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Artikel in der Augsburger »Allgemeinen Zeitung«
Vom Main, 24. März 1816
Die Verordnung des Großherzogs von Baden, durch welche dem Lande eine ständische Verfassung verkündigt und die Versammlung der Stände auf den 1. Aug. festgesetzt wird, erregt die freudigste Hoffnung in allen Gemütern. Schon wieder geht also ein deutscher Staat mit edelm Beispiel in derjenigen Bahn vorwärts, welche der Geist der Zeit und das Bedürfnis der Völker überall unabänderlich vorzeichnen! Wie vor kurzem Weimar, so tritt jetzt Baden, ohne äußerliche Notwendigkeit, durch kein Beispiel der großen Mächte erinnert, ohne Einwirkung der Obhut eines Bundestages, sondern aus eigenem, freiem Antrieb der Regierung, in die Reihe konstitutioneller Länder, wo Fürst und Volk durch feste gesetzliche Bande aneinandergeknüpft und in ihren Rechten gegenseitig bestätigt werden. Die Worte der dieserhalb erlassenen Verordnung sind höchst merkwürdig. Das durch sie angekündigte Werk wird nicht ohne Einfluß auf die übrigen, bereits begonnenen Werke dieser Art in Deutschland bleiben. Selbst Preußen, das große, selbstständige Preußen, kann bei seinem bevorstehenden schwierigen Konstitutionswerke die von so vielen umliegenden Ländern gegebenen Beispiele, Erfahrungen und Vorgänge seiner dankbaren Aufmerksamkeit nicht unwürdig halten. – In den preußischen Rheinprovinzen sind nun ebenfalls, wie früher in Berlin, mehrere angesehene Beamte zusammengetreten und haben eine Schrift unterzeichnet, worin sie den König bitten, eine strenge Untersuchung wegen der angeblichen geheimen Bünde anzuordnen, damit nicht der geringste Zweifel über die Ehre und Rechtschaffenheit solcher Männer bleiben könne, denen der Staat sein öffentliches Vertrauen schenkte und die nun der Denunziation jedes Unbesonnenen ausgesetzt sind. – Der preußische Gesandte bei der schweizerischen Eidgenossenschaft, geheime Staatsrat v. Grüner, hat in Frankfurt einen zehntägigen Aufenthalt gemacht. Der General Graf v. Gneisenau war von Koblenz dahin gekommen, um sich mit ihm zu besprechen. Es ist ohne Grund, daß dieser tapfere Krieger seinen Abschied begehrt habe.
Berlin, 30. Juni 1816
Was wir den Franzosen früherhin so häufig als ungerecht vorgeworfen haben, das Schreien und Drängen nach einer Konstitution – Urgesetz, Verfassungsurkunde wäre in jedem Fall ein besseres Wort, obgleich es noch nicht das ganze Wesen der Sache umfaßt – , ist nun bei uns ziemlich rege und laut geworden, und wir müssen entweder jenen Tadel von den Franzosen jetzt abnehmen oder auch unsern eigenen Bestrebungen auflegen; dies letztere aber um so mehr, als bei dem allgemeinen Untersuchen und Besprechen eines so allgemeinen Gegenstandes unvermeidlich die Eigensucht, der Unverstand und die Anmaßung sich der Vaterlandsliebe, der Einsicht und der Bescheidenheit gewöhnlich vordrängen. Daß in acht Tagen, ja in 24 Stunden eine neue Konstitution fertig sein kann, gereicht einem Volke, das durch eine Revolution von 25 Jahren verarbeitet und gerieben worden, nicht zum Vorwurf; es zeigt vielmehr, daß gewisse Grundlagen in dem Volksgeiste ein für allemal gewonnen sind, indem bei jedem Wechsel der echte, rechte Wunsch des Wahren und Guten wieder laut wird und jene Grundlagen bestätigt; weder die Jakobiner, noch das Direktorium, noch Bonaparte, noch die Bourbons haben zum Beispiel die Unabhängigkeit der Gerechtigkeitspflege angetastet, noch die Religionsfreiheit und Preßfreiheit förmlich für abgeschafft erklärt, wenn sie gleichwohl gegen letztere beide stark gefrevelt. Bei uns gibt es eine langsamere Konstitutionsarbeit, aber auch noch keine solche Grundlagen, die man in den Gemütern und Geistern als das, wohin alle zusammenkommen, annehmen und für die conditio sine qua non des künftigen Bestehens einer Konstitution halten könnte. Was unsre Schriftsteller bis jetzt geschrieben, ist noch gar zu roh und dunkel. Der einzige, der aus