den Ausdruck des Wohlwollens. Ihr Aeußeres war der Widerschein einer gütigen Seele. Ihre Kleidung aber trug Nichts dazu bei, ihre Schönheit zu erhöhen. Sie hatte eine einfache Robe von indischem Mousseline an im Schnitt der Antike; dieselbe war auf den Schultern durch Kameen zusammengehalten. Um die Taille war ein Gürtel von Gold geschlungen, als Schloß diente ebenfalls eine Kamee, eine breite, goldne Armspange hielt hoch über den Ellbogen die Aermelfalten. Die Haare, schwarz wie Sammet, waren kurz geschnitten und um den Kopf herum gelockt, mit anderen Worten à la Titus frisirt. Ueber ihre herrlichen weißen Schultern war ein schöner rother Cashmirshawl geschlungen, mit dem sie sich graziös zu drapiren verstand. Duchesse d'Abrantés: Mémoires I, 367.
Auf die Frage der Madame de Damas erwiderte d'Hautefort: »Das ist ja die Tallien.«
»Die Tallien! Aber mein Gott, Monsieur, wie konnten Sie mich nur hierher führen!«
Mit diesen Worten entfernte sie sich in auffallender Eile aus der Nähe der schönen Theresia.
Der » Cercle des Etrangers« war nächst Thélusson damals der besuchteste Vergnügungsort in Paris; es wurden dort auch Maskenbälle gegeben, welche großes Aufsehen machten. Die Bürgerinnen Hamelin, Hainguerlot, Rovère, Tallien fehlten dabei nie und trugen viel zur Freude und Lust bei. Ihre Anwesenheit führte stets zu großen Kassenerfolgen. Es stellte sich dort auch eine noch ganz junge Dame ein, die gerade anfing, sich zu einer Berühmtheit emporzuschwingen und beinah ein halbes Jahrhundert lang von sich reden machte: es war Madame Récamier. Sie war die Frau eines reichen Bankiers von der Chaussee d'Antin, schön, von wunderbar zartem Teint. Diese Dame, um sich von den Andern, deren Toiletten allzu sehr den Geschmack der Emporkömmlinge verriethen, zu unterscheiden, zeigte sich stets in einem ganz einfachen weißen Kleide und einem um den Kopf geschlungenen Linontuch – sie galt für die anmuthigste unter den Balldamen und nicht selten ließen die Herren den Triumphwagen der Tallien, vor den sie gespannt waren, stehen, um den Grazien der Madame Récamier Weihrauch zu streuen – dadurch kam es zu einer Rivalität unter den beiden Damen.
Im Tivoli, im Pavillon de Hannovre zeigte sich Madame Tallien auch öfters; sie ging meist Abends dorthin, um ein wenig Eis zu schlürfen. Man sah sie, mit einem Lächeln auf den Lippen, ihre Gestalt hoch aufrichtend durch die Menge schreiten, und diese bestand hauptsächlich aus heimgekehrten Emigrirten. Sei es aus Neigung, sei es aus politischer Voraussicht. Madame Tallien schien es besonders darauf abzusehen, bei diesen Herren Furore zu machen, sie gehörten ja übrigens einer Gesellschaft an, in welcher sie debutirt hatte. Im Allgemeinen wurde sie mit scheelen Blicken betrachtet, nur Diejenigen, welche eine Vergünstigung zu erbitten hatten, machten ihr den Hof, nur Diejenigen, welche wußten, daß sie allmächtig war, daß sie namentlich den Royalisten zu dienen bereit war. Wieder in diese Gesellschaft ausgenommen zu werden, das war ihr sehnlicher Wunsch, und zwar nicht als Eine, der man Verzeihung angedeihen läßt, sondern als triumphirende Souveränin – eine Rolle, welche sie im Luxembourg spielte. –
Die schöne Sünderin, der die royalistische Gesellschaft weit mehr ihre Beziehungen zu den Jacobinern als ihren lockeren Wandel zum Vorwurf machte, wurde immer intimer mit Barras, den armen Tallien aber beschlichen gar bittere Gefühle, als er sah, wie daheim Alles einzustürzen begann.
Daß Barras Wohlgefallen bei Theresia fand, ist erklärlich. Seine Manieren waren fein, sein Wesen soldatisch und schneidig – wie vortheilhaft hob er sich nicht von diesen gewöhnlichen Leuten ab, von diesen plumpen, linkischen Emporkömmlingen, welche ihr Gefolge bildeten – Barras war ein sehr distinguirter Herr.
Er war zwar verheirathet, seine Frau aber hatte es abgelehnt – sie mochte wohl gewichtige Gründe dafür haben – ihm in Paris den Haushalt zu führen, deshalb mußte er anfänglich allein den Wirth spielen und im Luxembourg dasselbe thun, was er in seinem kleinen Hause in der Rue de Chaillot gethan hatte. Jetzt aber unterstützte ihn bei den Empfängen Madame Tallien, später gesellte sich noch Madame de Beauharnais hinzu. Barras (» Memoires« I, 358) sagt: »Die wirkliche Veranlassung, meine Gesellschaften zu besuchen, war für sie die, daß die Tallien seit dem 9. Thermidor mein ständiger und gefeierter Gast war.«
Diese beiden Frauen, so sonderbar es ist, vertrugen sich gut miteinander. Madame de Beauharnais, die unter den Intimen des Palais Luxembourg ihren rechten Namen »Rosa« führte, war nur in Folge von Verwendungen seitens der Tallien dem Kerker entronnen. Tallien selber hatte den Entlassungsschein ausgestellt. Sie war in einer zu ungewissen Lage, um eine so nützliche Freundschaft vernachlässigen zu können, und da sie auch voller Dank für ihre Befreierin war, so wurden die Beziehungen bald sehr intim. Von der »Chaumière« zum Luxembourg bedurfte es ja nur eines Schrittes; Josephine hatte sich bemüht, das Wohlgefallen des Herrn Barras auf sich zu lenken, und dies war ihr vollkommen gelungen – damit hatte sie den Grundstein zu ihrem späteren außerordentlichen Glück gelegt.
