Jules Verne
Die Kinder des Kapitän Grant. Dritter Band
Jules Verne

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Capitel.
Paganel's letzte Zerstreutheit.

Elf Tage nach der Abfahrt von der Insel, am 18. März, kam dem Duncan die Küste Amerikas in Sicht, und am folgenden Tage ankerte er in der Bai von Talcahuano.

Nach fünf Monaten gelangte er damit an diese Stelle zurück, während welcher er unter strenger Einhaltung des siebenunddreißigsten Breitengrades eine Reise um die Erde vollendet hatte. Die Theilnehmer dieser merkwürdigen Expedition, welche in den Annalen des Traveller-Club nicht ihres Gleichen fand, hatten Chile, die Pampas, die Argentinische Republik, den Atlantischen Ocean, die Insel Tristan d'Acunha, das Indische Meer, die Insel Amsterdam, Australien, Neu-Seeland, die Insel Tabor und den Stillen Ocean durchzogen. Ihre Mühen waren nicht vergeblich gewesen, sie brachten die Schiffbrüchigen von der Britannia in ihr Vaterland zurück.

Kein Einziger dieser wackeren Schotten, welche auf den Ruf ihres Lords mit ausgezogen waren, fehlte beim Appell. – Alle kehrten sie nach dem alten Schottland heim, und erinnerte dieser Zug an die »Schlacht ohne Thränen« aus der alten Geschichte.

Nachdem der Duncan sich wieder frisch verproviantirt hatte, dampfte er längs der Küsten Patagoniens hinab, um das Cap Horn herum und quer durch den Atlantischen Ocean.

Die Reise verlief ganz ohne Unfall, die Jacht barg eine Ladung von Glück. An Bord gab es kein Geheimniß mehr, nicht einmal die Gefühle John Mangles' für Mary Grant.

Und dennoch – Eines. Ein dunkler Punkt ließ Mac Nabbs nicht zur Ruhe kommen. Warum hielt sich Paganel immer bis oben zugeknöpft und mit einem Shawl umhüllt, der bis an die Ohren reichte? Der Major brannte darauf, den Grund dieser sonderbaren Manie zu erfahren. Aber leider war Paganel trotz aller Fragen, Anspielungen und Verdächtigungen seitens Mac Nabbs' nicht zum Aufknöpfen zu bringen, nicht einmal, als der Duncan die Linie passirte und auf dem Deck eine Hitze von fünfzig Graden lagerte.

»Er ist so zerstreut, daß er in St. Petersburg zu sein glaubt«, sagte der Major, als er den Geographen in einen weiten Reiseüberzieher eingehüllt sah, als ob das Quecksilber im Thermometer zu Eis würde.

Am 9. Mai endlich, dreiundfünfzig Tage nach der Abfahrt von Talcahuano, sah Glenarvan die Leuchtfeuer des Cap Clear aufblitzen. Die Yacht lief in den St. Georges-Canal ein, durchschnitt das Irische Meer, und am 10. Mai erreichte sie den Golf von Clyde. Um elf Uhr ankerte sie vor Dumbarton. Um zwei Uhr Nachmittags zogen die Passagiere, unter dem Hurrah der Hochländer, in Malcolm-Castle ein.

Das wäre also gesagt, daß Harry Grant und seine beiden Gefährten gerettet wurden; daß John Mangles Mary Grant in der alten Kathedrale St. Mungo ehelichen sollte, wo der Rev. Paxton, der neun Monate vorher für die Rettung des Vaters gebetet hatte, die Ehe zwischen dessen Tochter und seinem Retter einsegnete. Es ist auch schon mitgetheilt, daß Robert Seemann werden sollte, wie sein Vater und John Mangles, und daß er vereint mit ihnen, unter der hohen Protection Lord Glenarvan's, das große Ziel seines Vaters mit erreichen helfen wollte.

Ist aber auch schon gesagt, daß Paganel einst nicht unbeweibt sterben sollte?

Nach seinen Heldenthaten konnte der gelehrte Geograph sich dem Berühmtwerden nicht entziehen. Seine Zerstreutheiten machten in der ganzen schottischen Gesellschaft Aufsehen. Man riß sich um ihn, und kaum konnte er den Ehrenbezeigungen Genüge leisten, welche man ihm darbrachte.

