Carl Franz van der Velde
Das Liebhaber-Theater
Carl Franz van der Velde

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2.

Unter schmetterndem Händegeklatsch war der Vorhang gefallen. Von der Begeisterung aller Zuschauer war Amalie, zum Jubel der muthwilligen Officiere der ehrliche Advocat Burrmann, auf sein Anstiften auch die alte Landräthin herausgerufen worden. Die Menschenfluth strömte zu Fuß, zu Roß und Wagen aus einander. Nur das Schauspieler-Personale und einige Geweihte blieben zum Abendessen auf dem Schlosse zurück.

Die Ungerechtigkeit selbst, sprach, als sich die Gesellschaft im Tafelzimmer versammelt hatte, der Amtsrath, die Backen voll nehmend: die Ungerechtigkeit selbst muß es uns einräumen, daß wir uns heute wieder mit Ruhm bedeckt haben, und ich glaube kaum, daß das Stück in der Residenz so nett und rund gegeben wird, wie bei uns.

35 Ja, sprach gähnend der Herr von Brauß: für eine Sudelei von Kotzebue ist das Ding erträglich genug ausgefallen.

Sudelei?! rief der Amtsrath wehmüthig. Das nehmen Sie mir doch nicht übel, beßter Brauß. Das Stück kann seine Fehler haben, aber eine Sudelei laß' ich es darum doch nicht schelten. Durlach ist eine Art Theekessel, das räume ich ein; aber sonst sind doch die Charaktere recht frisch und lebendig. Der aimable roué, den Sie so trefflich gezeichnet, die köstliche alte Landräthin, die wohl niemand der Frau Postmeisterin hier nachspielen wird, und vor allem die herrliche Moral, die durch das Ganze weht!

Pah! Moral? warf Brauß hin. Was ist Moral? und wie gehört Moral auf die Breter?

Ridendo dicere verum! fiel der viellesende, etwas pedantische Rector und Mittag-Prediger aus Krautberg ein, ist der Zweck des Lustspieles, mein Herr von Brauß, und was ist wahrer, als die Lehren des Sittlichguten?

Nein, bleibt mir mit Euerm tugendhaften 36 Unwesen vom Halse! rief Brauß, ohne den Einwurf einer Widerlegung zu würdigen. Es ist ein Unglück für Deutschland, daß fast alle seine Scribenten, erträgliche und schlechte, diese Leidenschaft haben. Nur Einer hat sich rein davon zu erhalten gewußt, und ragt auch hier, wie überall, weit hervor über dem Pöbelhaufen.

Der wäre? fragte der Rector mit kampflustigem Gesichte.

Der einzige Dichter, den Deutschland eigentlich nur besitzt, antwortete Brauß: der große Göthe!

Der Amtsrath wollte platzen, aber die Rücksicht auf den reichen Schwiegersohn hielt ihn zurück, und Alles, was er auf seinem Herzen hatte, hauchte er in einem langen, schweren Seufzer aus.

Sie haben Recht! antwortete der Rector heftig. Göthe weiß nichts von Tugend. Das documentirt er durch seine Stella, in der zwei sonst edle Weiber mit dem verworfenen Wüstlinge, der sie hinter einander verführt und verlassen hat, in schnöder Doppelehe zu leben sich 37 entschließen. Das beweisen seine Mitschuldigen, wo zum Finale ein Dieb pardonirt wird, weil der Bestohlene mit seiner Frau ein Liebesverständniß hat; das beweiset sein Egmont, den er, gegen alle Geschichte, aus einem glücklichen Gatten und Vater zahlreicher Kinder zu einem Libertin gemacht hat, blos um die Gelegenheit zu einer Apotheose des Maitressenthums bei den Haaren herbeizuziehen. –

Kennen Sie aber ein lieblicheres Bild, als dieses Klärchen? fragte Brauß und sang halblaut:

Freudvoll
und leidvoll,
Gedankenvoll seyn,
Hangen
und bangen
in schwebender Pein!

Was für ein Gemählde in diesen wenigen Worten!

Desto schlimmer! predigte der Rector. Wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt! und je verführerischer das Aergerniß, desto strenger die Zurechnung! Das ist ja eben das 38 Entsetzliche, daß ein Göthe die edeln Blüthen seines Geistes daran setzt, das Laster zu bekränzen, weil er es für allzu philisterhaft hält, die Tugend damit zu schmücken. Diese Neigung, fast möchte ich sagen, diese Wuth für das Sittenlose, die er in seinen Schriften – oft absichtlich – darlegt, muß jeden empören, der es gut meint mit der guten Sache!