Daß beide Damen so vertraute Freundinnen wurden, ist ein deutlicher Beweis, daß in ihren Beziehungen zu Barras Liebe das Wort nicht führte. Bei der Einen war Ehrgeiz die treibende Kraft, bei der Anderen klingender Vortheil; Beiden gemeinschaftlich war der Hang zum Müßiggang und der völlige Mangel an Moral. Poesie gab es in diesem Dreibund nicht!
Es herrschte in den Salons des Directors ein Schein von gutem Ton, dem sich eine gewisse Ungenirtheit beigesellte. Die Bürgerin Tallien, welche sehr richtig herausgefunden hatte, daß grobe Manieren doch nicht eine nothwendige Folge des republikanischen Bekenntnisses zu sein brauchen, daß man unter Wahrung der Freiheit sehr wohl höflich sein kann, suchte in der überaus gemischten Gesellschaft bei Barras in verfeinernder Richtung zu wirken. Dies war in Bezug auf die Männer leichter als in Bezug auf die Frauen. In diesem Kehrichthaufen von Speculanten und Lieferanten, die ihre Geschäfte mit sich in die Salons des Directors bringen wollten, ging bis auf kleine Verhedderungen Alles gut ab, aber die Frauen dieser Herren, mit ihren großen rothen Händen, ihren gemeinen Physiognomien, ihrer Plumpheit und Geschmacklosigkeit, die noch besonders betont war durch Entfaltung von Toilettenpomp – und ihre Sprachweise! Diese Frauen nur ein wenig umzumodeln, war eine schwierige Aufgabe. –
Hätte damals Bussy noch gelebt, er hätte die Bemerkungen, die er über eine im bekannte Dame macht, gewiß verallgemeinert. Er sagt nämlich:
»Sie liebte Geld und Edelsteine mehr als Geist, Jugend und Schönheit.«
Der Director empfing seine Gäste stets mit dem in der besten Gesellschaft üblichen Ceremoniell » Mémoires d'une Inconnue«: »Mein Mann nahm mich ein oder zwei Mal, nicht ohne Widerstreben, mit; eine Frau, noch dazu eine junge, gehörte nicht dorthin; es war nicht angenehm mit den Frauen, welche ich vorfand, in Berührung zu kommen.«, er hörte einen Jeden, indem er sich ein wenig den Anschein des Beschützers gab, an; er ging von Gruppe zu Gruppe, sagte entweder zu Jedem Etwas, oder nickte auch nur freundschaftlich, wandte sich aber meist mit liebenswürdigen Worten von dem Einen ab und dem Andern zu, um sich endlich, zufrieden mit sich selbst, an einen Spieltisch zu setzen, an welchem mit republikanischen Karten gespielt wurde: die Könige mit Hüten, die man Dreimaster nennt, die Königinnen als Göttinnen der Freiheit mit rothen Mützen dargestellt. Die Gesellschaften im Luxembourg waren die brillantesten, die es damals in Paris gab.
Auch Tallien stellte sich, allerdings nicht so oft wie seine Frau, bei Barras ein; stets erschien er mit der Miene eines alten, lieben Freundes, allein in ihm gährte Bitterniß Madame de Chastenay: »Mémoires« I, 82. . Die Zuneigung seiner Frau hätte sein Trost sein sollen, allein sie versagte völlig. Das Glück lächelte ihm nicht mehr, Theresia auch nicht: die Frauen haben nun einmal für Die keine Liebe, die im Leben nicht reussiren. Bleiben die Erfolge aus, so bleiben auch sie aus. Ihre Herzen würden ja empfindlich leiden, müßten sie den Geliebten unglücklich sehen. Ist dies ein Beweis ihrer Feinfühligkeit, so muß man schnell hinzufügen, daß gleich nach dem Vortheil, den sie für sich im Auge haben, die Eitelkeit kommt, in ihrer Zuneigung sind Beides Hauptfactoren. Uebrigens giebt es sicherlich Ausnahmen auch von dieser Regel.
Zu den ständigen Gästen Barras' zählte auch bald der General Bonaparte. Es wurde unter der Hand gemunkelt, ihm solle das Obercommando über die italienische Armee verliehen werden. Man wußte ja, daß er sich sehr gut mit der Bürgerin Tallien stand; ja der intime Verkehr zwischen der Königin des Thermidor und dem kleinen General, der einst Kaiser werden sollte, fiel sehr auf. Er lud sie zum Frühstück ein, zu dem sich auch andere dem Hofe im Luxembourg angehörende Damen einstellten, unter Anderen auch die graciöse Creolin, Wittwe des Generals Beauharnais, mit der er sich lebhaft zu beschäftigen anfing. Bourrienne: »Mémoires« I, 362. Es scheint, daß der ehrgeizige Bonaparte, ehe er ihr den Hof machte, oder vielmehr sich von ihr den Hof machen ließ, sein Auge auf die andere Maitresse des Directors geworfen hat. Nicht um sie zu heirathen, denn sie hatte ja noch zwei Gatten am Leben, seine Liebe hat er ihr, wie Barras behauptet, erklärt, wäre jedoch erbarmungslos abgewiesen. Bonaparte rächte sich nicht, denn wie man bereits hörte, lud er sie zum Frühstück ein, auch bestand die frühere Familiarität zwischen Beiden fort. Als er das Commando der italienischen Armee übernahm, schrieb er am Schluß eines Briefes an Barras:
»Adieu, lieber Freund! In einigen Tagen bekommst Du einen Brief aus Albenga. Theile mir alle Neuigkeiten aus Paris mit. Ein Küßchen den Damen Tallien und Châteaurenault, der Ersteren auf den Mund, der Andern auf die Wange.« Bonaparte à Barras, Hauptquartier zu Nizza, 10. Germinal des Jahres IV.