Prinzipien zu reden versucht hat, wie weit ist er von dem Gelingen entfernt geblieben! Wie seicht sind seine Räsonnements, wie blind sind seine geschichtlichen Ansichten, nicht besser, als ob er die Augen fest zudrückte, um am Tage zu sagen, es sei Nacht! Wie gefährlich aber die Anwendung seiner aufgestellten Sätze werden muß, hat ein gescheuter Rezensent in der Literaturzeitung gut angemerkt. Dieselbe Schwäche, worin jenes Gefährliche seinen Hauptsitz hat, findet sich in allen Schriften, die in einer Herstellung oder Neuschöpfung des oder eines Adels das konstitutionelle Heil suchen und mit dem verführerischen Schmeichelbilde einer Pairskammer, eines Oberhauses, des unveräußerlichen Grundbesitzes, erblicher Familienwürde etc. etc., der fremden und eigenen Eitelkeit und dünkelhaften Vornehmheit frönen. Solche aristokratische Einrichtungen sind in Deutschland gefährlicher als irgendeine andere; denn das untere Volk und selbst der mittlere Bürgerstand haben bei uns nirgends einen weitgreifenden Zusammenhang, nicht nur jeder Staat, sondern jede Provinz, jeder Kreis, jeder Bezirk schließt die Bürger gleichsam in der eignen Grenze ab, während die Vornehmen, und besonders die Familien des hohen Adels, durch ganz Deutschland zusammenhängen und in Gemeinschaft stehn. Nun wäre es zwar recht gut, wenn Deutschland in seiner Zerstückelung durch etwas Einigendes, das überall durchgeschlungen ist, inniger in ein Ganzes zusammengehalten schiene; aber da wäre doch jedes Band besser als das eines vornehmen Kastengeistes, der auf nichts Wesentlichem beruht und in Deutschland ja Jahrhunderte hindurch lange genug bestanden hat, als das er noch über seinen vermeintlichen Nutzen täuschen könnte. Der Aristokratismus windet unfehlbar den Herrschern die Macht und dem Volke das Recht aus den Händen, und selbst seine glimpflichste Gestalt bringt vielfache Übel mit sich. Unserm Könige muß aber die größte Macht bleiben, das fühlen alle wohldenkenden Preußen; und wenn er selbst in seiner Weisheit dieselbe zu beschränken für gut findet, so möge diese Beschränkung – die in der Ausübung schon seit langen Jahren, nur freilich durch bloße Verwilligung und noch nicht verfassungsmäßig garantiert, wirklich besteht – doch nicht ein unbedingtes Veto ausschließen und keinen Teil der hemmenden und haltenden Kraft von der königlichen Gewalt wegnehmen, um sie einem Pairshause beizulegen! Wenn Preußen auch einer Konstitution bedarf, so bedarf es ihrer doch nicht unter jeder Bedingung; und gewiß würde die Mehrheit der Preußen lieber vorderhand noch ohne eine Konstitution bleiben als das monarchische Prinzip seines Staats durch ein aristokratisches in einer Konstitution gefährdet sehn wollen. In dieser Rücksicht hat Grävell sehr richtige Gedanken vorgetragen. Auch die geistreiche Schrift eines Ungenannten, »Einige entferntere Gründe für ständische Verfassung«, geht von großen Wahrheiten und richtigen Ansichten aus, aber nichtsdestoweniger fällt sie dann zuletzt wieder in eine, wie es scheint, nicht zu überwindende Schwäche alter Lieblingsvorstellungen, indem sie von den freisten Gedanken ohne Not wieder auf einen Unterschied zurückkehrt, der als fließend und relativ wechselnd dargestellt, dennoch den Grund zu einer stetigen Ständeabteilung liefern soll! – –
Vom Rhein, 5. April 1819
Man verabscheut mit Recht die Greuel der Französischen Revolution, man hält deren schreckliche Ausartung den Regenten und Völkern mit Recht als Bild der Lehre und Warnung vor; allein beim Lichte besehn, und Greuel gegen Greuel gehalten, sind die des sogenannten Mittelalters bei weitem die schrecklichsten und abscheulichsten! Die Verwüstungen und Schrecknisse der Guillotine, was sind sie gegen die Scheiterhaufen des Fanatismus und gegen die Dolche der Feme! Und doch sind die größten Feinde der Französischen Revolution, denen ihre Ausartung zum willkommenen Vorwande dient, auch ihr Schönes und Gutes hassen zu dürfen, die