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Viertes Capitel.
Der Eisenbahnzug von Adelaïde

Einige Tage später verließ Mrs. Branican ebenfalls die Hauptstadt von Südaustralien. Tom Marix hatte die Mannschaft seiner Escorte vollzählig gemacht, die aus fünfzehn Weißen, ehemaligen Polizeisoldaten, und fünfzehn Eingebornen bestand, die ebenfalls schon in der Provinz zu Sicherheitsdiensten verwendet worden waren. Diese Escorte hatte den Zweck, die Karawane gegen die Nomaden zu schützen und nicht den Stamm der Indas zu bekämpfen, denn man durfte die Worte Harry Felton's nicht vergessen, welcher sagte, daß der Capitän John eher durch ein Lösegeld, als mit Gewalt befreit werden müßte.

Lebensmittel in hinreichender Menge für etwa vierzig Personen während eines Jahres füllten zwei Gepäckwagen des Zuges, der nach Farina abgehen sollte.

Jeden Tag schrieb Zach Fren an Dolly von dieser Station aus einen Brief, wodurch sie auf dem Laufenden gehalten wurde. Die Ochsen und Pferde, die nach sorgfältiger Auswahl gekauft worden waren, befanden sich schon mit den Leuten, welche ihre Fütterung und Führung zu besorgen hatten, beisammen. Die Wagen standen auf dem Bahnhof bereit, um die Lebensmittel, die Kleiderballen, die Werkzeuge, Waffen, Zelte, kurz Alles, was zu einer Expedition gehört, aufzunehmen. Zwei Tage nach Ankunft des Zuges konnte aufgebrochen werden.

Mrs. Branican setzte ihre Abreise von Adelaïde für den 9. September fest. Sie hatte eine letzte Unterredung mit dem Gouverneur der Provinz, der der unerschrockenen Frau nicht verbarg, welch' großen Gefahren sie entgegenging.

»Diese Gefahren sind zweierlei Art, Mrs. Branican, sagte er, nämlich die, welche von den wilden Stämmen, deren wir nicht Herr werden können, herrühren, und die, welche die Natur jener Gegenden mit sich bringt. Da jene Länder von Wasser ganz entblößt sind, so gehen Sie fürchterlichen Leiden entgegen. Aus diesem Grunde wäre es vielleicht besser, Sie würden erst gegen Ende der heißen Jahreszeit, d. h. sechs Monate später, aufbrechen ...

– Ich weiß es, Herr Gouverneur, antwortete Mrs. Branican, und ich bin auf Alles vorbereitet. Seit meiner Abfahrt von San-Diego habe ich auch den Continent von Australien durchstudirt, indem ich die Reisebeschreibungen eines Burke, eines Stuart, eines Giles, eines Forrest, eines Sturt, eines Grégorys, eines Warburton gelesen habe. Ich habe auch die Bekanntschaft des unerschrockenen David Lindsay gemacht, der vom September 1887 bis April 1888 Australien von Port Darwin im Norden bis nach Adelaïde im Süden durchzog. Nein, nein, ich kenne die Gefahren und die Anstrengungen einer solchen Unternehmung, aber ich weiß auch, wohin mich meine Pflicht ruft.

– Der Forscher David Lindsay, erwiderte der Gouverneur, durchzog schon bekannte Länder, indem er der transcontinentalen telegraphischen Verbindung folgte. Auch hatte er nur einen Eingebornen und vier Lastpferde mit. Sie aber, Mrs. Branican, suchen die Nomadenstämme auf und werden daher gezwungen sein, Ihre Karawane über diese Linie hinauszuführen und sich in den Nordwesten des Continents bis zu den Wüsten des Dampierlandes zu wagen ...

– Ich werde dahin gehen, wohin es nothwendig sein wird, Herr Gouverneur. Die Forschungen David Lindsay's und seiner Vorgänger wurden im Interesse der Civilisation, der Wissenschaft und des Handels unternommen. Ich aber unternehme diesen Zug zur Befreiung meines Mannes, des einzigen Ueberlebenden vom »Franklin«. Seit seinem Verschwinden hielt ich gegen die Meinung Aller die Behauptung aufrecht, daß er noch lebe, und ich hatte Recht. Ich werde ein halbes Jahr, wenn es nothwendig ist ein ganzes Jahr diese Länder durchziehen und werde meinen Gatten finden, wovon ich fest überzeugt bin. Ich rechne dabei auf die Ergebung meiner Gefährten, Herr Gouverneur, und unsere Devise wird sein: Niemals zurück!

– Das ist die Devise eines Douglas, Mrs. Branican, und ich zweifle nicht, daß Sie damit zum Ziele kommen werden.