Da begab es sich, daß eine liebenswürdige Dreißigerin, niemand Geringeres, als eine Cousine des Major Mac Nabbs, welche selbst etwas excentrisch, aber gut und reizend war, von den Eigenheiten des Geographen eingenommen, diesem ihre Hand antrug. Es war auch eine Million darin; doch das berührte man nicht.

Paganel war weit entfernt, für die Zärtlichkeit Miß Arabella's gefühllos zu sein; doch sprach er sich nicht frei aus.

Da legte sich der Major zwischen diesen beiden Herzen, die für einander geschaffen schienen, in's Mittel.

»Gefällt Ihnen denn Miß Arabella nicht?« fragte er unablässig Paganel.

»O, Major, sie ist reizend!« rief Paganel, »viel zu reizend, und ich muß Ihnen gestehen, daß sie mir, wenn sie das weniger wäre, vielleicht noch mehr gefiele. – Ich wünschte ihr einen Fehler.«

»Darüber seien Sie ruhig, sie hat mehr als einen. Auch das vollkommenste Weib hat immer ein Bündelchen. Also, Paganel, – abgemacht?«

»Ich wage es nicht.«

»Aber, edler Freund, was zaudern Sie?«

»Ich bin der Miß Arabella nicht würdig!« erwiderte unabänderlich der Geograph.

Darüber ging er nicht hinaus.

Endlich, als er wieder einmal von dem unverbesserlichen Major in's Gebet genommen worden war, gestand er ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit Etwas, das sein Signalement sehr bequem machen mußte, wenn er jemals mit der Polizei zu thun bekam.

»Bah!« sagte der Major darauf.

»Es ist, wie ich Ihnen sage,« wiederholte Paganel.

»Und, was thut das, werther Freund?«

»Sie glaubten . . .«

»Im Gegentheil, nun sind Sie erst recht etwas Apartes, was zu Ihren persönlichen Verdiensten noch hinzutritt. Das macht aus Ihnen den von Miß Arabella geträumten Mann ohne Gleichen!«

Der Major, der einen unabänderlichen Ernst bewahrte, versetzte Paganel in die peinlichste Unruhe.

Zwischen Mac Nabbs und Miß Arabella fand eine kurze Unterredung statt.

Vierzehn Tage später wurde in der Capelle von Malcolm-Castle mit großem Pompe eine Hochzeit gefeiert. Paganel strahlte, war aber hermetisch zugeknöpft; Arabella war eine glänzende Erscheinung.

Das Geheimniß des Geographen würde immer vergraben geblieben sein, hätte der Major nicht mit Glenarvan davon gesprochen, der es Lady Helena nicht vorenthielt, welche es Mistreß Mangles mittheilte – kurz, es kam auch Mistreß Olbinett zu Ohren und damit an den Tag.

Jacques Paganel war während seiner dreitägigen Gefangenschaft bei den Maoris – tättowirt worden, aber tättowirt vom Kopf bis zu den Füßen, und trug auf der Brust das heraldische Bild eines Kiwi mit ausgebreiteten Flügeln, der nach seinem Herzen hackte.

Das war das einzige Abenteuer von Paganel's großer Reise, über das er sich niemals zufrieden gab und das er Neu-Seeland nie verzieh; das war es auch, was ihn trotz wiederholter Gesuche und trotz seines eigenen Bedauerns abhielt, nach Frankreich zurückzukehren. Er fürchtete in seiner Person die ganze Geographische Gesellschaft dem Spotte der Carricaturenzeichner und der kleinen Witzblätter auszusetzen, wenn er als frisch tättowirter Secretär wiederkehrte.

Die Rückkehr des Kapitäns nach Schottland wurde als Ereigniß begrüßt, und Harry Grant der populärste Mann des alten Caledoniens. Sein Sohn Robert bildete sich zum Seemann aus, wie er, wie der Kapitän John, und unter den Auspicien des Lord Glenarvan hat er das Project wieder aufgenommen, im Stillen Weltmeere eine Schotten-Colonie zu gründen.

 

Ende

 


 << zurück