Wuth – absichtlich! hob Brauß empfindlich heraus. Sie disputiren, wie Jeder, der seinen Gegenstand nicht zu beherrschen weiß, sondern sich von ihm beherrschen läßt. Sie übertreiben!

Ich übertreibe?! zankte der Rector immer lauter. Soll ich Sie an die beiden Romanzen erinnern, die freilich, leider, zugleich wahre Meisterstücke der Poesie sind, in denen alle Töne der Liebe, der Erhabenheit, des Schauers und der Rührung so gewaltig erklingen? Hier mißbraucht der Geist der Braut von Corinth seinen schon begrabenen Körper frech zu Stillung irdischer Brunst; dort befleckt sich ein Gott an einer Bajadere, und zum Lohne dafür, daß sie 39 ihm, nicht aus Liebe, sondern von der wildesten Genußgier gestachelt, in den Tod folgt, trägt er die Metze mit sich empor in die Freuden des Himmels.

Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder! declamirte Brauß:

Unsterbliche heben verlorene Kinder
mit feurigen Armen zum Himmel empor!

Wie groß! Aber natürlich kann ein orthodoxer Theologe für die Mythe von einem Heidengotte keinen Sinn haben!

Und die Wahlverwandtschaften mit ihrem doppelten geistigen Adulterio, eiferte der Rector fort: und die Bekenntnisse aus Welschland, wo uns, nicht blos ohne Scham und Scheu, sondern mit Lust und Liebe und eitler Prahlerei alle Details des Verkehrs mit den dortigen Lazerten erzählt werden; und die Blocksbergnacht im Faust, wo Mephistopheles und die alte Hexe bei dem Tanze Dinge singen, die der Dichter selbst nur mit Gedankenstrichen anzudeuten gewagt hat. Was soll man von einem Schriftsteller halten, der sich nicht schämt, seinem 40 Publico solche Kost anzubieten? Leider aber ist der große Mann durch das ewige Beräuchern mit oft recht übelriechenden Specereien betäubt worden, und hält sich nun für Deutschlands Dalai Lama, dessen Excremente noch gut genug sind zu Amuleten für seine gläubigen Anbeter.

Die Göthen nicht erkennen, sind nur Gothen! schrie Brauß, zornig aufspringend.

Wir kommen zu tief in den Text, meine Freunde! rief, einen Ausbruch ernstlicher Händel besorgend, der Schloßherr. Laß doch die Suppe bringen, Aphanasia!

Der arme Referendar ist ja noch nicht da, antwortete Aphanasia mit bittendem Tone. Unsers Vergnügens wegen hat er sich unterdeß am Sterbebette des alten Buschmüllers heiser gesprochen, und da wäre es doppelt unrecht, wenn wir seiner nur mit der linken Hand warten wollten.

Warum nicht? Sie kommt ja vom Herzen! flisterte der Referendar ihr zu, der schon vor einer Weile still eingetreten war und jetzt hinter ihrem Stuhle stand.

41 Sie haben also den Streit mit angehört, Herr Referendar? sprach der Amtsrath: nun müssen Sie uns aber auch Ihre Meinung zum Beßten geben.

Mit Vergnügen, erwiederte der Referendar: sobald ich nur erst darüber im Klaren bin, worüber eigentlich gestritten wird. Wie es mir scheint, haben die Herren in der Wärme des Gespräches den anfänglichen Streitpunkt verrückt, und zuletzt war nur von Göthe's Werth oder Unwerth die Rede.

Richtig! antwortete der Amtsrath, während die Suppe aufgetragen wurde. Und Sie sollen uns sagen, wer von Beiden Recht hat.

Ich glaube Beide, sagte, als die Gesellschaft am Tische Platz genommen hatte, bescheiden der Referendar: so wie nach meiner Ansicht auch Beide Unrecht haben.

Junge Gelehrte gefallen sich bisweilen in Paradoxen, bemerkte Brauß empfindlich.

