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Publizist und Zeitzeuge

Das Fest des Fürsten von Schwarzenberg

Paris, 1810

In raschem Fluge hatten wir die reichen Länderstrecken von Wien bis Straßburg und von da nach Paris zurückgelegt. Der Juni strahlte versengend in seiner ganzen Kraft, und nachdem Staub und Hitze der Sonnengluten uns im grünenden Freien fast verzehrt hatten, tauchten wir nachmittags in die dumpfe Schwüle und düstre Straßenenge der unermeßlichen, volkbewegten Stadt. Im Hotel de l'Empire der Rue Cérutti, deren Namen seitdem gewechselt haben, fanden wir bestellte Zimmer und jede erwünschte Erquickung, und konnten von den Mühen und Wallungen der Reise fast ohne Ausruhen sofort in den Wirbel dieser geschäftigen und genießenden Welt übergehen.

Wir sahen von allen Seiten bestätigt, was uns schon unterwegs überall war verkündet worden, daß in Paris jetzt kein größeres Ansehen, keine wirksamere Empfehlung gelte, als die des österreichischen Namens. Auch war derselbe, abgesehen von dem überragenden, jedem Franzosen ehrfurchtgebietenden Dastehen der Kaiserin Maria Luise, für welches die Geschichte nichts Vergleichbares zu haben schien, in einer Weise repräsentiert, mit der schwerlich von irgendeiner Seite gewetteifert werden konnte. Der österreichische Botschafter, Fürst Karl von Schwarzenberg, ein schöner stattlicher Mann voll Würde und Heiterkeit, als Kriegsmann und Diplomat seiner selbst ruhig bewußt, stellte ein entsprechendes Bild der Hoheit seines Gebieters und zugleich des gutmütigen Biedersinns jener deutschen Landsleute dar, die dem einst allgemeinen Oberhaupte noch in seiner Besonderheit angehörig verblieben waren. Der leutseligen Freundlichkeit des Fürsten stimmte die geistvolle Güte und regsame Teilnahme seiner Gemahlin, gebornen Gräfin von Hohenfeld, trefflich zu, die heranwachsenden, wohlgebildeten Söhne, von einem wackern Führer geleitet, zeigten sich in gleichem Sinne belebt, und so die sämtlichen Hausgenossen. Die Ehren- und Geschäftsverhältnisse der Botschaft waren durchaus günstig und angenehm gestellt, sie waren in Paris die einzigen, welche von französischer Seite mit Wohlwollen und Auszeichnung behandelt wurden, und nichts von der geängsteten und hülflosen Aufmerksamkeit, von der peinlichen Spannung zu haben brauchten, welche den andern politischen Beziehungen am Hofe Napoleons, selbst die seiner Brüder nicht ausgenommen, höchst widrig aufgezwungen blieben. So vermochten denn auch die verschiedenen Diplomaten und Militärpersonen, welche dem Botschafter beigegeben waren, in ihrer Tätigkeit und ihrem Benehmen die Gunst solcher Umstände äußerst vorteilhaft geltend zu machen. Der Hofrat von Floret, ein feiner, stillfleißiger und undurchdringlicher Geschäftsmann, der Major von Tettenborn, durch die glänzendsten ritterlichen Eigenschaften ausgezeichnet, der Major Graf von Wratislaw, der Rittmeister von Böhm und andere höhere Angestellte, alle lebten und wirkten in dem vergönnten Element, und inmitten der üppigen Pracht und feierlichen Würde, die der äußeren Erscheinung im Ganzen überschwenglich verliehen war, atmete das Schwarzenbergische Haus ein allgemeines, vertrauliches Wohlbehagen, ein fast unterschiedloses Zusammengehören, woran auch Fremde, welche diesen Kreis betraten, nach Sinn und Lust Teil nahmen. Wir Österreicher aber wurden sämtlich als Mitglieder des Hauses gerechnet, fanden zu jeder Stunde freundliche Aufnahme, günstigen Rat, wirksame Förderung, und waren für immer, wie groß auch die Zahl sein mochte, zu Mittag wie zu Abend eingeladen.

Der Kreis der Österreicher aber war damals in Paris nicht klein. Der ältere Bruder des Botschafters, Fürst Joseph von Schwarzenberg, hatte nebst seiner Gemahlin und übrigen zahlreichen Familie seinen Aufenthalt für einige Zeit in Paris genommen; ebenso der Fürst von Esterhazy. Die Generale Graf von Wallmoden und Graf von Neipperg hatten besondere Aufträge des österreichischen Hofes mit den französischen Behörden zu verhandeln. Der Oberst Graf von Bentheim, als Überbringer eines Schreibens des Kaisers an seine Tochter, die Kaiserin, der Graf Kaspar von Sternberg, der Graf von Paar, zwei Grafen von Sickingen, der Graf von Coudenhoven, und noch mehrere andre Österreicher von Rang und Bedeutung waren teils durch Geschäfte und Verbindungen, teils durch die Anziehung der großen Welt und der Schauwürdigkeiten dort festgehalten. Politische Verhandlungen von größter Wichtigkeit hatten sogar dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen von Metternich, den Anlaß gegeben, auf erhaltene Einladung des Kaisers Napoleon, sich persönlich nach Paris zu verfügen, wohin Gemahlin, Kinder und Bruder, nebst seinen diplomatischen Angehörigen, unter welchen der Ritter von Lebzeltern hervorragte, ihn begleitet hatten. Die wohlgebildete Persönlichkeit des im kräftigsten Mannesalter stehenden Ministers war höchst einnehmend und bedeutend, bei gemessener Haltung vollkommen frei, in heiterer Gelassenheit lebhaft, und gleicherweise fähig erscheinend, sowohl den schwierigsten Staatsgeschäften als den flüchtigen Bewegungen liebenswürdiger Geselligkeit die entschiedensten Erfolge abzugewinnen. Ihm als dem Gaste des französischen Kaisers war das Hotel des Marschalls Ney, welches die herrlichste Aussicht auf den Kai der Seine hatte, zur Wohnung angewiesen, und alle Pracht und Üppigkeit kaiserlicher Bewirtung und Dienerschaft zu Gebote gestellt. Auch hier war jeder Österreicher täglich eingeladen und willkommen, sowie auch Fremde nicht fehlten; der Kreis aber, der sich hier besonders gern an den Vormittagen bildete, ging zuletzt doch wieder in den Schwarzenbergischen über.

War auf diese Weise ein großer Lebensraum auf beiden Seiten der Seine für uns heimatlich bezeichnet und erfüllt, so erweiterte solcher sich doch noch ins Unbestimmte durch den eigentümlichen Umstand, daß in jener Zeit nicht bloß die Österreicher, sondern fast alle Deutschen in Paris, die Gesandten der Staaten des Rheinbundes, die Mitglieder der souverän gewordenen wie der mediatisierten deutschen Häuser, alle Vornehmen, welche in Paris Huldigung oder Reklamation anzubringen hatten, und ebenso die deutschen Gelehrten und Künstler, sich eifrig und beharrlich zu der österreichischen Botschaft hielten, an deren Annehmlichkeiten und Vorzügen Teil zu nehmen suchten, und persönliches wie geschäftliches Vertrauen ihr zuwandten, so daß vielleicht niemals vor- und nachher auf diesem Punkte die sämtlichen deutschen Interessen eine so wahrhaft vereinigende Mitte gehabt haben.

