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Inzwischen fuhr die königliche Barke in Begleitung der ansehnlichen Flottille zwischen den zahllosen beleuchteten Booten die Themse hinunter. Musik erfüllte die Luft, Feuer umsäumten den Fluß zu beiden Seiten. Über die Altstadt erglühte die Luft von unzähligen unsichtbaren Freudenfeuern. Manch ein schlanker Turm, der hoch gen Himmel ragte, war ganz mit funkelnden Lichtern besetzt, was sich aus der Ferne ansah wie von Juwelen blitzende Lanzen, die in die Luft geworfen werden. Wo die Flottille durchkam, empfing sie ein andauerndes stürmisches Hurra, das sich zwischen dem Kanonendonner hindurch wie Salvenfeuer der Infanterie anhörte.
Für Tom Canty, der in seidenen Kissen halb begraben lag, war dieses ganze Schauspiel ein unsäglicher Genuß. Seine kleinen Freundinnen dagegen, Prinzessin Elisabeth und Fräulein Johanna Grey, waren an derartige Aufzüge gewöhnt. Das Schiff fuhr weiter durch die märchenschöne Nacht bis mitten in die Altstadt hinein. Da landete die Flottille, und wenige Augenblicke später stand der glänzende Zug vor dem Rathaus. Hier wurden Tom und die beiden jungen Damen vom Lord Mayor und den Vätern der Stadt in ihren goldenen Ketten und Staatsgewändern feierlich empfangen und an den Kopf des gewaltigen Saales an einen erhöhten Sitz unter einem reichen Baldachin geleitet, während Herolde mit dem Zepter und dem Stadtschwert voranschritten. Die Herren und Damen, welche Tom und seine kleinen Freundinnen bedienen sollten, nahmen hinter deren Sitzen Platz.
An einem niederigen Tische saßen die Großen des Hofes und andere edle Gäste mit den Spitzen der Stadt. Die übrigen Teilnehmer machten sich hinter ihnen an einer Menge von Tischen bequem. Von ihrer luftigen Höhe herab schauten die Riesen Gog und Magog, die alten Wächter der Stadt, auf das festliche Gepränge, das ihnen seit vielen Menschenaltern vertraut war.
Jetzt stieß ein Herold ins Horn, worauf ein stark beleibter Fleischermeister an einem Eingange zur linken Hand erschien. Hinter ihm trugen seine Gesellen mit umständlicher Feierlichkeit einen rauchenden großmächtigen Ochsen, gebraten und mundgerecht, herein.
Nach dem Tischgebet erhob sich Tom, und das ganze Haus mit ihm, und er trank aus einem herrlichen goldenen Liebesbecher der Prinzessin Elisabeth zu. Von ihr ging er zu Fräulein Johanna und dann durch die ganze Versammlung. Damit begann das Gelage.
Um Mitternacht war die Schwelgerei auf ihrem Höhepunkt. Jetzt kam eines jener malerischen Schauspiele, die in jenen alten Tagen so sehr bewundert wurden. Zunächst traten ein Freiherr und ein Graf herein, nach türkischer Mode in Gewändern von Goldbrokat gekleidet. Sie trugen Mützen von karmesinrotem Sammet mit dicken goldenen Schnüren. An breitem goldgestickten Gehänge hingen die kostbaren krummen Säbel. Dann kamen wieder ein Freiherr und ein Graf in langen Gewändern aus gelbem Taffet, mit Aufschlägen aus weißem Taffet, die wiederum mit roten Streifen besetzt waren, nach russischer Mode. Den Kopf bedeckte eine graue Pelzmütze. Jeder von diesen hatte ein Beil in seiner Hand und an den Füßen Stiefel mit fußlangen, aufwärts gerichteten Spitzen. Hinter ihnen aber erschien ein Ritter, dann der Lordadmiral und mit ihm fünf Edle in roten Wämsern, die auf der Brust mit silbernen Kettchen geschmückt waren. Darüber trugen sie kurze Mäntel aus rotem Taffet und Hüte mit Fasanenfedern. Diese waren nach preußischer Mode gekleidet. Die Fackelträger, nahezu an hundert, erschienen in rotem und grünem Taffet. Ihre Gesichter aber waren schwarz, wie die der Mohren.
Nun erfolgte die Aufführung einer »Mummerei«. Hernach tanzten zunächst die vermummten Spielleute. Bald aber folgten auch die edlen Herren und Damen ihrem Beispiel und drehten sich in kunstvollem Reigen, was sehr vergnüglich anzusehen war.