Die Sitten der Zeit, die Männer oder Liebhaber gestatteten vielleicht solche vertrauliche Zudringlichkeiten. Madame Tallien, die Herrn Lacretelle und Anderen gestattete, ihren Arm zu küssen, konnte nicht allzu böse werden, wenn der Kleine sie auf den Mund küssen wollte.
Alles ging seinen Gang an dem kleinen Hofe im Luxembourg, nur Bonaparte fehlte, der gleich nach seiner Verheirathung abreisen und sein Commando der italienischen Armee übernehmen mußte. Tallien war endlich dahin gebracht, daß er garnichts mehr dazu sagte, wenn seine Frau als Maitresse zu den Füßen von Freund Barras lag. Häufig kamen Nachrichten aus Italien, jede Nachricht bezeichnete einen Sieg. Die Herzogin von Abrantes hinterließ in ihren Memoiren die Beschreibung eines solchen Festes; es fand statt an dem Tage, an welchem die von der italienischen Armee durch Junot und Marmont überbrachten Fahnen dem Directorium übergeben werden sollten.
»Junot«, sagt die Abrantes, »wurde unter Entfaltung großen Pompes empfangen; die Directoren hatten einen besonderen ceremoniellen Apparat erfunden, durch welchen sie dem französischen Volke einen hohen Begriff von einer Regierung beizubringen wünschten, unter welcher sich Sieg an Sieg reihte. Marmont und Junot, die Abgesandten des General en chef der italienischen Armee, wurden allseitig gefeiert. An dem Tage, an welchem Junot vom Directorium empfangen wurde, wollte Madame Bonaparte, die ja in Paris zurückgeblieben war, Zeugin der Feierlichkeiten sein. Sie stellte sich in Begleitung von Madame Tallien ein. Josephine war noch sehr anmuthig, die Tallien stand in der vollen Entwickelung ihrer Schönheit. Beide hatten das antike Costum angelegt, welches man damals für den Inbegriff aller Eleganz hielt, es war so reich mit Schmuck bedacht, wie es die Stunde – Mittagszeit – zuließ. Man kann sich denken, wie stolz Junot war, als er nach beendigtem Empfange den beiden Damen den Arm reichen durfte. Zunächst ersah er dazu Madame Bonaparte aus, als die Gemahlin seines Generals, den linken Arm bot er der Madame Tallien. So schritten sie zu Dreien die Treppe im Luxembourg abwärts. Draußen stand die Menge Kopf an Kopf; es entstand ein fürchterliches Gedränge, denn Jeder wollte soviel wie möglich sehen.
»Ah, das ist seine Frau … Das ist sein Adjutant. Wie jung er noch ist … Und sie … wie schön ist sie doch!« –
»Es lebe der General Bonaparte!«
»Es lebe die Bürgerin Bonaparte! Sie ist gut zu den Armen!«
»Ja – sagte eine corpulente Dame von der Halle – das ist notre dame des Victoires – die Siegesmadonna!«
»Du hast recht, und die an der andern Seite von dem Offizier, das ist die September-Madonna – notre dame de Septembre.«
Das Volk übertrug in seiner schlichten Denkungsweise das, was Tallien gethan hatte, auf seine Frau. Es wußte sehr wohl, daß Tallien bei den Septembermorden die Hand im Spiele gehabt hatte, schob aber der Madame Tallien einen Theil der Verantwortung für die Unthaten in die Schuhe. Der übertriebene Luxus, mit dem Theresia vielleicht in der Erinnerung des Volkes das Geschehene verwischen wollte, nützte Nichts: das hungernde Volk war nicht nachsichtig gestimmt, ja ihr gegenüber etwas unwirsch. Es fand in ihrer Schönheit keine mildernden Umstände. Marmont aber ist von derselben völlig geblendet. Er sagt Duc de Raguse: »Memoires« I, 87. :
»Was die Einbildung nur erdenken kann, bleibt hinter der Wirklichkeit zurück. Jung, schön im Sinne der Antike, mit bewunderungswürdigem Geschmack gekleidet, war sie Grazie und Majestät in einer Person, nicht gerade von geistiger Ueberlegenheit, wußte sie doch Etwas zu machen aus Dem, was ihr an Geist gegeben war, sie war bestrickend durch den Ausdruck der Güte in ihrem Wesen, in ihren Zügen.«
Die Zeit des Directoriums ist die Zeit der Herrschaft Theresias, ist die Zeit, da ihr Ruhm im Zenith stand. Ganz Paris beschäftigte sich mit ihr, ja man spricht eigentlich nur von ihr, nebenbei auch etwas von den errungenen Siegen, aber das sind weniger wichtige Dinge, die Pariser lassen sie gleich wieder fallen und kehren zu ihrem Lieblingsthema, der schönen Theresia, zu deren »ochsenblutfarbenen« So drückt sich ein Blatt » Le Thé« (Juni 1797) aus. Equipage, ihren Perrücken, ihren Liebhabern und ihren Toiletten zurück.
Ach, über diese Toiletten und ihren großartigen Eindruck auf Jedermann! Männlein und Weiblein kommen und laufen, wenn es heißt: da geht oder fährt die Tallien. Jeder will sie in der Nähe sehen. Bekleidet ist sie nur wenig, sie ist, wie der Kunstausdruck besagt, in einem » Deshabillé«, das ihr wirklich reizend steht. Wie man sie bewundert! Die »Incroyables«, die »Muscadins« arbeiten mit Ellbogen und Lorgnetten zugleich, um die Göttliche zu sehen. Führen Cornelia oder Lucretia oder eine andere berühmte Dame des alten Rom vorüber, man würde ihnen nicht so nachlaufen wie der in antiken Gewändern steckenden Theresia – welche Scenen auf der Promenade, benannt »Petit-Coblence«!