Ich will gleich darüber eine Erklärung geben, die weder Hörner noch Klauen hat, sagte lächelnd der Referendar. Herr von Brauß hat 42 Recht, wenn er seinen Dichter hoch stellt, aber er irrt, wenn er seine Bildsäule auf den Altar im deutschen Musentempel heben und den andern Dichtern nur höchstens in den Nischen ringsum Büsten zugestehen will; er irrt, wenn er die Schmutzflecken, die Göthe's Schöpfungen allerdings hier und da entstellen, als Schönheiten vertheidigt.

Dadurch wäre zugleich das Recht ausgesprochen, das Sie mir zuerkennen, fiel der Rector ein. Worin aber besteht mein Unrecht?

Daß Sie jene Flecken viel zu strenge rügen, erwiederte der Referendar. Um unsere schöne Erde zu tadeln, schelten Sie auf ihre Sümpfe und Giftgewächse, ihre Raubthiere und ihr Ungeziefer. Aber Sie schweigen von ihren Schönheiten, die, größer und zahlreicher als alle diese Mängel, eben so sehr zum Wesen der Erde gehören. Wo viel Licht ist, muß starker Schatten fallen. Dieser Geist, reich, tief, frei und großartig wie die Natur, die er uns von ihrem Höchsten bis zu ihrem Gemeinsten so wahr und lebendig vor Augen legt, kann sich nicht 43 in zu enge Regeln schnüren lassen, und wer ihn richten will nach den Gesetzen der Puritaner, der versündigt sich schwer an ihm.

Hm, hm, brummte der Rector: der Herr Referendarius sind doch auch gar zu tolerant, und scheinen nebenbei den streitigen Dichter ebenmäßig zu überschätzen.

Gewiß nicht, betheuerte der Referendar: aber Schätzung verdient der Stylist, den Werther und Wilhelm Meister bewährt haben; verdient der Dichter der Iphigenia, dieses reinen Kunstgebildes aus griechischem Marmor mit deutschem Meißel geschnitten; verdient der Schöpfer des herrlichen Götz, dieses ehernen Ritterbildes, der uns wie mit einem Zauberschlage in seine Zeit versetzt und darin festhält, bis sein Freiheitruf den letzten Seufzer der Liebe und des Schmerzes uns aus der Brust zieht; verdient der treue, kräftige Seelenmaler im Egmont und im einzigen, gewaltigen Faust!

Die kühle Gerechtigkeit, die sie meinem Ideal hinterdrein erweisen, sprach mit stillem Ingrimm Brauß: kann mich nicht mit Ihrem 44 vorigen Ausspruche versöhnen. Darf man fragen, wessen Bildsäule Sie auf den Altar stellen, von dem Sie Deutschlands Apollo herabwerfen wollen?

Wessen anders, als Schillers?! rief der Referendar rasch und feurig.

Mir aus der Seele gesprochen, flisterte der Amtsrath, sich freudig die Hände reibend.

Schillers? fragte mit dehnendem, verdrießlichem Tone Brauß. Ich achte seine Diction und Lyrik, aber was ist auch weiter viel an ihm?

Fragen Sie lieber: Was nicht?! rief hitzig der Referendar. Seine Kraft und Fülle, seine Zartheit und Gediegenheit, die lebendige Wahrheit seiner Charaktere, vor allem aber seine hohe Reinheit. Wer mag ihm eine Johanna nachbilden, oder eine Thekla?! Wie verklärt die läuternde Flamme seines Genius selbst die Buhlerinnen, die er schafft. Durch alle seine Werke weht der Geist einer Religiosität, die hoch steht über allen Religionen der Erde! Und – da es mir erlaubt seyn muß, von Dichtern in 45 Bildern zu sprechen: Göthe erscheint mir als eine herrliche Gegend in der Ebene, von der vollen Mittagsonne beleuchtet, mit Bäumen umgrenzt, von Silberflüssen durchströmt, von üppigen Saaten begrünt, mit Blumen gestickt, und eine lebendige Landstraße zieht sich durch, mit zum Theil recht guter Gesellschaft, aber auch mit allerlei Gesindel, wie es auf den Landstraßen hauset, das es sich hier und da sehr bequem macht, und sich gehen läßt ohne Rücksicht auf ehrbare Zuschauer.

Bravo! rief der Rector laut, und leise stimmte, aus Rücksicht auf Brauß, der Amtsrath in dieß Bravo ein.