Während Tom auf seinem erhöhten Sitz auf dieses bunte Treiben hinsah und das farbenprächtige Schauspiel der herumwirbelnden fröhlichen Gestalten bewunderte, wollte der zerlumpte wirkliche Prinz seine Rechte geltend machen und den Betrüger entlarven. Ungestüm forderte er Einlaß an den Toren des Rathauses. Die Menge freute sich höchlich über diesen Auftritt, drängte vorwärts und reckte die Hälse, um den kleinen Streithahn zu sehen. Man fing an, ihn zu höhnen und zu necken, um sich an seinem gesteigerten Zorn noch mehr zu belustigen. Tränen der Entrüstung drangen ihm in die Augen, aber er hielt stand und trotzte dem Pöbel mit königlichem Stolz. Als die Spöttereien immer ärger wurden, rief er aus:
»Und ich sage es euch wieder, ihr sittenloses Pack, ich bin der Kronprinz. So verlassen und freundlos ich auch bin, wenn auch keiner mir nur ein gutes Wort, geschweige denn Hilfe zuteil werden läßt, so will ich dennoch nicht von meinem guten Rechte weichen!«
»Ob du nun ein Prinz oder kein Prinz bist, das ist ganz gleich. Jedenfalls bist du ein tapferer Junge, und einen Freund hast du auch. Hier stelle ich mich an deine Seite und will dir beweisen, daß Michael Henden nicht der schlechteste Freund ist, den du finden kannst. Gib dich nicht mehr mit diesen Leuten ab, mein Kind. Ich weiß besser, wie man mit diesem Gelichter umzugehen hat.«
Der so sprach, war eine Art fahrender Ritter nach Kleidung, Aussehen und Haltung. Er war von hoher Gestalt, kräftig und schön gebaut. Sein Wams und seine Beinkleider waren von kostbarem Stoff, aber verblichen und fadenscheinig, und die goldenen Tressen hatten allen Glanz verloren. Seine Halskrause war zerknittert und beschädigt. Die Feder auf seinem ins Gesicht gedrückten Hut war gebrochen und unscheinbar geworden. An der Seite trug er ein langes Rapier in einer rostigen eisernen Scheide. Sein polterndes Auftreten kennzeichnete ihn sofort als alten Haudegen.
Die Worte dieser seltsamen Erscheinung wurden mit lautem Gelächter und Hallo aufgenommen. Alles schrie durcheinander: »Da ist noch ein verkleideter Prinz!« »Wahre deine Zunge, Freund, es kann dir schlecht bekommen!« »Seht einmal, wie bärbeißig der Kerl dreinschaut!« »Entreißt ihm den Jungen!« »Zur Pferdeschwemme mit dem Burschen!«
Zugleich griff einer nach dem Prinzen. Aber im nämlichen Augenblick fuhr auch schon das lange Schwert des Fremden aus der Scheide und sauste auf den vorwitzigen Angreifer nieder, daß er dröhnend zur Erde stürzte. Jetzt aber schrieen zwanzig Stimmen: »Tötet den Hund! Tötet ihn!«
Stürmisch umdrängte die Menge den Haudegen, der rasch für seinen Rücken Deckung an der Mauer suchte und nun mit seiner langen Waffe wie wahnsinnig um sich hieb. Links und rechts flogen die Angreifer heulend auf den Boden. Aber der Pöbel stürzte über ihre Leiber vorwärts und bedrängte den Helden mit ungeminderter Wut. Seine Augenblicke schienen gezählt, sein Verderben sicher, als plötzlich ein Trompetenstoß ertönte und eine Stimme rief:
»Platz da für den Boten des Königs!«
Zugleich sprengte ein Trupp Reiter mit blankem Säbel in die Meute hinein, die kreischend auseinanderfloh, so schnell die Beine sie trugen. Der kühne Fremdling hob den Prinzen auf seinen Arm, entfernte sich ruhig, und bald waren beide außer Gefahr.
Doch kehren wir nun ins Rathaus zurück. Mitten in den jubelnden Lärm des Festes schmetterte plötzlich eine Fanfare. Augenblicklich trat tiefstes Schweigen ein. Dann erhob sich eine einzelne Stimme, die des Königsboten, und begann weithin tönend eine Proklamation zu verlesen, der die ganze Versammlung stehend lauschte. Die feierlich gesprochenen Schlußworte lauteten:
»Der König ist tot!«
Wie von einem Gedanken durchzittert, beugten alle Anwesenden ihr Haupt und verharrten so eine Weile in andächtigem Schweigen. Dann aber sanken alle auf die Kniee, erhoben ihre Hände zu Tom, und mächtig erscholl aus aller Brust ein Ruf, der das gewaltige Gebäude zu erschüttern schien:
Verwundert und beinahe erschrocken ließ Tom seine Augen auf diesem feierlichen Schauspiel ruhen. Dann blickte er wie in Träumen auf die ebenfalls knieenden Prinzessinnen neben ihm und weiter, wie fragend auf den Grafen Hertford. Jetzt erhellte plötzlich ein Gedanke seine Mienen. Hastig flüsterte er Lord Hertford ins Ohr:
»Antworte mir getreulich und ohne Rückhalt! Wenn ich hier einen Befehl äußerte, den kein anderer als der König auszusprechen berechtigt ist, würde man diesem Befehle ohne Widerspruch Folge leisten?«
»Ohne allen Zweifel, mein Lehnsherr. In deiner Person gebietet die Majestät Englands. Du bist der König, dein Wort ist Gesetz.«
Da sprach Tom lebhaft und seine Stimme klang ernst und nachdrücklich:
»Dann soll des Königs erstes Gesetz ein Gebot der Gnade sein! Und Gnade soll auch fürder meine Schritte begleiten. Erhebe dich, eile nach dem Turme und verkünde dort, der Herzog von Norfolk soll nicht sterben!«
Rasch wurden diese Worte aufgefangen und eifrig von Ohr zu Ohr weitergetragen. Und wie Hertford aufstand, um dem Befehle nachzukommen, brach ein stürmischer Jubel in der weiten Halle aus, und tausendstimmig erscholl der Ruf:
»Die Blutherrschaft ist zu Ende! Lang lebe Eduard, der König von England!«