hartnäckigsten Lobpreiser und Vergötterer des Mittelalters, seiner kirchlichen wie seiner feudalen Institutionen. Das schreckliche Ereignis von Mannheim Die Ermordung des Schriftstellers und russischen Staatsrats August Friedrich Ferdinand Kotzebue durch den Jenaer Theologiestudenten Karl Ludwig Sand am 23. März 1819. ist eine furchtbare Strafrede gegen die unvernünftigen, oft von der notdürftigsten Kenntnis der wahren Geschichtsverhältnisse entblößten Anpreisungen eines Zeitalters, in welchem jede dunkle Verwirrung der Gedanken, jede verruchte Handlungsweise eine fertige Bahn geheiligt fand! Die Poesie freilich mag sich von den Stoffen des Verkehrten und Gewaltsamen reichliche Nahrung nehmen, aber wehe uns, wenn unser Lebenszustand dem Bedürfnisse armseliger Poeten, deren rohen Sinnen und Händen die Poesie der neuern Zeit sich verbirgt, zum Opfer werden müßte! So zu Spott wird in dieser Behandlung Religion und Vaterlandsphilosophie, daß ein unglücklicher Jüngling, dessen früherer Wandel von allen Seiten die besten Zeugnisse erhält, von dem grausamen Wahn erfüllt werden kann, eine herrliche Tat zu begehn, wenn er den Andersdenkenden mit dem Dolche anfällt! Daß er durch die unverzeihlichste Irrung sich zum Femrichter und Vollstrecker der im nächtigen Dunkel beschlossenen Todesurteile berufen glauben und dem törichten Wahn auch das eigene Leben zum Opfer bringen mag! Dies ist eine Szene desjenigen Mittelalters, das die Obskuranten aller Art nicht aufhören uns zu rühmen und zu preisen, uns zum Vorbilde hinzustellen und zur Nachahmung zu empfehlen, dieses Mittelalters, dessen Feudalverfassung noch der Krebsschaden unsers heutigen Lebens ist und die neue Gestaltung vergiftet und entstellt! Nach der gräßlichen Probeszene wird niemand ferner das Ganze begehren wollen. Mag man über die Tat des unseligen Sands urteilen, wie man wolle, mag man seine Triebfedern psychologisch nicht in gleicher Art wie politisch verdammen; darüber wird man einstimmig sein, daß seine Handlung mehr jenen Träumen der Vergangenheit als dem Zeitgeiste der Gegenwart angehört. Die bloße Kühnheit, der persönliche Mut und Entschluß, die rohe Tapferkeit an und für sich, ohne sittlichen Zweck und vernünftige Leitung, sind uns bei weitem nicht mehr die bewundernswürdigen Eigenschaften, die sie ehemals waren, und das Heldentum muß von Vernunft und Recht jetzt seine Beglaubigung erhalten! Es ist schrecklich, daß Sand auf solchem Abwege die rechte Bahn zu wandeln meinen konnte! Seine Tat hat ihresgleichen in der Geschichte nicht; möge sie als isolierte Unbegreiflichkeit in derselben ein warnendes Denkzeichen bleiben, wie gefährlich es ist, mit den heiligsten Vorstellungen und Worten ein jammervolles Geschwätz zu treiben!
Vom Main, 14. Juni 1819
Das neue Verfassungsleben im südlichen Deutschland hat kaum recht begonnen, und schon ist es die merkwürdigste Erscheinung für die ganze Nation geworden, ein Gemeingut für alle, an dem auch diejenigen, denen es unmittelbar noch nicht gegeben ist, Mitfreude und Mitgenuß haben. Auf den festen Boden des Repräsentativsystems gegründet, sind die süddeutschen Ständeverfassungen heimische Vorbilder geworden, nach denen sich die norddeutschen Verfassungen, deren Grundlage leider noch die traurige Feudalität ist, umwandeln können; denn daß die letztern nicht mehr halten und genügen, ist wohl endlich klar am Tage, außer dem Verdammungsurteil, welches Vernunft und Recht und jede Konvenienz der Gegenwart darüber sprechen, liegt ein vollgültiges schon in der scharfsinnigen politischen Ansicht, die neulich in der bayerischen Ständeversammlung Baron v. Aretin so schön als mutig aufgestellt, daß nämlich die Feudalverfassung, schwach und kraftlos, gegenüber der starken und wirksamen Volksvertretung nicht lange bestehn kann, eine Lehre, die man vielleicht erst der Erfahrung allzu spät glauben würde! Hannover, Sachsen usw. dürfen es schwerlich auf diese Erfahrung ankommen lassen.