Dieser zugleich glänzenden und angenehmen Welt als österreichischer Offizier schon vollkommen angehörig, noch besonders aber durch günstige Bezüge und Umstände ihrem Innern vertraut geworden, durfte ich bald die glückliche Entdeckung machen, daß, ungeachtet der mit den Franzosen befreundeten Außenseite, in diesem ganzen Kreise durchgängig eine wahrhaft deutsche Gesinnung lebe, ein unzweideutiger Widerwille gegen die neugeknüpften Bande, ein festes Halten an dem Vaterländischen, daß man den Kaiser Napoleon noch immer als verhaßten Feind ansehe, und sich in dem Andenken an die vergangenen Waffentaten mehr als in diesem Friedensglanze gefalle, ja im voraus an der Aussicht auf künftig zu erneuernden Krieg schon jetzt sich labe. Diese Empfindungen nach Erfordern des politischen Verhältnisses zu verbergen, konnte nicht schwer fallen, da hier bloß Formen zu erfüllen waren, an deren leichten Austausch, sowie an die Unsicherheit ihres Inhalts, die Hof- und Staatswelt längst gewöhnt war, und Napoleon nährte jenen Sinn fast gewaltsam, indem sein Verfahren es nicht hehl hatte, daß er auf die österreichische Verbindung zwar den höchsten Wert lege, sofern sie ihm schmeichele und ihn in den Augen der Welt auf dem Gipfel der Größe zeige, daß er selbst aber dadurch in nichts gebunden, noch zu irgend einer Rücksicht bewogen sein wolle; und wirklich war er nur in den Formen minder schroff, in den Sachen aber nach wie vor hart und feindlich. Aus den herkömmlichen und als solchen ausdrücklich vorgeschriebenen und demnach nichts weiteres besagenden Redensarten und Bezeigungen durfte die abgeneigte Gesinnung um so freier zu Zeiten hervorblicken, als auch ein großer Teil der Franzosen selbst, und zwar der angesehensten und einflußreichsten, ihr zustimmte, und nicht bloß die Altadeligen und heimlichen Royalisten, die sich zahlreich am neuen Hofe eingefunden hatten, sondern sogar Männer, die ganz der Revolution oder auch allein dem Glücke Napoleons anzugehören schienen; sie suchten ihrem durch des letztern Handlungsweise oft erregten Unwillen, ihrer durch vielfache Umstände gesteigerten Opposition, gern einen auswärtigen Anhalt, um so mehr, als ihnen jeder Eifer in dieser Richtung jetzt nur günstig auszulegen, ja gleichsam als Schmeichelei für den Kaiser geboten war, und sie dabei, wenn ihr Vertrauen und Bemühen weiter ging, in jedem Falle sich auf dem Gebiete des unverbrüchlichsten Geheimnisses sicher wußten. So schwach war die Herrschaft Napoleons in der Zuneigung der Gemüter gegründet, daß man in der großen Zahl seiner höheren Vertrauten, Diener, Günstlinge und sonstigen Angehörigen, die er alle mächtig und reich gemacht, schon damals kaum drei oder vier, namentlich Duroc, Rapp und Savary, bezeichnete, auf deren wahrhafte und unbedingte Hingebung er persönlich rechnen dürfte.

Aber mehr als Politik und große Welt erfüllten mich die Gemüts- und Geistesneigungen, welche mir an diesem Orte schon beschieden waren, oder noch werden sollten. Gleich am ersten Abende suchte und fand ich glücklichst meinen Freund Chamisso, der nicht wenig überrascht war, mich hier und so wiederzusehen. Auch Immanuel Bekker, der hallische Freund und Gefährte, ließ sich auf der kaiserlichen Bibliothek, dem täglichen Felde seines staunenswerten Fleißes, leicht erfragen. Schwerer war Koreff anzutreffen, der, als geistreicher und glücklicher Arzt von der vornehmen Welt gewaltig in Anspruch genommen, im eleganten Cabriolet fast immer unterwegs war. Ganz unerwartet fand ich in der Galerie des Louvre die lieben Tübinger, Ludwig Uhland und Pregitzer, und bald auch zeigte sich aus Hamburg Karl Sieveking anwesend. Diesen ältern Freunden reihten sich schnell neue deutsche Bekanntschaften an, die an Reiz und Herzlichkeit mit jenen zum Teil wetteifern konnten. Ich nenne zuerst den alten ehrwürdigen Grafen von Schlabrendorf, dann den trefflichen Bibliothekar Doktor Hase, ferner einen jüngern Harscher aus Basel, Olivier aus Dessau, den lebensfrohen von Pilat, damals Privatsekretär des Grafen von Metternich; späterhin wird auch noch Doktor Gall und endlich Alexander von Humboldt, hier zufällig zuletzt, immer aber wesentlich als ein erster, zu erwähnen sein.

Wir Jüngeren lebten fast jeden Tag gemeinsam, und unsre Beschäftigungen, die jedem sehr verschieden und zum Teil sehr ernstlich und dringend oblagen, wovon späterhin manches bedeutende Zeugnis kund geworden, wußten wir mit unsern Vergnügungen, worin wir ganz übereinstimmten, auf das schönste zu verflechten. In dem Musée Napoleon hatten wir unsern zuverlässigen Sammelort, nahmen von hieraus unsre Gänge zu andern Merkwürdigkeiten und Gesellschaften, wo wir auf eigene Hand, abgezogen von der großen Welt, ein idyllisches, von geistigen und gemütlichen Interessen erfülltes Leben führten, für welches ich mir von dem glänzenden Kreise, dem ich nicht ganz fehlen durfte noch wollte, jeden möglichen Urlaub nahm. Unsre stillen Abende in dem damals ganz verlassenen, aber noch stets dem wetterwendischen Publikum zum Trotz regelmäßig eröffneten und glänzend erleuchteten Frascati, wo wir oft ganz allein die leeren Säle durchschritten und der zahlreichen Dienerschaft zu einiger Bewegung Anlaß gaben, der ebenso stille Aufenthalt in einem schönen Garten der Rue Richer, wo Friedrich von Schlegels Schwägerin, Henriette Mendelssohn, wohnte, die mancherlei deutsche und französische Beziehungen um sich her vereinigte, konnten wohl zu den erfreulichsten und seltsamsten Gebilden zu rechnen sein, die aus dem gewöhnlichen Lebensgewühl von Paris sich als demselben ungleichartig absonderten und forterhielten.

Das Interesse des Tages drang inzwischen überall durch, und so hörten wir denn auch von allen Seiten sowohl die Festlichkeiten rühmen, welche bereits vorüber und von uns versäumt waren, als auch besonders das eine letzte Fest hochpreisend ankündigen, durch das unser Botschafter die ganze Reihe der bisherigen glänzend abschließen und, wie jedermann voraussehe, überbieten werde. Wirklich sah man in dem Botschaftshotel, und hauptsächlich in dem weiten Gartenraume desselben, die umfassendsten Anstalten täglich fortschreiten, und bekam nach und nach einen Begriff von den verschiedenen Teilen, aus welchen das Ganze zu einem wahren Wunderwerke sinnreicher und üppiger Pracht sich aufgliedern sollte. Man betrat mit ungläubigem Zweifel wiederholt die Stätte, wo noch der Zimmermann geschäftig war, und in wenigen Tagen schon seine rohe Arbeit unter dem kostbarsten Prunke verschwunden sein mußte. Der 1. Juli war, nach manchem Verschieben, als der Tag des Festes endlich angesetzt, der Kaiser und die Kaiserin hatten die Einladung angenommen, und so stand dies Ziel unwiderruflich fest. Der Eifer und die Hülfsmittel mußten nun verdoppelt werden, man arbeitete die Nächte hindurch, deren Frische den Werkleuten sogar zur Erleichterung wurde, denn viel härter war es, daß auch die brennende Mittagshitze des seit Wochen unabgekühlten Himmels keine Rast bringen durfte. Heiß waren Balken und Bretter anzufühlen, noch heißer die Steine, welche täglich von der Sonne geglüht wurden; das Laub der Bäume und Sträucher verdorrte rings, und Rasen und Zweige, die grünend dem Feste dienen sollten, mußten künstlich erhalten werden. Über das Örtliche müssen wir noch einiges Bestimmtere angeben.

