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VIII

Dies ist die letzte Chronik der Reihe, vielleicht überhaupt die letzte, und ich glaubte sogar, daß sie nicht zur Verwirklichung käme, diese Chronik, zu deren Niederschrift ich mich gedrängt fühlte, um ein ganzes kleines Programm von Eindrücken abzuschließen, die keineswegs sozialistisch waren, wie es jetzt Mode ist, oder gar »anarchistisch«, wie das dumme Wort heißt, das liebenswerte, aber unzulängliche junge Leute dem »großen« Proudhon von gestern mißverständlich entlehnt haben.

Also: im verflossenen Dezember wurde ich plötzlich von einem abscheulichen rheumatischen Schmerz gepackt, wie ich ihn schon früher am linken Knie zu spüren bekommen hatte – diesmal wars am Handgelenk derselben Seite. Das trug sich zu in der Vorstadt Saint * * *, wo sich ein großes Spital befindet, dessen ausgezeichneten Direktor ich seit langem kannte; er ließ mich unverzüglich in die Abteilung des Doktor * * aufnehmen. Dieser war, ganz wie auch sein Assistent, so liebenswürdig zu mir im vollsten Sinne des Worts, daß es mir einen förmlichen Schmerz bereitete, mich von diesen beiden Herren wieder trennen zu müssen.

Ich wohnte in einem Gemach, das sich mit einer Glaswand in T-Form an einen großen Saal schloß, so daß ich bei der geraden Aufstellung unserer Betten (wir waren unser fünf, und ich der fünfte gegen eine Ecke hin) versucht war, uns mit den »Figuranten der Morgue« zu vergleichen; aber der gute Doktor – der über mich Bescheid wußte – hatte unsern Raum bereits den »Saal der Dekadenten« getauft.

Daß ich vollkommen glücklich gewesen wäre in diesem, wie ich noch hoffe, letzten Spital, kann ich nicht behaupten. Ich verlebte nur einen ruhigen Monat darin, durchaus geborgen in der zuvorkommenden und rücksichtsvollen Pflege durch ein tadelloses Ärztekollegium und ein nach besten Kräften bemühtes Hilfspersonal.

Sogar die »Kameraden« waren in der Mehrzahl angenehm und gemütlich. Ganz besonders einer von ihnen, ein Soldat – was für ein schreckliches Mannsbild, ganz nur Schnurrbart! – eben erst von der afrikanischen Truppe heimgekehrt. Der Kerl glaubte weder an Gott noch an den Teufel (zudem war er ein Pariser Kind); und wie ich ihm ein und das andere Mal einwendete, es müsse da droben noch einen geben, der pfiffiger ist als wir, und daß es unrecht von ihm wäre, nicht an Ihn zu glauben und Ihm nicht zu vertrauen, da taufte mich mein Biribist Zur Strafkompagnie nach Afrika versetzter Soldat. sofort »ratichon«, was im Argot »Pfarrer« bedeutet. Er nannte mich dann nie mehr anders, und dieser Spitzname wurde zur Quelle höchster Belustigung für diejenigen unserer Nachbarn, die zum Lachen die Kraft hatten.

So lebt denn wohl, ihr meine Spitäler dieser letzten Jahre – wenn ich nicht sagen soll: auf Wiedersehn! nehmt meinen Abschiedsgruß, auf alle Fälle. Still und arbeitsam hab ich in euern Mauern gelebt. Ich habe jedes von euch mit irgendeinem Bedauern verlassen: und trieben mich meine Menschenwürde, die Würde eines Mannes, der noch relativ besser, aber nicht viel besser daran ist als die unglücklichsten Enterbten von euren Stammgästen, und mein gutbürgerliches Gerechtigkeitsgefühl, kein von soviel armen Leuten ersehntes Bett usurpieren zu wollen, oftmals und oft zu früh aus euren Toren, die man beim Kommen, aber nicht minder auch beim Gehen segnet, so seid versichert, ihr guten Spitäler: trotz all der unvermeidlichen Einförmigkeit, trotz allen zwangsmäßig strengen Regiments und trotz aller Unannehmlichkeiten, die ja schließlich einer jeden menschlichen Situation anhaften, bewähre ich euch ein Andenken, das einzig und unvergleichlich ist unter der Menge anderer, unendlich schlimmerer Erinnerungen, die das Leben draußen in der Welt mir geliefert hat, die es mir noch heute liefert und, ohne jeden Zweifel, auch weiterhin und allezeit liefern wird.


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