– Ja ... mit Gottes Hilfe.«

Mrs. Branican nahm von dem Gouverneur Abschied, indem sie ihm für seine Unterstützung herzlichst dankte. Noch an demselben Tage – es war der 9. September – verließ sie Adelaïde. Sie kam um drei Uhr Nachmittags in Farina an und wurde von Zach Fren und seinen Gefährten auf dem Bahnhof begeistert empfangen. Der brave Seemann war tief gerührt, denn seit zwölf Tagen, seit zwölf langen Tagen, hatte er die Frau des Capitäns nicht mehr gesehen. Dolly fühlte sich ungemein glücklich, ihren Begleiter, dessen Ergebung sie sicher war, wieder zu sehen. Sie reichte ihm die Hand, lächelte – sie, die fast das Lächeln verlernt hatte!

Mrs. Branican sollte sich nicht lange an dieser Station aufhalten, denn Zach Fren war ebenso einsichtsvoll wie thätig. Das Material der Expedition war nach sorgfältiger Auswahl beisammen und umfaßte vier Ochsenwagen mit den dazu gehörigen Führern, und zwei Buggys, an die je zwei Pferde gespannt wurden.

Die Karren waren schon theilweise beladen und so brauchte man nur noch auf das Gepäck von der Eisenbahn zu warten, um binnen vierundzwanzig oder sechsunddreißig Stunden bereit zu sein.

Mrs. Branican prüfte sorgfältig die ganzen Vorbereitungen, und man glaubte unter diesen Bedingungen ohne Mühe die Grenze erreichen zu können, wo die Thiere Gras und Wasser finden.

»Mrs. Branican, sagte Tom Marix, so lange wir der telegraphischen Linie folgen, wird das Land genug bieten und die Thiere werden nicht viel zu leiden haben; weiter gegen Westen aber werden wir die Pferde und Ochsen durch Kameele ersetzen müssen, denn nur diese Thiere können jenen heißen Gegenden trotzen, da sie tagelang kein Wasser brauchen.

– Ich weiß es, Tom Marix, erwiderte Dolly, und ich verlasse mich ganz auf Ihre Erfahrung; wir werden die Karawane in dieser Weise bei der Station Alice-Spring umgestalten, wo ich binnen Kurzem einzutreffen hoffe.

– Die Kameeltreiber sind vor vier Tagen dahin aufgebrochen, sagte Zach Fren, und sie werden uns dort erwarten.

– Vergessen Sie nicht, Mistreß, sagte Tom Marix, daß die eigentlichen Schwierigkeiten erst dort beginnen werden ...

– Wir werden sie zu besiegen wissen!« erwiderte Dolly.

Der erste Theil der Reise, ein Weg von ungefähr dreihundertfünfzig Meilen, ging seinem Ende entgegen. Sie hatten die Absicht, wenn in Alice-Spring die Karawane durch Kameele ergänzt war, dieselben von den Weißen besteigen zu lassen, weil man von ihnen aus besser das Herannahen eines Feindes oder die zerstreut liegenden Cisternen der Wüste erblicken kann.

Wir müssen hier erwähnen, daß die Forschungsreisen in Australien meist nur mit Kameelen unternommen werden, weil diese Thiere sich vorzüglich dazu eignen. Die Forschungsreisenden Burke, Stuart, Giles wären keinen solchen Strapazen unterworfen gewesen, wenn sie diese Thiere benutzt hätten. Im Jahre 1866 importirte Edler eine große Anzahl Kameele, die auch vorzüglich gediehen. Ohne Zweifel verdankte nur ihnen der Oberst Warburton den glücklichen Erfolg seiner kühnen Forschungsreise, welche Alice-Spring zum Ausgangspunkt und Rockbonne an der Küste von Wittland als Endstation hatte. Den gleichen Erfolg verdankte David Lindsay den Kameelen bei Durchkreuzung des Continents von Norden nach Süden.

Mit Rücksicht auf diese kühnen Forschungsreisenden zögerten auch Mrs. Branican's Leute nicht, den Gefahren und Strapazen aller Art zu trotzen.

»Sie wissen wohl nicht, Mrs. Branican, sagte Zach Fren, daß wir schon auf dem Wege nach Alice-Spring überholt sind?

– Ueberholt, Zach?

– Ja, Mistreß. Erinnern Sie sich nicht mehr an jenen Engländer und dessen chinesischen Diener, die mit uns auf dem Schiffe nach Adelaide fuhren?

– In der That, erwiderte Dolly. Doch sind sie nicht in Adelaide zurückgeblieben?

– Nein, Mistreß. Vor drei Tagen kam Jos Meritt – so heißt dieser Engländer – mit der Eisenbahn in Farina an. Er fragte mich nach den Einzelheiten unsrer Expedition und nach dem Wege, den sie nehmen würde; er antwortete nur: »Gut! ... O! ... Sehr gut!« während sein Chinese mit dem Kopf schüttelte und zu sagen schien: »Schlecht! ... O! ... Sehr schlecht!« Am folgenden Tage brachen sie frühzeitig auf und schlugen die Richtung gegen Norden ein.

– Wie reisen sie? fragte Dolly.

– Zu Pferd; aber von der Station Alice-Spring werden sie, wie man sagt, ihr Dampfschiff mit einem Segelschiffe vertauschen ... was auch wir thun werden.