Und Schiller? fragte Brauß, sich in die Lippen beißend.

Schiller? fuhr der Redner fort: ist ein köstliches Schweizerthal mit blühenden Matten und hohen, vom Adler umkreisten Alpenkronen, mit donnernden Wasserstürzen und rauschenden Wäldern. Im Osten steigt der Mond herauf, im Westen ist die Sonne niedergesunken, und über die Berge erhebt sich in stiller 46 Majestät, rein und stolz, nachglühend von den Strahlen der verschwundenen Flammenkugel, die ewige Jungfrau.

Bravissimo! rief der Rector, und mit keckem Muthe und lauter Stimme fiel dießmal der Amtsrath ein.

Schillers Manen! rief der Assessor, und hielt sein Glas lächelnd dem Herrn von Brauß hin, der das seine nothgedrungen mit einem süßsauern Gesicht anklingen ließ.

Auch die Todten sollen leben! jubelte der Amtsrath, mit dem Rector und dem Referendar kräftig anstoßend, daß die seinen englischen Gläser wie Silberglocken durch das Zimmer sangen. O Aphanasia, rasch zum Flügel! Schillers Freudenlied! Wir wissen es zwar Alle auswendig, aber es ist doch das herrlichste dieser Gattung, und ich kann mich niemals satt daran hören.

Aber nach der alten Melodie und nach dem alten Texte! bat der Director: die späteren Aenderungen sind wahrlich keine Verbesserungen, und so wenig im Geiste des Dichters, 47 daß man daraus auf die Einwirkung eines fremden, höchst anmaßenden Ballhorn schließen möchte.

Aphanasia war unterdeß an den Flügel getreten. Ihr lieblicher Gesang schuf dem schönen, alten Liede neuen Jugendreiz, und der ersten Leseart getreu, gab sie der Mode ihr theilendes Schwert und den Bettlern die ihnen entrissene Fürstenbrüderschaft zurück.

Während die ganze Gesellschaft mit manchen Dissonanzen im Chore einfiel, rückte der Amtsrath dem Referendar noch näher auf den Leib, mit der Linken das Knie des jungen Menschen vertraulich anfassend, in der Rechten die Steinweinflasche zum allzeitfertigen Einschenken bereit haltend.

Das war ein Wort zu seiner Zeit, lieber, junger Mann, sprach er nach den ersten Strophen zu ihm: Sie haben mit edler Kühnheit, großer Unpartheilichkeit und mir dabei wie aus der Seele gesprochen, ohne doch, wie der gute Rector, mit der Thüre in's Haus zu fallen, oder das Kind mit dem Bade zu verschütten. 48 Hören Sie, wir müssen bekannter mit einander werden.

Der Referendar neigte sich mit einem verlegenen Lächeln, denn aus dem freundlichen Gesichte des Amtsrathes schloß er, daß dieser ihm so eben etwas Angenehmes sage, aber von den Worten hatte er nichts vernommen, weil bei der Stelle: »Wer ein holdes Weib errungen,« seine Blicke Aphanasia's schöne Augen suchten, fanden, und, des Findens froh, brennend in ihnen festwurzelten.

Der Freuden-Päan klang fort, und die Damen der Gesellschaft, der guten, alten Frauensitte treu, benutzten Aphanasia's Solo's, um unter einander über die bunte Welt auf den Bretern und im Parterre zu schwatzen und auch wohl ein wenig zu lästern. Anfangs geschah das noch mit halbgedämpfter Stimme, aber nach und nach schwoll das leise Geflister zum lauten Gespräche an, und Aphanasien blieb weiter nichts übrig, als über ein halbes Dutzend Strophen auf den festen Muth in schweren Leiden zu springen und der 49 Lügenbrut ihren Untergang zu verkündigen. Freudig schwur der Chor bei dem goldenen Weine des Amtsrathes und dem Sternenrichter dem Gelübde treu zu seyn, Aphanasia schloß den Flügel, und dem lauten Jubel folgte eine tiefe Stille.