Der Botschafter bewohnte das ehemalige Hotel de Montesson in der Rue de Montblanc, ein ansehnliches, zwischen Hof und Garten gelegenes Gebäude, das jedoch für die außerordentliche Feierlichkeit nicht genügend schien; man hatte auch das nebenliegende Hotel für diese Zeit gemietet, und überall die nötige Verbindung angebracht. Diese weitläufigen Räume waren mit geschickter Anordnung eingeteilt und den verschiedenen Szenerien und Momenten des Festes zugewiesen. Zunächst den Prachtsälen des ersten Hotels hatte man seitwärts einen Gartenraum, der über Gras und Blumen gegen die vertiefte Mitte hin zu einer mäßigen Wasserstelle führte, mit großen Balken überlegt, und auf diesen, nach damals in Paris üblicher und auch bei allen vorigen Festen angewandter Sitte, den ungeheuern Hauptsaal von starkem Zimmerwerk aufgeschlagen. Die für solchen Fall schon bewährten und empfohlenen Baumeister hatten diesen Aufbau, gleich den früheren, so geschickt als geschmackvoll ausgeführt, und in dieser Hinsicht war alles nur in der hergebrachten Ordnung geschehen. Die Decke und die Seitenwände, nach außen mit Wachsleinwand überhangen, wurden inwendig mit den prächtigsten Tapeten bekleidet, mit großen Spiegeln, Wandleuchtern, farbigen Lampen und glänzendem Zierrat ausgestattet, die Säulenbalken, welche den mittlern Raum von einer galerieartigen Umfassung absonderten, mit den kostbarsten Stoffen reich umhüllt, und durch zahllose Gewinde gemachter Blumen und durch Gehänge von Musselin, Gaze und andern zarten Geweben schön verbunden; mächtige Kronleuchter von Kristall schwebten im Innern, luftig getragen von gold- und silberdurchzogenen Blumenketten, durch Draperien und Bänderschleifen mit den übrigen Verzierungen in gedrängter Fülle zusammenfließend. Im Hintergrunde des Saales, auf einer mäßig erhöhten, mit golddurchwirkten Teppichen belegten Bühnenstufe, waren zwei prachtvolle Thronsitze aufgestellt, vor diesen gab der schön zusammengesetzte und sorgsam geglättete Fußboden dem Tanze freien Raum. Der Saal hatte drei Ausgänge; einer derselben, im Hintergrunde, zunächst den Thronsitzen, führte in das Innere des Hotels, und sollte nur den nötigen Verkehr der Hausgenossen erleichtern; im Vorgrunde, nach der Gartenseite hin, ging zuerst links eine breite und lange Galerie ab, welche, gleicherweise wie der Saal gebaut und verziert, sich längs des Hotels hinzog, und dessen Gemächern wie dem Garten sich in vielfacher Verbindung unmittelbar anfügte; rechts, dieser Galerie gegenüber, in halber Höhe des Saales, befand sich eine Bühne für die Musiker, zu der aber nur mittelst einer äußern Treppe zu gelangen war; der Hauptausgang des Saales, ein prächtiges Portal, eröffnete sich in der Mitte des Vorgrundes, und führte über mehrere breit- und wohlgelegte Stufen in den Garten hinab, dessen nächster Raum hier auch für das Aus- und Einströmen einer großen Menschenmenge gehörig erweitert und eingerichtet war.

Für Pracht und Bequemlichkeit, für Ordnung und Angemessenheit war von allen Seiten bestens Sorge getragen, und nichts versäumt, was dem Feste zur Auszeichnung dienen konnte. Im Gefühle jedoch, daß hier einmal, mitten in Paris und vor den Augen Napoleons, auch die Deutschheit sich in voller Gültigkeit dürfe sehen lassen, hatte jemand den Einfall gehabt, da doch über dem Portal des Saales billig eine Inschrift Platz finde, so müsse der Nationalstolz darauf bestehen, daß sie in deutscher Sprache verfaßt sei, und wenn sich die Franzosen darüber wundern und ärgern wollten, so möchten sie es tun, denn sie dürften es doch nicht allzu laut werden lassen, da es die Sprache der Kaiserin sei, die man anwende, und die österreichische Botschaft gewiß das Recht habe, bei einem jener zu Ehren gegebenen Feste ihr, wie die Bilder, so auch die Sprache der Heimat zu vergegenwärtigen. Dies fand allseitige Zustimmung, und noch am letzten Tage wurde die Hand ans Werk gelegt. Für zwei Zeilen war der Raum leicht ermittelt, aber auch nur zwei Zeilen nicht sogleich schicklich ausgesonnen. Die es vielleicht besser gemacht hätten, z. B. ich selbst, lehnten die Aufforderung klüglich ab, und so drang freiwilliger Eifer um so leichter vor, und lieferte die beiden zwar nicht von bestem Korn, aber doch von gehörigem Schrot befundenen und durch den Reim wohlgelöteten Alexandriner:

Mit sanfter Schönheit Reiz strahlt Heldenkraft verbunden,
Heil! Heil! die goldne Zeit ist wieder uns gefunden!

Von Lapidarstil eben kein Muster, aber in Pappe für transparentes Ölpapier ausgeschnitten von guter Wirkung; die Hauptsache waren die deutschen Lettern, und diese prangten in bedeutender Größe an ihrer hohen Stelle stolz genug.

Der große Tag war endlich angebrochen, und unter letzten raschen Nachhülfen schon großenteils dahingeschwunden, die Anstalten waren vollendet, und auch die Letztbeschäftigten konnten sich nun eilig und ganz der Sorge für die persönliche Erscheinung widmen. Nichts war versäumt, diese prächtig und geschmackvoll auszustatten. Der Reichtum und die Schönheit der österreichischen Uniformen überstrahlte alles, was die Franzosen in dieser Art aufbieten konnten. Die Dienerschaft, schon immer zahlreich und prächtig, war auf mehrere Hundert verstärkt, deren ein Teil in französischer Staatskleidung prangte.

Bei guter Zeit erschien eine Abteilung Grenadiere der kaiserlichen Garde und bezog als Ehren- und Sicherheitswache die angewiesenen Posten. Noch war es heller Tag, als schon das ganze Hotel mit Angebäuden und Garten in tausendfacher Beleuchtung schimmerte und zwischen dem zu beiden Seiten der Straßen gehäuften Volksgedränge bereits die Wagen der Gäste heranrollten. Sämtliche Österreicher hielten sich zum Empfange der Aussteigenden bereit, die Damen wurden mit schönen Blumensträußen beschenkt und zu dem großen Saale hinbegleitet.