Jetzt hält ihr Wagen. Sie steigt aus. Man bleibt erst stehen, dann folgt man ihr. Ist sie nicht jeden Tag schöner als am vorhergehenden? Mit jener Sicherheit, jener Ueberlegenheit, welche im Gefolge des Glückes aufzutreten pflegen, besonders, wenn sich ein Gewissen hinzugesellt, welches der Tugend und Ehre spottet, schreitet die Bürgerin dahin. Ihre Gestalt überragt alle anderen Frauen, sie übertrifft dieselben auch durch ihr apartes, vornehmes Wesen: vera incessu patet Dea! In der That eine vom Olymp herabgestiegene Göttin, die der Erde einen Besuch macht. Sie trägt einen hohen Hut, dessen Seitentheile über die Ohren fallen, und von rosafarbenen, kunstvoll zerzausten Bändern emporgehalten werden. Der Hut versteckt den Hinterkopf etwas zu sehr, verhindert jedoch nicht, daß man die prachtvolle blonde Perrücke sieht – gestern trug sie eine schwarze, vorgestern eine rostfarbene Perrücken spielten damals eine große Rolle; eine Dame mit dunklem Teint mußte eine blonde, eine blonde Dame eine dunkelbraune Perrücke tragen. Perrücken gehörten zur Ausstattung junger Mädchen. Ich habe Perrücken gesehen, die 8 bis 10 000 Francs kosteten, d. h. in Assignaten, also in Silber 150 bis 200 Francs. (Herzogin von Abrantes.). Die goldenen Locken beben auf dem üppigen Nacken bei jedem Schritt, den sie macht. Nicht der rosafarbenen Bänder, nicht der blonden Locken wegen, drängt man sich um sie her – ihre Arme sind entblößt, ihre Schultern, die ganze Büste ist entblößt – das heißt ein gar dünner durchsichtiger Schleier von schwarzem Crep ohne jede Falte deckt sich darüber und scheint um Entschuldigung zu bitten, daß die schön geschwungenen, der Discretion empfohlenen Formen so keck sind, sich Jedermann zu zeigen.
Die Göttinnen, welche vom Olymp auf unsern elenden Erdball herabzusteigen geruhten, trugen gar keine Röcke – wahrscheinlich damit dieselben nicht vom Schmutzstaub der Erde besudelt würden – die göttliche Theresia hat aber doch einen Jupon, und zwar von schwarzer Gaze, an, einen reizenden Unterrock, allein man kann ihn so kaum nennen, weil kein Rock darüber ist; er fällt hinten in leichten Falten bis zur Erde, an den Seiten, um den Schritt nicht zu hindern, ist er aufgeschlitzt bis zur Hüfte – das Publikum sieht und staunt! Seidene Tricots, eng wie eine zweite Epiderme, umspannen die herrlichen Glieder, von denen die umher schwärmenden, gelb oder grün gekleideten Stutzer, die Lorgnette vor die Augen haltend, gern noch mehr sehen möchten. Gerade geht der Bürger Talleyrand vorüber, er grüßt mit aller Grazie und sagt zu einem Muskadin, der neben ihm schreitet:
»Man kann sich unmöglich in einer noch pompöseren Weise entkleiden!«
Die Bürgerin Tallien ist die »Hohepriesterin der Hemdlosen«, neben ihr steht die Bürgerin Hamelin, welche geschworen hat, den »lächerlichen Sack«, das »Leichentuch der Schönheit« abzulegen. Haben die Männer in Bezug auf die Politik Revolution gemacht, die Frauen machen Revolution in der Mode: griechisch oder römisch soll sie sein. Die Tallien geht mit gutem Beispiel voran, sie zeigt sich »nackend in einem Pelz von Gaze.« Goldne mit Rubinen, Smaragden, Diamanten besetzte Reifen umspannen die schlanken Fesseln, Armspangen verherrlichen der Arme prächtige Formen. Das Blinken des Goldes, das Blitzen der Steine mischt sich mit den bunten Farben der Sandalenbänder, den Gipfel der Modekühnheit aber bildet nicht die Mythologie des Costümes, nicht die leichte Bekleidung: es sind die Ringe an den Zehen! Diese aber verzeiht man ihr nicht – weshalb? Ein gewisser »Herr im habit quarré« schrieb eine Broschüre, in welcher schlechter Geschmack mit der Brutalität wetteifert, übrigens die Wahrheit gesagt ist; er wirft der schönen Merveilleuse »ihre Diamanten an den Vorder- und Hintertatzen« vor, er endet mit der Tirade:
»Nein, die Dirnen von der Rue du Pélican, der Rue Jean-St.-Denis, vom Quartier St. Martin sind nicht verderbter wie Du!« Lettre du diable à la plus grande pu … de Paris. – De Goncourt: »Société française sous le directoire«.
Für ihre Zehenringe ist Theresia sogleich mit einer Erklärung bei der Hand, die ja schon erwähnt wurde. Sie sagt, sie trüge dieselben, um die Bißwunden, die ihr Ratten im Gefängniß von Bordeaux beigebracht hätten, zu verstecken. Es ist bekanntlich immer Einer, der redet, und Einer, der hört. Man sollte denken, diese häßlichen Bisse wären in Strümpfen und Schuhen am besten versteckt. Theresia will nicht thun, was alle Welt thut. Dem mokanten Lächeln begegnet sie, indem sie sich mit Hoheit und Würde drapirt oder auch mit ihrem kostbaren rothen Shawl – sein Ankauf hat ein kleines Vermögen verschlungen und ist ein vielbeneideter Gegenstand. Deshalb liebt sie ihn so sehr. Sie weiß auch recht gut, wie eifersüchtig die jungen Frauen auf sie sind, wie absprechend sich die alten ihr gegenüber verhalten, daß es Uebellaunige giebt, die den ganzen Tag über sie scandaliren – das ist ihr aber gerade recht, es ist ihr lieber, daß schlecht als daß gar nicht von ihr gesprochen wird.