– Ist dieser Engländer ein Forschungsreisender?

– Danach sieht er mir nicht aus. Er scheint vielmehr von einer fixen Idee besessen zu sein.

– Hat er nicht gesagt, warum er sich in diese Wüste wagt?

– Kein Wort, Mistreß. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß er sich mit dem Chinesen nicht einer Gefahr wird aussetzen wollen. Nun, ich wünsche ihm eine glückliche Reise.

– Vielleicht werden wir mit ihm in Alice-Spring zusammentreffen.«

Am folgenden Tage, dem 11. März, um fünf Uhr Nachmittags waren alle Vorbereitungen vollendet. Die Wagen waren voll von all dem Nothwendigen für die lange Reise.

Da waren Fleisch- und Gemüseconserven von den besten amerikanischen Marken, Mehl, Thee, Zucker, Salz, ohne die Medicamente zu rechnen, welche die Apotheke enthielt. Mehrere Fäßchen enthielten Wein, Rum und Branntwein. Auch sehr viel Tabak war vorhanden, der weniger für den ausschließlichen Gebrauch der Männer, als für den Tauschhandel mit den Eingebornen berechnet war, bei denen derselbe so viel wie klingende Münze ist. Mit Tabak und Branntwein würde man ganze Stämme des westlichen Australiens kaufen können. Mehrere große Rollen Tabak und viele andere nützliche Gegenstände bildeten einen besonderen Theil des Gepäcks, da sie als Lösegeld für den Capitän John bestimmt waren. Auf den Ochsenwagen befanden sich Zelte, Decken, Kisten mit Kleidern und Wäsche, die nothwendigen Sachen für Mrs. Branican und ihre Dienerin Harriette, die Effecten Zach Fren's, Küchengeräthe, Petroleum zum Kochen, Munition für die Jagd und für die Feinde.

So brauchte denn nur das Signal zum Aufbruche gegeben zu werden. Mrs. Branican, voll Ungeduld, setzte den Aufbruch für den nächsten Tag fest, und es wurde beschlossen, bei Sonnenaufgang Farina zu verlassen und die Richtung gegen Norden längs der Telegraphenlinie einzuschlagen.

Um neun Uhr Abends begaben sich Dolly und ihre Dienerin Harriette mit Zach Fren nach einer nochmaligen Prüfung der Vorräthe in das Haus, das sie neben dem Bahnhofe bewohnten. Sie schlossen die Thüre und wollten sich eben auf ihr Zimmer zurückziehen, als draußen geklopft wurde. Zach Fren öffnete die Thür und prallte überrascht zurück.

Draußen stand der junge Matrose vom »Brisbane«, ein kleines Bündel unter dem Arm, den Hut in der Hand.

In der That, es schien, als ob Mrs. Branican errathen hätte, daß er es war ... Ja, ja, und wie soll man sich das erklären? ... Obgleich sie nicht darauf gefaßt war, den Knaben zu sehen, so hatte sie doch immer gedacht, daß er versuchen würde, sich ihr zu nähern ... Wie dem auch immer sein möge, bevor sie ihn noch erblickte, rief sie Godfrey.

Eine halbe Stunde zuvor war Godfrey mit dem Zug von Adelaide angekommen.

Einige Tage vor der Abfahrt des Postdampfers hatte er von dem Capitän seine Löhnung verlangt und das Schiff verlassen. Wie oft befand er sich nicht bei dem Hôtel, wo Mrs. Branican wohnte! Wie oft folgte er ihr nach, ohne zu versuchen, sie anzusprechen! Uebrigens wußte er, daß Zach Fren nach Farina aufgebrochen sei, um eine Karawane zu organisiren; sobald er erfahren hatte, daß auch Mrs. Branican Adelaide verlassen hatte, fuhr er mit der Eisenbahn nach.

... wurde von Zach Fren und seinen Gefährten begeistert empfangen.

Was wollte denn Godfrey?

Godfrey wurde in das Haus geführt und stand bald Mrs. Branican gegenüber.

»Sie sind es ... mein Kind, Sie, Godfrey? sagte sie, ihn bei der Hand nehmend.

– Er ist es, und was will er? murmelte Zach Fren ärgerlich, denn die Anwesenheit dieses Burschen schien ihm sehr lästig zu fallen.

– Was ich will? erwiderte Godfrey. Ich will Ihnen folgen, Mistreß, so weit Sie gehen, ich will mich nie mehr von Ihnen trennen ... Ich will mit Ihnen den Capitän Branican suchen, ihn finden, ihn nach San-Diego zurückbringen, ihn seinen Freunden ... seinem Vaterlande wiedergeben.«

Dolly konnte sich nicht fassen. Das Gesicht dieses Kindes ... es war John ... ihr geliebter John, den sie im Geiste sah.

Godfrey lag auf den Knien, erhob die Hände und bat flehentlich:

»Nehmen Sie mich mit ... Mistreß, nehmen Sie mich mit!

– Komm, mein Kind, komm!« rief Dolly und zog ihn an ihr Herz.


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