Schon füllten sich die ringsgestellten Sitze desselben, und schon flutete in seinem mittleren Räume die Bewegung enger. Die Schönheit, der Reiz, die Erlauchtheit und Bedeutung der Personen wetteiferten steigend mit jedem Augenblicke. Schon waren Könige und Königinnen eingeführt, aber diese selbst harrten noch der höchsten Erscheinung. Endlich verkündigte der kriegerische Befehlsruf und das Anschlagen der Waffen, dann das Wirbeln der Trommeln und das Schmettern der Kriegsmusik die Ankunft des Kaisers und der Kaiserin, deren Prachtwagen unter zahlreicher Begleitung zwischen den aufgestellten Truppenreihen glänzend einfuhr. An den Stufen des Eingangs empfingen die Familien Schwarzenberg und Metternich diese erhabenen Gäste, der Botschafter hielt eine kurze Anrede, und die fürstlichen Frauen überreichten auserlesene frische Blumen, welche der Kaiser annahm und seiner Gemahlin einhändigte, darauf ihr den Arm gab und sie in das Innere führte, geleitet von dem Botschafter, und gefolgt von nachdringenden dichten Scharen. Ich sah den Kaiser hier ganz nahe, und blickte ihn fest an; zum erstenmale war ich von der Schönheit seiner Gesichtszüge getroffen, aber auch von der Macht seines eisernen Aussehens. Seine Miene war streng, unbiegsam, fast böse, sein Blick vor sich hingeworfen, von Freundlichkeit keine Spur, aus diesem Munde konnten jeden Augenblick furchtbare Befehlsworte hervorgehen. Ich suchte diesem Eindrucke, der mich befangen wollte, Trotz zu bieten, und es gelang mir, ihn soweit zu bemeistern, daß ich Gedanken verfolgen konnte, deren sich zu rühmen damals nicht ratsam gewesen wäre.

Unter schmetternden Fanfaren schritt der Kaiser durch die Vorsäle und die erwähnte Galerie bis in den Hauptsaal, wo er einige Minuten verweilte, den Ort und die Menschenmenge mit scharfen Blicken flüchtig überschaute, die dargebotenen Erfrischungen zurückwies, und mit wenigen abgerissenen Worten einige nächststehende Personen nachlässig anredete. Auf die Einladung des Botschafters zu einem Gange durch den Garten folgte er nebst der Kaiserin dem vortretenden Führer durch das Portal, und die ganze Versammlung zog gedrängt nach. In den kunstreich erleuchteten Gängen und Gebüschen waren an gewählten Punkten Sänger- und Musikchöre verteilt, die bei Annäherung des Kaisers ihre Lieder und Harmonien begannen und solchergestalt dem Fortschreitenden eine ununterbrochene Triumphbegleitung bildeten. Andere schmeichelhafte Überraschungen, Sinnbilder und Anspielungen waren gleichzeitig für das Auge vorbereitet.

Vor einem großen, sorgfältig geebneten Rasenplatze wurde Halt gemacht, für das kaiserliche Paar und einige andere höchste Personen waren Sitze geordnet und die Aussicht von da geradehin auf das Schloß Laxenburg gerichtet, das in glücklicher Nachbildung täuschend dastand. Um den heimatlichen Erinnerungen der Kaiserin noch lebendiger zu schmeicheln, erschienen aus den Gebüschen, welche eine ländliche Bühne begrenzten, in österreichischer Tracht Tänzer und Tänzerinnen, es waren die der großen Oper, und sie führten mit unübertrefflicher Kunst österreichische Volkstänze und eine artige Pantomime auf, welche für diesen Anlaß eigends ausgesonnen war; Krieg und Frieden spielten darin die Hauptrollen, von jenem blieben nach allen Schrecknissen nur glorreiche Siegesehren zurück, und dieser vereinte mit ihnen seine gabenreichen Segnungen.

Dieses Schauspiel endete kaum, als die Aufmerksamkeit schon durch einen neuen Gegenstand angezogen war. Wiederholtes Peitschenknallen und andringendes Pferdegestampf verkündigte einen Kurier, der bestäubt mitten aus der glänzenden und geschmückten Versammlung hervordrang, sich achtlos bis zu dem Kaiser Bahn machte, und ihm beeifert seine Depeschen überreichte. Ein freudiges Gemurmel von großen Siegesnachrichten aus Spanien durchlief einen Augenblick die gespannte Menge, allein der Kaiser, der im Geheimnis war, sagte sogleich mit Lächeln, es seien Briefschaften aus Wien, und stellte der Kaiserin ein wirkliches Schreiben ihres Vaters zu, welches für den Gebrauch eines solchen Augenblicks eigends abgefaßt und aufbewahrt worden war.

Nach dieser Szene, die nicht ohne heitre Teilnahme der Zuschauer vorüberging, wurden die Sinne wieder in vollen Anspruch genommen durch ein plötzlich aufblitzendes Feuerwerk, bei welchem die Kunst alle ihre Erfindung angestrengt und keine Verschwendung gescheut hatte. Mitten im feuersprühenden Getöse drangen jedoch plötzlich zwischen den kunstgerechten auch wilde Flammen hervor, durch einen Zufall war eines der Gerüste in Brand geraten, und der Anblick erregte Besorgnis und Unruhe; allein mit größter Schnelligkeit rückten die schon bereitgestandenen Spritzenleute aus ihrem Hinterhalte zum Löschen heran, und sogleich war auch der Brand erstickt. Man freute sich des raschen Erfolgs, belobte die Anstalten und den Eifer der Leute, und niemand dachte, daß schon im nächsten Augenblicke ihre Hülfe noch dringender nötig, und, wo nicht gänzlich vermißt, doch durchaus unzureichend sein würde!

Der glänzende Zug hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt und war durch mannigfach geschmückte Wege allmählich zu dem großen Saale zurückgelangt. Hier brannte die deutsche Inschrift über dem Portal den Kommenden hell entgegen, und wurde gelesen, buchstabiert, gedolmetscht. Der Kaiser soll anfangs über die fremde Sprache gestutzt, dann aber schnöde gelächelt haben, und manche französische Anmerkung glossierte den deutschen Text. Von abermaligen Fanfaren begrüßt, traten der Kaiser und die Kaiserin in den Saal, nahmen die im Grunde desselben bereiteten Sitze ein, und die Musik für den Tanz hob unverzüglich an. Die Zeit neigte sich schon zur Mitternacht. Der glänzendste und schwierigste Teil des Festes war zurückgelegt, der noch übrige bestens im Gange, und Ball und Bankett verhießen ihm in rauschenden Freuden und üppigen Genüssen die prunkvollste Dauer bis zum andern Morgen. Die Königin von Neapel hatte den Ball mit dem Fürsten von Esterhazy und der Vizekönig Eugen von Italien mit der Fürstin von Schwarzenberg, der Schwägerin des Botschafters, eröffnet.

Nach den Quadrillen wurde eine Ecossaise getanzt. Während dieses Tanzes war der Kaiser und die Kaiserin aufgestanden und nach entgegengesetzten Seiten längs den Reihen der Zuschauenden vorgetreten, wandten das Wort an mehrere Personen, und ließen sich einige zum erstenmal Erscheinende vorstellen. Die Kaiserin beendigte ihren Umgang sehr bald und war bereits zu ihrem Sessel zurückgekehrt, der Kaiser aber weilte noch am andern Ende des Saales, wo ihm soeben durch die Fürstin Pauline von Schwarzenberg, geborene Prinzessin von Aremberg und Schwägerin des Botschafters, ihre Töchter waren vorgestellt worden, und er setzte hin und wieder einiges Gespräch fort, als unversehens nahebei, in der hinter den Säulen umlaufenden Galerie unfern des Ausgangs zu der großen Galerie, welche den Saal mit dem Hotel verband, eine der tausend Kerzen und Lampen ihre Flamme, von einem zufälligen Luftstrome bewegt, gegen eine leichte Gaze züngeln ließ, welche kaum berührt sogleich aufflackerte und einen augenblicklichen hellen Schein gab, der indes gleich wieder verschwand, und nur noch schwach in ein paar geteilten Flocken nachschimmerte. So gering war die Sache anfangs anzusehn, daß der Graf von Bentheim durch Anwerfen seines Hutes eines der Flämmchen glücklich ersticken konnte, der Graf Dumanoir aber, Kammerherr des Kaisers, an einem der Säulenbalken emporkletternd einen Teil des schon im Fallen erlöschenden zarten Gewebes herabriß und auf dem Boden völlig austrat. Einige Flocken jedoch hatten sich schon aufwärts mitgeteilt, höhere Gehänge, den Händen nicht mehr erreichbar, nahmen das Feuer an, und augenblicklich schlugen in verschiedenen Richtungen rasche Flammen auf, die überall in nährende Stoffe fielen, über dem Sims der Säulen hin unaufhaltsam in den höheren Mittelraum des Saales übersprangen und schnell die ganze Decke des Saales durchkreuzten. Die Musik verstummte, und erschreckt verließen die Musiker ihre zunächst bedrohte Bühne, die zu einer äußern Treppe führende Türe ließ eine stürmische Gewitterluft eindringen, welche mit aller Wut in die Flammen stürzte und sie noch wilder anfachte. Der Tanz war schon aufgelöst, man drängte verworren durcheinander, doch suchte man nur erst zu fassen, was geschah, was geschehen könne.

