Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II

Gleichwohl wird es entschieden düster und traurig, das Spital, trotz des schönen Junimonds, der uns beschieden ist, trotzdem das regenfeuchte Grün lieblich duftet und in lebhaftem Glanze leuchtet. Ja, das Spital verfinstert sich, trotz Philosophie, Sorglosigkeit und Stolz!

»Uns wäre wohl im hellen Sonnenschein,
Unter dem grünen Gezweig der Eichen«,

uns, den Poeten, ganz wie ihnen, den Arbeitern, den Genossen unserer Leiden und Mitbewohnern der Spital-»Säle«. Und es lebe der reine Genuß, und die Weiber, rein oder nicht, und das wirkliche lebendige Leben, ob es nun rein ist oder unrein!

Einstweilen, ihr Brüder, ihr Handwerker dieser und jener Sorte, ihr arbeitslosen Arbeiter und ihr mit Verlegern behafteten Dichter: resignieren wir! Trinken wir unsern schwachgezuckerten Arzneitee oder den Kakao da, schlucken wir tapfer die Medizin, das Abführmittel, die üble Laune! Befolgen wir treulich die Präskriptionen, gehorchen wir den Instruktionen, süß mögen uns dünken die Injektionen und lieblich die Dejektionen, und unterdrücken wir alle Objektionen, in Scheu vor der Strafe der Expulsion, die immer hart ist, sogar in diesem Blüten- und Heumond mit seinen warmen Tagen und milden Nächten, sobald der Geldbeutel die Schwindsucht hat, und Schulden und Hunger zu Hause warten.

Gewiß, wir werden früher oder später herauskommen, mehr oder weniger geheilt, mehr oder weniger fidel, mehr oder weniger zukunftsicher – wofern nur mehr oder weniger lebendig. Dann werden wir mit Melancholie, einer Melancholie, die ich schon in meinen »entr'actes« gekannt habe, einer ein bißchen zornigen und ein wenig spöttischen, abwechselnd dankbaren und grollenden Melancholie an unsere seelischen und sonstigen Leiden denken, an die unmenschlichen und die gütigen Ärzte, an die gemeinen und die anständigen Wärter, an diese und jene Aufseherin, die man verwünschte, wenn man sie nicht hinters Licht führte – natürlich: nicht wir, sondern die andern! – weil sie zu gutmütig war, usw. usw.

Und vielleicht werden wir eines Tages dieser schönen Zeit nachtrauern, da ihr, die Arbeiter, euch ausruhtet, und wir, die Dichter, arbeiteten; da du, Künstler, deinen Banyuls und deinen Toddy mit der Porträtierung von Substituten und jungen Medizinern und mit großartigen »Fresken« im Wärtersaal verdientest!

Ja, vielleicht werden sie uns eines Tages wieder in den Ohren klingen, melodisch aus der Vergangenheit her, diese Gespräche von Bett zu Bett, oft von einem Ende des Saals zum andern: »Bitte, meine Herren, seien Sie doch ein wenig still! Wir sind hier nicht in der Deputiertenkammer! Schweigen Sie doch, Nummer 27, Sie rückfälliger Spitalsträfling! Immer sinds die Abonnenten, die den größten Spektakel machen!«, diese mehr als lebhaften und nichts weniger als attischen Diskussionen; sie werden uns wieder gegenwärtig sein, diese Schlummer, jäh abgeschnitten durch mörderisches Geschrei, dieses Geschimpfe irgendeines Alkoholikers, dieses Erwachen mit Neuigkeiten wie: »Der Nummer 15 hat seine Tabakspfeife zerbrochen.« – »Hast du dieses Schwein, diesen Nummer 4 gehört? Was für ein dreckiger Sakermentsschnarcher!« Hoch über alledem aber wird uns, ach, in der Form eines heilsamen Heimwehs diese nüchterne Ruhe wieder in den Sinn kommen, die strenge Sicherheit dieser Stätten des Schmerzes, gewiß, aber auch der zuverlässigen Pflege und des immer vorhandenen Brots.

Eines Tages vielleicht, wenn der Tod nach uns tastet, wenn die Krankheit, die seine Vorläuferin und Quartiermacherin ist, uns Fiebernde und Schmerzgepeinigte, wohl auch Notleidende und Einsame in ihren Klauen hält: vielleicht dann werden wir mit innerem Auge sie wiedersehen, nicht ohne Rührung und einer Art von trauriger – o so trauriger – Dankbarkeit, diese langen Reihen von schneeweißen Betten und diese weißen Vorhänge, denn alles ist lang und weiß, in irgendeinem Betracht, in diesen Asylen ...

Alles weiß und hell, an diesem erlesenen Junitag, nur nicht für mich, der ich von soviel Armut müde bin (bloß für den Augenblick, glaubt mir, bin ich doch so sehr daran gewöhnt, seit fünf Jahren!), das Hospital mit großem H, der gräßliche, die Vorstellung unsagbaren Unglücks heraufbeschwörende Begriff des modernen Spitals für den modernen Poeten, der es in den Stunden seiner Mutlosigkeit nur schwarztraurig finden kann, schwarztraurig wie den Tod und wie das Grab und wie das Grabkreuz und wie die Verzweiflung an aller Barmherzigkeit, dies euer modernes Spital, so sehr ihr es auch mit den Errungenschaften der Zivilisation ausstaffiert habt, ihr Menschen dieses Geld-, Schmutz- und Auswurfzeitalters!


 << zurück weiter >>