Sollte man nicht glauben, daß die Damen gar nicht zu reden wüßten! schalt der Amtsrath. Vorher konnten Schiller und Aphanasia und mein Flügel ihr eigenes Wort nicht hören vor dem Gezwitscher dieser Kanarienvögel, und nun auf einmal silentium, wie an einer Klostertafel. Darf man fragen, was so angelegentlich verhandelt worden ist? Ich habe nicht Lust mir etwas davon unterschlagen zu lassen. Die Stille wurde noch stiller. Endlich brach die Postmeisterin, die nicht Lust hatte, sich zu ihrer mündlichen Recension der jungen Durlach und des Advocaten Burrmann zu bekennen, das allgemeine Schweigen.

Wir sprachen darüber, log sie in der Geschwindigkeit mit edler Fassung. wann und was wohl das nächste Mal gespielt werden würde.

Wann? das ist leicht beantwortet, erwiederte 50 der Amtsrath. In drei Wochen ist der Geburttag des alten Generals, den ich mir vorgenommen habe mit einem Schauspiel zu feiern. Aber was? Hic haeret aqua Etwas groß muß es schon ausfallen, um zu der Feier des Tages zu passen.

Ja, ja! schrie die Gesellschaft einstimmig. Ein Spectakelstück!

Und wo möglich ein Ritterstück, bemerkte Aphanasia. Wir haben noch keines aufgeführt.

Und es muß sich in den Puffen und den Stuartkragen weit besser spielen, als in der ledernen Alltagtracht, bemerkte die Postmeisterin, der man es ansah, wie sie sich schon auf ein edles Fräulein aus dem herrlichen Mittelalter spitzte.

Ein Ritterstück? sprach bedenklich der Amtsrath. Ja, lieben Kinder, das ist leicht gesagt, aber schwer gethan. Die Kräfte unsers Theaters werden nirgend zureichen.

Es wird schon gehen, sobald Sie nur wollen, Herr Amtsrath! schrie die Gesellschaft.

Es kommt ja doch alles auf einen 51 tüchtigen Director an, flötete Mamsell Willig, mit ihrer weißen Hand die amtsräthliche Wange streichelnd: und wo könnten wir einen bessern finden?

O Eva, Eva! schmunzelte der geschmeichelte Amtsrath. Mache mir den Apfel nicht noch appetitlicher, nach dem ich ohnehin schon mehr verlange als mir gut ist. Ich weiß es ja längst, daß die verdammten Ritterstücke einen ganz eigenen Reiz haben, und ich möchte mich seelengern noch einmal vor meinem Ende sehen als einen alten biderben Rittersmann mit weißen Augenbrauen und einem weißen Schnauzbart, der mir zum Helme heraushinge; aber es ist dabei gar zu vielerlei zu bedenken. Wo sollen wir das ganze Costüm in der Geschwindigkeit herbekommen, die Rüstungen und Schwerter und Spieße, und die Humpen und Hüfthörner, und die Burgen und Verließe? und dann reicht unser Personale nirgend zu. Nein, lieben Leute, glaubt es mir, an gutem Willen fehlt mir es nicht, und auf ein Paar Hände voll Geld kommt es mir, Gott sey Dank, 52 auch nicht an, aber es geht nun und nimmermehr!

Es käme wohl zunächst nur darauf an, schlug der Referendar vor: ein Stück zu wählen, und dann zu sehen, ob es sich hier nicht etwa doch besetzen ließe.

Das ist ein prächtiger Einfall! rief Aphanasia. Ich will gleich das Buch aus unserer Bibliothek holen. Befiehl nur welches, lieber Vater.

Ich dachte schon – sprach zögernd der Amtsrath. Aber nein, es geht wirklich nicht.

Doch nicht etwa gar von Göthe oder Schiller? fragte spöttisch der Herr von Brauß.

Daß mich Apollo und alle neun Musen bewahren! rief der Amtsrath. Nein, an diese Giganten wollen wir Pigmäen uns nicht erst wagen. Wer hoch steigt, fällt tief. Darum bleibe ich lieber fein unten auf gleicher Erde, wo Kotzebue und Compagnie stehen, unter meines Gleichen.

Ich ahne schon, wozu Du Lust hast, sprach Aphanasia. Ich hole sogleich das Stück, und Du wirst mir gestehen, daß ich es getroffen habe.