Es fluthet ein Meer von Klatschereien um sie her, sie hört es rauschen und freut sich:
»Nein! Wissen Sie, was man gestern sagte, es ist aber doch nicht wahr,« sagt die eine Base.
»Was sagte man denn,« fragt die andere.
»Ein aus Coblenz Entschlüpfter sollte der Bürgerin Tallien am – nun am Rücken ein Zettelchen, worauf die Worte standen: ›Achtung! Nationaleigenthum‹, befestigt haben: es ist nicht wahr, die ›Rapsodies‹ haben die Geschichte heute dementirt.«
»Wi-klich,« ruft ein Incroyable – ein richtiger Incroyable kann nämlich kein »r« aussprechen. »Seh- t-au-ig! Weiß ich ande-es!«
Und nun erzählt er, er habe sich dieser Tage die berühmte » Me-veilleuse« einmal ordentlich angesehen, sie wäre mit Diamanten besät gewesen. Mit einemmal habe sie sich umgesehen und ihn gefragt, weshalb er sie so mustere, worauf er geantwortet habe, er sehe sie nicht an, sondern die Diamanten in ihrem Diadem. Man habe seine Bemerkung so beifällig aufgenommen, daß er gleich in die Redaction der » Petite Poste« gerannt wäre und diese habe seine Bemerkung sogleich ihren Spalten eingefügt. » Petite poste«, November, Jahr V der Republik.
»Weiß man denn,« beginnt die Dickste unter den Klatschbasen, »was aus ihrem ersten Manne geworden ist?«
»Dem Blondchen?« fragt eine Andere.
»Ach, ich rede nicht von dem Saint-Fargeau, wollte man von ihren Liebhabern anfangen, da gäbe es kein Ende, dazu habe ich keine Zeit, ich meine den Fontenay.«
»Der ist doch ausgewandert!«
»Ja, ja! Man sagt aber, er wäre hier in Paris, und sie wolle sich wieder mit ihm zusammenthun; sie hat deshalb einen schrecklichen Auftritt mit Tallien, der sich einfallen ließ, eifersüchtig zu werden, gehabt. Ich weiß aus sicherer Quelle, es steht baumfest: sie hat Tallien gedroht, sie wolle ihren Ersten wiedernehmen, denn er werde ihr volle Freiheit lassen.«
»Ja, hören Sie mal, der Fontenay wußte recht gut, daß sie eines schönen Tages wieder zu ihm kommen würde. Als er ihr bei der Scheidung einen Schmuck nicht aushändigen wollte, fragte sie nach dem Grunde. Es geschieht, Madame, gab er zur Antwort, um Ihnen den Schmuck zu schenken, wenn Sie meine Maitresse sein werden.« » Rapsodies.« Fünftes Vierteljahr. Hahaha!«
Es schien, als wäre es die Bestimmung Theresias, daß sie stets die Maitresse von irgend Jemand sein müßte. Ihre Verheirathungen, dreimal im Leben, waren nur Zufälligkeiten.
Barras fügte sich in die Eitelkeiten und Verschwendungssucht Theresias so gut er konnte, dafür ließ er allen Verlockungen seiner Sinne die Zügel schießen, freute sich auch an dem »Stückchen König«, welches das Schicksal ihm zugeworfen hatte. Zwischen ihm und ihr gab es auch keinen Streit. Theresia war, wie viele andere Frauen, der Meinung, daß »Scenen« nur den Ehemännern gespielt werden dürfen, und davon konnte der arme Tallien ein Lied singen, er mag sich, wenn ihm das zum Trost gereicht, mit Georges Dandin sagen: »Du hast es gewollt, Du hast es gewollt … es steht Dir sehr gut.« Wenn er sein Geschick nicht frohen Herzens trug, so nahm er es doch auch nicht allzu tragisch, sondern ahmte den Edelleuten aus der Zeit vor der Revolution nach, zu deren Dasein dergleichen Ereignisse gehörten, und die schon im Voraus darauf gefaßt waren. Bei Dirnen suchte er sich über den Kummer zu trösten, den ihm seine Frau bereitete, im Wein die traurige Wirklichkeit zu vergessen.
Die Bürgerin Tallien mußte in eine völlig unfaßbar erscheinende, mit Erblindung verbundene Stimmung hinein gerathen sein, um so wie sie es that die ersten Anforderungen der Schicklichkeit zu verleugnen, und doch – haltet ein, gestrenge Sittenrichter, und bedenkt in Eurer gerechtfertigten Empörung, daß Theresia von Natur aus nicht schlecht, daß sie nur entgleist war. Die Sitten der alten monarchischen Gesellschaft hatten das Werk der Zerstörung begonnen; ihr Ehegatte de Fontenay dazu das Seinige beigetragen, die Freunde aber hatten das Werk vollendet. In Bordeaux kam Tallien hinzu und pflückte die noch grüne Frucht einer verrotteten Civilisation. Er nahm nicht Bedacht darauf, den Fehlern und moralischen Gebrechen seiner Maitresse mit Heilmitteln zu begegnen – man legt sich allerdings eine Maitresse nicht zu, um ihr Moral zu predigen; – sondern fand gerade in ihnen ein ihn anziehendes Moment, er kam soweit, zu glauben, diese Gebrechen bedingten sein Glück. Als er verheirathet war, änderten sich seine Anschauungen und er versuchte es mit Vorstellungen. Dies geht daraus hervor, daß sich die Gatten bald nach ihrer Verheirathung überwarfen. Außerdem aber wäre es wohl etwas zu spät gewesen, einer Frau Moral zu predigen, die man grade deshalb auserwählt hatte, weil sie keine besaß. Vor der Heirath war Zeit dazu, hätte Tallien überhaupt nachgedacht, er hätte die Cabarrus nie geheirathet. Nun kam das Schicksal und sagte zu Theresia: Du sollst eine leichtfertige, unzuverlässige Person bleiben bis zu dem Tage, da schwerwiegende Ereignisse, die Heirath mit einem Prinzen, der Abschied der Jugend, das strenge Urtheil der Welt dich zur Einkehr zwingen. Da erst wurde sie Etwas gewahr, was ihr seither völlig entgangen war, daß die Frau nicht auf der Welt ist, um sich zu amüsiren, sich schön zu kleiden, Liebhaber zu haben und wieder aufzugeben, sondern daß sie mit einer Mission auf Erden betraut ist. Vorläufig that sie weiter nichts, als daß sie sich ihrer Jugend freute und bei der Wahl näherer Bekannter überaus unvorsichtig war. Wie wäre das anders möglich gewesen, um bei dem sich zu Barras' Gesellschaften einfindenden Gesindel Gefallen zu finden? Ein Kollege des Herrn Barras bemerkt zur Sache:
»Im Luxembourg sah man in Barras' Umgebung nur Häupter der Anarchie, verkommene Aristokraten, gefallene Weiber, Bankerotteure, Schacherer und Wucherer, Maitressen und Mignons. Seine Räume im Luxembourg waren Stätten wüster Orgien, die unter seiner Intendanz stattfanden.« La Revellière-Lépeaux: »Mémoires« I, 339.