Napoleon hatte den Ursprung der Sache mit angesehen und wurde daher durch kein falsches Urteil gestört, er war zu der Kaiserin getreten und stand kalt und ruhig, den weiteren Verlauf beobachtend, während mehrere seiner Getreuen, die im ersten Taumel Verrat und schwarze Verbrechen fürchteten, sich ungestüm zu ihm durchdrängten und zu seinem Schutze die Degen zogen. Der österreichische Botschafter jedoch, voll Ruhe und Würde, war dem Kaiser unverrückt zur Seite geblieben, und als er die Flammen mit erschreckender Eile weitergreifen sah, forderte er ihn dringend auf, den Saal, der nicht zu retten sein würde, augenblicklich zu verlassen. Napoleon, ohne zu antworten, gab der Kaiserin sogleich den Arm und folgte dem Botschafter gemeßnen Schrittes zu dem Gartenportale, indem er die rechts und links raumgebende Menge mit kurzen Worten zur Ordnung und Besonnenheit ermahnte. Auch hielt sich alles in leidlicher Fassung, bis der Kaiser hinausgetreten war, dann aber hörte jede Rücksicht auf, und angstvoll und gewaltsam drängte sich die tobende Masse dem Ausgange zu.

Der Botschafter hatte kaum vernommen, daß der Kaiser sogleich wegfahren wolle, als er auch schon mit klugem Vorbedachte von unterwegs einen seiner Adjutanten abschickte, um die kaiserlichen Wagen von dem Hofe des Hotels, wo sie hielten und wo jetzt die größte Verwirrung und Gefahr zu befürchten stand, nach einer stilleren Seitenstraße beordern zu lassen, die den Garten begrenzte, und wo der Kaiser an einer kleinen Pforte ungestört einsteigen und unbemerkt abfahren, dadurch aber jedem Anschlage, wenn ein solcher mit diesem unglücklichen Zufalle sich verbinden möchte, am sichersten entgehen konnte. Allein Napoleon, bei dem weiteren Gange durch den Garten sogleich der veränderten Richtung inne, stand plötzlich still, fragte, wohin man ihn führe, und den erhaltenen Bescheid des Botschafters nicht gutheißend sagte er kurz und bestimmt: »Nein, nach der Hauptpforte will ich«, kehrte stracks um und hieß die Wagen, welche schon in die Seitenstraße eingelenkt hatten, an die erste Stelle zurückfahren, wodurch ein großer Zeitverlust entstand, welchen der Botschafter in qualvoller Unruhe, doch äußerlich gelassen, Napoleon aber mit vieler Geduld abwartete, indem er einen feindlichen Streich dort viel eher als hier für möglich zu halten schien. Die Angabe des »Moniteurs«, daß der Kaiser bei der Gartenpforte eingestiegen sei, ist, wie manche andre jener Schilderungen des Vorgangs, eine irrtümliche.

Späterhin erst wurden diese Umstände mir aus dem Munde der unmittelbaren Zeugen so genau bekannt. Wie mich selbst aber das Ereignis zunächst traf und in Anspruch nahm, will ich kürzlich angeben.

Ich war aus der ungeheuern Hitze, welche durch das Gewühl der Menschen im Saale auf einen unerträglichen Grad gesteigert wurde, einen Augenblick zurückgewichen und suchte in der freieren Galerie frische Luft zu atmen, als das Geschwirr und Geräusch des Festes unerwartet in einen anderartigen Lärm überging; ich höre hinter mir einzelne Schreie, aufbrausende verwirrte Stimmen, ich wende mich um und will neugierig zu dem Saale zurückkehren, mein erster Blick sieht helle Flammen zucken, die sich rasch ausbreiten; aber weder Zeit zum Erkennen noch Raum zum Vordringen ist mehr frei, eine wogende Menschenflut strömt auf mich ein und reißt mich ungestüm in ihrer Bahn fort; einige starkbeleibte Generale, die voll Entsetzen schrien: »O mein Gott, der Kaiser, der Kaiser ist nicht gerettet«, und andre, die ebenso nach Wasser riefen, hatten mich so in ihre Flucht verwickelt, daß ich mich erst im dritten Zimmer von ihnen losmachen und nach dem Schauplatze des Unheils zurückeilen konnte. Hier hatte die Galerie ihre Flüchtenden schon größtenteils in den Garten entlassen, der Zugang war durch Menschen nicht mehr versperrt, allein der ganze Saal stand in heller Glut, während an dem Portale noch ein furchtbares Fluchtgedränge wogte, das unter entsetzlichem Weh- und Angstgeschrei mit gewaltsamer Eile in den Garten abstürzte, während von innen die Flammen jeden Moment in verstärkter Wut nach ihrer Beute griffen, glühende Rauchwolken wirbelnd aufstiegen, schwere Kronleuchter prasselnd niederfielen, Latten, Bretter und Balken brennend übereinander stürzten, und der ganze Raum nur Glut und Zerstörung zeigte. Das in der Sommerhitze viele Tage hindurch ausgedörrte Holz, die feuerfangenden Stoffe aller Art, die Farbenfirnisse, die Bekleidungen, alles brannte wie vorbereitet zum Lustfeuer, die Eimer Wassers, die man hineingoß, zerstiebten augenblicklich in Dämpfe, und überall fand die Glut Nahrung, nirgends Einhalt. Kein Gedanke an Hülfe, an Rettung konnte hier aufkommen. Schneller, als hier es sich lesen läßt, war alles geschehen, und in ein paar Augenblicken, die ich zum Heraneilen und Hineinschauen im Fluge verwendete, liefen auch über mir selbst die Flammen an der Decke der Galerie schon weit hinaus, fielen in meinem Rücken schon brennende Draperien, Lampen und Leuchter herab, und ich durfte nicht säumen, ehe der Weg versperrt wurde, in den Garten zu entkommen.