Was Preußen betrifft, so könnte dieser Staat noch am längsten das Repräsentativsystem zurückweisen, nicht weil dessen Einführung dort weniger notwendig wäre, sondern weil man sich über die Notwendigkeit dort leichter blenden mag. Die Blendwerke aber sind vorzüglich: 1. Daß man von jeher in Preußen gewohnt ist, ein großes Militärwesen als die Hauptsache anzusehn und sich dabei zu beruhigen; 2. daß die Begriffe über freies Staatsleben und echte Verfassungsformen in Preußen noch so sehr zurück sind, verdunkelt von unklarem Hange zum Mittelalter, zu mystischen Träumereien und eingebildeter Volkstümlichkeit. Die literarische Periode der Romantik und der zum System erhobene blinde Franzosenhaß (der als Kriegsstimmung, aber auch sonst als nichts, richtig in seinen Gründen und schön in seinen Folgen war) haben die Entwickelung der politischen Ansichten und Begriffe, deren Darstellung und Belebung wir doch vorzugsweise dem Verstande der neuen Zeit und dem Vorangehn der Franzosen danken, in Berlin und in Preußen überhaupt sehr zurückgehalten. Die Rheinlande sind zwar als ein lehrreiches Übungsstück glücklicherweise dem preußischen Staat einverleibt, aber ihr Einfluß auf die alten Länder hat wegen der Entfernung noch nicht groß werden können. Wie weit man in diesen noch zurück ist, gibt jede Schrift, die von da kömmt, zu erkennen; statt lebendiger Regsamkeit in den Köpfen und Gemütern zu bestimmten praktischem Ziel ist höchstens ein unsicheres Getreibe der Einbildungskraft, um sogenannte historische Grundlagen herum, mit denen von gewissen Seiten her ein ähnliches Götzenwesen gemacht wird wie in Frankreich mit der Legitimität! Bei so bewandten Umständen kann es begreiflich werden, daß bald an weiten Aufschub der repräsentativen Verfassung, bald an Errichtung bloßer Provinzialstände gedacht wird. Aber noch begreiflicher ist für uns, daß der Drang der Weltverhältnisse doch noch wirksamer sein wird als jene Umstände. Das ganze nördliche Deutschland wird dem Anstoße, der seit 1789 in der Welt fortwirkt, so gut folgen müssen wie das südliche, und jenem sind die Anforderungen nun um so viel näher gerückt, als sie in diesem schon erfüllt worden. Preußen wird nach und nach die Einwirkungen empfangen, die seine Patrioten lieber von ihm ausgehn sehn wollten, es wird aus dem Gemeingut nach und nach aufnehmen, was durch andre Tätigkeit schon zu größerer Reife gekommen und aus seinem Schoße so früh nicht hervorbrechen wollte. Man wird nach und nach erkennen, daß das konstitutionelle Leben so verwickelt nicht ist, die örtliche Anwendung der Grundsätze so schwierig nicht, die Formen der Volksvertretung so bedenklich nicht, daß vielmehr in allen diesen Dingen etwas allgemein Gültiges leicht wahrzunehmen ist, von dem man nirgends abgehn darf und das überall hinpaßt, eben weil es im allgemeinen Stande der europäischen Kultur gegründet ist. Das Repräsentativsystem kann nicht abgewiesen werden, da es sich in der Natur der Verhältnisse unwiderstehlich aufdringt; und wir können nicht glauben, daß sein Erscheinen mit dem der Reformation neben andrer Ähnlichkeit auch gerade diese habe, daß die Hälfte von Europa noch feudal bleiben könnte, während die andere konstitutionell wäre, und daß auch wieder Deutschland, wie früher, das traurige Bild des unglückseligen Zustands geben sollte, in dem beide Gegensätze hemmend nebeneinander fortbestünden!