So sah es dort aus, wo Theresia ihren Thron errichtet hatte, so waren die Leute, die ihr als gebietender Königin huldigten. Vielleicht war sie an ihrem richtigen Platz, war dies die Welt, in welche sie hineingehörte und der Pamphletist hatte Recht, wenn er sagte, eine Dirne aus der Rue du Pélican wäre nicht schlechter als sie – ja die Dirne war vielleicht gar besser!
Wohl fühlte die Bürgerin Tallien, daß hinter der Neugier, mit der man sie betrachtete, eine gewisse Geringschätzung steckte – allein sie stellte den sarkastischen Bemerkungen, die ihr oft in die Ohren klangen, besonders wenn sie in ihrem leichten Costüm auf der Promenade erschien, Verachtung entgegen. Männer und Frauen des Volkes verhöhnten sie, dieser Hohn und der Tadel, dem sie in anständigen Kreisen ausgesetzt ist, genirt sie nicht; beißenden Scherzen, Pamphleten, Caricaturen begegnet sie mit demselben herausfordernden Trotz wie ihrem Gatten, wie der Moral, der Schicklichkeit. Sie ist reich, hat einen Hofhalt, macht von sich reden – was braucht sie noch mehr zu ihrem Glück? Und einen Hof hatte sie, so zahlreich, so glänzend, wie ihn nur wenige Königinnen haben. Es gab aber auch nie so viel Declassirte als gleich nach der Revolution, und diese Leute sind es, von denen ihr als Königin gehuldigt wird, die sich in ihren Vorzimmern drängen. Unter ihnen hat sie die »Damen zur Begleitung« auserwählt und wie eine Souveränin bestimmt sie Diejenigen, welchen die Ehre zugedacht ist, an ihrer Tafel zu speisen oder neben ihr im Wagen zu sitzen. Mehr oder weniger compromittirte Frauen, die noch dem ancien régime angehörten, stellten sich ihr zu Diensten, sie lassen durch ihre knechtische Unterwerfung die Hofleute der alten Zeit weit hinter sich. Wir haben schon Einige genannt: die Damen de Châteaurenault, de Navailles, Bonaparte, und fügen besonders noch hinzu Clotilde de Forbin, eine gar leichtfertige Schöne, von Barras begünstigt, Madame de Fleurieu, uneheliche Tochter des Gemahls der Pompadour, ihre Mutter war Schauspielerin, Madame de Contades, die den Aplomb und die Gestalt eines Corporals hat, Madame de Noailles, Finanzkreisen angehörend, Madame de Chauvetin, die rund war wie eine Kugel. Die Damen de Puységur, de Grandmaison, de Beaumont, de Listenay, de Brancas, de Wassy, de Villette, de Gerwasio, de Croiseuil, de Vigny, de Morlaix. Alle diese Frauen, Muster von Eleganz und moralischer Verworfenheit, umschwärmten die Bürgerin Tallien, und fühlten sich hochgeehrt, der Maitresse des Director Barras den Hof machen zu dürfen – dieses Barras, dieses Abenteurers, den die Revolution an die Spitze der Regierung Frankreichs gestellt hatte.