53 Sie flog hinaus. Es wird nicht gehen, wiederholte der Amtsrath. Und ginge es auch wider alles Vermuthen, so ist da noch so Vieles zu beseitigen. Ich brauche einen Prolog zur Feier des Tages. Vor einem solchen Heldenstücke aber muß der hoch gehen. Mit Familienfesten und gewöhnlichen Sentimentalitäten reiche ich da nicht aus. Ich wollte so etwas gern für ein Paar Ducaten in der Residenz bestellen, aber man weiß ja, was sie einem da für Fabrikwaare schicken, und soll es nun einmal seyn, so muß alles brillant ausfallen vom Anfang bis zum Ende, damit wir Ehre einlegen.

Wenn Sie mich mit dem Detail und Ihren Wünschen bekannt machen wollen, Herr Amtsrath, sprach der Referendar: so biete ich mich zum Prologdichter an. Sie sollen meinen Versuch schon morgen haben, und dann noch Herr und Meister seyn, ihn anzunehmen, oder zurückzuweisen.

O, o, o! stammelte der Amtsrath, durch dieß zuvorkommende Erbieten eben so überrascht 54 als erfreut; und die Postmeisterin und Mamsell Willig sahen einander mit einem Lächeln an, welches verrieth, daß ihnen die Quelle dieser Bereitwilligkeit nicht fremd war.

Hier ist der Ritter ohne Furcht und Tadel! rief hereineilend Aphanasia und legte ein aufgeschlagenes Buch vor ihrem Vater auf den Tisch.

Auf Ritterwort, die Dirne hat's getroffen! improvisirte der Amtsrath, und blätterte nach den Personen: ich meinte den Bayard. Der General stammt eigentlich aus einer französischen Familie, und diese Wahl würde ihm daher doppelt schmeicheln. Aber es ist ja ganz und gar unmöglich. Dieß Regiment Männerrollen und sieben, sage sieben Weiber! –

Und die Elendigkeit des Stückes selbst, spottete Herr von Brauß ein.

Schlagt ihn todt, es ist ein Recensent! rief, halb scherzend, halb böse, der Amtsrath. So elend, wie es Ihnen beliebt, lieber Brauß; aber ich wette was Sie wollen, daß Sie in dem elenden Stück wieder sehr gut spielen und einige Lorbeerwälder ernten würden.

55 Wenn ich dieß gütige Urtheil nicht ablehnen müßte, erwiederte Brauß, sich mit stolzer Bescheidenheit verneigend: so wäre das immer nicht Kotzebue's Verdienst, sondern das meinige.

Wie man sich doch zur Ungerechtigkeit spornen kann! sprach ärgerlich der Amtsrath. Wollen Sie etwa die Möglichkeit verfechten, daß man in einem total schlechten Stücke excelliren kann? Wenn Sie das behaupten, so lasse ich, auf meine Ehre, das nächste Mal die zärtlichen Schwestern von Gellert aufführen, und Sie sollen mir an Julchens Liebhaber, dem galanten Damis, verzweifeln.

Die Personen, lieber Vater, die Personen! quälte Aphanasia, und der Amtsrath las: Franz der Erste, König von Frankreich.

Rittmeister Graf Erbach, schlug Aphanasia vor. Es ist ja noch ein ganz junger Mann.

Ich hätte ihn auch allenfalls, fiel Brauß ein, den Kopf mit königlicher Würde zurückwerfend –

Ei behüte! erwiederte der Amtsrath. Sie kann ich besser brauchen. Weiter! Der Admiral?

56 Baron Appenrode, meinte Aphanasia.

Der wird es bleiben lassen, wendete der Amtsrath ein. Er ist etwas hoffärtiger Natur und hat sich bisher immer hinter die Kanonen gezogen. – Wenn lauter Prinzen und Prinzessinnen spielten, so würde er uns allenfalls die Ehre erweisen.

Für das Geburtfest des Generals thut er schon ein Uebriges, versicherte Aphanasia: und der Admiral war ja die erste Militair-Charge in Frankreich. Lassen Sie mich nur machen!

Bayard, fuhr der Amtsrath fort: Herr von Brauß!

Es gilt wenigstens den Versuch, sprach Brauß stolz: aus einer poetischen Unform einen Charakter zu schaffen, und das ist schon der Mühe werth.

Ligny, las der Amtsrath weiter. Den ließe ich mir nicht nehmen, wenn es noch dazu käme. Das ist ein schönes, liebes, kurzes Röllchen. Nicht viel zu lernen, eine köstliche Erzählung, in der man sich zeigen kann, so gut wie in der Erzählung des Theramene in der Phedre, und 57 ein delicater Abgang. Talmond, Tremouille, Tardieu?