Hier zeigte sich nun das gräßlichste, bewegteste Schauspiel! Wer vermöchte es zu beschreiben! Das ganze Festbauwerk loderte in Flammensäulen empor, die noch eben in diesen geschmückten Räumen versammelte Welt, an Pracht, Schönheit, Auszeichnung und Bedeutung jeder Art ein Inbegriff der Herrlichkeiten Europas, brauste aufgelöst durcheinander; allgemeiner Schrecken, persönliche Gefahr, Angst und Sorge für die Nächsten waren an die Stelle des freudigen Reizes, der ehrgeizigen Spannung getreten. Man suchte und rief die Seinigen, man durchbrach rücksichtslos das Gedränge, jeder hatte nur sein persönliches Ziel im Auge, stieß hinweg, was ihn hemmte, trat ohne Wahrnehmung darüber hin. Männer suchten ihre Frauen, Mütter waren von ihren Töchtern getrennt, hatten sie zuletzt nur in den Reihen des Tanzes noch gesehen, oder dort glücklich fortgezogen, ohne sie an der Hand behalten zu können. Keiner wußte das Schicksal des andern, man hörte Jammernde und heftig Tobende, man erblickte andre, die sich mit leidenschaftlicher Freude den wiedergefundenen Lieben in die Arme warfen, man sah Ohnmächtige, Verwundete. Die Stufen des Portals waren unter der Last der Rettungsuchenden eingebrochen, viele Personen gestürzt, von Nachdringenden zertreten, von fallenden Bränden schwer verletzt, von den Flammen ereilt worden. Die Königin von Neapel war zu Boden gesunken, der Großherzog von Würzburg wurde ihr Retter. Die Königin von Westfalen dankte ihrem Gemahl und dem Grafen von Metternich die Rettung aus größter Gefahr. Der russische Botschafter, Fürst Kurakin, wurde brennend und ohnmächtig durch den Dr. Koreff mit Hülfe österreichischer und französischer Offiziere aus dem Gewühl hervorgezogen, und von andern hülfreichen Händen mit Pfützenwasser gelöscht, während noch andre ihm die diamantnen Knöpfe vom Rock schnitten. Besonders hatten viele Frauen das Unglück, durch das Feuer an ihren leicht brennbaren Kleidern erfaßt und lebensgefährlich verwundet zu werden.

Zwischen dieses Gewühl drängten sich die Diener und Arbeiter aller Art, die teils für die Aufwartung, teils für andre Bedürfnisse der Festlichkeit zahlreich vorhanden waren, und jeder Unterschied des Standes schien aufgehoben, nie wurde Stern und Ordensband gleichgültiger behandelt, die Hoheit und Majestät weniger angesehen. Auch die vom Trinken abgerufenen Spritzenleute machten sich für ihre späte Hülfleistung gewalttätig Raum, und die von festlicher Bewirtung aufgeschreckten Tänzer und Tänzerinnen drängten sich in ihren flitterhaften Kostümen und mit noch geschminkten Gesichtern neugierig zwischen dem reichen Prunk und Staat der stolzen Hofwelt umher, die in solcher Zerrüttung jede Gleichheit unbeachtet walten ließ.

Mit leidenschaftlicher Innigkeit hatte der Fürst Joseph von Schwarzenberg im Garten seine gerettete, doch schwer verletzte Tochter umarmt, aber um so verzweiflungsvoller suchte er nun die noch vermißte Gattin. Die Tochter war an ihrer Seite gewesen, aber durch brennendes Gebälk, das zwischen beide niederstürzte, von ihr getrennt worden, und sie hatte darauf die Mutter aus den Augen verloren. Wir schalten hier am besten die Worte ein, mit welchen der Major von Prokesch, in seinen lesenswerten Denkwürdigkeiten Schwarzenbergs, die folgenden Umstände wiedergibt: »Der Fürst Joseph hatte, als der Brand ausbrach, unfern der Kaiserin im Gespräche gestanden. Er wandte sich auf den ersten Ruf der Gefahr hin nach dem Räume, wo die Reihen der Tanzenden soeben zerstoben, und wies noch, da ihm die Gemahlin des Prinzen Eugen entgegenkam, dieser und dem Vizekönige selbst eine nahe Seitentür, durch welche beide entkamen. Im Saale kämpften bereits Flammen und Dampf um die Herrschaft. Er eilte hinauf, hinab; er fand seine Gemahlin nicht. Er gelangte glücklich über die Treppe in den Garten; er fragte diesen, jenen; man wollte sie gesehen haben; man versicherte endlich mit Gewißheit, sie sei bereits im Garten. ›Dort ist sie!‹ rief eine Stimme ihm zu. Er stürzte nach dem Orte hin, und – es ist eine Dame, die ihr ähnlich sah. Da faßte seine Seele unnennbares Grauen. Die Folter der Ahndung, die ihn ergriffen hatte, war alle Grade durchgelaufen, und die Gewißheit leuchtete, ein schrecklicherer Brand, vor ihm auf. Er kehrte zurück zum Saale. Die Treppe ist gestürzt. Übereinander wälzt sich die fallende Menge. Man bringt sein Kind halb verbrannt in schonender Verhüllung vorbei. Man schleppt die Gemahlin seines Bruders, der aller Schmuck vom Haupte getreten war, an ihm vorüber. Sein Blick fällt, in der fürchterlichen Beleuchtung des Brandes, auf eine winselnde Gestalt, der das Kleid am Leibe verzehrt und das ganze Diadem tief in die Stirne geglüht war. Es ist die Fürstin von der Leyen. Ein schwedischer Offizier, der diese soeben aus dem Saale getragen hatte, versichert, mitten in den Flammen eine Gestalt wandeln gesehen zu haben, wunderbar zugleich und entsetzlich! Fürst Joseph kommt an den Eingang. Er will hinaufklettern über die brennenden Stufen. Da stürzt mit dumpfem Gerassel die ganze Fußdecke des Saales ein, und wie aus hohler Esse wallt Rauch und Glut aus den Trümmern empor. Alles ist verloren.«

So weit dieser Bericht. Seit dem Ausbruche des Feuers bis zu diesem bezeichneten Augenblicke war kaum eine Viertelstunde verflossen, und ich fortwährend auf dem Schauplatze des Ereignisses zugegen. Die mannigfachste Hülfstätigkeit für die Beschädigten, Suchenden, Auffordernden, und die stürmende Eile aller Vorgänge ließen den flüchtig aufgedrungenen Eindrücken keine sorgsame Prüfung zu. Allein für manche Angaben durften sowohl die Wahrnehmungen des einzelnen Beobachters, als auch die allseitigen damit verglichenen Aussagen aller andern Augenzeugen ein ziemlich festes Ergebnis liefern. Wenn der Moniteur die Fürstin von Schwarzenberg schon außerhalb des Saales, im Garten, mit dem Könige von Westfalen, dem Fürsten Borghese und dem Grafen Regnauld sprechen läßt, so ist dies zuverlässig unbegründet, die Verwechslung des Namens war so leicht, auch konnte gutgemeinte Absicht solche Versicherung im Augenblicke hervorrufen. Wenn aber gar der ehemalige Palastpräfekt von Beausset in seinen Denkwürdigkeiten erzählt: »On vit s'élancer une femme jeune, belle, d'une taille élégante, ... poussant des cris douloureux, des cris de mère ...«, und in dieser Weise fortfährt, die »désolante apparition« zu beschreiben, so folgt er lediglich einer dichterischen Einbildung. Niemand hat die unglückliche Fürstin als schon gerettet außerhalb des Saales gesehen oder gesprochen, niemand sie in denselben zurückkehren sehen. Eine solche Rückkehr wäre sogar eine völlige Unmöglichkeit gewesen. In der ersten Zeit würde der entgegenstürzende Menschenstrom es verhindert haben, und gleich nachher, ehe dieser noch ganz versiegt war, die ungeheure Glut selber, welche ihn jagte und schon ereilte, und unmittelbar seine Stelle einnahm. Diese Glut wurde in wenigen Minuten so heftig, daß man den brennenden Eingang, wie ich als Augenzeuge, der selber das Äußerste hierin versucht, beteuern darf, auf zehn Schritte nicht ohne die Gefahr nahen konnte, in dem versengenden Anhauche des tödlichen Qualms niederzustürzen, ja selbst der Blick vermochte in dieses Meer von Flammen und Rauch nicht mehr einzudringen, und die erwähnten Darstellungen, so wie jede künftige, sind nach diesen verbürgten Angaben zu berichtigen. Von dem Schicksale der Fürstin hatte man anfangs noch keine so schlimme Vermutung, man durfte sie gerettet hoffen, sie konnte mit andern Personen weggefahren, sie konnte ohnmächtig irgendwo im Garten hingesunken, oder unerkannt in einem der Nachbarhäuser aufgenommen sein; man hörte nicht auf, sie zu suchen, zu erforschen, und der unglückliche Fürst Joseph erschöpfte sich in tätiger Nachfrage, in Sendungen und Versprechungen.