Als die Familie Barras von dem Glück eines der Ihrigen hörte, flog sie wie ein Schwarm gieriger Raben herbei und ließ sich auf dem Luxembourg nieder. Madame Barras allein, die treulos von ihrem Gatten verlassen wurde, weil sie eine tugendhafte Frau war, blieb dem Orte fern, an welchem der an Frankreich, an Italien begangene Raub zur Vertheilung kam. Die Uebrigen Alle kamen, um sich an den Flittergold-Thron des Vicomte zu stellen. Einige Damen der Familie vergaßen es, in ihre Provinz zurückzukehren und schlugen Wurzel im Luxembourg. Da war die Madame de Montpezat mit ihren drei Töchtern und einer Nichte, Madame Janson, lauter Cousinen des Directors. Ihre Stimmen hörte man durch alle Gemächer. Mademoiselle Clementine de Montpezat, auf der Suche nach einem Gatten, ist von einer gewissen Katzenfreundlichkeit zu allen jungen Männern mit grünen und schwarzen Rockkragen, welche nichts wie Affenstreiche im Kopfe haben und in den Salons von Clementines Onkel mit ihren gewundenen Stöcken nach Herzenslust herumfuchteln können. Clementine singt so leidlich, leider nur hat sie den Accent ihrer Provinz und singt sich in kein Herz hinein. Wenn sie nicht singt, so spricht sie und ist im Stande, Stunden lang nicht wieder aufzuhören. Sie ist unbeschreiblich langweilig, man gab sie jedoch als geistreich aus – aus Höflichkeit. Ihre beiden Schwestern sind verheirathet. Ob ihre Männer ebenso lächerlich sind wie sie, kann nicht verrathen werden. Die jüngste, Madame de Malijac, singt zwar nicht wie Clementine – sie fürchtet vielleicht, ihr Marseiller Jargon könnte die Melodien beeinträchtigen – dafür aber dichtet sie. Wenn sie sich dabei wenigstens beruhigen würde, aber sie liest ihre Dichtungen auch noch Jedermann vor und hält sich über die singende Schwester auf. Es ist die alte Geschichte von dem Balken und dem Splitter im Auge! Madame de Rougeville, die älteste der drei Schwestern, ist nun gar ein Unicum. Bei ihr handelt es sich weder um Gesänge, noch um Verse: der Klatsch ist ihre Force, der picante Klatsch! Pariser Klatschereien mag sie nicht, sie sind nicht genug gewürzt, man ist in Paris lächerlich prosaisch, seit es keinen König mehr giebt und keine Königin und keinen Hof. Nein, der Provinz-Klatsch, mit Knoblauch und Oel gewürzt, mit Bergamotte und Benzoë, geeignet den Zuhörer in die Flucht zu jagen, das ist ihr Fall, auch liebt die Dame die Wiederholungen sehr. Eigentlich steht ihr nur eine einzige Geschichte zur Verfügung, die Geschichte von der Familie Laguiche. Sie fährt mit ihr zwischen alle andern, die erzählt werden. »Erlauben Sie« …, so ruft sie, »da ist Madame de Laguiche, welche … und dann Herr de Laguiche, über welchen … auch der kleine Laguiche, Sie wissen, der Vicomte« … Dann kommen Kutscher, Diener, Zofen der Laguiches an die Reihe.
Man läßt mitten in dem Durcheinander von Grazie, Nonchalance, von Trivialität und Gemeinheit die Gesellschaft der Provinz-Damen gewähren. Barras hat die lieben Cousinen seinem Freunde Laurenceot anempfohlen, um sie zu zerstreuen, sie einzuweihen in das Pariser Leben und ihnen als Lootse zu dienen in den Salons. Laurenceot ist aber klug genug, die lästige Bürde auf die Schultern des Taugenichts, des Monsieur Louis, des Secretärs und Factotums des Directors, abzuwälzen. Louis übernimmt Alles, sogar die halbniedergebrannten Kerzen nach den Feten aus Lüstern und Leuchtern zu stehlen, um sich selbst mit denselben festliche Abende zu bereiten. La Revellière-Lépeaux: »Mémoires« I, 361. Man darf mit ihm nicht all zu streng zu Gerichte gehen, denn er ahmt das Beispiel seines Herrn nach, der die »faulsten« Geschäfte macht, um sich Geld zu verschaffen, denn seine Ausgaben sind groß, seine Maitressen kosten viel Geld. Thibaudeau: »Mémoires sur le Consulat.«
Eine merkwürdige Vorliebe hatte Barras für die Vertreter des ancien régime; da ihm aber jeder Anständige unter seinen Standesgenossen aus dem Wege ging, mußte er sich mit der Hefe der Aristokratie begnügen. Auch Madame Tallien hätte ihn vielleicht nicht erobert, hätte nicht in ihr die Marquise, oder doch eine Art von Marquise gesteckt. – Barras, der Satrap der Republik, steckte voll von den Vorurtheilen vornehmer Geburt.
Außerdem, aus Gründen, von denen sogleich die Rede sein wird, gab es in den Gesellschaften bei Barras eine ganze Anzahl von Beutelschneidern, Raubvögeln, die vom Mark des Volkes fraßen, Leuten, die mit ihren Lieferungen an die Armee den abscheulichsten Betrug trieben. Und weshalb wurde dieses Gesindel vom Herrn Director empfangen? Weil es ihm dafür, daß er über Vieles ein Auge zudrückte, ein Trinkgeld in die Hand drückte, das heißt runde Summen von 50 bis 100 000 Frcs.
Madame Tallien hatte zweifellos bei diesen Geschäften die Hand im Spiele, vielleicht nur ihretwegen; und um für ihre kostspieligen Phantasien aufzukommen, ließ Barras sich auf schmutzige Speculationen ein. Madame Tallien war es auch, die den berüchtigten Lieferanten Ouvrard bei Barras einführte. Beide sollten mit Ouvrard später einen sonderbaren Handel abschließen. Zur Zeit war der Speculant versessen auf Lieferungen für die Marine – er erhielt sie auch dank der Fürsprache Theresias.
Vielleicht ist es auch Theresias Geschicklichkeit zuzuschreiben, daß ihr Vater, Herr de Cabarrus, als Gesandter Spaniens nach Paris kam. Feststeht, daß dem General Pérignon, dem Gesandten Frankreichs in Madrid, versichert wurde – von wem weiß man nicht – das Directorium werde es gern sehen, wenn der Vater der Madame Tallien den Gesandtschaftsposten in Paris bekäme. Barras: »Mémoires« II, 468. Spanien aber verhielt sich ablehnend: man kann ihm dazu nur gratulieren, denn es wäre aller Wahrscheinlichkeit den beutegierigen Händen von Cabarrus und Tochter, von Barras und Consorten zum Opfer gefallen.
Man sieht also – Galanterien und Toiletten waren es nicht ausschließlich, mit denen Theresia sich beschäftigte; finanzielle Operationen, politische Combinationen mußten auch herhalten. Wenn die Boudoirs Politik treiben, kommt aber nichts Gutes heraus, persönliche Interessen, unsaubere Speculationen haben den Vortritt vor dem Patriotismus – und dann das Schlimmste: persönliche Gehässigkeiten kommen ins Spiel. Barras wollte seinem Haß gegen Carnot Luft machen und sich zugleich die Suprematie über die beiden großen Körperschaften sichern – die Folge war der 18. Fructidor.