Talmond und Tremouille sind ganz unbedeutend, versicherte Aphanasia. Sie brauchen nichts als guten Wuchs und militairische Haltung. Graf Erbach liefert uns schon ein Paar Officiere aus der nächsten Garnison dazu, – Tardieu? – Walther.

Gratias! rief Walther zufrieden. Ich will den Weiberhasser, den Natursohn, den rohen Edelstein, wie ihn Bayard nennt, recht con amore hinstellen.

Basco, Paolo Manfrone? las der Amtsrath weiter, die Stimme bedenklich erhöhend.

Der Rentschreiber hat den Christian gut gemacht und wird den Basco nicht verderben, sagte Aphanasia, die für alles Rath wußte. Paolo Manfrone, – wer anders, als unser noble intriguant Horneck?

Ich hätte mich freilich gern einmal als Liebhaber versucht, brummte der Postmeister, –

Und – Volteggio! rief der Amtsrath mit einem schweren Seufzer.

58 Steht zu Befehl, sprach der Referendar, sich verbeugend.

Sie? – Viel kühner Muth! rief der erstaunende Amtsrath mit König Philipps Worten: doch kühn will ich den Dilettanten. Ich mag es gern leiden, wenn auch der Becher überschäumt. Es ist ein starkes Stück, denn Volteggio ist eigentlich ein zweiter Liebhaber, aber Sie sollen ihn haben. Es soll mir auf ein Paar Special-Proben nicht ankommen. – Prinz Bourbon und Rochefort?

Die Leutnants Falkenberg und Seethal, antwortete Aphanasia rasch.

Du bist unerschöpflich! sprach beifällig der Amtsrath; aber in dem Augenblicke überschaute er den Rest des Personales, und das Buch entsank seiner Hand. Nein, es geht doch nicht! rief er kläglich. Da gibt es, ausser einer Masse von Rittern und Soldaten, noch einen Wundarzt, einen jungen Maler, einen nichtswürdigen Stallmeister und zwei verruchte Marodeurs!

Wie können Sie sich um Ritter und 59 Soldaten grämen, lachte Aphanasia: da eine ganze Schwadron Dragoner zu unserer Disposition steht? Den Wundarzt und die beiden Marodeurs streichen wir. Den Stallmeister nimmt der Schreiber des Assessors, und für den jungen Maler werde ich, schlimmsten Falls, auch noch Rath schaffen.

Wenn er nicht zugleich mit Volteggio vorkommt, rief, im Eifer seiner Bereitwilligkeit zu allem Möglichen, der Referendar: so erbiete ich mich noch dazu!

Sehr gütig, liebster Freund, erwiederte der Amtsrath mit ironischem Lächeln: muß aber verbindlichst danken. Die beiden Leutchen kommen doch wenigstens in dem nämlichen Akte vor, und ich kann zwei Rollen in einer Hand nicht leiden. Es stört die Illusion und sieht obendrein so aus, als wollte man, und könnte nicht. Der junge Maler ist also noch unbesetzt. Gleichermaßen Talmond und Tremouille, die doch immer gespielt seyn wollen.

Schlimmsten Falles lassen sie sich in eine Rolle zusammendrängen, rief entschlossen 60 Aphanasia. Dem sey aber, wie ihm wolle, ich stehe für sämmtliche Mannschaft!

Was jedoch die sieben Damen anbetrifft, begann jetzt der Amtsrath mit schwerem Herzen, in das Buch schauend: so werden solche wohl für uns eine recht ominöse Sieben constituiren.

Die Zahl habe ich schon beisammen, sprach Aphanasia: Frau von Horst, Fräulein Birk, Madam Horneck, Mamsell Willig, die beiden Töchter des Conrectors und meine Wenigkeit. Die Vertheilung müssen wir aber noch recht gründlich überlegen und besprechen, denn es gibt dabei noch mancherlei zu bedenken.

Ja wohl, seufzte der Amtsrath: damit wir es Allen recht machen! und die Damen sind bisweilen recht schwer zu contentiren.

Das machen der Herr Amtsrath, wie es Ihnen am beßten dünkt, sprach nachdrücklich die Postmeisterin. Nur bitte ich mir, auf jeden Fall, dießmal die lange verheißene Liebhaberin aus. Von sieben Damenrollen wird sich doch hoffentlich eine dieser Art für mich erübrigen lassen.