Mittlerweile waren Saal und Galerie völlig niedergebrannt, und ungeachtet die Feuerspritzen schon eine Weile tätig wirkten, hatte die Flamme doch das Hotel selbst ergriffen, und drohte auch dieses in Asche zu legen. Das Archiv geriet zuerst in Gefahr, es zu retten war die größte Anstrengung nötig; alle Österreicher legten Hand an, Wasser zu tragen, Geräte fortzuschaffen, Haken und Äxte, wo es nötig, anzuwenden. Man warf Hut und Degen ab, selbst die Uniform, die in der Hitze nur lästig, und wie die ganze Bekleidung, durch Brand, Wasser und Arbeit schon vielfach beschädigt war.

Die Fremden hatten sich größtenteils verzogen; nur noch die näheren Angehörigen und einige vertraute Bekannte des Hauses sowie mehrere französische amtliche Personen arbeiteten und forschten noch immer auf dem Schauplatze so großen Unheils und Jammers. Anstatt der geschmückten und frohen Gäste füllten kaiserliche Gardesoldaten, durch herbeigeeilte Verstärkung wohl gegen tausend Mann betragend, den Hof, die Säle und den Garten, und dieser neue, ernst-prächtige Anblick ergriff das Gemüt durch den Kontrast mit eigentümlicher Macht. Ein noch stärkerer Eindruck stand bevor.

Der Kaiser hatte die Kaiserin nur bis zu ihrem Wagengefolge gebracht, das zur Rückfahrt nach St.-Cloud in den elysäischen Feldern ihrer harrte, und war dann nebst einem Adjutanten stracks zurückgekehrt. Unvermutet trat er hervor im grauen Überrock, und sein Erscheinen verbreitete Ernst und Schweigen. Er hieß alle vorhandenen Fremden sogleich den Platz räumen, befahl die Zugänge überall zu besetzen, und ordnete selbst die Anstalten gegen das noch nicht völlig bezwungene Feuer; der Wasserstrahl einer Spritze soll ihn hiebei unversehens getroffen und fast umgeworfen haben, ohne daß er sich dadurch stören ließ. Die Erkundigungen über die Beschädigten brachten nunmehr bald eine zuverlässige Übersicht zuwege, die Nachforschungen wegen der noch stets vermißten Fürstin wurden mit durchgreifender Macht betrieben. Zugleich ging ein furchtbares Gericht über die Anstalten und die dabei beteiligten Behörden. Der Polizeipräfekt von Paris, Graf Dubois, hatte einen harten Stand, er sollte alles wissen, allem vorgesehen haben, von allem Rechenschaft geben; die rauhe Strenge Napoleons beeiferte den geschmeidigen Diener nur zu erhöhter Tätigkeit, er entschuldigte sich nur leise, wandte sich nach allen Seiten, ordnend, bittend, fragend, jeden Augenblick zu dem Kaiser zurückeilend, und ihm die inzwischen angehäuften neuen Vorwürfe und anfahrenden Worte demütig abnehmend. Am schlimmsten erging es dem Anführer der Spritzenleute. Der General, Graf Hulin, der seinen Eifer zeigen und auch wohl zu eigenem Besten den Zornausbrüchen des Kaisers einen Gegenstand anweisen wollte, stürmte mit brutaler Gewalt auf den armen Mann los, stieß ihn mit der Faust mehrmals vor die Brust und trat mit dem Fuße nach dem Zurücktaumelnden, unter heftigen Vorwürfen und Schimpfreden; Napoleon sah streng und blitzend in einiger Entfernung zu. Der Auftritt endete mit Verhaftung und Hinwegführung des Spritzenmeisters, der nach langer Gefängnisstrafe schimpflich aus dem Dienst entlassen wurde. Von einiger Schuld der Fahrlässigkeit mag er, wie der Herzog von Rovigo behauptet, nicht freizusprechen gewesen sein, die Hülfe war nicht schlagfertig, nicht im ersten Augenblicke wirksam; allein es gab damals viele Stimmen, die ihn entschuldigten, und allgemein war die Überzeugung, daß schon bei dem Austritte des Kaisers aus dem Saale – und vorher konnte keine Spritze auf dem Platze, ja kaum gerufen sein – keine Macht der Löschanstalten das brennende Gebäude könnte gerettet haben.

Indessen wurden die Bemühungen, über das Geschick der vermißten Fürstin Auskunft zu erlangen, heftig und angstvoll fortgesetzt. Die vornehmen Hof- und Staatsdiener Napoleons flogen hin und her, die Boten eilten nach allen Richtungen und kamen wieder, immer fruchtlos, nirgends war eine Spur der Geretteten so wenig als der Verunglückten zu finden. Alle Wohnungen der Freunde und Bekannten waren beschickt, die ganze Nachbarschaft, jeder Winkel des Gartens, und auch die noch sprühende Brandstätte so viel als möglich durchsucht; alles umsonst. Ein Bild des trostlosesten Jammers, irrte der unglückliche Fürst umher, bald in den Gartengängen, bald in den Sälen erscheinend, die körperliche Erschöpfung ließ ihn fast schon zusammensinken, während die Qual des Gemüts ihn zu immer neuen Anstrengungen aufregte. Man suchte ihn fortzubringen, zu beruhigen, aber nichts wirkte auf ihn, auch die Gegenwart und Anrede des Kaisers glitten stumpf an dieser starren Verzweiflung ab.

Napoleon, des fruchtlosen Dastehens überdrüssig, und, nachdem das Feuer bis auf einzelne Glutstellen bezwungen worden, schon ohne Gegenstand persönlicher Tätigkeit, kehrte nach St.-Cloud zurück. Die Grenadiere seiner Garde aber richteten sich zum Übernachten ein, und selten mag ein Biwak so glänzende und köstliche Bewirtung gefunden haben. Die für das Gastmahl des Hofes bestimmten Speisen und Weine wurden ohne vielen Unterschied ausgeteilt.

Auch wir andern, nach so vielfacher Arbeit und Erregung endlich müßig und matt, von den auf einander gefolgten heftigen Eindrücken verstört und überwältigt, mußten zuletzt Erholung und Stärkung suchen, setzten uns zu den ersten den besten der reichgedeckten Tische, und genossen der vorhandnen Labung. Begierig tauschten wir jetzt unsre einzelnen Wahrnehmungen und Vermutungen aus, hier erläuterten sich die mannigfachen Umstände, ergänzten sich die geteilten Anschauungen, stellte sich allmählich einiger Zusammenhang auf; man hatte so vieles zu fragen, so vieles zu berichten, allein Schrecken und Besorgnis wogten noch immer auf und nieder, und bei so vielem Unglück, das man wußte, blieben noch unruhige Zweifel und bange Ahndungen genug.

Das Gewitter, welches schon lange am Himmel gestanden, brach jetzt als ein grausenvolles Zwischenspiel hervor, gräßliche Blitze entzündeten den Himmel, furchtbare Donner folgten Schlag auf Schlag, die Gebäude erzitterten, der Regen rauschte in Strömen nieder, und die letzten Gluten des Brandes wurden erst durch ihn gelöscht.