Bei dem Staatsstreich dieses Datums war Theresia zweifellos betheiligt. Hatte sie sich nicht in den Kopf gesetzt, ein wenig die Königin von Frankreich zu spielen, da sie doch glaubte, es wäre mit der legitimen Monarchie in Frankreich ein für alle Mal zu Ende? Stand ihr nicht das Recht einer so hohen Stellung auf Grund ihrer Schönheit, ihrer Ueberlegenheit in allen Dingen zu? Drückten die sich täglich wiederholenden Angriffe in den Zeitungen nicht eine Bestätigung ihrer Macht aus, einer Macht, die auf solider Basis stand?
Es ärgerte sie auch, daß ihr Liebhaber nicht der Allererste im Lande war, daß noch vier Andere neben ihm auf gleicher Höhe standen: sie hätte gewünscht, er wäre der Einzige gewesen, und zwar erstens, weil er infolge seiner feinen Manieren den Andern überlegen war, zweitens, weil sie es war, die ihn leitete, und weil sie als seine Gebieterin natürlich auch die Gebieterin von Frankreich sein mußte. Am Ende dachte sie gar schon an eine Scheidung von Tallien und eine Heirath mit Barras – zur Scheidung hätte sie einen Mann wie Tallien leicht zwingen können.
Carnot-Feulins, der Bruder des Directors, hat seinem Neffen Hippolyt Carnot erzählt, daß er einige Tage vor dem 18. Fructidor zum Diner bei Barras war. Als beim Kaffee die Gäste sich im Garten zerstreut hätten, habe Madame Tallien gesagt: »Die Stellung eines Directors ist sehr schön, allein meiner Ansicht nach sollte es nur einen Director geben.« Mémoires sur Carnot par son fils II, 118.
Madame Tallien war mit ihrer Aeußerung etwas unvorsichtig, allein wir machen Bekanntschaft mit ihren Anschauungen, welche wahrscheinlich auch die des Geliebten waren.
Der Kampf zwischen dem Directorium und den beiden Staatskörperschaften war sehr lebhaft geworden; im Directorium selbst herrschte keine Eintracht. Barras, Rewbell und La Reveillère arbeiteten dahin, Carnot und Barthélemy los zu werden, da diese Herren sie genirten. Barras war die Seele aller Intriguen innerhalb des Directoriums: schließlich war ein Schwert von Nöthen, um den Knoten zu durchhauen. Madame Tallien, die Egeria von Barras, suchte ihn dahin zu bringen, daß seine Wahl auf Hoche fiele. Barras schickte also an Hoche den Befehl, eine Division von 12 000 Mann der Sambre-Armee zu entnehmen und dieselbe nach Brest in Marsch zu setzen unter dem Vorgeben einer neuen Expedition nach Irland. Die 12 000 Mann sollten Paris passiren und dort Geschäfte für Herrn Barras machen, um sich nach Beendigung derselben wieder zurückzuziehen.
Der General Hoche, dem die Lorbeeren Bonaparte's die Ruhe raubten, wünschte nichts Besseres, als eine politische Rolle spielen zu können. Er verheimlichte Barras jedoch die Schwierigkeiten in der Durchführung seines Planes nicht, indem er sich trotzdem, um sie zu überwinden, zu seiner Verfügung stellte.
Barras hatte eben in geheimen Verhandlungen mit dem Grafen Lille (Ludwig XVIII) eine Schlappe erlitten. Da dieser jede Unterstützung abgelehnt hatte, stürzte sich Barras Hals über Kopf in einen Staatsstreich, der dahin zielte, die Majoritäten im »Rathe der Alten« und im »Rathe der Fünfhundert« mit sammt der Minorität des Directoriums wegzujagen – er that dies lediglich zu seinem eigenen Vortheil.
Hatte Madame Tallien ihn bestimmt, Hoche zu wählen, so hatte eine andere Frau, nämlich Madame de Staël, Befürchtungen in Bezug auf diesen General, den sie für ehrgeizig und gefährlich hielt, verlauten lassen. Sie setzte es durch, daß Hoche nicht verwendet wurde; zornig reiste der General in sein Hauptquartier zurück und starb bald darauf, nicht etwa aus Aerger, oder an Gift, wie erzählt wird, sondern von Ausschweifungen erschöpft.
Auch Tallien spielte in der Sache eine Rolle insofern, als er bemüht war, dem Liebhaber seiner Frau zur Macht zu verhelfen, beschränkte sich jedoch darauf, im »Rath der Fünfhundert« eine Rede zu halten, beladen mit tönenden Phrasen, in welcher er nachwies, wie wünschenswerth es wäre, »daß Friede und Vertrauen zwischen dem Direktorium und dem gesetzgebenden Körper bestehe.« Mit einer solchen Rede compromittirte er sich ja nach keiner Richtung hin und konnte sich auf den Füßen halten, wie immer die Würfel fielen.
Der General Bonaparte, welcher von Italien aus die Vorgänge in Paris scharf im Auge hatte, schickte den General Augereau unter dem Vorwande, dem Directorium eine Adresse der Armee zu überreichen, nach Paris. Augereau wurde mit dem schimpflichen Auftrage beehrt, mit Gewalt in die Sitzungssäle der berathenden Körperschaften einzudringen. Der General nahm das Anerbieten an und erledigte dasselbe zur Zufriedenheit des Herrn Barras, nicht zu der Carnot's. Carnot, proscribirt und verfolgt, entging mit knapper Noth seinen Mördern und langte glücklich in der Schweiz an.
Von Carnot rühren die Worte her:
»Der 18. Fructidor wird in der Geschichte der Verbrechen seinen Platz finden und für alle Zeiten wird man seiner gedenken.« Mémoires sur Carnot par son fils II, 176.