61 Und nicht wahr, es bleibt bei dem Stücke?! rief Walther. Ich bin in meinen Tardieu schon ganz verliebt, und hoffe Ehre mit ihm einzulegen. Ihr Wort, Herr Amtsrath, unsere nächste Vorstellung heißt Bayard!

Quod deus bene vertat! sprach der Amtsrath, in die dargebotene Hand einschlagend.

Das ist herrlich! jubelten die von der Gesellschaft, denen die zugetheilten Rollen zusagten, oder die deßfalls noch gute Hoffnung hegten, und draußen stieß der Nachtwächter zwölf Mal in sein Lärmhorn.

In der schauerlichen Mitternachtstunde empfange ich Ihr Gelübde, declamirte der Assessor mit lustigem Pathos. Apollo strafe den Wortbrüchigen!

Aber nun ist es auch wahrhaftig die höchste Zeit zum Nachhausegehn, sprach aufstehend die Postmeisterin; und die Gesellschaft brach auf, sich bückend und knixend, küssend und handschüttelnd, dankend für das Genossene und Revange verheißend, den Dank abwehrend und zu Wiederholung des angenehmen Besuches 62 einladend, wie solches alles gebildeten Krähwinklern nach jeder bei einem Andern genossenen Butterschnitte wohl eignet und bebühret.

Und die Angaben für den Prolog? fragte der Referendar bei dem Abschiedcomplimente den Amtsrath. Dieser sah ihn zweifelhaft an, und sein Vertrauen in die Poesie seiner Poesie schien nicht das stärkste zu seyn. Aber die Rücksicht auf das gutmüthige Erbieten des Volontairs, allenfalls auch Oel und Mühe verloren haben zu wollen, siegte doch endlich.

Diese Notizen, sprach er, ihm ein Papier reichend: hatte ich schon für einen Philister-Pegasus der Residenz ausgesetzt. Sehen Sie, was sich daraus machen läßt. Am liebsten hätte ich es, wenn meine Tochter eine brillante Parthie bekäme. Sprechen wird sie sie comme il faut. Dafür cavire ich.

Diese Rücksicht wird mich begeistern! sprach warm der Referendar. Ich hoffe, Sie werden mit mir zufrieden seyn.

Sprach's und entschwand, ein schnellfüßiger Ahasael, den Damen nach, die, von der 63 Tochter des Hauses begleitet, so eben das Zimmer verlassen hatten.

Nur noch der Assessor Walther war zurückgeblieben, der jetzt erst seinen verlegten Hut gefunden hatte, und sich in den herkömmlichen Ausdrücken von dem gastfreien Wirthe beurlaubte.

Ich danke Ihnen für Ihren Beitrag zur allgemeinen Freude, lieber Assessor, sprach der Amtsrath unter den gebührenden zwei Wangenküssen. Noch mehr aber danke ich Ihnen für die angenehme Bekanntschaft, die Sie mir zugeführt haben. Das ist ein liebes, geschliffenes, gebildetes, feuriges, gefälliges Männchen. Es ist wahr, Comödie spielt er noch spottschlecht, und wie es mit dem Volteggio gehen wird, das weiß der Himmel, aber non omnia possumus omnes! dafür hat er ein Redner-Talent, wie ich es sobald nicht gefunden habe. Durch seine Parallele zwischen Göthe und Schiller hat er mich wahrhaft bezaubert!

Es freut mich, daß Ihnen mein Freund gefällt, erwiederte der Assessor. Um so mehr, 64 als wir die Hoffnung haben, ihn für immer hier zu behalten. Mein College Ehrman krankt beständig und muß, wenn er nicht bald stirbt, in Ruhestand kommen. In beiden Fällen hat Wespe von dem Präsidenten die Zusage erhalten, daß auf ihn gerücksichtigt werden soll.

Wie – wie nannten Sie den jungen Mann? fragte erbleichend der Amtsrath.

Wespe, antwortete gleichmüthig der Assessor und empfahl sich.

Wespe! stammelte der Amtsrath, wie vom Schlage gerührt, und blieb, zu einer Bildsäule des Entsetzens versteinert, mitten im leeren Zimmer stehen.

 


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