Als nach kurzem Austoben die Gewitternacht sich wieder zerteilte, sah zwischen den schweren Wolken schon die Tageshelle durch, und die Unruhe trieb uns neuerdings auf, die soeben durchlebten Ereignisse, welche, wie ein verworrener Traum, nicht faßbar noch verscheuchbar auf der Seele lagen, in ihren daliegenden Überbleibseln zu untersuchen, zu betrachten. Wir waren nur noch wenige Männer, und vereinzelten uns bald in schweigendem Umherwandeln. Ich betrat die Brandstätte, ein düstres Angehäuf von Schutt und Wust; verkohlte Balken, zertrümmerte Mauersteine, Gerät und Scherben durcheinander geworfen, in den zufälligen Tieflücken schmutzige Wasserpfuhle zusammengestockt. Man fand Teile von Kronleuchtern, zerkrümmte Degen, Armbänder und andern Schmuck, den die Glut fast unkenntlich gemacht. Nicht weit von mir stiegen Graf Hulin und Doktor Gall forschend über die Trümmer hin. Auf einmal bleibt Hulin stehen, sieht starr vor sich hinab, und ich höre die halblaut gerufenen Worte: »Doktor Gall, kommen Sie hierher, hier ist ein menschlicher Körper!« Ich gedenke noch mit Schauder des furchtbar eindringenden Tones, den diese Worte hatten; jeder Nerv wurde erschüttert, die Brust mit Angst erfüllt. Gall trat hinzu, ich war der Dritte, wir mieden jedes Geräusch und suchten uns im Stillen des gefundenen Anblicks zu vergewissern; erst nach und nach wurde er unsern Augen deutlich. Von Balken und Kohlen halb verdeckt lag in der Tiefe ein schwarzgebrannter, eingeschrumpfter Leichnam, ganz unkenntlich, die menschliche Gestalt in dieser Zerrüttung nur mit Hülfe der Einbildungskraft herauszufinden. Die eine Brust nur, welche zufällig im angesammelten Wasser zu liegen gekommen war, hatte sich erhalten, und ihre frische Weiße stach gräßlich gegen die übrigen mumienschwarzen Körperteile ab. Von Jugend auf nicht ungewohnt solcher Zerstörungsanblicke, stieß doch dieser mein Auge unwillkürlich zurück. Gall stieg in die Vertiefung hinab und glaubte die Fürstin von Schwarzenberg zu erkennen; ein paar Ringe und ein Halsband fanden sich an dem Körper, sie wurden dem Botschafter gebracht, der unfern im Garten mit einigen Begleitern umherging, und es blieb kein Zweifel mehr, das Halsband führte die Namenszüge ihrer Kinder; sie hatte deren acht, ein neuntes, noch nicht geboren, teilte ihren Tod. In diesem Augenblicke der sich entfaltenden Gewißheit entsank allen der Mut, tiefe Trauer senkte jedes Haupt, Tränen entquollen dem Auge. Ein paar starke Gewitterschläge, die letzten, erschütterten gleichzeitig die Atmosphäre, und ein betäubender Donner hallte lange nach.

Jetzt war die Sorge, dem Fürsten Joseph von Schwarzenberg sein Unglück beizubringen und zu gleicher Zeit die nötige Vorkehr in Betreff der Leiche gehörig anzuordnen. Der Ort und die Umstände ihrer Lage gaben wenigstens die tröstliche Vermutung, daß die Unglückliche nicht lebendig verbrannt sei. Wahrscheinlich hatte sie, abgeschnitten von dem Hauptausgange oder das dort stockende Gedränge zu meiden wünschend, den Nebenausgang in das Innere des Hotels zu gewinnen gesucht, war unterwegs gefallen, durch Rauch erstickt und erst nachher durch die Flammen selbst ergriffen worden, mit dem einstürzenden Bretterboden aber in jene Wassertiefung hinabgesunken.

Wir verließen nunmehr den Ort der Zerstörung und des Jammers; doch an Schlaf und Ruhe war nirgends zu denken, die furchtbarsten Traumbilder schreckten das hinsinkende Haupt schnell wieder zum wachen Anschauen der Wirklichkeit auf, und in den Straßen, welche durch das Ereignis der Nacht nur um so volkreicher belebt waren, zeigte der Morgen schon seine volle Tätigkeit.

Ganz Paris war durch Schrecken und Neugier in unruhige Bewegung versetzt. Die Nachricht von dem Brande, durch den Glutschein unmittelbar verkündet, hatte sich mit Schnelligkeit weithin ausgebreitet. Man vermutete Anschläge gegen das Leben des Kaisers, den Ausbruch irgendeiner großen Verschwörung, Ungewißheit jeder Art spannte die Gemüter. Der Verdacht, daß das Feuer angelegt gewesen sei, daß die Feinde des Kaisers, innere und äußere, durch einen kühnen Streich sich des verhaßten Herrschers, seiner Familie und seiner anhänglichsten Diener entledigen gewollt, bestand einen Augenblick allgemein, streifte wenigstens die Vorstellung der meisten Franzosen, und war bei manchen auch späterhin nicht leicht auszutilgen, die dawiderlaufenden Berichte und Zeugnisse wurden zweifelnd angehört; erst am dritten Tage erschien der ausführliche Bericht im »Moniteur«, dessen absichtsvolle Fassung wiederum nicht ganz befriedigte. Doch konnte gegen die Übereinstimmung so vieler Augenzeugen und gegen den starken Beweis, welcher in Napoleons fortgesetztem Benehmen lag, kein grundloser Wahn sich halten, und zuletzt mußte in Frankreich wie im Auslande die verbürgte Wahrheit doch den Sieg behaupten.

Nun folgte eine Reihe trauriger Tage, in denen man fast nur in dem Rückblick auf die allbesprochene Begebenheit und in den düstern Nachwirkungen derselben fortlebte. Die Bestattung der Fürstin Pauline von Schwarzenberg wurde mit herkömmlichem Trauerprunke feierlich vollbracht. Dann kamen hintereinander die Leichenbegängnisse der Fürstin von der Leyen, der Generalin Touzard und noch mehrerer andern Frauen hohen Standes, die nach schrecklichen Leiden im Verlaufe der nächsten Tage oder Wochen an ihren Brandwunden starben; im Ganzen waren über zwanzig Personen verunglückt, mehr oder minder beschädigt über sechzig. Die junge Fürstin von Schwarzenberg, der Mutter gleichnamig, und nur kaum dem Los entrissen, das der unglücklichen geworden, lag an den empfangenen Verletzungen viele Wochen darnieder, während deren man für ihr Leben besorgt war; auch das Wiederaufkommen des russischen Botschafters Fürsten Kurakin blieb noch lange zweifelhaft. Sehr bedeutend war von allen Seiten der Verlust an Kostbarkeiten; man schätzte ihn auf ein paar Millionen; der österreichische Botschafter trug neben seiner eignen großen Einbuße auch die vieler andern Personen, denen er das Verlorne oder Beschädigte ersetzte.

Ein tiefer und unheilvoller Eindruck des ganzen Ereignisses war unverkennbar. Er setzte sich unwiderstehlich in Gemüt und Einbildungskraft fest, und wiewohl man von obenher alles anwandte, um ihn herabzustimmen und auszulöschen, so erhob er sich doch in düstren Weissagungen, welche auf die Unglücksfälle bei Vermählung der österreichischen Erzherzogin Maria Antoinette und des französischen Dauphins, nachherigen Königs Ludwigs des Sechzehnten, zurückgingen, solche mit dem späteren jammervollen Ausgange des königlichen Ehepaares in Bezug setzten und den neuesten Vorfall nur zur Bestätigung dienen ließen, daß über den Verbindungen Frankreichs nach dieser Seite ein warnendes Verhängnis schwebe. Die Folge der Begebenheiten aber wollte dem abergläubischen Wahne auch diesmal zum Teil ein wenigstens scheinbares Recht nicht fehlen lassen!


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